Karl May
Die Sklavenkarawane
Karl May

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El Hamdulillah

Am nächsten Tage, zwischen dem Asr- und Mogreb-Gebete, also vielleicht kurz nach der vierten Nachmittagsstunde, erreichten die fünf Schiffe eine Stelle, an welcher der Strom sich so verbreiterte, daß er einen See bildete, dessen Ufer wohl eine volle Ruderstunde voneinander entfernt waren.

»Das ist der Ort,« sagte der »Sohn des Geheimnisses« zu Schwarz und Pfotenhauer, mit denen er vorn am Bug der Dahabiëh stand. »Laß nach dem Ufer halten, damit wir dort anlegen! Wir dürfen nicht weiter, da wir sonst gesehen werden könnten.«

»Liegt der Feldwebel mit seinen Leuten denn am See?«

»Nein. Biegen wir rechts in den See ein und fahren wir bis nach dem hintern Teile desselben, so kommen wir an eine Stelle, wo ein schmaler Eingang in einen Busen führt, welcher nicht fließendes, sondern stehendes Wasser hat. Er ist an einigen Punkten sehr tief, weshalb er selbst im heißesten Sommer nicht austrocknet. An den seichteren Stellen wächst Schilf und Rohr; an andern gibt es Grasinseln, welche auf der Oberfläche schwimmen, sich aber nur dann bewegen, wenn der Wind sie treibt oder ein Flußpferd, an ihren Wurzeln naschend, sie in Bewegung setzt. Das ist der Maijeh Husan el Bahr.«

»So brauchen wir doch nicht hier am Flusse zu bleiben, sondern können in den See einbiegen, um dort zu ankern.«

»Der Feldwebel lagert am Ufer des Maijeh. Es ist möglich, daß einer seiner Leute nach dem See kommt. In diesem Falle würden wir gesehen, und das willst du doch wohl vermeiden?«

»Allerdings. Ich werde also den Befehl zum Ankern geben, und dann mag der Onbaschi uns Auskunft erteilen.«

Onbaschi heißt Korporal, Unteroffizier. Bei den Nuehr hatte sich nämlich der Unteroffizier befunden, welcher dem Feldwebel entflohen war, um Abu el Mot das Lager desselben zu verraten. Auch er war im höchsten Grade zornig darüber, daß sein Herr die Flucht ergriffen hatte, ohne ihn mitzunehmen. Er hatte, als er die Waka'a en nahr verloren sah, mit großer Sorge dem entgegen gesehen, was nun mit ihm geschehen werde, und war dann freudig überrascht gewesen, sich mit den Nuehr begnadigt zu wissen. Freilich hatte er Schwarz versprechen müssen, von jetzt an diesen als seinen Herrn zu betrachten und ihm treu und ohne Hintergedanken zu dienen.

Die Dahabiëh ging so nahe wie möglich an das Ufer und ließ dort die Anker fallen. Die beiden Noqers thaten dasselbe. Die Schiffe aus Diakin segelten nicht so gut; sie waren zurück, kamen aber nach einiger Zeit auch und legten hinter den andern an.

Schwarz hatte den Onbaschi zu sich auf die Dahabiëh genommen. Er ließ ihn jetzt kommen und fragte ihn:

»Kennst du die Stelle, an welcher wir jetzt liegen?«

»Nein, Effendi.«

»Aber den See, an dessen Eingang wir uns befinden?«

»Auch nicht.«

»Ich glaubte, du seist am Ufer desselben gewesen. In ihn mündet nämlich der Maijeh, an welchem der Feldwebel lagert.«

»Solange ich bei ihm war, ist keiner von uns nach dem See gekommen. Der Maijeh bot uns alles, was wir brauchten: Schilf zum Brennen, Wasser und auch Fische, so viel wir haben wollten.«

»Aber wenn ich mit dir nach dem Maijeh ruderte, so würdest du die Stelle finden, wo deine frühern Kameraden sind?«

»Ganz gewiß. Sie lagern an der Spitze desselben, an der Stelle, welche am weitesten in das Land hineinragt. Die ist selbst in der Dunkelheit leicht zu finden.«

»Steht der Wald bis dicht ans Wasser?«

»Ja.«

»Und ist er licht, oder gibt es Strauchwerk, welches das Gehen erschwert?«

»Sträucher gibt es nur außerhalb des Waldes, welcher schmal ist und nur aus Bäumen besteht, zwischen denen man leicht fortkommen kann. Soll ich dich führen?«

»Ich will es mir überlegen,« antwortete Schwarz zurückhaltend.

»Effendi, du traust mir nicht!«

»Allerdings. Das will ich dir ganz offen gestehen. Du hast deine Kameraden verraten.«

»Weil sie selbst Verräter waren!«

»Aber du warst ihr Mitschuldiger, und sie verließen sich auf dich!«

»Ich hatte mich geweigert. Ich war der einzige Onbaschi, welcher mit dem Feldwebel zurückgelassen worden war Er war Gefangener, und ich hatte ihn zu bewachen. Da beredete er mich, mit ihm und meinen fünfzig Asaker eine neue Seribah zu gründen.«

»Wo?«

»Bei den Niam-niam.«

»Das fehlte noch! Müßt ihr denn das Verderben weiter und immer weiter tragen? Und welch ein Wagnis! Fünfzig Mann wollen nach Süden gehen, um ein ganzes Volk in ihre Netze zu ziehen! Da sieht man, wie wenige Teufel dazu gehören um ganze Völkerschaften unglücklich zu machen. Aber weiter!«

»Ich ließ mich bereden, denn er versprach mir, daß ich mit ihm Gebieter sein solle; aber schon am ersten Tage gebärdete er sich als der alleinige Herr, und da ging ich fort.«

»Also nicht aus Reue, sondern aus Rache?«

»Verkenne mich nicht, Effendi! Du darfst mir trauen. Zu Abu el Mot kann ich nicht wieder und gehe ich nicht wieder. Ich habe heute früh mit Hasab Murat gesprochen. Er nimmt mich mit nach der Seribah Madunga, wo ich mit demselben Range, als Onbaschi, bei ihm eintreten werde. Daraus magst du ersehen, daß ich dir treu dienen werde«

»Ich will versuchen, dir zu glauben. Du magst uns also führen, wenn wir an das Land gegangen sind.«

Indem er das sagte, fiel sein Auge auf einen kleinen Punkt, welcher sich von dem jenseitigen Ufer des Sees aus näherte. Er hielt ihn für ein Boot und ging, sein Fernrohr zu holen. In den Verhältnissen, unter denen er sich hier befand, mußte ein Kahn seine Aufmerksamkeit, ja, sein Mißtrauen erregen. Das Rohr zeigte ihm, daß er sich nicht geirrt hatte. Es war ein Boot, ein sehr kleines, in welchem ein einzelner Mann, ein Schwarzer, saß.

Was wollte dieser Mann hier? Es war möglich, daß Abu el Mot seinen Weg nicht auf dem diesseitigen, sondern auf dem jenseitigen Ufer zurückgelegt hatte, um seinen Feinden ja nicht etwa während der Überfahrt zu begegnen. In diesem Falle mußte er den Fluß weiter oben durchqueren. Dabei konnte er an ein Negerdorf gekommen sein und von dort einen Boten abgesandt haben, um den Feldwebel zu warnen, freilich ohne diesen wissen zu lassen, von wem die Botschaft eigentlich komme. Schwarz nahm sofort die zwei kräftigsten Ruderer in das kleine Boot, bewaffnete sich mit seinem Gewehre – die Revolver trug er stets im Gürtel – und stieg selbst mit ein, um den Schwarzen abzufangen.

Dieser hatte jetzt die Mitte des Sees, also den eigentlichen Strom erreicht und hielt ein wenig aufwärts, um den durch die Strömung verursachten Abtrieb auszugleichen. Dadurch wurde seine Absicht klar, den diesseitigen Teil des Sees zu erreichen und dann vielleicht nach dem Maijeh zu rudern.

Schwarz ließ ihn noch näher kommen und stieß dann vom Schiffe ab. Sein Boot befand sich in ruhigem Wasser und gehorchte den Rudern also mit weit größerer Schnelligkeit als dasjenige des Schwarzen. Es war klar, daß dieser die abwärts am Ufer liegenden Schiffe noch gar nicht gesehen hatte; bald aber erblickte er das Boot. Er hielt für einige Augenblicke im Rudern inne, wohl um sich zu überlegen, was er thun solle. Dann wendete er sich zur Flucht dem südlichen Ufer der diesseitigen Seehälfte zu. Das konnte das Zeichen eines bösen Gewissens, aber auch die einfache Folge des Mißtrauens sein, welches jeder einsam wohnende Mensch, zumal Neger, gegen jede fremde Erscheinung hegen muß.

Er war von dem Punkte, welchem er zustrebte, viermal so weit entfernt, als von dem Boote des Deutschen. Obgleich er seine Kräfte bis auf das Äußerste anstrengte, kam ihm dieses immer näher und näher.

»Ein Abaka-Neger!« sagte einer der beiden Niam-niam. »Ich sehe es am Kopfputz.«

Schwarz rief dem Manne ein gebieterisches Halt zu, doch ohne Erfolg. Schießen wollte er nicht, einesteils weil er dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zog, falls einer oder mehrere Leute des Feldwebels am See sich befanden, und andernteils weil er den Mann sicher erreichen mußte, denn die Entfernung zwischen den beiden Booten verringerte sich von Augenblick zu Augenblick.

Als dieselbe höchstens noch dreißig Ellen betrug, legte er sein Gewehr auf ihn an und drohte:

»Halt an, sonst schieße ich dich tot!«

Jetzt zog der Mann die Ruder ein. Sein Atem flog und seine Brust keuchte vor Anstrengung. Einige Augenblicke später war er erreicht. Schwarz zog das kleine Boot Bord an Bord und fragte:

»Wer bist du?«

»Ich sein Hahli,« antwortete der Neger in gebrochenem Arabisch.

»Von welchem Stamme?«

»Abaka.«

»Wo wohnst du?«

»Dort am Wasser.«

Er zeigte nach dem rechten, östlichen Ufer des Sees und Flusses.

»Allein?«

»Die Abaka wohnen auf Murrh

»Wohin willst du?«

»Hahli darf nicht sagen.«

»Warum?«

»Es ihm verboten.«

»Von wem?«

»Darf auch nicht sagen.«

»Ich weiß es dennoch. Ein Weißer hat es dir verboten?«

»Woher das wissen?«

»Es sind fünf Araber zu euch gekommen?«

Der Mann antwortete nicht, machte aber ein sehr erstauntes Gesicht, welches leicht erraten ließ, daß Schwarz das Richtige getroffen hatte. Er war groß, kräftig und noch jung, wurde aber durch eine große entzündete Wulst auf der einen Wange, welche dicker als eine Männerfaust war, entstellt.

»Der eine dieser fünf Männer war sehr lang und sehr dürr?« fragte Schwarz weiter.

»Woher das wissen?«

»Er hat dich da hinüber nach dem Maijeh gesandt?«

»Warum fragen, wenn schon wissen?«

»Ich weiß nur, daß du ein Bote dieses Mannes bist, und ich will wissen, was du den Asakern da drüben zu berichten hast.«

»Darf nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Sonst Hahli müssen sterben.«

»So! Dann steig einmal zu uns herüber!«

»Warum? Hahli freilassen!«

Er sagte das in ängstlichem Tone.

»Wir thun dir nichts. Du wirst bei uns zu essen bekommen; auch will ich dir ein wenig Duhchan schenken; dann kannst du wieder gehen.«

Bei dem schönen Worte Duhchan begann das Gesicht des Mannes zu glänzen. Er fragte:

»Wohin Hahli soll mit?«

»Auf unser Schiff.«

Sofort wurde seine Miene wieder ängstlich.

»Schiff?« fragte er. »Haben drei Schiff? Dahabiëh und zwei Noqer?«

Durch diese Frage verriet er, daß Abu el Mot ihn vor diesen drei Schiffen gewarnt hatte. Schwarz antwortete:

»Nein. Wir haben nicht drei, sondern fünf Schiffe.«

»Das sein gut, sehr gut! Wenn hätten bloß drei Schiffe, dann sein schlimme Menschen.«

»Wir sind gute Menschen; das werde ich dir beweisen. Ich werde dir nicht nur Tabak geben, sondern dich auch gesund machen. Macht dir der Duhdi im Gesicht nicht große Schmerzen?«

»Sehr! Sehr Viele bei uns haben Duhdi.«

»Womit heilt ihr ihn?«

»Mit heiß Wasser.«

»Das genügt nicht; da frißt er sich nur noch tiefer ein. Ich werde dir zeigen, wie man ihn entfernt.«

»Dann Hahli gern mit dir gehen. Duhchan erhalten und Wurm heilen! Wollen schnell auf Schiff!«

Er stieg herüber, band seinen Kahn an das Boot, und dann lenkte Schwarz nach der Dahabiëh um.

Die Filaria, der Guinea- oder Medinawurm, wird im Sudan Frendit genannt. Er ist so dick wie eine Violinsaite und kann bis zwei Meter lang werden. Er scheint nur mit dem Trinkwasser in den Menschen zu kommen, wandert durch den Körper desselben und verursacht an den Ausbruchstellen dicke Eiterbeulen. Durch einen einzigen Schluck unreinen Wassers können mehrere dieser berüchtigten Tiere in das Innere des Menschen gelangen, und dann ist die Wirkung eine grauenhafte. Arme, Beine, Brust und Rücken bilden dann eine einzige geschwollene und mit Geschwüren bedeckte Masse, welche dem Betreffenden entsetzliche Schmerzen verursachen und sehr oft den Tod zur Folge haben.

Daß der Abaka-Neger den Wurm im Gesicht hatte, war ein Fall, welcher glücklicherweise nur selten vorkommt.

Dieser Mann stieg mit großem Vergnügen an Bord, und Schwarz nahm ihn sogleich mit sich zur Kajüte, um ihm durch das Messer das Geschwür zu öffnen. Das muß sehr vorsichtig geschehen, damit die Filaria nicht zerschnitten wird. Das beste Mittel, sie zu entfernen, ist nämlich, sie nach und nach auf ein Hölzchen aufzuwickeln, eine Procedur, welche mehrere Tage erfordert. Es gelang Schwarz, den Kopf mit dem vorderen Teil des Körpers zu erwischen. Er wickelte ihn auf, befestigte ihn, so daß er nicht zurückschlüpfen konnte, und gab dann dem Neger die Unterweisung für sein weiteres Verhalten.

»Das sehr gut!« lobte der Schwarze. »Wurm heraus und Hahli gesund. Hahli auch andern sagen, wie Wurm entfernen. Aber nun ihm auch Duhchan geben!«

Er bekam eine kleine Quantität Tabak, welche aber für ihn einen solchen Wert hatte, daß er einen Freudensprung machte und entzückt ausrief:

»Oh, oh, ah! Jetzt Hahli rauchen und stolz sein, denn andre nicht Duhchan haben! Weißer Manner gut sein, nicht so bös wie Leute auf Dahabiëh und zwei Noqer!«

»So! Was sind das denn für Leute?«

»Das sein Sklavenjäger und Diebe.«

»Das hat der lange, dürre Araber gesagt?« erkundigte sich Schwarz, wohl wissend, daß er und seine Leute mit diesen Dieben gemeint seien.

»Ja, dieser.«

»Wann kam er denn zu euch?«

»Nicht lange Zeit her.«

»Ist er noch dort?«

»Nein.«

»Wohin ging er mit den andern fünf Männern?«

»Immer am Fluß, weiter nach Süd.«

»Und weißt du, wer er war?«

»Armer Mann. Diebe ihm alles genommen. Wollen auch nach Maijeh, wo Asaker sind, und ihnen alles rauben. Darum Hahli hinüber und es ihnen sagen.«

»Sollst du ihnen denn auch sagen, daß der lange Mann dich sendet?«

»Nein, das verschweigen.«

»Aber sie werden dich doch fragen, wer dich schickt!«

»Dann Hahli sagen, daß er zufällig hinkommen, daß er gesehen drei Schiffe, er hören sprechen Diebe am Ufer und daß sie sagen, nach Maijeh gehen wollen.«

»Und was hat der Mann dir für einen Lohn gegeben?«

»Nichts. Er sagen, daß Asaker mir etwas geben. Vielleicht mir geben Mikajil, dann Hahli sehr glücklich sein.«

»Trinkst du ihn so gern?«

»Oh, oh, ah, sehr!«

Er zog dabei ein Gesicht, welches trotz der Geschwulst vor Wonne glänzte.

»Ich habe auch Mikajil, echten, guten Mikajil. Willst du ihn einmal kosten?«

»Sehr, sehr, viel sehr!«

Schwarz hatte von dem Mudir von Faschodah mehrere Flaschen starken Araki geschenkt bekommen. Er goß ein großes Glas voll, führte den Neger an einen Ort, wo er nicht gestört werden konnte, gab ihm das Glas und sagte ihm, daß er ihm nun erlaube, alle Viertelstunden einen ganz, ganz kleinen Schluck zu nehmen. Dort ließ er ihn allein, überzeugt, daß der Schwarze von dem ihm ungewohnten und sehr starken Traubenbranntwein schnell einen tüchtigen Rausch bekommen und dann in tiefen Schlaf versinken werde.

»Dieser Besitzer der Filaria wird den Feldwebel heute nit warnen,« sagte Pfotenhauer, welcher zugehört und zugesehen hatte. »Er wird schlafen bis in den späten Tag hinein.«

»Das beabsichtigte ich,« antwortete Schwarz. »Ich wollte ihm nicht gern Zwang anthun und habe mit dem Araki das gleiche Ziel erreicht.«

»Also ist Abu el Mot da drüben in einem Dorf g'wesen Nun ist's klar, daß er oberhalb über den Fluß gehen und sich nach Ombula wenden wird. Vielleicht kommen wir dort noch vor ihm an!«

»Ich hoffe es. Zwar werden wir diese Nacht am Maijeh zubringen, aber Abu el Mot muß auch schlafen und kann nicht in der Dunkelheit seinen Weg fortsetzen.«

»Leider müssen wir zu Fuß hinauf. Das wird langsam gehen.«

»Aber doch schneller, als Abu el Mot laufen wird. Er ist, da er mit uns Schritt gehalten hat, von gestern an bis jetzt die ganze Nacht hindurch gegangen, was ungeheuer beschwerlich gewesen sein muß; eine zweite Nacht wird er es nicht versuchen, denn er muß sehr ermüdet sein. Wir aber sind frisch und munter und können also gut marschieren. Mehrere von uns können sich doch auch mit Hilfe der Tiere, welche wir bei dem Feldwebel finden werden, beritten machen.«

»Wann überfallen wir diesen?«

»Nicht eher, als bis es dunkel geworden ist. Er darf uns natürlich nicht kommen sehen.«

»Gehen wir zu Fuß?«

»Nur den halben Weg. Wir rudern in den Booten über den See bis an den Eingang des Maijeh, den der 'Sohn des Geheimnisses' uns zeigen wird. Dann steigen wir aus, und der Onbaschi wird uns am Ufer des Maijeh hin nach dem Lager des Feldwebels führen. Sehen Sie sich einmal diesen Abaka-Neger an!«

Als der Graue in den Winkel blickte, sah er den Schwarzen mit geschlossenen Augen und verklärtem Gesichte lang hingestreckt dort liegen. Er hatte den Araki in einem einzigen Zuge hinuntergegossen, und der Rausch war nun viel schneller über ihn gekommen, als Schwarz gedacht hatte.

»Der schläft gut und bis morgen früh,« lachte der Graue. »Es ist g'wiß, daß er uns keinen Schaden thut.«

Während der Schwarze gefangen wurde und der Vorbereitungen zum Aufbruche war der Tag vollends vergangen, und der Abend hatte sich auf den gewaltigen Strom gesenkt. Die Boote lagen klar und die für den Überfall ausgewählten Männer standen zum Aufbruche bereit.

Kurz nach der Dämmerung leuchten die Sterne noch nicht so hell wie später, und der Mensch, welcher sich in einer wilden Gegend befindet, erwartet einen etwaigen Überfall gewöhnlich erst nach Mitternacht. Darum hatte Schwarz diese frühe Stunde gewählt. Die Leute stiegen in die Boote, und man stieß von den Schiffen ab.

Der »Sohn des Geheimnisses«, welcher den See kannte, steuerte das erste Fahrzeug. Die andern folgten so eng hintereinander, daß sie einander nicht verlieren konnten. Es ging über die breite Wasserfläche hinüber, bis sich die Ufer den Männern in unheimlicher Dunkelheit entgegenstellten.

Das Landen war nicht leicht; es gab dichtes Schilf in Menge, durch welches sich die Boote mühsam arbeiten mußten, ohne allzuviel Geräusch zu verursachen; das nahm sehr viel Zeit weg, wurde aber endlich doch zu stande gebracht.

Nun stellte sich Schwarz mit Pfotenhauer an die Spitze, den Onbaschi in der Mitte. Es war allerdings zu vermuten, daß er sich vor dem Feldwebel nicht sehen lassen werde; aber es lag in der Möglichkeit, daß er die stille Absicht hegte, die Flucht zu ergreifen und nach Ombula zu Abu und Abd el Mot zu entkommen. Drum hatten die beiden nicht nur scharfe Augen auf ihn, sondern sie nahmen auch so enge Fühlung mit ihm, daß sie es gemerkt und also Zeit zum schnellen Zugreifen bekommen hätten, wenn er sich mit einer raschen Bewegung hätte entfernen wollen. Doch dieses Mißtrauen war glücklicherweise überflüssig. Er zeigte sich jetzt und auch später als vollständig zuverlässig.

Die Leute hatten jetzt den See hinter sich und standen, von diesem aus gerechnet, am rechten Ufer des Maijeh. Ein nicht allzu breiter Baumschlag, außerhalb von einzelnen Büschen umstanden, zog sich rund um denselben. Der Onbaschi führte die möglichst lautlos sich verhaltende Schar zwischen den Bäumen hindurch zu den Büschen, wo sie den freien Himmel über sich und ein leichteres Fortkommen als unter den Wipfeln der Bäume hatten.

Einer sich dicht hinter dem andern haltend, ging es nach der Spitze des Maijeh. Dort gab es eine hell erleuchtete Stelle. Zwei große Feuer brannten da, und weiter hinaus nach der in dichter Finsternis liegenden Ebene zählte Schwarz zehn kleinere Feuer, welche einen Halbkreis bildeten und den vor dem Maijeh liegenden freien Platz umschlossen.

»Dort am Feuer liegt der Feldwebel?« fragte er den Onbaschi.

»Ja, Herr,« antwortete dieser. »Wenn wir näher gehen, kannst du ihn und seine Leute sehen.«

»Das werden wir jetzt noch nicht thun. Was sind das für kleine Feuer da draußen?«

»Das sind die Feuer der Wächter, damit die Tiere nicht des Nachts ausbrechen sollen.«

»Also zehn Wachen?«

»Ja.«

»Weißt du, in welcher Weise sie abgelöst werden?«

»Nur einmal, gerade um Mitternacht.«

»Eine nicht sehr praktische Einteilung, welche uns aber die Ausführung unsres Vorhabens erleichtert, denn wir werden durch die Ablösung nicht gestört werden.«

»Worin, Effendi?«

»In der Aufhebung dieser Wachtposten, deren wir uns natürlich erst versichern müssen, ehe wir uns nach dem Lagerplatze verfügen.«

»Ist es nicht besser, erst den Feldwebel und die bei ihm sind, gefangen zu nehmen?«

»Das wäre eine Dummheit, denn es könnte nicht ohne Lärm geschehen; die Posten würden auf denselben aufmerksam werden und uns entkommen.«

»Aber ebenso schwierig ist es, uns dieser zehn einzelnen Männer zu bemächtigen, ohne daß sie Lärm erregen.«

»Habe keine Sorge! Ich weiß, wie man das zu machen hat. Und du sollst dabei helfen, da ich überzeugt bin, daß ich mich auf dich verlassen kann.«

»Vollständig, Effendi! Ich merke gar wohl, daß du mir noch nicht traust; aber ich werde dir beweisen, daß du dich irrst. Was habe ich zu thun?«

»Du kennst diese Leute alle?«

»Natürlich! Sie waren ja meine Untergebenen.«

»Auch ihre Namen?«

»Alle!«

»Das ist sehr gut. Ich habe hundert Mann bei mir. Zwanzig mögen mir jetzt folgen, für jeden Posten zwei. Ich werde sie jetzt auswählen.«

Er bestimmte diejenigen, welche ihm als die geeignetsten erschienen, ließ sie näher treten, damit sie seine leisen Worte verstehen könnten und erteilte ihnen seine Instruktion.

»Wir haben Stricke und Schnüre in hinreichender Anzahl mitgebracht,« sagte er. »Nehmt so viele mit, als nötig sind, zehn Mann zu fesseln. Ich gehe mit dem Onbaschi voran, und ihr kommt leise hinterdrein. Wenn wir den ersten Posten erreichen, legt ihr euch nieder, um nicht von ihm gesehen zu werden. Der Onbaschi geht näher zu ihm hin und ruft ihn bei seinem Namen. Der Mann wird kommen und sich höchlichst wundern, den totgeglaubten Unteroffizier lebendig vor sich zu sehen. Dieser spricht einige Worte mit ihm und währenddem schleiche ich mich von hinten an den Mann und fasse ihn so fest bei der Kehle, daß er nicht um Hilfe rufen kann. Ihr bleibt liegen, um nicht etwa vom nächsten Posten gesehen zu werden; aber einer von euch kommt herbei, um den Mann zu binden.«

»Was soll ich denn zu ihm sagen?« fragte der Unteroffizier.

»Was dir gerade einfällt. Ein langes Gespräch wird es überhaupt nicht geben, so daß du wegen dem, was du zu sagen hast, in Verlegenheit kommen könntest. Ich werde schnell machen und du kannst dir denken, daß er über dein Erscheinen so betroffen sein wird, daß ihm die Worte im Munde stecken bleiben. Die Hauptsache ist, daß du ihn so weit vom Feuer weglockst, daß es euch nicht mehr hell beleuchten kann, und daß du dich so stellst, daß er mir den Rücken zukehren muß. Dies wird es mir ermöglichen, leichter an ihn zu kommen. Verstanden?«

»Ja, Effendi. Ich werde meine Aufgabe so ausführen, daß du mit mir zufrieden sein wirst.«

»Gut für dich, Onbaschi! Denn wenn du den geringsten Fehler machen würdest, so bekämst du augenblicklich meine Kugel in den Leib. Wie du siehst, habe ich den Revolver stets in der Hand, selbst jetzt, in diesem Augenblicke.«

»Du brauchst ihn nicht; diese Versicherung gebe ich dir. Was hat dann ferner zu geschehen?«

»Bei jedem überwältigten Posten bleiben zwei von euch, einer, welcher sich an seiner Stelle an das Feuer setzt, um die Herde zu bewachen, und ein zweiter, welcher bei dem Posten bleibt, um ihn augenblicklich niederzustechen, falls er fliehen wollte. Dieser Zweite hat sich mit seinem Gefangenen möglichst weit vom Feuer zurückzuziehen, damit er nicht gesehen wird. Er kommt dann, wenn ich den Feldwebel gefangen genommen habe, mit dem Gefesselten zu uns ins Lager.«

»Aber, Effendi,« fragte einer der Asaker, »wie erfahren wir, daß der Feldwebel und seine Leute überrumpelt worden sind? Wir werden es nicht wissen, da wir es nicht sehen können.«

»Ich schicke euch einen Boten. Und noch eins. Es ist möglich, daß die Leute des Feldwebels nicht alle beisammen sind, daß einer von ihnen sich aus dem Lager entfernt hat. Ist das der Fall, und der Betreffende kehrt zurück, so ist er von den zwei Männern des Feuers, an welchem er vorüberkommt, sofort festzunehmen, aber so, daß er nicht rufen kann. Das aber nur, ehe wir das Lager haben; später können solche Leute durch die Postenkette gelassen werden. Wißt ihr nun alles genau?«

»Ja,« antworteten die Zwanzig.

»Gut, so kann es beginnen. Die andern bleiben hier, bis ich zurückkehre, und haben sich ganz ruhig zu verhalten. Sollte unser Vorhaben aber mißlingen, so werde ich einen lauten Pfiff ausstoßen. In diesem Falle müssen alle Zurückgebliebenen sich schleunigst dort auf das Lager werfen und den Feldwebel mit seinen Leuten überwältigen. Jetzt kommt!«

Da trat der Ungar, welcher nicht mit zu den auserwählten Zwanzig gehörte, hervor und sagte:

»Effendi, wollte Sie mir erfüllte Bitt, ergebene?«

»Was willst du?«

»Sie schleichte sich an Posten, feindlichen. Das seinte Überfall, interessanter. Ich hatt gemochte auch gern mit anschleichte an Posten. Ich willte sein mitgangte mit Leuten, Ihrigen und zwanzigen. Ich hatt gebetete dazu um Erlaubnis, gütige und freundliche!«

»Nun wohl, du magst mitgehen.«

Er wußte, daß der Kleine sich gern bei solchen Ungewöhnlichkeiten beteiligte, und wollte ihn nicht gern zurückweisen, da ihn das gekränkt hätte.

Sie brachen auf, Schwarz und der Graue wie bisher an der Spitze. Sie gingen in einem kleinen Bogen auf das erste Postenfeuer zu und kamen dabei an diejenige Stelle, von welcher aus der Elefantenjäger mit Joseph Schwarz das Lager des Feldwebels beobachtet hatte. Dort waren sie nur noch dreißig Schritte von dem Feuer entfernt, welches, wie auch die übrigen neun, bei weitem nicht die Größe der beiden hatte, welche dort links im Lager brannten. Der Schein desselben drang also gar nicht weit in die Nacht hinaus.

Schwarz befahl den Leuten, mit Pfotenhauer hier zurückzubleiben, und schlich sich mit zwei Asakern und dem Unteroffizier näher. Nachdem sie die Hälfte der geringen Entfernung zurückgelegt hatten, legte er sich mit den beiden auf die Erde nieder; der Onbaschi aber sollte noch einige Schritte weiter gehen.

»Weißt du seinen Namen?« fragte Schwarz leise, indem er auf den Posten deutete, welcher regungslos am Feuer lag.

»Ja,« antwortete der Unteroffizier. »Er heißt Salef und ist einer meiner besten Kameraden gewesen.«

»So mach! Aber stelle dich, wenn du mit ihm sprichst, mit dem Rücken gegen das Feuer, damit er mir den seinigen zukehren muß!«

Der Onbaschi that noch fünf oder sechs Schritte und blieb dann stehen. Er war zehn Schritte von dem Feuer entfernt, dessen Schein die Dunkelheit der Stelle, wo er stand, kaum durchdrang.

»Salef!« rief er mit unterdrückter Stimme.

Der Posten horchte auf.

»Salef!« wiederholte der Onbaschi.

Er machte zur Beruhigung von Schwarz, welcher seinen Revolver auf ihn gerichtet hielt, um ihm beim geringsten Zeichen des Verrates eine Kugel zu geben, seine Sache ganz vortrefflich.

Der Posten blickte nach rechts hinüber zum nächsten Feuer. Er glaubte, von dorther gerufen worden zu sein. Dieses Feuer war vielleicht siebzig Schritte entfernt, und man konnte nicht einmal die Gestalt des bei demselben befindlichen Mannes sehen.

»Salef!« rief der Onbaschi zum drittenmal, jetzt mit etwas lauterer Stimme.

Jetzt merkte der Posten, woher der Ruf kam. Er stand schnell auf, blickte sich um, ergriff sein Gewehr und fragte:

»Wer ist da?«

»Ich.«

»Wer ist dieses Ich?«

»Na ich! Kennst du mich denn nicht mehr?«

Der Posten sah einen Mann stehen, konnte aber seine Gesichtszüge nicht unterscheiden. Die Gestalt kam ihm bekannt vor, ebenso die Kleidung. Das beruhigte ihn.

»Sag deinen Namen, sonst muß ich schießen!« drohte er.

»Unsinn! Wirst du mich, deinen besten Freund erschießen!«

»Allah w' Allah! Was redest du! Wenn du mein bester Freund bist, so komm doch näher!«

»Ich darf nicht.«

»Warum?«

»Weil man mich sonst sehen könnte. Dein Feuer ist zu hell. Komm her zu mir!«

Der Posten wäre dieser Aufforderung gewiß nicht gefolgt; aber jetzt kam ihm auch die Stimme bekannt vor. Er machte eine Bewegung der Überraschung, ließ sein Gewehr fallen und sagte:

»Allah schütze mich! Stehen die Toten auf? Bist du es wirklich, Onbaschi?«

»Ja, ich bin es.«

»Oder ist's dein Gespenst!«

»Nein; ich lebe. Fürchte dich nicht!«

»Aber du bist doch tot, ertrunken im Flusse und gefressen von den Krokodilen!«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich bin mit Absicht in den Fluß gefallen. Jetzt habe ich dir etwas zu sagen, was für dich sehr wichtig und vorteilhaft ist. Aber wenn ich zu dir an das Feuer komme, könnte mich der andre Posten sehen.«

»O, ihr Propheten und Kalifen! Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Der Onbaschi lebt; er ist nicht gestorben!«

»Schrei nicht so! Es ist nicht nötig, daß man hört, daß du mit jemand sprichst!«

Der Mann kam langsam und zögernd näher. Er traute doch nicht recht. Er war abergläubisch und hatte große Angst vor Geistern und Gespenstern. Er betrachtete den Onbaschi, ergriff ihn am Arme, drehte ihn herum, so daß er selbst mit dem Rücken gegen Schwarz zu stehen kam, und sagte dann aufatmend:

»Allah sei Dank! Es ist kein Gespenst, sondern du bist es wirklich! Aber, Mann, sage mir doch, weshalb du ins Wasser gesprungen bist!«

»Aus Klugheit. Ich wollte fort von hier.«

»Fort von uns, die wir herrlich und in Freuden leben? Das nennst du Klugheit? Sind dir denn deine Gedanken – –«

Er konnte nicht weitersprechen, denn Schwarzens Hände legten sich in diesem Augenblicke so fest um seinen Hals, daß ihm der Atem verging.

»Binden!« raunte der Deutsche den darauf wartenden Asakern zu, indem er den Überraschten noch weiter vom Feuer weg in die Dunkelheit hineinzog.

Sie kamen herbei und fesselten den Mann, welcher dann niedergelegt wurde. Nun erst nahm ihm Schwarz die Hände vom Halse, zog sein Messer, beugte sich über ihn, setzte ihm die Spitze desselben auf die nackte, unbekleidete Brust und drohte:

»Sag kein lautes Wort, sonst ersteche ich dich!«

»Allah – – Allah – –« hauchte der Gefangene, nach Atem schnappend. »Überfallen, überfallen – – – betrogen von meinem eigenen Unteroffizier!«

Dieser letztere war weggetreten, um die zu erwartenden Vorwürfe nicht anhören zu müssen.

»Beruhige dich!« antwortete Schwarz. »Ich beabsichtige nicht, dir Böses zu thun. Gehorchst du meinem Befehle, still zu sein und nicht zu rufen, so wird dir nichts geschehen. Erhebst du aber deine Stimme auch nur so laut, daß sie an deinem eigenen Feuer gehört werden kann, so wird der Mann, den ich hier lasse, dir das Messer augenblicklich in das Herz stoßen. Das merke dir!«

»Wer bist du denn, und was wollt ihr hier?«

»Das geht dich nichts an. Also, wirst du schweigen, oder soll ich dir etwa einen Knebel in den Mund stopfen?«

»Nein, nein, da könnte ich ersticken! Ich schweige; ich sage kein Wort, keine einzige Silbe!«

»Das rate ich dir, dein Leben hängt an einem dünnen Haare!«

Nun setzte sich ein Asaker an das Feuer, ganz so, wie vorhin der Posten an demselben gesessen hatte. Ein zweiter Soldat kauerte sich bei dem im Dunkeln liegenden Gefangenen nieder und zog sein Messer, um es zum tödlichen Stoße bereit zu halten. Ihm sagte Schwarz:

»Schicke ich dann den Boten, so lösest du ihm die Fesseln von den Füßen, daß er gehen kann, und bringst ihn zu mir. Aber an den Händen bleibt er gebunden, damit er dir nicht entkommen kann. Lässest du ihn fliehen, so ist es um dich selbst geschehen. Jetzt weiter!«

Nun kam Pfotenhauer mit den übrigen Achtzehn herbei und sagte leise:

»Das haben's gut g'macht! Wann's bei den andern ebenso g'lingt, so können wir zufrieden sein!«

Da antwortete der »Vater der elf Haare« leise, aber in hörbar wegwerfendem Tone:

»Hatt Sie dachte, daß es nicht kann gelungte? Herr Doktor Schwarz hatt beweiste schon bei Gelegenheiten, öfteren, daß er gekonnte anschleichte alle Feinde, seinige und unsrige mit Sicherheit, elegant und komfortabel.«

»Komfortable Sicherheit! Auch nit übel!« brummte der Graue.

»Still!« bat Schwarz. »Nicht etwa gar jetzt zanken!«

»Fällt mir gar nit ein!« antwortete Pfotenhauer.

Der Onbaschi wollte auf das wohlverdiente Lob nicht verzichten und fragte: »Wie habe ich meine Sache gemacht, Effendi? Bist du mit mir zufrieden?«

»Sehr! Wenn du bei den andern Neun mit derselben Vorsicht und Klugheit verfährst, so sollst du eine Belohnung von mir bekommen.«

»Ich werde sie mir verdienen; diese Versicherung gebe ich dir! Da sind wir schon beim zweiten Feuer.«

»Kennst du den Namen auch dieses Mannes?«

»Ich kenne sie alle, wie ich dir bereits gesagt habe. Dieser Posten wird noch viel mehr erstaunt sein als der vorige, denn er stand dabei, als ich mich in das Wasser fallen ließ.«

»So wird er um so leichter überrascht werden. Also hin zu ihm!«

Dieser zweite Wächter wurde auch unschädlich gemacht und nach ihm auch die weiteren acht. Der Onbaschi fand sich außerordentlich gut in seine Rolle; er bediente sich stets derselben Worte, welche kein einziges Mal ihre Wirkung versagten.

Als man mit dem letzten Posten fertig war, kehrten die Vier, nämlich Schwarz, Pfotenhauer, der Kleine und der Onbaschi auf demselben Wege, den sie jetzt gemacht hatten, zu den auf sie Wartenden zurück. Bei dieser Gelegenheit überzeugten sie sich davon, daß an den Wachtfeuern alles in Ordnung war.

An der Stelle, wo die Asaker in tiefster Stille geharrt hatten, angekommen, sagte Schwarz zu dem Grauen:

»Sie werden hier bei den Leuten bleiben; ich aber schleiche mich nach dem Lager, um dasselbe in Augenschein zu nehmen.«

»Ist das notwendig?« fragte Pfotenhauer.

»Ja. Ich muß wissen, wie ich die Leute zu postieren habe. Eher kann ich sie doch nicht mitnehmen.«

»Ich thät's anders machen!«

»Wie denn?«

»Ich macht' gar nit viel Umständ' mit den paar Kerlen, und thät' gleich über sie herfallen.«

»Von Ihrem Standpunkte aus haben Sie recht. Der Überfall würde ihnen so unvermutet kommen, daß sie vor Überraschung wohl gar nicht an Gegenwehr dächten. Uns aber ging dabei vielleicht viel verloren.«

»Was könnt' das sein?«

»Wenn ich mich jetzt anschleiche, bekomme ich wahrscheinlich manches zu hören, was uns von Vorteil ist. Das würde aber nicht der Fall sein, wenn wir sie jetzt gleich überfallen.«

»Aber Sie begeben sich in G'fahr!«

»O nein! Ich verstehe mich darauf, an jemand zu kommen, ohne daß er es bemerkt.«

»So nehmen's wenigstens mich mit, damit ich Ihnen beispringen kann, wenn's fehl geht!«

»Ihre Gegenwart kann mir keinen Nutzen, sondern nur Schaden bringen. Komme ich je in Gefahr, was ich aber nicht glaube, so werde ich schießen. In diesem Falle eilen Sie mir sofort mit allen Leuten zu Hilfe. So lange ich dieses Zeichen nicht gebe, befinde ich mich in vollkommener Sicherheit. Sie brauchen also keine Sorge um mich zu haben, wenn ich längere Zeit fortbleibe.«

Er ging. Pfotenhauer blickte ihm nach, bis er ihn nicht mehr sehen konnte, und räusperte sich dann unwillig. Es ärgerte ihn, daß er hatte zurückbleiben müssen.

»Haltet euch bereit,« sagte er zu den Asakern. »Ihr habt gehört, was der Effendi sagte. Sobald er schießt, springen wir nach dem Lager. Wer sich dort nicht freiwillig ergibt, wird niedergehauen oder erschossen. Ich vermute, daß wir den Schuß bald hören werden. Es ist tollkühn, sich ganz allein in eine Gefahr zu begeben, welche man so leicht umgehen kann!«

Diese Worte ärgerten den »Vater der elf Haare«. Er durfte nicht dulden, daß das Verhalten seines geliebten Herrn getadelt wurde; aber er wollte dem Tadler auch nicht vor den Soldaten entgegentreten, darum sagte er in deutscher Sprache, welche nicht von ihnen verstanden wurde:

»Was Herrrrr Doktor Schwarz hatt gemachte, seinte ganz gut und richtig!«

»So!« brummte der Graue. »Was versteht aan Dschelabi davon!«

»Ich verstante gar wohl davon! Ich sein geweste Zeit, sehr lange, bei Effendi, doktorigen, und hab' lernen kennte Person, seinige, sehr genau. Was er hatt gemachte, das hatt er gemachte stets richtig!«

Der Graue nahm diese Belehrung oder Zurechtweisung ruhig hin. Er wollte jetzt, wo es galt, still und vorsichtig zu sein, allen Zwist vermeiden. Der Kleine wandte sich stolz, keine Entgegnung gefunden zu haben, den Asakern zu und erzählte ihnen, auf welche Weise die Posten überrumpelt worden seien. Er wollte dabei seine Person in den Vordergrund stellen, wurde aber von dem »Vater des Gelächters« zurückgewiesen, indem ihm dieser erklärte:

»Was du uns da erzählst, das haben wir schon gewußt.«

»So? Warst du denn dabei?«

»Nein. Aber der Effendi erklärte vorhin doch, wie es gemacht werden solle, und da es genau so geschehen ist, so brauchst du es uns nicht zu erzählen.«

»Aber weißt du denn, wie ich mich dabei verhalten habe?«

»Ja.«

»Nun, wie denn?«

»Du hast gar nichts gethan, sondern nur zugesehen. Oder willst du etwa von Heldenthaten sprechen, welche du gar nicht gethan hast?«

»Schweig! Du warst nicht dabei und kannst also unmöglich wissen, welche Verdienste ich mir um euch errungen habe. Du freilich hättest nichts gethan und nichts gewagt, sondern nur zugeschlagen, denn du bist zu weiter nichts nütze. Darum hat der Effendi nicht dich, sondern mich mitgenommen!«

»Weil ich mich ihm nicht angeboten habe! Dich hätte er auch nicht mitgenommen, wenn du ihn nicht darum angefleht hättest. Das ist ein Beweis, daß er überzeugt gewesen ist, dich nicht brauchen zu können.«

»Willst du damit etwa sagen, daß ich ein unbrauchbarer Mensch bin?«

»Nein, denn jeder Mensch, selbst der allerdümmste, ist zu etwas nütze!«

»Oho!« stieß der Kleine zornig hervor. »Kommst du mir so? Nennst du mich den allerdümmsten Menschen? So wisse denn, daß ich sämtliche Wissenschaften studiert habe und auswendig kann! Was aber hast du gelernt? Nichts, gar nichts!«

»Laß mich in Ruhe mit deinen Wissenschaften! Wir wissen sehr genau, was wir davon zu halten haben. Ich bin dir da weit überlegen, denn ich kenne alle Völker und Dörfer, alle Länder und Einwohner des Erdkreises.«

»Das machst du mir nicht weiß!«

»Ich habe es bewiesen!«

»Wann denn?«

»Auf der Seribah Madunga, wo du meine Fragen nicht beantworten konntest.«

»Und du ebensowenig die meinigen, du dreimaliger und zehnmaliger 'Vater des Gelächters' und der Lächerlichkeit!«

»Schimpfe nicht! Wie lautet denn dein Name? 'Vater der elf Haare', rechts sechs und links fünf kleine Borsten! Schau dir dagegen den Bart an, mit welchem Allah mich erfreut hat. Jeder, der mich erblickt, hat Respekt vor dieser männlichen Zierde!«

»Mache dich nicht lächerlich! Seit welcher Zeit trägst du ihn denn? Seit einigen Wochen! Da kannst du noch gar nicht wissen, ob er Blüten und Früchte bringen wird! Und was meinen Namen betrifft, so brauche ich mich seiner nicht zu schämen. Man nennt mich Abu el buz, 'Vater des Maules', weil die vordere Hälfte des Löwen mein Eigentum geworden ist. Du aber hast dich mit der hinteren zufrieden geben müssen, du armer 'Vater des Schwanzes'!«

»Weil das Los so gefallen ist. Wie lautet denn dein eigentlicher Name, den du in deiner Heimat trägst? Ich habe ihn mir gemerkt. Uszkar Istvan heißt er. Wer einen so kurzen Namen trägt, kann kein berühmter Mann sein. Höre dagegen den meinigen! Ich bin Hadschi Ali Ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Otaiba Abu l'Oscher Ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abd' Allah el Sandschaki!«

»Um Allahs willen, halt ein!« rief der Kleine. »Du ziehst diesen ewig langen Namen ja aus dem Munde, wie der Effendi heute den Wurm aus der Beule des Abaka-Negers gewickelt hat!«

»Willst du wohl schweigen!« fuhr ihn der Graue an. »Du schreist ja, daß man es dort beim Feuer hören muß. Willst du, daß man auf uns aufmerksam wird und der Effendi deinetwegen in Gefahr gerät!«

Das half. Der Kleine war still; aber nach einer Weile trat er nahe an den »Vater des Gelächters« heran und fragte ihn leise:

»Ärgerst du dich, Hadschi Ali?«

»Ja,« antwortete dieser. »Du dich aber wohl auch?«

»Natürlich!«

»Wer ist schuld daran?«

»Ich!«

»Nein, ich!«

»Also alle beide?«

»Ja. Darum ist der eine gerade so viel wert wie der andre. Verzeihst du mir?«

»Ja. Und du mir auch?«

»Ganz gern. Gieb mir deine Hand! Wir wollen uns nicht wieder zanken.«

»Nein. Wenigstens heute nicht mehr. Das verspreche ich dir.«

Indessen hatte Schwarz die Nähe des Lagers erreicht. Dieses befand sich an einer Stelle des Ufers, an welcher die Büsche aus der Ebene unter die Bäume zurückgewichen waren, ein Umstand, welcher dem Deutschen sehr lieb sein mußte. Die nackten Baumstämme allein hätten ihm kein vollständig sicheres Versteck geboten. Da sich aber das Gesträuch zwischen ihnen befand, so konnte er sich hinter und in demselben leichter nähern.

Die Sklavenjäger saßen zwischen den beiden Feuern, so daß sie von den hier am Wasser sehr zahlreichen Stechfliegen weniger belästigt werden konnten. Über der einen Flamme hing ein tönernes Gefäß, in welchem Fische gesotten wurden, die man im Maijeh gefangen hatte. Die mitgenommenen Sklavinnen rieben Durrah zu Mehl und buken am andern Feuer die bekannten Fladen.

Die Männer hatten alle ihre Pfeifen im Munde. Die Quantität des aus der Seribah entführten Tabaks war eine so bedeutende, daß die Abtrünnigen vom Morgen bis zum Abend rauchen konnten. Jenseits der Feuer lag das Gepäck unter den Bäumen; ob es viel oder wenig war, konnte Schwarz nicht sehen. Er kroch auf Händen und Füßen näher und immer näher, bis er zwei Büsche erreichte, welche sich kaum fünf Schritte weit von dem ersten Feuer befanden. Sie standen nahe beisammen. Unter und zwischen ihnen war Raum für einen Menschen. Der Deutsche schob sich langsam und vorsichtig hinein und zog dann seinen Körper möglichst zusammen, um wenig Raum einzunehmen.

Er konnte nun den Kreis der Männer überblicken. Sie mußten wohl alle anwesend sein, denn er zählte einundvierzig. Der erste Blick gleich zeigte, welcher von ihnen der Feldwebel war. Er saß dem Lauscher nahe und führte das Wort. Schwarz konnte alles hören.

»Es thut mir leid,« sagte der Alte soeben, »daß er ertrunken ist; aber schade ist es eigentlich nicht um ihn. Allah hat es gewollt, und so ist es das Beste gewesen. Dieser Onbaschi war uns nicht sicher genug. Er haßte Abd el Mot, aber er hing zu sehr an Abu el Mot. Wir konnten uns nicht auf ihn verlassen. Ich hatte ihn stets im Verdachte, daß er uns entlaufen werde, um uns zu verraten.«

»Das konnte er gar nicht wagen,« bemerkte einer.

»Warum nicht?«

»Weil Abu el Mot ihm sofort als Verräter eine Kugel gegeben hätte.«

»Das glaube ja nicht! Er hätte ihn begnadigt. Es versteht sich ja ganz von selbst, daß der Onbaschi die Sache so dargestellt hätte, daß auf ihn gar keine oder nur sehr wenig Schuld gefallen wäre. Wehe aber dann uns! Fielen wir infolge eines solchen Verrates Abu el Mot in die Hände, so würde er sich alle möglichen Qualen ausdenken, um sie uns erleiden zu lassen.«

»Das ist wahr. Und darum sollten wir nicht hier liegen bleiben!«

»O, wir sind hier ganz sicher!«

»Das glaube ich nicht. Wenn der Herr nach der Seribah kommt und sie verwüstet findet, so geht er zu den Dschur, von denen er alles erfährt. Dann kommt er uns mit den Nuehr, die er anwerben wollte, nach, und wir sind verloren.«

»Ja, wenn! Aber er wird eben jetzt noch nicht kommen.«

»Weißt du das denn?«

»Sehr genau!«

»Aber es wurde ja gesagt, daß er jeden Augenblick erwartet werden könne!«

»Das gebe ich zu; ich selbst habe es auch gesagt, um euch zur Eile anzutreiben; aber ich weiß, daß er erst später zurückkehrt.«

»Hat er es dir gesagt?«

»Nein; ich vermute es. Sage mir doch einmal, ob er von der Ghasuah weiß, welche Abd el Mot nach Ombula unternommen hat!«

»Kein Wort weiß er. Abd el Mot hat sie auf sein Risiko unternommen.«

»Wird dieser wohl gewußt haben, wenn sein und unser Herr zurückkehren wird?«

»Sicher!«

»Wird er wohl nach Ombula gegangen sein zu einer Zeit, während welcher der Herr zurückkehrt?«

»Das ist nicht wahrscheinlich.«

»Nun, so sage ich euch, Abd el Mot ist noch nicht von Ombula zurück, folglich kehrt auch Abu el Mot noch nicht heim. Wir sind also ganz sicher vor diesem 'Vater des Todes' und können in aller Ruhe und ohne Sorgen hier bleiben und die Rückkehr der Ghasuah erwarten.«

»Wenn du dich nur mit dieser nicht täuschest! Es fragt sich, ob die Kameraden von Abd el Mot zu uns überlaufen.«

»Sie kommen; darauf könnt ihr euch verlassen. Ich kenne meine Leute.«

»Wollen es hoffen! Ich glaube es auch, da keiner von allen diesen Abd el Mot gern leiden mag. Freilich werden wir uns dann vielen und großen Mühen und Beschwerden zu unterziehen haben. Bedenke, daß die Ghasuah eine Menge von Sklaven und Tieren mitbringen wird. Dazu die Herden, welche wir hier haben. Das gibt einen Transport, welcher sehr schwierig ist. Wir kommen, wenn wir damit nach Süden wollen, nur höchst langsam fort, und da steht zu befürchten, daß Abu el Mot uns mit seinen Nuehrs einholen wird.«

»Meinst du, daß ich das nicht auch bedacht habe? Aber wenn die Leute der Ghasuah zu uns übergehen, so sind wir stark genug gegen die Nuehr, obgleich wir ihre Zahl nicht kennen. Zweihundert, höchstens dreihundert wird er bringen. Wir aber zählen weit über fünfhundert dann. Und was die Tiere betrifft, so werden wir uns nicht mit ihnen zu schleppen brauchen.«

»Wieso? Meinst du, daß wir sie nicht mitnehmen?«

»Ja, das meine ich.«

»Was soll denn mit ihnen geschehen?«

»Wir verkaufen sie.«

»Das ist schwierig!«

»O nein. Man muß das Geschäft nur verstehen. Wir vertauschen sie gegen Elfenbein.«

»Allah! Welch ein Gedanke!«

»Gefällt er dir?«

»Er ist kostbar. Aber die Sache hat Eile. Wir bleiben doch nicht noch wochenlang hier!«

Der Feldwebel that einen tiefen Zug aus der Pfeife, blies den Rauch von sich, strich sich den Bart und sagte, wohlgefällig lächelnd:

»Ja, da seht ihr wieder einmal, was ihr jetzt für einen Anführer habt! Ich ritt gestern hier fort und kehrte erst heute gegen Abend zurück. Wo bin ich wohl gewesen?«

»Du hast es uns ja gesagt!«

»Nein.«

»Nicht nach Ombula zu, um dich heimlich zu unterrichten, wie es dort steht?«

»Ist mir nicht einfallen.«

»Aber du erzähltest doch vorhin, daß du fast bis ganz hin gekommen seist!«

»Das that ich, um euch morgen früh zu überraschen. Sage mir doch einmal, wo die berühmtesten Elfenbeinhändler zu finden sind?«

»Natürlich bei den Dor-Negern.«

»Wie weit hat man zu ihnen?«

»Von hier aus zu Pferde fast einen ganzen Tag.«

»Nun, ich bin bei ihnen gewesen.«

»Wirklich? Wegen des Elfenbeines?«

»Ja.«

»Das ist gut, das ist gut!«

Nicht bloß der eine rief dies aus, sondern es stimmten alle mit ihm ein. Die lästigen Tiere gegen Elfenbein, welches man mit großem Gewinn verkaufen konnte, los zu werden, war ihnen allen höchst willkommen.

»Ich habe ihre Gruben gesehen,« fuhr der Feldwebel fort. »Sie sammeln das Bein jahrelang und verstecken es in Gruben, bis sich eine Gelegenheit bietet, es gegen Rinder zu vertauschen. Diese Gruben halten sie geheim, damit ihre Schätze ihnen nicht gestohlen werden; aber als ich ihnen sagte, was ich wollte, da öffneten sie eine derselben, um mir den Inhalt derselben zu zeigen. Ich sage euch, daß ich mit Staunen dabei stand. Und der Preis, welchen sie forderten, war so gering, daß wir ein Geschäft machen werden, wie Abu el Mot noch keins gemacht hat.«

»Hast du denn bereits mit ihnen gehandelt?«

»Ich habe ihnen gesagt, wie viele Tiere sie von uns erhalten können, und so wollen sie morgen kommen und den Handel abschließen. Sie bringen viele Lasten Elfenbein mit.«

»Morgen also? Um welche Zeit?«

»Ich sagte ihnen, daß wir Eile haben. Sie werden infolgedessen schon heute aufbrechen, die ganze Nacht hindurch marschieren und bereits mit Anbruch des Tages hier sein.«

»Das ist – – – –«

Der Sprecher wurde unterbrochen. Man vernahm den nahenden Hufschlag eines Pferdes. Eine laute Stimme ertönte von dem ersten, nach Süden gelegenen Postenfeuer herüber, eine andre antwortete. Man hörte darauf einen Ausruf der Überraschung, und dann kam der Reiter herbei.

Die Leute waren aufgesprungen und blickten dem Nahenden erwartungsvoll entgegen. Wer mochte es sein? Er kam aus südlicher Richtung, und dort lag Ombula. War er vielleicht ein Bote von Abd el Mot?

Diese Vermutung bestätigte sich. Als der Reiter das Feuer erreicht hatte und sie sein Gesicht sehen konnten, rief der Feldwebel aus:

»Babar, du bist es? Sei willkommen und steige vom Pferde!«

Der Angekommene sprang aus dem Sattel, trat in den Kreis seiner Kameraden, von deren Abfall er noch keine Ahnung hatte, sah einen nach dem andern erstaunt an und rief:

»Bei Allah, ich weiß nicht, ob ich meinen Augen trauen darf! Sehe ich denn recht? Ihr hier, die ich in der Seribah vermute! Und auch du mit, Feldwebel! Du warst ja Gefangener!«

»Ich bin frei, wie du siehst,« antwortete dieser.

»Wer hat dir denn die Freiheit wiedergegeben? Abu el Mot? Ist er schon zurück?«

»Davon später! Jetzt sage mir erst einmal, wo hast du deine Flinte?«

»Dort am Sattel hängt sie.«

»Und dein Messer?«

»Hier im Gürtel.«

»Zeige doch einmal!«

Er zog ihm das Messer aus dem Gürtel und erkundigte sich weiter:

»Was hast du sonst noch für Waffen?«

»Keine. Was fragst du, und was willst du mit dem Messer?«

Der Feldwebel trat zum Pferde, nahm die Flinte, welche am Sattelknopfe hing, gab sie und das Messer einem der Leute, welcher beides zum Gepäck trug, und antwortete dann dem erstaunten Frager:

»Babar, du bist einer unsrer besten und wackersten Männer; ich gönne dir ein langes Leben und alles Gute, aber du stehst jetzt bereits mit einem Fuße auf der Brücke, welche aus diesem Leben führt.«

»Wie? Was?« fragte Babar.

»Du hast meine Worte gehört, und es ist in Wirklichkeit so, wie ich sage. Ich werde dir das erklären. Vorher aber sage mir, ob die Ghasuah Erfolg gehabt hat.«

»Einen ungeheuern. Wir haben wohl an die tausend Sklaven.«

»Und nun kommt ihr zurück?«

»Noch nicht. Das Glück hat Abd el Mot unternehmend gemacht. Er überfällt noch ein andres Dorf, wo er vielleicht ebensoviele Schwarze fangen wird.«

»So ist er also nicht mehr in Ombula?«

»Nein. Diese Gegend wurde ihm zu unsicher. Man kann sich dort nicht verteidigen, da alles niedergebrannt ist, und doch steht zu erwarten, daß die Belanda sich versammeln werden, um uns unsern Raub wieder abzujagen. Darum hat er seine Asaker geteilt. Mit dreihundert ist er weiter gezogen, um noch mehr Sklaven zu machen, und zweihundert sind eine Strecke rückwärts gegangen, bis an einen Ort, wo man sich gegen einen Überfall leicht wehren kann.«

»Wo ist dieser Ort?«

»Einen halben Tagemarsch von hier, und ganz ebenso weit von Ombula. Es ist ein nicht ganz ausgetrocknetes Regenbett, in welchem wir auf dem Hinmarsche zwei Weiße fingen, welche nach Ombula wollten, um den Belanda unsre Ghasuah zu verraten. Hinter diesem Regenbette liegt ein Maijeh, und zwischen beiden lagern wir.«

»Und wo willst du hin?«

»Nach der Seribah zu Abu el Mot.«

»Allah! Ist er zurück?«

»Das mußt du doch besser wissen als ich! Abd el Mot meint, daß er nun heimgekehrt sein müsse, und sendet mich zu ihm, um ihm zu sagen, er möge mit den Nuehr schnell nachkommen, da wir an Zahl zu wenig sind, so viele Sklaven zu transportieren und, wenn wir angegriffen werden, zugleich auch zu verteidigen.«

»Teufel!« rief der Feldwebel. »Abu el Mot schon zurück! Wer konnte das denken! Vielleicht ist er schon hinter uns her!«

»Hinter euch her? Wie habe ich das zu verstehen? Seid ihr denn ohne seine Erlaubnis aus der Seribah fort?«

»Ja.«

»Wer befindet sich denn dort?«

»Niemand.«

»Ist's möglich? So stehen die Tokuls verlassen?«

»Sie stehen nicht verlassen, sondern sie stehen überhaupt nicht mehr.«

»Bist du irrsinnig? Warum sollen sie nicht mehr stehen?«

»Weil sie verbrannt sind.«

»Verb – – –«

Das Wort wollte nicht über seine Lippen. Der Feldwebel nickte ihm mit einem zweideutigen Lächeln zu und fuhr fort:

»Die ganze Seribah liegt in Asche.«

»Allah schütze meine Ohren!« rief Babar. »Ich weiß nicht mehr, ob ich ihnen trauen darf. Auch dein Gesicht ist nicht wie dasjenige eines Mannes, welcher abgebrannt ist. Du lachst sogar. Dort sehe ich Körbe und Pakete liegen. Was hat das zu bedeuten?«

»Du sollst es hören. Setze dich mit uns ans Feuer! Ich werde dir erzählen, was geschehen ist.«

»So mache schnell! Ich bin außerordentlich gespannt, es zu hören. Aber meine Flinte und mein Messer! Warum hast du sie mir abverlangt? Warum gibst du sie mir nicht wieder?«

»Auch das sollst du erfahren. Es sind Dinge geschehen, von denen du keine Ahnung hast. Wenn du klug bist, so benutze es. Es steht jetzt in deiner Hand, dein Glück zu machen.«

Er zog den Mann neben sich an das Feuer nieder und begann seine Erzählung.

Dies und manches hatte Schwarz gehört und gesehen; nun aber glaubte er genug zu wissen. Er kroch in die Büsche zurück und schlich sich davon. Als er bei seinen Leuten ankam, sagte Pfotenhauer:

»Das war halt eine lange Zeit, die wir auf Sie warten mußten, wohl über eine ganze Stund'. Haben's denn was g'hört?«

»Genug, mehr als genug!«

»Und Gutes?«

»Nein. Mein Bruder ist gefangen.«

»Tausend Teuxel! Wissen's das aber auch g'wiß?«

»Ja. Einen halben Tagemarsch von hier ist er mit dem Elefantenjäger in die Hände Abd el Mots geraten.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Das weiß ich nicht. Ich wollte nicht so lange warten, bis alles erzählt war. Aber ich werde es erfahren.«

»So machen's schnell! Wir müssen natürlich rasch aufbrechen, um die beiden herauszuholen.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Aber diese Nacht müssen wir noch hier bleiben. Die Ghasuah ist gelungen. Ombula steht nicht mehr. Tausend Sklaven befinden sich in den Händen Abd el Mots, und er will sogar noch mehr haben!«

»So! Das ist ja ganz entsetzlich! Nun, wir werden ihm einen Querstrich durch die Rechnung machen, der ihm gar vielleicht durchs Leben geht. Aber erzählen's deutlicher, was dort an den Feuern g'sprochen worden ist. Wenn Ihr Bruder, der Sepp, mein Spezial, g'fangen worden ist, so muß ich doch ebenso gut wie Sie derfahren und wissen, wie dieser Abd el Mot das ang'fangen hat. Nachhero kann man sich besser überlegen, wie man ihn wieder herausbekommt.«

Schwarz erzählte ihm Wort für Wort, was er gehört hatte. Darüber geriet der Graue in einen fürchterlichen Zorn. Er stieß, als Schwarz geendet hatte, mit unterdrückter Stimme hervor:

»So steht's also, so! Den Sepp haben's mir wegg'fangen, und wer weiß, was sie mit ihm machen werden! Erfahren haben's, daß er die Neger hat warnen g'wollt. Also werden sie eine große Rach' auf ihn haben und ihn wohl nit wie einen willkommenen Kirmesgast b'handeln. Aber ich komm', ich, der Vogelnazi, komm' schon hin, und wehe euch, wenn ihr ihm aan einzig Haar gekrümmt habt. Jetzund aber schnell hin ans Feuer, sonst müssen wir g'wärtig sein, daß uns die G'schicht gar noch mißrat!«

»Das steht zwar nicht zu befürchten, aber möglich ist es, daß der Feldwebel jetzt schleunigst eine Bestimmung trifft, welche uns die Sache erschwert.«

»Welche denn?«

»Er weiß nun, daß der Herr wieder da ist, nämlich Abu el Mot. Dieser kann sich zur Verfolgung schon unterwegs befinden, und darum wird der Feldwebel wohl auf den Gedanken kommen, ihm einen Sicherheitsposten entgegenzuschicken.«

»Na, das wär' auch kein Unglück für uns, denn diesen Posten würden wir gleich wegfangen. Aber ich mag keine Minute länger warten. Wollen machen, daß wir an sie kommen!«

»Ja, es ist Zeit.«

»Wie soll's g'schehen?«

»Wir teilen uns. Achtzig Mann haben wir, mit denen wir sie vollständig einschließen müssen, so daß kein einziger entkommen kann. Ich nehme davon nur dreißig und führe sie dahin, wo ich jetzt gewesen bin. Wir legen uns zwischen das Lager und den Maijeh unter die Büsche und Bäume. Sie umzingeln mit den übrigen fünfzig Mann das Lager nach der Ebene hin, indem Sie sich zwischen den zwei Feuern und den Tieren, welche da rechts lagern, hindurchschleichen. Ihre Leute müssen eine halbe Kreislinie bilden, welche an ihren beiden Enden auf die gerade Linie stößt, in welcher meine Leute liegen. Ist das geschehen, so gibt es keine Lücke mehr, und wir dringen auf die Kerls ein. Morden wollen wir nicht. Wir werfen sie einfach nieder. Der Schreck wird unser Gehilfe sein. Nur wenn sich einer mit der Waffe wehrt, wird er getötet.«

»Hatten sie die G'wehr bei sich?«

»Nein; die standen bei dem Gepäck; aber Messer und Pistolen gab es in den Gürteln. Die Hauptsache ist, daß wir schnell über sie kommen und sie gleich erdrücken. Was mich betrifft, so schlage ich diejenigen, welche ich erreichen kann, nieder, daß sie die Besinnung verlieren und leicht gebunden werden können.«

»Das ist das klügste, was es geben kann. Achtzig gegen vierzig? Wann wir sie schonen und nur mit der Faust niederringen wollen, so können uns leicht welche entgehen. Ich sag' meinen Leuten, daß sie gar nix sagen, gar nit reden sollen; sie sollen still auf sie eindringen und mit den Kolben zuschlagen. Jeder Hieb einen Mann, und zwar auf den Kopf. Nicht wahr?«

»Ja, das halte auch ich für das beste.«

»Aber wie derfahr ich, wann Sie bereit sind, oder Sie, daß ich es bin?«

»Wir müssen uns ein Zeichen geben.«

»Aber welches?«

»Wählen Sie?«

»Die Stimme eines Vogels; das wird das beste sein. Aber daß 's nit auffällt, muß es natürlich g'macht werden. Kennen's vielleicht den Abdimistorch?«

»Ja.«

»Wie heißt er lateinisch?«

»Sphenorhynchus Abdimi

»Richtig! Und arabisch?«

»Simbil oder Simbila.«

»Und sudanesisch?«

»Schumbriah.«

»Sehr gut!« lobte der Graue, der selbst jetzt das Examinieren nicht lassen konnte. »Dieser Storch läßt, wenn er schlafen 'gangen ist und g'stört wird, aan schnarrendes Klappern hören. Kennen's das?«

»Ja.«

»Aber nachmachen können's nit?«.

»Sehr gut sogar; es ist nicht schwer.«

»Gut. Das soll das Zeichen sein. Wer zuerst fertig ist, der gibt es. Und wann der andre es wiederholt, so ist das der Augenblick, wo zug'schlagen werden soll. Sind wir fertig?«

»Ja. Nur noch die Instruktion.«

Die achtzig Männer wurden unterrichtet, wie sie sich zu verhalten hatten, dann gingen sie in zwei Abteilungen auseinander. Denen, welche Schwarz anführte, war die schwierigere Aufgabe zugefallen. Sie hatten sich in das Gebüsch zu schleichen und dort festzusetzen, wobei jedes Geräusch vermieden werden mußte. Dabei war Schwarz gezwungen, jedem einzelnen seine Stelle anzuweisen, was Zeit erforderte. Hie und da stieß einer gegen die Zweige, daß sie raschelten. Glücklicherweise war das Gespräch, welches jetzt am Feuer geführt wurde, ein so lautes, daß dieses Rascheln vom Feinde nicht bemerkt wurde.

Schwarz selbst postierte sich in die Mitte seiner Aufstellung, gerade hinter den Feldwebel, welchen sein erster Hieb treffen sollte. Die Hauptperson für ihn aber war Babar, der Bote Abd el Mots. Von diesem allein konnte er erfahren, was er wissen wollte und wissen mußte; darum richtete er auf ihn sein Hauptaugenmerk.

Eben hatte er sich nieder gekauert, als der Graue das verabredete Zeichen ertönen ließ. Zu gleicher Zeit hörte er, daß der Feldwebel den Boten fragte:

»Nun sei klug und wähle! Ich habe dir alles erklärt und auseinandergesetzt. Zu wem willst du halten, zu mir oder zu Abd el Mot?«

»Zu dir natürlich,« erklärte Babar. »Bei dir wird es ein ganz andres Leben geben als bei ihm, und ich sage dir, daß die meisten von uns, wenn sie kommen, sich auf deine Seite stellen werden. Freilich ist's ein Wagnis. Wenn Abu el Mot kommt, sind wir verloren.«

»Noch nicht. Ich fürchte ihn nicht.«

»Bedenke, fünfzig sind wir; er aber bringt einige Hundert mit!«

»Wir werden mehr als fünfzig sein. Wie die Sachen stehen, muß ich meinen Plan ändern. Ich darf nicht hier liegen bleiben und mich von Abu el Mot abwürgen lassen. Morgen mit dem Frühesten kommen die Dor mit dem Elfenbein. Ich schließe den Handel so rasch wie möglich ab, und dann brechen wir nach Ombula auf. Wenn ich die Fahne der Empörung entfalte, fallen mir alle Kameraden zu, und dann mag Abd el Mot kommen. Ich gebe ihm eine Kugel, und damit hat seine Herrschaft ein Ende!«

»Und die deinige beginnt!« stimmte der Bote bei.

Er sollte nicht recht behalten, denn gerade in diesem Augenblicke wurde dafür gesorgt, daß die Herrschaft des Feldwebels gar nicht beginnen sollte. Schwarz gab das Zeichen, sprang vor und schlug den Alten mit solcher Macht gegen die Schläfe, daß er lautlos zur Seite fiel und da wie tot liegen blieb. Im nächsten Augenblicke schmetterte seine Faust den Boten nieder.

Das geschah so schnell, daß die Sklavenjäger gar nicht Zeit fanden, eine abwehrende Bewegung zu machen. Sie saßen auch dann noch vor Schreck lautlos da, als die Angreifer von allen Seiten über sie herfielen. Erst als die meisten von ihnen niedergeschlagen waren, erhoben die andern ihre Stimmen und versuchten, sich zu wehren, doch ohne den geringsten Erfolg.

Das war ein ganz eigenartiger Kampf, wie ihn der mehr als lebhafte Sudanese, welcher nichts ohne Geschrei thun kann, eigentlich gar nicht kennt. Die Angreifenden kamen ihrer Instruktion wörtlich nach. Keiner von ihnen sprach ein Wort; sie schlugen mit den Kolben zu, und fast jeder Hieb fällte seinen Mann. Die wenigen, welche die gegen sie gerichteten Schläge mit den Armen pariert hatten, baten um Gnade. Sie sahen ein, daß Widerstand vergeblich sein werde.

Noch nie am Nile hatten hundertzwanzig Personen gegeneinander mit so wenig Lärm gekämpft, und auch wohl noch nie war ein ähnlicher Kampf so schnell zu Ende gewesen. Jeder Asaker hatte sich mit einem Strick, einer Schnur oder etwas Ähnlichem versehen, und noch keine Viertelstunde, nachdem Schwarz das Zeichen des Grauen erwidert hatte, lag die ganze Mannschaft des Feldwebels, und auch er selbst, gefesselt da.

Es läßt sich denken, welche Augen er machte, als er aus seiner Ohnmacht erwachte. Er wollte sich mit der Hand an die Stelle langen, wo ihn die Faust des Deutschen getroffen hatte; aber er konnte nicht, denn er war gefesselt. Er riß die Augen auf und blickte im Kreise umher. Da sah er die Seinen gebunden und rundum standen die Gestalten der Asaker, stumm und die Hände auf ihre Gewehre gestützt.

Sein Auge fiel auf Schwarz und Pfotenhauer; er sagte noch immer nichts; auch kein andrer sprach. Dann traf sein Blick einen – –

»Allah ia sillib – Gott, allmächtiger!« schrie er auf, indem er sich vor Entsetzen aufbäumen wollte, aber nicht konnte. »Herr, schütze mich vor dem neunundneunzigmal gesteinigten Teufel! Wandeln die abgeschiedenen Geister auf der Erde umher?«

Der Onbaschi war es, den er sah. Dieser antwortete:

»Ja, sie wandeln. Es sind die Dschinn el intikam, welche den Wortbrüchigen verfolgen. Du verführtest mich, indem du sagtest, daß ich mit dir gebieten solle. Du hieltest nicht Wort und wolltest mir befehlen. Nun ereilt dich die Strafe.«

Der Alte antwortete nicht. Er starrte den Unteroffizier noch immer mit einem fast seelenlosen Blick an. Dieser fuhr fort:

»Ich sprang mit Absicht in das Wasser und schwamm unter demselben fort, um Abu el Mot zu holen. Allah hat es anders gefügt. Ihr seid nun nicht in seine Hände gefallen, sondern ihr seid die Gefangenen dieser beiden Effendina, in deren Hände euer Leben gegeben ist.«

»Er lebt! Er ist nicht tot!« stieß der Feldwebel jetzt hervor. »Er ist nicht ertrunken, sondern – – – er ist ein Verräter! Allah verbrenne ihn! Wer aber sind die Männer, welche es gewagt haben, uns zu überfallen, ohne daß wir sie beleidigt haben. Bindet uns augenblicklich los!«

Diese Worte waren an Schwarz gerichtet.

»Nur Geduld!« antwortete dieser. »Du wirst deine Fesseln nicht immer tragen.«

»Nicht eine Stunde, nicht eine Minute, nicht einen Augenblick länger will ich sie tragen! Mache mich frei, sonst bist du verloren! Du weißt nicht, daß wir uns nicht allein hier befinden. Wir haben noch mehr Krieger da!«

»Nur noch zehn. Du meinst da draußen die Wächter? Die liegen seit fast zwei Stunden bei ihren Feuern, ebenso gefesselt wie du. Der Mann, welcher Babar hereingelassen hat, war einer meiner Leute, nicht aber ein Kamerad von euch.«

»Du kennst meinen Namen?« fragte der Bote.

»Ja.«

»Woher?«

»Ich kenne ihn; das ist genug. Und nun hört, was ich euch sagen werde!«

Er setzte sich vor dem Feldwebel und Babar nieder und fuhr fort:

»Ihr habt euch gegen Abu el Mot empört; aber ihr seid nicht aus diesem Grunde gefangen genommen worden. Auch ich bin sein Feind und derjenige von Abd el Mot. Ich überfiel euch nur darum, weil ihr zu ihm gehört habt. Ob ich euch die Freiheit wiedergebe, das kommt auf euch an. Euer Leben liegt in meiner Hand.«

»Effendi, wer bist du?« fragte der Feldwebel.

»Das brauchst du in diesem Augenblick nicht zu erfahren. Ich will dir sagen, daß Abu el Mot zurück ist. Er kam mit dreihundert Nuehr. Ich überfiel und besiegte ihn, und nun befindet er sich auf der Flucht nach Ombula. Ich werde ihn auch dort überfallen und – – –«

»Laß uns frei! Wir helfen dir!« rief der Feldwebel.

»Ich bedarf eurer Hilfe nicht. Ihr habt euch gegen euern Herrn empört und ihm euer Wort gebrochen; ich kann euch nicht gebrauchen. Euer Handwerk ist ein Verbrechen, und Abu el Mot ist ein großer Sünder. Dennoch seid ihr Meineidige gegen ihn, und ich mag nichts mit euch zu schaffen haben. Ihr habt alle den Tod verdient; aber ob ich euch richte oder euch euerm Gewissen überlasse, das soll dieser Mann entscheiden.«

Er deutete auf den Boten.

»Ich, Effendi?« fragte dieser.

»Ja, du.«

»Du scheinst mich und uns alle zu kennen?«

»Ich kenne euch und eure Verhältnisse besser als ihr selbst.« »Aber du bist uns ein Rätsel!«

»Es wird euch gelöst werden, wenn auch nicht in diesem Augenblicke.«

»Ich weiß nichts von dir; ich habe dich noch nie gesehen. Ich weiß nur, daß wir deine Gefangenen sind, und aus deinen Reden geht hervor, daß du uns unter Umständen begnadigen wirst.«

»So ist es. Und auf dich allein soll es ankommen, denn nur nach deinem Verhalten werde ich das meinige richten.«

»Was soll ich thun?«

»Mir aufrichtig antworten.«

»Frage mich! Wann ich kann, werde ich dir alles sagen, was ich weiß.«

»Du kannst, wenn du nur willst. Ihr habt eine halbe Tagereise von hier zwei weiße Gefangene gemacht?«

»Ja.«

»Sag vor allen Dingen, leben sie noch?«

»Ja.«

»Sind sie verwundet?«

»Nein. Sie sind gesund und wohl, aber Abd el Mot will sie töten.«

»Wann?«

»Wenn er in die Seribah zurückgekehrt ist.«

»Gott sei Dank! So ist es also noch nicht zu spät! Wer sind diese Männer?«

»Der eine ist ein fremder Effendi, ein Giaur, dessen Gesicht dem deinigen ähnlich ist, wie das Gesicht eines Bruders demjenigen des andern.«

»Weiter!«

»Der zweite ist ein Emir, ein Araber.«

»Kennst du seinen Namen?«

»Abd el Mot nannte denselben, als er ihn an dem Maijeh zuerst erblickte, dann aber nicht wieder. Er hieß ihn Emir von Kenadem, Barak el Kasi.«

Da ertönte ein lauter Schrei. Derselbe kam von den Lippen des »Sohnes des Geheimnisses«. Dieser sprang hervor, auf Babar zu und rief, indem sich in seiner Haltung, seiner Stimme und auf seinem Gesichte die größte Erregung aussprach:

»Wie war das? Welche Namen sagtest du?«

»Emir von Kenadem.«

»Ke – na – dem! Kenadem!« wiederholte er erst langsam und dann schnell. Auf seinen Wangen kam und ging die Röte, und sein Atem flog, als er fortfuhr: »Kenadem! O, mein Kopf, mein Gedächtnis, meine Erinnerung! Allah, Allah! Kenadem, Kenadem! Welch ein süßes, welch ein herrliches Wort! Ich kannte es; es lag in mir begraben, nein, nicht begraben, sondern es schlief nur und brauchte bloß aufgeweckt zu werden! Aber ich fand keinen Menschen, der es nannte, der es aussprach. Kenadem, so hieß meine Heimat, so hieß der Ort, an dem meine Eltern wohnten! Kenadem, Kenadem! Wo liegt es? Wer weiß, wo es liegt?!«

Er sah sich im Kreise um, mit einem Blicke, einem Gesichtsausdrucke, als ob von der Antwort sein Leben abhängig sei.

»Es liegt in Dar Runga,« antwortete Schwarz. »Südlich vom See Rahat Gerasi.«

»Kennst du es, Effendi, bist du dort gewesen?«

»Nein; aber ich habe diesen Namen in Büchern gelesen und auf Karten gefunden.«

»In Büchern und auf Karten! Allah, o Allah! Könnte ich so ein Buch oder so eine Karte sehen! Ich habe meine Heimat nicht gefunden; ich bin entfernt von ihr; ihre Palmen wehen vor meinem Geiste, aber sehen kann ich sie nicht. Darum wäre ich entzückt, ein Buch, eine Karte nur zu sehen, auf welcher der Name zu finden ist. Kenadem, o Kenadem!«

Da griff Schwarz in die Tasche und zog einen rotledernen Umschlag hervor. Es war der Einband einiger Karten.

»Ich komme aus dem Norden und habe hier eine Karte desselben. Kenadem steht auch darauf.«

»Zeig her, zeig her, Effendi!« rief der Jüngling, indem er nach seinem Hefte griff und es ihm aus der Hand reißen wollte.

»Warte! Du findest es nicht; ich muß es dir zeigen.«

»O, doch! Ich finde es; ich finde es gewiß! Ich werde den Namen Kenadem sogleich unter tausenden sehen!«

»Nein, denn es ist eine Schrift, welche du nicht kennst. Setze dich ans Feuer!«

Abd es Sirr ließ sich nieder. Schwarz breitete die Karte auf seinem Schoße aus, zeigte ihm die betreffende Stelle und erklärte:

»Dieses kleine, grün gefärbte Land ist Dar Runga; diese winzige, längliche Stelle ist der See Rahat Gerasi, und unterhalb desselben siehst du ein kleines, kleines Ringelchen. Das ist Kenadem. Der Name steht in europäischer Schrift dabei.«

»Geh weg mit deinem Finger! Nach Kenadem gehört der meinige! Also das, das ist es! Dort leuchteten die Oleanderhaine, welche ich in meinen Träumen immer wiedersah! Dort, dort! O Kenadem! Effendi, deine Güte ist groß; du wirst mir eine Bitte erfüllen!«

»Welche?«

»Schenke mir Kenadem!«

»Das liegt nicht in meiner Macht, denn es ist nicht mein Eigentum.«

»Wie? Gehört diese Karte nicht dir?«

»Diese Karte, ja, die ist mein.«

»Und du willst mir mein Kenadem nicht geben? Ich verlange nicht die ganze Karte; ich bitte dich nur um die Erlaubnis, mir mit dem Messer die Stelle, auf welcher meine Heimat liegt, herausschneiden zu dürfen!«

Er befand sich in einer leidenschaftlichen Aufregung. Er küßte die Stelle wieder und immer wieder, indem er die Karte an seine Lippen zog.

»Ah, so meintest du es!« sagte Schwarz. »Dann bedarfst du des Messers nicht. Die ganze Karte soll dir gehören.«

»Ist's wahr? Ist's möglich. O, Herr, o, Effendi, wie glücklich machst du mich!«

Er sprang auf, küßte die Hand des Deutschen, was er, der stolze, zurückhaltende junge Mann sonst um keinen Preis gethan hätte, und wendete sich, die Karte noch offen in der Hand, wieder an Babar:

»Und welchen Namen führte der Emir?«

»Barak el Kasi.«

»Ba – rak – el – Ka – si – –« wiederholte Abd es Sirr, indem er die Hand an die Stirn legte, als ob er dort eine Erinnerung herauspressen wolle. Dann zuckte er zusammen und rief aus: »Ich hab' es; ich hab' es; ich weiß es! Ja, ja, so ist es. Barak el Kasi, so wurde mein Vater genannt. Wenn er einen Unterthan bestrafen oder einen Sklaven peitschen ließ, so stand er finstern Angesichts dabei und sagte: 'Ihr nennt mich Barak el Kasi, nun wohl, so will ich es auch sein!' Darum haßte ich diesen Namen, und meine Mutter erbleichte, wenn sie ihn hörte. Und der Mann, welchen Abd el Mot gefangen hält, ist Barak el Kasi, der Emir von Kenadem?«

»Ja.«

»Mein Vater, mein Vater! Ich muß zu dir, zu dir! Effendi, laß uns aufbrechen! Ich muß augenblicklich fort, um ihn aus den Händen seines Peinigers zu befreien!«

»Komm zu dir! Beherrsche dich, Abd es Sirr!« bat der Deutsche. »Gedulde dich bis zum Morgen; dann brechen wir auf.«

»Bis zum Morgen! Welch eine Ewigkeit! Aber du hast recht, Effendi, mein Herz will fort; aber mein Kopf rät mir Geduld. Und wie hast du mich soeben genannt? Abd es Sirr, Diener oder 'Sohn des Geheimnisses'! So hieß ich fünfzehn Jahre lang; aber nun werfe ich diesen Namen von mir; denn von jetzt an ist er eine Lüge. Das Geheimnis ist jetzt offenbar. Ich heiße Mesuf; also ist mein Name Mesuf Ben Barak el Kasi el Kenademi! Ich kenne meinen Namen; ich kenne meine Heimat! O, Effendi, halte mich nicht! Ich muß fort von hier; ich muß hinaus in die Nacht. Ich muß nach Norden rufen 'Kenadem' und nach Süden, wo mein Vater sich befindet, 'Barak el Kasi el Kenademi'. Ich gehe, ich gehe, sonst zerspringt mir die Brust und das Herz!«

Er eilte davon. Schwarz wollte ihm eine Warnung nachrufen, that es aber doch nicht. Er kannte den Jüngling und wußte, daß er zurückkehren werde, sobald er sich beruhigt hatte.

Pfotenhauer drehte sich um, damit man die Thränen nicht sehen möge, die ihm in den Augen standen, und brummte:

»Blitzbub, sakrischer! Wann ich auch so einen hätt'! Und da reden und schreiben daheim die G'lehrten, daß die halbwilden Völker weder Herz noch Seel' besäßen! Sie mögen nur herkommen und sich die Leut' mit eigenen Augen b'sehen! Was meinens', hab' ich recht?«

»Gewiß!« antwortete Schwarz, an den diese Frage gerichtet war. »Diese Scene ist auch mir ans Herz gegangen. Aber wir haben jetzt keine Zeit. Wir müssen auch noch andres erfahren.«

»Von Ihrem Bruder, meinem Spezi? Ja! Fragen's nur schnell weiter!«

Schwarz wendete sich wieder an Babar:

»Du sagtest, daß Abd el Mot diesen Emir kannte. Erkannte dieser auch ihn?«

»Ja, er nannte ihn sogar beim Namen.«

»Hast du ihn vielleicht gemerkt?«

»Ja; er lautete Ebrid Ben Lafsa.«

»Wo befinden sich diese beiden Weißen? Sind sie mit bei den zweihundert Mann, welche am Maijeh liegen, oder bei den dreihundert, die mit Abd el Mot weitergezogen sind?«

»Effendi, bist du allwissend?« antwortete der Mann erstaunt. »Ich war überzeugt, der einzige zu sein, von dem man hier erfahren könne, daß unsre Truppe geteilt worden ist.«

»Du siehst und hörst, daß ich zwar nicht alles, sondern vieles weiß, und daß ich es unbedingt merken muß, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst. Ich will und muß diese beiden Gefangenen befreien. Bist du mir dazu behilflich, so schenke ich euch allen die Freiheit.«

»Gibst du uns hierauf dein Wort?«

»Ja.«

»So werde ich dir alles sagen. Ich führe dich nach dem Chor und dem Maijeh, zwischen denen sich das Lager befindet.«

»Und Abd el Mot will ich auch haben.«

»Auch dazu will ich dir helfen. Nur halte Wort!«

»Ich halte es. Die Fesseln aber müßt ihr heute noch tragen. Morgen sollen sie euch abgenommen werden.«

Während der jetzt entstandenen Pause hörte man von weit draußen den langgezogenen Ruf »Kenadem« und dann den Namen »Barak el Kasi« erschallen. Der »Sohn des Geheimnisses« machte seinem Herzen Luft.

»Wir hätten ihn nit gehen lassen sollen,« sagte der Graue. »Wann ihn jemand hört, so kann's uns schaden.«

»Wer soll ihn hören? Außer uns ist kein Mensch hier herum. Lassen wir ihn rufen! Hat er seinem Entzücken Luft gemacht, so kommt er wieder.«

Jetzt wurden die zehn gefangenen Wachtposten gebracht. Schwarz hatte gleich nach der Überwältigung der Lagerbesatzung einen Boten fortgeschickt, sie herbeizuholen. Hatten diese Leute vielleicht die Hoffnung gehegt, daß der Feldwebel sie befreien werde, so fiel dieselbe jetzt in nichts zusammen. Sie sahen, daß die andern Kameraden auch gefangen waren. Schwarz gab ihnen den Befehl, sich zu ihren Schicksalsgenossen zu setzen. Sie gehorchten und suchten mit ihren Augen nach dem Unteroffizier; dieser aber hatte sich so gesetzt, daß die Blicke derer, die er verraten hatte, nicht auf ihn fallen konnten.

Die Asaker lagerten sich um die Gefangenen her. Einige von ihnen untersuchten die vorhandenen Vorräte und brachten manches herbei, was ihnen angenehm war, besonders Tabak und große Krüge voll Merissah. Die Sklavinnen hatten vollauf zu thun, das vorhandene Mehl zu Fladen zu verbacken.

Inzwischen ließen Schwarz und Pfotenhauer sich von Babar alles erzählen, was während des Zuges nach Ombula geschehen war. Er hatte sich viel in der Nähe Abd el Mots und der beiden Gefangenen befunden und konnte berichten, was er mit ihnen gesprochen hatte. Er beschrieb ihnen das Lager und die Lage desselben sehr genau, sagte ihnen, in welchem Teile sich die Gefangenen befänden und mußte viele Fragen Schwarzens, deren Zweck er nicht verstand, beantworten. Selbst der Graue sah manchmal verwundert auf, wenn sein Kollege eine Frage aussprach, welche ihm ganz unnötig oder gar lächerlich vorkam.

Ferner sagte Babar, daß Abd el Mot übermorgen von seinem weiteren Raubzuge zurückkehren werde und vorher den strengen Befehl gegeben habe, daß, falls das Lager überfallen werde, man die beiden weißen Gefangenen sofort töten solle. Kaum hatte Schwarz dies gehört, so wandte er sich an diejenigen der Asaker, welche in seiner Nähe saßen:

»Wer von euch getraut sich, jetzt bei Nacht im kleinen Boote nach der Dahabiëh zurückzukehren?«

»Ich,« antwortete der »Vater der elf Haare« schnell. »Ich kann gern fahrte nach Dahabiëh, unsriger.«

»Aber es ist gefährlich!«

»Hatt Sie mich nicht lernte kennen als Magyar, unfurchtbarer?«

»Ja, ich weiß, daß du nicht furchtsam bist. Aber allein über den See? Ich werde dir noch zwei Asaker mitgeben.«

»Ich konnte gehen allein. Ich brauchte nicht Begleitung, asakerige!«

»Man darf nicht zu viel wagen. Selbst der Weg nach den Booten hin ist schon gefährlich. Es gibt wilde Tiere in der Nähe.«

»Ich hatt nie gefürchtete Vieh, unkultiviertes!« sagte der Kleine verächtlich. »Ich seinte sogarrr geweste Sieger über zwei Löwen, verheiratete.«

»Da war ich Zeuge. Aber es gibt hier noch andre Tiere, vor allen Dingen Nilpferde, welche abends zu Lande und früh wieder zu Wasser gehen. Wenn dir so eine Bestie begegnete!«

»Das wernte sein mir von Gleichgültigkeit, ganz egaler. Ich hatt noch niemals fürchtete Pferd, landiges, also wernte ich auch nicht fürchten Pferd, flussiges. Ich nehmte doch mit mein Gewehr, elefantentöteriges!«

»Welches dir bei jedem Schusse eine Backpfeife gibt? Nein, allein lasse ich dich nicht fort. Suche dir also zwei Begleiter aus!«

»Wenn Sie befehlte, muß ich gehorchte. Aber was sollte ich auf Dahabiëh machte?«

»Du überbringst Hasab Murat die Weisung, sämtlichen Reïsahn zu sagen, daß die fünf Schiffe morgen mit dem Frühesten, also schon beim ersten Tagesgrauen, aus dem Flusse in den See kommen und da, wo wir mit den Booten gelandet sind, anlegen sollen. Du kannst auf der Dahabiëh sagen, daß hier alles in Ordnung sei, und meinem Diener überbringst du den Befehl, harziges Holz und Fett anzubrennen, um mir eine Handvoll Ruß zu bereiten.«

»Schön! Ich wernte ausrichten Befehl mit Sorgfältigkeitlichung, gewohnter, und auch gebte Diener Auftrag, letzten und rußigen. Wann aber mußte kehr' zurück ich wieder nach Lager hiesigem?«

»Du kannst, wenn sich die Schiffe früh in Bewegung setzen, voranrudern, um mir ihre Ankunft zu melden.«

»Soll wernte ausgerichtete mit Vergnügen, ergebenheitlichem!«

Er salutierte wie ein Soldat, bestimmte zwei Asaker zu seiner Begleitung und entfernte sich mit ihnen.

»Ruß?« fragte der Graue. »Wozu brauchen's denn dieses Zeug?«

»Um einen Neger aus mir zu machen.«

»Sind's g'scheit oder nit?«

»Ich spreche im Ernste.«

»Aber gibt's denn hier am oberen Nil auch Faschingsnarren?«

»Wie es scheint! Vielleicht muß ich sogar auch Sie ersuchen, ein solcher Narr zu sein.«

»Damit kommen's mir ja nit! Meine Nas' paßt nit zu solchem Firlefax. Ich hab' niemalen eine Maskerad' mitmachen 'konnt. Und wissen's, warum?«

»Nun?«

»Hab' ich eine Larv' vorlegen wollen, so ist die Nas' zu groß g'wesen und hat sie mir aus dem G'sicht g'stoßen. Und hab' ich ohne Larv' gehen wollen, so bin ich wegen eben dieser Nas' sofort von allen erkannt worden.«

»Das ist unangenehm. Und ich sehe freilich ein, daß Sie mit dieser Nase einen sehr unwahrscheinlichen Neger vorstellen würden. Ich muß also leider auf Ihre Hilfe verzichten, weiß aber keinen andern, dem ich diese Rolle anvertrauen könnte.«

»Welche Rolle meinen's denn?«

»Sie hörten doch, daß im Falle eines Angriffes auf das Lager die beiden Gefangenen getötet werden sollen. Wollen wir dasselbe überfallen, so müssen sie also vorher herausgeholt, gerettet werden. Und dazu ersehe ich kein andres Mittel als daß ich mich als Neger einschleiche.«

»Und da wollen's noch einen dazu haben?«

»Ja.«

»Das ist was ganz andres. Da geh' ich sofort mit. Streichen Sie mich also in Allahs Namen so schwarz an wie möglich!«

»Aber erwägen Sie auch die Gefahr? Werden wir entdeckt, so ist's um uns geschehen.«

»Unsinn! Mich bekommen's nit!«

»Nun, zur Beruhigung will ich Ihnen sagen, daß wir dieses Wagnis des Abends unternehmen. Ich werde das Lager vorher umzingeln lassen. In der Dunkelheit laufen wir auch nicht Gefahr, daß Ihre wenig negerartige Nase Verdacht erweckt. Und erwischt man uns je, so werden die Unsrigen auf ein Zeichen zu Hilfe kommen. Uns zu wehren, bis sie da sind, wird wohl möglich sein.«

»Natürlich! Ich geh' als Schwarzer mit. Abg'macht! Ich freu' mich schon darauf.«

»Aber wir müssen uns fast ganz entkleiden und den ganzen Leib mit Ruß und Fett einsalben!«

»Das thut nix; das macht nix, wann ich nur später wieder in den Besitz meiner kaukasischen Abstammung gelang'. Wegen einemmal wird man noch lange nicht für immer aan Neger. Also punktum und abg'macht; es bleibt dabei!«

Die Aufgabe dieses Abends war gelöst, und man hätte sich nun zur Ruhe begeben können. Die Asaker schliefen auch, wenigstens diejenigen, welche nicht zur Bewachung der Gefangenen munter bleiben mußten. Schwarz und Pfotenhauer aber fanden keinen Schlaf. Der eine wußte seinen Bruder in Gefahr, den auch der andre als seinen »Spezi« herzlich lieb hatte, und so ließ beiden die Sorge um denselben nicht die so notwendige Ruhe finden.

Zu ihnen gesellte sich später ein dritter, der »Sohn des Geheimnisses«. Er kehrte innerlich ziemlich beruhigt zurück und setzte sich zu ihnen. Auch er konnte nicht schlafen, aus Freude, das Dunkel seiner Herkunft endlich gelichtet zu sehen, und aus Sorge wegen der gefährlichen Lage seines Vaters.

Um Mitternacht wurden die Wächter der Herden abgelöst, und dann legten sich auch die drei nieder, eingehüllt in die Fliegennetze. Sie wollten wenigstens versuchen, einzuschlafen. Aber von Zeit zu Zeit bemerkte der eine, daß der andre sich immer noch ruhelos bewegte, und als es gegen Morgen war, richtete Schwarz sich auf und schälte sich aus dem Netze, um einen Rundgang zu den Posten zu unternehmen. Sofort fuhr Pfotenhauer auch empor und fragte:

»Haben's g'schlafen?«

»Nein.«

»Ich auch nit. Ich leg' mich überhaupt niemals wieder an einem Maijeh nieder. Dieses Teuxelszeug, die Fliegen, sind nit auszustehen. Da hatten einige den Weg ins Netz 'reing'funden; das möcht' noch gehen, wann sie mir nur in die Stiefelsohlen g'stochen hätten; aber sie hatten's partout auf meine Nas' abg'sehen. Diese Kreatur hat nit den mindesten klassisch-ästhetischen G'schmack. Ich steh' also auch auf. Was thun wir aber nun?«

»Ich will die Posten besuchen.«

»Das hat keinen Zweck. Ich möcht' Ihnen was Bessers vorschlagen.«

»Was denn?«

»Eine Jagd auf Nilpferde. Es wär' doch eine Sünd' und Schand', wann wir am Nilpferd-Maijeh g'wesen wären, ohne eins wenigstens zu G'sicht bekommen zu haben. Machen's mit? Es ist jetzt grad die Zeit, um welche sie sich am Ufer g'äst haben und ins Wasser zurückkehren.«

»Dieser Vorschlag ist ausgezeichnet. Ich gehe mit.«

»Schön! Aber wie steht's mit den Waffen?«

»Ich habe mein Gewehr.«

»Das reicht nit aus. Mit einem Schuß oder zweien legen's kein Nilpferd nieder, außer Sie haben Explosionskugeln g'laden.«

»Die habe ich nicht bei mir, sondern auf dem Schiffe.«

»Schade! Ich hab' hier welche, aber sie passen nit für Ihr Kaliber. Wissen's denn auch, wo das Nilpferd seine Achillesferse hat?«

»Ja, zwischen dem Auge und Ohre.«

»Nit übel! Aber besser noch ist's, man trifft es hinters Ohr. Weiß man die Stell' genau, so reißt die Sprengkugel den Schädel auf und treibt das G'hirn aus'nander. Sie kommen vom Norden und haben diese Jagd wohl noch nit versucht; aber ich und Ihr Bruder, der Sepp, haben schon manches Flußpferd auf diese Weis' erlegt. Ich werd' gleich Sprengkugeln laden; dann gehen wir.«

Als er sein Gewehr schußfertig gemacht hatte, verließen sie das Lager. Eben begann der Osten sich heller zu färben, und sie konnten nun wenigstens die Bäume und Sträucher sehen, zwischen und unter denen sie sich langsam und scharf ausspähend fortbewegten.

Sie wandten sich nicht nach dem See, sondern gingen am Ufer des Maijeh hin, weil dort eher ein Nilpferd zu treffen war als am ersteren. Es wurde heller, so daß sie nun deutlich sehen konnten. Der Graue hatte auf alles acht. Einmal blieb er stehen und deutete auf eine eigenartige Fährte.

»Wissen's, wer da g'laufen ist?« fragte er.

»Natürlich ein Hippopotamus!«

»Ja. Sehen's sich die Spur g'nau an! Dieser Behemot ist da aus dem Wasser kommen, und man sieht seine Spur deutlich im weichen Moor. Rechts und links eine Reihe von Stapfen, einen vollen Fuß im Durchmesser, und in der Mitt' einen Streifen auf der Erd', auf welcher er den Bauch schleift. Das ist – – ah, haben's g'sehen?«

»Ja.«

»Was war's? Es fuhr da aus dem hohlen Stumpf heraus, wo es ganz g'wiß Ameisen gibt.«

»Ein Erdferkel.«

»Lateinisch?«

»Orycteropus aethiopicus

»Richtig! Und arabisch?«

»Abu Batlaf, 'Vater der Klauen'.«

»Ja, weil's so lange Nägel hat. Ich hab' eine solche Klau' zum erstenmale bei unsrem Professor von dera Naturg'schicht g'sehen, welcher in seiner Sammlung viele solche Raritäten g'habt hat. Er war gar kein übler Ornitholog, und ich hab' gar viel von ihm profitiert, aber leiden hat er mich nit können.«

»Das ist doch sonderbar,« meinte Schwarz, indem sie wieder vorwärts schritten. »Sie sind doch gar kein übler Bursche!«

»Bin's auch nie g'wesen. Aber wißbegierig war ich stets, und da hab' ich ihm oft Fragen vorg'legt, die selbst der klügste Mensch nit wohl beantworten kann. Das hat ihn g'ärgert, und er ist auf den Gedanken 'kommen, mir das bei Gelegenheit zurückzuzahlen. Die ist auch bald eingetreten. Wissen's, wann?«

»Nun?« fragte Schwarz gutwillig.

»Beim Examen. Da hat er mich in eine Verlegenheit g'bracht, die ich niemals nit vergessen werd'. Ich sprach zwar nit davon, denn es hat keinen Zweck für andere, aber gegen einen Freund braucht man nit so zugeknöpft und verschlossen zu sein, und darum will ich's Ihnen anvertrauen. Sie sagen's doch nit weiter?«

»Fällt mir nicht ein!« beteuerte Schwarz.

»Nun, das war nämlich so! Es sollt Examen sein, grad' als ich in dera Quart g'sessen bin. Das war natürlich aan Ehrentag, und so hab' ich mich fein sauber g'macht und einen blütenweißen Brustlatz vorgebunden mit breitem Kragen und den neuen, bunten Schlips drumrum. So fein ausgestattet, wie ich da g'wesen bin, hat mirs im Examen natürlich gar nit fehlen konnt. Ich war also ganz sicher und g'wiß und wartete auf die Frag', die an mich kommen werd'. Sie ist auch kommen, aber was für eine! Raten's doch einmal!«

»Bitte, erzählen Sie lieber weiter.«

»Ja, das kann ich thun, denn erraten können's diese Frag' doch g'wiß nimmermehr. Ich bin also aufg'standen, weil das die Höflichkeit erfordert, und da hat er g'meint, ich soll ihm sagen, warum die Vögel Federn haben. Was sagen's denn nun dazu?«

»Was soll ich sagen? Ich bin doch nicht gefragt worden, sondern Sie sind es!«

»Das ist richtig!«

»Was haben Sie denn geantwortet?«

»Nun, zunächst hab' ich gar nix g'sagt. Ich hab' halt nur so da gestanden und den Professorn ang'schaut wie der Mops den Mond zur Mittagszeit, denn ich hab' mir gar nit derklären konnt, wie er zu dieser Fragen 'kommen ist. Nachhero aber hat mich das Ingenium ergriffen und ich bin – – – – – – – – – –«

Er hielt mitten in der Rede inne, denn es war ein Schuß gefallen, und zwar nicht weit von ihnen. Es hatte nicht wie von einem gewöhnlichen Gewehre, sondern wie von einem Böller gekracht.

»Wer mag da g'schossen haben?« fragte der »Vater des Storches«. »Das könnt man fast für einen Kanonenschuß nehmen!«

»Der Slowak muß es gewesen sein,« antwortete Schwarz, »denn sein Katil elfil hat diesen Krach. Vielleicht befindet er sich in Gefahr. Darum schnell hin zu ihm!«

Sie sprangen eiligst weiter, des Gestrüppes und Schilfes nicht achtend, welches ihnen das Vordringen erschwerte. Schon nach wenigen Sekunden hörten sie eine Stimme angstvoll rufen:

»Mussa'adi – to jest rozné – zu Hilfe, zu Hilfe!«

»Ja, das ist er; er spricht arabisch, slowakisch und deutsch in einem Atem,« fuhr der Doktor fort. Und mit laut erhobener Stimme fügte er hinzu: »Gleich, gleich, Stephan; wir kommen schon!«

Der um Hilfe Rufende hatte ihn an der Stimme erkannt, denn er antwortete zeternd in seinem bekannten Deutsch:

»Kommte schnellte, schnellte, schnellte! Ungeheuer freßte mich sonst bei Leibte und bei Lebte! Sperrte auf den Rachte schon!«

Es versteht sich von selbst, daß er mit diesem »Rachte« den Rachen meinte; er befand sich also einem großen und gefährlichen Tiere gegenüber. Was für eins es war, das sahen die Beiden, als sie um ein vorspringendes Gebüsch gebogen waren. Dort bildete das Wasser eine kleine Bucht, und das am Ufer derselben niedergestampfte Schilf deutete an, daß da ein Nilpferd aus dem Maijeh an das Land zu wechseln pflegte. Es war des Nachts in den Busch gegangen, um sich zu äsen, und nun zurückgekehrt. Unglücklicherweise war gerade um dieselbe Zeit der »Vater der elf Haare« aus seinem Boote gestiegen und dem Tiere in den Weg gelaufen. Das mutige Kerlchen hatte, anstatt dem Nilpferde auszuweichen, auf dasselbe geschossen und war, da seine Kugel nicht einzudringen vermocht hatte, von ihm ganz regelrecht gestellt worden. Es hielt ungefähr acht Schritte vom Ufer entfernt, und gerade zwischen ihm und dem letzteren stand der Slowak. Er hatte das abgeschossene Gewehr fallen lassen und seine Hände an den Leib gelegt. So starrte er voller Angst auf den Behemot, welcher sich ebensowenig wie er bewegte und, ohne zu schnauben oder sonst einen Laut von sich zu lassen, den Rachen offen hielt, und zwar so weit, daß er selbst einen starken Mann damit um den Leib hätte fassen können. Man konnte nicht sehen, wo die Kugel aufgetroffen hatte, doch schien es, daß das Untier von derselben für den Augenblick gelähmt worden sei. Im andern Falle wäre das Abenteuer dem Kleinen schlecht bekommen.

Dieser wagte zwar nicht, Hand oder Fuß zu rühren, hielt es aber, als er die beiden Helfer kommen sah, nicht für gefährlich, wenigstens die Lippen zu bewegen, denn er schrie:

»Schießte rasch auf Niltepfernte, sonst verschlingte mich mit Haut und Haarnte! Treffte gut das Ungetümte, sonst sind verlornte alle drei!«

Schwarz war stehengeblieben und hatte sein Gewehr erhoben, aber der »Vater des Storches« rief ihm zu:

»Nit Sie! Ihre Kugel hat zu wenig Kraft. Sie sollen schauen, wann's gut aufpassen, wie rasch das Viehzeug unter dera meinigen zusammenbrechen wird.«

Er stand so, daß er hinter das Ohr zu zielen vermochte, und drückte ab. Auf den Knall des Gewehres folgte blitzschnell ein zweites Krachen, und zwar im Kopfe des Tieres. Fleischfetzen und Knochensplitter flogen umher; das Nilpferd wankte und brach vorn nieder, raffte sich wieder auf, neigte den unförmlichen Körper erst auf die rechte und dann auf die linke Seite und stürzte dann zu Boden. Es hatte, sobald es von der Explosionskugel getroffen worden war, den Rachen wieder geschlossen. Die dicke Haut zog sich in zuckende, seichte Falten und glättete sich dann wieder; der Tod war eingetreten.

Jetzt that der »Sohn der Blattern« einen gewaltigen Satz zur Seite, als ob er soeben erst dem gefährlichen Geschöpfe begegnet sei, und rief:

»Greifte nicht an! Nilpferd verstellente sich gern. Wenn es noch lebente, beißte es alle drei!«

»Unsinn!« lachte der Bayer. »Es fallt dem alten Onkel gar nit ein, sich zu verstellen. Warum springen's denn eigentlich davon? Das hätten's doch vorher thun sollen!«

Obgleich der Slowak die Lage noch für gefährlich hielt, nahm er sich doch die Zeit, über diese Worte zornig zu werden. Er antwortete:

»Könnte springte denn Sie etwa, wenn vor Ihnen stehnte Niltepferd? Wenn ich hättente bewegte mich, so hättente es auch bewegte sich und mir Kopf meinigen gebeißte weg.«

»Nein, mein Lieber. Sie müssen dies Tier irgendwo an den Kinnbacken getroffen haben, wovon es halt die Maulsperr' bekommen hat. Weil ihm das noch nie passiert g'wesen ist, war es so verschrocken darüber, daß es halt gar nit vom Fleck hat kommen können. Der Schreck ist ihm in alle Glieder gefahren.«

Der Kleine blickte ihn zweifelnd an und antwortete:

»Das kannt nicht glaubte ich. Die Maulbesperrte sein Krankheit, menschliche, aber nicht Krampfanfall, nilpferdlicher.«

»So! Nun, wann's das besser verstehen als ich, so sollen's Recht behalten. Ich hab' freilich auch noch kaan Nilpferd mit der Maulsperr g'sehen. Aber wann wir nit kommen wären, so hätten's halt auf ihrer letzten Pfeif' geblasen g'habt. Mir scheint, daß Ihnen die Sach' selbst bedenklich vorkommen ist. Oder nit?«

»Ja,« gestand der »Vater der elf Haare«. »Ich hatt geschießte Elefant und Niltepfernte auch, aber ich hatt' noch nie stehente so nahe an Vieh, entsetzliches. Sie seinte Lebensretterer, meiniger, und ich wernte Ihnen gebte gern Hand, meinige, wenn ich hatt vorher gesehente, daß Hippopotamuste wirklich tot.«

Er streckte zwar die Hand aus, wagte sich aber nicht zu Pfotenhauer hin, weil dieser zu dem Nilpferde getreten war, um es zu untersuchen. Das Sprenggeschoß hatte demselben ein tiefes Loch in den Kopf gerissen und den größten Teil des Gehirns herausgetrieben.

»Ein starkes, ausgewachsenes Tier, sicherlich über vier Meter lang,« meinte Schwarz, indem er die kolossalen Formen betrachtete.

»Ja, es ist halt aan alter Bulle,« antwortete Pfotenhauer. »Aber dennoch wird er unsren Leuten ganz vortrefflich schmecken.«

»Wahrscheinlich. Ich aber habe noch kein Nilpferdfleisch gegessen.«

»So müssen's halt mal kosten. Ich sag' Ihnen, daß es gar nit übel schmeckt, und der Speck wird selbst von Kennern gar als Leckerbissen betrachtet. Meinen's nit auch, Herr Uszkar Istvan?«

Diese höfliche und in sehr freundlichem Tone vorgebrachte Anrede verfehlte ihre Wirkung nicht. Der »Vater der elf Haare« besaß ein gutes Herz; er erkannte an, daß Pfotenhauer ihn aus einer großen Gefahr befreit habe, trat jetzt her zu, ergriff seine Hand und antwortete:

»Ja, Speck seinte große Delikatentesse. Ich hatt schon gegeßte Speck rohen und Speck gebratenen, und sein gewesen Leckerbißte, großartiger. Aber wenn Sie wärnte nicht gekommte, so würd' seinte ich selbst um Leckerbißte, was gar nicht konnte sein Wunsch meiniger. Sie sein geweste Feind meiniger, und ich Feind Ihriger; das soll – – –«

»O nein, nein,« unterbrach ihn Pfotenhauer. »Ich bin nit Ihr Feind g'wesen; wir haben uns nur zuweilen mal nit recht genau verstanden.«

»O, ich hatt verstehnte Sie sehrrr gut, aber Sie wollt nicht begreifen Bildung und Wißtenschaft meinige. Doch wenn Nilpferd hätt beißte mich tot, so wär' geweste pfutscht auch all Kenntnis, lateinischte und meinige. Darum will vergebte ich all Beleidigungte Ihnen und von jetzt an seinte Freund, Ihriger und vortrefflicher. Machte mit auch Sie?«

»Natürlich mach' ich mit! Aan Freund ist halt allemal besser als aan Feind; das ist g'wiß. Hier also meine Hand. Schlagen's kräftig ein! Von jetzund an soll's weder Hader noch Zank mehr zwischen uns geben.«

Er wurde von dem Kleinen an der rechten Hand gehalten und reichte ihm bei den letzten Worten auch die linke hin. Der Slowak ergriff dieselbe, sah ihm vertraulich in das lachende Angesicht und sagte:

»Ich sein einverstehente ganz und gar. Freundschaft unsrige soll sein ewig und noch viel innigter als Sie hatt gesagte, wollen hier an Leiche dieser und nilpferdiger mach Brüderschafte auf lebte und sterbte. Sagte ich Smolltis meiniges, und sagte Sie Fiduztit Ihriges!«

Pfotenhauer zog seine Hände zurück, machte ein bedenkliches Gesicht und antwortete:

»Dazu hab' ich halt gerade kaan rechten Fiduz. Wissen's, es ist nit pietätvoll, an aaner Leich' Brüderschaft zu machen. So aan Smollis muß mit Bier begossen werden, und da dies hier nit vorhanden ist, so wollen wir noch aan Wengerl warten, bis wir mit'nander nach Bayern kommen. Dann kann die Sach' flott vor sich gehen.«

»Das seinte Ansicht, sehr richtige,« stimmte der Kleine bei. »Brüderschaft nasse ist besser als Brüderschaft trockene. Woll also bleibte noch bei Sie, höfliches; Freundschaft kann sein trotzdem sehrrr treu und ewigkeitliche.«

»Natürlich! Sie sollen schauen, was für aan Freund ich sein kann, wann's an den Mann kommt. Aberst nun vor allen Dingen, was thun wir mit dem Tier? Lassen wir's liegen, so machen sich die Krokodile drüber her.«

»Stephan mag Wache halten,« antwortete Schwarz, »und wir kehren zum Lager zurück, um Leute herzusenden. Mit unsrer Morgenpromenade ist es doch nun aus.«

»Ja. Es ist heller Tag worden, und die Schläfer werden indessen aufg'wacht sein. Ich denk', Stephan wird sich das Pferd nit fortschleppen lassen.«

»Ich?« fuhr der Slowak sofort auf. »Soll das sein Beleidigungte!«

»Fallt mir nit ein! Wir sind ja Freunde und werden einander nie mehr kränken.«

»Das wollt ich mir hatt ausgebitt'! Wenn Sie hätt glaubte, daß ich lass' mir fortschleppte Nilpferd, von mir bewachtes, so fallte mir nie ein, zu machte mit Ihnen Brüderschaft, bayerische und nasse. Ich werd' setzte mich sofort in Zustand, Verteidigungten, und Sie könnte gehen mit Ruhe, vertrauensvoller und inniger.«

Er hob sein Gewehr auf, um den abgeschossenen Lauf zu laden, und die beiden Deutschen wendeten sich dem Lager zu. Sie hätten wohl Veranlassung zur Unterhaltung gehabt, aber es kam ganz zufälliger Weise nicht zu einer solchen, und nur diesem Umstande war es zuzuschreiben, daß Schwarz eine Entdeckung machte, welche ihm sonst entgangen wäre. Er schritt voran und hielt die Augen auf den Boden geheftet. Noch war nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, so blieb er plötzlich stehen, deutete nach rechts auf eine junge, ungebrochene Farrnpflanze und sagte in leisem Tone:

»Halten Sie an! Hier muß jemand gegangen sein.«

»Möglich,« antwortete Pfotenhauer gleichgültig, aber ebenso leise.

»Sie scheinen das sehr leicht zu nehmen?«

»Meinen's, daß ich diese Kleinigkeit schwer nehmen soll?«

»In unsrer Lage muß man auf alles achten.«

»Es wird jemand von unsern Leuten g'wesen sein.«

»Nein. Hierher ist niemand gekommen.«

»So ist halt irgend aan Tier vorüberg'laufen und hat den Farn umgeknickt.«

»Wollen es untersuchen.«

»Wenn es Ihnen Spaß macht, meinetwegen. Ich geh' indessen weiter.«

»Nein, bitte, mein Lieber, warten Sie eine kleine Weile!«

Er bückte sich nieder, um die feuchte, sumpfige Erde zu untersuchen. Als er sich wieder aufrichtete, hatte sein Gesicht einen bedenklichen Ausdruck angenommen. Pfotenhauer sah das und fragte darum:

»Was gibt's? Was haben's g'schaut. Ihr G'sicht gefallt mir nit.«

»Es ist ein Mensch hier gewesen, barfuß und vor ganz kurzer Zeit.«

»Nit gestern schon?«

»Nein, denn in diesem Falle würde der Tau an dem Farn haften; da derselbe aber abgestrichen ist, so wurde die Pflanze abgebrochen, nachdem es getaut hat.«

»Wer weiß, wer uns g'sucht hat. Man hat uns vermißt, und so ist uns jemand nachg'laufen.«

»Nein. Die Fährte führt nicht vom Lager her, sondern zu ihm hin. Folgen wir ihr und vermeiden wir dabei jedes Geräusch!«

Er schritt wieder voran, langsam, um die Spur nicht zu verlieren. Diese folgte genau der Richtung, aus welcher er vorhin mit Pfotenhauer gekommen war; dann führte sie nach links ab, wo sie nun viel leichter zu erkennen war. Schwarz blieb stehen, deutete auf die Eindrücke nieder und flüsterte seinem Gefährten zu:

»Der Betreffende ist ein dummer Mensch. Er ist bisher fast genau in unsre Spuren getreten und muß also wissen, daß sich zwei Menschen vom Lager entfernt haben. Wenn diese zurückkehren, müssen sie doch unbedingt die deutliche Fährte sehen, welche er von hier an zurücklassen muß.«

»Vielleicht gehört er doch zu uns und hat also keine Veranlassung, so außerordentlich vorsichtig zu sein.«

»Wäre dies der Fall, so wäre er ausgegangen, um uns zu suchen, und also unsrer Fährte gefolgt; auch hätte er gerufen. Da dies nicht geschehen ist, so haben wir es ganz gewiß mit einem Fremden zu thun und müssen also vorsichtig sein. Schauen Sie scharf vorwärts, damit wir ihn eher bemerken als er uns.«

Sie wandten sich nun auch nach links, welche Richtung sie zwischen das Lager und die Spitze des Maijeh bringen mußte. Dort war gestern abend zwischen den Büschen alles niedergetreten worden, ein Umstand, welcher das Suchen auf einer neuen Fährte, die dort kaum zu erkennen war, sehr erschweren mußte; darum schritt Schwarz so schnell wie möglich vorwärts, um den Betreffenden noch vorher zu erreichen.

Das Schilf trat nun zurück; die Bäume standen licht und ziemlich weit auseinander, und über den feuchten Humusboden zog sich ein weiches, dichtes Flechtengewebe hin, welches die Fußeindrücke tief aufgenommen hatte. Die beiden schritten von Baum zu Baum, hinter den Stämmen Deckung suchend. Eben wollte Schwarz hinter einem mehr als mannsstarken Lubahn hervortreten, um den nächsten Baum in schnellen Sprüngen zu erreichen, da hielt der Bayer ihn hinten fest und raunte ihm hastig zu:

»Bleiben's da! Ich hab' den Kerl jetzt g'schaut.«

»Wo?« fragte Schwarz leise zurück, indem er schnell wieder hinter den Baum trat.

»Es ist möglich, daß ich mich geirrt hab', aber ich glaub's halt nit. Zählen's mal sechs Bäume grad aus; dann steht rechts davon wiederum aan Lubahn, fast noch stärker als dieser hier, an dem wir stehen. Dort hat sich was bewegt, und ich denk', es wird der Kerl sein, den wir suchen.«

Schwarz blickte nach der angegebenen Richtung; sein Auge war schärfer und auch geübter als dasjenige Pfotenhauers; er sah nicht nur den Baum, sondern auch den Mann, der an demselben stand.

»Sie haben recht,« flüsterte er dem Gefährten zu. »Es steht jemand dort.«

»Wer ist's?«

»Das weiß ich freilich nicht. Jedenfalls ist's keiner, der zu uns gehört. Er trägt einen Mantel von Affenfellen, ganz von der Farbe der Baumstämme, so daß er nicht leicht von dem Lubahn zu unterscheiden ist.«

»Weshalb bleibt er dort stehen? Warum geht er nit weiter?«

»Vielleicht hat er vom Lager her ein Geräusch gehört, welches ihn zur Vorsicht mahnt. Er will uns jedenfalls beschleichen. Wahrscheinlich ist er nicht allein.«

»Was thun wir da nun? Erschießen wir ihn?«

»Auf keinen Fall.«

»Aber wann er uns derblickt, so läuft er davon und wir haben das Nachsehen!«

»Er soll uns erblicken; oder vielmehr nicht mich, sondern nur Sie.«

»Das würde wohl die größte Dummheiten sein, die es geben kann.«

»Nein; es ist eine Kriegslist. Wenn wir uns jetzt näher schleichen, so hört er uns, weil er gerade jetzt mißtrauisch geworden zu sein scheint. Schleichen Sie nach links und über ihn hinaus. Dann wenden Sie sich wieder gerade nach rechts und thun so, als ob sie nach dem Lager wollten. Er befindet sich zwischen mir und Ihnen. Sie richten es so ein, daß er Sie sehen muß, thun aber so, als ob Sie ihn gar nicht bemerkten. Wenn Sie dann ziemlich nahe an ihm vorübergehen, wird er seine ganze Aufmerksamkeit auf Sie richten und mich nicht eher bemerken, als bis ich ihn bei der Kehle habe.«

»Hm, dieser Gedank' ist gar nit so übel. Greifen's nur fest zu, daß er Ihnen nit entwischt!«

»Haben Sie keine Sorge. Übrigens werde ich Sie rufen, sobald ich ihn fasse. Sie kommen schnell herbei, und wir zwei werden wohl mit so einem Schwarzen fertig werden. Jetzt machen Sie schnell, ehe er weiter geht!«

Pfotenhauer huschte fort; Schwarz verlor ihn aus den Augen und beobachtete nun den Unbekannten. Dieser machte nach kurzer Zeit eine schnelle Bewegung, als ob er etwas Verdächtiges gehört habe, und duckte sich am Stamme nieder, hinter dem er vorsichtig auslugte; er hatte Pfotenhauer bemerkt. Das war die richtige Zeit für Schwarz. Er schlich sich möglichst schnell weiter. von Baum zu Baum. bis er nur noch wenige Schritte zu demjenigen hatte, hinter welchem der Fremde kauerte. Von diesem war gar nichts zu sehen, da er den Mantel über den Kopf gezogen hatte, damit er von der Umgebung nicht unterschieden werden könne. Soeben ging Pfotenhauer vorüber, langsam, scheinbar ganz in Gedanken versunken, und so nahe, daß Schwarz ihn sehen konnte. Dieser letztere hatte jetzt den Fremden ergreifen wollen, zog es aber vor, zu warten, bis er sich wieder aufrichten werde. Dies geschah nach kurzer Zeit. Schwarz that zwei Sprünge, faßte ihn an der Kehle, riß ihn nieder und hielt ihn fest. Der Mann stieß einen Schrei aus, wendete dem Angreifer das Gesicht zu und machte eine krampfhafte Anstrengung, sich zu befreien.

Fast hätte Schwarz ihn fahren lassen, als er sein Gesicht erblickte, von welchem die rechte Hälfte samt der ganzen Nase fehlte. Das gab mit den vor Schreck und Anstrengung wild rollenden Augen einen entsetzlichen Anblick. Der Mann war kein Neger; das bewiesen seine schmalen Lippen und die Farbe der von der Sonne verbrannten gesunden Hälfte seines Gesichtes. Sein Kopf war unbedeckt, vollständig glatt geschoren und ebenso dunkel gefärbt wie sein Gesicht. Das Alter ließ sich also schwer bestimmen, doch konnte man annehmen, daß es ein ziemlich hohes sein müsse. Neben ihm lag eine Keule aus hartem Holze, deren Knauf mit kurzen, kräftigen Stacheln beschlagen war; sie bildete außer dem Messer, welches er im Lendenschurze trug, seine einzige Waffe.

Auf den Schrei, welchen dieser Mann ausgestoßen hatte, war Pfotenhauer herbeigesprungen, mit dessen Hilfe Schwarz dem Gefangenen die Hände auf den Rücken band.

Bis dahin war kein Wort gefallen; nun aber fragte Schwarz in arabischer Sprache:

»Wer bist du, und warum schleichst du dich hier umher?«

Der Mann betrachtete die beiden mit finsterem Blicke und antwortete dann in ebenderselben Sprache:

»Wer seid denn ihr, und warum überfallt ihr mich?«

»Weil ein Freund offen zu uns kommen würde und wir dich also für einen Gegner halten müssen.«

»Wo befindet ihr euch denn?«

»Hier am Maijeh Husan el bahr.«

»Auf dieser Seite desselben?«

»Ja.«

»So gehört ihr zu den Sklavenjägern, welche hier lagern?«

»Nein. Beantworte nun meine Frage! Wen oder was suchst du hier?«

»Ich komme, um Tiere und andre Dinge zu kaufen.«

»Ah, so bist du es, den der Feldwebel heut früh erwartet?«

»Ja.«

»Warum bist du da so heimlich gekommen?«

»Aus Vorsicht. Ich wollte mich überzeugen, ob der Feldwebel mir die Wahrheit gesagt hat. Ich höre, daß du ihn kennst, und doch sagst du, daß du nicht zu ihm gehörst. Wie habe ich das zu deuten?«

»Wir befinden uns auf einem Rachezug gegen die Sklavenjäger und haben den Feldwebel mit seinen Leuten gefangen genommen.«

»So ist auch alles, was er hat, in deine Hand geraten?«

»Ja. Du wirst aber trotzdem deine Absicht erreichen, denn ich bin gewillt, den Handel nun meinerseits mit dir abzuschließen.«

Die übrig gebliebene Hälfte des Gesichtes verzog sich unter dem Einfluß des Zornes zur häßlichen Fratze, und der Mann antwortete:

»Allah verdamme dich! Du bist mir zuvorgekommen, wirst aber den Raub nicht lange behalten. Gieb mich augenblicklich frei, sonst müßt ihr alle, du und deine Leute heute zu der Stunde, da die Sonne am höchsten steht, in die Hölle wandern!«

»Wer soll uns die Thüre derselben öffnen?«

»Meine Krieger, welche mit Macht über euch kommen werden, wenn ich nicht bald zu ihnen zurückkehre.«

»Wie groß ist ihre Zahl?«

»Ich gebiete über mehr Männer, als deine Leute Finger und Zehen haben.«

»Also neun mal mehr! Weißt du denn, wie viele Personen unter meinem Befehle stehen?«

»Ich brauche es gar nicht zu hören; ich kann es mir schon denken. Also gieb mich frei, sonst seid ihr verloren.«

»Und wenn ich dir diesen Wunsch erfülle, was wirst du dann thun?«

»Es ist nicht ein Wunsch sondern ein Befehl, welchem du gehorchen wirst. Dann werde ich den Raub, den du dem Feldwebel abgenommen hast, mit dir teilen.«

»Hm!« lächelte Schwarz. »Wo befinden sich deine Leute?«

»Einige von ihnen sind ganz nahe hier; ich ließ sie zurück, als ich ging, das Lager zu erforschen. Komme ich nicht sehr bald zu ihnen, so werden sie der Hauptschar, welche unterwegs ist, entgegeneilen, um sie zu benachrichtigen, daß ich in die Hände der Feinde gefallen bin. Dann wird weder Allah noch werde ich Erbarmen mit euch haben.«

»Du sprichst im Tone eines Emirs, welchem Tausende von Kriegern folgen; das ist unvorsichtig von dir, denn nicht ich bin verloren, sondern du wirst es sein, wenn du meinen Zorn erregst. Du verheimlichst mir die Anzahl deiner Leute, ich aber will dir offen zeigen, über wie viele ich gebiete. Stehe auf und folge mir!«

Schwarz sprach diese Aufforderung aus, weil soeben vom Wasser her eine laute, befehlende Stimme erklungen war und er also annehmen konnte, daß die Schiffe im Anzuge seien. Er zog den Gefangenen von der Erde auf und führte ihn, natürlich von Pfotenhauer gefolgt, dem Ufer zu. Dort suchte er eine Stelle, welche einen freien Durchblick bot, und sah, daß er sich nicht geirrt hatte. Man sah die Schiffe nahen, von Kähnen geschleppt und von einem günstigen Morgenwinde getrieben. Die Kähne waren voller Ruderer und auf den Decks der großen Fahrzeuge wimmelte es von Menschen.

»Allah akbar! So viele Schiffe!« rief der Mann erstaunt und betroffen. »Wer sind die vielen Menschen, und was wollen sie hier?«

»Sie wollen deine Krieger vernichten, sobald diese ankommen. Jetzt sage dir selbst, wer in die Hölle wandern wird, wir oder ihr.«

»Das ist ja eine wirkliche Flotte von Schiffen und eine ganze Armee von Kriegern!«

»Komm weiter! Ich will dir noch mehr Menschen zeigen.«

Er faßte ihn am Arme und führte ihn nach dem Lager. Als sie durch die Büsche ins Freie traten und der Mann die unerwartete Zahl der Anwesenden erblickte, rief er aus:

»Da kommt ein wirkliches Heer zusammen! Herr, willst du den Sudan erobern?«

»Nein, ich will nur Abu el Mot bestrafen.«

»Abu el Mot?« erklang es schnell. »Weiter willst du nichts?«

»Nein.«

»Du willst nicht die Dörfer der Bongo überfallen?«

»Nein. Ich will nur Abu el Mot unschädlich machen. Sobald dies geschehen ist, ziehen wir wieder fort.«

»Willst du das beschwören?«

»Ja.«

»Bei deinen Ureltern und bei deinem Barte?«

»Gern und sofort.«

»So segne dich Allah und verleihe dir einst den weichsten Platz im siebenten seiner Himmel! Wären meine Hände nicht gebunden, so würde ich dich umarmen und dich bitten, mich als deinen Freund und Verbündeten zu betrachten.«

»Ist dies dein Ernst?«

»Mein heiliger Ernst, Herr. Die Seriben sind wahre Höllen für die armen Bewohner dieses Landes, und Abu el Mot ist der oberste dieser Teufel in Menschengestalt. Niemand hat die Macht oder den Mut gehabt, sein Gegner zu werden, und so hat er das ganze Land in Ketten und Banden geschlagen. Wonach sein Herz begehrt, das nimmt er; jeder muß ihm gehorchen, und wer das nicht thut, der ist verloren, denn er wird entweder getötet oder in die Sklaverei geschleppt. Nun aber ein Emir kommt wie du, mit solcher Macht, da muß alle Angst verschwinden, und ich biete dir meine Dienste und meine Krieger an, um mit ihnen für dich gegen Abu el Mot zu kämpfen.«

Er hatte mit Begeisterung gesprochen, und die linke Hälfte seines Gesichtes glänzte vor Freude. Das war nichts Gemachtes; das war keine Verstellung, und dennoch antwortete Schwarz:

»So bist du also nicht ein Freund von Abu el Mot?«

»O nein, sondern ich hasse ihn.«

»Und dennoch kommst du, um mit seinem Feldwebel Handel zu treiben?«

»Handel?« lachte der Mann grimmig. »Ja, handeln wollte ich, aber nicht wie der Feldwebel es dachte. Ich habe nichts zum Bezahlen mitgebracht. Ich wollte diese Hunde überfallen und töten. Darum wurde ich zornig, als ich hörte, daß sie und ihre Habe bereits in deine Hände gefallen seien. Nun aber magst du alles behalten; ich gönne es dir. Sage mir nur, wo Abu el Mot sich befindet. Es kann nicht so gut wie früher mit ihm stehen, da der Feldwebel von ihm abgefallen ist. Nur dies gab mir den Mut, aus dem versprochenen Handel einen feindlichen Überfall werden zu lassen.«

»Wie ist dein Name?«

»Abu ed Dabbuhs, weil ich nur mit der Keule zu kämpfen pflege und noch keiner mich in dieser Waffe überwunden hat.«

»Und wie viele Männer hast du jetzt bei dir?«

»Zweihundert.«

»So viele brauchtest du, um fünfzig zu überfallen?«

»Zum Überfallen allein nicht, denn, Herr, wir sind keine Feiglinge; aber zum Transporte der Tiere braucht man viele Menschen, und es mußte alles sehr schnell gehen und jede Spur rasch verwischt werden, da Abu el Mot nicht erfahren durfte, was hier an diesem Maijeh vorgegangen war. Der Feldwebel mußte mit allem, was bei ihm war, spurlos verschwinden, und um dies zu bewerkstelligen, sind vierhundert Hände nicht zu viel. Willst du Vertrauen zu mir haben? Sage mir, was du beschlossen hast!«

Schwarz band ihm die Fessel auf und antwortete dabei:

»Ich gebe dir die Freiheit. Finde ich alles so, wie du sagst, so sollst du mein Verbündeter sein und an meiner Seite stehen, wenn Abu el Mot als Besiegter vor mir im Staube liegt.«

»Herr, ich habe die Wahrheit gesagt. Erlaube, meine Begleiter herbeizuholen, damit einer derselben zurückreiten und den Kriegern melden kann, welche Änderung eingetreten ist!«

»Das hat noch Zeit. Du sprichst vom Reiten. Sind deine Leute zu Pferde?«

»Nein, sondern auf Kamelen. Auch habe ich Kamele mitgebracht, welche bestimmt waren, den Raub zu tragen, welchen wir hier machen wollten.«

»Ihr werdet auch einen Teil davon bekommen. Daß du so viele Kamele bei dir hast, das ist mir lieb, denn das wird unsern Zug beschleunigen.«

»Wohin?«

»Nach Ombula im Belanda-Lande. Abd el Mot ist dort und hat das Dorf zerstört, die Unbrauchbaren getötet und die Kräftigen zu Sklaven gemacht.«

Der Vater der Keule stand einige Augenblicke bewegungslos; dann schrie er förmlich auf:

»Das möge Allah verhüten, denn wir leben mit den Belanda im Bunde und haben Verwandte dort!«

»Allah hat es nicht verhütet, denn es ist ja bereits geschehen.«

»Weißt du das genau?«

»Ja. Gestern abend kam ein Bote hieher, um es zu erzählen. Abd el Mot steht im Begriffe, noch weitere Sklaven zu machen, und Abu el Mot befindet sich auf dem Wege zu ihm.«

»Dann laß uns schnell aufbrechen, Herr, um diese Hunde umzubringen! Wir sind ja nun mächtig genug, dies zu thun.«

»Wir werden noch heute den Zug beginnen. Komm jetzt mit hin zu den andern, wo wir das übrige besprechen können.«

Sie hatten bis jetzt noch am Rande des Gebüsches gestanden. Nun begaben sie sich mitten in das Lager, wo die Leute des Feldwebels noch gebunden an der Erde saßen oder lagen. Als der letztere den neuen Ankömmling erblickte, rief er aus:

»Der Schech, welchen wir erwarten! Das ist gut, denn er wird zu unsrem Besten reden.«

Der Schech aber versetzte ihm einen derben Fußtritt und antwortete:

»Schweig, du Abkömmling eines räudigen Hundes! Euch ist ganz recht geschehen. Und hätte nicht dieser fremde Emir euch gefangen genommen, so wäret ihr von mir erwürgt worden. Mögt ihr dereinst in dem Feuer brennen, welches ewig schmerzt und niemals tötet!«

Alle Anwesenden blickten auf den Schech, keiner aber mit solchen Augen und solchem Ausdrucke wie Abd es Sirr, der »Sohn des Geheimnisses«. Er hatte mit dem »Sohne der Treue« abseits gesessen und war, als er den Fremden erblickte aufgesprungen, um den Blick nicht wieder von ihm zu lassen.

»Was hast du? Wer ist es? Kennst du ihn?« fragte Ben Wafa.

»Ich – – ich – – ja, ich muß ihn kennen,« antwortete Abd es Sirr, indem seine Augen immer größer wurden.

»Nun, wer ist er?«

»Das – das – – weiß ich nicht.«

»Wenn du ihn kennst, mußt du es doch wissen!«

»Ich – ich kann mich nicht besinnen.«

Er legte die Hände an den Kopf, wie um mit dieser Berührung von außen seinem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen, doch vergeblich. Er ging hin und her, sprach halblaut mit sich selbst, setzte verschiedene Namen aus Silben zusammen, kauerte sich dann wieder neben Ben Wafa nieder, kurz, er that ganz so wie einer, welchem, wie man sich auszudrücken pflegt, ein Wort auf der Zunge liegt, ohne daß es über die Lippen will. Schließlich legte er sich gar lang auf die Erde, grub mit den Fingern Löcher, als ob er den gesuchten Namen ausgraben könne, schlug und strampelte mit den Füßen, ohne aber seinen Zweck zu erreichen.

Indessen hatten Schwarz und Pfotenhauer dem Schech erzählt, was dieser wissen mußte, um mit der gegenwärtigen Lage vertraut zu werden. Er erfuhr, wer die beiden seien. und konnte sich vieles, ja das meiste nicht erklären. Nur das eine begriff er, daß es mit Abu el Mot aus sei, daß dieser ergriffen und dem gefürchteten »Vater der Fünfhundert« in Faschodah ausgeliefert werden solle. Das entzückte ihn, und er wäre am liebsten gleich jetzt marschiert, wenn seine Leute dagewesen wären.

»Wir sind ihrer genug, um des Erfolges sicher zu sein,« bemerkte Schwarz. »Leider aber bin ich der Nuehrs nicht sicher. Wenn ich sie mitnehme, so ist ihnen zuzutrauen, daß sie zu Abu el Mot übergehen. Lasse ich sie aber hier, so muß ich ihnen viele Wächter stellen, welche ich nicht gut entbehren kann.«

»Wenn nur das dir Sorge macht, so kann ich dir helfen,« antwortete der Schech.

»Wodurch?«

»Durch den Chatib meines Stammes. Allah hat ihm die Gabe begeisternder Rede verliehen, so daß ihm selbst das härteste Herz nicht zu widerstehen vermag. Wenn der Geist über ihn kommt, so verläßt er uns und geht auf Reisen, bis ins Land der Schilluk hinunter. Er kennt die Nuehrs genau und weiß mit ihnen zu sprechen. Erlaube ihm, die Schiffe zu besteigen und ihnen zu predigen. Du darfst sicher sein, daß sie dann darauf brennen, im Kampfe gegen Abu el Mot ihr Blut zu vergießen.«

»Wollen es versuchen. Und jetzt gehen wir zu deinen Leuten, um einen Boten an die übrigen abzusenden, der ihnen sagen soll, daß sie sich sputen mögen.«

Als Schwarz nun mit dem Schech über den Lagerplatz schritt, kamen sie an Abd es Sirr vorüber. Dieser gebärdete sich noch immer so auffällig, und sie vernahmen die Worte, welche er vor sich hin sprach:

»Abu – Abu – – Abu en – en – en – o Allah, laß es mich finden!«

»Was hat dieser Jüngling?« fragte der Schech. »Gehört er vielleicht zu den Wahnsinnigen?«

»Nein. Seine Geburt ist in Dunkel gehüllt, und er hat bis vor kurzer Zeit nur sehr wenig Hoffnung gehabt, daß das Rätsel gelöst werden könne. Vielleicht sinnt er gerade jetzt wieder über etwas nach, was ihm nicht klar werden will.«

Sie gingen weiter. Gar nicht sehr entfernt vom Lager, unweit der Stelle, an welcher Joseph Schwarz und der Elefantenjäger dasselbe beobachtet hatten, hielten drei Kamelreiter zwischen den Büschen; sie hatten ein viertes, lediges Kamel bei sich, dasjenige des Schechs.

Dieser letztere kam mit Schwarz zu ihnen, um einen von ihnen fortzusenden und die andern mit in das Lager zu nehmen. Er sprach jedes Wort so, daß Schwarz es deutlich hörte und also die Überzeugung erhielt, daß der neue Verbündete es wirklich ehrlich meine.

Seine Leute waren nicht wenig darüber verwundert, daß hier, wo ein Überfall geplant worden war, ein Bündnis geschlossen worden sei; als sie aber, wenn auch in kurzer Weise, das Nähere erfuhren, waren sie ganz enthusiasmiert von dem Abenteuer, welches ihrer wartete. Der Bote ritt davon und die andern kamen mit ihren Kamelen in das Lager.

Dort war Abd es Sirr noch immer mit dem nicht aufzufindenden Namen beschäftigt. Er fing immer wieder an mit »Abu – Abu en –« konnte aber die Fortsetzung nicht finden. Da meinte sein junger Freund, der Niam-niam:

»Weißt du denn nicht, wo du ihn gesehen hast?«

»Nein.«

»So nützt es dir auch nichts, nach seinem Namen zu suchen.«

»O doch! Wenn ich den Namen finde, so fällt es mir auch ein, wo ich ihn kennen gelernt habe. Es ist mir ganz so, als ob mir dieser Mann einen großen Dienst erweisen könne.«

»So denke weiter nach. Allah wird dich auf das richtige führen. Auch ich werde mir Mühe geben.«

»Du? Wie könntest du finden, was ich selbst vergeblich suche!«

»Wenn Allah es will, so finde ich es leichter und schneller als du. Da kommen sie zurück und bringen zwei Reiter mit. Ich an deiner Stelle würde den Mann fragen, wie er heißt.«

»Ja, daran dachte ich auch bereits; aber es kommt so häufig vor, daß man den Namen wechselt. Ich werde es aber dennoch versuchen.«

Er stand auf, trat vor und fragte, als Schwarz und der Schech vorüber wollten, den letzteren:

»Herr, würdest du mir wohl deinen Namen nennen? Ich bin noch jung und soll eigentlich warten, bis ich vom Alter angeredet werde; aber Allah wird dir die Erfüllung meiner Bitte vergelten.«

»Jawohl will ich ihn dir nennen,« antwortete der Scheik. »Ich heiße Abu ed Dabbuhs.«

Abd es Sirr drehte sich, nachdem er gedankt hatte, zu seinem Freunde um und sagte enttäuscht:

»Das war der Name nicht, den ich meine.«

»So ist es auch der richtige Mann nicht,« meinte Ben Wafa.

»Er ist es ganz gewiß; dieses halbe Gesicht habe ich schon einmal gesehen, und zwar als es noch nicht geheilt war; ich muß damals ein noch kleiner Knabe gewesen sein.«

»Bei uns ist es zwar nicht so; aber nicht wahr, die arabisch sprechenden Menschen wählen den Namen nach der Eigenschaft, welche man besitzt?«

»Ja, oft ist es so.«

»Nun, weißt du, wie ich diesen Mann nennen würde?«

»Wie?«

»Abu en Nuhß el Wihsch

Da schlug der »Sohn des Geheimnisses« die Hände zusammen und schrie auf:

»Hamdulillah, ich hab's, ich hab's! Ja, du hattest recht; Allah hat es dir eher gesagt als mir. Du nennst diesen Mann 'Vater des halben Gesichtes'; aber sein Name war damals noch nicht so lang; er hieß nur Abu en Nuhß, 'Vater der Hälfte'. Ich hab's, ich hab's! Allah und allen Propheten sei Dank!«

»Es freut mich, daß ich dir habe helfen können; aber ist es dir denn nun auch eingefallen, wo du diesen Namen gehört und also den Mann gesehen hast?«

»Ja, ich weiß es, ich weiß es. Er kam blutüberströmt in unser Zelt, und die Mutter reinigte und verband es ihm. Dann lag er lange, lange Zeit krank bei uns. Er nahm mich oft zu sich auf das Serir und plauderte gern mit mir. Er scherzte viel und ich mußte ihn immer nur den 'Vater der Hälfte' nennen, weil er nur noch das halbe Gesicht hatte. Das war, wie vieles andre auch, ganz aus meinem Gedächtnisse entschwunden und ist nun bei seinem Anblicke wieder zurückgekehrt. O Allah, Allah, ich werde mit ihm über meine Heimat und meine Mutter reden können!«

»Wenn er es wirklich ist!«

»Er ist's, er ist's; ich gehe hin zu ihm. Er kann kein andrer sein als Abu en Nuhß. Ich gehe hin!«

Er wollte fort, hatte aber gar nicht nötig, sich von seinem Platze zu entfernen. Seine Worte waren rundum gehört und auch von dem Schech vernommen worden. Dieser kam herbei und fragte:

»Ich höre, daß du den Namen Abu en Nuhß nennst. Wen meinst du damit?«

»Dich, Herr,« antwortete der »Sohn des Geheimnisses«. »Ist das nicht dein Name?«

»Nein, aber zu einer gewissen Zeit wurde ich im Scherze so genannt, von einem kleinen Knaben, dessen Gesellschaft mir meine Leiden erleichterte und meine Schmerzen milderte.«

»Wo war das? Sage es mir, o sage es schnell.«

Schwarz und Pfotenhauer waren auch herbeigekommen und noch andre kamen, um zu hören, was hier so erregt verhandelt werde.

»Das war zu Kenadem im Lande Dar Runga.«

»Kenadem, o Kenadem!« jubelte Abd es Sirr auf.

»Kennst du es denn?« fragte der Schech.

»Nein, doch ich bitte dich um Allahs willen. antworte mir weiter, obgleich ich so viel jünger bin als du! Wie kamst du damals nach Kenadem?«

»Ich hatte ein Gelübde gethan, das Grab des berühmten Marabuhs von Tundzur zu besuchen. Der Weg war weit, sehr weit, aber ich kam glücklich an das Ziel und brachte meine Gebete dar; dann reiste ich, von meinen Sünden frei, zurück; aber zwischen dem Rahat Gerari-See und Kenadem wurden wir Pilger von der Raubkarawane überfallen. Einige von uns wehrten sich; ich befand mich unter ihnen. Wir wurden niedergehauen, und ich erhielt einen Säbelhieb in das Gesicht, welcher mir nicht nur die Nase raubte, sondern auch die Wange und das halbe Kinn abschälte. Allah nahm meine Seele einstweilen aus dem Körper, um mir die großen Schmerzen zu ersparen. So fand mich ein Reisender, welcher später kam und noch Leben in mir spürte. Er nahm mich mit nach Kenadem zu sich, wo ich erst erwachte, als ich verbunden wurde.«

»Wie hieß dieser Mann, welcher dich rettete?«

»Es war Barak el Kasi, der Emir von Kenadem.«

»Hast du sein Weib gesehen?«

»Viele, viele Male, denn die Frauen von Kenadem pflegen sich vor den Gästen ihrer Herren nicht zu verschleiern.«

»Beschreibe sie mir!«

»Warum?«

»Beschreibe sie, schnell!« gebot der Jüngling fast trotzig, ohne auf das warum zu achten.

»Sie war mild und wohlthätig wie der Mond, auf dessen Strahlen sich die Fruchtbarkeit des Taues zur Erde senkt. Alle Menschen liebten sie. Der Emir war finster und streng, aber unsre Seelen neigten sich zu einander; er hatte mir das Leben erhalten, und wir öffneten einander die Ader, um das Blut der Bruderschaft zu trinken. Sein Leben ist wie das meinige und mein Tod wie der seinige. Er liebte mich. Außer mir, und noch viel mehr als mich, hat er seine Frau und sein Kind geliebt.«

»Du hast dieses Kind gekannt?«

»Diesen Knaben? Ja; er war das Geschenk Allahs, die Wonne seiner Mutter und die Hoffnung seines Vaters.«

»Haben sich diese Hoffnungen erfüllt?«

»Das weiß ich nicht, denn ich bin seit jener Zeit nicht wieder nach Kenadem gekommen.«

»Und der Emir, dein Blutsbruder, auch nicht zu dir?«

»Nein. Nur vor einem Monat, als ich nicht bei den Meinen war, ist ein Fremder gekommen, hat sich Barak el Kasi, Emir von Kenadem genannt und mit mir zu reden verlangt. Da ich nicht daheim war, ist er noch desselben Tages fortgegangen. Es muß ein Irrtum sein, denn mehrere meiner Krieger wollen in diesem Manne den berühmten Elefantenjäger erkannt haben.«

»Der Emir von Kenadem und der Elefantenjäger sind dieselbe Person.«

»Allah! Wie wäre das möglich!«

»Du sollst es bald erfahren. Weißt du, wie der Sohn des Emirs hieß?«

»Ja, es fehlte ihm an jedem Fuße die kleine Zehe; darum hatte man ihm den Namen Mesuf et Tmeni Sawabi-Ilidschr, Mesuf mit den acht Zehen, gegeben.«

»Nun, so schau einmal her!«

Er entblößte und zeigte erst den rechten und dann auch den linken Fuß.

»Schu halamr el adschib – welch ein Wunder! Auch du hast nur acht Zehen! Oder bist du etwa- – –«

Er hielt in der Rede inne, betrachtete den »Sohn des Geheimnisses« genau und fuhr dann fort:

»Deine Züge sind noch nicht so fest, daß ich nach so langer Zeit in ihnen diejenigen deines Vaters oder deiner Mutter zu erkennen vermöchte; aber eine innere Stimme sagt mir, daß du der Sohn meines Blutsbruders bist. Antworte mir; sage mir, ob meine Ahnung mich täuscht oder nicht!«

»Ich bin es, Herr; ich bin der Knabe, welcher mit dir spielen durfte und dich im Scherze Abu en Nuhß nennen mußte. Ich habe bisher nicht gewußt, wer ich bin; nur in letzter Zeit durfte ich einen Blick in meine Heimat werfen; nun ich aber dich erkannt habe, ist es mir so gewiß, als ob der Prophet es mir selber sagte, daß ich jener Sohn des Emirs von Kenadem bin.«

»So komm an mein Herz, du Sohn und Nachkomme meines Blutsbruders! Eine innere Stimme sagt mir, daß du es bist, ganz abgesehen davon, daß auch deine Worte mich überzeugen müssen. Es ist so, als ob ich ihn selbst getroffen hätte. Deine Freunde sind auch die meinigen, und meine Hand wird wider alle deine Feinde sein.«

Er ergriff den »Sohn des Geheimnisses« bei den Händen und zog ihn an seine Brust, um ihn zu küssen. Dann setzte er sich mit ihm nieder, und die beiden waren nun ganz ausschließlich miteinander beschäftigt. Es verstand sich ja ganz von selbst, daß sie sich gegenseitig so vieles zu fragen, zu beantworten und zu erzählen hatten.

Schwarz wendete sich von ihnen ab, diese sich selbst zu überlassen und dachte nun erst daran, daß der »Vater der elf Haare« noch immer allein bei dem erlegten Nilpferde stand und auf die Leute wartete, welche ihm geschickt werden sollten. Er verkündete also mit lauter Stimme, daß ein großes, fettes Husan el bahr getötet worden sei, was von seiten der Asaker mit großem Jubel aufgenommen wurde, und sandte den »Vater des Gelächters« mit einer Anzahl Soldaten nach der betreffenden Stelle, welche er ihnen so genau beschrieb, daß sie dieselbe nicht verfehlen konnten.

Als sie dort ankamen, stand der Slowak mit geschultertem Gewehre bei dem Tiere und rief ihnen mißmutig entgegen:

»Sind euch Flintenläufe in die Beine geraten, daß ihr sie nicht schneller bewegen könnt! Ich stehe nun über eine Stunde bei dem Ungeheuer, um nicht zu dulden, daß ihm das Leben wiederkehrt. Wäre es erwacht und davongelaufen, so hätten alle meine Bitten und Vorstellungen nicht vermocht, es in Güte zurückzuhalten. Ist es nicht genug, daß ich es für euch erschossen habe? Soll ich es auch noch auf den Rücken nehmen, um es euch zuzutragen?«

»Wie? Du hast es geschossen?« fragte der »Vater des Gelächters«.

»Ja. Wer denn sonst?« antwortete der Kleine stolz.

»Ein andrer. Die Kugel deines Baruhdi er rad ist zwar sehr groß, aber ein solches Loch vermag sie doch nicht zu reißen. Das kann nur eine Rßaß scharmat gewesen sein, und ich weiß, daß nur der 'Vater des Storches' solche Kugeln besitzt; er also hat das Tier getötet, und nicht du bist es gewesen.«

Während die Soldaten sich, ohne auf die Worte der beiden zu achten, mit ihren langen Messern über das Nilpferd hermachten, fuhr der Kleine seinen Freund zornig an:

»Schweig! Bist du etwa dabei gewesen? Dein Maul ist zwar so groß wie dasjenige dieses Ungeheuers; aber dein Gehirn ist so gering und klein, daß keine Nimli sich daran zu sättigen vermöchte. Hast du denn nicht meine Flinte krachen hören?«

»Wir vernahmen zwei Schüsse und erwachten davon. Da Sihdi Aswad und der 'Vater des Storches' fehlten, so wußten wir sofort, daß diese beiden geschossen hatten. Nun willst du mir weiß machen, daß du es gewesen bist. Das kannst du zwar bei einem andern versuchen, aber nicht bei einem, der alle Dörfer und Völker, alle Städte und Menschen der Erde kennt!«

»Sprich ja nicht von deinen Menschen und Dörfern! Ich glaube nicht einmal, daß du den Ort kennst, an welchem die Menschen vor Schreck davonliefen, als sie dein neugeborenes Gesicht erblickten. Ich aber kenne alle Sprachen der Welt und die lateinischen Wissenschaften. Mein Kopf kann aufgeschlagen werden wie ein Buch, in welchem alles steht, und wenn ich will, geht mein Verstand auf über die Unwissenden wie die Sonne, welcher nichts in der weiten Schöpfung gleicht.«

»Schu halalk, uskut – welch ein Geschwätz! Verstumme!« schrie der »Vater des Gelächters« wütend, wobei er ein Gesicht zog, als ob er vor lauter Wonne überströme. »Als mein Gesicht zum erstenmal auf Erden erschien, da jubelte nicht nur die Sonne, sondern das ganze Firmament. Kennst du meinen Namen und weißt du, wer ich bin? Ich heiße Ali Ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Hadschi Otaiba l'Oscher Ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abd' Allah el Sandschaki. Dein Name aber lautet nur Uszkar Istvan. Kann er sich neben dem meinigen sehen und hören lassen?«

»Jawohl! Dein langer Name ist nichts als ein Bandwurm, von dem man froh ist, wenn er glücklich mit Kopf und Schwanz entfernt worden. Der meinige aber ist voller Kraft, Klang und Wohllaut, und jeder, der ihn vernimmt, freut sich der Musik desselben. Und wie der Name, so der Mann. Während du noch schliefest und durch dein Schnarchen das Weltall erzürntest, war ich bereits wach, um mit dem Riesen der Tierwelt zu kämpfen. Schau her an den Unterkiefer! Siehst du das Loch in der Haut? Meine Kugel ist da so stark aufgetroffen, daß das Tier die Maulsperre bekommen hat und weder ein Glied zu rühren noch ein vernünftiges Wort zu reden vermochte. Nur durch diese meine Kugel ist es zu seinen Vätern und Ahnen versammelt worden, und nun sage mir, ob jemals du so etwas fertig gebracht hast oder fertig bringen wirst!«

»Mit größter Leichtigkeit!« antwortete der »Vater des Gelächters«. »Rufe nur ein Flußpferd herbei, und du sollst sofort sehen, welchen Schreck ich demselben einjagen werde.«

»Das glaube ich freilich, denn es braucht nur dein Gesicht zu sehen, so rennt es augenblicklich davon.«

»Sprich nicht von meinem Gesichte!« rief der Hadschi wütend. »Wer ist denn schuld daran, als nur du allein?«

»Ich?!«

»Ja, nur du! Mein Gesicht war eine Perle der männlichen Schönheit. Meine Züge glänzten wie die Anfangsworte des Koran; meine Augen strahlten in Kraft und Milde, und meine Wangen leuchteten wie die Morgenröte, bevor ich dich erblickte. Da kamst du, und als ich dich sah, ging mir das Entsetzen wie ein Erdbeben durch alle meine Glieder, und so oft mein Auge auf dir ruht, ergreift mich dieselbe Herzensangst, die mich so plötzlich um den Inbegriff aller meiner Vorzüge gebracht hat. Ich kann erst dann auf Heilung dieses meines Leidens rechnen, wenn ich dich nicht mehr erblicke und für immer von dir geschieden bin.«

»So mache dich von dannen und wage es nicht, mir jemals wieder unter die Augen zu kommen!« schrie nun seinerseits der Kleine im höchsten Zorne. »Du bist Mismahri et tabuht, der Nagel zu meinem Sarge, und es Sabab kabri, die Ursache meines Grabes. Seit ich dich kenne, gehe ich langsam ein, und der Ärger über dich frißt an den Knochen meines Lebens. Du hast meine Jugend gemordet und die Tage meines Alters im voraus verschlungen. Möge dir der Engel des Gerichtes dafür die Haut mit Nadeln bestecken, so dicht wie das Fell eines Pudelhundes!«

»Und dich möge er an den elf Haaren deines Schnurrbartes aufhängen, gerade über demjenigen Schornstein der Hölle, aus welchem – – –«

Er kam nicht weiter, denn der Slowak war in einem so hohen Grade zornig geworden, daß er sich bei der Erwähnung der elf Haare nicht länger zu beherrschen vermochte.

»Uskut, dschidd ed dija w'esch schu'ub – halte den Mund, du Großvater der Dörfer und Völker!« stieß er hervor. »Du sollst mich und meinen Schnurrbart sofort kennen lernen!«

Indem er diese Drohung aussprach, warf er sich auf den Hadschi, um ihn bei der Gurgel zu fassen. In der Hitze des Wortgefechtes hatten die beiden ihre ursprünglichen Standorte gewechselt. Der Kleine war avanciert und der »Vater des Gelächters« zurückgewichen, so daß er jetzt hart am Wasser stand, den Rücken demselben zugekehrt. Er wollte dem Angriffe entgehen, that einen Sprung nach rückwärts und verlor den Boden unter den Füßen.

»Ja mußabi, rah nirrak – o Unglück, wir werden ertrinken!« kreischte er auf und verschwand dann in der gerade hier sehr tiefen Flut.

Es war ganz richtig, daß er nicht von sich allein, sondern in der Mehrzahl gesprochen hatte, denn der Kleine befand sich in derselben Gefahr. Er hatte zu kräftig ausgeholt und flog nun, da der andre ihm ausgewichen war, über das Ufer hinaus und gleichfalls in das Wasser hinein, welches über den beiden hoch aufspritzte.

Die Soldaten schrieen vor Schreck, als ob sie selbst hineingefallen seien. Es handelte sich weniger um den Tod des Ertrinkens als vielmehr um die Gefahr, welche seitens der Krokodile drohte, von denen der Maijeh wimmelte. Die anwohnenden Völkerschaften des Niles sind meist gewandte Schwimmer, die Soldaten ebenso; das Wasser an sich bringt ihnen also keine Gefahr, aber vor den in demselben lebenden Ungethümen haben sie sich zu hüten.

Darum schauten die Asaker zunächst nicht nach der Stelle, an welcher die beiden im Wasser verschwunden waren, sondern über die ganze sichtbare Fläche desselben, ob da sich vielleicht ein Krokodil sehen lasse. Und wirklich lagen abwärts auf einer kleinen Landzunge mehrere dieser Tiere, welche die Köpfe erhoben. Das Geschrei der Soldaten schüchterte sie so ein, daß sie nicht in das Wasser gingen. Es kommt häufig vor, daß ein Saurier, selbst wenn er hungrig ist, sich von den Stimmen vieler Menschen einschüchtern läßt.

Jetzt tauchte der Kleine auf; er war mit dem Wasser gut vertraut und blickte sich ängstlich um, zunächst nach Krokodilen und dann nach dem »Vater des Gelächters«. Als er diesen nicht sah, rief er erschrocken aus:

»Ma hai hu; wain fi jah – er ist nicht da; wo befindet er sich?«

»Ba'd taht el moi – noch unter dem Wasser,« wurde ihm geantwortet.

»O Allah, so geht ihm die Luft aus, und er muß elendiglich ertrinken.«

Der Streit war vergessen und er tauchte unter, um seinen Freund zu suchen. Einen Augenblick später erschien der »Vater des Gelächters« auf der Oberfläche und rief:

»Wo ist der 'Vater der elf Haare'? Ich sehe ihn ja nicht!«

»Er ist wieder hinunter, um dich zu suchen,« lautete die Antwort.

»Der Gute, der Freundliche, der Vortreffliche! Er wird sich mir zuliebe den Tod holen. Ich muß zu ihm hinab!«

Er tauchte wieder nieder, und im nächsten Augenblicke erschien der Slowak. Als er den andern auch jetzt noch nicht erblickte, schrie er auf:

»Er ist tot! So lange hält es kein Mensch unter dem Wasser aus. Er ist erstickt; aber ich muß wenigstens seinen Leichnam retten!«

»Bleib oben!« wurde ihm gesagt. »Er war soeben da und ging wieder hinab, um nach dir zu suchen.«

»Der Brave, der Liebe, der Herrliche! Aber ich darf ihn nicht verziehen lassen, sonst bekommen ihn die Krokodile.«

Er verschwand aufs neue; dann später erschienen zwei triefende Köpfe in ziemlicher Entfernung voneinander. Sie sprudelten das Wasser von sich und sahen sich um. Der eine erblickte den andern und rief erfreut:

»Bist du es denn wirklich, du Freund meiner Seele, du Trost und Ruhe meines Herzens?«

»Ja, ich bin es, du Lust meiner Augen. Voller Wonne sehe ich dich gerettet, du Licht und Wärme meines Lebens!«

»So eile ich, um dich zu umarmen, o Glück meines Daseins!«

»Und ich schwimme an dein Herz, du Spender der seligsten Freude!«

Laut aufjauchzend schossen sie aufeinander zu, um sich im Wasser zu umarmen, und kamen dann miteinander Hand in Hand auf das Ufer zugeschwommen. Eben als sie dasselbe erreichten und aus dem Wasser stiegen, rief einer der Soldaten, mit der Hand nach der Landzunge deutend:

»Sie sind fort, die Krokodile; sie haben euch gesehen und kommen nun, euch zu fressen. Macht euch schnell vom Ufer fort!«

Mehrere sich rasch nähernde Furchen im Wasser bewiesen, daß er recht hatte. Nur einige Augenblicke später waren die Tiere da, deren dunkle, stumpfe Schnauzen man erscheinen sah.

»Hamdulillah, sie kommen zu spät. Du hast mich gerettet!« rief der Slowak, indem er den Arm um seinen Freund schlang.

»Scharafalillah, ja sie haben sich verrechnet!« antwortete dieser. »Aber nicht ich habe dich, sondern du hast mich gerettet. Ohne dich wäre ich jetzt eine Speise dieser Eidechsen und eine Mahlzeit dieser Ungeheuer, welche Allah verdammen möge!«

»Ja, ihr Leben mag kurz sein und ihr Tod fürchterlich. Ihre Ahnen seien vergessen und ihre Enkel und Nachkommen zu ewigem Hunger verurteilt. Die Krankheit mag ihren Leib verzehren und der Kummer ihre Seele, bis sie aufrichtig Buße thun und es erkennen, daß es eine Sünde gegen Allahs Gebote ist, das Fleisch lebendiger Menschen zu verzehren!«

»Sie werden niemals Buße thun, denn ihre Herzen sind verhärtet, und ihre Ohren hören nicht auf die Stimme des Warners. Sie leben in ihren Sünden weiter und werden im ewigen Feuer brennen, ohne verzehrt zu werden. Wir aber wollen uns freuen, ihren Zähnen entgangen zu sein, und ihnen sagen, daß wir sie verachten jetzt und immerdar!«

Sie riefen nun in echt orientalischer Weise den Krokodilen die beleidigendsten Schimpfnamen zu und verwünschten sie in den tiefsten Abgrund der Hölle hinab. Dann bedankten sie sich gegenseitig. Jeder wollte von dem andern gerettet worden sein und so sehr sie sich vorhin gezankt hatten, so überschwänglich waren die Freundschaftsversicherungen, mit denen sie sich jetzt gegenseitig erfreuten. Als das zu Ende war, rangen sie ihre Kleider aus und machten sich an die Arbeit, indem sie den Soldaten halfen, das Fleisch und den dicken Speck des Nilpferdes in lange Streifen zu zerlegen. Diese wurden dann auf Lanzen gespießt und nach dem Lager getragen, wo mittlerweile mehrere Feuer angesteckt worden waren, an welchem der leckere Braten bereitet werden sollte.

Indessen hatten die Fahrzeuge sich dem Ufer genähert und die Anker ausgeworfen. Als die Insassen derselben den Geruch des Bratens verspürten, begehrten sie, aussteigen zu dürfen, was Schwarz nicht gern erlaubte, da er wenigstens der Nuehr nicht ganz sicher zu sein glaubte. Der »Vater der Hälfte« aber gab ihm den Rat, sich ihre Anhänglichkeit dadurch zu erwerben, daß er ihnen Vertrauen zeige, und so durften sie die Schiffe verlassen. Doch erhielten die Soldaten heimlich den Befehl, auf sie zu achten, damit keiner von ihnen unbemerkt den Platz verlasse.

Das Nilpferd hatte eine solche Menge von Fleisch geliefert, daß von den anwesenden Hunderten jeder ein tüchtiges Stück bekam, welches er auf beliebige Weise zubereiten und verzehren konnte. Die Art und Weise, wie das geschah, hätte einem Maler Stoff zu einer ganzen Mappe voll Genrebilder gegeben.

Die sich dabei entwickelnden heitern Scenen sollten auf eine unerwartete und, wenigstens anfänglich, unliebsame Weise unterbrochen werden. Schwarz saß mit Pfotenhauer, dem »Vater der Hälfte« und Hasab Murat zusammen. Sie aßen gebratenen Hippopotamusspeck, welchen der erstere ganz vortrefflich fand.

»Nit wahr, er ist ausgezeichnet?« fragte der »Vater des Storches«. »Kaan Fleischer oder Selcher in Deutschland kann was Besseres aufweisen, und ich kenn' hier am Nil nur aan einziges, was dem nit nur gleichkommt, sondern vielleichten gar noch delikater ist.«

»Was ist das?« erkundigte sich Schwarz.

»Das ist aan Elefantenbraten; aber von der richtigen Stell' muß er halt sein. Haben Sie es kennen g'lernt?«

»Elefantenfleisch habe ich gegessen, doch weiß ich nicht, von welchem Körperteile es am besten ist.«

»So muß ich es Ihnen sagen. Es ist hier herum in dieser Gegend gar nit ausgeschlossen, daß uns mal so a Herr Elephas oder gar eine ganze Herd' davon begegnet; kommen wir da gut zum Schuß, so werd' ich Ihnen den praktischen Beweis für meine theoretische Behauptung liefern. Wissen's wo die Kugel den Elefanten treffen muß, wann er sogleich fallen soll?«

»Ja, dort, wo der Rüssel in den Kopf übergeht.«

»Das ist schon richtig, obgleich man ihn mit der Explosionskugel auch anderswo tödlich verwunden kann. G'rad' unter dieser Stell' muß man sich ein Stück aus dem Rüssel schneiden. Das gibt den besten Braten, den ich jemals 'gessen hab'.«

Pfotenhauer verdrehte die Augen und schnalzte mit der Zunge, um den großen Wohlgeschmack des betreffenden Gerichtes möglichst anzudeuten. Dabei nickte seine Nase höchst energisch von oben nach unten, als ob sie die Absicht habe, seine Behauptung auf das Kräftigste zu bejahen.

»Elefantenrüssel?« fragte Schwarz ungläubig. »Ich habe geglaubt, der müsse ziemlich zähe sein.«

»O nein. Er ist so zart wie Renntierzunge. Aberst das Rüsselstück thut's nicht allein, sondern es muß in dem richtigen Fett gebraten werden, welches dazu g'hört. Das ist nämlich das Fett im Zellgeweb' der Nieren, a Fett, sag' ich Ihnen, was mit gar nix zu vergleichen ist. Ich wollt', es käm' gleich jetzt so aan Elefant g'laufen, damit ich Ihnen zeigen könnt', was ich leider nit zu beschreiben mag!«

»Sie Gourmand!« lächelte Schwarz. »Ich glaube wirklich, Sie wünschen wegen dieses kleinen Rüsselstückes eine ganze Elefantenherde herbei. Ein nicht ungefährliches Verlangen!«

»Fürchten's sich etwa?«

»Nein. Aber denken Sie an die Verwirrung, welche diese Tiere hier anrichten würden!«

»Wann's ruhig kämen, hätt's gar nix zu sagen; aber freilich wenn's g'reizt werden, dann könnt's uns schlimm dergehen. Wissen's vielleicht, was man so einen 'Herumläufer' nennt?«

»Ja. So nennt man alte, männliche Elefanten, welche wegen ihrer Bösartigkeit von den Herden nicht gelitten werden und infolgedessen allein umherirren müssen. Das sind höchst gefährliche Tiere. Wehe demjenigen, der einem solchen unvorbereitet oder auf offenem Plane begegnet!«

»Ja, wann so a Herumtreiber käm', der könnt uns all unsre Tiere hier zu schanden machen; er thät sie wohl alle nach'nander aufspießen. Am allerschlimmsten ist's, wann so a Kerl sich auf der Flucht vor denen, die ihn ausg'stoßen haben, befindet. Da reißt er alles nieder; da ist er vor Wut geradezu von Sinnen, und dann thut selbst der kühnste Schütz' klug, wann er ihm schnell aus dem Wege geht und sich lieber gar nit von ihm derblicken läßt.«

»Haben Sie die Erfahrung vielleicht selbst gemacht?«

»Ja freilich, droben am Bahr Dschur. Da saß ich mit zwei Niam-niam zusammen und balgte die g'schossenen Vögel ab. Plötzlich wackelt die Erde unter uns, und es gab aan Gedröhn, als ob aan Erdbeben – – – horch! Was ist das? Hören's nix?«

Schwarz lauschte und antwortete dann:

»Das klingt wie ein ferner kleiner Wasserfall. Aber hier gibt es doch keinen!«

»Nein. Das ist 'was ganz andres. Vielleicht hab' ich gar den Teufel an die Wand g'malt, und nun kommt er herbei. Wann's nur noch Zeit ist, die Herd' in Sicherheit zu bringen!«

Er war aufgesprungen, legte die Hände wie ein Sprachrohr an den Mund und rief denjenigen Leuten, welche die Aufsicht über die Rinder zu führen hatten, mit weithin schallender Stimme zu:

»Harisihn, ruh el bakar: b'id b'id ruh; el ifjal, el ifjalWächter, fort mit den Rindern, weit, weit fort; die Elefanten, die Elefanten!«

Dieser Ruf wurde im ganzen Lager vernommen. Wer saß, der sprang auf und griff zu den Waffen. Die Wächter eilten zu ihren Tieren und trieben sie mit den Lanzen unter lautem Geschrei hinaus in die Ebene, nach der Richtung, welche Pfotenhauer ihnen andeutete, indem er mit beiden Armen winkte, so daß dieselben wie die Flügel einer Windmühle auf und nieder gingen.

Das starke Geräusch, welches er gehört hatte, war nämlich von links her gekommen, aus dem Walde, welcher jenseits der Spitze des Maijeh lag. Es war jetzt nicht mehr zu vernehmen, da die Hirten schrieen und die Soldaten einander Mut zubrüllten. Aber die Lunge Pfotenhauers war kräftiger als die aller andern.

»Raha, hudu, ja nas, willa nihma maijit – Ruhe, Stille, ihr Leute, sonst sind wir verloren!« donnerte er über die weite Fläche dahin, und sein Befehl fand augenblicklichen Gehorsam, wenn auch nicht infolge guter Disciplin, es war vielmehr die Angst, welche die Sudanesen zum Schweigen brachte.

Und nun war das Geräusch wieder zu hören, und zwar mit verdoppelter Stärke. Es glich einem Erdbeben; der Boden schien zu zittern.

»Aiwa, ifjal, ja Allah – ja, das sind Elefanten, o Gott!« rief der »Vater der Hälfte«.

»Kull kati – eine ganze Herde!« stimmte Hasab Murat bei. »Was thun wir? Bringen wir uns in Sicherheit?«

Er wollte davonlaufen; aber der »Vater der elf Haare«, welcher mit dem »Vater des Gelächters« herbeigekommen war, ergriff ihn beim Arme, hielt ihn zurück und sagte:

»Hast du keine Angst vor der Sklavenjagd, so brauchst du dich auch jetzt nicht zu fürchten. Ein Elefant ist ein Engel gegen einen Sklavenjäger.«

Und zu Schwarz gewendet, fuhr er in deutscher Sprache fort:

»Herr Doktor, jetzt werd' Sie gesehent, daß ich nicht hatt gefürchte Elefant, großmächtigen. Ich werd' gebte ihm Kugel aus Gewehr, meinigem, grad in die Nase, gerüsselförmigte!«

Schwarz hatte keine Zeit, auf diese Versicherung zu achten. In solchen Verhältnissen drängen sich die Augenblicke zusammen. Seit Pfotenhauer das Geräusch vernommen hatte, waren bis jetzt noch keine zwei Minuten vergangen, und nun dröhnte die Erde, wie wenn die schwache Mauer eines Häuschens von einem vorüberrollenden schweren Lastwagen zittert. Jetzt durchfuhr ein Ton die Luft, so stark, so schneidend, als ob er aus hundert Trompeten zugleich erschalle; dann kam der Goliat der vierfüßigen Tiere um die Ecke des Gebüsches gerannt, den Rüssel hoch erhoben und das kleine lächerliche Schwänzchen wie einen abwehrenden Stachel geradeaus gestreckt.

Es fehlte ihm der eine Stoßzahn; der vorhandene war von außerordentlicher Größe und deutete das hohe Alter des Tieres an, welches im Widerrist sicher eine Höhe von vier Meter besaß; die Länge betrug wohl einen ganzen Meter mehr.

Der Elefant bot mit dem erhobenen Rüssel, den klatschenden Riesenohren und der durchdringenden Trompetenstimme eine so gewaltige Erscheinung, daß ein unwiderstehliches Entsetzen die Sudanesen packte. Sie warfen ihre Waffen weg und rannten davon, um sich hinter den Büschen und Bäumen zu verbergen, und ließen dabei ein Angstgeheul hören, welches den Elefanten aufmerksam machte.

Durch irgend etwas, das man noch nicht sehen konnte, in Wut versetzt, war er bis jetzt wie blind gewesen; jetzt aber blieb er stehen, um den vor ihm liegenden Platz zu beäugen. Er sah die fliehenden Menschen und das kleine Häuflein der Stehengebliebenen, welche den Mut besaßen, ihm Widerstand leisten zu wollen; er schlug mit dem Rüssel ein Rad, hob ihn dann zum Schlage hoch empor und stürzte sich auf die wenigen Männer los.

Diese letzteren waren die Europäer, der »Sohn der Treue« und der wackere »Vater des Gelächters«. Die andern alle, auch der »Vater der Hälfte« und Hasab Murat, waren verschwunden. Die gefangenen und gebundenen Leute des Feldwebels lagen mit diesem ganz bewegungslos, um ja die Aufmerksamkeit des Tieres nicht auf sich zu lenken.

Doch noch einen gab es, welcher nicht geflohen war – Abd es Sirr, der »Sohn des Geheimnisses«. Dieser hatte sich, sobald der Elefant in Sicht kam, zu Boden geworfen und kroch, anstatt zu fliehen, ihm vielmehr rasch entgegen.

»Fliehe, um Allahs willen!« rief ihm der »Sohn der Treue« zu. »Er zerstampft dich ja. Es ist ein Hahdschil.«

Dieses letztere Wort bedeutet einen Vagabunden, einen Herumtreiber. Das Tier war also so ein ausgestoßenes, wegen seiner Wildheit und Tücke selbst von seinesgleichen gemiedenes Ungeheuer.

»Ja, ein Hahdschil,« stimmte Pfotenhauer bei. »Eure Kugeln thun ihm nichts. Trifft die meinige nicht die richtige Stelle, so gnade uns Gott!«

Die Männer standen dicht beisammen, die Gewehre gegen das Tier erhoben sich. Aber die bereits erwähnte Stelle, auf welche gezielt werden mußte, war nicht zu sehen, da der Elefant den Rüssel gerade aufwärts trug. Es war, als ob er die Verletzlichkeit derselben kenne und sie durch den Rüssel schützen wolle.

Das alles geschah selbstverständlich viel schneller, als es erzählt werden kann. Das Tier war bis auf höchstens vierzig Ellen herangekommen.

»Zerstreut euch und schießt von der Seite!« rief der »Vater des Storches«, »da haben wir besseres Zielen.«

Er sprang zur Seite, und die andern folgten seinem Beispiele, den kleinen Slowaken ausgenommen, welcher niedergekniet war und den Lauf seines schweren Katil elfil auf den offenen Rachen des Tieres gerichtet hielt.

»Allah, hilf der Kugel ins Gehirn,« rief er aus, »sonst schlägt mir das Vieh den Schädel ein!«

Er drückte ab, und der Schuß hatte einen doppelten Erfolg. Der »Vater der elf Haare« erhielt nämlich von dem Gewehre einen solchen Rückschlag gegen den Kopf, daß er zu Boden stürzte.

»Lisir'rak – prosit Mahlzeit; mit mir ist's aus!« schrie er, indem er die Augen starr auf den Elefanten gerichtet hielt.

Aber dieser senkte den Rüssel nicht, um den kleinen Schützen mit demselben zu ergreifen oder zu zerschmettern. Er bewegte ihn gar nicht, ja, er bewegte sich selbst nicht mehr. Und das war der andre Erfolg des Schusses. Die große, schwere Kugel hatte ihn mitten im schnellsten Laufe zum Stehen gebracht; er hielt da, wie gelähmt und ohne einen Zollbreit seines Körpers zu bewegen, freilich nur für wenige Augenblicke; aber dies genügte zur Rettung des Slowaken.

Der treue Freund dieses letzteren, nämlich der »Vater des Gelächters«, sah die Gefahr, in welcher er schwebte, und rief ihm zu:

»Lauf davon! Ich halte ihn auf!«

Er sprang vor und gab dem Tiere eine Kugel in den untern, starken Teil des Rüssels, freilich ohne den beabsichtigten Erfolg. Er wäre mit samt dem Slowaken verloren gewesen, wenn nicht der »Sohn des Geheimnisses« während dieser kurzen Pause Zeit gefunden hätte, seine Absicht auszuführen.

Abd es Sirr hatte sich ein wenig seitwärts gehalten, und der Elefant war, ohne ihn zu sehen oder zu beachten, an ihm vorübergerannt und dann, von des Kleinen Kugel getroffen, stehen geblieben. Gerade als der »Vater des Gelächters« dann seinen Schuß abgab, sprang der »Sohn des Geheimnisses« vom Boden auf, schnellte sich an das eine hintere Bein des Tieres, holte mit seinem langen Messer aus und versetzte ihm einen Hieb, um die Flechse zu durchschneiden. Hatte er nicht die richtige Stelle getroffen, oder war sein Messer nicht scharf genug, kurz, die Absicht mißlang, und der Elefant drehte sich schnell um, um den neuen Feind zu sehen.

Aber er sah nicht nur diesen einen, sondern mehrere, viele.

Man hatte bisher nur auf diesen einen Elefanten geachtet, nicht aber darauf, was aus dem früheren Getöse, welches doch auf eine ganze Herde schließen ließ, geworden war. Der alte Einsiedler hatte sich in die Nähe eines Truppes gewagt und war von demselben fortgejagt und verfolgt worden. Als er um die Ecke des Maijeh bog, war er seinen Verfolgern aus den Augen gekommen, und diese hatten eine kurze Zeit nach ihm gesucht. Jetzt kamen auch sie um die Ecke. Ihn sehen und mit entsetzlichem Getrompete auf ihn eindringend, war eins. Diese Feinde erschienen ihm jedenfalls fürchterlicher als die Menschen; er wendete sich schnell wieder um und rannte entsetzt weiter, ohne sich für die Verwundungen gerächt zu haben.

Die Zahl seiner vierfüßigen Gegner betrug zwölf, eine Schar, welcher er freilich nicht gewachsen war; sie gehörten jedenfalls einer Familie an, deren Oberhaupt, ein alter Bulle voranrannte; ihm folgten vier Männchen, vier Weibchen und drei Junge. In ihren Zorne über den Herumläufer nahmen sie nicht die geringste Notiz von den anwesenden Menschen und stampften mit kaum glaublicher Schnelligkeit vorüber und hinter ihm drein – freilich nicht alle von ihnen.

Der Slowak und sein Freund waren dem »Vagabunden« ausgewichen und also von seinen Füßen nicht getroffen worden. Als die Herde heranstürmte, hatte der »Vater des Storches« gerufen:

»Laßt die Männchen vorbei und zielt nur auf die Jungen! Die Weibchen sind uns dann sicher.«

Zugleich zielte er nach dem Rüssel des ersten Elefantenjünglings. Schwarz sah das und nahm den zweiten auf das Korn. Die beiden Schüsse krachten und nur wenige Sekunden später der dritte, denn Pfotenhauer hatte sofort auch dem dritten Jungen die Kugel des andern Laufs gegeben. Seine Explosionsgeschosse wirkten bei der Jugend der Tiere augenblicklich; die zwei Elefanten brachen mit zerschmetterten Stirnen zusammen. Auch Schwarz hatte genau die beabsichtigte Stelle getroffen; aber sein Schuß konnte keine so plötzlich zerstörende Wirkung hervorbringen. Der Getroffene blieb stehen, schwenkte den Rüssel wie einen Pendel hin und her, stieß ein markerschütterndes Schmerzensgeschrei aus und begann dann wie betrunken zu wanken.

»Auch der hat genug,« rief Pfotenhauer. »Jetzt schnell hinter starke Bäume. Rasch, rasch!«

Er rannte, noch während er diese Worte ausstieß, fort, dem Waldesrande zu, und die andern folgten ihm augenblicklich, nur Abd es Sirr und Ben Wafa ausgenommen, welche sich niederlegten und in dem Grase zu verstecken suchten.

»Warum fliehen?« fragte der »Vater des Gelächters«, als er nun in der Nähe Pfotenhauers hinter einem Baume stand. »Wir haben doch gesiegt!«

»Seht da nach rechts hinüber; sie kommen schon,« antwortete der Gefragte. »Ladet schnell die abgeschossenen Läufe wieder! Die Weibchen werden ihre Jungen rächen wollen.«

Er hatte recht. Die Mütter hatten das Geschrei des von Schwarz getroffenen Jungen gehört, die Verfolgung aufgegeben und waren schnell umgekehrt. Sie rannten trompetend der betreffenden Stelle zu. Dort angekommen, fand eine jede gleich ihr Kind heraus. Die Mütter der Gefallenen untersuchten ihre Jungen mit den Rüsseln. Die Mutter des tödlich getroffenen betastete die Wunde ihres Lieblings, streichelte denselben zärtlich und stellte sich eng neben ihn, Seite an Seite, um ihn zu halten und vor dem Umfallen zu bewahren. Ihre Liebkosungen und Anstrengungen waren vergeblich; das Junge neigte sich mehr und mehr zur Seite und fiel dann tot nieder. Nun ging eine Mutter zur andern, um deren Kind auch zu betrachten und zu untersuchen. Sie erkannten, daß die Jungen tot seien, erhoben die Rüssel und stießen klagende Trompetentöne aus.

»Nun kommt die Rache,« sagte Pfotenhauer. »Sie werden uns wahrscheinlich aufsuchen.«

»Mir ist es ganz so, als ob wir Strafe verdient hätten,« antwortete Schwarz. »Sehen Sie den Schmerz dieser Mütter! Es ist ergreifend, und wer ein Herz hat, dem muß es wirklich leid um sie thun.«

»Ja, da kommt halt das deutsche G'müt zum Vorschein. Der Mensch ist das schlimmste Raubtier, was es geben kann. Aberst schaun's! Haben's g'sehen?«

Er deutete nach der Elefantengruppe.

»Ja. Die eine Mutter ist hinten niedergesunken und trompetet noch kläglicher.«

»Und jetzt bricht die andre auch zusammen. Ah, ich weiß, was es ist. Wissen Sie's auch?«

»Sollte der 'Sohn des Geheimnisses' etwa – – –?«

»Ja, der ist's, und Ben Wafa mit ihm. Das sind mutige Jungens. Sie haben sich an die Tiere g'schlichen und ihre Messern in G'brauch genommen. Jetzund müssen wir hinaus, sonst kommen's noch gar in G'fahr. Auch dürfen wir die armen Tiere nit allzu lang leiden lassen.«

Die beiden Jünglinge hatten sich so gut im Grase versteckt gehabt, daß sie von den zurückkehrenden weiblichen Elefanten nicht gesehen worden waren. Sie schlichen, als diese bei den Jungen angekommen waren, sich von hinten an sie heran, was mit keiner großen Gefahr für sie verbunden war, da die Aufmerksamkeit der Mütter sich ausschließlich auf ihre Jungen richtete. Ungefähr bis auf zehn Schritte herangekommen, zog Ben Wafa seine Kulbedah, ein stark gekrümmtes, sichelförmiges und schweres Messer, welches eine sehr gefährliche Waffe ist und sowohl zum Schlagen als auch zum Werfen in Anwendung kommt, sprang auf den ersten Elefanten ein und zerhieb ihm mit zwei schnellen Hieben die Flechsen der Hinterfüße. Dann schlich er sich an das dritte Tier und brachte demselben seine lähmenden Streiche gerade dann bei, als das zweite unter denen seines Freundes auch zusammenbrach.

Die vor Schmerz und Wut brüllenden Elefanten drehten sich zwar nach ihren Peinigern um, versuchten auch, rutschend zum Angriffe gegen sie vorzugehen, konnten sie aber nicht erreichen.

Es war ein Anblick wirklich zum Erbarmen. Glücklicherweise kamen jetzt die Weißen herbei und machten den Leiden der Tiere durch einige wohl gezielte Kugeln ein Ende.

»So, jetzt fühlen's nix mehr,« sagte Pfotenhauer, indem er sein abgeschossenes Gewehr wieder lud. »Ist das a Jagd und aan Erfolg! Sechs Elefanten in kaum fünfzehn Minuten!«

»Eigentlich ein ganz unnützes Morden!« bemerkte Schwarz.

»Warum?«

»Weil wir diese Massen von Fleisch gar nicht brauchen können. Und Stoßzähne haben weder die Weibchen noch die Jungen.«

»Ich bin halt andrer Meinung. Es kann sogar kommen, daß wir das Fleisch sehr gut gebrauchen können. Wir wissen ja nit, ob wir auf unsrem Zuge für alle ausreichend Essen finden.«

»Pa! Ich schätze jedes Weibchen zu achttausend und jedes Junge zu zweitausend Pfund; ein ausgewachsener Bulle kann zwölftausend und sogar noch mehr wiegen. Das sind dreißigtausend Pfund Fleisch. Wie wollen wir dieses Quantum in höchstens zwei Tagen verzehren? Länger hält es sich ja nicht.«

»Da kennen's halt unsre Sudanesen schlecht. Sie sollen mal schauen, wie die nit etwa essen, sondern fressen werden. Übrigens besteht doch nit der ganze Elefant aus Fleisch. Es sind Abfall und Knochen auch dabei, und was für Knochen. Und wann's sich um die Menschlichkeit handelt, so ist's besser, es sterben einige Elefanten mehr, als daß Hunderte von Menschen, wenn auch nur kurze Zeit, Hunger leiden. Übrigens werden diese hier wohl nit die einzigen sein, welche dran glauben mußten. Laden's nur Ihr G'wehr immer wieder! Wir sind noch lang nit fertig.«

»Sie meinen, daß noch andre Elefanten kommen?«

»Andre nit, sondern diejenigen, welche bereits dag'wesen sind. Wann die Bullen bemerken, daß ihre Madamen fehlen, so lassen sie den 'Vagabunden' laufen und kehren um, sie zu suchen. Elefanten wissen der Fährte der Ihrigen ebenso gut zu folgen wie die Menschen.«

»Aber töten werden wir wohl keinen mehr?«

»Nein. Schad' freilich um die schönen Zähne der Männchen. Diejenigen des Bullen, welcher voranlief, konnten gegen hundertzwanzig Pfund wiegen pro Stück. Na, schauen's sich mal um! Nun die Arbeit g'macht ist, wagen sich unsre Sudanesen wieder hervor.«

Die Leute kamen vorsichtig aus den Büschen getreten, und als sie sahen, daß keine Gefahr mehr vorhanden sei, riefen sie das den weiter zurück Befindlichen zu, und bald waren alle um die erlegten Elefanten versammelt. Sogar die Nuehrs hatten sich ohne Ausnahme eingestellt, ein Beweis, daß sie keine Absicht hatten, Abu el Mot oder seine Sklavenjäger aufzusuchen.

Nun wurden Gruppen mit Obmännern, welche man besser als Verschneider bezeichnen konnte, um die Tiere zu zerlegen, bestimmt. Es herrschte in Erwartung der mehr als reichlichen Fleischportionen eine ungeheure Lustigkeit unter diesen Menschen, die aber leider nicht von langer Dauer war, denn kaum war mit der Arbeit begonnen worden, so hörte man von Westen her, wohin die Wächter die Rinder getrieben hatten, ein vielstimmiges Geschrei, in welches sich die Stimmen brüllender Ochsen und Kühe mischte.

»Was mag das sein?« fragte Schwarz. »Ob die Herde scheu geworden ist?«

»Möglich. Wollen abwarten, ob sich was sehen läßt,« antwortete Pfotenhauer.

Er brauchte nicht lange zu warten. Da er sich inmitten der vielen Menschen befand, verhüllten sie ihm die Aussicht nach der betreffenden Richtung, doch nur für kurze Zeit, denn plötzlich flogen sie alle unter lautem Geschrei nach rechts und links auseinander und davon.

»El Hahschil, el Hahschil,« so klang es voller Angst von allen Lippen und in der Zeit von wenigen Sekunden war kein einziger Sudanese mehr zu sehen; sie alle hatten wieder Schutz hinter den Büschen gesucht, die schon vorhin von ihnen als Zuflucht benutzt worden waren.

Nun hatten die wenigen Standhaften einen freien Blick nach West. Von dorther kam ein Stier gerannt, brüllend vor Angst und aus allen Kräften laufend. Hinter ihm drein lief der alte Elefantenbulle, welcher vorhin von der Herde gehetzt worden war. Es war keine Täuschung möglich, da man ihn an dem Fehlen des abgebrochenen Stoßzahnes erkannte.

»Alle Teuxel, das schaut g'fährlich aus!« rief Pfotenhauer. »Es kommt alles darauf an, wohin der Stier sich wendet.«

»Er ist verloren,« meinte Schwarz. »Der Elefant läuft doppelt schnell.«

»Ja. Der Ochs kommt grad richtig auf uns zu, doch sieht man, daß er sogleich eingeholt sein wird. Verhalten wir uns ruhig, damit der Herumläufer uns dann nit bemerkt.«

Jetzt hatte der Elefant den Stier erreicht. Anstatt ihn von hinten anzugreifen, machte er sich an dessen Flanke, stieß ihm den Zahn in die Seite und warf ihn mitten im Laufe empor.

Man hörte den Krach, als der Stier die Erde wieder berührte. Er wollte sich trotz der gräßlichen Verwundung aufraffen, aber der Elefant war stehen geblieben und schleuderte ihn abermals empor, viel höher noch als vorher; dann trat er ihn mit den Füßen und versetzte ihm mit dem Rüssel so gewaltige Streiche, daß der Besiegte bald eine weiche, formlose Masse bildete.

Die Wut des »Vagabunden« war durch die feindlichen Elefanten erregt und durch den Anblick der Rinderherde erhöht worden; der Tod des Stieres schien ihn nicht zu befriedigen; er sah sich nach neuen Opfern um. Da erblickte er die kleine, bewegungslose Männergruppe und setzte sich gegen sie in Bewegung, nicht etwa langsam laufend, sondern mit einer Schnelligkeit, welche selbst dem besten Rennpferde Trotz geboten hätte.

»Rettet euch in den Wald und auf die Bäume!« schrie Pfotenhauer. »Bei diesen Sprüngen ist vom sichern Zielen und Schießen keine Rede.«

Jetzt kamen die Beine der sonst so furchtlosen Männer in ungewöhnliche Bewegung. Der »Vater der elf Haare«, der kleinste von ihnen, brachte die größten und weitesten Sätze fertig. Er rannte nicht, o nein, sondern er schnellte sich förmlich vorwärts. Dabei rief er in deutscher Sprache:

»Herr Doktor, schießte auf Elefant, schießte doch, schießte! Wenn Elefant uns auffangte mit Zahn, seinigem, so fliegte wir in Luft atmosphärige, und seinte zerschmetterte Knochen, unsrige und ganze! Schießte schnell, schießte schnell!«

Der nächste hinter ihm war sein Freund, der »Vater des Gelächters«. Er machte Sprünge wie ein Panther und brüllte dabei in einem Atem:

»O Allah! O Vorsehung! O Ewigkeit! Er wird mich packen, der Elefant, der Verfluchte, der Ungläubige! Möge er vorher in die Hölle stürzen, da, wo sie am tiefsten ist und immer noch ein weiteres, separates Loch nach unten hat!«

Der Sudanese kann absolut nicht schweigen; er muß sprechen und er muß schreien, selbst wenn dies zu seinem größten Schaden ist.

Auch Abd es Sirr und Ben Wafa ließen ihre Stimmen hören, vielleicht in der Absicht, den Elefanten von sich abzuschrecken. Sie rannten mehr nach rechts, während das Tier der geraden Linie folgte, welche von dem Slowaken und seinem Freunde eingeschlagen worden war. Die andern hatten eine Schwenkung nach links gemacht. Sie bemerkten, daß sie das Tier nicht mehr hinter sich hatten, und hielten an.

»Meiner Six, so bin ich im Leben noch nit g'rannt!« sagte Pfotenhauer aufatmend. »Wann wir stehen geblieben wären, so hätten unsre Kugeln der Bestie nix g'schadet, wir aber wären von ihr alle mit'nander zerstampft und zertreten worden. Dort rennt sie auf das Dickicht los. Sie hat es auf den Kleinen und auf den Großvater der Städte und Völker abgesehen. Machen wir schnell, daß wir nachkommen, um denen beiden beizuspringen!«

»Halt!« hielt Schwarz ihn zurück. »Nur nicht unvorsichtig! Sehen Sie, daß die Kerls soeben das Gebüsch erreicht haben! Sie finden sichere Deckung in demselben und sind also gerettet. Wir aber würden uns in die Gefahr begeben, dem umkehrenden Tiere zu begegnen. Wenn wir folgen wollen, so müssen wir es von der Seite her thun und dürfen uns nicht von dem Elefanten sehen lassen. Kommen Sie!«

Jetzt hatte auch der »Herumtreiber« das Gebüsch erreicht. Er brach in dasselbe ein, als ob er nur Gras unter den Füßen habe. Dabei bog er Stämme von der Stärke eines Mannesschenkels auseinander oder brach sie ab. Der »Vater der elf Haare« hörte das gewaltige Knacken und Prasseln hinter sich. Er glaubte, der Elefant sei ihm ganz nahe, wagte sich nicht umzusehen und rannte nur immer gerade aus. Da blieb er mit dem Fuße an einem Schlinggewächse hängen und stürzte nieder. Der »Vater des Gelächters« flog an ihm vorüber. Er raffte sich schnell wieder auf und schoß vorwärts – fast in das tiefe Wasser des Maijeh hinein, an dessen Ufer er sich befand. Neben sich sah er den gewaltigen Stamm eines Baumes. Emporblickend, bemerkte er die Füße seines Freundes. Er that einen Sprung nach oben, erfaßte den Ast und schwang sich hinauf. Von da zum nächsten Aste war es nicht weit; er erreichte auch diesen und wollte noch weiter empor, denn er befand sich nur so hoch, daß der Elefant ihn sehr leicht erreichen konnte, mußte aber darauf verzichten. Der Baum hatte nämlich durch Blitzschlag seine Krone verloren; es gab nur drei Äste und der dritte war abgebrochen und bestand nur aus einem Stumpfe, auf welchem nur eine Person Platz finden konnte. Da saß der Hadschi und zog ein Gesicht, als ob er sich im siebenten Himmel Mohammeds, nicht aber in Lebensgefahr befinde.

»O Allah, was soll ich thun!« rief der Kleine. »Konntest du nicht einen andern Baum wählen! Alle übrigen sind höher und haben mehr Äste. Das Tier wird mich hier abpflücken wie eine reife Traube!«

»Wer hat dir geheißen, mir nachzuklettern!« grinste der andre von oben herab. »Ich bin sicher. Bis herauf zu mir reicht der Rüssel nicht.«

»Aber bis zu mir! O Allah, Allah, was soll ich thun! Er kommt; er ist da, er ist da!«

Seine Angst war groß und auch gar wohlbegründet, denn es krachte und prasselte schon in nächster Nähe.

»Kriech doch auf dem Aste weiter!« riet ihm der Hadschi. »Er ist so dick wie du und reicht über das Ufer hinaus. Da kann das Untier dich nicht erreichen. Mach aber schnell, denn ich sehe ihn schon!«

Er erblickte von seinem höheren Sitze aus den Kopf des Elefanten, der ein ihm im Wege stehendes Bäumchen mit dem Rüssel faßte, samt den Wurzeln aus der Erde zog und dann zur Seite schleuderte.

»Ja, ich krieche, ich krieche,« rief der Kleine entsetzt. »Es ist der einzige Rettungsweg, den es gibt.«

Er turnte sich auf Händen und Füßen und mit außerordentlicher Schnelligkeit auf dem Aste fort, bis dieser sich unter der Last fast bis zum Wasser niederbog. Dort konnte er von dem Elefanten nicht erreicht werden und atmete erleichtert auf, aber nur für einen kurzen Augenblick, denn unter ihm regte sich etwas und als er niedersah, fiel sein Auge auf ein Nilpferd, welches im Wasser stand, so daß nur die Nüstern, Augen und Ohren aus demselben ragten.

»Allah kerihm,« rief er erschrocken aus; »ana fohk l'ischsch el Husan el bahr – Gott sei mir gnädig; ich hänge über dem Neste eines Nilpferdes!«

In diesem Augenblicke hatte der Elefant den Baum erreicht und wurde durch das Geschrei des Kleinen auf diesen aufmerksam gemacht. Doch beobachtete er zunächst nicht diesen, sondern den Hadschi, welcher seinem Freunde von oben herab antwortete:

»Halte dich fest, sehr fest, sonst gilt's dein Leben! Wenn dieses Husan dich erwischt, so zermalmt es dich!«

Der Elefant blinzelte den Sprecher mit seinen kleinen Augen an, stieß einen drohenden Trompetenton aus und richtete dann den Rüssel auf, um den Feind zu ergreifen. Glücklicherweise konnte er ihn nicht ganz erreichen, denn der »Vater des Gelächters« saß zwei Ellen zu hoch und zog außerdem die Beine an den Leib, wobei er halb ängstlich und halb schadenfroh ausrief:

»Versuche es nur, du Sohn eines ehrlosen Vaters, du Neffe eines Oheimes, welcher durch dich zum Gelächter geworden ist! Ich spotte deiner Stärke und verachte deine Klugheit. Komm doch herauf, wenn du mich haben willst!«

Der Elefant sah das Nutzlose seiner Bemühung ein und richtete seine Augen auf den »Vater der elf Haare«. Er avancierte bis an das Wasser und streckte den Rüssel aus, um den Genannten zu ergreifen, konnte aber auch diesen nicht erreichen. Der Kleine bemerkte das mit hoher Befriedigung und schrie ihm spottend zu:

»Hast du Appetit nach mir, du Urahne des Rüssels und der großen Ohren? Klettere doch herauf, damit wir uns liebkosen können! Ich möchte dich gern – –«

Er kam nicht dazu, auszusprechen, was er so gern thun wollte, denn der Elefant hatte einen schnellen und für den Kleinen sehr verhängnisvollen Entschluß gefaßt. Er war zu der Einsicht gekommen, daß er seinen Zweck auf eine andre als die bisherige Weise zu erreichen suchen müsse. Darum schlang er den Rüssel um den Ast und schüttelte denselben mit solcher Kraft, daß der »Vater der elf Haare« sich nicht festzuhalten vermochte und weit hinaus in die Luft und dann in das Wasser geschleudert wurde.

Die Anstrengung des Elefanten war so groß gewesen, daß er das Gleichgewicht verlor. Er rutschte mit den Vorderbeinen von dem schlüpfrigen Ufer ab. Zwar versuchte er, sich mit dem Rüssel an dem Aste festzuhalten, doch vergeblich, denn das Gewicht seines Körpers war zu schwer; der Ast brach ab, und das Tier stürzte in das Wasser, welches hoch aufspritzte und sich dann über ihm schloß.

Aber schon im nächsten Augenblicke tauchte er wieder auf, das heißt, zunächst war nur der kerzengerade emporgestreckte Rüssel zu sehen, welcher im Nu von seinem Schicksale ereilt wurde. Der Elefant war nämlich nicht weit von dem Nilpferde in das Wasser gestürzt; dieses schoß herbei, öffnete den breiten Rachen, klappte ihn um den Rüssel wieder zu und tauchte unter. Einige Sekunden lang schlug das Wasser in hohen, blutigen Wellen und Kämmen auf, dann erschien der Elefant ohne Rüssel, denn dieser war ihm abgebissen worden. Er stieß vor Wut und Schmerz Töne aus, welche jeder Beschreibung spotten, und sah sich nach dem Gegner um. Jetzt erschien derselbe an der Oberfläche, nur wenige Ellen entfernt von ihm; der Elefant holte zum gewaltigen Stoße aus und rannte dem Nilpferde den Zahn, so lang dieser war, in den Leib; dann verschwanden beide abermals.

Im weiteren, doch nur kurzen Verlaufe des Kampfes erschien bald das Hinterteil des Elefanten, bald die eine Seite des Hippopotamus über dem Wasser. Der erstere konnte nicht von dem letzteren loskommen, und das Nilpferd strengte alle seine Kräfte an, den Feind unten zu halten und zu ersticken. Die Wogen stiegen zu kleinen Bergen auf, zwischen denen hohe Fontänen emporgespritzt wurden, so daß man die einzelnen Bewegungen der Tiere nicht zu unterscheiden vermochte.

Während dieses Kampfes der Riesen der Tierwelt hielten sich die andern Bewohner des Maijeh wohlweislich fern, und das war ein Glück für den »Vater der elf Haare«, welcher so weit hinausgeflogen war, daß die Krokodile bei ihm gewesen wären, bevor er das Ufer hätte erreichen können. Er hatte sich schnell an die Oberfläche gearbeitet und gab sich alle Mühe, so rasch wie möglich an das Land zu kommen. Als er es erreichte und triefend aus dem Wasser stieg, wendete er sich um, streckte die Fäuste aus und rief:

»Hamdulillah, ich bin gerettet! Ich sollte gefressen werden; nun aber wird euch der Scheitan verschlingen mit samt eurer ganzen Nachkommenschaft! Kommt schnell herbei, und seht, wie ich des Elefanten und des Nilpferdes Herr geworden bin!«

Dieser letztere Ruf galt Schwarz und dem »Vater des Storches«, welche soeben von seitwärts herbeikamen.

»Ja, kommt, kommt rasch!« rief auch der Hadschi vom Baume herab. »Wir brauchen sie gar nicht zu töten, denn sie bringen sich gegenseitig selber um. Seht den 'Vater des Rüssels'! Er bringt das Nilpferd an das Land, kann aber nicht von ihm los und muß elendiglich aus dem Leben scheiden.«

Das Nilpferd war tot; der Elefant hatte mit den Füßen Grund bekommen und schleppte es, indem er rückwärts ging, an seinem Zahne dem Ufer zu. Er konnte sich trotz aller Anstrengung nicht befreien und schrie vor Grimm in einem Atem fort, wobei ihm das Blut armesstark aus der tödlichen Wunde strömte.

»Da ist die G'fahr also für uns vorüber,« meinte Pfotenhauer. »Bringen wir die G'schicht nun vollends zu End'!«

Er legte sein Gewehr auf den Elefanten an und drückte los. Beim ersten Schuß wankte das Tier; beim zweiten schlug es hinten aus und brach dann nieder, indem es im Wasser verschwand. Dies sehen und vom Baume herabrutschen war für den Hadschi das Werk nur eines Augenblicks.

»Fachrulillah, Ruhm sei Gott!« rief er triumphierend. »Wir haben die Schrecklichen bezwungen und die Entsetzlichen erlegt; sie liegen mit ihrer Schande im Wasser und müssen sich schämen, an ihren ehrlosen Tod zu denken. Sie sind durch meine List gefällt und durch meine Kühnheit überwunden worden. Alle Gefährten werden mich preisen und loben, wenn sie das Fleisch der Riesen verzehren.«

»Schweig!« antwortete der »Vater der elf Haare«. »Was hast du denn eigentlich gethan? Du bist auf den Baum geklettert und hast gewartet, bis die Tiere tot waren; erst dann kamst du wieder herunter. Halte meinen Heldenmut dagegen, so wird dein Ruhmgeschrei augenblicklich verstummen müssen!«

»So?« fragte der Hadschi, indem er vor Ärger ein Gesicht zog, als ob er vor lauter Wonne vergehen wolle. »Zähle doch einmal deine Heldenthaten auf! Auch du bist auf den Baum geflohen, sogar fast bis an die äußerste Spitze des Astes. Dann hat der Elefant dich in das Wasser geschüttelt, und nun stehst du pudelnaß vor mir, daß es mich erbarmen könnte!«

»Sprich nicht solche Albernheiten. Habe ich denn nicht durch meinen Sprung in den Maijeh den Elefanten listigerweise verführt, auch in das Wasser zu gehen, worinnen er den Tod gefunden hat? Bin nicht also ich es, dem der Sieg zugeschrieben werden muß?«

Die beiden wären wahrscheinlich noch heftiger aneinander geraten, doch wurde ihrem Wortwechsel durch ein rundum sich erhebendes Freudengeheul ein Ende gemacht. Die vor dem Elefanten geflüchteten Leute hatten die Schüsse gehört und Mut gefaßt; sie waren vorsichtig herbeigekommen und sahen, daß nichts mehr zu befürchten sei. Nun erhoben sie, von denen das Ufer wimmelte, ein Triumphgeschrei, vor welchem, wenn sie ihre Kehlen vorhin in derselben Weise angestrengt hätten, der Elefant samt sämtlichen in der Umgegend sich aufhaltenden Nilpferden auf- und davongelaufen wäre. Sie tanzten und sprangen vor Entzücken, und es dauerte eine geraume Zeit, ehe es Schwarz und Pfotenhauer gelang, Ruhe und Ordnung in die Gesellschaft zu bringen.

Nun wurden Seile von den Schiffen geholt, mit deren Hilfe man die beiden Tiere, allerdings unter großer Anstrengung, an das Land zog, um sie auszuschlachten und zu zerlegen. Während ein Teil der Leute mit dieser Arbeit beschäftigt war, kehrten die zwei Deutschen mit den andern zum Lagerplatze zurück, weil zu befürchten stand, daß die Elefanten wiederkommen und ihre Weibchen suchen würden. Glücklicherweise erfüllte sich diese Erwartung nicht.

Später kam einer der am Ufer beschäftigten Männer zum Lagerplatze und meldete, daß man soeben draußen auf dem Flusse ein Boot gesehen habe, welches nach dem Maijeh einlenke. Schwarz und Pfotenhauer eilten sofort nach dem Wasser, gefolgt von den ihnen näherstehenden Gefährten. Man konnte über den Maijeh hinweg und durch den schmalen Eingang desselben blicken. Auf dem schmalen Streifen des Niles, welcher dahinter sichtbar war, kam das Boot, von mehreren Rudern getrieben, herbeigeflogen. Schwarz nahm, um es zu betrachten, das Fernrohr zur Hand und reichte es dann dem 'Vater des Storches'. Kaum hatte dieser letztere einen Blick durch die Gläser geworfen, so rief er, zu dem »Sohne der Treue« gewendet, aus:

»Das ist ein Fahrzeug der Niamah-niam. Was hat das zu bedeuten? Nimm das Rohr, und sieh hindurch!«

Ben Wafa folgte dieser Aufforderung und antwortete dann:

»Ein Kriegsboot unsres Stammes! Wie und warum kommt dies hierher? Am Steuer sitzt Wahafi, der listigste Krieger meines Volkes, welcher die Ufer des Flusses kennt bis hinab zum See Ombaj. Sobald mein Vater diesen Mann aussendet, handelt es sich um ein wichtiges Unternehmen. Ich bin überrascht und bestürzt über das Erscheinen dieses Bootes.«

»Zu erschrecken brauchen wir nicht,« meinte Pfotenhauer, »da das Fahrzeug keine feindlichen Menschen bringt. Diese Leute wissen nicht, daß wir uns hier befinden. Sie werden, sobald sie unsre Schiffe erblicken, sofort umkehren wollen. Wir müssen sie also benachrichtigen, daß sie hier nur Freunde finden.«

»Das werde ich thun.«

Er rannte fort, entlang dem linken Ufer des Maijeh bis zu dem Eingange desselben, und kam gerade an dem Augenblicke dort an, als das Boot dieselbe Stelle passierte. Man hörte, daß er den Insassen etwas zurief, worauf sie ein Freudengeschrei erhoben und sich dem Lande näherten. Er sprang zu ihnen in das Fahrzeug, und dann kamen sie über den Maijeh herbeigerudert. Wahafi, der Steuerer, erkannte den »Vater des Storches« von weitem.

»Herr, wie freue ich mich, dich zu sehen,« rief er ihm zu. »Wir kommen nicht allein, sondern es folgen uns viele Krieger nach.«

»Warum?« fragte Pfotenhauer, indem das Boot anlegte und die Leute ausstiegen.

»Es kam ein Händler aus Metambo zu uns. Er war vorher auf der Seribah Abu el Mots gewesen und hatte da gehört, daß dieser nicht anwesend sei und uns gleich nach seiner Rückkehr überfallen werde. Da beschloß der König, ihm zuvorzukommen. Er rief alle seine Krieger zusammen und sendete mich voraus, um zu erfahren, wie es auf der Seribah stehe.«

»Das kannst du hier bei uns ganz genau und schneller erfahren. Wohin sollst du dem Könige die Botschaft bringen?«

»Nach dem kleinen Flüßchen, welches oberhalb Nirrheh in den Nil mündet. Dort will er sich mit seiner Flotte verstecken, bis ich komme.«

»Wie stark ist die Macht, welche er bei sich hat?«

»Es sind über fünfmalhundert tapfere Männer, auf viele Boote verteilt«

»Das ist gut. Wir sind zwar stark genug, aber wenn ihr euch zu uns gesellt, wird uns nicht ein einziger Feind entgehen können. Wie lange rudert ihr von hier aus, um den König zu erreichen?«

»Nicht länger als einen Tag.«

»So kommt mit uns zum Lager. Wir haben dir sehr viel zu erzählen.«

Die Neuangekommenen freuten sich außerordentlich, den Sohn ihres Königs, und auch den »Sohn des Geheimnisses« so unerwartet getroffen zu haben. Noch größer als diese Freude war ihr Staunen, als sie vernahmen, was sich ereignet hatte. Es wurde eine Beratung abgehalten, deren Ergebnis war, daß Wahafi sofort mit seinen Leuten zurückfahren solle, um dem König von dem Stande der Dinge Nachricht zu bringen. Die Niamah-niam sollten von ihrem Aufenthaltsorte direkt nach Ombula marschieren, und dort mit Pfotenhauer, Schwarz, und ihren Leuten zusammentreffen.

Eben wollte Wahafi aufbrechen, als man einen Reiter bemerkte, welcher von Süden her langsam herangeritten kam. Er war eine so wichtige Erscheinung, daß Pfotenhauer das Fernrohr auf ihn richtete.

»Ein Weißer,« sagte er, »und bis an die Zähne bewaffnet. Wer mag er sein! Jedenfalls nicht wieder ein Bote von Abd el Mot, da dieser schon gestern einen geschickt hat.«

Wahafi nahm das Fernrohr, und sah auch hindurch. Er mochte von Pfotenhauer während dessen Aufenthalt bei den Niam-niam gelernt haben, mit diesem Instrument umzugehen. Als er das Gesicht des Reiters erblickt hatte, sagte er:

»Das ist ja Dauwari, der Sucher! Wo der hinkommt, da folgt ihm Mord und Elend nach.«

»Du kennst ihn?« fragte Schwarz.

»Nur zu gut. Ich bin der einzige meines Stammes, der ihn kennt. Ich habe ihn bei den Moro gesehen. Kaum war er von ihnen fort, so kam die Sklavenkarawane und überfiel das Volk. Er verkehrt auf den Seriben und kennt alle Menschenjäger, mit denen er Geschäfte macht.«

»Kennt er dich?«

»Nein.«

»So bleibe noch da. Daß er zu uns kommt, scheint nicht ohne Absicht zu sein. Ein einzelner Mann hütet sich, ein Lager wie das unsrige zu betreten.«

Der Mann ließ nicht die geringste Unsicherheit bemerken. Er kam stracks herbei, stieg vom Pferde, grüßte und fragte dann Schwarz:

»Ich bin zu euch gesandt. Ihr seid doch die Leute, welche zu Abd el Mot gehören?«

»Wer bist du?« erkundigte sich Schwarz, ohne die Frage zu beantworten.

»Ich bin Soldat und traf auf die Sklavenkarawane, welche Abd el Mot befehligt. Er nahm mich in seinen Dienst und sandte mich ab, um euch aufzusuchen.«

»Was hast du uns mitzuteilen?«

»Ihr sollt sofort nach den Gutabergen ziehen, wo ihr ihn in der Schlucht es Suwar finden werdet.«

»Warum zieht er dorthin?«

»Weil er dort einige Dörfer der Mundo überfallen will.«

»Und wann wird er dort eintreffen?«

»Übermorgen. Wenn ihr euch sputet, könnt ihr einen Tag später auch dort sein.«

»Wie lautet dein Name?«

»Amar Ben Suba.«

Schwarz sah ihm scharf in das Gesicht. Der Mann hielt diesen forschenden Blick lächelnd aus. Seine Züge waren die eines kühnen Mannes, aber nicht vertrauenerweckend.

»Sagst du die Wahrheit?« fragte Schwarz.

»Ja. Warum sollte ich lügen!«

»Und doch lügest du!«

Da zog der Mann ein Pistol aus seinem Gürtel und antwortete drohend:

»Sage das ja nicht zum zweitenmal, sonst schieß ich dich nieder! Ich laß mich nicht beleidigen!«

Wenn er der Meinung gewesen war, dem Deutschen zu imponieren, so hatte er sich geirrt. Dieser schlug ihm die Waffe aus der Rechten, riß ihm die Flinte aus der Linken, holte mit derselben aus und versetzte ihm einen Kolbenhieb gegen den Kopf, daß der Getroffene zu Boden stürzte. Einige Augenblicke später war derselbe entwaffnet und gebunden. – Der Hieb hatte ihm für kurze Zeit die Besinnung geraubt. Als er wieder zu sich kam und sich gefesselt sah, rief er aus:

»So behandelt ihr den Boten und Vertrauten eures Vorgesetzten? Abd el Mot wird das zu bestrafen wissen!«

»Schweig! Wir lachen deiner Drohung,« antwortete Schwarz. »Du bist ein Lügner und als solcher behandelt worden. Du kommst nicht von Abd el Mot.«

»So hast du mich gar nicht verstanden?«

»Ich verstehe dich besser als du ahnst und denkst. Du nennst dich Amar Ben Suba und heißest doch anders. Wir kennen dich, du bist Dauwari, der Agent der Sklavenjäger.«

»Du irrst dich. Ich bin kein andrer als derjenige, für den ich mich ausgegeben habe.«

»Herr, glaube ihm nicht!« bemerkte Wahafi. »Er ist Dauwari; ich kenne ihn genau.«

Der Gefesselte warf einen zornigen Blick auf den Sprecher und antwortete:

»Wer bist du, daß du mich kennen willst und es wagst, mich Lügen zu strafen? Sobald ich frei bin, werde ich dir diese Beleidigung mit dem Messer heimgeben!«

Er sah ganz so aus, als ob er der Mann sei, diese Drohung wahr zu machen. Schwarz fuhr ihn zornig an:

»Wahre deine Zunge! Ich weiß, wer du bist und was du willst, und habe keine Lust, deine Grobheiten anzuhören.«

»Nichts weißt du! Es ist alles genau so, wie ich gesagt habe, und wenn ihr dem Befehle, welchen ich euch überbracht habe, nicht Gehorsam leistet, so habt ihr es mit Abd el Mot zu thun.«

»Du meinst mit Abu el Mot!«

»Nein; mich sendet Abd el Mot.«

»So! Wann hat er denn den vorigen Boten geschickt?«

»Das weiß ich nicht; er hat nicht davon gesprochen. Hat er euch schon einen Mann gesandt?«

»Ja. Kämst du wirklich von ihm, so würde er dir gesagt haben, daß er tags vorher eine ganz andre Weisung abgehen ließ. Wo hast du ihn denn getroffen?«

»In Ombula.«

»Dort ist er gar nicht mehr.«

»Er ist noch dort!«

»Nein. Du selbst wirst es noch eingestehen.«

»Ich kann nichts eingestehen, sondern nur bestätigen, was ich bereits gesagt habe.«

»Nun, ich werde dir beweisen, daß ich meiner Sache sicher bin. Du wirst jetzt die Bastonnade bekommen, so viele Schläge auf die Fußsohlen, bis du die Wahrheit bekennst.«

»Das wage nicht! Meine Rache würde schrecklich sein!«

»Wurm, du wagst es, mir zu drohen? Das ist eine Frechheit, auf welche die sofortige Strafe zu folgen hat. Wer von euch versteht es, die Bastonnade zu geben?«

Auf diese Frage meldeten sich gleich mehr als zwanzig der umstehenden Männer. Es wurde ein starker Ast aus dem Gesträuch geschnitten. Dauwari lag auf dem Rücken; einer setzte sich ihm auf den Leib; dann richtete man seine Füße aufwärts und band sie an den Ast, den zwei Männer hielten; ein andrer holte einige fingerstarke Ruten aus den Büschen und hieb auf die entblößten Fußsohlen los.

Der Gezüchtigte biß die Zähne zusammen; er wollte den Schmerz beherrschen und keinen Laut von sich geben, brachte das aber nicht fertig. Schon beim dritten oder vierten Schlage schrie er laut auf; aus dem Schreien wurde ein tierisches Gebrüll, und dann bat er:

»Haltet auf; laßt mich los! Ich will alles gestehen; ich will die Wahrheit sagen.«

Schwarz winkte, einzuhalten, und antwortete:

»Du erkennst, daß es mir nicht einfällt, mich von dir täuschen und mir dazu gar noch Grobheiten sagen zu lassen. Beantworte also meine Fragen aufrichtig, sonst wirst du geschlagen, bis man die Knochen sieht! Du warst nicht in Ombula bei Abd el Mot?«

»Nein,« stöhnte der Gefragte.

»Sondern du trafst Abu el Mot und seine Homr-Araber unterwegs?«

»Ja.«

»Er sandte dich mit dem Auftrage, welchen du ausgerichtet hast, hierher?«

»So ist es.«

»Zu welchem Zwecke? Was beabsichtigt er?«

Dauwari zögerte mit der Antwort; darum fuhr Schwarz fort:

»Besinne dich nicht und antworte schnell, sonst fahren wir mit der Bastonnade fort! Ich weiß auch ohne daß du es mir sagst, um was es sich handelt. Abu el Mot will uns in eine Falle locken. Ist es so oder nicht?«

Der Gefragte schwieg noch immer und hielt die Augen mit grimmigem Ausdrucke auf den Deutschen gerichtet. Wie gern hätte er diesen und diejenigen, welche ihn jetzt züchtigten, in das Verderben geführt; aber der Sudanese, welcher die Streiche gab, versetzte ihm zwei so kräftige Hiebe, daß er, vor Schmerz brüllend, gestand:

»Haltet ein, haltet ein! Ja, es ist so. Ihr sollt nach der Schlucht es Suwar gelockt und dort vernichtet werden.«

»Von wem? Abu el Mot hat doch nur wenige Männer bei sich. Will er zu Abd el Mot, um diesen und die Sklavenjäger nach der Schlucht zu führen?«

»Ja.«

»Aber er weiß, daß er selbst dann zu schwach gegen uns ist. Er muß sich also um noch andre Hilfe kümmern. Ich vermute darum, daß er einen seiner Homr ausgesandt hat, um Verbündete zu holen; da er aber unter den Negern keine solchen findet, so hat er nach irgend einer Seribah geschickt. Gestehe es!«

Dauwari zögerte abermals; als er aber sah, daß der Sudanese zum Hiebe ausholte, rief er:

»Halt, ich antworte ja! Herr, du hast richtig geraten. Allah hat dich mit großem Scharfsinne begabt. Abu el Mot hat zwei Homr nach der Seribah Ulambo gesandt, deren Besitzer sein Freund ist.«

»Gut! Ich rate dir, klug zu sein. Du befindest dich in meiner Gewalt und wirst erkennen, daß ich nicht scherze. Du kamst als Verräter zu uns und hast also den Tod verdient. Dieser ist dir gewiß, wenn du bei deinem feindseligen Verhalten verharrst. Gibst du aber alle Hintergedanken auf, so wird dir nichts weiter geschehen und ich lasse dich später laufen.«

»Ist das wahr?« fragte Dauwari schnell.

»Ja; ich lüge nicht wie du.«

»Schwöre es mir!«

»Ich bin ein Christ und schwöre nie. Mein Wort ist so gut wie zehn Schwüre. Hat Abu el Mot sich etwa auf die Nuehrs verlassen, welche in unsre Hände gefallen sind?«

»Ja. Da du mir die Freiheit versprichst, will ich dir die volle Wahrheit gestehen. Abu el Mot vermutet, daß du die Nuehrs überredet hast, es mit dir zu halten. Ich soll unterwegs heimlich mit ihnen reden und ihnen alles versprechen, was sie nur wünschen können, damit sie von dir abfallen und sich mit gegen dich wenden.«

»Das ist nicht übel ausgedacht; nur hat er und hast auch du vergessen, bei eurer Berechnung zu berücksichtigen, daß ihr es mit Abendländern und nicht mit dummen Negern zu thun habt. Wir hätten dir nur scheinbar vertraut und wären sehr bald hinter deine Schliche gekommen. Den Beweis dazu habe ich dir bereits geliefert und du hast ihn gefühlt. Also unterwegs solltest du mit den Nuehrs sprechen? Was verstehst du unter ,unterwegs'? Wie hat Abu el Mot sich diesen Weg gedacht?«

»Ich sollte euch überreden, die Schiffe einstweilen zurückzulassen und zu Lande nach der Schlucht zu marschieren.«

»Das wäre ein Marsch von zwei Tagen, während welcher Zeit allerdings sehr viel gegen uns geschehen könnte. Ich weiß genug und will nicht weiter in dich dringen. Du wirst gefesselt bleiben, bis die Zeit gekommen ist, daß du mir nicht mehr schaden kannst und dann gebe ich dir die Freiheit. Die Streiche, welche du erhalten hast, sind mehr als wohlverdient. Mein ferneres Verhalten gegen dich werde ich nach dem deinigen richten. Das merke dir!«

Dauwari wurde zur Seite geschafft, wo er allein lag und mit niemand sprechen konnte. Dann traten die beiden Deutschen mit dem »Vater der Hälfte«, Wahafi, Hasab Murat und den andern ihnen treu Ergebenen zu einer kurzen Beratung zusammen.

Es stellte sich heraus, daß sowohl Wahafi als auch der »Sohn der Treue« und Abd es Sirr die Gutaberge und die Schlucht es Suwar sehr gut kannten. Suwar ist der Plural von Sure; das Wörtchen »es« ist der Artikel. Die Schlucht es Suwar heißt also zu deutsch die Schlucht der Suren, der Korankapitel. Wahafi erklärte diesen Namen folgendermaßen:

»In dieser Schlucht wohnte einst ein frommer Prediger des Islam, welcher die Schwarzen zu Allah bekehren wollte, diese aber wollten ihn nicht hören und erschlugen ihn. Noch sterbend verfluchte er den Ort seines Todes, und darauf gingen alle Bäume ein, welche in der Schlucht standen. Das Wasser versiechte; kein Tropfen Taues fiel vom Himmel, und die Tiere flohen die traurige Stätte, bis ein andrer Imam kam, welcher den Fluch von dem Orte nahm. Er pflanzte so viel Talebpalmen, wie der Koran Suren hat, also einhundertundvierzehn, und sprach bei einer jeden das Hamdulillah issai'jid eddinji, und siehe da, sie wuchsen und gediehen. Nun ist der Ort ein heiliger, und wenn Abu el Mot uns dort vernichten will, so ist sein Beginnen eine doppelt sträfliche Sünde. Allah wird ihn dafür in unsre Hände liefern.«

»Bist du hiervon so sehr überzeugt?« fragte Schwarz.

»Ja. Er kann uns nicht entgehen. Wir werden, was er gar nicht ahnt, eher dort sein als er. Wir werden nicht den Landweg einschlagen, sondern zu Schiffe hingelangen.«

»Meinst du, daß dies schneller geht? Zu Lande können wir die gerade Richtung einschlagen; zu Wasser aber müssen wir jeder Krümmung des Niles folgen. Und bedenke, daß wir aufwärts, also gegen den Strom zu fahren haben.«

»Das ist wahr, aber habt ihr nicht bisher auch schon Ruderer vorgespannt? Ich habt mehr als genug Leute, um abwechseln zu können. Ihr könnt Tag und Nacht fahren; schlagt ihr aber den Landweg ein, so müßt ihr ruhen und schlafen und die kostbare Zeit verlieren. Außerdem erwartet Abu el Mot, daß sein Plan gelingt; er vermutet nicht, daß ihr auf dem Nile kommt, und wird seine Aufmerksamkeit also in eine falsche Richtung lenken. Ich rate euch, sofort aufzubrechen. Abd es Sirr und Ben Wafa kennen den Strom genau und werden euch als Piloten dienen. Ich aber kehre sofort zurück, um den König zu benachrichtigen. Der Ort, an welchem er mit seinen Kähnen und Leuten liegt, beherrscht die Seribah Ulambo, von welcher Abu el Mot Hilfe erwartet. Sollten die dortigen Menschenjäger sein Begehr erfüllen und ihm zu Hilfe eilen, so werden wir uns ihnen in den Weg stellen.«

»Wir können nicht sofort aufbrechen, da wir die Krieger unsres 'Vaters der Hälfte' erwarten müssen.«

»Die werden hier sein, bevor eine Stunde vergangen ist,« antwortete der genannte Häuptling.

»Aber sie sind beritten und müßten doch mit uns in die Schiffe!«

»So lassen sie ihre Tiere hier. Ihr könnt ja eure Herde auch nicht mitnehmen und müßt sie einer Anzahl von Leuten anvertrauen, welche hier warten müssen, bis wir zurückkehren. Da, blicke hinaus gegen die Ebene! Siehst du den langen Reiterzug? Das sind meine Männer; du brauchst also nicht einmal die angegebene Stunde auf sie zu warten.«

»So ist ja alles recht, und ich werde also nach meinem Boote gehen, damit ich keine Zeit verliere,« meinte Wahafi. »Morgen abend werdet ihr uns erreichen, und übermorgen früh können wir uns in der Schlucht es Suwar befinden. Wir kamen hieher, um uns im Maijeh ein Wild zu schießen und dann weiter zu fahren. Beides ist unnötig geworden, da wir vom Fleische des Elefanten nehmen und die Rückkehr antreten können. Allah begleite euch und halte jeden Unfall von euch fern!«

Er ging so schnell davon, als ob er einen Einspruch gegen seine Vorschläge für höchst überflüssig halte, und die andern sahen auch wirklich ein, daß er das beste geraten hatte.

Die jetzt herbeikommenden Krieger waren durch die ihnen entgegengesandten Boten schon von allem benachrichtigt; sie wunderten sich also nicht, anstatt des Feldwebels und seiner wenigen Leute ein Lager zu finden, in welchem es von Menschen wimmelte. Es waren lauter kräftige, wilde und wohlbewaffnete Gestalten, die als Kampfgenossen gern willkommen geheißen wurden. – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Am andern Nachmittag, als die Sonne fast den Horizont berührte, erreichte das kleine Geschwader eine Stelle, an welcher sich der Fluß scharf ostwärts bog und von Süden her ein kleinerer, aber hier doch ziemlich breiter Wasserlauf in denselben mündete.

»Das ist der Arm, in den wir uns rudern lassen müssen,« sagte Abd es Sirr, welcher neben Schwarz und Pfotenhauer auf dem vordersten Schiffe stand. »Ich kenne ihn und weiß auch die Stelle, an welcher uns der König der Niam-niam erwartet«

Noch bevor er eine Antwort erhielt, hörte man von vornher einen lauten, durchdringenden Schrei, und zugleich sah man ein Boot, welches aus der Mündung des Nebenflusses herbeigeschossen kam. Diesem ersten folgten mehrere, viele, eine ganze, große Flottille von Kriegskähnen. Im vordern stand Wahafi am Steuer, welcher den andern durch den erwähnten Schrei das Zeichen gegeben hatte, ihm zu folgen.

Die Schiffe hatten guten Wind gehabt und sich also ihrer Segel bedient, waren aber außerdem auch noch durch Ruderboote gezogen worden. Zu diesen letzteren spannten sich jetzt die Kähne der Niam-niam vor, mit deren Hilfe die Schnelligkeit eine verdoppelte wurde. Das Geschwader fuhr in den Nebenfluß ein und dann noch eine Strecke in demselben aufwärts, bis auch hier ein noch kleineres Flüßchen von seitwärts kam, dessen Tiefe und Breite gerade für die Dahabiëh genügte. In diesen Wasserlauf bugsierte man die Schiffe, welche dann hintereinander Anker warfen.

Dies geschah gerade noch zur rechten Zeit, als die Sonne verschwand und die nur wenige Minuten lange Dämmerung hereinbrach. Das Flüßchen wurde zu beiden Seiten von Büschen eingerahmt, hinter welchem sich ein hoher Sunutwald ausdehnte. Da, wo die Schiffe lagen, waren am linken Ufer die Sträucher mit derben, scharfen Messern niedergeschlagen worden, um Raum für einen Lagerplatz zu gewinnen. Die Äste und Zweige hatte man zum Bau von Hütten verwendet, welche ein gegen den Fluß offenes Viereck bildeten. In der Mitte desselben brannte, obgleich es noch nicht vollständig dunkel war, ein großes Feuer. Zwischen diesem und dem Wasser stand ein Kreis von Kriegern, welche unter freudigen Willkommenrufen ihre Waffen schwangen. Sie hatten sich um eine Art Podium, eine aus Erde und Zweigen errichtete Erhöhung gruppiert, auf welcher ein Mann saß, der in jeder Hand etwas hielt. Welche zwei Gegenstände das waren, konnte man nicht erkennen.

»Das ist der König der Niam-niam,« erklärte Pfotenhauer, zu Schwarz gewendet. »Er liebt es, Fremde wie auf einem Throne sitzend zu empfangen.«

»Und was hat er in der Hand?«

»Das Scepter und den Reichsapfel.«

»Alle Wetter! Also ganz wie der König auf einer deutschen Skatkarte.«

»Ja. Er hat von irgend wem erfahren, daß europäische Herrscher diese Gegenstände als Insignien ihrer Macht und Würde besitzen, und sich infolgedessen auch Scepter und Reichsapfel anfertigen lassen. Bei Audienzen hält er beides in den Händen. Lassen Sie uns aussteigen; er erwartet uns.«

»Wie habe ich ihn zu grüßen, ohne mich zu erniedrigen und ihn zu beleidigen?«

»Wie einen biedern Deutschen. Thun Sie ganz so, wie ich es mache, und haben Sie keine Sorge. Er spricht leidlich arabisch, so daß die Unterhaltung Ihnen keine Schwierigkeit bereiten wird.«

Sie gingen über das vom Bord nach dem Ufer gelegte Brett aufs Land, und ihre gewöhnlichen Begleiter folgten ihnen. Sie schritten voran; hinter ihnen kam Hasab Murat mit dem »Vater der Hälfte«, dann der »Vater der elf Haare« mit dem Hadschi und nachher der »Sohn derTreue« neben dem »Sohne des Geheimnisses«. Die andern mußten noch an Bord bleiben, nur die Niam-niam hatten ihre Boote an das Land gelegt und waren ausgestiegen; sie bildeten eine ebenso zahlreiche wie malerische Ehrengarde, welche von Wahafi angeführt wurde.

Als der Zug den Thron erreicht hatte, schlossen die Niamniam einen Kreis um denselben, und die andern erstiegen die vier Stufen, welche hinauf führten. Oben angekommen, trat Pfotenhauer ohne alle Umstände auf den König zu, streckte ihm die Rechte entgegen und sagte:

»Massik bilchair ja malik; kif chatrak – guten Abend, o König; wie geht es dir?«

Der König legte das Scepter zur Seite, ergriff und schüttelte die ihm dargereichte Hand und antwortete in gemütlichem Tone:

»Ilhamd'illa bchair; w'int kif halak – Gott sei Dank, gut; und du, wie geht es dir?«

»B'anzahrak fi chair kamahn; bischkur afdalak – unter deinen Blicken auch gut; ich danke!« antwortete Pfotenhauer und fügte dann hinzu, indem er auf Schwarz deutete: »Hier bringe ich dir meinen Freund, den ich deiner Liebe empfehle. Er ist der Bruder Aswads, mit welchem ich dich verließ.«

»Wahafi hat mir schon von ihm erzählt. Er sieht seinem Bruder ähnlich und wird, wie ich hörte, Abu 'l arba ijun, 'Vater der vier Augen' genannt. Er ist mir herzlich willkommen.«

Nun legte er, indem er die Hand Pfotenhauers noch immer fest hielt, auch den Reichsapfel weg und reichte Schwarz die jetzt frei gewordene linke Hand. Das Schütteln begann von neuem, und dabei sagte der gemütliche Herrscher, indem er dem Slowaken und dessen Freunde zunickte:

»Jedenfalls ist das der 'Vater der elf Haare' mit dem 'Vater des Gelächters'. Wahafi hat auch diese zwei erwähnt und –«

Er kam nicht weiter, denn der »Vater des Gelächters« trat rasch vor und sagte:

»Verzeihe, o König! Man nennt mich zwar so, wie du gesagt hast, aber ich gestatte das nur meinen intimen Freunden. Ich bin nämlich Hadschi Ali Ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Hadschi Otaiba Abu l'Oscher Ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abd'allah el Sandschaki!«

»Schon gut, schon gut!« lächelte der König. »Dieser Name ist für meine Zunge zu lang, und da ich mich auch als deinen intimen Freund betrachte, so werde ich dich so nennen wie vorher.«

Der »Vater der Hälfte« und Hasab Murat wurden ihm auch vorgestellt und in derselben freundlichen Weise bewillkommnet. Als nun der nächstliegenden Höflichkeit Genüge geschehen war, hielt er es für erlaubt, Ben Wafa, seinen Sohn zu begrüßen. Er umarmte und küßte ihn herzlich und zog dann auch den »Sohn des Geheimnisses« an seine Brust. Das geschah ganz so, wie ein deutscher Vater es mit seinem Kinde und dessen Freunde gethan hätte. Die Liebe zu dem Sohne und das aufrichtige Wohlwollen für die Fremden lagen so deutlich in seinen Zügen, daß der Eindruck seines Verhaltens ein außerordentlich gewinnender war.

Sein Gesicht war rund und voll, die Farbe desselben dunkelbraun. Seine breite, nicht zu hohe Gestalt stak in einem einfachen schlafrockähnlichen Gewande, um welches ein Säbel gegürtet war; eine andre Waffe trug er jetzt nicht. Den einzigen Schmuck bildete sein Haar, welches in viele dünne Zöpfchen geflochten war, welche, nach oben gerichtet, eine Art Trichter bildeten, auf dessen Spitze ein ausgestopfter Prachtfinke befestigt war.

Der Sitz des Thrones nahm drei Seiten desselben ein und hatte Platz für mehrere Personen. Schwarz und Pfotenhauer mußten sich zu beiden Seiten des Königs setzen, und die andern ließen sich rechts und links von ihnen nieder. Nun mußten die beiden ersteren erzählen. Der König hörte ihnen aufmerksam und schweigend zu und sagte, als er alles erfahren hatte, zu Schwarz:

»Hoffentlich lebt dein Bruder noch und der Elefantenjäger auch. Sollten sie ermordet worden sein, so werden Abu el Mot und Abd el Mot es mit tausend Schmerzen zu bezahlen haben; das verspreche ich dir. Morgen um diese Zeit werden wir wissen, woran wir sind, denn wir erreichen noch vor Anbruch des Tages die Schlucht es Suwar.«

»So meinst du, daß wir noch während der Nacht marschieren werden?«

»Wir gehen nicht, sondern wir fahren. Dieses Flüßchen führt so nahe an die Schlucht, daß wir nur eine halbe Stunde lang durch den Wald zu gehen haben, um sie zu erreichen.«

»Und wie steht es mit der Seribah Ulambo? Abu el Mot hat zwei Boten um Hilfe dorthin gesandt.«

»Die Boten sind zurück. Sie haben sich dort gar nicht verweilt.«

»Und welchen Erfolg haben sie gehabt?«

»Das weiß ich nicht; sie haben es mir nicht sagen wollen.«

»So hast du mit ihnen gesprochen?«

»Ja. Wir haben sie ergriffen. Ich wollte sie nicht zur Rede zwingen, sondern lieber eure Ankunft erwarten. Ich habe sie dort hinten an die Bäume binden lassen und zwei Wächter zu ihnen gestellt. Wenn ihr es wünschet, werde ich sie holen lassen.«

»Thue das, und zwar sofort!«

Es waren noch mehrere Feuer angebrannt worden, um welche sich die Niam-niam jetzt gelagert hatten. Diese Leute waren mit langen, sichelartigen Messern, Bogen und Pfeilen, Lanzen und Tarambisch bewaffnet. Auf den Befehl des Königs entfernte sich einer von ihnen, um die beiden Homr und deren Wächter herbeizuholen.

Als sie gebracht wurden, erkannte Schwarz sie sofort. Er sah deutlich, wie sie erschraken, als sie ihn erblickten. Der »Vater der elf Haare« geriet in zornige Aufregung, drohte ihnen mit den Fäusten, verschmähte aber, sie anzureden, und rief vielmehr Schwarz und Pfotenhauer zu:

»Das seinte Homr, verfluchtige und gemörderigte. Laßte wir sie nicht wieder entflohente und ausgereißte. Sie muß treffte Strafe, gerechte und exemplarigte!«

»Habe keine Sorge; sie entkommen uns gewiß nicht wieder,« antwortete ihm Schwarz. Und sich zu den Homr wendend, fuhr er fort:

»Ich sehe, daß ihr mich erkennt. Euer Schicksal hängt von eurem Verhalten ab. Wenn ihr ein aufrichtiges Geständnis ablegt, entgeht ihr dem martervollen Tode. Was habt ihr auf der Seribah Ulambo erreicht?«

Sie sahen ihn finster an, flüsterten sich einige Worte zu, und dann antwortete der eine von ihnen:

»Wir sind nicht in Ulambo gewesen.«

»Lüge nicht! Ich weiß genau, daß Abu el Mot euch hingesandt hat.«

»Das ist nicht wahr!«

»Ich rate dir, nicht etwa mich für einen Lügner zu erklären! Es könnte dir sonst ergehen, wie es Dauwari ergangen ist.«

»Dauwari?« rief der Mann aus.

»Ja. Ihr habt gemeint, daß wir ihm Glauben schenken und in die Falle gehen würden. Die Sonne muß euch das Gehirn verbrannt haben, da ihr uns für so albern halten konntet. Ich habe ihm die Bastonnade geben lassen, und er hat alles gestanden.«

»Dieser Hund!«

»Pah! Jetzt schimpfest du auf ihn; aber wenn auch ihr die Hiebe auf euren Füßen fühlt, werdet ihr ebenso offenherzig werden.«

»Wage es! Wir sind wahre Gläubige und Anhänger des Propheten; du aber bist nur ein Christ!«

»Ich behandle euch nicht nach eurem Glauben, sondern nach euren Thaten. Und wollt ihr meinen Glauben schmähen, welcher besser ist als der eurige, nun, so mögt ihr es thun, wenn es euch Vergnügen macht, doppelte Streiche dafür zu erhalten.«

»Zeige uns Dauwari, damit wir dir glauben können!«

»Ich habe nicht nötig, dieses Verlangen zu erfüllen, da ich euch durch die Bastonnade zur Antwort zwingen kann, werde es aber dennoch thun, weil ich als Christ Gewaltthätigkeit nicht liebe.«

Er schickte den Slowaken und den Hadschi fort, um Dauwari bringen zu lassen. Dieser konnte infolge der empfangenen Hiebe nicht gehen; er mußte getragen werden. Einige Nuehrs brachten ihn und setzten ihn neben den Homr nieder. Diese warfen ihm einen verächtlichen und zornigen Blick zu und wendeten sich dann von ihm ab.

»Ah, ihr seid hochmütig gegen ihn?« meinte Schwarz. »Nun, ihr sollt schnell demütig werden. Wolle ihr gestehen, was auf der Seribah ausgemacht worden ist?«

»Wir gestehen nichts.«

»Wollen sehen, ob ihr Wort haltet.«

Sie wurden ebenso behandelt wie Dauwari gestern. Man band ihre Füße an eine Lanze und hielt die nackten Sohlen nach oben. Schon die ersten Hiebe brachten die gewünschte Wirkung hervor: Sie gestanden, daß sie auf der Seribah abgewiesen worden seien. Das konnte freilich eine hinterlistige Ausrede sein, aber Schwarz glaubte ihren Worten. Hätten sie Hilfe erlangt und Mannschaften bekommen, so wären sie jedenfalls nicht allein zu Abu el Mot aufgebrochen. Sie wurden mit Dauwari zur Seite geschafft.

Der König hatte mehrere Leute bei sich, welche den Weg nach der Schlucht es Suwar genau kannten. Eine genügende Anzahl der Niam-niam, um die Schiffe zu bewachen, sollte bei diesen zurückbleiben. Für die übrigen waren Boote genug vorhanden, wenn man sich etwas enger als gewöhnlich setzte. Es wurde beschlossen, zu essen und dann aufzubrechen.

Nahrung gab es genug. Die Niam-niam hatten sich mit Vorrat versehen, und die andern besaßen noch mehr als genug Nilpferd- und Elefantenfleisch, welches nicht verdorben war. Was davon übrig blieb, wollte man mitnehmen, da als gewiß anzunehmen war, daß die geraubten Schwarzen, welche Abu el Mot mitbringen werde, ebenso der Speise wie des Trankes bedürftig seien.

Das noch vorhandene Fleisch wurde an den Feuern gebraten, da es sich dann länger hielt als in rohem Zustande. Dann bestimmte der König die Leute, welche bei den Fahrzeugen zu bleiben hatten. Als dies geschehen war, wurden die Boote beladen und bemannt. Die Niam-niam hatten in sicherer Erwartung der nächtlichen Fahrt Fackeln angefertigt, welche den Fluß beleuchten sollten. Der König bestieg mit den namhaftesten Teilnehmern das vorderste Boot, welches fast vierzig Personen faßte und in dessen Schnabel auf zusammengefügten Steinen ein Feuer brannte. Es stieß vom Ufer, und die andern folgten. Den alten Feldwebel und seine Leute hatte man auf den Schiffen zurückgelassen. Dauwari aber und die beiden Homr hatte man mitgenommen, da man ihrer zu bedürfen glaubte. Die beiden letzteren waren höchst kleinlaut geworden, seit sie gesehen hatten, welch eine mächtige Überzahl gegen Abu el Mot vorhanden war.

Es war eine eigentümliche Fahrt durch den nächtlichen Urwald. Das Tierleben, wenigstens das höhere, schlief; aber Tausende von Leuchtkäfern schossen durch die Finsternis und Hunderttausende, ja Millionen von Stechfliegen und Mücken flogen in das Feuer und die Flammen der brennenden Fackeln, so daß es schien, als ob es diese Insekten förmlich regne.

Der König saß am Feuer und achtete der Quälgeister nicht; Schwarz und Pfotenhauer hatten ihre Moskitonetze über die Köpfe gezogen. Hinter ihnen saß der Slowak, welcher mit dem Hadschi leise flüsterte. Das Feuer beleuchtete die nahen Ufer und warf flimmernde Lichter auf die tropischen Pflanzenformen, welche aus dem Wasser ihr Leben sogen.

»Wissen's,« sagte der »Vater des Storches«, »es kommt mir halt vor, als ob ich im Theater sei, wo die Malerei einen Wald vorstellt, in welchem Feen und Elfen wohnen. Schaun's nur, wie das Licht da an der Palme emporklettert und rund um die Krone läuft! Diese südlichen Gewächs' haben einen andern Charakter als unsre nördliche Vegetation. Und doch ist mir a heimischer Tannen- oder Buchenwald tausendmal lieber als so a Palmenwald. Oder nit?«

»Ich gebe Ihnen recht.«

»Versteht sich! Der Unterschied ist groß, das weiß ich, obgleich ich ka' Botaniker bin. Lieber beschäftige ich mich mit dera Tierwelt und aber am allerliebsten mit denen Vögeln. Was hab' ich hier für Vögel g'funden und auch präpariert! Es ist halt die reine Pracht und Herrlichkeit und doch nit zu vergleichen mit dem, was man daheim im Wald zu sehen und gar zu hören bekommt. Finden's hier etwa das, was man Vogelg'sang nennt? Nix davon, ganz und gar nix. Ich kann daheim stundenlang im Gras liegen und den Finken zuhören – – – hurrjeh! Was war das? Haben's den Kerl g'sehen?«

Es war ein großer, dunkler Vogel mit fast unhörbarem Flügelschlage vom rechten Ufer gerade über dem brennenden Feuer hinweg nach dem linken geflogen. Der »Vater des Storches« war überrascht aufgesprungen und wiederholte seine Frage, indem er mit der Hand nach der Gegend deutete, in welcher der Vogel verschwunden war. Sein Gesicht war hell beleuchtet, und so sah man deutlich, daß seine Nase sich nach der linken Wange neigte, als ob sie auch ohne den Impuls ihres Besitzers die ganz selbständige Absicht habe, dem Vogel nachzublicken.

»Freilich habe ich ihn gesehen,« antwortete Schwarz.

»Kennen's ihn aber auch?«

»Natürlich. Es war ein Uhu, hier ein außerordentlich seltenes Tier.«

»Ja, er kommt nit allzuhäufig vor; wenigstens habe ich ihn hier noch nicht gesehen. Wissen's, wie er hier g'nannt wird?«

»Der Zeuge.«

»Weshalb?«

»Seiner Stimme wegen. Er schreit 'schuhud'; das ist der Plural von 'schahid, der Zeuge'.«

»Richtig! Und wie ist sein lateinischer Name?«

Der »Vater der elf Haare« hatte das Gespräch gehört; das Wort »lateinisch« elektrisierte ihn; er richtete seinen Oberkörper auf und antwortete schnell, damit Schwarz ihm nicht zuvorkommen könne:

»Uhu heißt im Lateinischen Bubalus. Hatt ich gewüßte schon seit Zeit, vieler und langer.«

Pfotenhauer drehte sich zu ihm um, besann sich und fragte:

»So? Also Uhu heißt Bubalus! Und was hat denn da das lateinische Bubo maximus auf deutsch zu bedeuten?«

»Bubo hat geheißte Büffel, gehörnterigter.«

»Was Sie da wissen! Sehen Sie doch mal an! Schade nur, daß es grad umgekehrt ist. Bubo heißt Uhu, und Bubalus ist der Büffel.«

»Das konnte nicht geglaubte ich. Sie mußte sich habte geirrt.«

»Nein; ich irre mich nicht. Ich muß es doch wohl wissen!«

»Könnte nicht haben vergeßte es Sie?«

»Nein. Erkundigen Sie sich da bei Herrn Doktor Schwarz, wer recht hat!«

Schwarz mußte natürlich dem Vater des Storches recht geben, und so meinte der Slowak in unzufriedenem Tone:

»So hatt es geweste von mir Verwechstelung, kleinigkeitlichte. Kopf, gelehrter, hatt zuweilen Augenblicklichkeit, wo er seinte nicht zu Haus. Doch kommte er heim wieder sofort und gefindet zurecht sich wieder schnell. Ich hatte lernte dennoch mein Latein, gymnasialiges, und kennte Branche, wissenschaftliche, in allen Sorten. Ich hatt habte stets ein offenes Kapuz.«

»Kapuz?« fragte Pfotenhauer erstaunt. »Was soll das heißen?«

»Das wißte Sie nicht?«

»Was es bedeutet, weiß ich wohl; aber was Sie damit meinen, das ist mir unbekannt.«

»Capuz, lateinischer, heißte doch Kopf, deutscher!«

»Ah – so, so! Und was heißt denn das Wort Caput

»Kaput heißte Kappe, Kragenhaube. Das muß Sie doch hatt gewüßte!«

»So, das muß ich gewußt haben! Nun, lieber Freund, das ist wieder verkehrt. Kopf heißt Caput, und unter Ihrem Kapuz kann ich nur eine Haube oder Kappe verstehen.«

»Wie hatt Sie genannte mich? Lieber Freund? Behaltete Sie das für sich! Wenn Sie blamierte Latein, meiniges, so seinte ich nicht Freund, Ihriger. Freund erkennte an Kenntnis, gegenseitige. Sie hatt verweigerte mir Zustimmung, verdiente, folglich muß ich Sie betrachten als Feind, gegnerischen. Stets hatt soll seinte ich derjenigte, welcher sich verirrtumte in Verwechstelung. Ich bitt', sprechte Sie doch nicht wieder Latein, denn jedes Kind kann es hörte und begreifte, daß Sie es in Ihrem Leben, ganzes, nicht haben studiumtierte richtig!«

Pfotenhauer brach bei diesem Rate in ein herzliches Lachen aus; das steigerte den Grimm des Kleinen so, daß er mit dem Fuße stampfte und dabei ausrief:

»Was lachte und was fexierte Sie? Lachte Sie mich über, oder lachte Sie über sich selbst? Hat einer gehöhnte auf mich, so nehme ich Gewehr, meiniges, und werd' machte aus ihm eine Leiche, totmausigte!«

Er griff in der Aufregung wirklich nach seinem Gewehre und spannte den Hahn.

»Was?« fragte Pfotenhauer, dem in solchen Augenblicken sein heimischer Dialekt abhanden zu kommen pflegte. »Sie wollen mich erschießen?«

»Ja, ich erschießte Sie mit Haut und mit Haar. Ich hatt auch gehabte Ehre in Leib, meinigem!«

»Das gebe ich zu. Aber die Sache ist doch gar nicht zum Erschießen. Wollen Sie denjenigen ermorden, der das Nilpferd erschoß, als Sie sich in Gefahr befanden?«

Da ließ der Kleine die Flinte fallen, schlug sich vor die Stirn und antwortete:

»Ich selbst seinte Nilpferd! Zorn, jetziger, ist geweste größer als Nilpferd, gestriges. Sie habte mir gerettet Leben, meiniges, und ich hatt wollen erschießte Sie dafür aus Ärger, undankbarkeitlichem. Hier streckte ich aus Hand, meinige, und bitt' um Vergebung, leicht verzeihliche!«

Er hielt dem »Vater des Storches« die Hand entgegen, und dieser schlug ein und schüttelte sie herzlich. Der Kleine hatte sich ernstlich beleidigt gefühlt; daß er dennoch um Verzeihung bat, zeigte, welch ein gutes Herz er besaß.

Die beiden Deutschen setzten ihre unterbrochene Unterhaltung nun leiser fort, um dem Vater der elf Haare keine Gelegenheit zu geben, sich abermals an derselben zu beteiligen und in Zorn zu geraten. Gegen Mitternacht schlossen alle, welche nicht zu arbeiten hatten, die Augen, und die Ruderer plätscherten im Takte ihr monotones und ununterbrochenes Schlummerlied dazu.

Als Schwarz und Pfotenhauer geweckt wurden, war es noch finstere Nacht; die Ruder lagen still, denn die Fahrt war zu Ende, und man hatte die Boote an das Ufer befestigt; es wurde ausgestiegen.

Auch hier mußte man Leute zurücklassen, welche die Fahrzeuge zu bewachen hatten; es wurden noch mehr Fackeln angebrannt; jeder griff nach seinen Waffen und nach dem Proviante, den er zu tragen hatte, und dann wurde die Wanderung angetreten.

Der Weg führte durch einen weiten Aradebahwald, dessen Stämme in solcher Entfernung voneinander standen, daß sie dem Marsche keine besondere Schwierigkeit entgegensetzten. Fackeln brannten genug, so daß die Führer sich nicht irren konnten. Es war doch möglich, daß sich jemand von der Schar Abd el Mots schon in der Nähe befand; darum wurde alles Geräusch vermieden.

So ging es still und langsam vorwärts, nicht ganz eine Stunde lang; dann blieben die voranschreitenden ortskundigen Männer halten und machten dem Könige eine leise Meldung. Dieser teilte den Deutschen mit, daß man in der Nähe der Schlucht angekommen sei, und fragte, ob sie rieten, daß man hinabsteigen solle.

»Nein, auf keinen Fall,« antwortete Schwarz.

»Warum nicht?«

»Weil es thöricht wäre. Entweder sind die Feinde schon unten, was freilich nicht zu erwarten ist; dann würden wir ihnen geradezu in die Hände laufen. Oder sie kommen erst noch, und dann können wir recht gut warten, bis der Tag angebrochen ist. Laß die Fackeln auslöschen! Wir setzen oder legen uns hier nieder. Das ist das Klügste, was wir thun können.«

Dieser Rat wurde befolgt; die Leuchten verloschen, und nun hätte niemand, der zufällig vorübergekommen wäre, vermuten können, daß hier so viele hundert Menschen in Erwartung baldiger kriegerischer Ereignisse lagerten.

Wie die Abenddämmerung, so ist in jenen Gegenden auch die Morgendämmerung eine sehr kurze. Es erhob sich eine laute Vogelstimme unten im Grunde, und als ob dieselbe den Morgen wachgerufen habe, so wich die Finsternis plötzlich einer grauen Helle, welche schnell lichter und lichter wurde. Man konnte zuerst die Stämme der Bäume unterscheiden, dann auch die Äste, bald die kleineren Zweige, die einzelnen Blätter und Blüten, und während noch vor kaum drei Minuten das tiefste Dunkel geherrscht hatte, war es nun heller, lichter Tag geworden, und anstatt der einen, ersten Vogelstimme erklangen hunderte, ja tausende durch den morgenfrischen Wald.

Schwarz hatte sich erhoben und trat mit Pfotenhauer weiter vor. Die Führer waren ihrer Sache außerordentlich sicher gewesen. Nur noch hundert Schritte weiter, so wäre man über eine fast lotrechte Felswand aus Granitgestein gefallen, aus welcher Gesteinsart die Guta-Berge alle bestehen.

Noch immer befand man sich unter Aradebahbäumen, deren Kronen sich so vereinigten, daß man den Himmel durch dieselben kaum erblicken konnte. Aber geradeaus, vor den beiden Deutschen, gab es kein Laub- oder Nadeldach, denn da lag die Schlucht, welche man überblicken konnte.

Sie war an ihrem Anfange und Ende vielleicht achtzig Schritte breit, in der Mitte etwas mehr, und ihre Länge konnte das Zehnfache betragen. Die Wände stiegen an den Längsseiten so steil empor, daß es unmöglich schien, sie zu erklimmen. Hier, wo sich die Lagernden befanden, war es jedenfalls auch schwierig, hinabzukommen; aber gegenüber befand sich der Eingang, welcher zwar nur sehr schmal war, aber mit der Sohle des Thales in derselben Höhe lag, so daß der Zutritt zu der Schlucht von dort aus ohne die allermindeste Schwierigkeit zu bewerkstelligen war. Die Bäume des Waldes traten bis an den Rand der Schlucht heran; dort hörte die Vegetation vollständig auf, und an den Wänden und Abhängen des Felsens war nicht ein Grashalm zu sehen. Aber unten im Grunde wehten die Wipfel zahlreicher und sehr hoher Palmen im leisen Morgenwinde; es mußte also dort Wasser vorhanden sein.

Jetzt traten der König und Wahafi auch herbei. Dieser letztere deutete hinab und sagte:

»Dort seht ihr die hundertundvierzehn Nachl es Suwar, welche der Imam pflanzte, um den Fluch von der Schlucht zu nehmen. Sonst gibt es keine einzige Palme in der Nähe, woraus ihr ersehen könnt, daß seine Gebete mächtig gewesen sind und ein Wunder bewirkt haben.«

»Es scheint sich noch kein Mensch unten zu befinden,« antwortete Schwarz. »Wir sind Abu el Mot also wirklich zuvorgekommen und haben vielleicht genügend Zeit, die Schlucht in Augenschein zu nehmen. Wo führt ein Weg hinab?«

»Es gibt nur einen einzigen; er führt hinein und auch hinaus, kein andrer. Das ist da vorn, uns gegenüber.«

»Weißt du das genau?«

»Ja, denn ich bin mehr als einmal hier gewesen und habe vergeblich versucht, an den Felsen emporzusteigen. Ich werde jetzt vorangehen und euch nach dem Eingange hinabführen. Gebt also Befehl, daß aufgebrochen werde!«

»Halt, nicht so schnell! Du meinst, daß wir alle, die wir hier sind, in die Schlucht gehen?«

»Natürlich.«

»Und dort die Ankunft Abu el Mots erwarten?«

»Ja.«

»Dann wären wir ja verloren!«

»Wieso?«

»Abu el Mot käme durch den Eingang, würde uns bemerken und dort halten bleiben; wir wären von ihm und den Felsen eingeschlossen, könnten nicht herauf und müßten uns nach seinem Belieben abschlachten lassen.«

»Herr, welche Gedanken hast du da! Hast du denn nicht gezählt, wie viele Köpfe und Arme wir sind?«

»Was helfen noch so viele Arme, wenn die Köpfe, zu denen dieselben gehören, nicht gelernt haben, nachzudenken! Siehst du nicht, wie schmal der Eingang ist? Zwanzig Mann genügen vollständig, ihn zu verschließen.«

»So stürmen wir ihn!«

»Das würde uns teuer zu stehen kommen, denn es liegen dort große Felsbrocken, hinter denen sich die Krieger Abu el Mots verstecken können; sie würden uns töten, während wir sie nicht treffen könnten.«

»Was thut es, wenn wir dreißig, vierzig oder auch fünfzig Mann verlieren? Haben wir nicht viele hundert?«

»Wahafi, ich bin ein Christ, und als solcher ist mir das Leben auch nur eines einzigen Menschen heilig. Ich werde es also zu ermöglichen suchen, daß keiner von uns getötet wird.«

»Herr, das ist unmöglich!«

»Streiten wir uns darüber jetzt lieber nicht. Was zu thun ist, werde ich erst dann wissen, wenn ich die Schlucht gesehen habe. Ich werde also mit einigen, hörst du, nur mit einigen hinabgehen, um sie zu untersuchen; die übrigen haben hier auf meine Rückkehr zu warten. Auf keinen Fall aber werde ich zugeben, daß wir alle hinabsteigen und uns dort lagern; denn wenn wir das thäten, so wäre geschehen, was Abu el Mot wünscht: wir wären in eine Falle geraten.«

»Aber auf welche Weise willst du ihn denn besiegen?«

»Das muß sich erst noch zeigen. Ich glaube nicht, daß es geschieht, denn ich halte ihn dazu für viel zu klug, aber es ist wenigstens nicht ganz unmöglich, daß er selbst die Schlucht betritt, um in derselben zu lagern. Dann würden wir den Eingang besetzen, und er steckte in seiner eigenen Falle.«

»Warum sollte das so undenkbar sein?« fragte Pfotenhauer.

»Weil er, wenn er es thäte, geradezu Prügel verdiente.«

»Ja, wenn er es thäte, trotzdem er uns erwartet. Aber er glaubt, daß wir frühestens erst morgen kommen können. Ist es da nicht denkbar, daß er den Platz heute für sich in Anspruch nimmt?«

»Hm, das ist richtig; daran dachte ich nicht.«

»Sonst aber bin ich ganz genau Ihrer Ansicht. Auch stimme ich bei, jetzt hinabzugehen und zu rekognoscieren. Wir wollen das sofort thun, denn wir dürfen keine Zeit verlieren, da wir nicht wissen können, ob Abu el Mot nicht vielleicht schon morgen kommt.«

Die Truppen mußten noch halten bleiben; die Anführer gingen weiter, hart an dem linken Rande der Schlucht hin. Sie konnten hinabsehen. Zu beiden Seiten der Thalsohle und auch vorn und hinten standen Palmen; in der Mitte lag eine grüne Grasfläche; doch erblickte man keinen Bach noch sonst ein Gewässer. Als Schwarz seine Verwunderung darüber aussprach, antwortete Wahafi:

»Komm nur erst hinab; dann wirst du sehen, daß es Wasser gibt.«

Als man sich oberhalb des Einganges befand, brach der Felsen senkrecht ab und man mußte also ein Stück in den Wald hinein, um da nach links auf einem Umwege hinabzukommen. Das war übrigens gar nicht schwer, und nach Verlauf von beiläufig zehn Minuten senkte sich das Terrain als nicht allzu steile Böschung abwärts. Der Wald hörte auf; man kam durch einiges Buschwerk, und dann sah Schwarz zu seinem Erstaunen eine ebene, grasbedeckte Flur vor sich liegen, aus welcher sich der hufeisenförmige Berg, welcher in seinem Innern die Schlucht bildete, erhob.

Der Eingang in die letztere war, wie Schwarz abmaß, zwölf Schritte breit. Als sie ihn passiert hatten, konnten sie den langen Kessel bis an die hintere Wand überblicken. Er bot einen eigenartigen, überraschenden Anblick dar.

Von hoch oben winkten die Wipfel der Aradebahbäume herab; dann kamen die Felsen in einer Höhe von vielleicht hundert Fuß; sie waren vollständig nackt. Am Fuße derselben lief eine dammartige Erhöhung rund um das Thal; sie trug eine Rinne, in welcher sich das von der Höhe sickernde Wasser sammelte und ein Bächlein bildete, welches in der Nähe des Einganges in einem Steinloche einen unterirdischen Abfluß nahm. Dieses Wasser speiste die Talebpalmen, welche auf dem Damme in genau abgemessenen Entfernungen voneinander standen.

»Zähle sie!« sagte Wahafi zu Schwarz. »Rechts fünfzig, links fünfzig, im Hintergrunde sieben und hier vorn am Eingange auch sieben. Das gibt hundertundvierzehn. Und nun tritt näher, um nachzusehen, wie eine jede heißt!«

Er zog ihn zu der nächsten Palme. Nicht ganz manneshoch zeigte der Stamm derselben ein Wort in arabischer Schrift, welches früher eingeschnitten worden war. Die Züge waren zu mehr als fingerdicken Wülsten aufgequollen, und so fiel es nicht schwer, das Wort zu lesen.

»El Fathcha«, stand da geschrieben; auf dem nächsten Stamme las Schwarz das Wort »el Bakara«; am dritten stand »'l Ajli el Amran«, am vierten »en Niswan« und am fünften »et Tauli«. Das heißt zu deutsch »die Einleitung«, »die Kuh«, »die Familie Amrans«, »die Weiber« und »der Tisch«. Das sind die Überschriften der ersten fünf Kapitel des Korans. Der Imam hatte sie nicht genau nach dem Buche des Propheten, sondern nach seinem eigenen Dialekte eingeschnitten, und es verstand sich ganz von selbst, daß ein so abgeschlossener Ort, dessen hundertvierzehn Bäume die Kapitelüberschriften des Korans trugen, jedem Mohammedaner als Heiligtum gelten mußte. Die Niam-niam waren keine Anhänger des Propheten, hatten sich aber doch im Verkehr mit solchen so viel vom Islam angeeignet, daß auch sie eine Art heiliger Scheu vor der Schlucht empfanden. Die Führer blieben stehen und begnügten sich, dieselbe zu überblicken; die beiden Deutschen schritten weiter. Als auch der König mit den übrigen folgen wollte, bat Schwarz:

»Bleibt zurück! Hier am Eingange gibt es so viel Felsgeröll und Schutt, daß die Eindrücke eurer Füße nicht gesehen werden können; weiterhin im Grase aber würdet ihr eine Fährte machen, welche uns an Abu el Mot verriete. Er soll nicht ahnen, daß sich heute schon jemand hier befunden hat. Wir beide aber verstehen es, einen nur geringen Fußeindruck zu machen und auch dieses wenige zu verwischen.«

Sie gingen nur bis ungefähr in die Mitte der Schlucht. Das genügte, um ihnen die Überzeugung zu geben, daß es selbst dem geübtesten und kühnsten tiroler Gemsjäger nicht gelungen wäre, an irgend einer Stelle der Granitwand emporzuklimmen. Das hatten sie wissen wollen und nun kehrten sie zurück, wobei sie nicht unterließen, die im Grase eingedrückten Spuren sorgfältig zu verwischen.

Wie klug Schwarz und Genossen gehandelt hatten, sollten sie sofort erkennen, denn eben als sie nun die Schlucht wieder verließen, deutete der »Vater der elf Haare« nach der Ebene hinaus und rief in seinem wunderbaren Deutsch:

»Achtung gebte, aufgepaßte! Dort seint erscheinte Punkte, schwarz und sich bewegte. Was mag da kommte für Leute, nicht freundliche, sondern feindliche? Wir wollt uns versteckte, damit sie nicht kann sehente auch Punkte, unsrige!«

Die Männer zogen sich schnell in das Gebüsch und dann unter die Bäume zurück. Da, am Rande des Waldes und von den Sträuchern verdeckt, konnten sie sehen, ohne selbst gesehen zu werden.

Es waren erst nur vier oder fünf Punkte gewesen; ihnen folgten aber mehr und immer mehrere, und nach kurzer Zeit sah man eine sehr lange und schmale Linie, welche sich schnurgerade, wie mit dem Lineal gezogen, auf die Schlucht zubewegte. Die Punkte wurden größer. Schon nach zehn Minuten konnte man erkennen, daß voran fünf Reiter waren, denen mehrere Fußgänger folgten. Nach abermals fünf Minuten überblickte man bereits den ganzen Zug, welcher sich in der Ordnung fortbewegte, daß hinter zehn oder noch mehr einzeln einander folgenden Fußgängern immer einige Reiter kamen.

»Das ist Abu el Mot mit seinen Menschenjägern und den geraubten Negern,« sagte Pfotenhauer. »Sie kommen, wie gut, daß wir nicht lange auf sie zu warten brauchen! Nun wird der Tanz ja bald beginnen!«

»Ein trauriger Tanz, wenn auch nicht für uns, so doch für unsre Gegner,« antwortete Schwarz. Und sich zu dem Könige wendend, fügte er hinzu:

»Ich bleibe mit meinem Freunde hier, um die Karawane zu beobachten; ihr aber kehrt zu unsern Leuten zurück, um sie von der Ankunft der Erwarteten zu benachrichtigen. Sie sollen bleiben, wo sie sind, und den Platz ja nicht eher verlassen, als bis wir kommen. Den beiden Homr und Dauwari steckt ihr Knebel in den Mund, damit sie nicht etwa durch Geschrei ihre und unsre Anwesenheit vorzeitig verraten können.«

Der König folgte mit den andern dieser Aufforderung und entfernte sich, und die beiden Zurückbleibenden richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf den nahenden Zug. Sie sahen einen Reiter, welcher vom Ende desselben nach der Spitze galoppierte, jedenfalls um den dort Befindlichen einen Befehl zu erteilen.

»Das ist Abu oder Abd el Mot,« sagte Pfotenhauer. »Er wird halt jemand voraussenden, um nachschauen zu lassen, ob hier in dera Schlucht alles in Ordnung ist.«

Er hatte sich nicht geirrt, denn zwei von den fünf Reitern trennten sich von dem Zuge und kamen im Galoppe herbei; es waren bärtige Kerls mit sonnverbrannten Gesichtern. Sie schienen die Anwesenheit eines Menschen für unwahrscheinlich zu halten, denn sie beobachteten nicht die geringste Vorsicht, sondern sprengten ganz offen heran und in die Schlucht hinein. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder heraus und ritten zurück, um ihrem Anführer Meldung zu machen.

Der Zug war inzwischen so nahe herangekommen, daß man jede einzelne Gestalt, wenn auch nicht die Gesichtszüge, erkennen konnte. Schwarz atmete tief und hörbar; er ballte die Hände und sagte:

»In zehn Minuten werde ich wissen, ob mein Bruder dabei ist, also ob er noch lebt oder nicht. Wehe diesem Gesindel, wenn ich ihn nicht erblicke! In diesem Falle gibt es keine Gnade und Barmherzigkeit!«

Nun bot sich den beiden ein Anblick, welcher ihre Herzen erzittern machte. Sie hatten eine Ghasuah, eine Sklavenkarawane vor sich.

Von dem Pferde eines der vorderen Reiter ging ein Seil aus, welches um die Hälse von fünfzehn hintereinander schreitenden männlichen Negern, deren Hände man auf den Rücken gebunden hatte, geschlungen war. Die Schwarzen waren vollständig unbekleidet und ihre Körper mit aufgesprungenen Schwielen bedeckt. Sie hatten wohl nicht die verlangte Fügsamkeit gezeigt und infolgedessen die Peitsche bekommen.

Nun folgten drei Reiter und hinter denselben zwölf Neger, welche ebenso gefesselt waren. Außerdem trug oder vielmehr schleppte jeder einen schweren Holzklotz je an einem Fuße. Auch sie waren mit Schwielen bedeckt und konnten sich kaum mehr fortbewegen.

Hinter diesen und wieder andern Reitern kam eine Reihe von Sklaven, welche die gefürchtete Schebah trugen, eine schwere Holzgabel, in welcher der Hals des Gefangenen steckt.

Dann kamen schwache Frauen und Mädchen, welche Lasten schleppten, unter denen sie fast zusammenbrachen. Dabei waren ihnen kurze Stricke an die Fußknöcheln gebunden, so daß sie nur kleine Schritte machen und an Flucht nicht denken konnten. Ihnen folgten eng gefesselte Knaben, deren Gesichter zum Erschrecken unförmlich geschwollen waren. Man hatte ihnen die Guluf geschnitten, das sind drei Messerschnitte in jede Wange gemacht, als ewiges, sichtbares Zeichen der Sklaverei. Die Wunden eiterten und wurden von Insekten durchwühlt.

Ein weiteres Glied des Zuges bildete eine Anzahl von Negern, denen die Hände an die Kniee festgebunden waren, so daß sie in gebückter Stellung, mit wagerechtem Oberkörper gehen mußten. Kurz, die Feder sträubt sich, die Qualen zu schildern, welche man angewendet hatte, um die Gefangenen gefügig zu machen und sie an der Flucht zu verhindern. Einer Mutter war sogar der verwesende Leichnam eines wohl achtjährigen Knaben, jedenfalls ihres Kindes, auf den Rücken gebunden worden. Sie hatte unter stetem Weinen nach ihm verlangt und da war er erschossen und in dieser schrecklichen Weise mit ihr vereinigt worden.

Man sah es allen an, daß sie ermüdet waren und vor Hunger und Durst fast verschmachteten. Sie hatten während der ganzen Nacht marschieren müssen.

Das alles bemerkte Schwarz zunächst noch nicht; er suchte nach seinem Bruder und hatte kein Auge für etwas andres. Der Zug verschwand mehr und mehr im Eingange der Schlucht, und noch hatte er ihn nicht entdeckt. Sein Puls begann zu fiebern und sein Atem zu fliegen. Er knirschte mit den Zähnen, daß Pfotenhauer es hörte. Dieser versuchte ihn zu beruhigen:

»Verlieren's nur die Hoffnung nit. Noch sind die Anführer nit vorüber, und grad bei diesen, denk' ich, müssen sich solche Gefangene befinden, wie Ihr Bruder und der Elefantenjäger sind.«

Jetzt näherten sich zwei Reiter, welche weiße Haïks trugen und nebeneinander ritten. Kaum hatte Schwarz das Gesicht des einen, wenn auch nur erst von weitem, erblickt, so stieß er hervor:

»Abu el Mot! Da ist er endlich!«

»Ja, das ist er,« nickte Pfotenhauer, »und der andre ist Abd el Mot. Und schauen's, wer kommt da gleich hinter ihnen! Er lebt, er lebt! Sehen's ihn neben dem Sejad ifjal?«

Sie waren es, Joseph Schwarz und der Elefantenjäger. Sie sahen verhältnismäßig wohl aus, trugen ihre Anzüge noch und schauten ziemlich trotzig drein. Von Ergebung in ihr Schicksal fand sich in ihren Zügen keine Spur.

»Gott sei Dank!« hauchte Schwarz. »Ich möchte hinspringen und ihn herausreißen!«

»Da verderben's alles!«

»Das weiß ich wohl. Ich muß mich beherrschen. Aber sagen will ich es ihm, daß ich da bin.«

»Um des Himmels willen, verraten Sie uns nit!« raunte ihm der Gefährte ängstlich zu.

»Haben Sie keine Sorge! Ich gebe ein Zeichen, welches Joseph genau kennt.«

Der Elefantenjäger und sein Leidensgenosse waren Seite an Seite so aneinander gefesselt, daß sie nicht auseinander und auch die Arme und Hände nicht bewegen konnten. Außerdem hatte man jedem einen Strick um den Leib geschlungen und an die Steigbügel Abd el Mots befestigt. Schon waren sie der Schlucht nahe, da ließ sich das eigentümliche Gekrächze eines Geiers hören. Niemand achtete auf dasselbe, denn Geier gibt's im Sudan massenhaft; Joseph Schwarz aber warf sofort den Kopf empor; seine Wangen röteten sich, und seine Augen leuchteten auf. Er sah rechts über die Büsche hinüber, woher der Laut gekommen war, und erblickte zwischen den vordersten Bäumen einen Arm, welcher ein Gewehr schwang. Er hatte seinen Schritt nicht für einen Augenblick inne gehalten und senkte nun den Kopf wieder nieder. Er besaß Selbstbeherrschung genug, sein Entzücken zu bemeistern. Ganz, ganz leise aber flüsterte er seinem Gefährten, mit dem er eben durch den Eingang schritt, zu:

»Welch ein Glück, daß Abu el Mot nicht auf den Schrei dieses Geiers achtete!«

»Warum?« fragte der andre ebenso leise.

»Es war kein Vogel, sondern mein Bruder.«

»Allah ja Allah! Wer soll – – –«

»Still, nicht so laut! Man hört es ja! Ich kenne dieses Krächzen ganz genau; es hat uns auf unsren Reisen in fernen, gefährlichen Ländern oft als Mittel gedient, uns zusammenzufinden, ohne uns rufen zu müssen, wenn wir uns für kurze Zeit getrennt hatten. Ist er allein, oder hat er noch andre mit, das ist ganz gleich: er holt uns heraus, mitten aus dem Lager, und zwar ganz gewiß noch heute abend oder spätestens in der Nacht. Lassen wir aber nichts von unsrer Hoffnung merken!«

Emil Schwarz hatte gesehen, daß sein Zeichen gehört und erkannt worden war; damit gab er sich zunächst zufrieden. Er wußte nun, daß sein Bruder morgen frei sein werde. Er wartete, bis die letzten Sklaven und ihre Peiniger in der Schlucht verschwunden waren, und kehrte dann mit Pfotenhauer nach der Höhe zurück.

»Was thun wir nun zunächst?« fragte dieser, als sie nebeneinander eiligst emporstiegen. »Fallen wir gleich über sie her?«

»Nein, denn da würden sie meinen Bruder sofort töten. Ich werde, wenn wir oben angekommen sind, sagen, wie wir uns meiner Ansicht nach zu verhalten haben. Ich begreife wirklich nicht, wie dieser sonst so kluge Abu el Mot es wagen kann, in der Schlucht zu lagern, in welcher wir ihn so prächtig einzusperren vermögen. Es genügen wenige Leute, den Eingang zu verschließen, so daß er nicht heraus kann. Überdies sind wir ihm beziehentlich der Anzahl weit überlegen und können seine Leute von oben herab mit unsern Kugeln gemütlich wegputzen, ohne selbst in die geringste Gefahr zu kommen. Es ist gar kein Zweifel daran, daß er verloren ist; aber wir dürfen dennoch nicht mit Gewalt vorgehen, da wir sonst meinen Bruder und den Elefantenjäger, vielleicht auch die geraubten Sklaven in die Gefahr bringen, getötet zu werden. Ein Mensch, welcher seinen sichern Untergang vor Augen sieht, ist bei den Gesinnungen dieses Abu el Mot zu allen Schandthaten fähig.«

Der König hatte die ihm erteilte Weisung gut ausgeführt. Als die beiden oben ankamen, waren alle Leute zur Stelle, und keiner hatte den Platz verlassen. Der »Sohn des Geheimnisses« trat auf Schwarz zu und fragte:

»Herr, ich habe mich über meinen Vater sehr geängstigt. Die Sklavenkarawane ist angekommen. Ist der Elefantenjäger dabei ?«

»Ja; wir haben ihn gesehen.«

»Und wie ging es ihm? Wie sah er aus?«

»Sehr gut, unter den gegebenen Verhältnissen.«

»Allah sei Dank! Wehe den Sklavenjägern, wenn es uns nicht gelingt, ihn unverletzt zu befreien!«

»Es wird uns gelingen; du darfst dich darauf verlassen. Übrigens weiß er schon, daß die Rettung nahe ist. Mein Bruder war bei ihm, und diesem gab ich ein Zeichen, aus welchem er ersehen hat, daß ich mich hier befinde.«

»So wollen wir ja nicht säumen, sondern sofort angreifen!«

»Nein; wir werden vorher in Unterhandlung mit Abu el Mot treten.«

»Warum das? Sie haben keine Ahnung von unsrer Anwesenheit. Wenn wir plötzlich über sie herfallen, so wird der Schreck sie so lähmen, daß wir Sieger sind, ehe sie an Widerstand gedacht haben.«

»Selbst wenn diese deine Voraussetzung sich bewahrheitete, würde Menschenblut fließen, und das möchte ich vermeiden. Ich denke aber, daß die beiden Anführer der Karawane zwar überrascht sein, aber ihre Besinnung keineswegs verlieren würden. Das erste, was sie thun würden, wäre, daß sie deinen Vater und meinen Bruder töteten. Sollen wir diese beiden einer solchen Gefahr aussetzen?«

»Nein, Herr, nein,« antwortete der Jüngling schnell. »Aber wie willst du es denn anfangen, sie zu retten?«

»Das werdet ihr jetzt hören.«

Er teilte seinen Plan mit, und nach kurzer Beratung wurde derselbe angenommen, denn man sah ein, daß man nichts Besseres thun könne.

Nun setzten sich die Krieger in Bewegung, um die Schlucht zu umzingeln. Das geschah so leise und vorsichtig, daß die in derselben Befindlichen nichts davon bemerkten. Nach zehn Minuten war der Rand der Felsen rundum mit Leuten besetzt, welche für alles, was geschehen konnte, ihre bestimmten Weisungen erhalten hatten.

Von allen Untergebenen waren die Soldaten aus Faschodah jedenfalls die zuverlässigsten, und darum hatte Schwarz die Bestimmung getroffen, daß diese den Eingang zur Schlucht besetzen sollten. Der König, Hasab Murat und der »Vater der Hälfte« erhielten den Befehl über die Truppen, welche hier oben standen. Schwarz marschierte mit den Soldaten hinunter. Bei ihm befanden sich Pfotenhauer, der Slowak, der Hadschi und der »Sohn des Geheimnisses«. Der »Sohn der Treue« hatte bei seinem Vater oben bleiben wollen.

Dauwari und die beiden Homr wurden mitgenommen. Sie konnten infolge der Bastonnade den Berg nicht hinabsteigen und mußten getragen werden. Sie hatten die getroffenen Vorbereitungen beobachtet und wußten also, daß es für Abu el Mot keine Hoffnung auf Entkommen gab.

Die Sorglosigkeit, mit welcher dieser Mann heute verfuhr, war wirklich erstaunlich. Als Schwarz mit seinen Leuten unten ankam, sah er, daß nicht einmal der Eingang besetzt worden war. Er näherte sich demselben noch nicht, sondern blieb zunächst unter den Bäumen halten, um den genannten drei Gefangenen die notwendigen Weisungen zu erteilen.

»Ich gebe euch Gelegenheit, eure Sünden wenigstens so weit gut zu machen, daß ich euch später eure Freiheit zurückgeben kann,« sagte er zu ihnen. »Ich werde jetzt eure Fesseln lösen lassen, damit ihr zu Abu el Mot in die Schlucht gehen könnt. Eure Füße werden euch wohl für diese kurze Strecke tragen. Sagt ihm, daß er vollständig eingeschlossen ist; sagt ihm auch, welche Waffen wir tragen und wieviel Köpfe wir zählen. Das wird ihn veranlassen, klug und nachgiebig zu sein. Ich stelle ihm folgende Bedingungen: Er hat den Elefantenjäger und meinen Bruder sofort auszuliefern, und zwar nebst allem ihrem Eigentum, welches er ihnen abgenommen hat; ferner soll er sich selbst und Abd el Mot gefangen geben; thut er das, so soll beider Leben von uns geschont werden. Geht er auf diese Bedingungen ein, so werden wir alle seine Leute entlassen, ohne daß ihnen etwas Übles geschieht. Weist er aber meine Forderungen von sich, so werden wir keine Gnade walten lassen. Ihr selbst wißt sehr genau, daß die ganze Karawane sich in unsrer Gewalt befindet. Es ist zu eurem eigenen Vorteile, ihn zur Annahme meiner Bedingungen zu bewegen, da sein Schicksal auch das eurige sein wird. Fügt er sich, so werdet ihr frei; zwingt er uns aber zum Kampfe, so werdet ihr mit erschossen.«

Die drei blickten finster vor sich hin; sie waren überzeugt, daß Abu el Mot nicht auf diese Bedingungen eingehen werde. Darum meinte der eine Homr:

»Kannst du nicht andre Forderungen stellen, welche milder sind?«

»Welche denn? Es gibt keine milderen. Ich schenke euch allen das Leben, welches ihr verwirkt habt. Was wollt ihr mehr verlangen!«

»Ich bin überzeugt, daß er sich weigern wird.«

»So rennt er ins Verderben.«

»Dürfen seine Krieger erfahren, was du von ihm verlangst?«

»Ja. Es ist mir sogar sehr lieb, wenn ihr es ihnen mitteilt. Vielleicht besitzen einige von ihnen so viel Verstand, ihm zuzureden und zur Ergebung zu bewegen. Besonders von euch erwarte ich das ganz bestimmt. Euer Leben ist in eure eigene Hand gegeben.«

»Und auf welche Weise soll dir mitgeteilt werden, was er beschlossen hat?«

»Er mag mir einen Mann senden, welcher Vollmacht zur Unterhandlung hat.«

»Werdet ihr diesen nicht zurückbehalten?«

»Nein. Ich gebe dir die Versicherung, daß er, sobald es ihm beliebt, zurückkehren kann.«

»Er mag sein, wer er will?«

»Ja.«

»Wie aber, wenn Abu el Mot sich entschlösse, selbst zu kommen?«

»Ich würde selbst in diesem Falle mein Wort halten. Wir würden ihn als Parlamentär betrachten, dessen Person, Freiheit und Eigentum unverletzlich sind. Wir würden also seiner Rückkehr nicht das Geringste in den Weg legen. Ja, ich wäre sogar bereit, ihn umherzuführen und ihm unsre Stellung zu zeigen, damit er erkenne, daß Hartköpfigkeit ihn ins Verderben führen muß. Nun wißt ihr alles und könnt gehen.«

Er nahm ihnen die Fesseln ab und sie hinkten auf ihren verletzten Füßen davon. Sobald sie in dem Eingange verschwunden waren, wurde derselbe von den Soldaten besetzt. Eine Anzahl derselben mußten schleunigst Büsche fällen, mit denen er verbarrikadiert werden sollte. Auf diese Weise erhielt man Deckung gegen die feindlichen Kugeln, falls, was allerdings kaum zu erwarten war, Abu el Mot auf den Gedanken kommen sollte, eine sofortigen Angriff vorzunehmen.

Schwarz stellte sich mit Pfotenhauer so auf, daß er einen freien Blick in die Schlucht hatte. Er sah, daß die geraubten Neger nach dem hintern Teile derselben geschafft worden waren. Vorn waren die Sklavenjäger fleißig beschäftigt, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, welche bei der Errichtung eines Lagers gebräuchlich sind. Rechts oben auf dem Damme spannte man ein Zelt auf, welches jedenfalls für die beiden Anführer bestimmt war. Die Leute schwärmten wirr durcheinander, und jeder war so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß man zunächst das Nahen der drei Abgesandten gar nicht bemerkte und ebensowenig es beachtete, daß fremde Krieger sich vorn am Eingange festgesetzt hatten.

Nun aber waren die drei nahe hinzugekommen und sprachen einen der Jäger an. Schwarz sah, daß sie nach rückwärts zeigten. Der Blick des Mannes folgte dieser Richtung – – ein lauter Ruf des Schreckes und der Warnung, und aller Augen richteten sich nach dem Eingange, wo Schwarz seinen Soldaten befahl, die Gewehre anzulegen, als ob sie zu schießen beabsichtigten.

Jetzt gab es einen unbeschreiblichen Wirrwarr in der Schlucht. Man schrie; man eilte zu den Waffen, man rannte ratlos hin und her; jeder wollte etwas zu seiner Verteidigung, zu seinem Schutze thun, und wußte doch nicht was. Die drei Boten waren nicht mehr zu sehen; sie waren in dem Menschenknäuel verschwunden.

Da ertönte eine laute Stimme; sie klang dumpf und hohl, war aber durch die ganze Schlucht zu hören.

»Das ist Abu el Mot,« sagte Schwarz. »Er gebietet Ruhe.«

Das angstvolle Rufen und Laufen hörte auf; jeder blieb da stehen, wo er sich gerade befand. Schwarz gebot seinen Leuten, die Gewehre in Ruhe zu setzen. In der Schlucht herrschte jetzt die tiefste Stille, wohl eine ganze Viertelstunde lang; aber es schien das die Stille vor dem Sturme zu sein, denn jeder hatte seine Waffen ergriffen, und alle warfen den am Eingange Stehenden drohende Blicke zu.

Da gab sich eine kleine Bewegung zu erkennen. Die Leute wichen an einer Stelle zurück, und es trat ein Mann hervor, welcher sich langsam und zögernd den Belagerern näherte. Er hatte keine Waffen bei sich und trug als Zeichen des Friedens einen Palmenwedel in der Hand. Als er bis auf ungefähr zwanzig Schritte herangekommen war, blieb er stehen, schwenkte den Wedel und grüßte:

»Sallam! Darf ich zu euch kommen und frei wieder gehen?«

»Ja, denn ich habe es versprochen,« antwortete Schwarz. »Komm also getrost!«

Der Mann trat vollends herbei. Er war ein gewöhnlicher Askari, den Abu el Mot jedenfalls nur zur Probe abgesandt hatte, um zu erfahren, ob seine Gegner nicht vielleicht hinterlistig handeln würden.

»Mich sendet Abu el Mot,« sagte er. »Er möchte selbst mit euch sprechen und läßt fragen, ob er wirklich ohne Hindernis zurückkehren darf, falls er nicht einig mit euch wird.«

»Sage ihm, daß ich es versprochen habe und mein Wort halten werde.«

»Er soll also kommen?«

»Ja. Aber er darf keine Waffe bei sich haben, wie sich das ja ganz von selbst versteht.«

»So kehre ich zu ihm zurück, um ihm diese Botschaft auszurichten. Sallam!«

Er drehte sich um und schritt von dannen, zögernd und langsam; dann drehte er sich um, warf einen froherstaunten Blick zurück und rannte nun fort, als ob er einer ganz entsetzlichen Gefahr entgangen sei. Er hatte also doch nicht getraut, sondern vielmehr geglaubt, daß man ihn festhalten und nicht wieder fortlassen werde.

»Lieber Himmel, wirft dieser Kerl seine Beine, als ob er's extra bezahlt bekäm'!« lachte Pfotenhauer. »Der ist höllisch froh, daß wir ihn nit aufg'fressen haben.«

»Wer freßte Schlingel, solchen, der seinte nicht bei Sinnen, gesundheitlichen,« antwortete der »Vater der elf Haare«. »Da seinte viel besser ein Stück Braten, schweiniger, oder ein Schnitzel mit Paprika, kalbfleischiges. Schaunte Sie, schaunte! Da kommte Abu el Mot in Person, eigener.«

Er hatte recht. Die Schar der Sklavenjäger öffnete sich wieder, und der Genannte trat hervor. Seine lange, schmale Gestalt stolz und aufrecht haltend, kam er langsam und würdevoll näher. Er trug keine Waffe in seinen Händen und hielt den Blick zum Boden gerichtet. Erst als er fast unmittelbar vor Schwarz stand, blickte er auf.

»Sallam!« grüßte er ebenso kurz, wie vorhin sein Bote. »Ich hoffe, daß du dein Wort wahr machen und mich nicht zurückhalten wirst!«

»Wenn du meine Bedingungen erfüllt hast, ja.«

»Welche ?«

»Unbewaffnet zu kommen.«

»Schau her! Oder laß mich untersuchen, ob auch nur eine Nadel zu finden ist!«

Er schlug seinen Haïk auseinander. Schwarz winkte ab und antwortete:

»Ich glaube dir. Du kannst also, sobald unser Gespräch zu Ende ist, zu den Deinen zurückkehren.«

»Auch wenn ich nicht auf deine Wünsche eingehe?«

»Auch dann.«

»So wollen wir hinausgehen und draußen beraten!«

Er wollte sich zwischen dem Felsen und dem Buschwerke, mit welchem der Eingang schon hoch angefüllt war, vorüberdrängen; Schwarz aber wies ihn zurück und sagte:

»Halt! So schnell geht das nicht. Wenn du heraus willst, so sind besondere Vorsichtsmaßregeln nötig.«

»Welche denn?« fragte Abu el Mot im Tone beleidigten Erstaunens.

»Ich müßte dir die Hände auf den Rücken binden.«

»Warum?«

»Damit du nicht entfliehen kannst.«

Der Sklavenjäger lachte höhnisch auf.

»Entfliehen? Was fällt dir ein! Ich werde fliehen, wo ich überzeugt bin, daß ihr in meine Hände gegeben seid und ich endlich Rache nehmen kann! Du hast ja gehört, daß ich die Bedingung gestellt habe, zurückkehren zu können!«

»Das überzeugt mich noch nicht.«

»Aber, wie könnte ich euch denn entkommen? Selbst wenn es mir dadurch gelänge, daß ich schnell in die Büsche spränge, so hätte ich damit allem meinem Eigentume entsagt und müßte, da ich weder Waffen noch sonstiges bei mir trage, in dieser Wildnis elend umkommen.«

»Pah! Du würdest dich einige Tage lang von Früchten nähren und irgend eine Seribah aufsuchen. Übrigens aber bist du nicht so arm und so waffenlos, wie du es scheinen lassen willst.«

»Wieso ?«

»Du hast nur die Sklaven bei dir. Wo aber sind die geraubten Herden?«

Über das todeshagere Gesicht des Alten ging ein ärgerliches Zucken, dann antwortete er, abermals lachend:

»Herden? Ich begreife dich nicht!«

»Könnte einer von uns beiden den andern nicht begreifen, so müßte ich es sein. Ich verstehe nämlich nicht, mich nach allem, was du erlebt und erfahren hast, noch immer für einen dummen Menschen zu halten. Wenn ihr euch auf der Sklavenjagd befindet, so nehmt ihr nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere und alles, was irgend einen Wert für euch hat. Ich bin überzeugt, daß ihr euch die Herden von Ombula angeeignet habt. Abd el Mot ist von dort aus sogar noch weiter gezogen und wird auch dort noch reiche Beute gemacht haben.«

»Du irrst. Wir haben nur Sklaven gemacht. Hätten wir auch Pferde, Rinder, Schafe und Kamele, so würdest du dieselben doch bei uns sehen.«

»Glaube nicht, mich irre machen zu können. Du wolltest uns hierher locken, um uns zu vernichten. Dabei wären dir die Herden im Wege gewesen. Darum und weil sie dich außerdem am schnellen Fortkommen hinderten, hast du sie zurückgelassen.«

»Welche Klugheit, welche großartige Klugheit du da entwickelst!« höhnte Abu el Mot. Aber es war ihm anzusehen, daß dieser Hohn ihm nur als Maske diente, seinen Ärger und seine Enttäuschung zu verbergen.

»Wenn es dir also gelänge, uns jetzt zu entkommen,« fuhr Schwarz fort, »so würdest du zu diesen Herden eilen. Die Leute, welche du zur Bewachung derselben zurückgelassen hast, könnten dich mit Waffen versehen. Es würde dir dann leicht sein, den heutigen Verlust zu verschmerzen und dein altes, verbrecherisches Leben von neuem zu beginnen .«

»Und das willst du wohl nicht dulden?«

»Allerdings nicht.«

»So! Wer hat dich zum Richter über mich gesetzt?«

»Das Gesetz, welches in diesen Gegenden das herrschende ist.«

»Ich lache deiner! Mir wurde gesagt, du habest so viele Krieger bei dir, daß es dir leicht sei, uns hier in der Schlucht zu erdrücken. Kannst du das beweisen?«

»Sehr leicht.«

»Womit?«

»Dadurch, daß ich dich rund um die Schlucht führe, um dir zu zeigen, daß du vollständig eingeschlossen bist.«

»So thue es!«

»Gern, doch nur unter der Bedingung, daß du dir die Hände binden lässest.«

»Was fällt dir ein! Ich, Abu el Mot, soll mir die Hände binden lassen! Bist du toll!« brauste der Alte auf.

»Mäßige dich!« warnte Schwarz. »Wenn du grob wirst, so schlage ich dir die Peitsche über das Gesicht, obgleich ich die Güte gehabt habe, dich als Parlamentär betrachten zu wollen ! Wer ist denn Abu el Mot? Etwa ein Ehrenmann, ein Heiliger, dem man Verehrung schuldet? Ein Dieb und Räuber ist er, den man vertilgen muß wie das schädlichste und giftigste der Ungeziefer. Thue ich dir den Willen, dich herumzuführen, so ist das eine Gefälligkeit, welche kein andrer dir erweisen würde, und dafür hast du dich meiner Anordnung zu fügen. Willst du das nicht, so habe ich nichts dagegen; aber du mußt auch darauf verzichten, dir meine Veranstaltungen anzusehen.«

Der Ton, in welchem Schwarz dies sprach, blieb nicht ohne Wirkung. Außerdem mußte Abu el Mot natürlich sehr viel daran liegen, genau erfahren zu können, in welcher Lage er sich befand. Darum sagte er:

»Nun, ich will zugeben, daß es keine Schande ist, wenn ich mir freiwillig Fesseln anlegen lasse. Aber ich hoffe, daß sie mir dann wieder abgenommen werden!«

»Selbstverständlich!«

»Gut, so bindet mich! Ich will mich darein ergeben.«

Jetzt wurde ihm erlaubt, den Verhau zu passieren, er hielt die Hände hin, die ihm auf dem Rücken festgebunden wurden. Vier Soldaten nahmen ihn in ihre Mitte, und dann begann der Rundgang, an welchem sich nur Schwarz mit beteiligte. Pfotenhauer blieb bei den Soldaten zurück, da er glaubte, sich mehr auf sich selbst, als auf den Anführer derselben verlassen zu können. Es war ja immerhin möglich, daß Abu el Mot eine Heimtücke plante und den Befehl gegeben hatte, während seiner und der Deutschen Abwesenheit den Ausgang zu erzwingen.

War der Alte vielleicht der Ansicht gewesen, daß ihm von den drei Boten seine Lage zu schwarz geschildert worden sei, so sah er jetzt ein, daß er sich geirrt habe. Während er oben dem Rande der Schlucht folgte und die dort stehenden Leute zählte, wurde seine Miene immer nachdenklicher. Er betrachtete ihre Waffen; er sah die finster drohenden Blicke, welche auf ihn geworfen wurden und gewann die Überzeugung, daß er mit Gewalt nichts ausrichten könne und sich nur auf seine List und Verschlagenheit verlassen müsse.

Als Abu el Mot an den Nuehrs vorüberkam, welche er doch für sich angeworben hatte, spuckte er vor dem Häuptling derselben aus und rief:

»Haif alaik- Schande über dich!«

Aber die Strafe folgte dieser Beleidigung sofort. Der Häuptling trat herbei, schlug ihm die Faust in das Gesicht, daß ihm das Blut sofort aus Mund und Nase lief, und antwortete:

»Die Schande ruht auf dir, du Hund und Verräter! Denke an die Waka'a en nahr, an die Schlacht im Flusse! Bist du da nicht feig entflohen? Hast du uns da nicht hinterlistig verlassen? Wenn dieser 'Vater der vier Augen', welchen Allah dafür segnen wolle, nicht ein so wohlwollendes und freundliches Herz besäße, so wären wir verloren gewesen. Nun willst du mich beschimpfen, weil wir ihm dankbar sind? Dein Weg führt ins Verderben und in die Hölle. Mögest du braten da, wo ihre Glut am größesten ist!«

»Herr, duldest du, daß ich von deinen Leuten geschlagen werde!« fuhr Abu el Mot Schwarz an. »Hast du mir nicht versprochen, daß mir nichts geschehen solle!«

»Jedem das, was er verdient,« antwortete Schwarz ruhig. »Ich habe natürlich angenommen, daß du nicht den Zorn meiner Leute herausforderst. Beleidigst du sie, so magst du die Folgen tragen, denn nur du allein bist schuld daran. In deiner Lage würde es dir besser stehen, vorsichtig und bescheiden zu sein.«

»Du hast mich aber zu beschützen!«

»Und du hast dich ruhig und höflich zu verhalten. Thust du das nicht, so mögen diejenigen, welche du beleidigst, dich meinetwegen erschlagen oder erwürgen, ich rühre keinen Finger für dich. Es ist dir ganz recht geschehen.«

Man ging weiter und kehrte, als der Rundgang beendet war, nach unten zurück, wo Pfotenhauer die indessen verflossene Zeit vortrefflich benutzt hatte, den Eingang mit Hindernissen vollständig auszufüllen. Es war nur eine einzige kleine Lücke gelassen worden, gerade groß genug, daß ein Mann hindurchschlüpfen konnte. Die Soldaten flochten aus Zweigen Wände, um dieselben aufzustellen und mit Erde auszufüllen, damit keine Kugel hindurchdringen könne. Abu el Mot sah das, sein Gesicht wurde finstrer und er meinte, grimmig lachend: »Ihr müßt euch doch entsetzlich vor uns fürchten, da ihr mit solchem Eifer arbeitet, als gelte es eine Kal'a zu errichten.«

»Von Furcht ist keine Rede; sie wäre ja völlig grundlos, wie du gesehen haben wirst. Aber wenn es gilt, die Verwundung oder gar den Tod auch nur eines einzigen Menschen zu verhindern, so ist keine Arbeit, mit welcher dieser Zweck erreicht wird, überflüssig oder lächerlich zu nennen.«

»Nimm mir die Fesseln ab! Ich sehe es dir an, daß du die Beratung beginnen willst, welche freilich ganz erfolglos sein wird.«

»Erfolg wird sie jedenfalls haben, wenn nicht für dich, so doch ohne allen Zweifel für mich. Setzen wir uns also nieder!«

Man band dem Alten die Hände los und setzte sich, einen Kreis bildend, in das Gras. Abu el Mot machte dabei ein Gesicht, als sei es eine Gnade für die andern, sich in seiner Nähe zu befinden, als sei er es, von welchem das Schicksal der beiden Deutschen und ihrer Leute abhänge.

»Der Kerl g'fallt mir gar nit,« meinte Pfotenhauer in deutscher Sprache. »Er macht a so zuversichtliches, eigentlich unverschämtes G'sicht, daß ich glauben muß, er hat irgend was Böses, woran wir gar nit denken, im Rückhalt.«

»Wüßte nicht, was es sein könnte,« antwortete Schwarz.

»Ich eben auch nit; aber irgendwas hat er; das ist so g'wiß wie der Boden im Bierseidel. Wir müssen halt vorsichtig sein.«

»Warum redet ihr in einer Sprache, welche ich nicht verstehe?« fragte Abu el Mot. »Wißt ihr nicht, daß dies unhöflich ist? Oder fürchtet ihr euch vor mir?«

»Hat einer von uns Furcht, so scheinst du es zu sein,« antwortete Schwarz. »Nur der Furchtsame ist mißtrauisch. Und wenn du Höflichkeit von uns forderst, so verlangst du zu viel. Nach allem, was wir dir vorzuwerfen haben, gibt es für uns gar keinen Grund, dir Komplimente zu machen. Ich rate dir überhaupt, den Ton, in welchem du mit uns sprichst, etwas herabzustimmen, da wir sonst die Rücksichten, welche wir jetzt noch nehmen, fallen lassen würden!«

»Rücksichten?« lachte der Alte. »Das ist unnötig, denn ihr habt gar keinen Grund dazu. Vielmehr bin ich es, welcher Nachsicht hegt, denn nicht ich befinde mich in eurer Gewalt, sondern ihr seid in der meinigen.«

»Das kann eigentlich nur ein Wahnsinniger sagen!«

»Schweig! Wenn der Wahnsinn einen von uns beiden ergriffen hat, so bist nur du es; das kann ich beweisen.«

»So beweise es,« antwortete Schwarz.

»Sind die Forderungen, welche du an mich gestellt hast, nicht diejenigen eines Wahnsinnigen?«

»Schwerlich!«

»O doch! Ich soll nicht bloß deinen Bruder und den Elefantenjäger ausliefern, sondern auch mich und Abd el Mot. Hast du das nicht verlangt?«

»Allerdings, ja.«

»Und du gibst nicht zu, daß dies unsinnig ist?«

»Nein. Wir sitzen wohl auch nicht hier, um zu beraten, welcher Natur meine Forderungen sind. Ich habe dir erlaubt, zu uns zu kommen, nur aus dem einzigen Grunde, um zu erfahren, ob du auf meine Bedingungen eingehest oder nicht.«

»Das kannst du gleich erfahren, ja, das konnte ich dir sofort, als ich kam, schon sagen.«

»Nun ?«

»Ich belache dein Verlangen.«

»So! Hast du mir sonst noch etwas zu sagen?«

»Nein.«

»So ist unsre Unterredung kürzer geworden, als ich dachte, und wir sind also fertig.«

Er stand auf.

»Ja, wir sind fertig,« stimmte Abu el Mot bei, indem er sich auch erhob. »Ich kann also gehen?«

»Ja.«

»M'assalahmi; tat wakhti – lebe wohl; meine Zeit ist um!«

Er wendete sich, ohne daß ihn jemand hinderte, nach der Öffnung, welche im Verhau gelassen worden war. An derselben angekommen, drehte er sich um und fragte:

»Was werdet ihr nun thun?«

»Das wirst du sehr bald erfahren.«

»Etwa auf uns schießen?«

»Allerdings.«

»Nein, das werdet ihr nicht.«

»Wer soll uns hindern?«

»Eure Klugheit, denn sobald von euch der erste Schuß fällt werde ich deinen Bruder töten lassen!«

»Und beim zweiten Schusse wird wohl der Elefantenjäger ermordet?« fragte Schwarz lachend, obgleich es ihm nicht sehr lustig zu Mute war.

»Allerdings. Und dann kommt es noch anders.«

»Wie denn?«

»Bei jedem nächsten Schusse wird einer der Sklaven erstochen, welche ihr doch befreien wollt. Ihr werdet also ganz das Gegenteil von dem erreichen, was ihr beabsichtigt.«

Er machte eine höhnische Gebärde und fügte dann hinzu:

»Seht ihr nun, wer sich in der Hand des andern befindet, ich in der eurigen oder ihr in der meinigen?«

»Das erstere jedenfalls.«

»Was? Du bist wirklich wahnsinnig!«

»Und du befindest dich in einer großen Täuschung, denn der erste, den meine Kugel trifft, wirst du sein, und der zweite ist Abd el Mot. Wir scheint, du weißt bereits, wie gut ich schieße!«

»Schieße meinetwegen wie der Scheitan; ich kehre mich nicht daran! Oder meinst du, daß ich mich so hinstelle, daß du nur auf mich zu zielen brauchst? Ich lache über deine Drohung!«

»So verstecke dich und morde, so viele Personen du morden willst! Wir werden es also anders machen. Wir werden deine Leute erschießen, einen nach dem andern. Du und Abd el Mot werdet übrig bleiben. Welches Todes ihr dann aber sterben werdet, danach frage nicht!«

»Drohe nur immerzu; ich weiß doch, was ich davon zu halten habe. Du wirst deinen Bruder nicht töten lassen!«

»Ich kann ihn nicht retten, also mag er sterben!«

»Versuche nicht, mich zu täuschen! Ich bin meiner Sache so gewiß, daß ich mich herbeilasse, dir einen Vorschlag zu machen.«

»Ich mag ihn nicht hören. Du hast dich gar nicht herbeizulassen.«

»So verstopfe deine Ohren, und die andern mögen ihn hören. Ich will deinen Bruder freigeben und den Elefantenjäger auch. Sie sollen auch ihr Eigentum zurückerhalten.«

»Und was forderst du dafür?«

»Zieht fort, und laßt mich in Ruhe!«

»Das werden wir nicht.«

»So möge euch der Scheitan fressen. Ich sage euch mein letztes Wort, indem ich wiederhole, daß dein Bruder beim ersten Schusse sterben wird!«

»Und ich sage euch mein letztes, indem ich dir mitteile, daß ich dir jedes Glied einzeln vom Körper reißen lasse, wenn du ihm nur ein Haar seines Hauptes krümmst. Nun kannst du gehen.«

»Ja, ich gehe. Hüte dich vor meiner Rache; ich scherze nicht!«

Er drängte sich durch die schmale Öffnung des Verhaues und schritt hocherhobenen Hauptes in die Schlucht hinein. Der Slowak nahm sein Gewehr auf und fragte:

»Soll ich erschießte Kerl, frechen und unverschämigten? Seinte dann sofort aus Geschichte, ganze und alle!«

»Nein,« wehrte Schwarz ab. »Ich habe ihm mein Wort gegeben, und das gilt. Meineidig werde ich nicht.«

»G'wiß!« stimmte Pfotenhauer bei. »Das gegebene Wort müssen wir leider halten, doch auch ich möcht ihm am liebsten gleich einige Kugeln auf den Pelz brennen. Den Kerl so hier in denen Händen haben und ihn doch wieder laufen lassen zu müssen, das geht mir halt stracks gegen den Strich. War das a frecher und unverschämter Patron! Anstatt klein beizugeben, hat er halt grad so gethan, als ob er nur lauter Bittschriften zu unterzeichnen hätt'. Was soll denn nun g'schehen? Meinen's, daß er wirklich thut, was er g'sagt hat?«

»Nein.«

»Oho! Ich trau's ihm zu.«

»Ich nicht.«

»So halten's ihn für besser, als er wirklich ist.«

»Das nicht; aber ich halte ihn für zu klug, seine Drohung auszuführen.«

»Wieso wäre das unklug?«

»Weil er dann auch unsrerseits auf keine Gnade zu rechnen hätte.«

»Ja, das ist schon wahr. Aberst was nützt uns die Rach', wann wir mit derselben die Toten nicht wieder lebendig machen können?«

»Er weiß, daß er uns nicht entkommen kann. Ich habe ihn scharf beobachtet und es ihm angesehen, daß er diese Überzeugung hegt. In seinen Händen liegt nur ein einziger Trumpf; er hat ihn uns gezeigt, doch zweifle ich sehr daran, daß er ihn auch wirklich ausspielen wird. Es wäre sein sicherer Untergang.«

»Möglich, daß er es unterläßt, doch ist ihm alles zuzutrauen und –- was ist das? Da kommt er ja schon wieder!«

Es war so; Abu el Mot kam zurück, aber nicht ganz heran. Er blieb vielmehr in Rufweite stehen und fragte:

»Darf ich wieder frei zurück, wenn ich noch einmal hinkomme?«

»Ja,« antwortete Schwarz.

»Dummheit!« raunte Pfotenhauer ihm zu. »Jetzt hatte er unser Wort nicht, und so konnten wir ihn wegputzen!«

»Dazu ist es nun zu spät. Ich habe mein Versprechen erneuert. Übrigens ist seine Rückkehr ein Beweis, daß ich ganz richtig geurteilt habe.«

Der Alte kam bis an die Lücke heran, durch welche er aber nicht kroch, und fragte:

»Was würdet ihr mit mir thun, wenn ich mich euch gefangen gäbe?«

»Wir würden dein Leben schonen,« antwortete Schwarz.

»Und mir die Freiheit geben?«

»Nein. Ich würde dich nach Faschodah abliefern.«

»Ah! Zum 'Vater der Fünfhundert'?«

»Ja. Ich habe es ihm versprochen.«

»Du bist sehr aufrichtig. Ich danke dir. Thue, was du willst; du wirst mich nicht lebendig in deine Hand bekommen!«

Er ging wieder fort, ohne ein einziges Mal den Kopf zu wenden. Er mußte sehr fest überzeugt sein, daß man ihm keine Kugel nachsenden werde.

»Das ist die Frechheit doch allzu weit getrieben!« zürnte Pfotenhauer. »Die Sicherheit dieses Halunken könnt' mir die ganze Gall' in den Magen treiben. Hätten's nur nit gar so schnell ja g'sagt, so läg' er jetzund dort im Gras, mit meiner Kugel im Leibe!«

»Lassen Sie es gut sein!« bat Schwarz. »Daß er mit dieser Frage zurückkehrte, stellt mich für jetzt vollständig zufrieden.«

»Aber wir sind nit weiter 'kommen, als wir vorher waren!«

»Das mag sein; aber wir werden nicht auf dem jetzigen Punkte stehen bleiben.«

»So laufen's also schnell weiter, und nehmen's uns auch mit! Denken's vielleicht, daß wir schießen können, ohne Ihren Bruder in G'fahr zu bringen?«

»Ich denke es, so wie ich es schon vorhin dachte; aber ich will Abu el Mot doch lieber nicht versuchen. Warum Gewalt anwenden, wenn man mit ein wenig List ebenso zum Ziele gelangen kann?«

»Welche List ist's denn da, von der's sprechen?«

»Die, von der wir schon gesprochen haben. Wir holen meinen Bruder und den Elefantenjäger heraus. Gelingt uns das, so brauchen wir dann keine Rücksicht mehr zu nehmen, da sich der einzige Trumpf des Alten in unsren Händen befindet.«

»Alle Teuxel! Ist das Ihr Ernst?«

»Ja.«

»Wir wollen uns verkleiden und Theater spielen?«

»Ich wenigstens bin fest entschlossen dazu. Ich will Sie keineswegs bereden, denn die Sache ist, wie ich gern zugebe, sehr gefährlich, aber ich – – –«

»Lassen's die Faxerei, und reden's vernünftig!« unterbrach ihn der »Vater des Storches«. »Was Sie können, das kann ich auch, und Ihr Bruder ist mir so a lieber Freund, daß ich um seinetwillen ganz gern so a bißchen Fastnachtsscherz mitmachen thu'.«

»Nun, es ist nichts weniger als scherzhaft. Wenn wir erwischt werden, ist es nicht nur aus mit uns, sondern auch mit denen, welche wir retten wollen.«

»Das weiß ich selber auch, und ich denk', grad eben darum werden wir uns nicht derwischen lassen. Es handelt sich nur darum, wann und wie es g'macht werden soll. Wann? Doch also erst heute abend?«

»Ja. Dieser Plan kann nur in der Dunkelheit ausgeführt werden.«

»Aber bis dahin kann gar viel g'schehen!«

»Ich bin überzeugt, daß wenig oder gar nichts geschehen wird. Abu el Mot wird nichts unternehmen, sondern ganz froh sein, wenn wir ihn in Ruhe lassen.«

»So handelt es sich nur um das Wie. Verkleiden wir uns als Neger?«

»Ja.«

»Dazu möcht' ich aberst nit raten.«

»Warum ?«

»Aus mehreren Gründen. Erstens wird es mir bei meinem langen und großen Barte, selbst wenn ich ihn und das G'sicht schwarz mach, nit gelingen, denen Leuten weiß zu machen, daß ich ein Neger bin, denn a Schwarzer hat keinen solchen Bart. Und zweitens dürften wir uns nur da bewegen, wo die geraubten Sklaven sind, während die beiden, welche wir holen wollen, sich ganz g'wiß bei Abu el Mot befinden. Besser wird's sein, wir färben die G'sichter nur braun und kleiden uns so, daß wir für Sklavenjäger g'halten werden.«

»Auch da wird man Sie an Ihrem und ebenso mich an meinem Vollbarte erkennen. Nein. Unter die geraubten Sklaven brauchen wir uns nicht zu machen, denn es gibt auch unter den Leuten Abu el Mots Schwarze genug. Es fragt sich überhaupt, ob wir uns sehen lassen müssen. Vielleicht haben wir uns nur in der Weise anzuschleichen, wie sich Indianer an ihre Feinde schleichen. Und da ist es von großem Vorteile, wenn wir uns schwarz gefärbt haben, weil man uns da nicht von der Umgebung zu unterscheiden vermag.«

»Ganz wie Sie denken. Ich thu' halt alles mit, und Sie sind weit erfahrener und gewandter als ich. Aber wo nehmen wir die schwarze Farb' her? Wollen wir Holz zu Kohlen brennen?«

»Kohle haftet nicht. Es könnten durch irgend eine Berührung weiße Flecken entstehen, welche uns verraten würden. Wir haben ja fettes Fleisch von den Elefanten und Speck von dem Nilpferde. Da können wir Ruß mehr als genug gewinnen.«

Der Slowak war Zeuge dieses in deutscher Sprache geführten Gespräches gewesen und hatte alles gehört. Jetzt sagte er:

»Auch ich wollt schmierte Ruß in Gesicht, meiniges, daß ich wernte Neger, schwarzigter, und gedürfte mitgehen, zu holen die beiden Freunde, gefangenschaftliche.«

»Du?« lachte Schwarz. »Du wärst der Kerl dazu!«

»Ja, ich wernte sein der Kerl, dazu gehörigter! Ich hatt gefürchte mich vor niemand!«

»Das glaube ich. Aber zu dem, was wir vorhaben, gehört mehr. Man muß einen Menschen, der dazwischen kommt, mit einem einzigen Hiebe besinnungslos machen können, ohne daß er einen Laut von sich gibt. Und das ist noch nicht alles. Man muß noch viel, viel mehr können, was du nicht kannst.«

»O, ich hatt gekönnte alles und jedwedigtes. Ich bitt, zu dürften mitmachte die Schleicherei, interessantigte!«

»Nein, ich muß dir diese Bitte abschlagen. Du würdest nicht nur dein Leben, sondern auch das unsrige auf das Spiel setzen.«

»Ich wernte setzte nichts auf Spiel, gewonnenes. Ich hatt wollte – – –«

»Nein, nein, und damit gut!« unterbrach ihn Schwarz.

Der Kleine wandte sich enttäuscht ab. Die andern sahen sein betrübtes Gesicht und fragten, da sie das deutsche Gespräch nicht verstanden hatten, was es gegeben habe. Er sagte es ihnen. Als der »Sohn des Geheimnisses« hörte, was die beiden Deutschen vorhatten, wollte er sich ihnen anschließen, da es sich um seinen Vater handelte. Auch er wurde abgewiesen.

Nach einiger Zeit sollte Fleisch für die Soldaten geholt werden und zugleich der Speck zur Rußfabrikation. Der Slowak erhielt den Auftrag, mit einigen Asakern auf die Höhe zu steigen, um das Verlangte zu bringen. Der »Sohn des Geheimnisses« und der Hadschi erhielten von ihm einen Wink und gingen infolgedessen mit.

Sie ließen die Asaker etwas voransteigen, um nicht von ihnen gehört zu werden, und der Kleine sagte:

»Warum sollen nicht auch wir uns als Neger verkleiden? Ist nicht der Elefantenjäger dein Vater? Und hast du nicht zu allererst die Verpflichtung, ihn zu befreien?«

Es war bei ihm die reine Abenteuerlust, welche ihn veranlaßte, sich gegen das erhaltene Verbot aufzulehnen. Abd es Sirr hingegen wurde von der kindlichen Liebe getrieben, ihm bei zustimmen. Der Hadschi seinerseits war stets bereit das zu thun, was sein Freund that. Als dieser letztere sich dieses Einverständnisses versichert hatte, fuhr er fort:

»Was hindert uns also, auch Ruß aus Speck zu machen und uns in Schwarze zu verwandeln. Wir warten, bis der 'Vater des Storches' mit dem 'Vater der vier Augen' verschwunden ist, schwärzen uns auch an und folgen ihnen nach.«

»Aber wo wollen wir für uns Ruß machen, ohne daß es entdeckt wird?« fragte der stets bedächtige »Sohn des Geheimnisses«.

»Da, wo der andre gemacht wird. Die beiden Herren machen ihn gewiß nicht selbst, sondern ich werde dafür sorgen, daß sie mich damit beauftragen. Dann mache ich so viel, daß für uns genug übrig bleibt. Auch wir sind Helden und wollen nicht thatenlos in der Nähe unsrer Feinde liegen.«

»Nein, Helden sind wir nicht,« antwortete Abd es Sirr. »Wir können uns nicht mit unsern beiden Anführern vergleichen; aber mein Vater ist gefangen; er befindet sich in Todesgefahr, und so ist es meine Pflicht, ihm beizustehen. Ihr werdet mir helfen, aber keinem Menschen etwas davon verraten.«

Und nun besprachen sie sich weiter, bis eine regelrechte Verschwörung gegen ihre Vorgesetzten zu stande kam.

Droben lagen die in Palmenfasermatten gewickelten Fleischvorräte, von denen so viel aufgepackt wurde, wie man zu brauchen gedachte.

Eine hohle Kürbisschale wurde mitgenommen, in welcher der Speck gebrannt werden sollte. Als das Fleisch unten angekommen war, wurde zunächst ein großes Feuer angebrannt, an welchem der Braten hergestellt werden sollte. Dann erbot der »Vater der elf Haare« sich, den Ruß herzustellen, und er war so glücklich, die Erlaubnis dazu zu erhalten. Er machte sich auf die Seite und errichtete ein kleineres Feuer, über welchem er den Speck an eingesteckte Zweige hing, um das Fett in den Kürbis tropfen zu lassen. Als dies geschehen war, setzte er denselben auf die Erde, brannte das Fett an, steckte mehrere Äste senkrecht in die Erde und breitete eine der Matten darüber aus. Die Matte fing den schwarzen Qualm auf, welcher sich als Ruß ansetzte. Nach Verlauf einer Stunde war so viel Schwärzstoff vorhanden, daß man mit Hilfe desselben zehn Weiße in Neger hätte verwandeln können.

Indessen war Schwarz auf die Höhe gestiegen, um den dort Kommandierenden zu erzählen, welchen Erfolg seine Unterredung mit Abu el Mot gehabt hatte, und ihnen neue Weisungen zu geben. Die hauptsächlichste derselben war, nicht zu schießen, möge unten geschehen, was da wolle, außer wenn er ihnen den Befehl dazu durch einen Boten erteile.

Als er dann wieder herunterkam, machte er sich auf, um Wasser zu suchen, welches ihm und seinen Soldaten nötig war. Es gelang ihm, nicht weit vom Standorte derselben, den Abfluß des Grabens zu finden, dessen Wasser innerhalb der Schlucht in dem schon erwähnten Loche verschwand. Nun war man für die nächste Zeit mit allem Nötigen versorgt.

Der Vormittag verging und ebenso auch der Nachmittag, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete. Die Leute Abu el Mots verhielten sich sehr ruhig. Sie hatten sich weiter als vorher nach hinten gezogen und schienen sich um die Belagerer nicht zu bekümmern. Die Anführer der Sklavenkarawane sannen auf Rettung und konnten doch auf keinen Plan kommen, welcher Hoffnung auf Erfolg erregt hätte.

So wurde es Abend. In der Schlucht, ungefähr in der Mitte derselben, brannte man ein Feuer an, welches von dürren Palmenwedeln, deren es eine ganze Menge gab, genährt wurde. Da kamen Lobo und Tolo, die beiden Belandaneger, von oben herabgestiegen. Als Schwarz sie fragte, in welcher Absicht sie die Höhe verlassen hätten, antwortete der erstere:

»Lobo und Tolo sein Belanda; arm Neger aus Ombula sein auch Belanda. Lobo und Tolo wollen gehen, um Belandafreunde zu trösten und ihnen helfen, wenn in Gefahr.«

»Wie? Ihr wollt hinein in die Schlucht?«

»Ja, gehen in Schlucht.«

»Man wird euch erwischen!«

»Nicht erwischen. Abend sein schwarz; Schlucht sein schwarz, und Lobo und Tolo auch schwarz; man sie gar nicht sehen. Wenn nicht erhalten Erlaubnis, dann sie beide sehr weinen.«

»Aber ihr seid verloren, wenn man euch sieht! Bedenkt, daß ihr Abd el Mot entflohen seid! Und man muß euch ja sehen.«

»Wir uns schleichen zu Gefangenen, und man uns gar nicht beachten. Wir mithaben scharf Messer und losschneiden Strick von Gefangenen.«

Als Schwarz dieses letztere hörte, kam ihm der Plan dieser beiden, welche ihr Leben für ihre Landsleute wagen wollten, gar nicht mehr so zwecklos vor wie vorher. Er überlegte, besprach sich kurze Zeit mit Pfotenhauer und gab den Bittstellern dann den Bescheid:

»Gut, ich habe nichts dagegen; aber ihr müßt euch genau so verhalten, wie ich es euch vorschreibe.«

»Lobo und Tolo alles thun, was guter, weißer Herr befehlen!«

»Ihr schleicht euch also zu euern Landsleuten und befreit sie von ihren Banden; sie müssen aber diese Fesseln scheinbar weiter tragen, damit die Wächter nichts bemerken. Sobald ihr nun von hier aus einen Schuß hört, haben alle ihre Stricke und Gabeln abzuwerfen und nach dem Ausgange zu fliehen. Verstanden?«

»Haben verstanden.«

»Jetzt will ich aber erst einmal durch das Loch kriechen, um mich zu überzeugen, wie weit der Weg für euch frei ist.«

»Nein! Nicht Herr, sondern Lobo kriechen durch Loch. Lobo sein schwarz und können gut kriechen; sein auch schon auf Seribah krochen bis an Haus von Abd el Mot.«

Schwarz wußte das und traute dem Neger zu, seine Sache gut zu machen. Darum gab er ihm die Erlaubnis, und Lobo verschwand in der Lücke des Verhaues. Drinnen konnte er nicht leicht gesehen werden, da Schwarz beim Anbruch des Abends das Feuer hatte verlöschen lassen und der Eingang also in tiefem Dunkel lag. Nach ungefähr einer Viertelstunde kehrte er zurück und meldete:

»Sein alles gut. Arm Belanda ganz hinten. Dann die Jäger. In der Mitte Feuer. Rechts oben auf dann Zelt von Abu el Mot. Dann nur sechs Jäger, nicht weit von hier; sollen aufpassen auf uns. Sitzen aber nebeneinander auf Erde und erzählen. Lobo zweimal an ihnen vorüber, ohne ihn sehen. Dürfen Lobo mit Tolo nun fort?«

»Ja, geht in Gottes Namen; aber seid vorsichtig, macht keine Dummheiten und thut genau so, wie ich euch gesagt habe!«

Sie krochen durch das Loch, und nun lauschten die Zurückgebliebenen mit Spannung, ob vielleicht irgend ein Lärm verraten werde, daß die kühnen Neger erwischt worden seien; aber es herrschte nach wie vor die tiefste Stille in der Schlucht.

»Das sind nun zwei lebende Beispiele von den verachteten Menschen, denen man in Europa nachsagt, daß sie fast auf der Stufe der Tiere stehen,« sagte Schwarz. »Unter tausend Weißen würde sich wohl kaum einer finden, der für seine Landsleute das wagte, was diese beiden wackern Kerls riskieren. Doch ich denke, daß es nun auch Zeit für uns geworden ist. Wollen wir unsre Umwandlung vornehmen?«

»Ja,« antwortete Pfotenhauer. »Jetzt sind wir wohl noch ziemlich sicher. Wann die da drin je vermuten, daß wir etwas vornehmen, so meinen sie g'wiß, daß es zu späterer Zeit g'schehen wird. Gehen wir also ans Werk.«

Sie ließen sich von dem Slowaken die schwarze Matte kommen, zogen sich aus und legten jeder nur einen Schurz um die Lenden. Der ganze übrige Körper wurde mit Ruß geschwärzt. Der »Vater des Storches« sah schrecklich aus. Ganz abgesehen von seinem langen, grauen Vollbarte, welcher natürlich auch eingerußt worden war, hatte sicher, so lange die Erde steht, noch kein Neger eine solche Nase gehabt wie dieser imitierte Mohr. Nun steckten die beiden ihre Messer und Revolver in die Schürze und verschwanden durch das Loch.

Kaum waren sie fort, so brachte der Slowak eine zweite Rußmatte herbei, welche er gefertigt und versteckt hatte, als Schwarz oben auf dem Berg gewesen war. Er, der Hadschi Ali und der »Sohn des Geheimnisses« zogen sich auch aus und rieben sich ein. Der Hauptmann der Asaker, welcher sich nun hier für den Kommandierenden hielt, fragte, was sie vorhätten. Der »Vater der elf Haare« beruhigte ihn mit der Versicherung, daß sie im Auftrage der beiden Deutschen handelten, denen sie schnell nachfolgen sollten. Dann krochen auch sie durch das Loch.

Als Schwarz und Pfotenhauer sich jenseits des Verhaues befanden, legten sie sich auf die Erde nieder und schoben sich leise und langsam auf derselben hin. Sie waren noch nicht weit gekommen, so erblickten sie vor sich die sechs Wächter, von denen Lobo gesprochen hatte. Sie wendeten sich also mehr nach rechts und kamen glücklich vorüber. Die schwarze Farbe war ein vortrefflicher Schutz für sie.

Sie krochen den Damm hinauf, auf welchem das Zelt Abu el Mots stand. Dieses wollten sie erreichen, da sie glaubten, daß sich in der Nähe desselben die beiden befänden, die sie retten wollten.

Unten zur linken Hand, aber weiter vorwärts, brannte das Feuer. Zwischen diesem und dem Eingange lagerten nur die erwähnten Wächter. Am Feuer aber und weiter rückwärts hatten es sich die Sklavenjäger bequem gemacht. Noch weiter hinten, wo sich die Sklaven befanden, war es dunkel.

Über den beiden Deutschen rauschten leise die Wipfel der Palmen. Vor sich erblickten sie etwas Helles, was vom düstern Felsen abstach. Es war das gesuchte Zelt. Sie erreichten es, ohne durch einen Menschen oder etwas andres gestört worden zu sein. Das Gerüste des Zeltes bestand aus einer langen Mittel- und zwölf Seitenstangen, welche unten rund im Kreise in die Erde gesteckt und oben mit der ersteren verbunden waren. Darüber hatte man die helle Leinwand gezogen. Vorn, dem Feuer zu, befand sich der Eingang. Hinten war die Leinwand nicht wie vorn gerade an den Stangen mit Pflöcken in die Erde befestigt worden, sondern man hatte mehrere vielleicht drei Fuß hohe Hölzer ein- und Latten darüber geschlagen und den untern Saum des Zelttuches darauf gelegt. Dadurch war ein an die Felswand stoßender, niedriger und bedeckter Raum entstanden, in dem man allerlei Gegenstände aufbewahren konnte, welche in der Mitte des Zeltes im Wege gewesen wären.

Im Innern des letzteren erklang eine Stimme; eine andre antwortete darauf.

»Das ist Abu el Mot mit Abd el Mot,« flüsterte Schwarz, welcher hart am Zelte lag.

»Hab' sie auch an der Stimm' erkannt,« antwortete Pfotenhauer. »Diese Kerls müssen doch ganz sicher sein, daß wir nix zu unternehmen wagen, da sie nicht mal Wache vor der Thür haben.«

»Sie verlassen sich darauf, daß sie zwei Geiseln besitzen. Horch!«

Wieder hörte man die Grabesstimme Abu el Mots. Darauf erklang eine andre, welche aber nicht Abd el Mot angehörte.

»Gott, das war mein Bruder!« hauchte Schwarz. »Die Gefangenen befinden sich also bei ihm!«

»Welch ein Glück! Schnell, holen wir sie heraus!«

»Nur langsam! Erst rekognoscieren, sehen, hören und dann handeln. Folgen Sie mir, und thun Sie nur das, was ich vorher thue. Vermeiden Sie aber vor allem selbst das geringste Geräusch, sonst sind wir verloren, und zwar nicht nur wir allein!«

Er hob das Zelttuch da, wo es nach hinten wagrecht auf den Latten lag, ein wenig empor und sah hinein. Vor sich hatte er einen dunkeln, niedrigen Raum; aber weiter nach vorn war es hell. Einige Pakete lagen seitwärts unter dem Tuche. Im Zelte saßen vier Menschen, von denen er aber jetzt nur die Beine und den Unterleib erblickte.

»Kommen Sie!« raunte er dem Gefährten zu; »aber um Gottes willen leise, ganz leise!«

Er schob sich vorwärts, unter das Tuch und die Latten hinein. Pfotenhauer that an seiner Seite dasselbe. Nun erreichten ihre Gesichter fast die Stelle, an welcher das Tuch auf den Zeltstangen lag und also nun nach oben gerichtet war. Schwarz lugte vorsichtig hervor. Sein geschwärztes Gesicht blieb noch im Schatten und war also nicht zu sehen. Er erblickte die vier anwesenden Personen genau.

Sein Bruder und der Elefantenjäger saßen an der Mittelstange, an welche sie angehängt waren. Man hatte ihnen die Füße zusammen- und die Hände auf den Rücken gebunden. Zu ihrer Rechten saß Abd el Mot, zu ihrer Linken, mit dem Rücken nach Schwarz gewendet, Abu el Mot. Eben sagte dieser letztere:

»Allah soll mich strafen, wenn ich euch täusche. Wir befinden uns ganz allein hier und werden morgen aufbrechen, um nach meiner Seribah zu ziehen.«

»Lüge nicht!« antwortete Joseph Schwarz. »Wenn du nach deiner Seribah willst, warum hast du da den Umweg nach dieser Schlucht eingeschlagen?«

»Bin ich euch etwa Rechenschaft von meinem Thun und Lassen schuldig?«

»Vielleicht kommt die Zeit, in welcher wir diese Rechenschaft fordern. Ich meine sogar, daß diese Zeit sehr nahe ist.«

»Meine, was du willst! Ich lache darüber.«

»Dein sorgenvolles Gesicht sieht nicht wie Lachen aus. Heute früh befandest du dich in besserer Stimmung. Warum warst du heute so viel strenger gegen uns? Warum sollen wir hier in dem erbeuteten Zelte schlafen, was noch nie geschehen ist? Du willst uns ganz sicher haben, und so vermute ich mit Recht, daß jemand hier ist, der uns befreien will.«

»Ah! Wer sollte das sein?«

»Mein Bruder.«

»Hund! Wer hat dir das verraten?« fuhr der Alte auf.

»Verraten? Du selbst hast dich jetzt verraten! Also ist meine Vermutung richtig. Du kannst meinen Bruder vorher nicht gesehen haben. Du hast nichts von ihm gewußt. Nun plötzlich kennst du ihn. Er ist also da und hat uns von dir gefordert. Und er ist nicht allein da, sonst hättest du auch ihn ergriffen, als er mit dir sprach. Er hat Leute bei sich, mehr Leute, als du hast. Ich bin also gerettet!«

»Juble nicht! Ich töte euch lieber, als daß ich euch freigebe!«

»Pah! Da kennst du meinen Bruder nicht. Er wiegt hundert Kerle deiner Art auf.«

»Gieb ihm doch das Messer in den Leib!« forderte Abd el Mot seinen Vorgesetzten auf. »Wie kannst du dich von einem Giaur verhöhnen lassen?«

»Schweig!« antwortete der Alte. »Ich weiß selbst, was ich zu thun habe. Was sitzest du da und gibst mir gute Lehren! Gehe lieber hinaus und sieh nach, ob die Wachen ihre Schuldigkeit thun. Schlafen sie etwa, so laß sie peitschen!«

Abd el Mot stand auf und entfernte sich brummend. Man hörte ihn die Richtung auf dem Damme einschlagen, aus welcher Schwarz und Pfotenhauer gekommen waren.

Abu el Mot hielt seine Augen drohend auf seine Gefangenen gerichtet und fragte:

»Wer hat euch verraten, daß dein Bruder da ist? Einer meiner Leute muß es gewesen sein.«

»Ich nenne ihn dir nicht.«

»Du wirst es mir sagen, sonst laß ich dir die Bastonnade geben!«

»Wage es! Ich lasse dich dafür zu Tode peitschen.«

»Wann? Wenn dich der Scheitan in die Hölle entführt hat? Das wird vielleicht noch in dieser Nacht geschehen.«

»Im Gegenteile! Wie ich meinen Bruder kenne, werden wir in dieser Nacht unsre Freiheit erhalten.«

»Von wem?«

»Von mir,« ertönte es hinter ihm.

Emil Schwarz hatte sich weiter vorgeschoben, so daß er sich hinter Abu el Mot aufrichten konnte. Dieser erschrak, als er die Stimme hinter sich hörte, und wollte sich hastig umdrehen, wurde aber von zwei Händen so fest an der Kehle gepackt, daß ihm der Atem verging und er vor Todesangst mit den Beinen um sich schlug.

Pfotenhauer kroch auch schnell hervor. Die beiden Gefangenen erblickten zwei schwarze, fast unbekleidete Gestalten, auf welche der Schein der Fettlampe fiel, die von einer der Zeltstangen herniederhing. Zwei Neger, aber mit langen Bärten! Der eine mit einer Riesennase, welche Joseph Schwarz trotz ihren dunkeln Farbe sofort erkannte. Auch die Stimme des andern hatte er erkannt, obgleich derselbe nur zwei einsilbige Worte gesprochen hatte.

»Emil, du! Pfotenhauer! Ist es möglich! So schnell!« rief er aus.

»Leise, leise!« warnte sein Bruder. »Pfotenhauer, schneiden Sie die beiden los! Ich habe hier mit dem Alten zu thun.«

Er hielt Abu el Mot mit der einen Hand noch immer beim Halse und versetzte ihm mit der andern Faust mehrere Schläge gegen den Kopf, bis er sich nicht mehr rührte.

»So, das nenne ich ein Glück!« sagte er dann. »Ich habe nicht nur euch, sondern auch diesen Halunken. Das bedeutet einen unblutigen Sieg, denn nun muß sich die Karawane ergeben. Kriecht hier hinter mir hinaus. Vorn dürfen wir uns nicht sehen lassen, sonst haben wir die Verfolger sofort auf den Fersen!«

Er kroch an derselben Stelle, an welcher er in das Zelt gekommen war, wieder hinaus und zog Abu el Mot hinter sich her. Die andern folgten ihm, denn Pfotenhauer hatte die Gefangenen losgeschnitten. Diese holten laut und tief Atem, und reckten und dehnten die maltraitierten Glieder.

»Gott sei Dank, endlich, endlich frei! Emil, Pfotenhauer, das vergesse ich euch nie!«

»Still jetzt!« mahnte sein Bruder. »Noch sind wir nicht in Sicherheit. Der Schein des Feuers dringt bis hier herauf. Legt euch zur Erde! Wir müssen kriechen, zumal da ihr beide helle Kleider habt. Helft mir den Alten schieben!«

Sie krochen nach dem Eingange hin. Dabei zog Emil Schwarz, welcher voran war, den besinnungslosen Abu el Mot hinter sich her, und die andern schoben. Sie waren noch nicht weit gekommen, da ertönte von der Stelle her, an welcher die sechs Wächter saßen, eine laute Stimme:

»Wakkif, la lakuddam, imsik – halt, nicht weiter, haltet ihn fest!«

Mehrere Stimmen fielen ein, und ein Schuß krachte. Zugleich sahen sie eine Strecke vor sich mehrere Gestalten, welche etwas Schweres, Helles trugen und dem Ausgange zustrebten.

»Was ist das?« fragte Emil Schwarz. »Da unten kommen die Wächter. Sie wollen herauf. Wer sind die da vorn? Ah, mir ahnt es! Der Slowak wollte sich auch färben. Joseph, Sejad ifjal, nehmt den Alten, und rennt nach dem Eingange. Dort ist ein Loch, durch welches ihr kriechen könnt. Draußen sind unsre Soldaten. Pfotenhauer, heraus mit dem Messer und den Revolvern; mir schnell nach auf die Wächter!«

Er rannte vom Damme hinab, und der »Vater des Storches« folgte ihm auf dem Fuße. Vorn krachten zwei Pistolenschüsse. Die Wächter, welche sich bereits in der Nähe des Verhaues befanden, wichen zurück. Sie sahen zwei Schwarze auf sich zukommen und hielten sie für Freunde.

»Helft!« rief einer der Wächter ihnen zu. »Die Feinde sind eingebrochen. Dort fliehen sie wieder hinaus. Sie haben einen von uns gefangen. Und – oh Allah, dort, da oben laufen auch zwei, welche einen tragen.«

»Lauft auch ihr, ihr Halunken!« antwortete Schwarz, indem er den Sprecher niederschlug, einem zweiten Wächter einen Hieb gegen den Kopf versetzte, daß er zur Seite taumelte und sich dann auf den dritten warf.

Da er nicht schoß, so schoß auch Pfotenhauer nicht. Es sollte möglichst kein Blut vergossen werden. Er faßte also nach der Flinte des vierten, dem einzigen Gewehre, welches die Wächter bei sich zu haben schienen, entriß es ihm und stieß ihn mit dem Kolben nieder. Er wollte sich gegen den fünften wenden, aber dieser und der sechste rannten bereits dem Feuer zu. Nummer eins bis vier rafften sich auch auf und schossen eiligst davon. Aber jetzt erhob sich im Hintergrunde der Schlucht ein wahrhaft entsetzliches Geheul, als ob alle möglichen wilden Tiere sich zu einem Satanskonzerte zusammengefunden hätten.

»Herrgott, die Sklaven sind los!« rief Schwarz. »Die Schüsse, die Schüsse! Ich hatte zu Lobo gesagt, daß ein Schuß das Zeichen sein werde, daß die Gefangenen nach dem Ausgange fliehen sollten. Ich befürchte, es kommt anders. Sie fliehen nicht, sondern fallen über ihre Peiniger her. Welch ein fürchterliches Massakre wird das geben! Kommen Sie hinaus zu unsern Leuten, welche nicht wissen werden, wie sie sich zu verhalten haben. Dort werden wir wohl auch weitere Erklärung finden.«

Diese Erklärung war nun folgende:

Als der unternehmende »Vater der elf Haare«, ganz erpicht darauf, einmal auf eigene Rechnung den Helden zu spielen, das Loch passiert hatte, wendete er sich, gerade wie vor ihm Schwarz und Pfotenhauer, nach rechts, dem Damme zu. Sie krochen denselben hinauf und kamen gerade oben an, als Abd el Mot vom Zelte her an derselben Stelle anlangte. Der kleine Slowak richtete sich auf und fragte ihn:

»Wer bist du?«

»Ich bin Abd el Mot. Und ihr, was treibt ihr schwarzen Hunde euch hier umher! Ich werde – – –«

Er konnte seine Drohung nicht vollenden, denn der Kleine sprang ihm an die Kehle, krallte ihm beide Hände um den Hals, drückte denselben aus Leibeskräften zusammen, riß den Gegner zu Boden und sagte zu seinen zwei Gefährten:

»Haltet ihn; ich hämmere ihm den Kopf.«

Das hatte natürlich nicht geschehen können, ohne daß die Wächter darauf aufmerksam wurden. Sie erhoben sich von der Erde und schauten nach der betreffenden Stelle. Abd el Mot hatte wirklich die Besinnung verloren.

»Das ist ein Fang!« meinte der Kleine. »Schleifen wir ihn nach dem Loche. Dann kehren wir zurück.«

Sie faßten den Ohnmächtigen an und zogen ihn fort. Als die Wächter das sahen, rief einer von ihnen die Gruppe an, und da dies keinen Erfolg hatte, so schoß er sein Gewehr ab, glücklicherweise ohne daß die Kugel traf. Nun rannten die sechs Sklavenjäger den dreien nach. Diese letzteren aber waren trotz ihrer Last so behend, daß sie eher am Verhau ankamen. Die Verfolger kehrten also um und rannten gegen Schwarz und Pfotenhauer, um von diesen noch viel energischer in die Flucht getrieben zu werden.

Als die beiden letztgenannten dann auch die Lücke passiert hatten, gebot Schwarz, schnell das Feuer anzuzünden. Der Slowak erkannte ihn an der Stimme und rief triumphierend:

»Seinte Sie auch schonte da? Hatt wohl nichts gefangte? Ich hatt gefangte einen Feind, berühmten und geklopfte ohnmächtigen.«

»Wen denn?« fragte Schwarz.

»Abd el Mot. Wernte gehen wieder und fangte auch Abu el Mot, miserabligten.«

»Sind Sie bei Troste?«

»Ich hatt viel Getroste und viel Verwegtenheit. Ich hatt ihn packte bei Gurgel, atemholigter, und ihn würgte bis ohne Besinnigtung und ihn schaffte dann hieher.«

»Ist das möglich! Du hättest wirklich Abd el Mot?«

»Sie kann glaubte es. Es seinte Abd el Mot, wirklichter und wahrhaftigkeitlichter.«

»Teufelskerl! Das konnte dir und uns auch schlecht bekommen. Hörst du das Brüllen und Heulen da hinten in der Schlucht? Daran bist du allein schuld! Macht schnell Feuer!«

Die Flamme leuchtete auf. Ihr Schein fiel auf das Gesicht Abd el Mots. Die drei, welche ihn gefangen hatten, standen neben ihm. Der »Sohn des Geheimnisses« sah das Gesicht mit den jetzt geschlossenen Augen, das einzige Gesicht, welches sein Gedächtnis aus früher Jugendzeit festgehalten hatte.

»Ebrid Ben Lafsa el Bagirmi!« schrie er auf. »Ich erkenne ihn; er ist es; er ist Ebrid Ben Lafsa, der von meinem Vater gefunden und gerettet wurde!«

Da rief eine Stimme in der Nähe:

»Wer ruft diesen verfluchten Namen? Wer von euch kann ihn kennen?«

Es war der Elefantenjäger, welcher diese Frage aussprach. Der »Sohn des Geheimnisses« blickte ihm starr in das Gesicht und antwortete:

»Ich bin's gewesen. Wer aber bist du? Bist du etwa der Mann, den sie Sejad ifjal, den Elefantenjäger nennen? Bist du Barak el Kasi, der Emir von Kenadem?«

»Ich bin es.«

»Oh Allah, Allah, Allah! Er ist's, mein Vater, mein Vater!«

Die frühere Furcht vor seinem Vater, die Abneigung gegen denselben, welche er zuweilen geäußert hatte, war plötzlich verschwunden. Er flog auf ihn zu und warf sich an seine Brust.

»Du – – du mein Sohn? Wäre es möglich? Thäte Allah mir zuliebe solch ein Wunder?« fragte der Emir ganz fassungslos.

»Ich bin es, ich bin es. Glaube es doch nur gleich! Später werde ich es dir erklären.«

»Ich glaube es; ich glaube es gern! Hamdulillah! Nun bin ich nicht mehr Bala-Ibn, der 'Vater ohne Sohn'. Nun ist mir die Heimat nicht mehr verschlossen; mein Schwur ist erfüllt, und ich darf zurückkehren in das Land meiner Väter und nach Kenadem, der Heimat meiner Familie!«

»Ja, nach Kenadem, nach Kenadem! Nimm mich mit! Warst du Bala-Ibn, so war ich Bala-Ab, der 'Sohn ohne Vater'. Nun haben wir uns gefunden; nun haben wir uns wieder, und nichts, nichts soll uns mehr trennen!«

Die beiden hielten sich umschlungen und hatten weder Auge noch Ohr für die übrigen. Diese Scene hätte zu einer andern Stunde gewiß das Mitgefühl aller auf das lebhafteste in Anspruch genommen; jetzt aber war man zu sehr mit andrem beschäftigt.

Sobald die Flamme hell genug aufloderte, daß man sich gegenseitig erkennen konnte, eilte Emil Schwarz auf seinen Bruder zu, um ihn zu umarmen, wozu bis jetzt keine Zeit gewesen war. Er drückte ihn an sich, küßte ihn wiederholt herzlich, drückte ihn abermals an sich, schob ihn dann von sich ab, um das liebe Gesicht recht deutlich vor sich zu haben, rief aber erschrocken aus:

»Alle Wetter, Joseph, was ist mit dir? Wie siehst du aus?«

»Wie soll ich denn aussehen? Doch wohl wie sonst, wie gewöhnlich!« antwortete Joseph, der vor den Zärtlichkeiten Emils noch gar nicht zu Worte hatte kommen können.

»Nein, ganz und gar nicht wie sonst. Diese Faulflecke hast du früher nicht in deinem Gesicht gehabt. Du scheinst bei diesem Abd el Mot eine ganz verwahrloste Behandlung – – –«

»Ist es das?« unterbrach ihn der Bruder lachend. »Hat dieser Mensch sich das Gesicht und den ganzen Körper mit Ruß bestrichen, umarmt und küßt mich ein Dutzendmal und wundert sich dann noch, daß ich schwarzfleckig geworden bin! Kerl, das ist stark!«

»Ah, ja! Ich hab' vor Entzücken über das Wiedersehen und deine Rettung den ganzen Ruß vergessen. Da steht unser Pfotenhauer. Sehe ich etwa auch so schrecklich aus wie er?«

Da drängte sich der »Vater der elf Haare« herbei und rief:

»Schaunte an auch Gesicht, meinigtes. Seinte ich nicht auch Neger, schwarzer und wirklicher?«

Schwarz und Pfotenhauer brachen in ein wirklich erschütterndes Gelächter aus, was bei dem Aussehen des Kleinen auch gar kein Wunder war. Und nun schob sich der »Vater des Gelächters« heran, zog sein geschwärztes Gesicht in die lächerlichsten Falten und sagte:

»Auch ich war dabei, Hadschi Ali; ich habe diesen Abd el Mot mit gefangen genommen.«

»Ihr beide also. Aber ich habe ja drei Personen gesehen. Wer war denn der dritte?«

»Abd es Sirr, welcher dort steht.«

Er deutete nach der Stelle, auf welcher der Genannte sich befand. Sein Vater hatte ihn bei den Schultern gefaßt, hielt ihn weit von sich ab und rief eben jetzt im Tone schmerzlichster Enttäuschung aus:

»Ich habe von Aswad, meinem Freunde erfahren, daß ich meinen Sohn finden werde. Du gabst dich für denselben aus und da das Feuer noch nicht hell brannte, so erkannte ich dein Gesicht nicht deutlich und glaubte dir. Nun aber sehe ich, daß du dich täuschest. Du bist ein Neger; mein Sohn aber trägt das reinste arabische Blut in seinen Adern. Seine Farbe muß heller als die meinige sein.«

»Das ist sie auch,« erklärte Emil Schwarz. »Er hat sich mit Ruß bestrichen, um als Neger sich zu dir zu schleichen und dich zu retten.«

»Wie?« fragte der Emir. »Das thatest du? In solche Gefahr begabst du dich, um deinen Vater zu befreien? Nun gibt es keinen Zweifel mehr; du bist mein Sohn. Allah hat dich mit der Kühnheit deines Vaters ausgezeichnet. Komm nochmals an mein Herz!«

Er wollte ihn abermals umarmen, ließ ihn aber los, that einen Sprung zur Seite und rief:

»Halt, da will einer fliehen, gerade der 'Sohn der Hölle', dem wir alles Leid verdanken! Bleib bei uns, Hund, daß ich dich unter meinen Füßen zertreten kann wie einen Akrab, dessen Gift den Getroffenen tötet!«

Abd el Mot war wieder zu sich gekommen, hatte bemerkt, daß er gerade jetzt nicht beobachtet wurde, und diese Gelegenheit benutzt, sich davonschleichen zu wollen. Der Emir ergriff ihn und warf ihn mit solcher Gewalt zu Boden, daß man hätte meinen mögen, es seien ihm alle Knochen zerbrochen.

»Ja, wollen nicht nachlässig sein,« meinte Emil Schwarz. »Diese beiden Kerls sind zu kostbar für uns, als daß es uns einfallen sollte, ihnen Gelegenheit zum Entkommen zu geben. Bindet sie fest, meinetwegen so fest, daß ihnen das Blut aus den Gliedern spritzt! Aber horcht doch nach dort hinten! Dort geht es schrecklich her. Ich glaube, da hält die Vergeltung eine entsetzliche Ernte.«

Das Brüllen und Heulen war jetzt so stark geworden, daß man gar nicht vermochte, einzelne Stimmen und Töne zu unterscheiden. Wenn man durch die Lücke des Verhaues blickte, so sah man nichts als dunkle, gespenstige Schatten, welche einander am hell lodernden Feuer vorüberjagten.

Man hatte bis jetzt zu sehr mit sich selbst zu thun gehabt; nun aber richtete man die Aufmerksamkeit auf das, was in der Schlucht vorging. Deutlich freilich konnte man nichts erkennen, doch außer jenen zahlreichen, bewegten heulenden Schatten sah man zuweilen zwei Gestalten näher kommen, von denen die eine die andre jagte. Das Resultat war stets, daß die eine zu Boden geschlagen wurde und die andre dann in eiligem Laufe nach dem Kampfplatze zurückkehrte.

»Was sollen wir thun? Müssen wir nicht eingreifen?« fragte Pfotenhauer.

»Das würde vergeblich sein,« antwortete Joseph Schwarz. »Ist der Neger einmal losgelassen, so läßt er sich nicht eher wieder anketten, bis seine Kraft aufgerieben ist.«

»Übrigens würden wir das Übel ärger machen, da es für uns ganz unmöglich ist, den Freund vom Feinde zu unterscheiden.«

Er hatte vollständig recht; das mußte man einsehen, und darum lagerte man sich um das Feuer, um den Ausgang des Kampfes abzuwarten.

Nach und nach wurde das Heulen schwächer. Nur vereinzelt noch ertönte ein schriller Todesschrei und der darauf folgende Jubelruf des Siegers. Endlich wurde es still, und man sah eine Masse schwarzer Gestalten, welche zusammengedrängt standen und wohl eine Beratung hielten. Eine derselben trennte sich vom Haufen, kam näher und kroch durch das Loch. Es war Lobo.

»Nun,« fragte Pfotenhauer, »was hast du zu berichten?«

»Tot,« antwortete der Schwarze einfach.

»Wer?«

»Alle.«

»Wen meinst du denn?«

»Alle Sklavenjäger. Lebt keiner mehr.«

»Entsetzlich! Das hatten wir freilich nicht beabsichtigt. Wie ist das denn gekommen?«

»Lobo schleichen mit Tolo hinein und werden nicht gesehen. Kommen zu arm, gut Belandaneger; alle gebunden, schneiden aber alle ab und warten. Da fallen ein Schuß und fallen noch zwei Schuß; nun also Zeit. Neger werfen weg Fesseln und stürzen sich auf Jäger, würgen sie mit Hand tot, erschlagen sie mit Sklavengabel, erstechen sie mit eigen Messer, bis tot sind, alle tot!«

»Das ist ja ein reines Abschlachten gewesen! Ein wahres Wunder, daß die Angegriffenen nicht Zuflucht bei uns gesucht haben.«

»Können nicht; Neger sich stellen in Weg, lassen nicht vorüber.«

»Aber euch muß es doch auch viele Opfer gekostet haben!«

»Viele tot auch und verwundet, sehr viele; aber Sklavenraub gerächt. Werden nicht wieder fangen arm Belandaneger!«

»Hat man dich zu uns geschickt?«

»Ja. Soll hergehen und sagen, daß Kampf zu Ende. Freund soll kommen und Hand drücken tapfer und dankbar Neger.«

»Wir werden kommen. Habt ihr jetzt sonst dringende Wünsche? Habt ihr Hunger?«

»Kein Hunger. Abu el Mot bei sich viel Fleisch und Mehl. Neger es tragen müssen, nun es essen werden.«

Er kehrte zu seinen Landsleuten zurück. Die Deutschen und ihre Freunde folgten ihm. Sie wurden von den Negern mit brausendem Jubel empfangen. Lobo hatte erzählt, was man diesen fremden Männern zu verdanken hatte. Die Beschreibung des Kampfplatzes ist geradezu unmöglich; er war eine Stätte des vollendeten Grauens und ganz unmöglich ein weiterer Aufenthalt für die Überlebenden. Auf den Rat der Weißen zogen die Neger, nachdem der Verhau beseitigt worden war, aus der Schlucht heraus aufs freie Feld, um dort zu kampieren. Man mußte Abu und Abd el Mot einstweilen vor ihnen verstecken, sonst wären beide zerrissen worden.

Natürlich bekümmerten sich die Weißen um das, was die befreiten Schwarzen nun zu thun beabsichtigten. Diese wollten früh aufbrechen und in die Heimat zurückkehren. Sie hatten schon jetzt alles, was die Karawane bei sich führte, auch die Tiere, mit sich aus der Schlucht genommen. Ganz so, wie Schwarz vermutet hatte, waren die geraubten Herden und alle andern nicht leicht beweglichen Gegenstände unter der Bedeckung von fünfzig Mann zurückgeblieben. Die Neger kannten den Ort und waren natürlich entschlossen, sich während des Rückmarsches wieder in den Besitz dieses ihres Eigentums zu setzen. Wehe dann den fünfzig Sklavenjägern! Sie waren verloren, besonders da die Schwarzen sich die Waffen der Jäger angeeignet hatten.

»Es ist wirklich grauenhaft,« sagte Emil Schwarz, als sie wieder am Feuer saßen. »Gegen fünfhundert Menschen tot! Aber die Sklavenjagden werden für lange Zeit eine Unterbrechung erleiden. Das ist die glückliche Folge dieser entsetzlichen Nacht.«

»Ich bedauere die Kerls nicht, denn ich bin ihr Gefangener gewesen,« antwortete sein Bruder. »Ich weiß, was für Teufels sie waren. Und wer hat sie dazu gemacht? Wer allein trägt die Schuld an dem heutigen Massenmorde? Die beiden Halunken, welche da bei uns liegen und gar noch die Frechheit haben, einander durch Blicke Zeichen zu geben, welche wir nicht verstehen.«

»Sie sind nicht wert, von uns angesehen zu werden. Bindet sie dort an den Baum, damit sie uns aus den Augen kommen!«

Sein Bruder wollte Einspruch erheben; Emil aber sagte ihm in deutscher Sprache, während sie sich jetzt der arabischen bedient hatten, so daß sie von den Gefangenen verstanden worden waren:

»Laß mich nur machen! Ich habe meine Absicht dabei. Ich bemerkte wohl, daß sie sich Winke geben, die wir nicht verstehen. Ich will aber wissen, was sie einander mitzuteilen haben. Schaffe sie also nach dem Baume und binde sie so an, daß sie sich nicht bewegen, wohl aber miteinander sprechen können. Ein Soldat soll sie bewachen, sich aber so entfernt von ihnen niedersetzen, daß sie wissen, er könne sie nicht hören. Indessen schleiche ich mich in ihre unmittelbare Nähe und belausche sie.«

»Dieser Plan ist nicht so übel. Also fort mit ihnen!«

Man hatte die Gefangenen erst vor den Negern versteckt, dann wieder an das Feuer bringen lassen. Jetzt wurden sie nach dem von Schwarz bezeichneten Baume geschafft, neben welchem ein Busch stand. Während man sie dort festband, kroch Schwarz hinzu und legte sich unter diesen Strauch. Er war ihnen so nahe, daß er sie mit dem Kopfe hätte stoßen können, mußte sie also verstehen, selbst wenn sie nur im Flüstertone sprachen. Übrigens durften sie, da sie an den einander entgegengesetzten Seiten des Baumes angebunden wurden, nicht allzu leise sprechen, wenn sie einander verstehen wollten. Bis hin zum Feuer konnten sie nicht blicken und also auch nicht sehen, daß Schwarz sich nicht mehr bei demselben befand. Der Wächter saß in der geeigneten Entfernung. Als sie nun glaubten, allein zu sein, sagte Abd el Mot leise:

»Welch ein Tag! Der unglücklichste meines Lebens. Heute ist die Hölle los, und diese Deutschen sind die Obersten des Teufels. Wie konntest du dich ergreifen lassen?«

»Und wie du dich?« antwortete Abu el Mot zornig.

»Es fielen auf dem Damme drei über mich her.«

»Und mich ergriffen sie gar im Zelte, in welches sie sich geschlichen hatten. Die Wächter müssen geschlafen haben. Nun sind sie tot und haben ihren Lohn. Allah lasse sie in Ewigkeit auf einer rollenden Kugel sitzen, daß sie nie mehr die Süßigkeit des Schlafes schmecken!«

Sie erzählten nun einander, wie es bei ihrer Ergreifung zugegangen war und dann zischte Abu el Mot in grimmig:

»Verflucht sei der Tag, an welchem ich mich entschloß, mit diesem 'Vater der vier Augen' anzubinden! Er ist ein Gelehrter, und da diese Leute ihren Verstand stets nur in den Büchern und nirgends sonst anders haben, so glaubte ich, leicht mit ihm fertig zu werden. Bei Allah, es ist ganz anders gekommen! Wäre er mir nur damals entgangen, so wollte ich nicht mehr daran denken; aber er ist mir gefolgt und hat mich vollständig zu Schanden gemacht.«

»Vollständig?«

»Ja.«

»Das nicht.«

»Gewiß! Ich bin verloren. Was bleibt mir noch?«

»Das Geld.«

»Habe ich es denn? Kann ich es mir holen? Und wenn ich es hätte, was könnte ich damit thun? Ich müßte diese ganze Gegend für immer meiden und mich nach einem so fernen Ort wenden, daß kein Mensch mich kennt und auch kein Bekannter hinkommen kann. Aber nicht einmal dies bleibt mir übrig.«

»Hältst du unsre Lage wirklich für so hoffnungslos?«

»Die meinige allerdings. Weißt du, was mit mir geschehen soll?«

»Nein.«

»Dieser deutsche Hund will mich dem Ali Effendi in Faschodah ausliefern.«

»Dem 'Vater der Fünfhundert'? Oh Allah! Thut er das wirklich, so bist du verloren.«

»Ja, ich werde einfach zu Tode gepeitscht wie meine Homr, welche der 'Vater der vier Augen' gefangen genommen und nach dort abgeliefert hatte.«

»Vielleicht ist's nur eine Drohung?«

»Nein, es ist sein völliger Ernst.«

»So ist noch immer Hoffnung vorhanden. Bis hinab nach Faschodah braucht man eine lange Zeit, und da wird sich wohl eine Gelegenheit zur Flucht ergeben.«

»Das glaube ja nicht! Man wird mich so gut verwahren und so unausgesetzt bewachen, daß an ein Entkommen nicht zu denken ist. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, die Freiheit wieder zu erlangen.«

»Welche?«

»Nicht unterwegs, sondern erst in Faschodah, wenn ich an den 'Vater der Fünfhundert' ausgeliefert worden bin. Er liebt die Gerechtigkeit, noch mehr aber das Geld. Verstehst du mich?«

»Ja. Du willst dich loskaufen. Dann aber mußt du ihm den Ort mitteilen, wo du es aufbewahrst!«

»Fällt mir nicht ein! Er würde es holen und mich dennoch totpeitschen lassen. Nein, ich bedarf eines Vertrauten, welcher ihn bezahlt, erst die Hälfte und dann, wenn ich frei bin, das übrige.«

»Dieser Vertraute fehlt dir aber.«

»Nein, ich habe ihn.«

»Wer ist es?«

»Du bist es.«

»Aber ich habe kein Geld und bin selbst gefangen.«

»O, dich wird man ein wenig prügeln und dann freilassen, denn du bist nur mein Untergebener gewesen und hast also nicht meine Verantwortung.«

»Denke an den Elefantenjäger! Es ist mehr als Blutrache, was er gegen mich hat.«

»Er hat seinen Sohn wieder und im Entzücken darüber wird er dir verzeihen. Bitte ihn nur demütig; weine und heuchle Reue! Dann stehen diese deutschen Christen dir sicher bei und legen ein gewichtiges Fürwort ein.«

»Ach, wenn sie das thäten, wäre ich allerdings gerettet! Dieser Rat ist gut.«

»Sie thun es gewiß, wenn du dich recht reumütig zeigst. Sage ihnen meinetwegen, daß du Christ werden willst. Glauben sie das, so bist du sicher frei. Dann gehst du nach der Seribah und holst das Geld.«

»Ich weiß nicht, wo es liegt.«

»Ich werde es dir sagen. Ich weiß, daß du mir treu bist, mich nicht betrügen und alles thun wirst, mich zu retten. Willst du mir das zuschwören?«

»Ich schwöre es bei mir und meinen Vätern, bei dem Barte des Propheten und aller Kalifen!«

»Das genügt. Ich habe dir vorhin, als wir am Feuer lagen, Zeichen gegeben. Hast du sie verstanden?«

»Nicht alle. Es war Geld gemeint; das übrige begriff ich nicht.«

»Jetzt kann ich es deutlich sagen und will es schnell thun, denn wir wissen nicht, wie bald man uns auseinander reißt. Als ich nach dem Brande die Seribah erreichte, hatte der Schech mit seinen Leuten schon sämtliche Trümmer durchsucht. Er ahnt, daß ich Geld vergraben habe. Wo sollte der Gewinn der vielen Jahre sonst stecken! An den richtigen Ort sind sie aber nicht gekommen und werden ihn auch nicht entdecken. Südwärts von der Umzäunung lagen des Nachts die Herden; dort brannte ein Feuer. Grabe unter der Feuerstätte nach, so wirst du auf vermeintlichen Felsen stoßen; es ist aber keiner, sondern Sand, Kalk und Lehm, gut gemischt und festgerammt. Unter dieser Schicht liegen sechs Daruf, wohlgefüllt mit lauter glänzenden Abu Noktah. Das ist mein Vermögen. Einer dieser Schläuche soll dein sein, wenn es dir gelingt, mich zu retten; doch darfst du – –«

»Und wenn er dich nicht retten will, so nimmt er wohl alle?« ertönte es neben ihm. »Aber weder du selbst noch er soll einen einzigen Abu Noktah haben, sondern ich werde sie holen und unter meine Leute verteilen, welche auch die Herden erhalten, die dein Feldwebel von der Seribah entführt hat.«

Schwarz war der Sprecher. Er richtete sich auf und ging nach dem Feuer, um nach einem zweiten Wächter zu senden, da die Gefangenen nun nicht mehr miteinander sprechen sollten.

Abu el Mot stieß einen Schrei des Entsetzens aus; dann senkte er den Kopf. Es war ihm genau so zu Mute, als ob er am Rande seines offenen Grabes sitze. – –

Am andern Morgen, kurz nachdem die Sonne aufgegangen war, traten die befreiten Belandaneger ihren Heimmarsch an. Glücklich, der Sklaverei entgangen zu sein, dachten sie doch mit Trauer der Ankunft in ihrer verwüsteten Heimat. Sie nahmen die Leichen ihrer Gefallenen mit, um sie bei und mit den Ermordeten in Ombula zu begraben. Ihr Abschied von ihren Rettern war ein außerordentlich bewegter.

Später zogen die Sieger ab, denselben Weg, den sie gekommen waren, da sie zu ihren Kähnen und Schiffen mußten. Die Leichen der Sklavenjäger ließ man liegen, ein Fraß für das Raubzeug der Lüfte und des Waldes. Abu und Abd el Mot wurden so gut bewacht, daß ihnen jede Hoffnung auf Entkommen schwand.

Auf den Schiffen hatte sich nichts ereignet. Man ging sofort an Bord, um zunächst nach dem Maijeh Husan el bahr zu fahren. Der König der Niam-niam fuhr mit seinen Booten und Leuten mit. Dort angekommen, wurden mehrere Stücke der dort zurückgelassenen Tiere geschlachtet. Die übrigen erhielt der Schech Abu en Nuhß, der »Vater der Hälfte«, als Belohnung für sich und seine Leute. Er nahm herzlichen Abschied von seinen Verbündeten und kehrte befriedigt in die Heimat zurück.

Das Geschwader fuhr dann flußabwärts nach der berüchtigten Seribah Abu el Mots. Dieser mußte dabei stehen, als man die Schläuche ausgrub und ihren Inhalt so verteilte, daß jeder mit seinem Betrage neidlos zufrieden war.

Nun ging es an das eigentliche Scheiden. Die Gebrüder Schwarz und ihr Freund Pfotenhauer mußten mit den Niamniam wieder südwärts. Sie wollten weiter forschen und sammeln, Emin Paschas Gebiet aufsuchen und dann über Sansibar in die Heimat gehen. Die andern fuhren nach Norden.

Abu und Abd el Mot wurden dem Elefantenjäger als dem sichersten und strengsten Hüter übergeben. Er wollte mit der Dahabiëh bis Faschodah fahren und dort Abu el Mot nebst dem Feldwebel und dessen Leuten dem »Vater der Fünfhundert« ausliefern. Von Abd el Mot aber erklärte er:

»Den nehme ich mit nach Kenadem. Dort hat er meinen Sohn geraubt, und dort soll ihn auch die Strafe Allahs treffen. Seit ich mein Kind wiedergefunden habe, ist mein Herz weich geworden; dieser Satan aber soll erkennen, daß ich gegen ihn noch derjenige sein kann, der ich früher war, nämlich 'Barak der Strenge', vor welchem jeder Ungehorsame erzittert.«

Emil Schwarz schrieb ihm seine Adresse auf und bat ihn, ihm einmal zu schreiben, wenn die Gelegenheit eine passende Verbindung biete. So war nun alles geordnet, und der Wadscha el wida mußte getrunken werden. Der Slowak und der »Vater des Gelächters« hatten gebeten, bei den Deutschen bleiben zu dürfen, und die Erlaubnis gern erhalten. Am schmerzlichsten war das Scheiden für den »Sohn des Geheimnisses« und den »Sohn der Treue«, doch ging auch das vorüber; dann segelten die Schiffe nach Norden, während die Ruderer der Niam-niam ihre Boote gen Süden trieben. Die Sklavenkarawane war vernichtet; die Sieger gingen nach verschiedenen Richtungen auseinander, und jeder nahm die Überzeugung mit, seine Pflicht gethan und dem Sklavenhandel, wenigstens in dieser Gegend, eine schwere Wunde beigebracht zu haben. Nur Hasab Murat dachte im stillen anders. Er hatte in Abu el Mot einen ihm gefährlichen Konkurrenten vernichten helfen und nahm sich vor, zwar bei dem einträglichen Geschäft zu bleiben, es aber schlauer zu betreiben als bisher und dabei mehr Menschlichkeit walten zu lassen. Die erlebten Scenen waren nicht ohne Eindruck selbst auf ihn geblieben. – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wer in einer der bekannten süddeutschen Universitätsstädte das Adreßbuch in die Hand nimmt und die erste Rubrik, also A aufschlägt, dem fällt sofort ein ungewöhnlich langer Name auf. Dieser lautet: Hadschi Ali Ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Hadschi Otaiba Abu l'Oscher Ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abdallah el Sandschaki. Hinter diesem Namen steht die Auskunft: Händler in Orientalien, Gartenstraße 6 parterre.

Wer durch diese Adresse veranlaßt wird, ein Fläschchen Rosenöl, einen türkischen Tschibuk oder sonst dergleichen zu kaufen, und sich nach dem betreffenden Hause begibt, der sieht in dieser Nummer 6 ein großes, palastähnliches Gebäude, dessen linke Parterrehälfte der erwähnte Laden mit den daran stoßenden Wohnräumen einnimmt. Das über demselben angebrachte Schild trägt in goldener Schrift die etwas falsche Bezeichnung »Hadschi Ali, Orientalist«.

Ferner kann man im hohen, schön gemalten Hausflur auf einer Tafel lesen: Uszkar Istvan, Hausmann, Sprachlehrer und ornithologischer Autor, parterre rechts – Professor Dr. Emil Schwarz, I. Etage – Professor Dr. Joseph Schwarz, II. Etage Professor Dr. Ignatius Pfotenhauer, III. Etage. Und wer zur richtigen Zeit vorübergeht und nach der dritten Etage emporblickt, kann da ein Fenster offen sehen, aus welchem unter einem roten Fes eine riesige Nase schaut, die sich über dem vorgestreckten Rohre einer Masu'ra lebhaft hin und her bewegt, um sich ja von dem, was unten auf der Straße geschieht, nichts entgehen zu lassen.

Unten aber, am Fenster rechts neben der Thür, sitzt in allen seinen Mußestunden ein kleines, dünnbärtiges Kerlchen, emsig beschäftigt mit der so und so vielten Umarbeitung eines dicken Manuskriptes, welches den vielversprechenden Titel führt »Warum die Vögel Federn haben«. Dieser der Ornithologie Beflissene, ist natürlich kein andrer als der »Vater der elf Haare«. Seit er mit seinen drei Herren und dem »Vater des Gelächters«, zu welchem die Kunden mehr seines Gesichtes als seiner Waren wegen gehen, aus dem Sudan zurückgekehrt und als Hausmann des gemeinschaftlich bewohnten Gebäudes installiert worden ist, tituliert er sich Sprachlehrer, ohne aber einen Schüler zu bekommen, und hat es sich in den Kopf gesetzt, dem »Vater des Storches« durch die Herausgabe eines gelehrten Werkes zu beweisen, daß er auch Vögel gesehen und über dieselben nachgedacht habe. Darum nennt er sich »ornithologischer Autor« und hat sich als Thema seiner Arbeit gerade die berühmte Frage aus der ebenso berühmten Erzählung Pfotenhauers, welche auch heute noch nicht zu Ende gelangt ist, vorgenommen.

Eben sitzt er wieder beim Manuskripte, welches er schon an etliche zwanzig Verlagsbuchhändler gesandt und stets mit der Bemerkung zurückerhalten hat, daß sein Deutsch der Gelehrsamkeit des Inhaltes nicht entspreche, da klappt neben ihm das kleine Hausfensterchen auf und der Briefträger legt einen Brief herein. Der Hausmann und Autor nimmt ihn weg und liest neben mehreren fremden Briefmarken, die wie von Kinderhand geschriebene Adresse Emil Schwarzens. Auf der Rückseite aber ist in arabischer Schrift der Name Barak el Kasi zu sehen.

Da springt der Kleine auf, rennt hinüber in den Laden und schreit den Hadschi an:

»Seinte drei Professoren noch im Garten, hintendraußigem?«

»Ja; ich hab ßie ßoeben noch ßehen,« antwortete der Kenner aller Völker und Dörfer in leidlichem Deutsch, welches er sich im Laufe von zwei Jahren angeeignet hat.

»Kommte mit hinaus, schnellte, schnellte! Sein ankommte Brief, afrikanigter, von Elefantenjäger, schreibendem!«

Er rennt nach dem Garten, der Hadschi hinter ihm her, mit seinem wonnevollsten Gesichte. Die drei genannten Herren sitzen rauchend in der großen Laube. Als sie die ihnen laut entgegengebrüllte Botschaft hören, springen sie auf. Der Brief wird von allen Seiten betrachtet und dann geöffnet. Der Inhalt ist natürlich arabisch und lautet in deutscher Übersetzung:

»Kenadem, am 12. Rewi ul achir.

Meinem Freunde, dem berühmten M'allim, »Vater der vier Augen«!

Allah ist groß und gibt der Nacht Tau. Ich versprach Dir, darum schreibe ich. Der Menschen sind viele, und mir geht es wohl. O Sohn meiner Wonne, daß ich Dich fand in der Schlucht der Gebete! Trost meiner Augen, Liebling meiner Seele; die Datteln tragen reichlich dieses Jahr, und er ist gut, groß und stark geworden. Mein Lieblingskamel ward auf einem Auge blind, und wie geht es Dir, Deinem Bruder und dem »Vater des Storches«? Der Prophet fastete in der Wüste, so auch ihr für mich und ich für euch. Wohl dem, der einen Sohn hat! Er ward zu Tode gepeitscht. Du weißt, daß er es verdient hat, dieser Abu el Mot. Ich fluche ihm nicht. Mögen auch Deine Kamele gedeihen und die Palmen Deines Feldes! Denn der Wein ist verboten und kein Gläubiger riecht in das Faß. Dennoch hat den Feldwebel und seine Leute das Schicksal ereilt. Nur die Kinder des Gehorsams tragen gute Früchte. Sie wurden nämlich gepeitscht und dann ins Gefängnis geworden, wo sie noch stecken, denn mein Reichtum mehrt sich, Allah sei gepriesen, von Tag zu Tag. Auch Abd el Mot ist tot. Frage nicht, wozu und wohin! Hier sende ich ihn Dir. Nun schreibe auch Du! Von nächstem Freitag an blicke ich nach Süd und Ost, ob Deine Antwort kommen wird. Schreibe deutlich, denn das Auge erblickt vieles, was der Verstand nicht sieht. Auch sind zwei Zelte zerrissen und mehrere Schafe verirrt. Ziehe die Schuhe aus, wenn Du die Moschee betrittst, und gieb fleißig Almosen, denn ich bin Dein Freund

Barak el Kasi,
Emir von Kenadem.«


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