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Schefakas Geheimnis

»Chodeh t'aves-schkeht; aaleïk ßallam, u rahhmeht Allah – Gott bewahre mich; der Friede und die Barmherzigkeit des Herrn sei mit dir!«

Melef, der Anführer der Schirwani-Kurden, zu dem ich diese Abschiedsworte sprach, reichte mir die Hand von seinem Schimmel herüber. Der dünne Bart zuckte um seine schmalen Lippen, und die Haut seiner Augenwinkel legte sich in Fältchen, die mir so wenig gefallen hatten.

»As kolahme tah; bu kalmehta ta siuh taksihr nakehm; atina ta, Anschiallah, kheïra – ich bin dein Diener; ich spare nichts, um dir zu dienen; gebe Gott, daß dein Besuch ein glücklicher sei!« antwortete er.

Dabei drückte er mir freundschaftlich die Hand, und ein Seitenblick sagte seiner Begleitung, daß auch sie sich jetzt verabschieden sollte.

»Chodeh schogoletah rast init – Gott stehe dir in deinem Vorhaben bei. Chodeh es-sch tah raschibith – Gott sei zufrieden mit dir. Chodeh dauleta ta masen beket – Gott vermehre deinen Reichtum, Ssallam aaleïk, jahrimen ahsis – Friede sei mit dir, mein teurer Freund!«

Diese und ähnliche andere Rufe erklangen um mich her, während sich gegen zwanzig Hände bemühten, meine Rechte zu drücken. Es war Kurmandschi, und so schwierig wie ihre Mundart war mir auch ihr Wesen während meines viertägigen Aufenthalts bei den Kurden vorgekommen. Ich war froh, ihnen mit heiler Haut entgehen zu dürfen, und kürzte daher den Abschied soviel wie möglich ab.

Ich reichte die Hand im Kreis herum. Mein Hadschi Halef Omar tat das auch, und dann ritten wir davon, begleitet von einem Reiter, der uns auf dem besten Weg über den Großen Sab hinüber zu den oberen Sebari-Kurden bringen sollte.

Dieser Führer war seltsam gekleidet. An seinem roten Kuhlik Mütze aus Filz von Ziegenhaaren waren lange Lederstreifen befestigt, die ihm wie die Beine einer riesigen Spinne über das Gesicht und den Nacken herabhingen. Die weite Hose war schwarz und gelb gestreift. Zwei um die nackten Füße gebundene Lederstücke bildeten die Schuhe. Ein grün und weiß gewürfeltes Kleidungsstück, halb Weste und halb Rock, bedeckte seinen Oberkörper, und aus den Achsellöchern dieses Gewandes ragten zwei braune, haarige Arme hervor, die einem Menschenaffen anzugehören schienen. Der Mann hatte ein offenes Gesicht und ehrliche Augen, mit denen er mich von Zeit zu Zeit eingehend zu mustern schien.

»Sihdi«, fragte Hadschi Halef, nachdem wir wohl eine halbe Stunde lang schweigsam dahingeritten waren, »was heißt Spitzbube auf Kurdisch?«

»Herambas.«

»Dann ist jeder dieser Kurden ein Herambas.«

»Sprich leise!«

»Warum, Sihdi! Damit der Kurde mich nicht hört? Selbst wenn er arabisch reden könnte, würde er doch meine Mundart nicht verstehen, denn ich spreche jetzt mit Absicht die Sprache der Moghreb Nordwest-Afrika, und diese ist hier fremd. Alle Kurden sind Räuber. Gott ist allwissend, und er weiß, daß vom Anführer der Schirwani nichts Gutes kommen kann. Hast du seine schiefe Nase und seine spitzen Augen gesehen? Seine Seele ist wie die eines Fuchses.«

»Ich weiß es, Halef. Wir haben nichts mehr mit ihm zu schaffen.«

»Hamdulillah – Preis sei Gott, daß wir fort sind von ihm! Aber hast du bemerkt, daß vor unserem Aufbruch zwei Reiter das Dorf verließen?«

»Nein. Macht dir dieser Umstand Angst?«

»Angst, Sihdi? Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Ich habe dir doch stets treu und tapfer gedient, war mit dir in der Sahara, in Maßr Arabischer Name für Ägypten, im Belad el Arab, in Mossul, bei den Teufelsanbetern und gar bei den Skipetaren und ich bin in keiner Gefahr von deiner Seite gewichen. Hast du jemals bemerkt, daß ich Angst gehabt habe?«

»Nein. Mein wackerer Halef hat sich niemals gefürchtet.«

Er zwirbelte seinen Schnurrbart, der links aus wenigen und rechts aus etlichen Haaren bestand, sehr selbstgefällig in die Luft hinaus, schob den Turban aus der Stirn, richtete seine kleine, schmächtige Gestalt möglichst hoch im Sattel auf und lockerte seine silberbeschlagenen Pistolen. Nach dieser auf Eindruck berechneten Einleitung meinte er:

»Du sagst die Wahrheit, Sihdi. Du bist der weiseste Mann und der größte Krieger des Abendlandes; du hast eine starke Büchse, um den Löwen, den schwarzen Panther und den Bären zu töten. Du hast ferner eine Flinte, aus der du viele Kugeln schießen kannst, ohne zu laden, du hast auch zwei kleine Pistolen, die sechsmal losgehen in einer Minute. Ich aber bin dein Freund und Beschützer Hadschi Halef Omar, und unter meiner Obhut bist du sicher gewesen wie unter dem Schirm Allahs und des Propheten. Ich werde auch heute über dich wachen, daß der Feind kein Haar deines Hauptes zu krümmen vermag.«

»Das erwarte ich«, erwiderte ich ernst, obgleich ich ein kleines Lächeln kaum zurückzuhalten vermochte.

Mein kleiner Halef schnitt nämlich gern ein bißchen auf, aber ich wußte dennoch, daß ich mich in jeder Beziehung auf ihn verlassen konnte.

Er öffnete wieder den Mund, um die Verherrlichung seiner selbst fortzusetzen, als er von unserem Begleiter unterbrochen wurde.

Wir hatten nämlich das Schirwani-Dorf beim ersten Tagesgrauen verlassen und waren von seinem Gebieter eine Strecke weit begleitet worden. Nun hatte sich der Osten allmählich mehr gelichtet, und jetzt schoß der erste Strahl der aufsteigenden Sonne an uns vorüber, um die Fluten des Sab mit glänzenden Lichtern zu überschütten. Da sprang unser Führer vom Pferd, kniete mit gen Morgen gerichtetem Angesicht nieder und rief mit ausgebreiteten Armen:

»Ia Schems, ia Schems, ia Schems – o Sonne, o Sonne, o Sonne!«

Er blieb knien, bis die feurige Kugel sich vollständig über dem Sehkreis erhoben hatte. Dann stieg er wieder auf. Ich war überrascht gewesen und wandte mich jetzt fragend an ihn:

»Du bist ein Jesidi Teufelsanbeter

»So nennt man uns, o Herr«, erwiderte er, und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Nun möchtest du dich mir wohl nicht länger anvertrauen?«

»Wie kommst du zu dieser Frage?«

»Hast du nie gehört, wie schlimm die Leute von uns sprechen?«

»Ich habe es oft gehört, aber ich vertraue mich dir dennoch an. Ich habe unter den Jesidi mehr gute Menschen gefunden als unter den Anhängern Mohammeds, und ihre Scheiks und Kawals sind meine Freunde geworden.«

Er blickte überrascht auf.

»Chodih, du kennst die Obersten und Prediger der Jesidi?«

»Ja. Ich war zum großen Fest in Baadri und Gast in Scheik Adi Siehe Karl May, Gesammelte Werke, Band 2, »Durchs wilde Kurdistan«

»Verzeih, o Herr. Zum großen Fest wird kein Mohammedaner zugelassen.«

»Ich bin ein Christ. Aber Hadschi Halef ist ein Merd el Islam und wurde dennoch zugelassen.«

Ich sah die ungläubige Miene des Jesidi und zog meinen Melek Ta'us Wörtlich: König Pfauhahn hervor, den ich unter dem Gewand an einer Schnur um den Hals hängen hatte. Kaum erblickte er die kleine Gestalt, so rief er unter dem Zeichen des größten Erstaunens:

»Der Melek Ta'us, den nur die besten Vertrauten des Mir Scheik Khan erhalten! Herr, wenn du wirklich ein Christ bist, so ist dein Name Kara Ben Nemsi Effendi!«

»So hat man mich in diesem Land genannt.«

»Du bist also der Fremdling, der mit den Unsrigen damals gegen die Soldaten des Müteßarrif von Mossul gekämpft hat?«

»Ja. Beim Abschied gab mir der Mir Scheik Khan den Melek Ta'us als Erkennungszeichen, wenn ich der Dienste eines Jesidi bedarf.«

»Chodih, ein jeder Jesidi wird bereit sein, sein Leben für dich zu lassen, wenn er dieses kostbare Zeichen erblickt. Befiehl, was ich für dich tun soll, ich tue alles!«

»Ich wünsche von dir nur, daß du mich sicher zu den Sebari-Kurden bringst.«

»Dies wird geschehen, o Herr. Hier ist der Große Sab, und dort liegt ein Kellek Floß aus aufgeblasenen Ziegenhäuten am Ufer, das uns über das Wasser tragen wird.«

»Wem gehört das Floß?«

»Der Malkoegund Dorfälteste hat es gebaut, doch jeder Bewohner kann es benutzen.«

»Kein anderer?«

»Keiner.«

»So sind es also Dorfbewohner gewesen, die vor uns hier übergefahren sind.«

»Heute?«

»Ja. Sieh hier die frischen Spuren von zwei Pferden! Hier rechts hat das Kellek gelegen, und da sind die Reiter abgestiegen. Die feuchten Halme haben sich fast wieder aufgerichtet, sie wurden vor vielleicht einer Stunde niedergetreten. Was haben die zwei da drüben zu schaffen? Der Fluß bildet hier die Grenze. Sie können also nur zu den Sebari-Kurden sein. Warum sind diese Leute dann nicht mit uns geritten?«

»Chodih, es werden Männer eines anderen Dorfes sein oder Angehörige eines anderen Stammes, die das Floß fanden und benutzten.«

»Nein, es sind zwei Männer eures Dorfes. Mein Gefährte hat sie beobachtet, als sie fortritten.«

Er blickte nachdenklich vor sich hin und legte dabei unwillkürlich die Hand an den Griff des Messers, das seine einzige Waffe bildete.

»Herr«, meinte er dann mit einem aufrichtigen Aufschlag seiner Augen, »ich weiß nichts davon. Vertraust du mir wirklich?«

»Ja, vollständig.«

»Es ist möglich, daß du dich in Gefahr befindest, denn Melef liebt die Untreue mehr als die Treue. Ihr tragt bei euch kostbare Waffen und auch andere Dinge, die hier nie zu sehen und zu kaufen sind. Solange ihr seine Gäste wart, durfte er euch nichts nehmen. Jetzt aber kann er tun, was ihm beliebt.«

»Und was wird das sein?«

»Melef wird den Anführer der Sebari benachrichtigt haben, euch die Gastfreundschaft zu versagen, und beide werden sich in das teilen, was ihr bei euch führt.«

»In diesem Fall ist Melef nicht in das Dorf zurückgekehrt, sondern er wird uns heimlich folgen.«

»Das glaube ich auch. Was wirst du tun?«

»Ich werde mich überzeugen, ob wir richtig vermuten, und, wenn das der Fall ist, dich zurücksenden.«

»Chodih, das wirst du nicht tun!«

»Ich werde es dennoch tun. Melef ist dein Herr, du darfst nichts unternehmen, was gegen seinen Willen ist.«

»Er soll mein Herr nicht länger sein. Ich hasse diese Kurden. Ich wollte sie schon längst verlassen und nach Westen gehen, aber sie hätten mich nicht fortgelassen.«

»Und die Deinen?«

»Chodih, ich habe weder Vater und Mutter noch Weib und Kind. Ich besitze nichts außer dem, was du hier bei mir siehst, das Pferd gehört Melef. Ich will nach Baadri zu Mir Scheik Khan. Nimm mich mit dir, Chodih, und ich werde es dir danken, solange ich lebe!«

»Ich weiß, daß du beinahe als ein Sklave betrachtet wirst und dich sehr unglücklich fühlen mußt, aber ich kann über deinen Wunsch erst später entscheiden. Kannst du schwimmen?«

»Ja, Herr. Soll ich das Kellek herüberholen?«

»Nein. Ihr schwimmt jetzt an das andere Ufer und versteckt euch drüben hinter das Tschinar- und wilde Biehgestrüpp Ahorn- und Weidengestrüpp. Unterdessen reite ich zurück, um zu erkunden, ob der Anführer der Schirwani uns folgt. Vorwärts!«

Die beiden lenkten ihre Pferde ins Wasser, und ich kehrte um. Im Trab erreichte ich die nächste Höhe, von der wir gekommen waren, und von hier aus erkannte ich allerdings Melef mit seinen sämtlichen Schirwani-Kurden, die soeben oberhalb meines Standorts in eine Schlucht einlenkten. Sie hatten einen Bogen geschlagen, um uns verborgen zu bleiben. Wenn auch ich von ihnen unbemerkt bleiben wollte, durfte ich keine Zeit verlieren. Ich ritt im Galopp wieder dem Fluß zu und nahm, als mein Hengst ins Wasser ging, die Waffen hoch empor, um sie vor der Nässe zu schützen.

»Chodih«, rief mir der Jesidi entgegen, »verfolgen sie uns?«

»Ja.«

»So sind wir verloren.«

»Inwiefern?«

»Blick hier empor!«

Er deutete auf den Höhenzug, der auf dieser Seite des Sab das Flußtal begrenzte. Ich erkannte einen Trupp von vielleicht dreißig Reitern, die von dort uns entgegenkamen.

»Sind es Sebari-Kurden?«

»Ja, Herr.«

»Ich denke, die beiden Schirwani können das nächste Lager der Sebari noch gar nicht erreicht haben!«

»Sie müssen zufällig auf diesen Emdscherg Kriegstrupp gestoßen sein. Man hat uns erblickt. Was befiehlst du, Herr?«

»Kennst du einen sicheren Weg über die Tura Ghara-Berge nach Akra oder zu den Quellen des Akraflusses?«

»Ja. Was willst du dort?«

»Ich will diese Landschaft kennenlernen. Wir müssen uns hier rechts wenden, und dann, glaube ich, können wir entkommen.«

»Wir können den Feinden nicht entgehen, Herr, denn das Tal ist dort von Felsen verschlossen, die bis an das Wasser reichen. Kein Pferd kann sie erklimmen.«

»Gut, so reiten wir den Männern entgegen.«

»Und dann?«

»Was dann zu tun ist, wird sich finden. Auf alle Fälle wirst du dich friedlich verhalten. Du bist zwar unser Führer, aber nicht ein Feind von ihnen. Dir wird nichts geschehen.«

»Herr, seit ich weiß, daß du den Melek Ta'us hast, bin ich ihr Hemscher Freund, Gefährte nicht mehr. Ich werde mit dir gegen sie kämpfen, wenn es nötig ist.«

»Das verbiete ich dir! Du bist, wie ich sehe, ein wackerer Mann, aber dein Messer kann uns nichts nützen.«

»So gib mir eine deiner Waffen!«

»Du weißt nicht, wie diese Waffen zu gebrauchen sind.«

»So tue, was du willst. Ich aber schwöre dir beim Heiligtum von Adi, daß ich nicht von deiner Seite weichen werde!«

Der brave Jesidi war trotz meiner vorher ausgesprochenen Worte und trotz seines einfachen Messers ein nicht zu unterschätzender Verbündeter. Er hatte Mut und mußte, nach seinen muskelstarken Affenarmen zu urteilen, wahre Bärenkräfte besitzen. Wir drei hatten dreißig Kurden vor und zwanzig hinter uns.

Die Lage war also keineswegs angenehm, aber unsere Waffen waren ihnen überlegen, und überdies war es noch nicht erwiesen, ob ihre Gesinnung gegen uns feindselig war.

Wir ritten also auf die Höhe zu, den Sebari-Kurden entgegen. Als sie das bemerkten, hielten sie an und bildeten einen Halbkreis, in dessen Mitte sich der Anführer befand. Er trug nach kurdischem Gebrauch einen riesigen Turban, ein türkisches Gewand, das von einem ledernen, mit Silberplatten verzierten Gürtel zusammengehalten wurde, und darüber ein Aba Weiter Kaftan von rot- und schwarzgestreiftem Muster. Im Gürtel hatte er ein Messer und eine alte Pistole stecken, und quer über dem Sattelknopf hielt er eine lange persische Flinte, die nicht den geringsten Eindruck auf mich zu machen vermochte. Seine Begleiter waren ähnlich gekleidet und trugen meist Luntenflinten oder lange Bambuslanzen.

Ein Blick zurück überzeugte mich, daß auch die Schirwani das jenseitige Ufer erreicht hatten.

»Sind die beiden Boten deines Gebieters bei den Sebari?« fragte ich den Teufelsanbeter.

»Nein, Herr. Sie haben sich wohl zurückgehalten, um sich nicht zu verraten.«

Jetzt hatten wir uns dem Halbkreis bis auf zwölf Pferdelängen genähert, und ich hielt an.

»Sabah 'l kher – guten Morgen!« grüßte ich den Anführer.

»Chodeh t' aves-schkeht – Gott bewahre dich!« erwiderte er zweideutig. »Wer bist du?«

»Wer ich bin, das hast du von den zwei Männern gehört, die dir Melef gesandt hat; wer aber bist du?«

Er schien ein wenig verlegen zu werden, faßte sich aber schnell und entgegnete:

»Wer hat hier das Recht, zu sagen ›tu ki-e – wer bist du?‹ – du oder ich?«

»Nur ich allein, denn du kennst wohl mich, nicht aber ich dich!«

Ich sprach diese Worte mit fester Stimme und spielte dabei mit meinem Henrystutzen. Ich hatte den Schirwani-Kurden bewiesen, daß dieses mehrschüssige Gewehr eine gefährliche Waffe sei, und war überzeugt, daß die Boten die Sebari besonders auf unsere Gewehre aufmerksam gemacht und sie davor gewarnt hatten. Der kleine Versuch machte wirklich den gewünschten Eindruck, denn der Mann antwortete:

»Ich bin der Malkoegund jenes Lagers, das drüben hinter den Bergen liegt, und werde Scheri Schir Held Löwe genannt.«

»So hast du einen herrlichen Namen, denn ein Held ist gastfrei und der Löwe stark und ohne Falsch. Melef wird dich benachrichtigt haben, daß ich als Gast in dein Jilack Sommerwohnung einzutreten wünsche. Ich werde dir alles bezahlen, was ich brauche, und morgen in Frieden weiterreiten.«

»Du irrst. Melef läßt mir sagen, daß du ein Giaur bist, der die Wohnung eines wahren Gläubigen verunreinigt. Du wirst unser Lager sehen, aber nur als Gefangener.«

»So erlaube mir, vorher mit Melef zu sprechen!«

Ich sah nämlich, daß die Schirwani-Kurden in das Wasser gegangen waren, und beschloß, diesen Umstand schleunig zu benutzen, um den Sebari zu zeigen, wie gefährlich unsere Waffen seien. Im Nu hatte ich mein Pferd herumgeworfen und jagte zum Fluß zurück. Halef folgte mir, hinter ihm der Jesidi und dann die Sebari. Melef war der vorderste im Wasser.

»Zurück, Gamssi Verräter«, rief ich ihm zu, »sonst wirst du Wasser schlucken!«

Melef hörte nicht auf diese Worte. Ich legte den Stutzen an. Menschenblut wollte ich nicht vergießen, aber meine erste Kugel traf sein Pferd in oder neben das Auge. Es verschwand und er mit ihm. Zwei-, drei-, sechsmal schoß ich mit gleichem Erfolg. Die sattellosen Reiter schwammen erschrocken an das gegenüberliegende Ufer zurück und die anderen besannen sich nicht lange, ihnen zu folgen. Das war in der Zeit von kaum einer Minute geschehen, während der auch Halef sein Doppelgewehr aufgenommen hatte, um mir den Rücken gegen die Sebari zu decken. Diese hielten sich jedoch in vorsichtiger Entfernung. Ich wandte mich jetzt wieder zu ihnen und an ihren Malkoegund:

»Sechs Pferde, ohne zu laden. Hast du es gesehen? Ich konnte alle erschießen, wenn ich wollte, die Pferde und auch die Männer. Ich brauche nur mein Tüfenk Flinte zu erheben, um jeden von euch von seinem Hasp Pferd zu werfen. Merkt euch das! Eure Waffen fürchten wir nicht, denn wer uns zuerst bedroht, der stirbt auch zuerst. Aber ich bin nicht als Duschmên Feind zu euch gekommen, und darum habt ihr nichts von uns zu befürchten. Ich wollte von eurem Brot essen und von eurem Wasser trinken. Da ihr aber den Hungernden und Dürstenden dieses Merhameht Barmherzigkeit, das der Prophet allen Gläubigen geboten hat, verweigert, so sollen die Hufe unserer Pferde sich von euch wenden. Allah bessere euch und eure Kinder!«

Ich war bedacht gewesen, während dieser Worte meinen Stutzen wieder nachzuladen, ein Vorgang, dessen Bedeutung die Kurden nicht kannten. Jetzt drehte ich mein Pferd rechts herum. Schnell verlegten sie mir den Weg und der Anführer meinte:

»Chodih, du bist ein großer Held und wirst mit uns kommen!«

»Nein. Ein Gefangener der Sebari werde ich nicht sein.«

»Wir werden euch nicht fortlassen.«

»Glaubst du, daß wir uns vor Kelehschan Räubern fürchten? Unsere Pferde werden uns über euch hinwegtragen. Sieh meinen Hengst an, und du wirst es glauben!«

Ich hatte die bewundernden Blicke bemerkt, die Scheri Schir kaum von dem Tier wenden konnte. Es war eigentlich gefährlich, diese offenkundigen Pferdediebe noch eigens auf dieses aufmerksam zu machen.

»Hast du den Rappen selbst gezogen?« fragte er.

»Nein. Er ist ein Geschenk.«

»Chodih, ein solches Pferd verschenkt kein Mensch!«

»Glaube, was dir beliebt!«

»Von wem hast du es?«

»Von Mohammed Emin, dem später im Kampf gefallenen Haddedihn-Scheik vom Stamm der Schammar.«

Scheri Schir fuhr im Sattel empor.

»Heißt der Hengst Rih Arabisch: Wind?« fragte er.

»Ja.«

»Herr, so bist du der Fremdling, der die Wüstenschlacht im Tal Deradsch mitgemacht hat, und dabei das beste Pferd jenseits des Flusses zum Geschenk erhielt?«

»Ja.«

»Und dieser Mann ist der Chismikar Diener, den du bei dir hattest?«

»Er ist jetzt mein Freund.«

»So erlaube, daß ich mit meinen Leuten spreche!«

»Tu es!«

Jetzt begann eine leise, eifrige Unterredung zwischen den Kurden. Ich konnte keine Silbe verstehen, beobachtete aber die Mienen scharf. Der Anführer schien seine unfreundliche Gesinnung gegen uns geändert zu haben. Er sprach seinen Männern eifrig zu und mochte sie endlich zu seiner Ansicht bekehrt haben, denn er wandte sich an mich:

»Chodih, wir haben viel davon gehört, daß die Haddedihn drei Stämme ihrer Feinde in das Tal Deradsch gelockt und darin gefangengenommen haben. Niemand wollte es glauben. Du sollst zu uns kommen und es uns erzählen.«

»Dürfen wir als eure Freunde mit euch gehen?«

»Als unsere Freunde. Ser sere men at – ihr seid mir willkommen!«

»Und die Schirwani-Kurden da drüben, die mich verraten wollten?«

»Wir haben keine Gemeinschaft mit ihnen.«

»Wo sind ihre beiden Boten?«

»Sie sind weiter unten über den Tschai Fluß zurückgegangen.«

»Sie haben nicht klug gehandelt. Hätten sie sich des Floßes wieder bedient, so wäre es uns unbekannt geblieben, daß sie zu euch gegangen waren. Reicht uns zum Zeichen der Freundschaft eure Hände, dann wollen wir mit euch reiten.«

Die Hände wurden im Kreis herumgereicht, den Jesidi aber übersah man dabei.

»Herr«, meinte der Malkoegund, »dieser Mann kehrt doch wieder zu den Schirwani zurück?«

»Er ist mir zur Begleitung gegeben und wird bei mir bleiben, solang es ihm gefällt.«

»Aber er ist kein Gläubiger. Er betet den Scheïtan an und wird in der Hölle braten.«

»Be Chodera dschen'et u dschehen'eme tschebuhn – Paradies und Hölle sind durch Gott geworden. Er allein kann bestimmen, wer in die Seligkeit oder in die Verdammnis geht. Dieser Mann ist jetzt mein Gefährte, und ich bin euer Freund, so ist auch er es. Reicht ihm die Hände, wenn ihr nicht wollt, daß ich fern von euch bleibe!«

Ich verlangte sehr viel von ihnen. Ich tat es, um dem braven Jesidi zu beweisen, daß ich ihm freundlich gesinnt sei, und die Kurden gehorchten meiner Forderung, wenn auch mit finsteren Mienen. Dann setzten wir uns in Bewegung. Scheri Schir ritt an meiner Seite voran, dann folgte Hadschi Halef Omar mit dem Jesidi, und hierauf kamen die Kurden, die einen ordnungslosen Schwarm bildeten. Doch hatte ich während des ganzen Rittes die Hand am Revolver, und auch Halef hielt sein Pferd stets tunlichst in schrägem Gang, um ein wachsames Auge rückwärts auf die Sebari haben zu können.

Einen gebahnten Weg gab es nicht. Wir ritten über Steingeröll dem westlichen Höhenkamm zu. Dort hielt ich mein Pferd unwillkürlich an, um die mir hier gebotene Rundschau zu genießen. Im Osten und Südosten erhoben sich die Berge von Sidaka und Pir Hasan, zwischen denen Rewandus liegt, im Süden des Gara Surgh-Gebirge. Im Norden ragten die Höhen von Bas und Tkhuma, im Westen die Zacken des Tura Ghara und der Dschebl Haïr empor. Drüben lag auch Akra, wohin ich wollte.

Wir ritten über eine kleine Hochebene hin und lenkten dann talabwärts ein. Bisher hatten wir nur niedriges Gesträuch getroffen, bald aber wuchsen die einzelnen Büsche zu hohen Baumgruppen empor. Da gab es wilde Esschir-, Eruk- und Judschasbäume Feigen-, Pflaumen- und Pomeranzenbäume, Gu'is-, Tschinar- und Tu-Bäume Nuß-, Ahorn- und Maulbeerbäume, um die sich fruchtbare Tri- oder Kundureben Wein- und Melonenreben rankten, Dari seitun-, Dari beru- und Dari benk-Bäume Oliven-, Eichen- und Terpentinbäume wirr durch-, unter- und nebeneinander. Und nun öffnete sich auch ein Weg, der so breit war, daß zwei Pferde nebeneinander gehen konnten. Später führte er über saftige Matten und zwischen sumpfigen Flächen hindurch, bis er an einem breiten, rauschenden Bach wieder emporstieg.

Bis hierher hatten wir uns alle schweigsam verhalten. Meine Gedanken waren auf die Gefahr gerichtet, in der wir uns bei jedem Schritt befanden. Mit drei Schüssen oder drei guten Speerwürfen konnten die hinter uns reitenden Kurden uns töten. Aber sie mußten es meiner Haltung ansehen, daß dann wenigstens auch ihr neben mir reitender Malkoegund verloren sei. Der tat, als bemerke er den Revolver gar nicht, den ich längst aus dem Gürtel genommen hatte, und fragte mich nun nach langer Stille:

»Dein vollständiger Name ist Kara Ben Nemsi Effendi?«

»Ja. Wer hat ihn dir genannt?«

»Die beiden Schirwani. Du bist der Fremdling vom Tal Deradsch. Du sollst Löwen geschossen haben, ganz allein und mitten in finsterer Nacht?«

»Ja, mit der Büchse, die du hier auf meinem Rücken siehst.«

»Warum führst du zwei Gewehre bei dir?«

»Das große ist für gewaltige Tiere und weite Entfernungen. Das kleinere nehme ich, wenn der Feind zahlreich und nahe ist. Ich brauche es nicht zu laden.«

»Solche Waffen gibt es bei uns nicht. Dein Volk muß sehr klug sein. Du sollst bei mir sitzen und mir erzählen von fernen Ländern und von allem, was du erfahren hast. Siehst du die Häuser dort rechts hoch oben am Berg?«

»Ich sehe sie.«

»Das sind unsere Jilacks, in denen wir noch wohnen. Die Hitze des Sommers ist schon vorbei.«

»Du bist der Malkoegund deines Dorfes. Hast du die Macht, einen Fremdling gegen die Deinen zu schützen?«

»Ich habe sie«, antwortete Scheri Schir stolz, doch schien mir seine Stimme ein wenig unsicher zu sein.

Zugleich gab er seinem Pferd den Schenkel, so daß es rascher ausgriff als bisher. Es schien mir, als wollte er ähnlichen Fragen ausweichen.

Um vom Sab bis hierher zu gelangen, hatten wir fast zwei Stunden gebraucht. Nach zehn Minuten sah ich einen Verhau von starken Stämmen, der sich quer über den Weg rechts und links in den Wald hineinzog – wir hatten das Dorf erreicht. Auf einen lauten Ruf des Malkoegund öffneten sich die schmalen Verhaue, durch die wir einzeln einreiten konnten, und nun erblickte ich eine Lichtung, die sich fast bis zur Spitze des Berges emporzog. Auf ihr standen regellos die Hütten des Dorfes, die eigentlich besser Blockhäuser zu nennen waren. Die bedeutendste von ihnen glich einer kleinen aus Baumstämmen errichteten Festung. Auf sie ritten wir zu.

Es war ein eigentümliches Gefühl, das mich dabei beschlich. So wie mir mußte es einer Maus in der Falle zumute sein. Am liebsten wäre ich gleich wieder umgekehrt. Wie ich später hörte, war das Dorf von ungefähr dreihundert Seelen bewohnt, und alle, Männer, Frauen und Kinder, kamen jetzt herbeigeeilt, um den seltenen Fang, den die Ihrigen gemacht hatten, in Augenschein zu nehmen.

»Das ist mein Hani Haus«, meinte der Malkoegund, indem er vom Pferd stieg. »Tretet mit mir ein!«

»Sage mir zuvor, daß ich dein Mivan Gast bin!«

»Habe ich dich nicht schon meinen Freund genannt?«

»Ist bei den Sebari-Kurden Gast und Freund das gleiche?«

Scheri Schir runzelte die Brauen.

»Ich bin dein Freund, das ist genug. Tritt ein!«

Ich erkannte, daß ich mich allerdings in einer Falle befand; aber was tun? Wir waren von zahlreichen Menschen umgeben, und selbst wenn wir uns mit unseren Waffen Raum verschafft hätten, so war der Verhau so hoch, daß es höchstens meinem Hengst geglückt wäre, darüber hinwegzusetzen. Halef und der Jesidi hätten zurückbleiben müssen. Und wenn wir einen Kurden töteten, so hätten wir selbst im Falle eines glücklichen Entkommens die ganze Meute hinter uns behalten. Mit der Blutrache ist zwischen diesen wilden Bergen nicht zu scherzen. Gewalt war also nicht am Platz, aber Furcht zu zeigen wäre ein ebenso großer Fehler gewesen.

»Wohl dir, wenn sich dein Wort bewährt«, antwortete ich. »Schreite voran!«

Ich stieg ab und nahm meinen Rappen beim Zügel. Meine beiden Begleiter folgten meinem Beispiel.

»Die Pferde bleiben im Freien«, meinte Scheri Schir. »Es ist im Haus kein Platz für sie.«

Ohne die Tiere wären wir hilflos gewesen. Bevor ich meinen Rappen verließ, hätte ich ein Dutzend Kurden angeschossen.

»Die Pferde bleiben bei uns«, entgegnete ich. »Vorwärts!«

Ich schob Scheri Schir zur Seite und trat in das Haus, meinen Rih hinter mir herziehend. Halef und der Jesidi folgten mir. Das Erdgeschoß des Gebäudes glich so ziemlich einer deutschen Scheune mit Tenne und Bansen. Es war in zwei gleich große Abteilungen geschieden, von denen die zur rechten Hand als Versammlungs- und Beratungsort, die zur linken aber als Wohnraum zu dienen schien. Kleine, rechteckige Löcher ohne Glas vertraten die Fenster. Einen Hof konnte es nicht geben, da ich weiter keine Tür bemerkte. Die beiden Abteilungen waren durch ein dünnes Flechtwerk voneinander getrennt. Im Hintergrund führte eine Art Leiter zum niedrigen Dachraum empor. Kein Zweifel, dieser Jilack war eine rechte Mausefalle. Drinnen waren wir, das übrige mußte abgewartet werden.

Die erste Person, die ich im Innern des Gebäudes erblickte, war ein junges Kurdenweib. Sie trug eine türkische Hose, die über den feinen Knöcheln zugefältelt war und ein kleines, in Pantoffeln steckendes Füßchen sehen ließ. Eine blaue, gestickte Miederweste umschloß den Oberkörper, und darüber fiel ein vorn offener Kaftan bis über das Knie herab. Das schwarze Haar war in schwere Flechten geordnet, in denen Gold- und Silbermünzen glänzten. Die Frau war sehr schön, am allerschönsten aber war das große himmelblaue Auge, das sie halb neugierig und halb besorgt auf mich richtete. Auf dem Arm trug sie ein allerliebstes Mädchen, das die gleichen blauen Augen wie die Mutter hatte. Hinter ihr erhob sich ein junger Kurde vom Boden. Die Ähnlichkeit sagte mir, daß er ein Sohn von Scheri Schir sein müsse. Er war der Mann des schönen Weibes.

»Ni' vro'l ker – guten Tag!« grüßte ich.

Beide neigten schweigend die Köpfe als Antwort.

»Sselâm aleïkum!« grüßte Halef arabisch. Das Kurdische war ihm nicht geläufig.

»Aleïkum es ßelâm!« antwortete schnell die Frau.

Halef machte ein freudig überraschtes Gesicht. »Wie? Du sprichst die Sprache des Koran?« fragte er.

»Ja«, antwortete sie.

»Hamdullilah – Preis sei Gott, denn nun brauche ich nicht stumm zu sein!«

»Wer bist du?« erkundigte sie sich.

»Wisse, du Rose dieses Tals, du Stern dieses Jilack, daß ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der Begleiter und Beschützer dieses großen Helden, der hier vor dir steht. Wir haben viele Taten verrichtet und große Abenteuer überwunden. Dann sind – – –«

»Führt eure Pferde nach hinten!« unterbrach ihn die scharfe Stimme des Hausherrn, der hinter uns eingetreten war.

Zugleich fing ich einen Wink auf, mit dem er den Seinen bedeutete, uns nicht mit übermäßiger Freundlichkeit zu überschütten.

Daher sagte ich ihm ebenso scharf:

»Scheri Schir, du wirst dafür sorgen, daß diese drei Tiere Wasser und Futter erhalten. Aber merke dir, mein Gefährte wird jeden Kurden niederschießen, der es wagt, eins von ihnen anzurühren. Ich selbst werde als Gast deine Wohnung betreten, um mich auszuruhen.«

Nach einigen kurzen Weisungen an Halef trat ich links in den Wohnraum. Auf dem festgestampften Erdboden lagen längs der Wände dicke Stroh- und Binsenmatten, und in der Mitte der Hauptwand zeigte sich eine Erhöhung, die mit einem Teppich belegt war. Das war jedenfalls der Ehrensitz, und ich zögerte keinen Augenblick, ihn einzunehmen. Meine beiden Gewehre dicht neben mich legend, ließ ich mich in jene Stellung nieder, die der Türke Rahat otturmak, Ruhen der Glieder, nennt.

»Erlaube, daß ich dir deine Waffen aufbewahre!« sagte der Hausherr, der mir mit seinem Sohn und dessen Frau gefolgt war.

»Ein Se'idvar Jäger, Schütze trennt sich nie von seinen Waffen«, antwortete ich ihm, »ganz so, wie ein Suar Reiter nie von seinem Pferd. Wer mein Tier oder eine meiner Waffen anzutasten wagt, der ist des Todes. An dieser Vorsicht trägst nur du die Schuld.«

»Warum?«

»Du hast nicht die Pflicht eines Freundes erfüllt, mich in deinem Hani willkommen zu heißen. Du zwingst mich, dich und deine Sebari als Leute zu betrachten, die mir verdächtig sind.«

»Ich bin dein Freund, denn ich werde dir nur zu solchen Dingen raten, die geeignet sind, dein Leben zu erhalten.«

»Ah, jetzt wirst du deutlich! Ich sage dir, daß Kara Ben Nemsi Effendi deines Rates nicht bedarf. Mein Leben steht in Gottes Hand. Er hat mir diese Waffen gegeben, es zu verteidigen. Hier stehen Krüge mit Wasser, und da liegt Brot genug auf viele Tage. Soll ich dir eine Kugel geben und dann dein Haus als Festung benutzen, von der aus es mir leicht sein wird, deine Sebari der Reihe nach zur Dschehenna zu senden?«

»Auch wir haben Waffen!«

»Sei still, sie taugen nichts! Die meinigen aber fehlen nie, und ehe du nur den Finger bewegst, würdest du zu deinen Vätern versammelt sein. Wer ist dieser junge Krieger?«

»Mein Sohn.«

»Und dieses Weib?«

»Es ist seine Frau.«

»So sieh zu, daß du nicht auch sie in das Verderben führst. Ich bin kein Kur'o Knabe, der mit sich scherzen läßt.«

»Chodih, ich kann nichts tun, ohne vorher meine Männer gefragt zu haben.«

»Dann hast du mir da unten im Tal die Unwahrheit gesagt. Höre, was ich beschlossen habe: dieses Haus gehört jetzt mir. Nur du, dein Sohn und dessen Weib dürfen es betreten. Der Eingang liegt offen vor meinen Augen. Jeden anderen, der einzutreten wagt, werde ich niederschießen. Du und die Frau, ihr könnt frei ein- und ausgehen. Dein Sohn aber bleibt hier in diesem Raum, und bringst du mir bis zur Zeit, in der die Sonne am höchsten steht, nicht die Nachricht, daß ich dein Gast bin, so erschieße ich ihn. Sieh, ich habe die Büchse in der Hand – – –«

Scheri Schir wollte mich unterbrechen, ich aber erhob mich und winkte ihm Schweigen zu.

»Still! Gehe jetzt, oder bei Chodeh, dem Allwissenden, sagst du noch ein einziges Wort, so schieße ich euch beide nieder!«

Es ist richtig, mein Verhalten war gewagt, aber ich habe nie zu denen gehört, die meinen, der Reisende müsse demütig und nachgiebig durch die Völker schleichen. Die Pflicht gegen die Heimat und das Volk, dem man entstammt, erfordert, daß man sich als Mann benimmt. Man muß den richtigen Scharfblick besitzen, um zu unterscheiden, ob der Mut oder die List, das Messer oder – der Geldbeutel zum Ziel führen werde. Ich hatte mich hier nicht verrechnet. Der Dorfälteste starrte eine Weile wortlos in die Mündung meines auf ihn gerichteten Gewehrs. So etwas war ihm noch niemals vorgekommen, er fürchtete sich.

»Herr, ich gehe!« sprach er endlich, wandte sich um und verschwand.

Jetzt war ich überzeugt, daß ich das Spiel gewinnen würde. Ich richtete die Mündung meiner Waffe jetzt auf den Sohn und befahl ihm:

»Setze dich in jene Ecke!«

Er blieb mit trotzigem Angesicht stehen, und sein Auge schweifte suchend über die Wand hinter mir, an der die Waffen hingen.

»Ich zähle bis drei«, fügte ich hinzu, »Eins – – zwei – –«

Da drehte er sich langsam um und ließ sich an der bezeichneten Stelle nieder. Die junge Frau stand noch vor mir. Ihr Gesicht war leichenblaß, und in ihren Augen zitterte es angstvoll.

»O Chodih, willst du uns wirklich töten?« fragte sie leise.

»Allah jihfasak – Gott schütze dich!« erwiderte ich ihr arabisch. »Ein Krieger tötet kein Weib.«

»Aber Hamsa Mertal, meinen Mann, wirst du umbringen?«

»Ja, wenn die Versammlung der Krieger nicht beschließt, daß ich frei sein soll.«

»Kennst du die Gebräuche der Kurden, Effendi?«

»Ja.«

»Weißt du auch, daß bei ihnen ganz sicher ist, wer sich unter den Schutz der Frauen begibt?«

»Ja.«

»Soll ich dich schützen?«

»Mich, die Meinen, meine Tiere und alles, was ich habe?«

»Ja.«

»So hole das Brot!«

Sie nahm einen der runden Brotkuchen von der Matte auf, brach aus der Mitte ein Stück heraus, aß davon und gab auch mir.

»Reich mir deine Hand und komm«, meinte sie hierauf. »Ich will auch deinen Männern und Tieren geben.«

Jetzt war ich wenigstens für den Augenblick sicher. Als wir aus dem anderen Raum wieder zurückkehrten, hatte sich Hamsa Mertal aus seiner Ecke erhoben.

»Geh«, gebot ich ihm, »und sage deinem Bav Vater, was du gesehen hast! Wie heißt die Blume deines Hauses?«

Bei den Kurden spricht man ungezwungener von einem Weib als bei anderen mohammedanischen Völkerschaften.

»Schefaka Morgenröte«, antwortete er.

»So erzähle den Kriegern, daß ich unter dem Schutz der ›Morgenröte‹ stehe und meine Waffen zu den deinigen gehängt habe! Sie können euer Haus betreten.«

Ich hängte meine Waffen an die Wand, griff in den Gürtel und zog eine jener Spiegelketten hervor, die man in Paris für weniger als einen Franken kaufen kann. Ich hängte sie der schönen Kurdin um den Hals.

»Nimm, o Schefaka! Möge der Glanz deiner Wangen und der Strahl deiner Augen immer auf diese Perlen leuchten!«

Ihre Wangen röteten sich vor Entzücken.

»Effendi, ich danke dir! Du sollst bei mir wohnen so sicher wie im Schoß Ibrahims, des Erzvaters. Erlaube, daß ich dir Trank und Speise bringe, und dann magst du ruhen und deine Augen ohne Sorge schließen.«

Es geschah, wie sie gesagt hatte. Ich aß und trank und streckte mich dann zum Schlaf nieder. Als ich erwachte, herrschte tiefe Stille in dem Haus. Draußen unter den Bäumen hörte ich eine laute Stimme, die die Gläubigen aufforderte, el Asr Nachmittagsgebet zu beten. Ich hatte lange geschlafen, und niemand hatte es gewagt, meine Ruhe zu stören. Als ich die andere Abteilung betrat, lagen auch Halef und der Jesidi schlafend zwischen den Pferden. Ich ließ sie liegen, steckte die Revolver und das Messer zu mir und trat vor das Haus. Das Gebet war beendet, und viele Krieger saßen rauchend im Kreis. Meine beiden Wirte waren bei ihnen. Scheri Schir erhob sich, und die anderen mit ihm. Sie alle gaben mir die Hände, und ich mußte mich zu ihnen setzen.

»Was habt ihr über mich nun beschlossen?« fragte ich den Malkoegund.

»Die ›Morgenröte‹ leuchtet über dir«, erwiderte er. »Du bist sicher, solange du dich in unserem Dorf befindest.«

»Ich danke dir! Ich werde auch dann noch sicher sein, wenn ich morgen das Dorf verlassen habe. Sieh das erste Blatt dort an dem Eichenzweig. Sechsmal werde ich schießen, und sechs Löcher werden in einer geraden Reihe im Blatte sein.«

Ich zog den Revolver hervor und schoß. Nach dem sechsten Schuß sprangen alle auf. Das Blatt wurde abgeschnitten und ging aus einer Hand in die andere. Das Staunen dieser Männer läßt sich nicht beschreiben. Sie konnten diese Sicherheit des Schusses ebensowenig begreifen wie den wunderbaren Umstand, daß ich zu schießen vermochte, ohne zu laden. Mein Ansehen wuchs ebenso rasch wie die Furcht, die sie vor mir empfanden. Nur nach langer Verwunderung nahmen sie ihre vorigen Plätze wieder ein. Hamsa Mertal holte mir eine Pfeife, und ich mußte nun erzählen, wie ich es ja seinem Vater am Morgen versprochen hatte. Die Unterhaltung wurde erst mit dem Mogreb Gebet beim Sonnenuntergang beendet.

Nachdem die hervorragendsten Krieger zum Abendmahl eingeladen waren, kehrten wir drei ins Haus zurück. Meine beiden Begleiter waren mit dem Füttern der Pferde beschäftigt, und Schefaka erwartete uns mit dem Kahwe Kaffee. Während wir rauchten und tranken, errichtete sie aus zwei Pfählen, einer Querstange und einigen Decken eine Art spanischer Wand, hinter der sie mit dem Kind verschwand. Nach einigen Augenblicken vernahm ich ein leises Flüstern und dann die helle Stimme des kleinen Mädchens. Langsam und deutlich erklang es:

»Tisti – tut – te – täch – tig – teit – tis – tei – tuk – tun – te – ten – teit«

Was war das!? Hatte ich richtig gehört, oder ließ meine Einbildungskraft mich diesen kindlichen Stammellauten eine falsche Bedeutung geben? Kurdisch war das nicht, persisch, arabisch, türkisch auch nicht. Hatte ich nicht selbst ähnliche Laute gestammelt, in den Armen der alten lieben Großmutter, wenn sie mich zu Bett legte, als ich noch nicht reden konnte? Ich lauschte weiter. Mir wurde ganz eigentümlich zumute, der Atem und der Puls wollten mir stillstehen.

»Was tut das Kind?« fragte ich leise.

»Es betet«, erklärte Hamsa Mertal, »denn es geht schlafen.«

»Was betet es?«

»Das Gebet des Vaters meines Weibes.«

»Wo ist er? Wo lebt er?«

»Er ist tot.«

»War er ein Muslim?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht gekannt.«

»Verzeih mir! Wo nahmst du dein Weib?«

»Ich nahm sie mit, als wir bei den Abu Salman-Arabern einfielen.«

»Darf ich sie fragen?« bat ich, als in diesem Augenblick Schefaka wieder hinter dem Schirm hervortrat.

»Frage sie!«

»Sag mir, o Schefaka, was dein Liebling jetzt gebetet hat!«

»Das Gebet, das mein Vater mich lehrte«, antwortete sie errötend.

»Wie lautet es?«

»Es ist eine fremde Sprache, die ich nicht kenne. Du wirst sie auch nicht verstehen.«

»Oh, sage nur das Gebet! Schnell, schnell!«

Sie hob die Hände, senkte verwirrt die Augen und sprach, wenn auch mit fremder Betonung fehlerhaft, aber für einen Deutschen immerhin verständlich, den Reim:

»Christi Blut und Gerechtigkeit
ist mein Schmuck und Ehrenkleid.
Damit will ich vor Gott bestehn,
wann ich in den Himmel werd' eingehn.
Amen!«

Ich war aufgesprungen und hatte die Hände gefaltet. Hier in den wilden Bergen Kurdistans, mitten in einer Bevölkerung muslimischer Glaubenseiferer vernahm ich das erste Gebet meiner Kindheit, und zwar in meiner Muttersprache! Ich weiß nicht mehr, was ich in den nächsten Augenblicken getan und gesprochen habe; ich weiß nur, daß selbst die beiden Kurden voll Rührung waren, und daß Halef Omar und der Jesidi am Eingang standen und verwundert unserer Unterredung lauschten.

»Wer war dein Vater?« fragte ich endlich die ›Morgenröte‹.

»Er starb, als ich ein kleines Mädchen war und eben dieses Gebet von ihm gelernt hatte, aber der Vater meiner Mutter hat mir von ihm erzählt. Er war aus einer sehr fernen Stadt, die Pre-nis heißt, mit anderen nach Stambul gekommen, um mit ihnen die Kamantsche Violine zu spielen. Allah war ihnen nicht gnädig, und er ging mit einem Inglis nach Halep und Mossul. Der Inglis verließ ihn, und er blieb. Er wurde Dschenkdschi Soldat des Müteßarrif, und als er gegen die Abu Salman kämpfen sollte, nahmen diese ihn gefangen. Er blieb bei ihnen, und die Tochter meines Großvaters wurde sein Weib. Weiter weiß ich leider nichts.«

»Schefaka, dein Vater war aus meinem Land. Ich war oft in der Stadt, aus der er kam. Du nennst sie Pre-nis, aber sie wird dort Preßnitz genannt, und viele Männer und Frauen, viele Burschen und Mädchen gehen von dort hinaus in fremde Lande, um zu singen und allerlei Instrumente zu spielen.«

»Allah akbar – Gott ist groß!« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Du hast die Stadt meines Vaters gesehen? Du sprichst die Sprache meines Gebetes? Oh, vielleicht kannst du auch meinen Talisman lesen?«

»Welchen?«

»Der Vater meiner Mutter gab mir ihn. Er ist das einzige, was mein Vater von seinem Land und seinem Volk noch besessen hat. Es sind Linien und Punkte darauf und eine Schrift, die niemand lesen kann.«

»Zeige mir ihn!«

Schefaka trat hinter die Wand zurück. Jedenfalls trug sie den ›Talisman‹ auf ihrem Herzen. Als sie wieder hervortrat, überreichte sie mir ein Notenblatt, das vielfach zusammengeschlagen und in ein viereckiges Stück Schafleder gefaltet war. Ich öffnete es und fand – – das »Ännchen von Tharau«, in D-Dur gesetzt für vier gemischte Einzelstimmen. Soviel ich suchte, es war keine Unterschrift, kein Name zu finden.

»O Schefaka, diesen Talisman kann ich lesen, er ist in meiner Muttersprache geschrieben. Aber er muß nicht gesprochen, sondern gesungen werden. Soll ich ihn dir vorsingen?«

»Effendi, wenn du das wirklich tun wolltest!«

»So höre!«

Ich sang ihr alle Verse dieses Liedes vor. Ich habe nie so gern und mit solcher Hingebung gesungen wie jenes einfache Lied in dem Jilack Scheri Schirs. Als ich geendet hatte, stand die ganze andere Abteilung des Hauses und auch der Platz davor voller Menschen. Niemand wagte ein Wort zu sagen. Die Macht des deutschen Liedes hatte die rauhen Seelen der Kurden ergriffen, obgleich sie den Wortlaut nicht verstanden.

»O schöne ›Morgenröte‹«, fragte ich, »soll ich dir erzählen vom schönen Land, von dem guten Volk deines Vaters? Soll ich dir noch viele andere Lieder vorsingen, die er gesungen und gespielt hat auf der Kamantsche?«

Ihre blauen Augen leuchteten auf in einem freudig dankbaren Blick.

»O Effendi, tu es, und ich werde für dich beten zu Allah und dem Propheten, solange ich lebe!«

»Ja, tu es, Chodih!« bat auch Hamsa Mertal, der Mann der schönen Enkelin des deutschen Vaterlandes. »Du sollst uns die Worte dieses Talisman übersetzen und der Gast des ganzen Stammes sein, solange es dir gefällt.«

Dieser Mann und dieses Weib, sie hatten sich lieb. Wer hätte Schefaka, die ›Morgenröte‹, nicht lieben sollen! Auch der alte ›Held Löwe‹ erhob sich. Meine Hand erfassend, bat er mit lauter Stimme:

»Chodih, das Weib meines Sohnes nennt dich Effendi. Ja, du bist Kara Ben Nemsi Effendi, ein großer Gelehrter und ein tapferer Krieger, der weder Furcht noch Kleinmut kennt. Du bist würdig, unter die Sipah Streiter der Sebari aufgenommen zu werden. Du hast das Leben der Kurden geschont, obwohl sie dich verrieten und dann in deine Hand gegeben waren. In deinem Land müssen weise Denker, kühne Streiter, barmherzige Sieger und viele schöne, treue Frauen wohnen. Die Lieder deines Volkes sind sanft wie das lispelnde Blatt und mächtig wie der brüllende Löwe. Du sollst uns von diesem Land und von diesem Volk erzählen. Du sollst unser Mivan, unser Gast sein, und niemand soll ein Haar deines Hauptes krümmen. Wir verlangten nach deinem Rappen und nach euren Waffen, aber sie sollen dir bleiben, und wenn du von uns gehst, so werden wir dich begleiten weit über Berg und Tal, bis du in Sicherheit bist. Sere men – bei meinem Haupt, das schwöre ich dir!«

Seit jener Zeit sind Jahre vergangen, aber heute noch, wenn ich eine süße Kinderstimme lallen höre, denke ich an jenen Abend im Nebental des Sab. Denken auch jene Sebarikrieger, denkt jenes holde Weib zuweilen an mich? Chodeh te b'elit, ia schefaka – Gott erhalte dich, o Morgenröte!


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