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Fakire

Veröffentlicht 1907 im »März«

»Und sie bewegt sich doch«

Ist jemand unvorsichtig genug, in einer Gesellschaft das Wort »Fakir« fallen zu lassen, so entsteht sofort ein wildes Durcheinander, und alles ist emsig bemüht, die bekannte dumme Geschichte von dem indischen Yogi zu erzählen, der ein Seil gen Himmel geworfen habe und daran emporgeklettert sei.

Natürlich weiß jeder längst, was dann folgte: drei Forscher hätten nämlich das Phänomen beobachtet und geprüft, der eine als Photograph, der zweite als Stenograph, der Dritte als Zeichner, und obwohl der Augenschein bei allen dreien der gleiche gewesen, so hätten doch die lichtempfindlichen Platten des ersten weder ein Seil noch einen Kletterer, vielmehr nichts als einen teilnahmslos auf dem Boden hockenden Fakir gezeigt.

Alle kennen, wie gesagt, die Geschichte und haben sie selber xmal erzählt, aber niemand würde es riskieren, den selbstgefälligen Sprecher zu unterbrechen.

Ist der Redner am Schlusse angelangt, wickelt er – wie aus einem Knallbonbon den trefflichen Sinnspruch – aus seiner Erzählung die geistreiche Pointe: »Suggestion«.

Ein Fakir, der, durch langjähriges Fasten und Betteln wohl trainiert, so etwas natürlich leicht vermag, suggeriere nämlich einer Reihe von Menschen bei wachem Bewußtsein und am hellichten Tage beliebige Vorgänge, die in »Wirklichkeit« – die photographische Platte ist Zeuge – gar nicht stattfinden. – Das ist doch »ebenso einfach wie natürlich und überdies ungemein klar.«

Überhaupt sind alle sogenannten »übersinnlichen« Begebnisse »leicht« erklärlich.

Italienische, französische, englische Gelehrte ersten Ranges, deren Namen aufzuzählen es an Raum gebricht, mußten sich (und standen darin isoliert) jahrelang abmühen, derartige Phänomene, soweit sie in gleicher Form in unseren Breitegraden auftreten, zu prüfen und ihre Echtheit unumstößlich festzustellen; denn von dem »Volke der Denker« konnte man eine Mithilfe billig nicht verlangen. – Es hatte in den letzten Jahrzehnten so unvergleichlich wichtigere Dinge als die, die an den verborgenen Quellen des Lebens schlummern, zu besprechen und zu behandeln, als daß ihm auch nur eine Stunde freie Zeit übrig geblieben wäre.

Man denke doch nur, Politik –, noch einmal Politik, das Einführen und Wiederabschaffen der Antisepsis, das Einführen und Wiederabschaffen der Eiweißernährung, das Einführen und Immernochnichtabschaffen des Impfzwanges, die Erfindung der Argosy-Hosenträger und des Grammophons, Schmücked-ein-Heim, Chinafeldzug, Algier, neue Uniformen äh cetera, Hilligenlei und das Herausschälen ethischer Kerne aus der Bibel, der Einsturz des Hotels in Nagold, das Steigen der Bierpreise und – heureka: – das langersehnte Gelingen, die Syphilis auf die Affen zu übertragen!

Wie kann ein Volk, das Angelegenheiten von so unerhörter Tragweite zu erledigen hat, da noch Zeit für so läppische Dinge, wie es die übersinnlichen Erscheinungen sind, übrigbehalten!

Wenden daher auch wir uns von dem so sehr beschäftigten deutschen Volke ab und jenen tiefstehenden Wesen zu, die an den schmutzigen Wurzeln des Daseins wühlen und die erhabenen Güter der Nation nicht zu schätzen wissen.

Oh über diese Trüffelhunde!

Um übrigens auf die Geschichte von dem Fakir mit dem Seil zurückzukommen: sie ist einfach unwahr und ist niemals vorgefallen, – ist rein erfunden –, von einem amerikanischen Journalisten, – und sie hat sich wie eine unverwüstliche Zecke in dem Gehirn kritikloser Europäer festgesogen.

Gibt es nun überhaupt Phänomene ähnlicher Art, – Phänomene, die zuweilen die bekannten Naturgesetze durch unbekannte ersetzen? –

Jawohl, es gibt solche. – Selbst auf die Gefahr hin, anderer Meinung zu sein als zum Beispiel jener wackere Reiter, der kürzlich mit seiner Frau auf dem Pamirplateau und in Tibet herumgaloppierte, ohne daß es ihm viel genützt hätte, – selbst auf diese schreckliche Gefahr hin kann man voll Seelenruhe sagen: jawohl, es gibt solche. Sogar in Asien, nicht nur bei uns.

Allerdings selten und mit dem unwesentlichen Unterschied gegenüber dem erfundenen Experimente mit dem Seile, daß man sie ebensogut photographieren kann wie irgendein anderes Begebnis. Denn nur Hypnotisierte oder Geisteskranke »sehen« Dinge, die – vorläufig noch nicht photographierbar sind. –

Hie und da taucht wohl in Europa ein »echter« Fakir, Derwisch, Yogi oder dergleichen auf, aber meistens kann er nichts, wie zum Beispiel vor ein paar Jahren der unverwundbare Oberkellner »Hadji Soliman ben Aïssa« aus Lyon, dessen Freundschaft ich mir einstens zugezogen und mit dem ich stundenlang gelacht habe, als berühmte Ärzte seine harmlosen Würfelnattern, das Stück zu zwanzig Pfennigen, für Giftschlangen hielten und um sein Leben besorgt waren, wenn er sich hatte in die Zunge beißen lassen.

Hie und da tritt auch der bayrische Alpenländler, – des Jodelns überdrüssig – abwechslungshalber als schweigsamer Orientale auf und bremst seinen Herzschlag, indem er sich den Biceps heimlich mit einer Drahtschlinge abschnürt.

Aber auch das ist die wahre Liebe nicht.

Ein wirklicher Yogi ist unzugänglich und öffentlichen Schaustellungen abgeneigt, wie beispielsweise folgender Bericht der »Civil andä Military Gazette« aus Lahore beleuchten mag:

»Vor einigen Tagen starb in Trevendrum ein Yogi (Sekte der Sanyasis), der unter den orthodoxen Hindus den Ruf hoher Heiligkeit genoß. Vor ungefähr drei Jahren war er erschienen, – niemand wußte, woher er stamme und zu welcher Kaste er gehöre, – und hatte sich unter einem Baume niedergelassen, um seinen religiösen Meditationen obzuliegen. Anfangs genoß er zwei- bis dreimal in der Woche etwas Milch oder Reis, bald aber stellte er auch diese Mahlzeiten ein und lebte sodann drei lange Jahre ohne eine Spur von Nahrung. – Während der ganzen Zeit saß er, ohne zu schlafen, Tag und Nacht vor einem Feuer, in sein Inneres versenkt, gab keinen Laut von sich und sah niemand ins Gesicht. Selbst dem Maharadjah von Travancore, der ihn aufsuchte und Fragen an ihn richtete, gab er keine Antwort.«

Wenn die Fähigkeiten der Yogis sich nun auf weiter nichts erstreckten als auf Wachen, Beten und Fasten, so würde wahrscheinlich mancher die affenartige Erregtheit eines Börsenkulissiers, dem schon der israelitische »Lange Tag« eine lästige Feier scheint, höher schätzen.

Die Sache hat zum Glück aber noch eine zweite, weniger offen zutage tretende Seite, nämlich die, daß sich einem solchen wie »geistesabwesend« dasitzenden Menschen als Folge seiner fortgesetzten Gedankenkonzentration ein Reich innerlicher Wahrnehmungen voll unbeschreiblichem Glanz und Reichtum erschließt, dem gegenüber alles Äußerliche verblaßt. – Ein Reich voll ununterbrochener Verzückungen, die – wie die Yogis bestätigen – weder von äußeren Mißhandlungen des Leibes, noch von Schlaf, Traum, Ohnmacht oder sogar vom Tode des Körpers auch nur im geringsten beeinflußt werden können.

Einigen Wißbegierigen, die durch irgendwelche Schicksalsfügungen mit echten Yogis in Sympathie zu treten vermochten, wurden Aufklärungen und Beweise zuteil, aus denen hervorging, daß tatsächlich diese Fakire nicht nur die merkwürdigsten Fähigkeiten inneren Wahrnehmens, sondern auch unerhörte Kräfte außerkörperlichen Wirkens besaßen. –

Nach den früheren Berichten eines gewissen Dr. Honigberger, die nach und nach in weitere Kreise drangen, ließ sich einmal ein Hindu-Yogi namens Hari-Das für die Dauer von mehreren Monaten begraben, um dann wieder lebendig zu werden. –

Auch ein indischer Brahmane (Agamya) brachte vor zwei Jahren in Berlin und Wien den Schlag seines Herzens und zugleich auch die Logik und Wahrheitsliebe der Zeitungsberichterstatter zum Stillstand. (Ersteres durch ungefähr eine Minute.) Doch dieses Können beweist, wenn es überhaupt eine Yogifähigkeit ist und nicht vielleicht auf die Rechnung der Giftwirkung gewisser eifersüchtig geheim gehaltener Pflanzen gesetzt werden muß, – an sich nichts als das Vorhandensein mehr oder wenig tiefer Katalepsie.– So merkwürdig Hari-Das' Fähigkeit – im großen – und die Agamyas – im kleinen – auch sein mag, – solange sie nicht von bewußtem (vorhergesagtem) außerkörperlichem Wirken begleitet ist, beweist sie nichts, was nicht sogar unserer »Wissenschaft« bekannt oder vielmehr geläufig wäre.

Nächstes Jahr wird Europa übrigens wieder der Ehre teilhaftig werden, »Seine Heiligkeit«, den Brahmanen Agamya, der sich schwindelhafterweise die Ehrentitel »Guru« und »Paramahamsa« beilegt, abermals anstaunen zu dürfen. – Agamya wird nach Europa reisen, um noch einige Schüler für seine »Geheimschule« zu suchen. – Und schon dieser Umstand allein verrät jedem, der nur ein wenig in derlei Dingen bewandert ist, zur Genüge, daß auch »Seine Heiligkeit« zu jenen Individuen gehören muß, die von Habsucht oder Eitelkeit getrieben umherziehen, Vorträge halten, okkulte Bücher schreiben und so tun, als seien sie Initiierte, besäßen die Mysterien oder stünden unter einer Mission, während sie in Wirklichkeit vollständig unwissend sind.

Besonders viele Europäer zählen jetzt zu dieser Klasse von Prophetchen, – sie machen sich interessant, gründen überflüssige »Brüderschaften« oder »Logen« und verzapfen – Weisheit. – Eine dünnbeinige Philosophie, die nicht einmal der ersten Attacke eines Stirner oder Nietzsche standhalten kann und aus Schriften von Böhme, Giechtel, Molinos, Jane Leade, Saint Martin und vielen anderen willkürlich und schlecht zusammengestoppelt ist.

Besonders in Deutschland ist diese »Bewegung« nachgerade unerträglich geworden.

Daß unter solchen Auspizien die wahre Yogalehre, von der man bei uns noch immer keine Ahnung hat, nicht festen Fuß fassen kann und den Phänomenen des Mediumismus den Platz räumen muß, darf einen nicht wundernehmen.

Das Jahrhundert ist eben noch nicht gekommen, wo die Menschheit für den Einfluß der antiken großen Yogalehrer Hu-tsu, Chuang-tsu und Patanjali reif sein wird.

Die inneren Wahrnehmungen, sowie die verschiedenen Methoden, die man anwendet, um sich den »Siddhis« (die hohen Yogakräfte, die durch Innervierung der psychomotorischen Zentren im Menschen ausgelöst werden können) schrittweise zu näheren – der Weg zur vollkommenen Beherrschung dieser Fähigkeiten fällt nicht innerhalb unserer Willensgrenze und ist von vielen Faktoren abhängig –, werden in einem späteren Artikel (stehe den folgenden Artikel: »Fakirpfade«) genauer geschildert werden; – vorläufig sollen nur einige Berichte über die Art, wie sich die merkwürdigen Kräfte kundgeben, in knappen Auszügen folgen.

Zu den interessantesten Beobachtungen (schon deshalb, weil die Phänomene sich aufs Haar mit jenen decken, welche in den letzten Jahrzehnten bei den genialen Experimenten moderner Naturforscher von Weltruf an den europäischen Versuchspersonen D. D. Home, Cook, Palladino, Politi usw. usw. zutage traten) sind die des ehemaligen französischen Oberrichters L. Jacolliot in Chandernagore zu zählen. Obwohl dieser in der Öffentlichkeit als »diskreditiert« gilt.

Aus Gründen, die hier zu weit führen würden, konnte seiner Zeit Jacolliot mit einem tamulischen Fakir namens Govinda-Swami frei experimentieren, und die erzielten Resultate waren erstaunlich.

Ich lasse Jacolliot selber sprechen und will nur bemerken, daß die Kräfte des Fakirs Govinda, von denen die Rede sein wird, trotzdem sie sich sehr intensiv äußerten, dennoch einen niedrigstehenden Charakter tragen und an Wert nicht an die der hochentwickelten Yogis (sogenannten Rajah-Yogis, die außerordentlich selten sind, und zu denen vielleicht momentan mehr vornehme Chinesen und sogar Europäer als Inder zählen), im entferntesten heranreichen. – –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –

»Ich fragte den Fakir, ob er einen besonderen Platz einnehmen wolle. Er antwortete, es sei gleichgültig, und ich ging hierauf mit ihm auf die Terrasse meines Hauses, die heller war als das Zimmer und zu scharfer Beobachtung besser geeignet.

Auf meine Frage, ob er (der Fakir) etwas Näheres über die Kraft wisse, die sich in ihm offenbare und die Phänomene erzeuge, und ob er sich dabei gewisser Veränderungen im Gehirn oder in den Muskeln bewußt sei, antwortete er: ›Es ist keine gewöhnliche Naturkraft, die dann wirkt. – Ich bin nur das Instrument, ich rufe die ... an, und dadurch kommt diese Kraft in Tätigkeit‹ (Hierdurch dokumentiert Govinda-Swami, daß er kein hochstehender Yogi ist.)

Ich habe eine Menge Fakire ausgefragt und immer dieselbe Antwort erhalten. – Ich forderte nun Govinda-Swami auf, zu beginnen. Er streckte seine Hände gegen eine ungeheure Bronzevase aus, die mit Wasser gefüllt und viele Zentner schwer war, und innerhalb fünf Minuten begann diese sich zu bewegen und sich dem Fakir in langsamem, regelmäßigem Tempo zu nähern. – Wie die Entfernung kleiner wurde, gab sie laute metallische Klänge von sich, wie wenn jemand mit einem Eisenstab daran schlüge, und manchmal wurde das Geräusch so dicht und stark wie das Aufprasseln eines Hagelschauers. –

Ich verlangte das Stillstehen, Weitergehen und abermalige Stillstehen der Vase, und es geschah, wie ich befahl. Dann forderte ich, daß die Metalltöne nach genau zehn Sekunden wieder erklingen sollten, und überzeugte mich nach der Taschenuhr von der Präzision des Phänomens, – meinem Wunsch, daß die Schläge sich nach dem Takte einer Musikdose, die ich zu diesem Zwecke aufzog, richten sollten, wurde ebenfalls Folge geleistet, kurz, ich unterließ nichts, um die Überzeugung zu gewinnen, daß Govinda-Swami vollkommen Herr über die Äußerungen der sonderbaren Kraft war. – Dreimal erhob sich die enorm schwere Vase einige Zoll über den Boden und fiel lautlos wieder zurück, – und das Wasser darin schwankte niemals, so sehr das Gefäß auch schaukelte. Alles in hellem Tageslicht!«

– – – – – Andere Versuche:

»Wir schütteten feinen Sand auf den Fußboden und gaben ihm eine möglichst ebene Oberfläche, dann setzte ich mich mit Papier und Bleistift versehen an meinen Tisch. Der Fakir nahm ein Stück Holz und legte es vorsichtig auf den Sand. –

›Gib Acht!‹ sagte er, ›wenn das Holz sich von selber aufrichtet und du beschreibst sodann mit dem Bleistift auf dem Papier beliebige Figuren und Arabesken, so wird es unten auf dem Sand genau dieselben Bewegungen machen.‹ – Hierauf streckte er wieder seine Hände aus, und nach wenigen Minuten schon richtete sich das Holz, wie er gesagt hatte, auf. Jede Figur, mochte sie noch so wirr und verzwickt sein, die ich nun auf mein Papier zeichnete, wurde in demselben Augenblick unten auf dem Fußboden von dem Holzstab in den Sand gegraben. – Hielt ich still, – so hielt auch der Stab inne. Der Fakir stand währenddessen weit davon entfernt an der Wand, und wenn ich auch die Figuren, die ich zeichnete, sorgfältig mit der Hand verbarg, so störte das das Phänomen dennoch nicht im geringsten.

Schließlich forderte mich Govinda auf, irgendwelche Worte in Sanskrit zu denken, und sofort schrieb das Holz: Adicete Veikountam Haris (Vischnu schläft auf dem Berge Eikonta), genau, wie ich es mir gedacht hatte. – –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –

Vor dem Ausgang lag ein Garten, in dessen Mitte ein Hinduwasserträger vermittels eines über eine Rolle laufenden Seiles Wasser aus dem Brunnen schöpfte. – Govinda streckte, ohne daß ihn der Hindu sehen konnte, seine Hände aus, und die Folge war, daß der Wasserträger das Seil nicht mehr bewegen konnte, trotzdem er alle seine Kraft aufbot. Wie die abergläubischen Hindu stets in Situationen, die ihnen auffallend scheinen, zu tun pflegen, so begann auch dieser sofort die volkstümlichen Formeln gegen die bösen Geister herzusagen, kaum aber hatte er den Mund geöffnet, als ihm auch schon die Worte in der Kehle stecken blieben und er keinen Ton herausbrachte. Erst als Govinda die Hände sinken ließ, drehte sich auch die Wasserrolle wieder.«

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Ferner: »Der Fakir stellte den kleinen Kupferherd (solche sind oft in Indien in Gebrauch und dienen zum Verbrennen von Räucherwerk) in die Mitte der Terrasse und legte das Räucherwerk darauf. Dann nahm er seine gewöhnliche Stellung ein und begann seine Anrufungen. Als er damit zu Ende war, verharrte er in seiner Stellung, die linke Hand auf dem Herzen, die rechte auf seinen Bambusstock mit den sieben Knoten gestützt. Ich dachte, er werde wie früher einmal in kataleptischen Schlaf verfallen, aber es war nicht der Fall. Von Zeit zu Zeit drückte er seine Hand an die Stirne. Plötzlich gab es mir einen Ruck. Eine phosphoreszierende Wolke schien sich inmitten des Zimmers gebildet zu haben, und mit großer Schnelligkeit zuckten menschenähnliche Hände aus ihr hervor. – In einigen Minuten wurden diese Hände weniger dampfähnlich und gewannen an Deutlichkeit. Manche waren leuchtend und durchscheinend, sodaß man durch sie hindurch die Gegenstände sehen konnte, – andere wieder waren dicht und warfen Schatten, wie gewöhnliche materielle Dinge. Ich zählte ihrer sechzehn. Ich wollte den Fakir fragen, ob ich die Hände berühren könne, da trennte sich eine von ihnen los und drückte meine ausgestreckten Finger; – sie war klein und weich, wie die eines jungen Weibes. – Derlei Erscheinungen dauerten fast zwei Stunden an; eine Hand brach Blumen ab und warf sie mir zu, eine andere fuhr mir übers Gesicht, wieder andere schrieben Sätze, die einen Moment aufleuchteten und dann verschwanden, an die Wand. – Einige der Worte notierte ich schnell mit Bleistift, zum Beispiel: Dioyavapour gatwâ (Sanskrit: ›Ich habe mich mit einem fluidischen Körper bekleidet‹).«

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Interessant ist auch folgende Erzählung des Mr. John Campbell Oman, ehemaligen Professors der Naturwissenschaften am Government College in Lahore:

»Vor ungefähr dreißig Jahren stand ein gewisser Hassan Khan im Geruche eines großen Wundertäters, obwohl seine Fähigkeiten sehr einseitiger Natur und banalen Charakters waren. Obwohl Mohammedaner, soll ihn, wie er angab, dennoch ein Hindu-Sadhu (eine Art Jogi) in diese Künste eingeweiht haben. Ich erhielt die Details seiner Geschichte von verschiedenen meiner europäischen Freunde, die ihn persönlich gekannt und seine Fähigkeiten in ihren eigenen Häusern geprüft hatten. – Er zeigte sein Können nur ungern und nahm nie Geld dafür. – Seine Kraft äußerte sich darin, daß er jederzeit imstande war, Gegenstände, besonders Wein und Lebensmittel, deren Art und Sorte man selbst bestimmen konnte, herbei zu ›zaubern‹. Unter vielen Fällen hier nur folgender:

Einer meiner europäischen Freunde saß zufällig einmal mit Hassan Khan in der Eisenbahn und verlangte plötzlich als Beweis der merkwürdigen Kraft Hassans (psychischer Apport) eine Flasche Wein.

›Strecke deine Hand aus dem Coupéfenster,‹ sagte sofort der Moslim, während der Zug in voller Fahrt war, und kaum war es geschehen, als meinem Freunde auch schon eine Flasche exquisiten Weines in die ausgestreckte Hand flog. – Gelegentlich ließ sich Hassan Khan herbei, darüber zu sprechen, wie er zu seinen Fähigkeiten gekommen.

›Als ich noch ein junger Bursche war,‹ erzählte er, ›kam eines Tages durch unser Dorf ein von Schmutz starrender Sadhu. – Die Jungen umringten und verhöhnten ihn, bis ich sie auseinanderjagte und ihnen vorhielt, daß jener Sadhu immerhin ein heiliger Mann, wenn auch ein Andersgläubiger sei. Der Sadhu sah mich daraufhin scharf an; und später, als er sich in der Nähe des Dorfes niedergelassen, trafen wir uns öfter, und er bot mir an, mir eine geheime Kraft zu übertragen, wenn ich seine Anordnungen strikt befolgen wolle, was ich denn auch tat. –

Es begann nun unter seiner Leitung ein System von Fast- und anderen Übungen durch ungefähr vierzig Tage, dann hieß er mich in eine finstere Grotte in der Nähe des Dorfhügels gehen und ihm berichten, was ich darin erblickt. – Mit großer Angst gehorchte ich und kam mit der Nachricht zurück, ein grauenhaftes riesiges Auge darin gesehen zu haben. – ›Es ist gut so, der Erfolg ist eingetreten,‹ war die Antwort des Sadhu, und ich war sehr neugierig, welche Kraft ich nun wohl bekommen werde. – Der Sadhu wies auf einige umherliegende Steine und befahl mir, mit dem Finger ein gewisses Zeichen darauf zu machen. Ich tat es, und nun wurde mir aufgetragen, nach Hause zu gehen und meinem ›Djinn‹ (= abgespaltene psychische Kraft, wörtlich Dämon) zu befehlen, daß er die Steine herbeibringe. – Kaum hatte ich das getan, als zu meinem Entsetzen mir auch schon die Steine vor die Füße fielen. Ich lief zurück und berichtete dem Sadhu von dem Erfolg. ›Jetzt besitzest du,‹ sagte er, ›eine Kraft, die du jederzeit und an allen jenen Dingen, über die du das gewisse Zeichen gemacht hast, anwenden kannst. Wähle aber womöglich nur Dinge, die du in kurzer Zeit selber aufbrauchen kannst, und gehe mit großer Vorsicht zu Werke, denn alles, was der ›Djinn‹ bringt, bleibt nicht lange.‹ Des Sadhus Worte haben sich oft bewahrheitet, und oft schwebte ich in großer Gefahr, wenn die Kraft sich gegen mich selber wandte.« – – – – –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –

Alle solche und ähnliche Berichte klingen natürlich unglaublich und lächerlich, bis man sich selbst einmal gründlich überzeugt hat. Dann aber vergeht einem gar bald das Lachen, wie es Professor Lombroso vergangen ist, als er sich die ersten unanfechtbaren Beweise verschafft hatte. – Seine eigenen Worte: »Ich habe mich überzeugt, daß diese Phänomene kaum anders erklärbar sind als durch die Existenz außerirdischer Intelligenzen, die im Besitze von Kräften sind, für die etwa die Eigenschaften des Radiums eine Analogie bieten. – Die Lösung dieses Problems wird eines der gewaltigsten Ereignisse des Jahrhunderts sein,« – sprechen eine deutliche Sprache.

Vor ungefähr sechzig Jahren hat die Bewegung, die sich mit den Fragen des Okkultismus befaßt, ihren Anfang genommen und ist seitdem unaufhaltsam im Steigen begriffen.

Die Zahl derer, die ihre ganze Lebensführung völlig anderen Anschauungen praktisch anzupassen jeden Augenblick bereit sind, wächst von Stunde zu Stunde, und fast unabsehbar breit ist der Strom schon geworden, von dem ich in vorstehenden Zeilen nur einen winzigen Nebenarm zeigen konnte.

Wer tieferen Einblick in diese Bewegung gewonnen, der sieht mit Schrecken – vielleicht auch mit ein wenig Schadenfreude über die Blindheit der Schulweisheit: daß eine geistige Epidemie dicht vor den Toren steht und über Nacht mit einer Gewalt hereinbrechen kann, – daß man dann glauben wird, die Zeiten der Kinder-Kreuzzüge, der Camisarden und Wiedertäufer seien neu aufgewacht.

In den Zeitungen faseln sie von der glücklichen Überwindung der Hexenjahrhunderte und ahnen nicht, daß es heute vielleicht hundertmal mehr Hexengläubige gibt als je im Mittelalter.

Der Himmel ist schwarz von Wolken, und auf den Zacken der Herrscherkronen flammt das Sankt-Elmsfeuer. Und sie sehen es nicht!

Fakire über uns!

Der Rattenfänger von Hameln spielt bereits höhnisch die ersten Takte auf seiner Pfeife, und sie lachen dazu und meinen: einer blase auf einem hohlen Schlüssel. – Fakire über uns!

Schon hat die katholische Kirche mit Seherblick das kommende Gewitter erspäht und baut den ersten Blitzableiter. – Medien im Vatikan! –

Nur der protestantische Papst schläft noch den Schlaf der Aufklärung und quäkt aus dem Dusel:

Erstens gibt es keine mediumistische Phänomene,

zweitens sind sie schädlich, und

drittens vertragen sie sich nicht mit unserer Lehre.


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