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Capitel IV.

Was in Hannamanoo geschah. – Die Tättowirer von La Dominica.

An der andern Seite der Insel lag die große und starkbevölkerte Bai von Hannamanoo, wo die gesuchten Männer doch vielleicht noch gefunden werden konnten; da jedoch bis das Boot wieder herankam, die Sonne schon zu sinken begann, so wendeten wir und suchten mit kurzen Gängen vom Lande fortzukommen. Erst mit Tagesanbruch drehten wir uns wieder dem Ufer zu und liefen, als die Sonne schon herauf war, in den schmalen Kanal ein, der die beiden Inseln La Dominica und St. Christina von einander scheidet.

An der einen Hand lag eine Kette steiler, grüner Berge, viele hundert Fuß hoch und die weißen Hütten der Eingeborenen klebten hie und da wie Vogelnester in der üppigen Vegetation. Auf der andern Seite rollte das Land in hellen, saftigen Hügeln hin und so warm und schwellend schienen sie, daß es ordentlich aussah, als ob sie in der Sonne athmeten. Doch hindurch glitten wir, an Hügel und Niederung, an Fels und Thal, an dunkler Schlucht und sprudelndem Wasserfall vorbei; eine frische Landbriese füllte unsre Segel, die von der Bai umschlossenen Wasser lagen so still wie die Fluthen eines See's und jede blaue Woge brach sich mit einem harmonischen Klingen an unserm gekupferten Bug.

Als wir das Ende des Kanals erreichten, bogen wir um eine Landspitze, und liefen voll ein in die Bai von Hannamanoo, die den einzigen namhaften Hafen auf der Insel bildet, obgleich sie, was einen sichern Ankergrund betrifft, den Titel kaum verdient.

Ehe wir in Verbindung mit dem Ufer traten, fiel etwas an Bord vor, das vielleicht im Stande ist, einen schwachen Begriff von dem Charakter unsrer Mannschaft zu geben.

Nachdem wir uns dem Land so weit genähert, als es die Vorsicht zuließ, wurden die nöthigen Segel backgebraßt, um den Lauf des Schiffes anzuhalten und die Ankunft eines Canoes zu erwarten, das eben aus der Bai schoß. Plötzlich geriethen wir in eine starke Strömung, die uns schnell einem felsigen Vorgebirge entgegenriß, welches die eine Seite des Hafens bildete. Der Wind war gänzlich eingeschlafen und zwei Boote mußten niedergelassen werden, um unsern Bug herumzuziehen. Ehe dies aber geschehen konnte, brach sich das Wasser schon überall um uns her, und der Fels kam uns so nahe, daß es ordentlich aussah, als ob man vom Mast aus hätte hinüber springen können. Der Capitän wurde vor Angst leichenblaß und Jermin schrie sich fast die Lungen aus. Die Leute handhabten aber ihre Taue mit einer Gemüthsruhe, die ans Fabelhafte grenzte, und Einige schwelgten schon in der nahen Aussicht, das Ufer zu betreten, während Andere ihre Freude kaum unterdrücken konnten, das Fahrzeug stranden zu sehen. Ganz unerwartet kam uns eine Gegenströmung zu Hülfe und durch Unterstützung der Boote gelang es uns bald der Gefahr zu entgehen.

Welch getäuschte Hoffnung für unsre Mannschaft, alle ihre kleinen freundlichen Pläne, vom Wrak aus ans Ufer zu schwimmen und sich für den Rest ihrer Tage einem gemüthlichen Leben zu ergeben, wurden so in der Blüthe erstickt.

Bald darauf schoß das Canoe an uns heran und darin saßen acht oder zehn Eingeborene, hübsche, munter aussehende Burschen, ganz Bewegung und Leben, mit den rothen Federn in ihren Kopfbändern, nickend und winkend. Sie begleitete ein Fremder, ein Renegat von Christenthum und Menschlichkeit, ein weißer Mann in dem Südseegürtel, mit tättowirtem Angesicht. Ein breites blaues Band lief ihm quer durchs Gesicht von Ohr zu Ohr, und seinem Antlitz war die schlanke Figur eines blauen Haifisches, nichts wie Flossen von Kopf bis Schwanz, eingegraben. Es war ein Engländer der sch Tom Hardy nannte. Vor zehn Jahren etwa desertirte er hier von einer Handelsbrig, die an der Insel landete, um Holz und Wasser einzunehmen.

Damals betrat er übrigens das Ufer als eine souveräne Macht mit Muskete und Munition bewaffnet und bereit, wenn angegriffen, der ganzen Bevölkerung den Krieg zu erklären. Zum Glück für ihn theilten sich in jener Zeit zwei einander feindlich gesinnte Könige in das Land, von denen er mit einem – natürlich mit dem, der ihm die ersten Anerbietungen machte, – ein Bündniß schloß, und was er jetzt war, dessen Verbündeter, der Feldherr des Stammes und der Kriegsgott der ganzen Insel wurde.

Gegen seine Kampagnen konnten die Napoleons gar nicht aufkommen. In einem Nachtangriff besiegte seine entsetzliche Muskete, von der leichten Infanterie der Speere und Wurfspieße gedeckt, zwei Clans, und der nächste Morgen brachte alle zu den Füßen seines königlichen Aliirten.

Eben so wenig blieb sein häusliches Glück hinter seinem militärischen zurück. Drei Tage nach seiner Landung erhielt er die ganz vortrefflich tättowirte Hand einer Prinzessin, und mit der jungen Dame ihre Mitgift: eintausend Klafter feine Tappa, fünfzig doppelt gewobene Matten von gespaltenem Gras, vierhundert Schweine, zehn Häusern in verschiedenen Theilen des Thales, und die geheiligte Beschützung eines besondern Edikts des Taboo, die seine Person für ewige Zeiten unantastbar erklärte.

Dieser Mann hatte sich hier, mit seinem Schicksal vollkommen zufrieden, niedergelassen und fühlte nicht das mindeste Verlangen, zu seinen Freunden und in die Heimath zurückzukehren. Er besaß auch in der That keine Freunde mehr, denn er erzählte mir seine Geschichte. In die Welt als ein Findling geworfen, wußte er so wenig von seinen Vorfahren, wie von der Genealogie Odins. Von Jedem verachtet, entfloh er aus dem Parish-Arbeitshaus schon als Knabe und schiffte sich zur See ein. Vor dem Mast hatte er viele Jahre gedient und bezeigte nun nicht die mindeste Lust zu solchem Plack zurückzukehren.

Solche Leute, wie dieser, die keinen Menschen mehr haben, an dem ihr Herz hängt, ja nicht selten solche, die auch gerade deshalb das Seeleben wählten, werden am häufigsten in ähnlichen Verhältnissen auf einsamen Inseln gefunden, und ist es nicht natürlich, daß sie dies freundliche Leben hier, dem harten Loose in der Heimath vorziehen sollten?

Dem Bericht nach, den uns der Renegat gab, existirte auf dieser Insel kein Weißer weiter als er selber, und da der Capitän keine Ursache hatte zu glauben, daß uns Hardy hintergehen würde, so glaubte er, der Franzose müsse sich in dem, was er ihm erzählt, geirrt haben. Als unsre Absicht übrigens den andern Besuchern erklärt wurde, so erbot sich einer von ihnen, ein schlanker, kräftiger Bursche mit kühnen, blitzenden Augen, uns auf einer Fahrt zu begleiten. Seine ganze Belohnung, die er dafür verlangte, bestand in einem pränumerando auszuliefernden rothen Hemd, einem Paar Beinkleidern und einem Hut und außerdem noch in einer Stange Tabak und einer Pfeife. Der Handel wurde augenblicklich abgeschlossen. Wymontoo rückte indessen noch mit einer Klausel vor und zwar die, daß sein mit ihm gekommener Freund ebenfalls zehn ganze Schiffszwiebacke, ohne Sprung oder Fehler, zwanzig vollkommen neue und symmetrisch gerade Nägel und ein Matrosenmesser überliefert bekommen solle. Dies ebenfalls angenommen, überreichte man ihm die ausbedungenen Artikel, die besonders der zweite Eingeborene mit augenscheinlicher Gier in Empfang nahm. Wegen Mangel an Kleidern benutzte dieser indessen seinen Mund als Tasche, um die Nägel hinein zu thun, von denen jedoch vor allen Dingen zweie, Ohrringstelle versehen mußten, und einige, aus weißlichem Holz wunderlich gefertigte Putzstücke verdrängten.

Da jetzt übrigens die Seebriese stark zu wehen anfing, so durften wir keine Zeit weiter verlieren, das Land zu verlassen. Nach einem höchst freundschaftlichen Nasenreiben zwischen unserm neuen Schiffskameraden und seinen Landsleuten, der auch zu unserm Erstaunen die Abschiedsrufe von dem Canoe aus, als wir unter den geblähten Oberbramsegeln, dahinschossen, gar nicht zu beachten schien, segelten wir also hinweg; das wurde aber anders. Noch an demselben Abend, als das dunkle Blau seine heimischen Hügel am Horizont begrub, lehnte sich der arme Wilde über die Bulwarks und gab sich seinem unbegrenztem Schmerze hin. Das Schiff stampfte sehr und Wymontoo – traurig zu erzählen – wurde noch zu seinen andern Leiden entsetzlich seekrank.

Indeß wir aber die kleine Jule auf ihrer Bahn dahin schießen lassen, will ich hier einige wunderbare, von Hardy eingezogene Nachrichten mittheilen.

Der Renegat hatte so lange auf der Insel gelebt, daß er mit ihren Gebräuchen natürlich ganz vertraut geworden, und ich bedauerte sehr, unseres kurzen Aufenthalts wegen nicht mehr von ihm erfahren zu können. Uebrigens hörte ich doch zu meinem Erstaunen, daß die Bewohner von Hivarhoo, wenn sie auch zu derselben Inselgruppe gehören, in manchen Stücken gar sehr von meinen Typeefreunden abwichen.

Da seine Tättowirung so viel Aufmerksamkeit erregte, so mußte er besonders über die Art und Weise einiges erklären, wie sie auf der Insel gehandhabt wurde, und er vertraute uns nun, daß sich gerade die Tättowirer von Hivarhoo eines bedeutenden Rufes erfreuten. Sie hatten diese Kunst zur höchsten Vollkommenheit, und dadurch die Profession der Tättowirer selbst zu Ehren gebracht; kein Wunder denn, daß sie, wie fashionabele Schneider, ihre Dienste auch sehr hoch anschlugen und zwar so hoch, daß nur die höheren Klassen von ihnen Gebrauch machen konnten. Die Eleganz einer Tättowirung wurde also zugleich ein Zeichen von Rang und Reichthum.

Meister von bedeutender Praxis lebten in geräumigen Häusern, die durch Tappagardinen in zahlreiche kleine Zimmer getheilt wurden, wo Jeder privatim konnte bedient werden. Diese Einrichtung entspringt aber großentheils aus einem eigenthümlichen Gesetz des Taboo, das bei der Tättowirung beobachtet werden muß und nach welchem alle Männer, sei es nun von hohem oder niederm Rang, jedem Verkehr mit der Welt entsagen müssen. Für diese Zeit wird ihnen denn auch gar keine Unterhaltung mit Andern gestattet und selbst die wenige Nahrung, die sie genießen dürfen, schiebt eine unsichtbare Hand unter dem Teppich herein. Die dabei beobachtete Diät soll indeß wohl nur dazu dienen, das Blut während der Operation abzukühlen und die Entzündung zu verhindern, die dem Punktiren der Haut folgt; selbst mit dieser Vorsicht kommt sie doch noch schnell genug und es bedarf einiger Zeit bis sie heilt, weshalb denn auch die Periode der Abgeschlossenheit manchmal mehrere Tage, oft ganze Wochen erfordert.

Nachdem alle Spuren von Entzündung verschwunden sind, geht der Tättowirte eine Zeitlang herum, doch da des Schmerzes wegen nur immer ein kleiner Theil auf einmal vorgenommen werden kann, so kehrt er bald wieder in seine Klause zurück und es läßt sich denken, welch ungeheure Zeit oft darauf verwandt wird, den ganzen Körper auf solche Art zu verschönen. Mit einer selbst bei uns unerhörten Eitelkeit verschwenden Manche oft einen großen Theil ihrer Lebenszeit, einem solchen Künstler zu sitzen oder zu liegen.

Das Jünglingsalter wird zum Tättowiren für die passendste Zeit gehalten und die Freunde des jungen Mannes führen ihn dann in das Haus eines berühmten Künstlers, um dort zuerst die Umrisse gezeichnet zu bekommen, wobei der Künstler in der That ein gutes Auge haben muß, da eine Tracht, die für das ganze Leben bestimmt ist, doch auch gewiß gut zugeschnitten werden sollte.

Einige Tättowirer, von edlem Eifer beseelt sich in dieser schönen Kunst zu vervollkommnen, benutzen oft, natürlich einen bedeutenden Lohn zahlend, zwei oder drei Männer vom niedrigsten Stande – Proletarier, die sich den Henker um äußere Erscheinung kümmern – und an diesen versuchen sie zuerst ihre Muster und Arbeit. Wenn deren Haut dann über und über zerkratzt ist und kein Stückchen Pergament mehr bleibt, irgend einen Schnörkel anzubringen, dann werden sie entlassen und gehen nachher lebenslang zum Skandal ihrer Landsleute herum.

Unglückselige Wichte, Märtyrer der schönen Künste.

Außer den regelmäßigen Meistern in dieser Sache, existirt auch noch eine Bande schäbiger, vagabondirender Tättowirer, die durch ihre Kunst beschützt, von einer feindlichen Bai zu der andern streifen und ihre Dienste der Masse zu einem Spottpreis anbieten. Diese besuchen vorzüglich alle religiösen Festlichkeiten, bei denen sich große Menschenmassen versammeln und wenn die beendet und die Plätze leer sind, ja, wenn selbst die Tättowirer ihren Abschied genommen haben, dann bleiben noch immer eine ganze Menge kleiner Zelte aus grober Tappa stehen, jedes mit einem einzigen Insassen, der mit seinem unsichtbaren Nachbar nicht reden darf, und dort residiren muß, bis er vollkommen wieder geheilt ist. Diese herumstreifenden Tättowirer sind aber ein Flecken auf ihrer Profession, eine Art Flickschuster, die nichts wie krumme Linien und Klexe auf die Haut zu bringen vermögen, und sich nie zu jener Höhe hinaufschwingen werden, wo die Gentlemen der Fakultät unübertroffen stehen.

Alle Beschützer und Verehrer der Künste lieben gemeinschaftliche Berathungen und so kommen denn auch in Hannamanoo die Tättowirer zur gemeinsamen Feier ihres religiösen Ritus zusammen. In dieser Gesellschaft, die richtig organisirt ist und auch ihre verschiedenen Grade hat, war Hardy, durch seinen Einfluß als Weißer, eine Art Großmeister. Der blaue Hai wurde das Siegel seiner Einweihung und über ganz Hivarhoo find diese Orden der Tättowirer verbreitet. Die Art, auf welche man den des Renegaten gründete, ist die folgende:

Ein oder zwei Jahr nach seiner Landung mißrieth die Brodfruchterndte zwei- oder dreimal hintereinander total, und das hatte denn natürlich auch die Folge, daß die ärmere Klasse, die kaum im Stande war ihr Leben zu fristen, gar nicht mehr daran denken konnte, sich tättowiren zu lassen, wodurch die ganze Profession unbeschreiblich litt. Der königliche Aliirte Hardy's jedoch, fiel auf ein Mittel, den armen Künstlern nicht allein zu helfen, sondern auch manchen seiner leidenden Unterthanen mit einer hübschen Zeichnung unter die Arme zu greifen.

Durch den Klang einer Kongmuschel wurde es auf dem Strande, vor dem Palast, kund gethan, daß Noomai, König von Hannamanoo und Freund des Hardy-Hardy, des Weißen, offen Herz und Tisch für alle Tättowirer, wer sie auch sein möchten, hielt. Um sich aber dieser Gastfreundschaft würdig zu zeigen, so sollten sie indessen selbst die ärmsten seiner Unterthanen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen würden, so herstellen, daß sie sich anständiger Weise vor jedem Menschen und Bewohner der Insel, sehen lassen konnten.

Dieser Aufruf blieb nicht erfolglos. Künstler und Tättowir-Verlangende eilten in Massen zum königlichen Palast, der indeß für alle, nur nicht für die Tättowirer und Häuptlinge tabotirt war. Das Volk bivouakirte indessen auf der Gemeindewiese und bildete mit seinen Zelten ein förmliches Lager.

Die »Lora Tattoo« oder die Zeit des Tättowirens wird wohl noch lange auf dieser Insel im Andenken bleiben. Ein enthusiastischer Sitzer feierte auch jene merkwürdige Begebenheit durch Poesie, von der uns Hardy mehrere Strophen citirte, die recitativartig gesungen wurden. Uebersetzt würden sie etwa folgendermaßen lauten:

»Wo ist der Klang?
In Hannamanoo
Und weshalb der Klang?
Der Klang von hundert Hämmern
Die klopfen, klopfen, klopfen
Die Haifischzähne.« Der färbende Stoff wird in die Zeichnung vermittelst eines Haifischzahns gebracht. Dieser ist an dem einen Ende eines kurzen Stocks befestigt, der an dem andern durch einen kleinen hölzernen Hammer geschlagen wird.

»Wo ist das Licht?
Um des Königs Haus herum
Und das Gelächter?
Das leise fröhliche Lachen
Die Töchter und Söhne sind's der Tättowirten.«


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