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Josef Meßner

(1822-1862)

 

Der dritte, jüngste, aber auch am wenigsten nach seinem Tode bekannte Dichter ist in diesem Trifolium Josef Meßner.

Selten finden wir seinen Namen in einem literaturhistorischen Werke vor, obgleich ihm einst neben manchem hervorragenden deutschen Geisteshelden in den 40er und 50er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Ehrenplatz eingeräumt ward und seine poetischen Erzeugnisse ebenso verdiente Anerkennung fanden wie die seiner bekannteren und glücklicheren Zeitgenossen.

Mit aller Härte bewahrheitet sich eben an ihm ein eigener Ausspruch, »dass es etwas Eigentümliches, man möchte sagen Schreckliches ist, mit welcher Schnelligkeit Tote vergessen werden«.

Um nun J. Meßner diesem traurigen Schicksale, das er leider mit so manchem anderen, lorbeergekrönten deutschen Dichter nach seinem Ableben 3 Jahrzehnte hindurch teilen musste, fürderhin zu entreißen, hatte ich mir selbst im Jahre 1892 schon die Aufgabe gestellt, seine weit zerstreuten Werke zu sammeln, durchzusehen und in einer Auswahl vereinigt neu drucken zu lassen. Von diesem Bestreben beseelt, gelang es mir zuerst ein Lebensbild meines Verwandten der Öffentlichkeit zu übergeben, worauf auch nachfolgende Skizze beruht, dann aber im Laufe mehrerer Jahre, bei vielseitigen Schwierigkeiten, vier Bände ausgewählter Werke im Selbstverlage herauszugeben.

Die altehrwürdige, in ihrer historischen Vergangenheit nicht unbedeutende Böhmerwaldstadt Prachatitz nennt Josef Meßner ihr Kind. Hier kam er als zweiter Sohn eines allgemein geachteten, wohlhabenden Bürgers Josef Meßner und dessen Gattin Susanna, der Tochter eines k. k. Rechnungs-Revidenten Johann Dreyer, am 3. Februar 1822 zur Welt. Der Knabe zeigte schon frühzeitig, dass etwas Außerordentliches in ihm stecke, was durch eine hervorragend geistige Veranlagung und Frühreife, ein überraschend lebhaftes, kindliches Phantasieleben genügend zum Ausdrucke kam. Seine herrlichen Geistesgaben verstand ein liebevoller und vorzüglicher Lehrer der Elementarschule noch besonders zu wecken und zu pflegen. Das erhabene Werk der Schöpfung, die ewig junge Waldnatur unserer Heimat, die in ihren Wirkungen auf ein poetisches Gemüt so segensreich ist, musste natürlich schon die empfängliche Seele des Knaben wie später des Jünglinges belebend beeinflussen.

Im 13. Lebensjahre verließ Meßner das Elternhaus, um am Gymnasium in Budweis seine weitere Ausbildung zu erhalten. Hier stieg er bei seinen reichen Talenten mit vortrefflichen Studienerfolgen von Jahrgang zu Jahrgang auf und legte mit regem Fleiße den Grund zu seinen mehrseitigen Kenntnissen, die er später noch durch eifriges Selbststudium erweiterte. Kam der Student zu den Ferien nach Hause, dann durchstreifte er die nächste Umgebung seiner Vaterstadt und lernte so durch kleinere und größere Wanderungen in den großartigen Waldgebieten Land und Leute daselbst näher kennen. In der Betrachtung wurzelte und gedieh der Dichterseele dann die glückliche Nachbildung des gewaltigen Naturzaubers und die getreue Wiedergabe menschlichen Lebens hier. Denn diese für Natureindrücke so empfängliche Seele wusste sich am unendlichen Schönheitsborne der reichen Waldnatur satt zu trinken und ihren Reichtum dadurch noch zu vermehren.

So kam es, dass bei Meßner, der auch nebenher außerordentliche Anlagen für Zeichnen und Musik besaß, während der Gymnasialstudien bereits mehrfach die poetische Begabung zum Durchbruche gelangte. Versuche aus dieser Zeit fanden Aufnahme in der von Rudolf Glaser herausgegebenen Zeitschrift »Ost und West«, welche damals einen Vereinigungspunkt für geistige Bestrebungen der Deutschen in Böhmen bildete.

So wären denn alle Bedingungen vorhanden gewesen, die ihn einer werktätigen und ehrenvollen Zukunft hätten entgegen führen können.

Leider aber war dem regen Natursinne auch Unbeständigkeit, ja ein gewisser Grad von Leichtsinn beigesellt, der ihm zeitlebens verderblich werden sollte. Den Einfluss desselben auf sein ganze Wesen schildert er launig in den »Handwerksburschen«, einem Stücke eigener Lebensgeschichte, folgend: »Es müssen die Lerchen an meinem Geburtstage besonders gut aufgelegt gewesen sein und die Finken geschlagen haben, was das Zeug hielt – weiß Gott! ich höre sie immer singen und schlagen und nicht, wie sie's für anderer Leute Ohren produzieren, mit Getriller und Pink-Pink! Nein mit Text, mit leibhaftigen Worten: ›Auf! Uns nach!‹ rufen sie ›hinaus – hinauf!‹ wohin? Weiß der Himmel! Aber ich horche ihren Worten, wie das Kind dem Wiegenliede lauscht, und folge ihrem Lockruf wie jenes dem seiner Gespielen!«

Und so war es ihm nicht beschieden, die Fahrt durchs Leben ruhig zurückzulegen bis zu einen sicheren Hafen. Kühn stürzte sich der unerfahrene Jüngling in das brausende Lebensmeer hinaus, ohne dessen gefährliche Strömungen, dessen verderbenbringende Riffe und Untiefen zu kennen. Auf seinen trügerischen Irrfahrten musste denn auch mancher seiner gewagten Schritte straucheln, bis sein Lebensschiff frühzeitig scheiterte.

In der Rhetorik, der heutigen 6. Gymnasialklasse, fasst Meßner, entgegen den Bitten und eindringlichen Vorstellungen der für sein ferneres Wohl sehr bekümmerten Eltern, den Entschluss, freiwillig Soldat zu werden. Aus war es plötzlich bei ihm mit der Lust zum Studieren und nichts vermochte ihn von diesem Vorhaben abzubringen, so dass er, unbestimmten Zukunftshoffnungen entgegengehend, das Gymnasium verließ und sich im Jahre 1841 beim 1. Artillerie-Regimente in Prag als Freiwilliger anwerben ließ. Doch nicht allzu lange hielt die anfängliche Begeisterung für den zweifärbigen Soldatenrock an und bald sah er in demselben nur eine leidige Zwangsjacke. Denn sein mehr zur Ungebundenheit hinneigender Charakter vermochte sich nur schwer im blinden Gehorsame der strammen Soldatenzucht und dem damaligen starren Drill unterzuordnen. Doch war es wieder sein offener und ehrlicher Charakter, wie seine geistige Überlegenheit, welche ihm trotz mannigfachen kleineren Vergehen gegen Disziplin und Ordnung das begünstigende Wohlwollen seiner Vorgesetzten und die allgemeine Zuneigung seiner Kameraden erwarben und sicherten. Für längere Dauer konnte somit der Soldatenberuf mit seinen, die Eigenart des einzelnen beengenden Vorschriften Meßner nicht voll befriedigen, wie wir dies auch aus einem, an seine Schwester Marie gerichteten Briefe vom 5./2. 1843 ersehen können. Hier heißt es: »Ach, es ist ein bitteres Gefühl, umgeben von Not und Leid, der verflogenen – in Freud und Glück verflogenen Tage gedenken zu müssen! Es tut so weh, wenn vor den süßen strahlenden Erinnerungen die armselige Gegenwart erbleichend versinkt; – es schmerzt so sehr, wenn sie auftauchen aus dem tiefsten Herzen die freundlichen Bilder der Vergangenheit und man ihnen nichts entgegenstellen kann als Qualen und Klagen!

Ich weiß gar wohl, wie gemein, wie unmännlich diese Jeremiaden sind, wie lächerlich sie klingen müssen in dem Munde eines Soldaten, bei dem man wohl am wenigsten ein gramzerrissenes, wundes Herz sucht und dennoch muss ich lamentieren, muss meinen Schmerz hinaus weinen in die Welt – die keine Ahnung hat, wie sentimental ein Soldat werden kann!«

Nach fünfjähriger Dienstzeit, während welcher er auch die Stabsschule frequentierte, »sine ira et studio, nicht kalt und nicht warm«, wie er sie selbst in seinen »Handwerksburschen« bezeichnet, gelang es ihm schließlich, durch eine körperliche Beschädigung beim Umstürzen eines Geschützes begünstigt, unter bedeutenden Geldopfern seiner Eltern, die für ihn einen Ersatzmann stellen mussten, vom soldatischen Zwange sich zu befreien, sowie im Jahre 1845 die Entlassung aus dem Heeresverbande zu erwirken. Außerhalb der Schranken des militärischen Lebens stehend, zog Meßner nun vorübergehend von seinem Zeichentalente in einer nicht ungünstigen Stelle beim Welser Bahnbau Nutzen. Doch dies nur einige Monate hindurch, denn das Sitzen und Zeichnen in einem Büro konnte wahrlich nicht für die Dauer eine seinem dunklen Drange nach freier Ungebundenheit entsprechende Beschäftigung sein.

Doch was nun beginnen!

»Ich versuchte«, berichtet er von sich selbst, »dies und das; 's wollte nichts recht flecken, denn wie ich wo warm zu werden anfing, hoben auch die Vöglein ihr Singen und Schlagen an und aus war's. Da wurden denn nun meine Alten zuerst verzagt, dann böse über mich – sie glaubten mir es nicht, wenn ich es ihnen sagte, warum ich es nicht aushalten könne auf einem Fleck, und schalten mich einen Träumer, einen Narren – einen Lumpen! – Das focht mich nun zwar wenig an, aber von Stund' an, sinniert' ich Tag und Nacht, ob's denn auf der weiten, närrischen Welt gar keinen Stand gebe, dem man angehören könne als Träumer, Narr und Lump, und bei dem es nichts verschlüge, ob und wann immer die alten Kameraden ihren Lockruf erhöben! – Da schlug's in mich wie der Blitz: Handwerksbursch' wirst du! – und ich ward's!«

Seiner inneren Unruhe entsprechend, ließ ihn nun zum zweiten Male eine leichtsinnige Idee einen Lebensweg einschlagen, der ganz und gar als ein verfehlter betrachtet werden muss.

Demgemäß trat Meßner noch im Jahre 1845 mit 23 Jahren bei einem Meister seiner Vaterstadt in die Lehre, um das Weißgerbergewerbe zu erlernen. So hoffte er nach zweijähriger Lehrzeit als einer der ungewöhnlichsten Handwerksburschen seiner Zugvogelnatur ganz sich hingeben zu können. Zum Gesellen frei gesprochen, begann für diesen jetzt ein frohes Wanderleben. Stand dabei doch für ihn die Welt offen, der, gleich dem Manne in einem morgenländischen Märchen die Gabe besaß, die Sprache der Vögel und anderer Naturwesen zu verstehen, der ringsumher Worte und Sinn vernahm, wo andere Menschen nur Geräusch und Laute hörten.

Der reisige Wanderbursche durchquerte sodann, mit dem Ränzel auf dem Rücken, in den Jahren 1847-51 die österreichischen Alpenländer und manchen Gau Deutschlands, was seiner poetischen Begabung freilich dankbare Anregung, seiner geistigen Entwicklung vielseitigen Vorteil gewähren musste. Manch edler Genuss erwuchs da dem feinen Beobachter des Natur- und Volkslebens, was der Dichter dann in seinen Werken dem Geiste des Lesers vermittelte. Trotz der unbeengten Freiheit, trotz der gesellschaftlichen Beliebtheit, deren sich der seltsame Gerbergeselle vielfach erfreuen durfte, bemächtigte sich seiner aber allmählich eine heiße Sehnsucht nach der geliebten Heimat und den Angehörigen daselbst, wie Meßner uns dies aus einem Briefe, den er in dieser Zeit einem seiner Brüder in Brixen in Tirol geschrieben hatte, wissen lässt. »Die weite Welt ist mein«, lautet es hier, »ich aber gehöre niemandem an – ich habe Glück – ich treffe überall gute Menschen, die mich lieben und ungern scheiden sehen. Aber es leidet mich nirgends lange und inzwischen rauscht die Zeit vorüber und je mehr Freunde ich mir in der Fremde erwerbe, desto mehr glaube und fürchte ich, erlischt daheim im Vaterhause und in der Vaterstadt die Erinnerung an den heimatlosen Wanderer.«

Während dieser mehrjährigen Wanderzeit betätigte sich Meßner auch durch kleinere Novellen, beschreibende Aufsätze und Abhandlungen, die teils in der Prager »Bohemia«, teils in dem Budweiser »Anzeiger aus dem südlichen Böhmen« veröffentlicht wurden, auf literarischem Gebiete und ebnete sich dadurch seine spätere Schriftstellerlaufbahn.

Den eindringlichen Wünschen wie Bitten der Eltern und Geschwister gab endlich der Wanderlustige doch nach, worauf er im Jahre 1851 in Prachatitz sich das Meisterrecht erwarb und hier als Meister sich zu Rast und Ruhe niederließ.

In seiner Vaterstadt, inmitten seiner Familie, die ihn liebte, umgeben von treuen Freunden, die ihn hoch verehrten und bewunderten, hätte er jetzt, ein zweiter Hans Sachs, im »einfachen, arbeitsamen und philiströsen Leben, wie er es selbst beurteilt, jene Zufriedenheit, jenen Frieden finden und für seine weitere Entfaltung verwerten können, welche er mit schmerzlichem Verlangen auf seinen Wanderungen suchte, die jedoch nur andauernde, geregelte Tätigkeit zu geben imstande ist.

Zu seinem Unglücke hielt letztere bloß ein Jahr an, denn mit dem Frühjahr 1852 erwachte neuerdings in Meßner der unbezwingbare Wandertrieb, dem er nicht entsagen konnte, wie er selbst singt:

»Ein Vogel bin ich worden – mit rüstigem Gefieder,
Zu flattern auf und nieder – nach Süden und nach Norden.
Von einem Ort zum andern – verlockt mich eitles Treiben,
Es frommt mir nicht zu bleiben – es frommt mir nicht zu wandern.«

Und kurz nur war daher die Meisterherrlichkeit; denn als er einst im Frühjahre 1852 mit wohlverpackten Kisten zu Markte gezogen war, kehrte er nicht mehr nach Prachatitz zurück, sondern gab die Weißgerberei, die er freilich nicht recht zu führen verstand, auf. »Hinaus« ging es von neuem, und der alte Wanderbursche »plätscherte wieder fröhlich in dem etwas trüben, aber munteren Strome der Bummelei herum.«

War es etwa der Schmerz, der ihn hinaustrieb in die fremde Welt, dass er nicht das Weib gefunden, welches die Leere seines sehnsüchtigen Herzens hätte ausfüllen sollen? Dies ist schwer festzustellen, wenn auch eine bestimmte Stelle in seinen »Handwerksburschen« darauf schließen lässt.

Solange der Erlös seiner Waren anhielt, konnte er natürlich das freie Wanderleben vollauf genießen. Doch nicht lange währte dies.

Dem wahnwitzigen Beginnen setzte diesmal noch in demselben Jahre (1852) ein bösartiges Fieber ein Ziel, das ihn zur baldigen Rückkehr in die Heimat zwang. Körperlich arg herab gekommen, langte er zu Hause an, ohne aber auf eine weitgehende Unterstützung seiner Eltern, die für ihn so manches Opfer schon gebracht hatten, rechnen zu können. diese zogen nun ihre Hand von ihm gänzlich zurück, so dass er zumeist auf seinen Bruder Johann, der in Prachatitz als Kaufmann in guten Verhältnissen lebte, angewiesen war, der ihn auch späterhin bis zum Tode ununterbrochen in wahrhaft aufopfernder Weise unterstützte.

Über diese traurige Zeit drückt er sich in einem Schreiben an diesen Bruder so aus: »Ich kam also wieder zurück, nachdem ich mir die Zusicherung verschafft, dass meine Arbeit Absatz und Lohn finden werde. Hier fand ich die Verhältnisse wesentlich anders. Eine kleine Gesellschaft von sogenannten Freunden von mir, hatte mir damals alles Nötige, sogar Überflüssige angeboten; ich nahm es nicht an. Hieraus schloss man, ich wolle oder könne nicht mehr schreiben. Das war mir nun sehr gleichgültig: es war wohl bis zum Betteln mit mir gekommen, aber es war mir nicht gleichgültig, vor welcher Tür es geschah.

Ich tue es jetzt vor Deiner Türe. Du brauchst mir nichts zu schenken als das Zutrauen, dass ich arbeiten will, und nichts zu borgen, als was ich mit geschriebener Hypothek belegen kann.«

Ein andermal wieder schreibt er ihm:

»Bin ich kein armer Teufel mehr,
Kommt auch kein Brandbrief mehr daher.
Allein – so lang ich betteln muss -
Gewöhn Dich d'ran – das ist mein Gruß!«

Im Widerspruche mit seiner Natur und Umgebung verfiel er sogar in einen Trübsinn, von dem einige seiner Gedichte aus dieser Zeit Zeugnis geben, in denen er sich den Tod herbeisehnt, um von den »Mächten, die ans Elend ihn mit starren Ketten binden«, frei zu sein. Dass das Zerwürfnis mit seinen Eltern besonders schwer auf ihm lastete, davon spricht uns folgendes schmerzerfüllte Gedicht, das er seiner Mutter in den Tagen diese Elendes als Glückwunsch, den persönlich darzubringen ihm versagt war, übersandte.

»Auf unserm Friedhof steh'n zwei Grabeshügel,
Zwei Deiner liebsten Kinder schlafen drinn;
Längst wuchert Gras um die gehäuften Schollen
Und kleine Blümlein still dazwischen blüh'n.

So oft Du weinend nach dem Friedhof pilgerst,
Dring Dein Gebet für sie zum ew'gen Licht;
Es riss der Tod sie wohl von Deinem Herzen,
Aus Deinem Herzen riss er doch sie nicht!

Und noch ein Grab liegt still in Deiner Nähe:
Es birgt Dein drittes – Dein verlor'nes Kind -
O läg' es draußen in den Friedhofs-Bäumen
Bei denen, die vor ihm gestorben sind.

Dann würde auch an diesem Grabeshügel
Erinnernd fleh'n ein banges Mutterherz!
Vergessen würd' es nun des Todes Schmerzen,
All' den gerechten lebenslangen Schmerz!

Allein dies Kind nahm nicht der Tod von dannen,
Das Leben war es, was ihn zwang zu flieh'n;
Ihn riss der Tod wohl nicht von Deinem Herzen,
Aus Deinem Herzen riss das Leben ihn!

D'rum, gehst Du an dem grabesstillen Hause
So fremd vorüber, das Dein Sohn bewohnt:
Er ist's nicht wert, dass ihn das Mutterauge
Mit einem Blick der Mutterhuld belohnt.

D'rum muss er heut, da alle sich die Deinen,
Glückwünschend legen an Dein Mutterherz,
Statt seiner diesen Boten an Dich senden,
Er weilet fern – allein mit seinem Schmerz.

O hör! Er waget heute eine Bitte:
Sieh' diesen Herd, den er sich selbst gewann,
Wenn wieder Dich Dein Weg vorüberführet,
Für Deines Sohnes Grabeshügel an!«

Und wie Du den vergebend würdest segnen,
So segne diesen, und es wird um ihn
Des Friedens Engel seine Flügel falten,
Und gold'ne Blumen werden ihn umblüh'n!«

Doch erweckte vielleicht gerade das drückende Bewusstsein eines verfehlten Lebens den göttlichen Funken, den ein günstiges Geschick in seine Seele gelegt, der wohl stets geglommen und geglüht hatte, zur hellen Flamme, und brachte Meßner zu jener erfolgreichen Tätigkeit, für die er von Natur aus durch seine geniale Begabung geschaffen schien und durch ein fortgesetztes wie eifriges Studium vorbereitet war, – als Schriftsteller.

Durch seine bereits früher veröffentlichten kleineren Schriften, die eine farbenreiche Wiedergabe von Naturstimmungen und lebendige Schilderung von kleineren Erscheinungen des Außenlebens auszeichnet, wurde der Verlagsbuchhändler J. L. Kober in Prag auf Meßners schöpferisches Talent aufmerksam gemacht und nahm ihn nun als Mitarbeiter des belletristischen Sammelwerkes »Album, Bibliothek deutscher Original-Romane« an, das er unter Mithilfe von hervorragenden Schriftstellern herausgab, von welchen Johannes Scherr, Friedrich Gerstäcker, Alfred Meißner, Karl Gutzkow, Robert Prutz, Levon Schücking hervorgehoben werden mögen.

In dem jetzt folgenden Zeitraume von 1852-57, der regsten schriftstellerischen Schaffungsperiode Meßners, finden wir ihn teils in Tabor, so ursprünglich das allgemein beliebte und verbreitete »Album« erschien, teils in Prag bei Kober und in Prachatitz. Meist ist es der historische Roman, aufgebaut auf vaterländischer Geschichte, auf dessem Gebiete Meßner in dieser Zeit Bedeutendes geleistet hatte, daneben die Novelle und Erzählung, sowie kulturhistorische und topographische Schilderung aus der engeren Heimat, in denen er seine eigenartige Begabung entwickelte. Außer in dem »Album deutscher Original-Romane« erschienen diese geistigen Erzeugnisse Meßners noch im »Album der Erinnerungen«, der Prager »Bohemia«, im »Prager Volkskalender«, im »Neuen illustrierten Volkskalender für alle Kronländer des österreichischen Kaiserstaates«, in »Erinnerungen, illustrierte Blätter für geistige Erholung und Anregung«, im »Familienbuch des österreichischen Lloyd« usw., wo er neben Männern wie Uffo Horn, Moritz Hartmann, Heinrich Ritter von Levitschnigg, Johann Gab. Seidl, Dr. Joh. Nep. Vogl, Dr. Is. Proschko u. a. zu Ehre und zur Geltung kam.

Seine letzten Lebensjahre 1858 bis 1862 verbrachte er größtenteils in Prachatitz, wo er in allen Kreisen als ein gern gesehener Gesellschafter galt und manches witzige Gelegenheitsgedicht aus dieser Zeit spricht von seiner wahren Gemütlichkeit.

Über Einladung eines Gönners hielt er sich im Jahre 1858 durch einige Monate in Bergreichenstein auf, wo ihm die tiefschmerzliche Nachricht vom Ableben seines alten Vaters zukam, der im Mai dieses Jahres starb.

Seine Mutter war schon früher gestorben und dem Schmerze über diesen Verlust gab er in einem wehmütige Gedichte Ausdruck, das er am 1. August 1858 schrieb, an welchem Tage er wieder in seine Vaterstadt zurückgekehrt war und das Grab seiner Eltern besucht hatte.

Wie sehr Meßner bei Lebzeiten in seiner Heimat beliebt und geachtet war, davon geben uns heute lebende Altersgenossen desselben lebhafte Beweise, die Gedichte oder Schriften von ihm wie Reliquien aufbewahren und verehren. Doch weder sein elterliches Erbe noch auch die durch geistige Arbeiten erworbenen Gelder gaben ihm die Kraft für ein würdevolles, befriedigendes und sorgenfreies Leben.

Die zur zweiten Natur gewordenen Leichtlebigkeit einerseits, gutherzig Freigebigkeit für Arme und Kinder andererseits machten alles wie Märzschnee in dulci jubilo zerfließen.

Kindern war er überhaupt stets vom Herzen gewogen und dieses stand ihnen bei ihm, wie für die unverdorbene Natur, stets offen. Einer schönen Betätigung dieses Herzenszuges will ich hier gedenken.

Einst wurde in Prachatitz von einer wandernden Schauspielertruppe zum Vorteile der städtischen armen Schuljugend eine Wohltätigkeitsvorstellung gegeben.

Meßner trug natürlich durch seine Anwesenheit im Theater auch sein Scherlein dazu bei. Leider aber waren hier viele Sitzreihen leer geblieben, denn viele Leute zogen es vor, auf der Bierbank zu sitzen, denn ins Theater zu gehen.

Da verfiel unser Dichter auf den glücklichen Gedanken, durch eine poetische Aufforderung die Saumseligen an ihre Christenpflicht zu mahnen. Er schrieb dieselbe auch sofort bei Beginne der Vorstellung auf die Rückseite eines Theaterzettels und ließ sie in einigen Gasthäusern in Umlauf setzen. Die erhoffte Wirkung blieb nicht aus; alsbald füllten sich die bisher leeren Bänke und der edle Zweck des Abends wurde in einer reichlichen Einnahme erreicht, die zum guten Teile eben nur Meßner zu verdanken war. –

Seine Leichtlebigkeit führte jedoch auch zu einem vorzeitigen Verfalle seiner Gesundheit, deren gänzliche Zerrüttung er in den letzten Lebensjahren gewissermaßen mit Absicht noch beschleunigte, so dass sein früher oft heiteres Gemüt schließlich dadurch eine düstere Färbung annahm.

Schon am 30. Mai des Jahres 1858 schrieb er von Bergreichenstein aus seinem Bruder: »Ich spüre infolge übermäßigen Genusses geistiger Getränke bereits seit dem 5. April Blut in großen fetten Stücken und weiß, dass mein Organismus ein mit Absicht gründlich zerstörter ist.«

Mit seinen Verwandten teilweise entzweit, musste er auch noch eine treue Lebensgefährtin entbehren, welche die trüben Stunden des Dichters hätte teilen und erheitern sollen.

So hatte nun sein Leben keine reine Freude, jedoch schmerzliches und bitteres Entsagen genug, was er auch in einem Gedichte »An den Mond« zum Ausdruck bringt:

»Wahr ist', ich komme erst um Mitternacht nach Haus,
Mit müdem Herzen, oft nach Saus und Braus!
Find ich ein Weib dann, das den Gatten grüßt,
Find ich ein Kind dann, das den Vater küsst?«

Naturgemäß konnte unter dem ungünstigen Einflusse körperlichen Siechtums die poetische Ausbeute keine gedeihliche und nennenswerte mehr sein, wenn sie selbst in den letzten zwei Lebensjahren auch nicht ganz und gar versiegte, wovon neben manchen Gelegenheitsdichtungen besonders zwei begonnene Waldgeschichten »Unter den Buchen« und »Im Walde« Zeugnis ablegen.

In der ersteren bringe der Dichter wehmutsvolle Todesahnung ergreifend zum Ausdrucke. Er schreibt: »– die geliebten Stätten im Walde, und auf weitem, ödem Heidelande, wo ich als Knabe tollte und als Jüngling träumend wandelte: sie sind dieselben noch, obgleich an mir der Wandel des Lebens nicht so spurlos vorüberging, wie an ihnen; sie grünen und rauschen, wie damals vor vielen Jahren, und ihre schattigen Hallen stehen noch immer so gastlich wie sonst dem Wanderer offen.

Doch heute ist es nicht mehr der rasche Tritt des Jünglings, vor dem sonst da Riedgras mit leisem Geflüster scheu zur Seite wich – vor dem sich Wurm und Käfer ins weiche Moosversteck verkrochen, vor dem selbst die in tiefen Gedanken brütende Schnecke erschreckt und hurtig nach besten Kräften entfloh; es ist der leise, unsichere Tritt eines müden Erdenwallers, der zu seiner Kaaba pilgert vor dem Sterben.

Mein letzter Waldgang! Ich will ihn gehen, wie es sich geziemt für einen letzte: ›gesammelt langsam und feierlich‹ –.«

Die Hand des lebensmüden Dichters erlahmte jedoch noch vor der Vollendung dieses »letzten Waldganges«.

Sein trübes Vorgefühl hatte ihn auch nicht getäuscht, denn am 4. Jänner 1862 erlag er einem bösen Lungenleiden am nahezu vollendeten 40. Jahre seines verfehlten Lebens. Am 26./8. 1876 wurde Meßners Grab am Friedhofe zu Prachatitz mit einem Granitblocke, der eine Marmorgedenktafel trägt, geziert; diesen schafften einige edelgesinnte Studenten seiner Vaterstadt aus eigenen Mitteln an.

Über meine Anregung, die vom hochherzigen Herrn Bürgermeister Johann Zdikarsky warm befürwortet ward, wurde das in der Passauerstraße befindliche Geburtshaus Josef Meßners auf Kosten der Stadtgemeinde am 3./9. 1896 mit einer schönen Erinnerungsplatte an den Dichter gekennzeichnet, der seiner Vaterstadt in dem historischen Romane »Primator« selbst ein herrliches Denkmal hinterlassen hat.

Meßners literarische Tätigkeit erstreckt sich, abgesehen von einigen tief empfundenen, stimmungsreichen lyrischen Erzeugnissen, hauptsächlich auf das Gebiet der erzählenden Prosa, in Form der Erzählung, Novelle und des Romanes, sodann der kulturgeschichtlichen Schilderung und ortsbeschreibenden Charakteristik aus dem Böhmerwalde. Insbesondere ist es auch die vaterländische Geschichte, auf deren vielbewegter Grundlage er einige seiner Erzählungen und zwei seiner Romane aufbaute.

Meßner hat somit neben dem Namen eines Romanschriftstellers hauptsächlich auf den eines Volksschriftstellers Anspruch, dessen Sprache nicht gerade glänzend, doch innig und anheimelnd ist, mitunter freilich auch unverblümt derb, dessen Darstellung aber – und dies vor allem in der reichen Charakteristik unseres Heimatlandes und der Alpenländer – hervorragend genannt werden muss.

Seine Personen entsprechen eben treffend den jeweilig gewählten Verhältnissen, wobei er, wie in seinen Erzählungen »Waldgeschichten« und in den Land und Leute im Böhmerwalde zeichnenden Schilderungen eine eigenartige, volkstümliche Gestaltungskraft an den Tag legt. Dabei enthalten seine Dichtungen Naturgemälde, voll frischen Lebens und Webens und tiefsinnigen prächtigen Ausdruck seiner Beobachtung, die oft an die Stiftersche heranreicht, ja im lebendigen, packenden Reize dieselbe auch hier und da übertreffen mag.

Die ursprüngliche und unmittelbare poetische Lebensfülle, die dem phantasievollen, genial veranlagten Knaben und Jünglinge bereits inne wohnte, aus welcher sich Meßners schöpferische Kraft, die allein den Dichter bildet, entwickelte, erhielt jedoch im Manne eine elegische Grundstimmung, wie sie das einsame Wandern des Unsteten ganz naturgemäß erweckte. Hand in Hand mit dieser ging im vertrauten Verkehre mit der Natur eine gewisse träumerische Seligkeit, eine echte Herzenswärme, die uns bei Meßner besonders auffällt und sogar in seinen letzten Lebensjahren noch die ihm anhaftende pessimistische Färbung durchleuchtet.

Bei seinem nicht alltäglichen Erzählertalente schuf er seine Werke mit einer wieder nicht alltäglichen Leichtheit. Doch führte ihn letzterer Umstand leider auch zeitweilig zu einer Flüchtigkeit im Arbeiten, die sich gelegentlich in mangelhafter Durchbildung des Stoffes geltend macht und zugegeben werden muss.

Überhastende Eile charakterisiert eben vielfach sein äußeres Leben und teilte sich demnach auch teilweise der dichterischen Gestaltung mit.

Unter den ersten Früchten seiner poetischen Tätigkeit erschien in der Bohemia des Jahres 1846 »Katzen-Raphael«, von Meßner als »Künstler-Anekdote« bezeichnet, welche später noch in den »Erinnerungen« des Jahres 1855 abgedruckt wurde.

Der höchst eigentümliche Lebens- und Entwicklungsgang des Berner Malers Gottfried Mind (geb. 1768 zu Bern, gest. 1814 daselbst), der, von Natur aus geistesschwach und missgestaltet, durch den steten Umgang mit Katzen und deren täuschende, künstlerische Nachbildung sich den Namen »Katzen-Raphael« erworben hatte, bildet den Stoff dieser Künstler-Novelette.

Das Jahr 1848 brachte in der Bohemia, die damals noch hauptsächlich eine literarisch-belletristische Zeitschrift war, zwei Novellen »Fatum« und »Viola d'amour«. Beide Novellen entkeimten unserem heimatlichen Waldboden.

In der ersteren derselben erzählt der Dichter uns die Bekehrung eines Mannes in den »besten Jahren«, der nahe daran war, ein Weiberhasser zu werden, durch ein »Blümchen Wunderhold«, entsprossen dem »wüsten Böhmerwalde«. In der zweiten Novelle aber werden wir mit der traurigen Geschichte eines Einsamen, der den Parias Europas, dem heimatlosen Volke der Zigeuner angehört, bekannt gemacht.

Die erste größere Dichtung, welche von Meßners Erzähler-Talente, sowie von der Bewältigung eines verwickelten Stoffes vorteilhaft Zeugnis gibt, ist der historische Roman »Primator«, bei Kober im »Album« 1852 erschienen.

Die geschichtliche Grundlage, auf der dieser Roman aufgebaut ist, bildet ein Teil des 30-jährigen großen Religionskampfes, der sogenannte böhmische Krieg.

Die Erzählung beginnt mit dem verhängnisvollen Jahre 1619, in welchem nach Kaiser Mathias Tode Friedrich der V., Kurfürst von der Pfalz, gegenüber Ferdinand II., dem erbittertsten Verfolger des Protestantismus, von den böhmischen Ständen fast einstimmig zum Könige von Böhmen gewählt und auch am 4. November desselben Jahres zu Prag gekrönt wurde.

Unter den königlichen Städten Böhmens, die den »Winterkönig« wählten, befand sich auch die durch ihren Salzhandel am »goldenen Steig« wichtige, wohlbefestigte Vaterstadt Meßners, Prachatitz.

Auch hier loderte das Feuer des lang verhaltenen Hasses zwischen Katholiken und Protestanten in hellen Flammen auf, auch hier gewannen für kurze Zeit die Protestanten nach Abzug der kaiserlichen Besatzung vollkommen die Herrschaft für sich. Und wie Meßner in einer, der eigentlichen Erzählung vorangeschickten geschichtlichen Einleitung sagt, »bot diese Stadt im kleinen ein trauriges Bild des weiten Reiches. Wie draußen überall, so waren in ihren Mauern dieselben Elemente des Zwiespaltes, dieselben Ausbrüche fanatischen Religionseifers, derselbe Terrorismus immer jener Partei, welche von den Wandlungen der damals so wildbewegten Zeit oben gehalten wurde.«

All dieses schildert uns Meßner in diesem Romane in anschaulicher, zeitgemäßer, oft zu drastischer Weise und gibt uns dadurch ein getreues Gemälde des Fanatismus, der in dieser unglücklichen Stadt sein Haupt erhob, sie aber auch von der Höhe ihrer Blüte und Bedeutung herabstürzte.

Denn am 26. und 27. September 1620 wurde Prachatitz von einem der beiden Sieger am weißen Berge, dem Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen in Böhmen, Grafen Buquoy de Longueval belagert und nach kurzer, aber zäher Gegenwehr eingenommen und geplündert. Die blutigen Bilder dieses Kampfes und des Jammers, wie sie die Stadt nicht einmal unter der verheerenden Hand des grausamen Hussitenführers Zizka gerade vor 200 Jahren dargeboten, entrollt nun der Dichter vor unserer Seele.

In diese historischen Begebenheiten wird die persönliche bittere Feindschaft zwischen dem katholischen und protestantischen Parteiführer von Prachatitz verflochten. Dabei streben die Herzen ihre Kinder einander zu, ohne aber bei dem unauslöschlichen Hasse der Väter durch ein Band aufkeimender Liebe das Ziel ihrer Vereinigung zu erreichen, das auch die beiden feindlichen Parteien hätte versöhnen können.

Das dem Jammer verfallene Haus des Führers der Protestanten, des damaligen Primators der Stadt, geht zugrunde, er selbst fällt als Held durch Feindeshand bei der Verteidigung derselben, treu seinem Glauben und seiner religiösen Überzeugung, jedoch gebeugt und vernichtet durch wuchtige Schläge der rächenden Nemesis. Als Grundgedanken der ganzen Handlung könnte man die Worte unseres Dichterfürsten Schiller hinstellen:

»Das eben ist der Fluch der bösen Tat,
Dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären.«
(Die Piccolomini V. 1.)

Unter den lebendigen Schilderungen, die uns die Zeitverhältnisse getreu vor Augen rücken, ist es besonders die meisterhaft und mit den lebhaftesten Farben gemalte Erstürmung der Stadt durch Buquoy, die uns mächtig ergreift; unter den charakteristischen Gestalten der Handlung aber ragen hervor der Primator Weißenregner, der in scharfen Zügen trefflich dargestellt ist, sein natürlicher Sohn Max, der alte Hackenschütze Jan, und die südländische Frau Christine Kern. Sie alle nehmen in ihrer kraftvollen Zeichnung reichlich unser wärmstes Interesse in Anspruch. Nahm Meßner, wie so viele deutsch-österreichische, besonders jedoch deutsch-böhmische Dichter seiner Zeit, in dem »Primator« mit natürlicher Unbefangenheit und Offenheit Anteil an der nationalen Bewegung des tschechischen Volkes, so finden wir indem nächsten dreibändigen Roman »Zwei Brüder«, im »Album« 1853 veröffentlicht, eine kulturhistorische Dichtung von echt österreichischem Gepräge, gewidmet der »Treue und Soldatenehre«.

Anregung zu diesem Roman gab der Verlagsbuchhändler Kober selbst, dem man den nicht unbegründeten Vorwurf machte, dass er in seine Sammlung von deutschen Original-Romanen bisher noch keine Werke patriotischen Inhaltes aufgenommen hatte.

Aus diesem Grunde bewog Kober unseren Dichter für das »Album« einen rein vaterländischen Stoff zu verarbeiten. Dies tat nun Meßner auch in dem Romane »Zwei Brüder«. Die glorreichen Ehrentage der Armee unter der bewährten Führung des Feldmarschalls Radetzky, von der Grillparzer singen konnte, »In deinem Lager ist Österreich«, die siegreichen Kämpfe derselben aus den Jahren 1848 und 1849 in Italien bilden den zeitgeschichtlichen Hintergrund und sind hier in realistischer Lebendigkeit wiedergegeben.

Den leitenden Gedanken gibt und der Verfasser folgendermaßen an: »Meine Absicht war bloß, in den »Zwei Brüdern«, den Trägern des novellistischen Teiles des Buches, die beiden Mächte aufzuzeigen, die damals ihre Waffen aneinanderschlugen, bis dem Rechte der Sieg wurde und der Treue die strahlende Ehrensäule aufgerichtet neben der Schandsäule des Verrates.«

Wenn auch dieser Roman auf eine vollständige, wirkliche Geschlossenheit der Handlung nicht Anspruch erheben kann, weil die geschichtlichen Begebenheiten zu sehr in den Vordergrund treten, so beherrscht ihn doch durchgehend eine hohe, klare Idee, mit einer stetigen Anregung für Herz und Geist:

Warme Vaterlandsliebe durchdringt das Ganze.

Zurückgreifend auf die Begebenheiten und revolutionären Bestrebungen des Jahres 1831 in Italien, die mit Schmach und strenger Ahndung endeten, zeigt uns Meßner die Umtriebe jener revolutionären Propaganda, »die selbst die Schönheit in Sold nahm, um mit ihrer Macht an den Säulen der Treue zu rütteln, die dem Golde und der Lüge widerstanden«; lässt er in lebendigen Bildern jene Zeit vor unserem geistigen Auge vorüberziehen, in welcher die »verblendeten Kinder der alten Italia ihre klassische Ära durch die Organisation des Verrates und feigen Mordes herzustellen suchten«; zeichnet er uns neben dem großen Kriege den welschen kleinen mit dem Stilete und den heimtückischen Barrikadenkämpfen der Blusenmänner.

Wir folgen dem menschenfreundlichen Marschall Radetzky, der Mailand nicht zerstören wollte, auf seinem Rückzuge nach Verona, vor dessen Mauern der Kampf entbrannte, der mit der Schlacht von St. Lucia sich in einen Siegeszug verwandelte über Curtatone, Sommacampagna, Custoza und Volta, nach Mailand zurück und von da über den Ticino hinaus, in das Herz des Nachbarstaates zum »Gottesgerichte bei Novarra, zwischen Treue und Verrat«. Auch nach Südtirol führt uns die Handlung, wo selbst die alten Graubärte wieder zu ihren Stutzen griffen, um das Vaterland vor den kecken Welschen zu wahren, bis General Welden seinem Generalkommando melden konnte, dass »kein Insurgent sich mehr auf tirolischem Boden befinde«.

Neben den einzelnen heroischen Momenten dieses großartigen Kampfes sind im novellistischen Teile des Romanes, wie schon erwähnt, die feindlichen Mächte »Österreich und Sardinien« auch in zwei Brüdern vertreten.

Diese Brüder, Bernard und Rudolf Stark (Marco Creppi) gehören, als die Söhne eines österreichischen Offiziers, beide der österreichischen Armee an.

Während den Rudolf Wahnsinn einer Liebe seinen Angehörigen entfremdet und zum Verräter an Ehre, Kaiser und Vaterland macht, bewahrt sich sein jüngerer Bruder Bernard den kostbaren Edelstein, das ehrliche Soldatenherz, rein und unversehrt.

Während der erstere demgemäß als blutbefleckter Greis mit der Schande des Meineides bedeckt, den Tod des Verräters durch die Kugel findet, besiegelt der zweite seine Treue für Kaiser und Vaterland mit dem ruhmreichen Soldatentode auf dem Felde der Ehre.

Zwischen beiden steht die blühende Tochter Rudolfs, Chiarina, die von ihrem Vater als Rachewerkzeug erzogen, vergebens den dunklen Schatten einer blutbefleckten Vergangenheit zu entrinnen sucht und durch ihr Schicksal und ihre ergreifenden Seelenkämpfe wesentlich zu dem harmonischen Abschlusse des ganzen beiträgt.

Die lebensvollen Charaktere der beiden Hauptpersonen bilden sich im Widerstreite aus der innersten menschlichen Natur und Seele.

So wird der eine der beiden Brüder zum Vertreter des falschen Verrates, der zweite aber tritt uns mit seiner Treue als hehres Sinnbild entgegen, jener Treue, die das Heer Radetzkys mit einem freudigen Todesmute erfüllte und es siegreich hervorgehen ließ aus allen den Kämpfen mit Treulosigkeit.

Besonders fesselnd wirken die lebhaften und frischen Darstellungen des österreichischen Soldatenlebens, gleich wie die Bilder, aus dem Leben des italienischen Volkes gegriffen – in welch letzterem sich der stete Widerstand gegen die österreichische Herrschaft wiederspiegelt – eines außerordentlichen Reizes nicht entbehren.

Bei der Schilderung der Volksmassen und Kämpfe entfaltet Meßner nicht nur eine reiche Farbenfülle, sondern auch besondere Geschicklichkeit von Anordnung in dramatischer Anschaulichkeit, so dass er die geschichtlichen Vorgänge in einzelnen charakteristischen Bildern poetisch entschieden wiedergibt. Die Glut und Lebendigkeit dieser Bilder verfehlen daher ebenso wenig ihre Eindrücke, wie die wirkliche Gestaltungskraft in Einzelheiten der Charakteristik.

Die Zeichnung der Charaktere, auch in typischen Soldaten und Volksgestalten, ist sicher und kräftig.

Wir sehen da Soldatenfiguren von echtem Schrot und Korn, wie z.B. die wahre Prachtausgabe eines Grenadier-Korporals, und auch Welsche mit echt österreichischen Herzen, Soldaten, von denen der edle Marschall sagen konnte: »Jeder einzelne war ein Held«, – sie alle innig verbunden durch die zarten und dennoch starken Fäden, deren Gewebe die große Familie eines Heeres verknüpfen, der Soldatenfreundschaft, der edlen Kameradschaft im Frieden und im Kriege. Neben Bernard verherrlicht Meßner denn auch in ihnen die Treue und den Heldenmut der Armee, die für den Wahlspruch »Viribus unitis« einstehend, ihrem »Vater Radetzdy« die glänzendsten Erfolge in den schweren Kämpfen erringen half, an deren Treue sich alle Wogen feindlicher, fanatischer Zerstörungswut brachen und aus deren Treue schließlich Österreich neu gekräftigt, gleich einem Stern aus dunkler Nacht, hervorging. Sowohl »Primator« wie »Zwei Brüder« zeugen demnach von Meßners Fähigkeit, die Charakteristik einer ganzen Zeit, historische Ereignisse in einzelnen Gestalten zu verkörpern.

Im Jahre 1854 erschien im »Album« der Roman »Treu«. Eine einfache Geschichte nennt der Verfasser diese Schöpfung aus dem bürgerlichen Leben, in welcher er sich verständnisinnig in den geheimnisvollen Reichtum des menschlichen Herzens versenkt, um neben seinen dunklen Tiefen, die erhabene Reinheit – neben Schwäche und Verzagtheit, die Kraft im Kämpfen und Dulden darzustellen. Wiederum ist es die Treue, der edelste und härteste Kitt der Herzen, welche er in diesem schlichten Roman verherrlicht.

Wenn Meßner hier die Frage aufwirft: Warum sollten die versenkten Blüten meiner stillen Liebe nicht ebenso befruchtend auf den Grund meines Herzens fallen wie die um mich her, aus deren Versesung sich neue Frühlingskeime entringen? Warum sollte aus der Asche eines hohen und heiligen Gefühles nichts Edleres und Größeres erstehen, als die vergänglichen Grabesblumen der Erinnerung? Ist das Leben der Liebe gebunden an die Dauer der Hoffnung und ohne diese nichts als Gram und Weh? – gibt er auch gleich darauf die erhebende Antwort: »Bedingt das Wesen der Treue nicht ein wandelloses Festhalten des einmal mit Liebe Umfassten, ob es nun eigen geworden, oder in andere Bahnen getrieben, für den Besitz verloren ging? Ja, echte Liebe kann in keine andere Phase übergehen – Treue ist ihre Frucht! Ob gezeitigt von den Sonnenblicken des Glückes oder still herangereift unter ihren abgefallenen welke Blüten!« Diese Fragen beantworten aber auch die treuen, edlen Herzen dieser Geschichte, die, trotzdem sie sich mit Kummer und Schmerz füllen, dennoch sich treu gebunden hielten an ihre verlorene Liebe, die ein versunkener Stern ihres neidlosen Lebens blieb, – in denen dafür aber eine »neue Flamme hell und rein auflodert, welche sie wahren für ihr ganzes Leben – die der Treue!«

Von den bedeutenden Ereignissen des Jahres 1855 will ich hier drei anführen.

Es erschien vorerst im »Album der Erinnerungen«, herausgegeben von W. H. Landt in Prag, »Jan von Wartenberg«.

Der Mann, der dieser historischen Erzählung den Namen gab, war einer der gefürchtetsten und zugleich auch geachtetsten Degen des Böhmerwaldes in der Zeit der Wirren, welche nach dem Tode Rudolf I., Königs von Böhmen aus dem Hause Habsburg, um die Krone der Premisliden entstanden. Die unseligen Kämpfe der zwei sich gegenüber stehenden Parteien endeten im Jahre 1310 mit der Proklamierung der Prinzessin Elisabeth als Königin Böhmens, welche gleichzeitig an Johann von Luxemburg – Sohn des nachmaligen Kaisers Heinrich VII. – förmlich verhandelt und vermählt wurde, wodurch das Lebensglück Jans von Wartenberg vernichtet ward.

Als treuer Sohn seines Vaterlandes hatte er redlich mitgewirkt, der letzten »Premislidin«, der er sein Herz in stiller Liebe und »treu und stumm« geweiht, die Krone zu erringen und zu erhalten. Für sie gab er auch sein Leben hin, nachdem er zuvor noch, von ihr auf eine harte Probe gestellt, einen schweren inneren Kampf zu bestehen hatte, aus dem er aber siegreich hervorgegangen war, unbefleckt und rein, hochhaltend den Wahlspruch, der auf seinem Banner prangte:

»Treu in Freud
Wie im Leid!
Treu in Not
Bis zum Tod!«

Neben den zerrütteten Verhältnissen in dem wüsten Streite um Böhmens Krone, lernen wir in diesem Bildwerke mittelalterlicher Zeit auch den Geist und die Gesinnung des böhmischen Adels und der böhmischen Stände kennen.

Außerdem lässt uns Meßner noch in die aufstrebende Macht des Bürgertums, das in der rechtlosen Zeit sich durch seine Zünfte und Innungen mit Erfolg gegen Willkür und Bedrückung des Adels zu schützen wusste, passenden Einblick tun, indem er gerade in diesem Streite, dessen Schauplatz zumeist die hunderttürmige Königsstadt Prag ist, dem Bürgertume mit seinen maßgebenden Handwerksgilden eine hervorragende und ausschlaggebende Rolle zuweist.

Im Gegensatz zu dieser historischen Erzählung entwirft und der Dichter in einer zweiten »Margarethe Maultasch« (1855 im »Album« erschienen) ein Kultur- und Sittengemälde aus dem 14. Jahrhundert auf tirolischem Boden.

Die Titelheldin ist die Gräfin Margarete von Tirol, die sich 1330 mit dem böhmischen Prinzen Johann Heinrich, einem Bruder des Luxemburgischen Kaisers Karl IV., vermählte.

Die Wirren und Streitigkeiten, welche aus dieser übereilten Scheinehe, die nie eine glückliche und beiderseits beliebte war, hervorgingen, bilden den zeitgeschichtlichen Hintergrund dieser Erzählung, die sich im »schönen, alten Lande Tirol«, der Erbgrafschaft Margaretens, abspielt. Margarete erscheint hier als die stolze, herrische, genusssüchtige Amazone, wie sie die Volkssage uns schildert, als die »böse Gretl«, wie der Volkswitz sie nannte, vor dessen Anfällen und Wunden sie ihre hohe Stellung nicht zu feien vermochte.

Ihren unglücklichen Scheingemahl, Prinz Johann von Luxemburg, sehen wir aber durch einen höheren Willen, der ihm gebietet, ohne zu lieben und ungeliebt an die Seite dieser Frau gebunden.

In Treue und Geduld trägt er seine Dornenkrone und hält auf seinem Posten aus, auf den ihn der Wille seines königlichen Vaters gestellt, bis sich Margarete von seiner Leidenschaft zu einer Welschen überzeugt, die ihm das Geschick in den Weg geführt. Verschmäht von dem, dessen Herz sie selbst bisher nur als Spielzeug gebraucht hatte, sagt sich Margarete nun von Johann los, um nach erreichter Trennung dieser ihr verhassten Ehe im Jahre 1342 dem Sohne Ludwig des Bayer, Ludwig von Brandenburg, ihre Hand zu geben.

Meßner wollte durch diese geschichtliche Erzählung, wie es auch der eingangs derselben beigesetzte Ausspruch des römischen Geschichtsschreibers Suetonius besagt, in Margarete einen Charakter zeichnen, der beweise, was die gröbsten Laster unter dem Deckmantel der höchsten Ehrenhaftigkeit vermögen. Dies erreichte er auch, teils an die geschichtlichen, teils aber auch sagenhaften Begebenheiten und Überlieferungen sich haltend, deren Mittelpunkte die »Messaline Tirols« bildet.

Trefflich vermag er uns dabei in die mittelalterlichen Zeitverhältnisse hineinzuversetzen und uns den ränkevollen Zeitgeist derselben klar zu legen.

Auch die Sprache hat durch öftere Anwendung alter Wörter, Wortformen und Wendungen eine mittelalterliche Färbung erhalten, die mit dem mittelalterlichen Stoffe passend übereinstimmt.

Als drittes Produkt des Jahres 1855 erschien in der »Bohemia« eine Novelle »Kleine Götter«, in welcher uns der Verfasser den oft nicht zu unterschätzenden Einfluss jener »Vorzimmer-Beherrscher« – einer Kammerjungfer und eines Kammerdieners – schildert, die er ganz treffend als »kleine Götter« bezeichnet, da sie es nicht verschmähen, sich mitunter in Weihrauch einzuhüllen.

Eine andere Novelle »Jens Trutz«, die sich teilweise auf den Halligen abwickelt, brachte das »Album der Erinnerungen« des Jahres 1856. In dem Leben und Schicksale des Mannes, dessen Namen diese Novelle trägt, fühlen wir den großen Gegensatz ausgedrückt, der zwischen den unbegrenzten Forderungen des Menschenherzens sowie der schrankenlosen Gewalt der Natur und Naturnotwendigkeit besteht.

Als vergeblich erscheint jedoch das wahnsinnige Unternehmen des Menschen gegenüber der Macht der blinden Elemente; im ungleichen Kampfe mit ihnen verfällt er mit den Seinen, die er durch seinen Trotz schützen wollte, der Rache der Naturkräfte.

Außer dieser Novelle erschienen noch im Jahre 1856 im »Neuen illustrierten Volkskalender« (Wien), der damals bedeutende Männer zu seinen Mitarbeitern zählte, kleine Bilder nach der Natur gezeichnet, »Hantierer im Böhmerwalde«.

Der Zweck dieser Reihe von naturgetreuen Schilderungen war, die Menschen draußen im weiten Vaterlande »mit dem kümmerlichen Leben der armen geduldigen Kreuzträger hoch oben auf den Bergrücken und tief drinnen in den Waldebenen der fichtenbewachsenen Grenzmark des alten Böhmerwaldes« bekannt zu machen, ihnen mit den einfachsten Mitteln die Leute und Zustände des Böhmerwaldes wenigstens in einzelnen Zügen und eigentümlichen Elementen vorzuführen, in ihrem »Hantieren«.

Die Bedeutung des Wortes »Hantierer« erklärt Meßner auf diese Weise: »Wer nicht Bauer oder ›Herr‹ ist im Walde, der heißt ›Hantierer‹ und diese bilden somit gewissermaßen den Gewerbestand des Waldes.«

Doch werden hier aus den Hantierungen bloß diejenigen herausgegriffen, in ihrer Eigenart naturgemäß gezeichnet, die mit wenigen seltenen Ausnahmen nur im Böhmerwalde vorkommen.

Einige darunter werden noch durch beigesetzte kurze Erzählungen in ihren Mühseligkeiten näher erläutert. Manches mag freilich der heutige Besucher unseres Waldlandes verschieden finden von dem, wie es Meßner vor mehr als 40 Jahren aus hier schilderte. Einzelnes hat sich aber doch noch so erhalten, in alter patriarchischer Einfachheit und ausgeprägter Eigentümlichkeit.

Der Zukunft erst bleibt es vorbehalten, diese Besonderheiten des Böhmerwaldes zu tilgen; doch dürften dieselben erst vollends schwinden, wenn die Segnungen der Neuzeit und Kultur auch diesem Landstriche zuteil geworden, wenn der weite, abgeschlossene Wald, der vielfach noch dem schlafenden Dornröschen gleicht, ganz dem Verkehre geöffnet ist, wozu wohl seine Naturschönheiten, die allmählich besseren Verkehrswege und der dadurch in den letzten Jahren lebhaftere Zuzug von Fremden und Sommerfrischlern viel beiträgt.

Die kleinen, kulturgeschichtlichen Studien mit den bald tragischen, bald humoristischen Momenten, werden jedoch auch fernerhin ihren abbildenden Wert behalten. Und wenn sich alles geändert hat, dann mögen die Nachkommen die Drangsal und Not ihrer Vorfahren daraus kennen lernen, mögen erfahren, »wie ergeben und unverzagt der Böhmerwäldler die Last seines mühseligen Lebens getragen«, und der Vorsehung danken, dass für dieses herrliche Stück Erde, das bis dahin nur immer ein Aschenbrödel war, auch bessere Zeiten gekommen sind!

Ob aber auch glücklichere?! –

Geben diese Bilder schon lebhaft davon Zeugnis, dass der Verfasser Volksart und Volkessitte des Böhmerwaldes, die er naturgetreu und oft mit poetischem Humore wiedergibt, vollkommen in sich aufgenommen hat, so bringt er in den »Waldgeschichen«, die im Jahre 1857 im Album veröffentlicht wurden, alle verborgene Poesie des Waldlebens, die er in seiner Seele gesammelt zur Erscheinung und Wirkung.

In schlichten Schilderungen des Volkslebens der Waldbewohner, in denen sich Meßners ganze Gestaltungskraft als echter Volksschriftsteller offenbart, der nicht nur für das Volk, sondern auch aus demselben zu schreiben verstand, finden sich reichhaltige Naturerscheinungen, Betrachtungen voll seelischer Innigkeit, in denen er manche tief liegende, poetische Glanzpunkte des Volkslebens entdeckt, hebt und hervorkehrt, die vollauf bestätigen, dass ihm die menschliche Seele, sowie das mächtige Wunderbuch der Natur, kein »verschlossen Buch mit 7 Siegeln« war.

So wie die meisten Verfasser von Dorfgeschichten, verarbeitet er in einer Reihe von 5 Erzählungen Stoffe, die der nächsten Wirklichkeit entnommen sind und bringt sie voll frischer Naturwahrheit, mit reinem tiefen Gefühle vereint, zur einfachen Darstellung. Schmucklose kernige Naturkinder sind es, die er uns hier vor Augen führt, Typen jenes Menschenschlages, den wir die »Waldleute« nennen.

Der ehrwürdige Böhmerwald, die grüne Obersteiermark und da »alte heilige Land« Tirol, mit ihren Wald- und Bergbewohnern, bilden den fruchtbaren Grund, aus dem diese Erzählungen hervorsprossen, einfach und doch so reich.

Zu den besten Erzeugnissen der Meßner'schen Muse zählend, kann man auf diese Musterstücke in ihrer Art auch die Worte unseres A. Stifter passend anwenden, mit denen dieser über seine »Studien« urteilt: – »dass mancher Seelen- und Menschenforscher, wenn er am Ende dieser Blätter angekommen ist, sie nicht ohne eine kleine Teilnahme weglegen wird.«

Im Jahre 1857 erschien im »Album« »Handwerksburschen«, das als »Dichtung und Wahrheit« aus Meßners Leben angesehen werden kann. Doch urechte Wahrheit ist es, die uns hell und ungeschminkt aus dieser volkstümlichen Dichtung entgegen klingt, in welcher der Verfasser das frischfröhliche Leben und Treiben des Handwerksburschen auf der Wanderschaft und in der Werkstätte bei der Arbeit, ihre Gebräuche und Sitten, wie sie die Zünfte vorschrieben und übten, schildert. Die ganze, heute nahezu entschwundene romantische Poesie des früheren typischen Handwerksburschenwesens ist es eben, die hier in volle Wirksamkeit tritt.

Daneben erstehen heitere und ernste Bilder aus dem eigenen Seelenleben des Dichters, hervorsprudelnd aus dem reichen Quell seines unsteten Wanderlebens, welche uns ein wichtiges Hilfsmittel zur Beurteilung Meßners bieten, da sich dieses Werk durch objektive Schreibweise und richtige Erkenntnis seiner selbst auszeichnet.

Dem Ganzen fehlt es nicht an Humor und Ironie, wodurch eine anheimelnde Frische und Lebendigkeit erzeugt wird.

Gewiss kann man diesen Teil Lebensgeschichte des »fahrenden Gesellen« als ein Meisterstück in seiner Gattung bezeichnen. Meßner selbst äußert sich darüber einmal in einem Briefe: »Wenn ich nur mit dem Buche fertig würde, das, wie ich hoffe, mich mit der Welt aussöhnen wird durch anerkennende Erinnerung. Nach mir die Sündflut!« Außer diesen Werken wären noch manche Novellen und Erzählungen aus dem urwüchsigen Volksleben des engeren und weiteren Heimatlandes zu erwähnen, worin die verschiedensten Stoffe, von ihrer fröhlichen und traurigen Seite aufgefasst, in den mannigfachsten und eigentümlichsten Lebensverhältnissen charakteristisch zur Darstellung gebracht werden.

Bald ist es ein deutsches Stillleben, das durch den niederträchtigen Eingriff eines französischen Emigranten zerstört wird, wie in »Der Hüter der Hausehre«, bald sind es geschichtliche Ereignisse, die als Grundlage dienen, wie in den vaterländischen Erzählungen »Die Franzosen im Böhmerwalde« oder »Ein österreichischer Admiral« oder »Der Kaiser hilft!« – bald wieder das Leben des Waldbewohners im Böhmerwald mit seinen dunklen Verirrungen allein, mit denen er uns näher bekannt macht, wie in »Der Falschmünzer« und »Die Rose des Schreinerwaldes«.

Schließlich seien noch einige Schilderungen von »Land und Leuten im Böhmerwalde« verdientermaßen hervorgehoben, wie: »Wallern und die Wallerer«, »Die Maderhäuser«, »Maidstein«, »Kugelweit«, »Bad Grindschädel« und »Alt-Budweis«.

Auch diese verdanken Meßners besondere Liebe für Heimatvolk und Heimatland, sowie den Eindrücken, welche der rege Verkehr damit in ihm hinterlassen hatte, ihre Entstehung. –

Aus dem Gesagten können wir nun ersehen, mit welch' reicher Begabung Mutter Natur auch den dritten der hier besprochenen Böhmerwalddichter ausgestattet hatte zu seiner Lebensreise. Leider ließen ihn aber die unglücklichen Verirrungen in seinem Leben die heilige Flamme der hohen dichterischen Empfänglichkeit nicht immer treu warten und mehren. Auf Abwegen vergeudete und verzettelte er nur allzu sehr seine beste Kraft.

Wie man aber über den Gesamtwert seiner geistigen Erzeugnisse urteilen mag, eines ist doch sicherlich und gerechtfertigt anzunehmen, dass manche derselben den Lorbeer und die dauernde Erhaltung für die Nachwelt verdienen.

Denn wahrer Dichtung, im echten Dichterherzen gezeigt und ohne ausgesuchte Berechnung natürlich wie fesselnd geschrieben, findet sich ebenfalls bei Meßner vor.

Gerade dort aber, wo wir mit seinen Dichtungen auf heimatlichem Boden stehen, umweht uns reine Waldesluft voll Echtheit und Wahrheit und ruft uns die lautersten, bleibendsten Eindrücke hervor, so dass wir in Josef Meßner einen wirklichen Böhmerwalddichter zu schätzen und zu verehren haben, dass auch ihm, ebenso wie Adalbert Stifter und Josef Rank gegenüber, die Herzen der deutschen Bewohner des weiten Böhmerwaldes in Liebe und Dankbarkeit sich zuwenden, ihm ein warmes, dauerndes Andenken bewahren müssen.

Wenn es mir nun gelungen sein sollte, die Bedeutung, den literarischen Wert diese Böhmerwald-Dreigestirnes vor allem dem Urteile seiner Leser in unseren Waldgauen vorbereitet und näher gerückt zu haben, dann will ich mit Befriedigung annehmen, dass diese Skizzen ihren Zweck erreichten.

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Paul Meßner

(1867-1928)

Er war der Großneffe des Böhmerwaldschriftstellers Josef Meßner, den er in dieser Schrift ausführlich als Mensch und Dichter eingehend charakterisiert hat.

Geboren am 29. Juni 1867 in Prachatitz (Böhmen), legte er 1885 in Krumau die Abiturprüfung ab. Er studierte zunächst ein Jahr Theologie und dann in Prag Jura. Ab 1888 diente er in der Armee, von 1892 an als Lehrer an verschiedenen Militärschulen. 1905 wurde er Referent für das Militärschulwesen im Kriegsministerium in Wien, wo er auch seine philosophischen Studien beendete. Zwischen 1914 und 1918 war er Kriegsteilnehmer im ersten Weltkrieg, 1918 übernahm er die Leitung des Hirtenberger Militärwaisenhauses. Ab 1922 lebte er als Hofrat i. R. in Wien. Er starb hier am 22. Oktober 1928 im Alter von 61 Jahren.

Neben eigenen Erzählungen machte er sich besonders um die Herausgabe der Werke seines Onkels Josef Meßner, welcher in dieser Schrift eingehend charakterisiert wird, verdient.

 

(https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Paul_Messner)

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