Frederi Mistral
Nerto
Frederi Mistral

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I.
Der Baron.

             

Kastell-ReinardKastell-Reinard (prov. Castèu-R., lat. Castrum-Rainardi). Burgruine in der Gegend von Avignon, auf dem linken Ufer der Durance, nicht weit von der Einmündung dieser in die Rhone. reckt seine Thürme,
Zwei Hörnern gleich, vom Berg empor.
Doch längst schon liegt das Schloß in Trümmern,
Nicht Zinnen ragen mehr, noch Thor;
Wo eh'mals holde Frauen blühten,
Blühen, lehrt jetzt der Lenz in's Land,
Der Thymian, die Mauerkräuter
Und Salbei an bemooster Wand;
Auf den zerfallnen Mauerstücken
Spielt Molch und Eidechs unbelauscht,
Indessen in den Pinienwipfeln
Die Windsbraut ihre Weisen rauscht.
Mit seinen Thürmen trutzbereit
Das Land beherrschend weit und breit,
Im Wappen die drei Dolche führend,
Das Schloß gar stolz und stattlich stand
Zur Zeit, als noch die Päpste herrschten
Im sonnigen Provencerland.

Im Bette liegt der Herr des Schlosses,
Der mächt'ge PonsPons (lat. Pontius) in der Provence als Taufname nicht selten., in Schmerz und Pein,
Am Bettrand sitzt, ihn treulich pflegend,
NertoNerto. Der Selbstlauter o ist im Provençalischen Kennzeichen der weiblichen Endung, wie a im italienischen und spanischen und das stumme e im französischen. Nerto bedeutet »Myrthe« und ist ein in der Provence gebräuchlicher Frauenname. In den provençalischen Judenfamilien bedient man sich seiner für »Esther«. Im Hebräischen sollen Esther und Hadasa gleichbedeutend sein. Hadasa bezeichnet im Hebräischen »Myrthe«, wie Nerto im Provençalischen., sein blondes Töchterlein.
Von Zeit zu Zeit tönt durch die Höfe
Ein Wiehern hell vom Burgstall her.
Der Kranke öffnet matt die Augen:
»Mein armer Robin!« seufzt er schwer,
»Wohl darfst um Deinen Herrn Du klagen,
Du wirst ihn wohl nicht wieder tragen!«

Und er spricht wahr: Der Aerzte König,
Der Jude Mardochai, der dort
Auf seinem Maulthier heimwärts reitet,
Sprach zum Gesind ein schlimmes Wort:
Der Fall ist schwierig zu entscheiden;
Er muß vielleicht noch lange leiden.

Durch reichverzierte Zwillingsfenster
Beleuchtet heitre Morgengluth
Des hohen Saals geschmückte Decke
Und den, der auf dem Lager ruht.
Die Lichter glänzen auf den Wänden
Von goldgepreßtem Korduan;
Doch finster blickt der stolze Freiherr,
Ihm bricht kein schöner Morgen an.
Und plötzlich, barsch, mit heis'rer Stimme,
Jagt er die Diener aus dem Saal,
Zur Beichte treibt ihn vor der Tochter
Des schuldigen Gewissens Qual.

»Mein Kind,« spricht Pons, »bald wird dein Vater
Vor seinem ew'gen Richter steh'n,
Doch kann ich, eh' du mein Geheimniß
Mit mir getheilt, nicht von Dir geh'n.
O Christus, Herr, verläugne mich!
Daß mich die tiefste Hölle quäle,
Hab' mehr als Judas ich verdient,
Verkaufend meines Blutes Seele!
Ja, Mohamet, der Zwietrachtstifter,
War kein so schlimmer Heilsvergifter;
Ich selbst verwürfe Gottes Huld,
So schwarz und schwer ist meine Schuld!

Auf Sankt Eutrop sinds dreizehn Jahre,
Daß Isnard, Graf von Mourmeiroun,
Die Nachbarherrn geladen hatte
Zu Waidmannspflicht und ernstem Thun:
Zur Jagd auf Raimund de TurenoRaimund de Tureno mit dem Zunamen »die Geißel der Provence«, aus dem nachmals berühmten Geschlechte der Vicegrafen von Turenne (bei Limoges), war ein gefürchteter Parteigänger Karls von Duras (des Neffen und Gegners der Königin Johanna), als dessen Werkzeug er lange Zeit die Provence mit Krieg überzog. Er ertrank 1399 in der Rhone. (Vgl. III. Ges. Seite 65). Der seit vielen Jahren vom provençalischen Volk herbeigewünschte Tod dieses Raubritters ist zum Anlaß eines heute noch gangbaren Sprüchwortes geworden. Wenn eine Sache sich lange hinzieht und zu keinem Ende kommen kann, sagt man in der Provence: »Acò's la mort de Tureno«, das ist (wie) Turennes Tod.
Und seiner wilden Wölfe Schar;
Du weißt, daß er ein Straßenräuber
Und schnöder Kirchenschänder war,
Der über Schlösser und Gehöfte
Mit Mord und Brand zu ziehen pflegt',
Wie über neue Saatenfelder
Der Eisenzahn des Rechens fegt.
Im Thalesgrund und auf den Bergen
Mit Schwert und Armbrust hatten wir
Die Gegend gründlich rings gesäubert
Von jenem frechen Raubgethier.
Zu Bacalan, in seinem Schlößchen
Bewirthet' uns neun Tage lang
Isnard. Vom Morgen bis zum Mittag
Der Hof von Waffenspiel erklang.
Wenn wir genug gefochten hatten,
Ging man zur Tafel wohlgemuth,
In Strömen floß da in den Bechern
Des duftenden Gewürzweins Gluth.
Dann kam, nach reichlichem Gelage,
Um der Zechinen gleißend Gold,
Mit den drei Würfeln, auf den Fliesen,
Das Spiel . . . Mir war das Glück nicht hold!
Es ging mir schlimm und immer schlimmer,
Ich kam mir wie verzaubert vor . . .
Ich würfelte den ganzen Abend
Auf Tod und Leben – und verlor,
Verlor . . . und als das Spiel beendet,
War auch mein letztes Stück verpfändet.

Es war schon nah bei Mitternacht,
Als ich mich heimwärts aufgemacht.
Verzweifelt, Nebel vor den Augen,
Mehr todt als lebend irrt' umher
Und taumelt' ich in halbem Wahnsinn,
Bald hier- bald dorthin, kreuz und quer.
Es tost' im Hirn und in den Ohren:
Mein Hab und Gut ist all' verloren!
Mein Falk' verspielt und meine Pferde,
Mein Prachtgewand aus rothem Sammt,
Mein Oelgeländ' an der Durance
Und meine Inseln insgesammt,
Das Wäldchen dicht bei meinem Schlosse,
Mein edles Wappen, dolchgeschmückt,
Die Perlen Deiner todten Mutter,
Mein ganzes Gut verspielt, zerstückt . . .
Mein Taufkreuz, auf die Stirn geschrieben,
Und meine Schande – die nur blieben.
Und wie ein Schwarm von schwarzen Bremsen,
Mit Summen und mit gift'gem Stich,
Verfolgten in den tollsten Sätzen
Die schrecklichen Gedanken mich:
Geh', stürze dich vom Fels in's Wasser,
Verschwinde, Lumpen-Edelmann!
Die Schmach, der Hunger und der Bettel,
Das ist's, was dein noch warten kann! . . .
Jetzt sollt' ein Wandrer seines Weges
Durch Zufall hier vorübergehn,
Ein Kaufherr mit dem Gold im Gürtel!
Wer würd' es wissen, wer es sehn?
Ha! auf ihn stürzen würd'st du dich,
Wie einen Hammel ihn erstechen! . . .
Und deine Tochter? Denk' an sie!
Nicht jetzt! Hier hat die Noth zu sprechen!
Käm' Satan selbst mit Geld gelaufen,
Ich würd ihm, traun, mein Kind verkaufen!«
»Dein Kind verkaufen,« rief das Mädchen,
»O Gott, mein Vater, kann das sein!«

»Ja,« stöhnte Pons, »du magst mir fluchen,
Denn kaum hatt' ich, in toller Pein,
Das Wort verkaufen hingeworfen –
Ich denke noch mit Schaudern dran –
So hob, dicht neben mir, im Dunkeln
Ein Knirschen und ein Krachen an.
Ein Wolkenschatten lag verdüsternd
Ringsum auf Haideland und Moor,
Da, jäh' die Finsterniß erhellend,
Tritt silberweiß der Mond hervor,
Und vor mir seh' ich, in dem Zwielicht,
Ein Rad, wie drohend, aufgereckt,
So groß, daß es mit seinem Schatten
Wohl hundert Ruthen Land bedeckt;
Und bei dem Rade Einen stehn,
Verdächtig, häßlich anzusehn,
Mit Augen, glühend wie zwei Leuchten,
Die Bein' gespreizt, den Leib geneigt
Und mit der Hand die Welle treibend,
Daß die Maschine ächzt und geigt.

»So geht es, Freund! Wer spielt verliert!
Dich haben sie ja hübsch geschoren,
Doch für durchtriebene Burschen ist
Mit Geldverlust noch nichts verloren.«

Und also mir herüberrufend,
Hantirt der spöttische Gesell
An seinem Wäss'rungsradeWässerungsräder (prov. pouso-raco) dienten früher und dienen, so weit sie nicht durch Neueres ersetzt sind, noch jetzt in der Provence zur Berieselung der Felder. Es sind sehr große, roh gezimmerte, weithin sichtbare Holzräder, welche, in Thätigkeit gesetzt, ein unheimlich ächzendes Geräusch verursachen, etwa wie die hölzernen Pumpwerke der Gradirhäuser in Salinenorten. weiter
Und treibt mit Macht und dreht es schnell . . .
Da, alle Wetter! speit es plötzlich
Ein sprühendes Gewoge aus,
Zechinen, goldene Dublonen,
Mit Klirren rollen sie heraus!
Im Mondschein glitzert es zu Hauf . . .
Mir wallt das Blut zum Herzen auf.

»Du kannst jetzt bis zum Knöchel waten
In Piastern und in Golddukaten:
Ja, die Maschine! Sieh nur her,«
Spricht Jener, »die müßt Ihr probiren,
Wenn Ihr erst die erfunden habt,
Könnt Ihr den lieben Gott barbiren!

Nun wohl? Willst einen Pakt du schließen?
Dies Alles, wie's hier ist, sei dein,
In dreizehn Jahren komm' ich wieder
Und fordre deine Tochter ein« . . .
Ich streckt' ihm, ich, der zu dir redet,
Die Hand entgegen, diese Hand,
Und schlang um dich, so recht ein Schurke,
Für Höllengeld das Höllenband!

Der Satansspuk, den ich berichte,
War plötzlich, blitzgeschwind, zu nichte.
»Dir war nur die Vernunft verfinstert,«
Wirst du mir sagen. – Doch das Gold,
Das neugeprägt und hart und klingend
Noch heiß durch meine Finger rollt?
Ich seh' es doch und fühl' und wäg' es
Und jetzt, in meiner blinden Wuth,
Kehr' spornstreichs ich zum Spiel zurücke
Im Schüttelfrost, in Fiebergluth.
Hier! hier ist Geld! Wer hält das Spiel?
Sind tausend Gulden euch zu viel?
Und wieder geht der Würfelsatz
Von Hand zu Hand in toller Runde,
Und reicher als ein Mohrenfürst
War ich vor Ablauf einer Stunde.« –

Die goldgelockte Nerto aber
Von Ohnmacht angewandelt, bleich
In ihren Stuhl zurückgesunken,
Sieht plötzlich einer Todten gleich.
Ein Weilchen nur, die Augen schließend,
Verharrt sie so in starrem Weh,
Dann, als das Leben wiederkehret,
Erhebt sie sich, so bleich wie Schnee.
Mit einem schrillen Schrei zerreißt sie
Ihr Kleid, mit ihren Nägeln rauft
Sie wild ihr blondes Haar und jammert:
»Dem Beelzebub bin ich verkauft!
O Fluch! Entsetzliches Geschick!
Was soll ich thun, wohin mich wenden?
O Gott, wohin verberg' ich mich?
Schon fühl' ich, wie mit Eiseshänden
Er nach mir greift, er mich erreicht,
Der Böse, der im Finstern schleicht!
O schöne Mädchenunschuld fliehe,
O weiche, stilles Glück, von mir!
Mein böser Vater überläßt mich
Des höllischen Versuchers Gier!
Kein Himmelslicht soll ich mehr schauen,
Ich soll mich fürder nicht erbauen
Mit brünstigem Gebet zum Herrn
In meiner traulichen Kapelle,
Wo in den Fenstern lächelnd stehn
Die Heiligen in Glorienhelle!
Mich greift, mich stürzt des Bösen Macht
Vom Mittag in die tiefste Nacht . . .

O heil'ge Martha, Gottgesandte,
Du, der Provence Schutz und Schirm,
Die einst im Taraskoner Lande
Besiegt das giftige Gewürm!
O hilf mir du aus meiner Noth,
Schon glaub' den Sturmwind ich zu spüren,
Schon hat sein Wirbel mich erfaßt
Mich in die Hölle zu entführen!
O heil'ge Jungfrau, unser Hort,
Du Reine, laß zu dir mich beten,
Du kannst, woferne du nur willst,
Den Satanas mit Füßen treten!
Maria, komm zu Hülfe, komm,
Du kannst allein noch mich befreien,
In deine Arme werf' ich mich,
Dir will ich ganz mein Leben weihen . . .
Ist's möglich denn, daß man mich schnöd
Dem Höllischen verkauft zur Ehe?
Ich bin getauft! Ich will es nicht!
O Vater, du betrügst mich. Wehe!«

Und, Funken aus den Augen sprüh'nd,
Die Locken wirr herabgefallen,
Läßt Nerto, völlig fassungslos,
Den Saal von Schluchzen widerhallen.

Die Arme! Sonst so hold und fröhlich,
Die Königin der ganzen Flur!
Von wem sprach ringsumher das Landvolk?
Von seiner jungen Herrin nur.
Sie war so gütig! Oftmals trat sie
In seine Hütten traulich ein:
»Grüß Gott, MiséMisé, eigentlich Fräulein, war bis zur Revolution die Anrede für die Frauen der untern und mittlern, Dono für diejenigen der höhern Stände. – Babèu=Elisabeth, Jano=Johanna, Noro=Eleonore, Nanoun, Diminutiv von Anna, s. v. w. Aennchen, Martounet, Doppel-Diminutiv von Martha, s. v. w. ganz kleine Martha, Miquelasso (S. 36) Augmentativ von Michaele, s. v. w. große, dicke M., Fabresso (S. 82) von Fabre, Schmied, s. v. w. die Frau (oder Tochter) des Schmiedes. Babèu, was treibt Ihr?
Wie spinnt den Faden Ihr so fein!
Frau Jano, seid Ihr schon vergeben?
Zur Wäsche brauch' ich Euren Fleiß . . .
Hast Du, Nanoun, dies Brod geknetet?
Wie schön gebacken und wie weiß!
Und Martounet? Wann ist die Firmlung?
Für die, Frau Noro, seid nicht bang,
Ich nehme sie zu mir als Zofe.«
So schritt sie gern das Dorf entlang,
Derweilen ihre weiße Hand
Ein Geldstück stets im Täschlein fand.

»Der Vater ist ein alter Währwolf,
Der streut nur Püffe um sich her . . .
Doch über unser blondes Fräulein
Geht, rief man, auf der Welt nichts mehr!«

Im ganzen Land, man muß gestehn,
Ward keine Schön're je gesehn;
Und FarandoleFarandole, (prov. Farandoulo) provençalischer Tanz. Die Tänzer halten einander an den Händen; ein Vortänzer führt die Reihe an, die sich in allerhand Ringen und Figuren windet. Trommelflöte und Tamburin begleiten den Reigen mit einem Allegro in /  Takt. Die Farandole wurde ursprünglich nur von Männern getanzt. Erst in der Neuzeit ist die bunte Reihe üblich geworden. kreisend war
Die junge Mannschaft aus dem Flecken
Schon schaarenweis' herbeigetanzt,
Den Maienstrauß ihr aufzustecken.
Doch Keiner kam noch ihr zu deuten,
Was jene Blümlein wohl bedeuten.
Nach ihrem Thürmchen schauend stand
Gar mancher schmucke, junge Bauer
Vom Segounau zum Mount-VentourVom Segounau zum Mount-Ventour. Segounau heißt das eingedeichte Ufergebiet längs der Rhone, unterhalb Avignon. – Mount-Ventour (lat. Mons Venturius), 1960 Meter hoher Berg, nördlich von Avignon, zwischen der Provence und dem Dauphiné. Sein Gipfel ist während der Hälfte des Jahres mit Schnee bedeckt.
Schon früh am Morgen auf der Lauer.
Es wendet unbewußt zur Sonne
Sich Alles, was auf Erden lebt,
Und still erfreut blickt jedes Auge,
Wenn sich der Mond im Osten hebt.
Der Tuberosen-Knospe Duft
Erfüllt die Sinne mit Entzücken;
Doch öffnet sie zur Blume sich,
So wagt es Keiner, sie zu pflücken.

Auf ihres Thurmes hohem Söller
Pflegt Nerto Abends oft zu stehn,
Um dort die frische Luft zu trinken
Und sich zur Kurzweil umzusehn.
Sie singt ein Liedchen froh hinaus,
Es dringt bis an der Thürme Spitzen
Und zu den Schwalben, die ringsum
Still auf den Wetterfahnen sitzen.

Sie war dahin, die Zeit der Wonne,
Die lieberfüllte, tapfre Zeit,
Als noch von Schloß zu Schlosse zogen
Die Troubadoure, sangbereit,
Bewährt im Verstournier! Man hörte
Nicht mehr der Laute süß Getön
Bei Mondschein durch die Nacht erklingen.
Stumm war das Land und auf den Höh'n,
Der Edelfrauen stolzen Sitzen,
Lag Trauer, einer Wolke gleich:
Verschwunden all' die edlen Sänger,
In Nacht versenkt ihr heitres Reich.»Sie war dahin die Zeit der Wonne« &c. Im Albigenser-Kriege (1209–1229) hatten die provençalischen Troubadours, theils als überzeugte Gegner, viele aber auch nur aus rein landsmännischem Mitgefühl und ohne Rücksicht auf Glaubensfragen, mit Leier und Schwert die Sache der Unterdrückten gegen die französischen Kreuzzügler verfochten. Die Folgen ließen nach dem Siege der Letzteren nicht lange auf sich warten und waren tödtlich für die provençalische Poesie. Die Einleitung der Inquisition gegen die der Ketzerei Verdächtigen, die Errichtung einer französischen Universität in Toulouse, die Verbannung des Provençalischen aus sämmtlichen Universitäten Frankreichs, die Zerstörung romanisch geschriebener Bücher und ähnliche Maßnahmen räumten schnell mit der Pflege einer Sprache auf, welche bis dahin, neben der lateinischen, Gemeingut der Gebildeten in ganz Europa und, ihrer hohen Anmuth wegen, der Liebling aller kunstsinnigen Fürstenhöfe gewesen war.

Mit ihrer Muhme, Frau Sibylle,
Hat Nerto einsam und in Stille
Von Kind auf in der Burg gewohnt,
Die trotzig auf dem Felsen thront.
Ein schönes Buch mit Andacht lesen
Ist ihre größte Lust gewesen.
Zu allem Guten, allem Schönen
Hob Nerto's junges Herz empor
Die würd'ge alte Edeldame
Und aus dem Breviari d'AmorBreviari d'Amor. Titel einer in der Bibliothek von Béziers aufbewahrten romanischen Dichtung des Troubadours Matfred Ermengaut, eine Art Encyklopädie des dreizehnten Jahrhunderts.
Mußt' ihr an allen Gottestagen
Die Nichte frei ein Stücklein sagen.

O schönes Buch! Es war darinnen
In Versen zierlich hergenannt,
Was da von Thieren, Fischen, Vögeln,
Auf Erden irgendwie bekannt.
Die wunderbare Form und Farbe,
Die man an Stein und Pflanze sieht,
Der grüne Saphir, der Magnetstein,
Der aus der Hand das Eisen zieht.
Des Meeres Winde alle acht,
Die kriegverkündenden Kometen,
Die Zeichen des Zodiakus,
Milchstraße, Fixstern und Planeten,
Der Nymphen und Sirenen Schaar,
Und dann die Satzungen der Lehre,
Der Menschheit schönes Elternpaar,
Der gut' und bösen Engel Heere,
Des Segens und des Zornes Schalen,
Des Himmels Lust, der Hölle Qualen;
Zum Schluß empfahl der Liebesbaum
Den Fräulein, als des Glückes Stufen,
Frohsinn und kluge Höflichkeit,
Wenn einst zur Minne sie berufen.
Illuminirt mit Blau und Gold,
Trug Blumen und Gezweig in Menge
Das Pergament. Für Nerto war's
Ergötzlich wie ein Schaugepränge;
Und wenn das Bildniß eines Mägdleins
Sich auf dem Blatt dem Blicke bot,
Schlank, blond, mit etwas bleichen Wangen,
Die Augen blau, die Lippen roth,
Ein Zweiglein von Jasminen haltend»Ein Zweiglein von Jasminen haltend« &c. In einigen romanischen Gegenden pflegen die ländlichen Bräute am Hochzeitstage sich mit Jasmin zu schmücken.
Und Verse, die darunter stehn:
»Nicht war, die gleicht mir ganz, Frau Muhme,
Wollt Ihr nicht auch das Bildchen sehn?«
Und halb im Schlaf, Dono Sibilo
Antwortet ihr, das Haupt geneigt:
»Die wird man stets am Meisten suchen,
Die sich am Wenigsten gezeigt;
Das will das Zweiglein dort besagen.« –
Und schlummert weiter mit Behagen.

Pons, der Baron, war stets im Krieg,
In seinem Bette schlief er selten;
Heut war er hier und morgen dort,
An Beiwachtfeuern und in Zelten.
Aus der Provence in die Limagna
Aus der Gascogne in die Romagna,
Bald auf den Bergen von Kastilien,
Bald auf dem Meer, bald in Sicilien.
Gab irgendwo es Degenstöße,
Ein Morden, eine Rauferei,
Ein Schlachtgewühl, ein Handgemenge,
So war Sire Pons gewiß dabei;
Und, auf den Ruf des Todes horchend,
In seiner Reue bittrer Qual,
Stürzt' in das dichteste Getümmel
Er sich kopfüber jedesmal.

Den Mantel trotzig umgeschlagen,
Weit hinter sich der Diener Troß,
Ritt er, nach Hause kehrend, finster
Zur Dämmerstunde in sein Schloß;
Und eh' im Stall der Reitknecht ihm
Des Pferdes Zügel abgenommen,
War Nerto schon herbeigeeilt
Und hieß voll Freuden ihn willkommen.
Er aber wendete sich ab
Sie von sich drängend, schmerzbefangen,
Und aus den Augen rannen leis
Zwei Thränen auf die hagern Wangen.
»Er weint um seine todte Frau,
Sieht er das Kind« – sagten die Leute;
Sie wußten nicht, welch herbem Weh
Der wilde, harte Mann zur Beute,
Der hinter herrische Befehle
Den tiefen Kummer barg der Seele.
Fünf böse Tage oder sechs
Lärmt' er umher in seinem Schlosse,
Dann brach er ungeduldig auf
Und ritt davon ans stolzem Rosse.

Nerto fragt' oft: »Soll denn auf Erden,
Mein Vater, niemals Friede werden?«
»Es treibe still sein friedlich Handwerk,«
Erwidert' er, »der Bürgersmann,
Dem Edlen aber ziemt's zu fechten,
So lang ein Schwert er schwingen kann.«
Indessen, Alles nimmt ein Ende,
Und eines Tages brachten sie
Ihn aus der Gegend von Grenoble,
So schwer verwundet wie noch nie . . .
Und Ritter Pons, untrüglich fühlend,
Daß sein Verhängniß ihn ereilt,
Hat vor Beginn der großen Reise
Der Tochter Alles mitgetheilt.

»Mein Kind! In diesem schweren Unglück
Bleibt eine Hoffnung mir allein,«
Begann der Sünder jetzt von Neuem,
»Dort könnte wohl noch Rettung sein.
Ich weiß ja wohl, für mein Verbrechen
Gibt's nichts als ew'gen Höllenbrand
Und keine Aussicht auf Vergebung . . .
Doch Du, unschuldig Unterpfand
Des fluchbeladnen Höllenpaktes,
Daß Du jetzt sollst verfangen sein
In meines Schicksals grause Nöthe,
Ist bittrer mir als Todespein!

Geh' Du zum Papst: Der heil'ge Vater
Ist's, der die Sünder ledig spricht;
Er hält des Himmels goldne Schlüssel,
Auf ihm weilt Gottes Angesicht . . .
Zwar, durch so viel des scharfen Pulvers
Als dort jetzt knallt, wird's schwierig sein
Nach Avignon hineinzukommen;
Ein schweres Stück, ich sag' nicht nein,
Bis zu dem Papst in seinen Thurm
Und zu dem Felsen zu gelangen,
Daran die Kirche, schwerbedrängt,
Jetzt ihre Leuchte aufgehangen:
Denn sieh, es wird des Papstes Sitz
Durch BoucicautsBouciaut, Marschall von Frankreich unter Karl VI., berühmter Kriegsmann, geb. zu Tours 1364, starb in England 1421. verwegne Banden,
Vom Limousin, von rechts der Loire
Gesandt, in dichtem Ring umstanden
Und Benedict der Dreizehnte,
Statt, nach dem Wort, den Feind zu segnen,
Läßt Steine, Pfeil und Wurfgeschoß
Auf der Soldaten Köpfe regnen.

Und gegen Feuer, gegen Sappe
Wehrt tapfer sich der alte Mann!
Ich hätte für ihn fechten sollen . . .
Gott sei's geklagt, daß ich nicht kann!
Doch höre: Einen Weg noch gibt es,
Den Niemand ahnt. Es führt ein Gang
Aus unserm Schlosse, unterirdisch,
Ein Schlupfloch, schmal und meilenlang,
Das unter der Dürance durchläuft
Und drüben steigt's an's Tageslicht
Im Avignon'schen Vaticane . . .
Dies ist das Heil! Vergiß es nicht.

Papst Clemens und Frau Jano habenPapst Clemens (VI., Hugo Roger von Canillac) 1342–52.

Dono Jano oder »la Rèino Jano«, Königin von Neapel, Gräfin der Provence, 1325–1382, Beschützerin Petrarcas und Boccaccios, berühmt durch ihre Schönheit und durch ihre Schicksale. In Neapel, in Avignon, in Vilo-Novo bei Avignon, in Grasse und in mehreren andern Orten der Provence zeigt man noch »lou palais de la Rèino Jano«.

,
Als dieser noch das Schloß gehört',
Vor fünfzig Jahren, im Geheimen
Den Gang gebaut, daß ungestört
Der Papst, müßt' er im Kriegsfall fliehen,
Dortaus von dannen könne ziehen.
Dann hat die Königin Johanna
Uns das Geheimniß offenbart,
Und seitdem blieb des Ganges Schlüssel
Bei unserm Hause gut bewahrt.
Wohl möglich, daß Papst Benedict,
Seit fast fünf Jahren nun inmitten
Von Streit und Kampf und Schlachtenlärm
Und von der Welt ganz abgeschnitten,
Deß müde sei und nicht vermuthend,
Daß ihm zu Füßen Rettung winkt,
Dispens vom Fegefeuer gäbe
Für den, der ihm die Freiheit bringt.

Dorthin, mein Kind, mußt Du jetzt gehn
Und um Dich besser zu beschützen
Nimm Diano, unser Windspiel, mit,
Es kann Dir gleich als Vorhut nützen.
Bist eine Stunde Du gewandert
Und ist der Gang nicht überschwemmt,
Wirst Du ein furchtbar Donnern hören,
Doch schreite weiter, ungehemmt.
Wie es auch über Dir erdröhne
Und wie es poltert, wie es stiebt:
Es sind die Kiesel der Dürance,
Die dort der Strom im Wirbel schiebt.
Beiläufig nach zwei Stunden Gehens
Merktst Du, daß sich der Boden hebt,
Und endlich siehst Du, daß ein Lichtschein
Matt vor Dir in dem Stollen schwebt;
Bis dann der helle Tag Dir zeigt,
Wo man dem finstern Schacht entsteigt.

Zum Papste sprich, er solle fliehn
Und sich als Zufluchtsstätte wählen
Kastell-Reinard: Er dürfe dreist
Auf seine Provençalen zählen;
Sie werden seine Wache bilden
Und frei wird er der ganzen Welt
Das Buch der Kirche lesen dürfen,
Wie seiner Weisheit es gefällt.
Nun mach' Dich auf nach Avignon,
Laß', meine Tochter, Dich ermahnen:
Sei uns'res Namens eingedenk
Und würdig Deiner tapfren Ahnen!
Das Ungewitter zu beschwören,
Bleibt nur noch eine kurze Frist,
Weil von den bösen dreizehn Jahren
Das letzte bald verflossen ist.«

Aufschluchzend hält der Alte inne
Und hastig aus dem Zimmer stürzt
Nerto, das Haupt in beiden Händen.
Dono Sibilo, tief bestürzt
Und trauernd, ist umsonst beflissen,
Was denn geschehn? von ihr zu wissen.
Ihr Pelzgewand, das reich besetzt
Mit Lammflaum war, heischt Nerto jetzt.
»Hinauf! Steigt Alle auf die Zinnen,
Betet!« so ruft sie wie von Sinnen,
»Betet für mich!« Und zu dem Thurme
Fliegt sie, wo säuberlich in Reih'n
An einem Brett die Schlüssel hängen
Und greift voll Ungeduld hinein.
Den Schlüssel mit dem Papsteswappen
Löst aus der Menge sie heraus,
Dann huscht sie, bleich, mit leichten Schritten
Durch's weite Schloß, thürein, thüraus.
Und mit dem Windspiel, das die Frauen,
Wie sie befohlen, ihr gebracht,
Verschwindet durch die Wendeltreppe
Sie in der Burgverließe Nacht;
Des unterird'schen Pförtchens Riegel
Schiebt sie zurück mit fester Hand;
Es glänzt der Schein der Blendlaterne
Im Dunkeln auf der feuchten Wand.
Und vorwärts auf der finstern Bahn
Eilt sie . . Das Windspiel ihr voran.


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