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Fortsetzung 64

»Nein,« antwortete er grimmig, »da ziehe ich Faust- und Pelzhandschuhe an. Aber sagen Sie mir einmal, Fräulein, ob Sie in Niederpoyritz bekannt sind?«

Sie blickte ihn verwundert an und fragte dann:

»Wie kommen Sie zu dieser Erkundigung? Ich war noch nie an diesem Orte.«

»Aber wohl in Markneukirchen im Erzgebirge?«

»Niemals!«

»Haben Sie hier in Dresden einen pensionirten Seminardirector gekannt, der jetzt gestorben ist?«

»Nein.«

»Dieser Schuft! Dieser Schurke!«

»Wer? Der Seminardirector?«

»O nein! Der ist jedenfalls ein seelensguter Kerl gewesen. Ich meine Den, der ihn heut an den Masern hat sterben lassen.«

»Herr Schneffke, es wird Ihnen wohl immer heißer?«

»So heiß wie einem Pudding!«

Der zweite Act begann. Der Dicke sah fast gar Nichts davon. Er war von dem Portier dupirt worden; das ärgerte ihn. Noch mehr ärgerte ihn die Handschuhgeschichte. Und grad jetzt bemerkte Haller, daß ihm sein Handschuh fehlte. Er beugte sich über die Brüstung vor, da er dachte, der Glacee sei da hinabgefallen. Da machte die Vorleserin eine so auffällige Handbewegung, daß Haller sich zu ihr wenden mußte, und da deutete sie auf Schneffke's Hand, an welcher die Lederfetzen hingen. Der Dicke hätte in den Erdboden sinken mögen. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren; es war ihm, als ob er in einem Dampfbade sei.

Doch endlich, endlich ging auch dieser Act zu Ende. Haller benutzte das und flüsterte ihm zu:

»Was in aller Welt geht Ihnen denn mein Handschuh an?«

»Ein Versehen!« stammelte er.

»Unsinn! Sie haben glänzen wollen. Diese Vorleserin hat Ihnen den Kopf verdreht, so daß Sie schließlich noch Filzschuhe an die Finger stecken.«

»Halten Sie nur jetzt den Mund! Ich will – ach, Gott sei Dank, sie stehen auf! Sie gehen nach dem Foyer! Ich gehe auch!«

Die Damen hatte sich erhoben und verließen die Loge.

»Sie wollen ihnen nach?« fragte Haller.

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Wohin denn sonst?«

»Ich mache, daß ich fortkomme. Ich verschwinde; ich verdufte mich. Hier ist eine Hitze von sechsundzwanzig Grad Réaumur, und das ist für meine jugendliche Constitution zu viel. Bleiben Sie noch hier?«

»Ja. Ich brauche nicht auszureißen; ich habe ein gutes Gewissen.«

»Wohl Ihnen! Viel Vergnügen!«

Er ging und kehrte in sein Hotel zurück, wo er sich schleunigst zu Bette legte, um Hallern bei dessen Heimkehr keine Gelegenheit zu irgend welchen unangenehmen Folgen und Bemerkungen zu geben.

Dieser Letztere hatte, als die Damen vorhin in die Loge getreten waren, sich höflich verbeugt, dann aber scheinbar gar keine weitere Notiz von ihnen genommen, außer da, als Emma ihn auf den defecten Handschuh aufmerksam machte. Er blieb auch weiterhin scheinbar theilnahmlos gegen sie und beachtete sie erst am Schlusse der Vorstellung wieder mit einer Verbeugung. Als die Generalin mit der Nichte zu Hause angekommen war, sagte sie:

»Weißt Du, daß Du ein kleiner Kobold bist? Oder denkst Du, daß ich die Handschuhaffaire nicht bemerkt habe?«

»Ich interessire mich ganz außerordentlich für diesen Spinnenmaler, liebe Tante!«

»Der sein Herz an Dich verloren hat!«

»So daß er einen linken Handschuh borgt und ihn an die rechte Hand zieht. Er hält mich wirklich für Deine Vorleserin!«

»Ich interessire mich weit mehr für den Andern. Er hat das Aeußere und das ganze Wesen eines Mannes aus vornehmen Kreisen.«

»Auch als er von der Höhe herabrutschte und vor Verlegenheit die Flucht ergriff?«

»Das war ein neckischer Vorfall, welcher ihm in meinen Augen gar nichts schadet. Die Beiden sind Maler. Sie haben uns bemerkt. Sie haben beschlossen, uns zu scizziren; das Erdreich, auf welchem sie saßen, hat nachgegeben, und sie sind herabgerutscht: Dabei ist gar nichts Ehrenrühriges zu finden.«

»Aber sehr viel Lächerliches!«

»Dieser Mann hat etwas in seinen Augen, was mich wunderbar berührt. Es ist mir, als ob ich seit Jahren mit ihm bekannt gewesen sei. Er gab sich heute den Anschein, uns gar nicht zu beachten, und doch habe ich bemerkt, daß er uns weit mehr Aufmerksamkeit schenkte als der Bühne.«

»So haben wir Beide eine Eroberung gemacht, ich den Hieronymus und Du den – ach, wie mag er heißen?«

»Vielleicht erfahren wir es noch.«

»Du willst doch nicht sagen, daß Du Dich so für ihn interessirst, daß es Dich verlangt, seine Verhältnisse kennen zu lernen?«

Die Generalin schwieg eine Weile und antwortete dann:

»Ja, grad das will ich sagen. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der einen ähnlichen Eindruck auf mich gemacht hätte. Ich weiß nicht, was es ist, wodurch ich bei seinem Anblicke so tief ergriffen wurde. Eine innere Stimme sagt mir, daß ich ihn näher kennen lernen werde. Sein College ist ein Berliner; sie gehen nach Berlin; der Zufall wird es fügen, daß ich ihn dort wiedersehe. Er ist mir ein Geheimniß, ein Räthsel, von welchem ich fühle, daß ich es zu lösen haben werde.«

»Ich begreife das nicht!«

»Ich ebenso wenig. Begreift die Schwalbe den Drang, der sie zur Herbstzeit nach dem Süden zieht? Begreift der Mensch die Zuneigung, welche er für den Einen, und die Abneigung, welche er für den Anderen hegt, ohne daß diese Beiden etwas gethan haben, sich diese Sympathie und Antipathie zu verdienen? Ich verlasse morgen Dresden mit der Ueberzeugung, daß ich diesen Maler nicht zum letzten Male sehe.«

»Wann reisen wir?«

»Es war für früh bestimmt.«

»Ist nicht ein kurzer Aufschub möglich, liebe Tante?«

»Wozu? Hast Du noch etwas zu besorgen?«

»Eigentlich nicht. Ich wünsche nur, einen Spaziergang zu machen.«

»Wegen eines Spazierganges die Abreise verzögern? Jetzt bist Du es, die mir unerklärlich wird!«

»Erlaube mir, Dir das Räthsel zu lösen. Es gilt dem Andenken meines Bruders.«

»Das klingt nur noch räthselhafter!«

»Weil Du nicht weißt, daß Richardt eine Liebe hat.«

»Eine Liebe? Kind, das ist mir allerdings im höchsten Grade interessant! Richardt, der ernste Offizier, der Frauenfeind, der keine Gesellschaft besuchte und nur seinem Dienste und seinen Büchern zu leben schien? Der Heuchler!«

»Verzeihe, liebe Tante. Es hat eine eigenthümliche Bewandtniß um diese Liebe. Du weißt doch, daß er einige Zeit in dienstlichen Angelegenheiten in Dresden war?«

»Ja. Er hat ja den Auftrag zu dieser Reise von meinem Manne erhalten.«

»Nun, auf einem Spazierritte nach Blasewitz ist ihm eine Dame begegnet – –«

»In welche er sich augenblicklich verliebt hat?« fiel die Generalin ein.

»Allerdings. Es ist kaum glaublich. Sie im Wagen und er zu Pferde, sind sie schnell, gedankenschnell an einander vorüberpassirt; er hat sie nur mit einem flüchtigen Blicke gestreift, und doch ist er seit diesem Momente nicht mehr Herr seines Herzens gewesen.«

»Ja, ja, so ist die Liebe! So ging es auch mir, und so ging es auch Kunz, als wir uns in Paris zum ersten Male erblickten. So ist es auch meiner Schwester Ida und Deinem Vater ergangen. Die Liebe ist eine Macht, welcher Niemand zu widerstehen vermag. Sie bedarf nur eines Augenblickes, um zu siegen.«

»Er hat natürlich nicht gewußt, wer sie ist,« fuhr Emma von Königsau fort; »aber sie ist ihm keinen Augenblick aus dem Sinn gekommen.«

»Hat er nicht nach ihr geforscht?«

»Es ist vergeblich gewesen. Aber jetzt, jetzt hat er sie gefunden, ganz plötzlich und unerwartet, wie er mir schreibt.«

»Wo?«

»Ja, liebes Tantchen, weißt Du denn eigentlich, wo er sich befindet?«

»Nein.«

»Und der Onkel hat es Dir auch nicht mitgetheilt?«

»Er hat mir kein Wort gesagt. Ist Richardt in dienstlichen Angelegenheiten abwesend?«

»Ja. Der Ort, an welchem er sich befindet, muß ein tiefes Geheimniß bleiben.«

»So will ich Dich auch nicht fragen, denn ich weiß, daß Du doch nichts ausplaudern würdest. Aber was hat dies Alles mit Deinem Spaziergang nach Blasewitz zu schaffen?«

»Sehr viel. Dieser Spaziergang ist ein Ort der Pietät, der schwesterlichen Theilnahme. Ich will einmal den Weg gehen, den er damals geritten ist. Ich will den Ort sehen, an welchem er sein Herz verloren hat.«

»Ah, das ist es? Nun, da darf ich Dir nicht widerstreben. Gehen wir also nach Blasewitz; wir erreichen Berlin ja immer noch bei guter Tageszeit.«

Der nächste Morgen war schön, so daß die beiden Damen beschlossen, den Weg zu Fuße zu machen. Einige Zeit darauf brachte ein Reitknecht zwei Pferde geführt, mit denen er bei dem Hotel der beiden Maler anhielt. Schneffke hatte bereits gewartet, und die Thiere in Folge dessen sofort bemerkt. Er kam eiligst zu Haller und rief bereits während des Thüröffnens:

»Sie sind da, Herr College. Es kann losgehen!«

»Wer ist da?«

»Die Pferde!«

»Ach so! Wie ich sehe, sind Sie bereit? Sapperlot, wo haben Sie denn diese fürchterlichen Sporen her?«

Der Dicke hatte den unteren Theil der Hosen in die Stiefelschäfte gesteckt und ein Paar ungeheure Sporen angeschnallt.

»Von dem Antiquar da drüben in der Frauenstraße. Sie gefielen mir. Natürlich habe ich sie mir blos geliehen. Zum Kaufen sind sie mir zu theuer. Es sind nämlich ächte mexikanische; der Antiquar sagte, daß sie einst dem Könige Quatemozin gehört hätten.«

»Und das glauben Sie?«

»Unsinn! Sie gefallen mir; das ist genug. Eine Peitsche habe ich auch. Sie liegt drüben in meinem Zimmer. Donnerwetter! Ich werde Ihnen etwas vorreiten! Die ganze hohe Schule nehme ich durch. Zuletzt ein wagehalsiges Ventre-à-terre. Und damit ich dabei den Hut nicht verliere, habe ich ihn mir mit der Schnur hier fest auf den Kopf gebunden.«

Haller lachte ihm in das Gesicht und sagte:

»Sie sind ein ganz verwegener Kerl, wie es scheint. Thun Sie mir nur den Gefallen, Ihren Hals und Ihre Beine in Acht zu nehmen! Na, so kommen Sie!«

Er hatte hinter dem Rücken des guten Hieronymus Sorge getragen, daß diesem nicht etwa ein arabischer Hengst zur Verfügung gestellt werde. Als sie aus dem Thore traten, sahen Sie einen hübschen Braunen und daneben einen Schimmel, dem man die Sanftmuth und Geduld eine ganze Meile weit ansehen konnte. Schneffke trat in unternehmender Haltung zu dem Knechte und fragte diesen:

»Welches ist das wildeste von den Beiden?«

Der Gefragte deutete auf den Schimmel und antwortete:

»Der da. Er ist oft kaum zu bändigen. Es gehört ein sehr erfahrener und gewandter Reiter dazu, im Sattel zu bleiben.«

»Pah! Mich soll er nicht herunter bekommen. Herr College, ich kann nicht dulden, daß Sie sich in Gefahr begeben; ich nehme also den wilden Schimmel und lasse Ihnen den Braunen.«

»Nicht doch!« antwortete Haller. »Der Schimmel hat den Teufel im Leibe. Der braucht Schenkeldruck.«

Der Dicke stellte sich breitspurig vor ihn hin und sagte:

»Schenkeldruck? Donnerwetter! Betrachten Sie sich einmal diese Schenkel! Sind das etwa Sperlingswaden? Ich bin ja der reine Koloß von Rodus! Wenn der Schimmel wirklich gedrückt sein will, so kann er es haben. Ich werde ihn quetschen, daß ihm die Seele knacken soll. Aufgestiegen, also!«

Es kostete ihm Mühe, mit dem Fuße den Bügel zu erreichen; aber es gelang ihm doch, hinauf zu klettern, wo er sich dann ordentlich zurecht setzte. Der Schimmel war sehr gut genährt. Diese Beiden paßten ungemein für einander.

Auch Haller war aufgestiegen und sagte:

»Vorwärts jetzt, durch die Ramp'sche Straße!«

Er setzte den Braunen in Bewegung. Der Dicke that dasselbe, zerrte aber an der verkehrten Seite. So kam es, daß der Schimmel sich erst einmal um seine eigene Achse drehte und dann in ganz entgegengesetzter Richtung forttrollen wollte. Haller blickte sich um und bemerkte das. Er rief:

»Herr College, Herr College, wollen Sie etwa durch das Marktgäßchen reiten?«

»Das Marktgäßchen? Fällt mir nicht ein! Ich dachte aber, das hier wäre die Rampische Straße. Komm, Schimmel, dreh' Dich um! Nach links, immer weiter links! So, und nun grad aus, hinter dem Braunen her.«

Es war ihm gelungen, den Gaul richtig vor den Wind zu bringen; er erreichte Haller und ritt an dessen Seite weiter.

Die Leute blieben stehen, um den Beiden nachzublicken. Es war dem Dicken unmöglich, die Beine in die gehörige Lage zu bringen; er steckte sie grad ab. Ein rascher Seitenschritt des Pferdes hätte ihn sofort aus dem Sattel gebracht. Er bemerkte, welche Aufmerksamkeit er erregte, daher sagte er in selbstgefälligem Tone zu Haller:

»Wir müssen doch ein höchst stattliches Reiterpaar bilden, denn alle Leute staunen uns an!«

»Mich weniger, als vielmehr Sie!«

»Das ist auch meine Meinung. Aber sehen Sie nur, was für einen famosen Schenkeldruck ich habe!«

»Ausgezeichnet!« nickte Haller ironisch.

»Ohne diesen Druck wäre ich aber auch sofort zur Katze. Dieser Schimmel ist ein ganz verfluchtes Vieh. Er will mit mir immer durch, bald rechts oder links, bald rückwärts oder vorwärts. Soeben wollte er hinten ausschlagen, und jetzt, ah, ich ahnte es doch sogleich, jetzt wollte er vorn in die Höhe! Aber solche Unbotmäßigkeiten dulde ich absolut nicht. Das Vieh muß einsehen, daß es endlich einmal seinen Reiter gefunden hat!«

So ging es durch die Pillnitzer Straße und quer über die alte Vogelwiese nach Blasewitz zu. Sie hatten die Forsthausstraße hinter sich, da deutete Haller nach vorn und sagte:

»Teufel noch einmal! Kennen Sie die Beiden, die dort gehen?«

»Die Frauenzimmer?«

»Ja.«

»Die gehen mich nichts an. Ich habe jetzt keine Zeit mit Damen zu liebäugeln. Ich darf den Schimmel nicht aus den Augen lassen.«

»Aber einen Blick werden Sie doch wohl übrig haben, zumal für diese Beiden!«

»Sind es denn gar so außerordentliche Personen?«

»So sehen Sie doch nur hin!«

Der Dicke gehorchte und rief dann erfreut:

»Die Generalin und ihre Vorleserin! College, wollen wir ihnen einmal etwas vorreiten?«

Der Gefragte schüttelte scheinbar besorgt mit dem Kopfe und antwortete:

»Der Schimmel, der fatale Schimmel!«

»Wieso?«

»Na, wenn der einmal im Zuge ist, dann ist es aus.«

»Unsinn! Ich gebe ihm Schenkeldruck. Also vorwärts. Trab oder Galopp?«

»Trab!«

»Schön! Die Gräfin soll einmal sehen, daß ein Spinnen- und Krebsmaler ebenso elegant zu Pferde sitzen kann, wie ein General!«

Haller ließ sein Pferd in Trab fallen, und der gutwillige Schimmel folgte freiwillig. Der Dicke hoppste auf und nieder wie ein Mehlsack. Er rutschte bald vor oder hinter, bald nach rechts oder nach links, doch gelang es ihm noch, Sattel zu behalten.

Jetzt waren sie den Damen nahe gekommen.

»Galopp jetzt, Galopp!« gebot Schneffke.

»Um Gotteswillen nicht!«

»Pah! Ich fürchte mich vor dem Teufel nicht, viel weniger vor dem Schimmel! Da, da, da!«

Bei den drei letzten Sylben holte er mit der Peitsche aus und gab dem Schimmel drei kräftige Hiebe über den Kopf. Grad in diesem Augenblicke wurden die Damen auf die Reiter aufmerksam; sie drehten sich um. Der Dicke wollte in eleganter Haltung an ihnen vorüber; aber – war der Schimmel die Schläge nicht gewöhnt, oder hatte einer der Hiebe sein Auge getroffen, kurz und gut, das dicke Pferd riskirte eine Lancade.

»Mordio! Feurio! Hilfio!« brüllte Hieronymus, indem er die Peitsche fallen, die Zügel fahren ließ und alle Viere in die Lüfte streckte. Im nächsten Augenblicke beschrieb er einen Bogen vom Pferde herab und kam grad vor Emma auf denjenigen Theil seines Körpers zu sitzen, auf welchem er gestern auch die famose Rutschpartie gemacht hatte.

Das gab zwar einen tüchtigen Plumps, und er fuhr mit den Händen angstvoll nach hinten, obgleich in jener Gegend keine Rippen zu brechen waren, doch fand er schnell die Geistesgegenwart wieder. Er legte die Hand militärisch an die Hutkrämpe und grüßte:

»Ergebenster Diener, meine verehrtesten Damen. Der Gaul ist auf den Wink dressirt. Er hat mich zu Ihren Füßen niedergesetzt, damit es mir möglich sei, Ihnen meine Hochachtung zu beweisen. Nehmen Sie dieses reizende Intermezzo gütigst nur als das, was es wirklich ist: ein außergewöhnliches und darum um so werthvolleres Compliment, aus dem Sie ersehen sollen, wie sehr ich Sie verehre!«

Er wollte als weiteren Beweis seiner Hochachtung den Hut abnehmen, da dieser aber angebunden war, so ließ er es sein und erhob sich, um sich nach dem Schimmel umzublicken. Wahrhaftig! Dieser war durchgegangen, allerdings auf eine nur kurze Strecke. Haller war ihm nachgeritten und hatte ihn beim Zügel ergriffen.

Die beiden Damen hatten so gelacht, daß sie gar nicht antworten konnten. Er nickte ihnen noch einmal freundlich zu und trabte dann in größter Eile dem Kameraden und dem Schimmel nach. Da er den Damen dabei diejenige Stelle zukehrte, mit welcher er auf der Straße gelandet war und die sich voller Staub und Schmutz zeigte, so bot er ihnen einen ergötzlichen Anblick.

»Was fällt Ihnen denn zum Donnerwetter ein, den Gaul über den Kopf zu hauen!« rief ihm Haller entgegen.

»Was denn sonst? Soll ich etwa, wenn er nicht gehorcht, absteigen und mich mit ihm auf Pistolen schießen, oder per Rappier schlagen?«

»Er ging doch ganz gut!«

»Ja, aber ich wollte partout herunter!«

»So, so! Das ist etwas Anderes. Wenn Sie es gewollt und beabsichtigt haben. Steigen Sie wieder auf?«

»Natürlich! Zwar brummt mir die hintere Hemisphäre so, daß ich gar nicht fühlen werde, ob ich ein Pferd darunter habe, aber dafür will ich dem Gaule desto kräftiger beweisen, daß er einen vorzüglichen Reiter über sich hat.«

Er kletterte wieder in den Sattel; der Ritt wurde fortgesetzt und nahm ein glückliches Ende, da Beide alle Vorsicht aufwendeten, daß nicht wieder etwas Regelwidriges geschehen könne. Am Nachmittag dampften sie nach Berlin. Im Zuge fanden sie keine Spur von den beiden Damen, da diese den vorhergehenden benutzt hatten. Als sie ausgestiegen waren, fragte Schneffke:

»Was werden Sie beschließen? Ich hoffe, daß Sie mit meiner Bude fürlieb nehmen, bis sich eine Wohnung für Sie gefunden hat.«

»Danke! Ich werde mir sofort eine miethen.«

Er ging in die Restauration und ließ sich das Adreßbuch geben. Dort suchte er zunächst, doch ohne dem Dicken etwas davon merken zu lassen, den Namen Königsau auf, um dessen Wohnung zu erfahren. Dann nahm er die Zeitungen zur Hand, um die Wohnungsangebote zu lesen. Er fand gar bald, was ersuchte, nämlich ein meublirtes Logis in der Nähe der Wohnung der Familie Königsau. Die Vermiether konnten nicht ganz gewöhnliche Leute sein, da sie nur an einen feinen Mann vermiethen wollten.

Jetzt trennten sich die beiden Maler, nachdem Haller sich die Wohnung seines dicken Freundes notirt hatte. Dann begab er sich per Droschke nach der in dem Blatte bezeichneten Wohnung. Sie gehörte der Wittwe eines Ministerialbeamten und genügte allen seinen Ansprüchen. Er miethete sofort ein und blieb auch sogleich hier. Er hörte, daß die Wittwe einen Sohn habe, der bald aus dem Bureau nach Hause kommen werde. Als dies geschehen war, wurde das Abendbrot genommen. Als Tischgenossin war ein reizendes, junges Mädchen mit Namen Madelon Köhler zugegen.

Da kam ihm ein plötzlicher Gedanke. Er hatte ein Gesicht gesehen, welches dem ihrigen außerordentlich ähnlich war.

»Sie haben eine Schwester, Fräulein?« fragte er.

»Ja. Sie befindet sich als Freundin bei einer Baronesse von Sainte-Marie.«

»Sie meinen die Baronesse Marion de Sainte-Marie?«

»Ja,« antwortete die junge Dame überrascht. »Ist die Baronesse Ihnen bekannt?«

»Sehr gut. Ich kenne auch Fräulein Nanon Köhler, Ihre Schwester.«

»So sind Sie in Schloß Ortry gewesen?«

»Ja, ich hatte ein Portrait des jungen Baron Alexander zu fertigen und war also geschäftlicher Weise zu einem Aufenthalte gezwungen.«

»Ah, da werde ich Sie später ersuchen, mir Einiges zu erzählen. Wie schön, daß Sie die Schwester kennen! Ich habe heut' einen Brief von ihr erhalten. Ist Ihnen vielleicht ein Doctor Bertrand aus Thionville bekannt?«

»Ich kann mich nicht entsinnen.«

»Dieser Arzt hat einen Kräutersammler –?«

»Auch diesen kenne ich nicht.«

»So, so! Darf ich Sie auf ein wunderbares Spiel der Natur aufmerksam machen, mein Herr? Sie sind nämlich einem meiner Bekannten so ähnlich, daß man Sie auf das Leichteste mit einander verwechseln könnte.«

»Wirklich? Wer ist es denn, dessen Conterfei zu sein, ich die Ehre habe?«

»Es ist ein Soldat, ein einfacher Diener, nämlich der Bursche des Herrn Rittmeister Richards von Königsau.«

Dieser Name electrisirte ihn sofort.

»Königsau?« fragte er. »Kennen Sie diese Familie?«

»Sehr gut, und zwar von doppelter Seite. Nämlich, der Sohn meiner gnädigen Dame, Rittmeister Arthur von Hohenthal, von den Husaren, ist ein Freund des Herrn von Königsau, welcher den Ersteren sehr oft besucht. Und sodann ist Fräulein Emma von Königsau so freundlich, mich zu ihren näheren Bekanntinnen zu rechnen.«

»Dann können Sie mir wohl auch sagen, ob der Rittmeister von Königsau ein Freund der Geselligkeit ist?«

»Ich bezweifle das. Er ist ein sehr ernster Character.«

»So ist es wohl nicht leicht, Anschluß an ihn zu finden?«

»Für einen Fremden halte ich es für schwierig. Er gehört zu den Characteren, welche Lebensbefriedigung mehr nach Innen als nach Außen suchen.«

»Er befindet sich gegenwärtig in Berlin?«

»Nein; er ist abwesend.«

»Würde es unbescheiden sein, nach dem Orte zu fragen, an welchem er sich befindet? Ich erkundige mich nämlich nicht ganz und gar absichtslos.«

»Wie mir seine Schwester erzählte, hat er sich in letzter Zeit zu sehr angestrengt und einen Urlaub zum Zwecke der Erholung erhalten. Er befindet sich auf dem Gute eines Verwandten in Posen oder Lithauen.«

»Ich danke! Aber die Glieder seiner Familie befinden sich hier in Berlin?«

»Ja. Zwar allerdings ist seine Schwester Emma abwesend, aber sie kehrt bereits heut' zurück.«

»Ist es schwer, Zutritt zu der Familie zu erhalten?«

»Sie öffnet ihre Thür nicht so leicht einem Jeden; aber –« dabei ließ sie ihr dunkles Auge freundlich forschend auf ihm ruhen – »haben Sie irgend ein Interesse an dem Namen Königsau?«

»Ja, ein ziemlich bedeutendes, mein Fräulein. Ich darf noch nicht davon sprechen, und darum ersuche ich Sie dringend, gegen Ihre Freundin ja nichts zu verrathen. Aber es würde mir unendlich willkommen sein, diese mir rühmlichst geschilderten Personen kennen zu lernen.«

Er befand sich als Spion in Berlin, aber sein ganzes Wesen war nicht dasjenige eines solchen. Sein Gesicht zeugte von Edelmuth und Biederkeit. Er war gezwungen, dem Befehle seines Vorgesetzten zu gehorchen; er that dies zwar, aber er that es mit innerem Widerstreben. Dieses leise, heimliche Schleichen paßte nicht zu seinem Naturell und ebenso wenig zu seinem Character.

Madelon nickte ihm freundlich zu und sagte:

»Künstler sind allüberall weniger unwillkommen als andere Menschenkinder. Vielleicht gelingt es mir, Ihnen den Eintritt in das Haus meiner Freundin zu öffnen.«

»Wie dankbar würde ich Ihnen sein, mein Fräulein!«

»Ich thue es gern, denn ich bin überzeugt, daß ich nichts zu verantworten haben werde. Vielleicht ist es möglich, Sie bereits morgen mit Emma bekannt zu machen. Sie ist auch in diesem Zimmer hier keine allzu seltene Erscheinung. Kehrt sie heute von der Reise zurück, so macht sie mir morgen ganz sicher ihren Besuch und wird auch nicht versäumen, hier auf eine Minute vorzusprechen. In diesem Falle, und wenn Sie anwesend sind, wird es ja sogar unsere Pflicht sein, Sie ihr vorzustellen.«

*


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