Frederi Mistral
Nerto
Frederi Mistral

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Nerto.

Prolog.

 

              »Lou Diable porto pèiro«.Lou Diable porto pèiro. Provençalisches Sprüchwort. Wörtlich: »Der Teufel trägt den Stein.« Dem Sinne nach entspricht es der Selbstbezeichnung des Goethe'schen Mephisto als eines Theils der Kraft »die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« Lenau läßt den alten Satan den gleichen Gedanken mit den Worten ausdrücken: »Des Teufels Thun wird Gottesdienst am Ende«. – Der Böse wirft Steine in den Garten des Gerechten und dieser baut eine Kirche daraus.

Der Dichter beginnt mit einer Anspielung auf den zeitlichen Abstand zwischen seinem berühmten Jugendwerke »Mirèio« und der vorliegenden poetischen Erzählung. – Frederi Mistral, der Sohn eines seßhaften Landwirthes, wurde am 8. September 1830 im Dörfchen Maiano bei Taraskon in der Provence geboren. Nach fleißigen Studien in Avignon und Aix kehrte er, 21 Jahre alt, im Besitze seiner Universitätsdiplome in sein Heimathsdorf zurück, mit dem klar erkannten, treulich gehaltenen und herrlich durchgeführten Vorhaben, inmitten ländlicher Verhältnisse seine Begabung ausschließlich der Pflege provençalischer Sprache und provençalischen Schriftthums zu widmen. 1859 erschien Mirèio, ländliches Epos in zwölf Gesängen (mit dessen Uebertragung in's Deutsche der Herausgeber beschäftigt ist). – Nerto kam ein volles Vierteljahrhundert später. Dazwischen liegen: Calendau, romantisch-historisches Epos in zwölf Gesängen, Lis Isclo d'Or (die goldenen Inseln), eine Auswahl von Liedern, Romanzen, Sonetten und Sirventen, zahlreiche kleinere Schriften, alljährliche Beiträge zu dem seit 1855 von dem provençalischen Dichterbunde der Feliber, dessen Haupt Mistral ist, herausgegebenen »Armana Prouvençau« (Provençalischer Almanach) und eine große historisch-dramatische Dichtung »La Rèino Jano« (die Königin Johanna). Nebenher lief die Anlage und Vollendung des 1886 vollständig erschienenen großen Provençalischen Wörterbuches »Lou Tresor dou Felibrige« (Thesaurus des Feliberthums) mit über 2400 dreispaltigen Groß-Quarto-Seiten. Dieser unerschöpflichen Fundgrube provençalischer Sprach-, Geschichts- und Landes-Kunde wurden die nachfolgenden Erläuterungen, soweit sie nicht schon dem provençalischen Original der Erzählung beigegeben sind, fast sämmtlich entnommen. Mistral ist an seinem Wörterbuch über dreißig Jahre lang, unablässig sammelnd und sichtend, thätig gewesen. Die Universität Bonn, seit Christian Friedrich Diez ein Vorort romanischen Sprachwissens, hat ihn dafür unlängst zum Ehrendoktor ernannt.
 

Die höchsten Gipfel frisch erklimmen,
Wie schmal, wie steil der Weg auch sei,
Barhaupt im Winde weithin jubeln,
Die Brust geschwellt, die Arme frei:
Im Morgenglanz solch frohe Reise
Ist wie geweihten Brotes Speise.
Doch wenn die Sonne heiß geschienen
Und langsam schon gen Westen sinkt,
Verkürzt der Wandrer seine Schritte
Und minder laut sein Jauchzen klingt.
Das ist die Zeit, da mit Behagen
Man etwas singen mag und sagen.

Drum wundert Euch, Ihr Freunde, nicht,
Wenn ich, was wahr ist und erbaulich,
Gemächlich Euch erzählen will
In Versen, munter und vertraulich.
Auf sonnbeglänzten Hirtenpfaden
Der goldnen Au von Taraskon,
Bei Mount-MajourMount-Majour (lat. Mons Major). Ehemalige Benediktiner-Abtei in der Nähe von Arles (spr. Arl)., dem alten Kloster,
Im Felsenthal von Avignon
Hab' ich in längst vergangner Zeit
Erlauscht, was hier ich Euch berichte;
Dies Frühjahr dacht' ich wieder dran
Und wob es friedvoll zum Gedichte.

Daß ich den Teufel einbezieh',
Ist nicht um Schabernack zu treiben,
Ich schrieb, was Leute mir erzählt,
Die strengstens bei der Wahrheit bleiben.
Vom Teufel heut zu Tage reden
Kommt Jedermann befremdlich vor
Und doch, wie manchen Teufelsläugner
Hält Satan selbst ganz sacht am Ohr;
Ja, in wie manchen Zweiflers Kragen
Hat er den Haken längst geschlagen!
Die klugen Leute merken's nicht,
Und wenn man vom Gehörnten spricht,
So hat man üblen Dank davon,
Entrüstung, Mitleid oder Hohn.

Und dann, was wird's den Schwarzen kümmern,
Wenn Spott mit Nadeln nach ihm sticht;
Verhindert das am Fallenstellen
Vielleicht den alten Bösewicht?
Im Gegentheil, er wird entzückt sein,
Wenn man ihn läugnet, wenn bethört
Der Mensch in seinem Freudentaumel
Auf keine Warnungsstimme hört!
Dann reißt der Leichtsinn ganze Rudel
Von Sündern in den Höllenstrudel.

Der Glaube führt allein zum Siege.
Der Zweifel ist ein Trank, gebraut
Die frommen Seelen zu vergiften
Gleich wie den Bach das Bilsenkraut.
Hat es zu wuchern erst begonnen,
So stirbt die Fischbrut d'rin zu Hauf,
Und hört das Volk erst auf zu glauben,
Thun sich der Hölle Pforten auf.

In ihrem heißen Kessel, ruft Ihr,
Hat unsrer Tage Wissenschaft
Den Bodensatz des Mittelalters
Längst ausgelaugt, mit großer Kraft;
Ihr sagt, daß sie mit ihrer Leuchte
In alle Höhlen zündend, hell
Des Teufels Nichtigkeit beweise . . .
Ich bitt Euch, urtheilt nicht so schnell!
Im Baum des Wissens, wohl verborgen,
Geduldig lauernd, sitzt voll List
Er, der seit Adam schon, bedenkt doch,
Das Schulhaupt der Gelehrten ist.

Die Steine aus dem Weg zu räumen,
Auf dem die Menschheit leidvoll wankt,
Das Brot nicht mehr so schwarz zu essen,
Dem Elend, d'ran ein Jeder krankt,
Nach Kräften zu begegnen trachten,
Das ist gewiß nicht zu verachten.
Allein, was hilfts? Mein Vorfahr sagt es,
Der doch ein weiser König war:
»So lang ich seh' wie die Geschöpfe,
Selbständigen Bestimmens bar,
Geboren werden, wachsen, altern
Und dann in Schmerz und Tod vergehn,
So lange wird mein irdisch Hoffen
Auf höhere Befreiung stehn;
Denn trauernd mußt' ich inne werden,
Daß alles eitel ist auf Erden.«

Was ist die Schöpfung? Eine Wette,
Die unser Heiland einst gemacht
Mit jenem Bösen, der die Sünde,
Das Uebel in die Welt gebracht.
Der Teufel ist ein schlauer Spieler,
Ein frecher In-die-Karten-Schieler,
Verliert er, spielt er ruhig weiter,
Bis er das Blatt sich wenden sieht,
So daß mit ihm, nur allzuhäufig
Der liebe Gott den Kürzern zieht.
Gleich in den ersten Schöpfungstagen,
Begann, so melden alte Sagen,
Mit Felsgestein das Meisterwerfen;
Für den, dem dies unglaublich scheint
Liegt, als Beweis, des Teufels Wurfstein
Am LeberounLeberoun (lat. Luerio, gen. onis) ist der provençalische Name einer sich längs der Durance hinziehenden Bergkette im Departement Vaucluse. In der Nähe der Ortschaft Roubioun (lat. Robionum) sind ihre Abhänge mit großen Felsstücken und vorgeschichtlichen Steindenkmälern bedeckt, im Volke »Li Palet dou Diable« – des Teufels Wurfspiel-Steine – genannt. Nach der Sage rühren sie von einer Wurfscheiben-Partie her, welche bei Erschaffung der Welt Gott mit dem Teufel gespielt haben soll.. Und wer da meint,
Das Riesenspiel sei längst gewonnen,
Irrt sehr. Es hat noch kaum begonnen.

Der Teufel ist ein Frohgesell.
Im Frühling, wenn die Heimchen geigen,
Hat er die tollen Tänze gern,
Die Blindekuh, den Ringelreigen;
Das lustige Versteckenspielen,
Wenn bessres man nicht haben kann,
Der Dudelsack, die Trommelflöte,
Das unterhält ihn, lockt ihn an;
Klingt lustig Fiedel und Schalmei,
So kriecht er horchend leis herbei.
Der Teufel ist ein Lebemann:
Er liebt das Schäkern und das Kosen,
Die Maskeraden, das Gewühl,
Den Duft der Myrthen und der Rosen;
Er liebt die guten weichen Kissen
Der ausgeschnittnen Kleider Pracht,
Den Uebermuth der tollen Jugend,
Die thöricht ernsten Sinn verlacht.
Allein das Spiel, Ihr Herrn, das Spiel
Ist ihm das Liebste doch von Allen,
Durch das die Kühnsten, Stolzesten
Kopfüber in die Flammen fallen.
Das Spiel, das jeden Frevel zeugt,
Den Bettel und die freche Schande,
Das Spiel, von dem der Wucher lebt,
Die Schelmen- und Schmarotzerbande,
Das Spiel, das falsch und gottlos macht,
Das alle Sitt' und Zucht vergiftet,
Das Spiel, das in den Selbstmord jagt,
Das Spiel, das Vatermord gestiftet
Und auf zerstörtes Spielerheim
Brennnessel sät und Distelkeim!

Ich seh' im Geist, geliebte Leser,
Wie Furcht aus Euren Zügen spricht;
Nur Mut gefaßt: Das Ungeheuer
Ist schlau, doch Meister wird es nicht,
Und unter Gottes Banner streiten
Hat Sieg gebracht zu allen Zeiten.
Entsinnt Ihr Euch des Streiches noch,
Den unsre Ahne oft erzählte?
Als man zum Brückenbau des GardDer Brückenbau des Gard (prov. »Lou Pont dou Gard«, lat. Pons Vardi) heißt der den Fluß Gard oder Gardoun überbrückende Theil des 41 Kilometer langen römischen Aquäduktes, welcher ehemals die Quellen der Eure nach Nîmes führte. Das gewaltige Werk wird, gleich vielen andern römischen und frühchristlichen Colossalbauten, vom umwohnenden Landvolke dem Teufel zugeschrieben. Auf einer der Steinplatten der Brustwehr der Gard-Brücke findet sich das Bild eines Hasen ausgemeißelt, an welches die berichtete Sage anknüpft. ,
Den bösen Unternehmer wählte:
Der baut; jedoch mit dem Bedinge,
Daß, wer zuerst hinüber ginge,
Auf ewig ihm verfallen sei.
Um aus der Schlinge sich zu kaufen –
Der Witz ist weit berühmt im Land –
Ließ man ein Häslein drüber laufen.
Der Teufel stand schon auf der Lauer,
Und wie er auf die Beute schnellt,
Sieht er – Ihr denkt Euch seinen Aerger –
Daß ihn die Menschen schnöd geprellt.
Er schlug das Thier zur Wand hinein,
Man zeigt noch heut den Hasenstein.

O der Verruchte! Nichts verblüfft ihn,
Nichts schreckt ihn ab: Zu jeder Frist
Das Böse thun ist seine Kurzweil,
Wie Nagen die der Ratten ist.
Er fährt den schweren Karren fest,
Er sticht ins volle Wespennest,
Er plagt das Roß, er äfft den Reiter,
Streut Gift und Unkraut immerfort,
Mit seinen höllischen Scharteken
Verdunkelt er selbst Gottes Wort.
Doch Gottes Sonne scheucht die Dünste,
Zu Schanden werden Satans Künste.
Was Lüge schien, der Duft der Sage,
Tritt als die Wahrheit oft zu Tage.
Trotz Zorn und Wüthen steht die Brücke
Und Jedermann begeht sie gern;
Der böse Geist trägt selbst die Steine
Herbei zu manchem Bau des Herrn.
Was hilft dem Teufel all sein Schelten,
Für uns lenkt Gott der Sonne Lauf!
Euch, Damen, soll mein Sträußlein gelten;
Ich band es. Nehmt es huldvoll auf!


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