Karl May
Die Sklavenkarawane
Karl May

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Die Waka'a en nahr

Als der »Vater des Storches« zu seinem Boote zurückgekehrt war, hatte er nicht mit dem Aufbruche gesäumt. Die Sterne leuchteten hell genug, die Stromfahrt trotz der Nacht wagen zu lassen. Das Boot wurde losgebunden und nach der Mitte des Flusses gesteuert, wo sich die Niam-niam kräftig in die Ruder legten. Sie hatten, während sie auf den Grauen warteten, gegessen und sich ausgeruht, so daß das Boot unter dem Drucke ihrer muskulösen Arme mit der Schnelligkeit eines Fisches abwärts schoß, von der kundigen Hand des »Sohnes des Geheimnisses« gesteuert.

Diese Leute waren an das südliche Klima und die hiesigen Verhältnisse gewöhnt; sie konnten selbst außergewöhnliche Anstrengungen vertragen. Anders ist es mit dem Fremden, dem die Sorge für seine Gesundheit die möglichste Schonung seiner Kräfte gebietet. Darum hüllte Pfotenhauer sich in seine Decke und legte sich im Vorderteile des Fahrzeuges nieder, um einige Stunden zu schlafen.

Er kannte den eigentümlichen Reiz, welchen die nächtliche Scenerie des gewaltigen Stromes gewährt, genug, um sich diesen Genuß für heute einmal versagen zu können. Sein Schlaf war tief und lang, denn als er erwachte, stand die Sonne schon hoch über dem Walde von Dalebpalmen, welcher am rechten Ufer stand, in dessen Nähe der »Sohn des Geheimnisses« jetzt steuerte, und als er die Uhr zog, sah er zu seinem Staunen, daß er bis morgens zehn Uhr geschlafen hatte.

Die Niam-niam arbeiteten jetzt in der Weise, daß nur die Hälfte von ihnen ruderte, um von den andern, wenn diese ausgeruht hatten, abgelöst zu werden. Übrigens hatte das Wasser hier einen so bedeutenden Fall, daß es, um schnell zu fahren, keiner anstrengenden Nachhilfe mittels der Ruder bedurfte.

Zum Essen brauchte man keiner besonderen Pause; wer essen wollte, der aß, wenn er von der Arbeit abgelöst worden war. Getrunken wurde sehr einfach aus dem Flusse, und so suchte man das Ufer während des ganzen Tages gar nicht auf, bis man am späten Nachmittag durch einen Umstand dazu gezwungen wurde, welcher den Insassen des Bootes beinahe gefährlich geworden wäre.

Man näherte sich einer scharfen Krümmung des Flusses. Der konvex vorspringende Rand des rechten Ufers machte, daß man nicht sah, was jenseits dieser Krümmung lag und geschah. Da stand der Steuermann von seinem Platze auf, hielt die Hand muschelförmig an das Ohr, lauschte einige Augenblicke nach vorn und sagte dann:

»Schu haida! Rina – was höre ich! Einen Gesang!«

»Wo? Auf dem Flusse?«

»Ja. Es kommen Menschen. Wer mag das sein? Doch nicht etwa Abu el Mot mit seinen Schiffen!«

»Wir dürfen uns nicht sehen lassen. Also rasch ans Ufer!«

»An welches?«

»An das linke, denn dort ist Schilf, in dem wir uns verbergen können; hier am rechten aber gibt es wenig davon.«

Der »Sohn des Geheimnisses« gehorchte und steuerte nach links. Als das Boot so weit hinüber war, daß man um die Krümmung blicken konnte, nahm der Graue sein Fernrohr zur Hand. Kaum hatte er es angesetzt, so rief er erschrocken:

»Schnell zurück, zurück nach rechts, sonst werden wir entdeckt! Ich sehe zwei Schiffe, aber auch Menschen, welche am Ufer laufen.«

Sofort riß der Steuermann das Ruder auf die andre Seite, und die Schwarzen legten sich so mächtig in die Riemen, daß das Boot eine so scharfe Wendung machte, daß es fast gekentert wäre.

»Leute am Ufer?« fragte der »Sohn des Geheimnisses« – »Lagen die Schiffe denn vor Anker?«

»Nein. sie fuhren. Ich habe die Segel gesehen.«

»Dann haben sie das Liban am Maste, um schneller vorwärts zu kommen. Wenn es zwei Schiffe sind, so gehören sie Abu el Mot. Ich war sehr unvorsichtig, daß ich deinem Befehle, nach links zu steuern, gehorchte. Ich hörte die Leute singen. Das thun sie nur, wenn sie am Liban ziehen oder mit den Mitarah arbeiten. Zum Glück hat hier rechts das Wasser eine Gras- und Omm Sufahinsel angeschwemmt, welche uns verbergen wird.«

Er steuerte das Boot scharf mitten in diese Insel hinein und ließ dann den Anker fallen. Das war, so weit man sehen konnte, am rechten Ufer der einzige Ort, welcher Schutz gewähren konnte. Aber diese Insel war so niedrig, daß die Männer sich in das Boot legen mußten, um nicht gesehen zu werden.

Der Deutsche mußte das scharfe Gehör des jungen Steuermanns bewundern, denn er selbst hatte nichts von einem Gesange vernommen. Er hörte selbst jetzt noch keinen Ton, obgleich der Jüngling behauptete, das Singen jetzt sogar deutlicher als vorher zu vernehmen.

Bald jedoch drangen die Töne auch in Pfotenhauers Ohr. Es waren die zwei Silben heh – lih, heh – lih, welche immerfort wiederholt wurden. »Heh« fiel auf den Grundton und »lih« auf die kleine Terz; die Tonart war also Moll.

Dann aber war eine längere Melodie, ein Lied zu hören, welches mehrere Strophen hatte. Die Worte der ersten waren noch undeutlich; bei der zweiten aber hatten sich die Schiffe schon so weit genähert, daß man den Gesang verstehen konnte. Der Deutsche vernahm die vier Verse:

»Gerebd el beled, gered laoda,
Tered ab schora a loba hamoda.
Ja Rabb, sber t'adil taraqu,
De gib nau mah moktaf rafiqu.«

Man sieht, daß diese Verse sich reimen. Ins Deutsche übersetzt, lauten sie:

»Immer näher der Heimat.
Singen und freuen wir uns herzlich,
O Gott, gib gute Fahrt,
Wind und den Ruderern Kraft!«

Jetzt kam das erste Schiff um die Krümmung. Es war ein Sandal und hatte volle Segel an den zwei Masten. Vom Vordermast ging das Zugseil nach dem jenseitigen Ufer, an dem man etwa ein Dutzend Männer sah, welche sich vorgespannt hatten. Hinten neben dem Steuermann standen zwei Personen, welche sehr in die Augen fielen, eine sehr lange und sehr dürre, in arabische Tracht gekleidete Gestalt und neben derselben ein Mann, dessen Kleidung aus drei Stücken bestand. Das erste war eine Art Badehose, welche kaum bis an das Knie reichte, das zweite ein Pantherfell, welches ihm hinten von den Schultern niederhing, und das dritte eine sehr hohe, zuckerhutförmige Kopfbedeckung, welche ganz mit Kaurimuscheln bedeckt war und von deren Spitze bunte Glasperlen herabhingen. Sein Gesicht war nicht ganz negerschwarz.

»Der Lange ist Abu el Mot,« sagte der »Sohn des Geheimnisses«.

»Ist er es?« antwortete der Graue. »Diesen Kerl muß ich mir genau betrachten.«

Er legte sein Fernrohr auf den Rand des Bootes und richtete es nach dem berüchtigten Sklavenjäger. Dann fuhr er fort:

»Er hat freilich ganz das Aussehen des Todes. Dieser Mensch ist ein wahres Gerippe. Wer mag der andre sein, welcher neben ihm steht?«

»Er ist ein Beng-did der Nuehr, denn bei ihnen dürfen nur die Anführer solche Mützen tragen. Siehst du die Schwarzen, welche mit den Stoßstangen arbeiten und dabei singen? Das sind Nuehr. Ich ersehe das aus der Art und Weise, wie sie ihr Haar tragen.«

»So kommt dieser Abu el Mot viel eher, als ich dachte. Wie weit haben wir noch bis zur Seribah Madunga?«

»Wir werden sie gerade mit Sonnenuntergang erreichen. Sie liegt am rechten Ufer des Stromes; darum hat Abu el Mot sich an das linke gehalten. Wären wir nicht so schnell umgekehrt, so hätten diese Leute uns jetzt schon entdeckt. Weil ihnen die Lebensmittel fehlen, beeilen sie sich sehr und verlassen sich nicht bloß auf den Wind.«

Dieser war dem Sandal günstig, denn er kam aus Nord. Die Stoßstangen vermehrten die Geschwindigkeit des Fahrzeuges so, daß die Leute, welche am Ufer am Seile zogen, Trab laufen mußten.

Als der Sandal vorüber war, erschien das zweite Schiff, ein etwas kleinerer Noqer, welcher auch unter vollen Segeln ging und überdies vom Ufer aus am Seile gezogen wurde. Sein Deck war von Nuehrs gefüllt.

Das Lied war zu Ende; man hörte wieder das einfache heh lih, heh – lih, welches desto leiser wurde, je weiter sich die beiden Schiffe aufwärts entfernten. Doch erst nach einer Viertelstunde hatten sie eine so genügende Strecke zurückgelegt, daß der »Sohn des Geheimnisses« sagen konnte:

»Jetzt kann man uns nicht mehr sehen. Es war mir doch bange, als sie vorüberkamen. Allah sei Dank, daß wir nicht entdeckt worden sind!«

»Pah! Was hätte uns geschehen können!« meinte der Graue.

»Zu Sklaven hätte man uns gemacht.«

»Auch mich?«

»Uns sicher.«

»Wir hätten uns gewehrt.«

»Wahrscheinlich ohne Erfolg. Deine Waffen sind vortrefflich, aber wir wären doch zu schwach gegen diese Übermacht gewesen. Besser ist es auf jeden Fall, daß wir gar nicht gesehen worden sind. Jetzt wollen wir fort.«

Der Anker wurde aufgenommen, und dann nahm das Boot die unterbrochene Fahrt wieder auf. Die Ruderer strengten ihre Kräfte doppelt an, um die versäumte Zeit einzubringen.

Als die Sonne hinter dem linken Ufer des Stromes und den dort stehenden Bäumen verschwunden war, zeigte es sich, daß der Steuermann ganz richtig geschätzt hatte. Man sah am rechten Ufer eine breite Mischrah, unter welchem Worte man eine Landestelle für Schiffe, eine Tränkstelle für die Herden und zugleich einen Weg versteht, welcher vom hohen Ufer herab nach dem Flusse führt.

»Das ist die Seribah,« sagte der »Sohn des Geheimnisses«.

»Das?« fragte der Graue, indem er den Platz betrachtete. »Man sieht doch nichts von ihr!«

»Weil sie nicht am Wasser, sondern auf dem Thaharah liegt. Ich kenne den Herrn, welchem sie gehört, und weiß, daß er uns willkommen heißen wird.«

Er steuerte das Boot nach der Mischrah und legte an derselben an. Man ließ den Anker fallen und befestigte das Fahrzeug außerdem an einen der Pfähle, welche zu diesem Zwecke eingerammt waren. Ein zur Seribah gehöriger Kahn lag nicht am Ufer. Man pflegt die Boote innerhalb der Umzäunung aufzubewahren, damit sie nicht weggeführt werden können.

Pfotenhauer glaubte, daß seine Ankunft von der Niederlassung gar nicht bemerkt worden sei; aber er irrte sich, denn kaum war er ausgestiegen, so scholl es hinter einem nahen Gebüsch hervor:

»Halt, nicht weiter! Wer seid ihr?«

Er blickte nach der Stelle hin und sah einige Flintenläufe durch die Zweige auf sich gerichtet. Seine Nase schwang sich sofort nach der entgegengesetzten Seite des Gesichtes, als wolle sie es verhüten, von einer Kugel getroffen zu werden.

»Thut die Flinten weg!« antwortete er. »Wir kommen nicht in feindlicher Absicht.«

»Woher kommt ihr?« lautete die weitere Frage, ohne daß ein Mensch sich sehen ließ. »Antwortet, oder ich muß schießen!«

Die Stimme des verborgenen Sprechers klang eigentümlich schnarrend, als ob er die Laute alle hinten am Gaumen bilde. Der »Sohn des Geheimnisses« hatte sich noch im Boote zu schaffen gemacht. Jetzt stieg er als der Letzte aus und rief als Antwort nach dem Busche hin:

»Du kannst es glauben, daß wir Freunde sind. Ich erkenne dich an deiner Stimme, el Schachar. Komm nur hervor!«

»Dieser junge Mensch kennt meinen Namen,« erklang es wieder, »folglich habe ich nichts zu befürchten. Wir kommen.«

Das Gesträuch teilte sich, und es erschien ein alter, graubärtiger Mensch, der eine lange Flinte in der Hand hielt. Ihm folgten drei andre. Sie waren Weiße, aber ganz so spärlich bekleidet, wie die Neger es gewöhnlich sind.

»Woher kennst du mich denn?« fragte er, indem er näher kam.

»Das wirst du dir gleich selbst sagen, wenn du mich genauer anschaust.«

»So? Ich habe dich noch nie – –« er hielt inne, betrachtete den Jüngling noch einmal und fuhr dann fort: »Solltest du der Knabe sein, welcher damals so gern Abd el Mot kennen lernen wollte?«

»Ja, der bin ich.«

»Allah! Bist du wirklich der Junge, welcher besser schiessen konnte als ich? Dann hast du dich sehr zu deinem Vorteile verändert. Als ich dich nicht wiedersah, glaubte ich, dir sei bei Abd el Mot ein Unglück zugestoßen. Ich habe mich also geirrt, und das freut mich sehr. Sei mir willkommen!«

Er reichte dem jungen Manne freundlich die Hand. Dieser schüttelte ihm die seinige und fragte:

»Ist der Herr der Seribah daheim?«

»Nein. Er ist hinüber nach Jau geritten, um Pulver zu holen. Darum hat er mir selbst die Bewachung der Mischrah anvertraut. Du weißt, daß er sich auf mich verlassen kann.«

»Ja, du bist der älteste Askari dieser Seribah. Sahst du zwei Schiffe vorübersegeln?«

»Wir sahen sie, haben sie aber nicht angesprochen.«

»Weißt du, wer sich auf denselben befand?«

»Nein. Sie hielten sich hart an das andre Ufer, und der Fluß ist hier so breit, daß man wohl die Schiffe, nicht aber die Menschen, welche sich darauf befinden, sehen kann.«

»Es war Abu el Mot.«

»Dieser? Der Schetan mag ihn fressen! Wäre er näher vorübergekommen, so hätte ich ihm eine Kugel gegeben. Wer aber ist denn dieser fremde Mann, und was will er hier?«

Er deutete auf Pfotenhauer.

»Er ist ein väterlicher Freund von mir,« antwortete der Steuermann, »und wünscht einige Tage hier bleiben zu dürfen, um Bekannte zu erwarten, welche ihn hier abholen wollen.«

»Er wird willkommen sein. Führe ihn hinauf in die Seribah zum Lieutenant, welcher während der Abwesenheit des Herrn das Kommando führt! Das Boot könnt ihr hier lassen. Ich werde es bewachen.«

Der »Sohn des Geheimnisses« wandte sich wie einer, welcher den Weg genau kennt, der Mischrah zu und forderte den Grauen auf, ihm zu folgen. Die Niam-niam kamen schweigend hinterdrein.

Es hatte früher hier Wald gegeben, doch war er so gelichtet worden, daß er diesen Namen nicht mehr verdiente. Das Ufer war ziemlich steil und sehr hoch, doch verursachte der Aufstieg keine Beschwerde, denn der Weg war von täglich nach dem Flusse zur Tränke geführten Herden breit ausgetreten.

Als Pfotenhauer oben ankam, sah er die Seribah vor sich liegen. Sie war von größerem Umfange als diejenige Abu el Mots und besaß etwas, was hier eine große Seltenheit genannt werden mußte, nämlich ein aus Stämmen und Brettern errichtetes Türmchen, um welches eine schmale Galerie führte. Das war das Minaret der Seribah.

Vor dem Thore, welches durch die starke Umzäunung führte, stand ein Wachtposten, welcher die Ankömmlinge eintreten ließ, ohne eine Frage auszusprechen. Jetzt konnte man die zahlreichen Tokuls sehen, aus denen diese Niederlassung bestand. Zwischen den Hütten herrschte ein reges, kriegerisches Leben. Es sah aus, als ob man sich hier zu einem Kriegszuge rüste.

Rechts und links von dem Minaret stand je ein größerer Tokul, nach welchem der »Sohn des Geheimnisses« seine Schritte lenkte, ohne auf die neugierigen Blicke zu achten, mit denen er von den Bewohnern der Seribah angeschaut wurde.

»Rechts wohnt der Herr und links der Lieutenant,« erklärte er dem Deutschen. »Da der erstere nicht anwesend ist, müssen wir uns dem letzteren melden.«

Sie hatten den links liegenden Tokul noch nicht ganz erreicht, als der Herr desselben aus der Thür trat. Er sah überrascht auf, als er die Nahenden erblickte; kaum aber hatte er den Jüngling gesehen, so rief er aus:

»Knabe, du bist es? Du lässest dich wieder einmal sehen! Wir glaubten dich verloren. Sei willkommen, und sage, wen du uns bringst! Das sind Niam-niam. Soll ich sie zu Sklaven machen?«

Er war vielleicht noch älter als der »Schnarcher«, welcher unten am Flusse Wache stand. Auch er schüttelte dem Jünglinge die Hand; dieser antwortete:

»Sie sind meine Brüder, denn ich wohne bei ihnen. Ich komme, um dir diesen fremden Effendi zu empfehlen, welcher für einige Tage dein Gast sein möchte.«

Er deutete auf den Deutschen. Der Lieutenant reichte auch diesem die Hand und sagte:

»Wer du auch bist, ich heiße dich willkommen, da dich dieser Knabe zu mir bringt. Er mag deine Niam-niam zu unsern Negern führen, bei denen sie sich wohlbefinden werden. Dir aber will ich den Tokul anweisen, welcher für unsre Besucher bestimmt ist. Folge mir!«

Er brachte den Grauen nach einer Hütte, deren Bestimmung man ihr bereits von außen anmerkte, denn sie war sorgfältiger gebaut und sah viel sauberer aus als die andern Bauwerke, obgleich sie aus dem gleichen Materiale bestand. Das Innere entsprach dem Äußeren. Der Boden war mit Fellen belegt, und auf der sich rundum ziehenden Erhöhung, welche als Sitz und Schlafstätte diente, lagen weiche Decken. In der Mitte hing eine Lampe herab, und in der Wand waren sogar einige Fensteröffnungen angebracht.

»Dieses Haus ist dein,« sagte der Lieutenant. »Mache es dir bequem! Ich gehe, dir einen Diener zu senden, welcher den Befehl erhält, dir alles zu bringen, was du bedarfst. Wenn du ausgeruht hast, werde ich dich besuchen.«

Pfotenhauer konnte mit diesem Empfange sehr zufrieden sein. Er hatte ein eigenes Haus bekommen, ohne nach seinem Namen und seinen Absichten gefragt zu werden.

Als der Lieutenant den Tokul verlassen hatte, ertönte draußen der weithin hörbare Ton des Klangbrettes, und dann erscholl die Stimme des Ausrufers:

»Eilt zum Gebete! El Mogreb ist da, denn die Sonne will im Westen verschwinden. Es ist nur ein Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Bezeuget, daß es nur diesen einen gibt! Allah akbar, Allah hu akbar!«

Der Deutsche trat an das Fenster und erblickte den Ausrufer auf der Galerie des Türmchens. Unten lagen die Leute auf den Knieen, um zu beten. Er konnte von seinem Fenster aus in gerader Richtung bis nach dem Thore sehen, durch welches er gekommen war. Eben als der Ausrufer seinen Spruch begonnen hatte, waren dort mehrere Männer erschienen, von denen anzunehmen war, daß sie nicht zu der Seribah gehörten. Auch sie waren auf die Kniee gesunken. Nach dem Gebete erhoben sie sich wieder und schritten auf den Tokul des Lieutenants zu.

Sie waren Soldaten, aber nicht etwa Asaker einer Seribah, sondern wirkliche Soldaten, denn sie trugen, nur einen ausgenommen, die Uniform des Vicekönigs. Der Voranschreitende war Offizier. Er trug die Abzeichen eines Kolarghasi. Neben ihm ging ein kleiner Kerl, welcher auch in eine Uniform gekleidet war, aber in was für eine! Er hatte nämlich eine blaue Hose an, deren Beine nur das Knie erreichten. Darüber trug er einen uralten, roten, englischen Militärfrack, auf dessen Achseln mächtige wollene, französische Epauletten befestigt waren. Um den Kopf war eine Art Turban geschlungen, von dem lange Federn herabhingen. Da der Frack vorn weit auseinander ging, sah man, daß dieser Mann weder eine Weste noch ein Hemd hatte. Um die Taille ging ein Ledergurt, in welchem zwei Pistolen und ein Messer steckten; auch hingen mehrere Beutel an demselben, welche wohl verschiedene notwendige Kleinigkeiten enthielten. In der Hand trug er ein altes, schweres Gewehr, welches von ungewöhnlich großem Kaliber war.

Dieser Mann trat mit dem Offizier bei dem Lieutenant ein. Die vier Soldaten, welche mit ihnen gekommen waren, blieben vor der Thür stehen.

Das war es, was der Graue bei dem schnell scheidenden Tageslichte hatte sehen können; dann wurde es dunkel, und ein Neger kam herein, um die Lampe anzubrennen und zu melden, daß er der verheißene Diener sei. Er entfernte sich wieder, um gleich darauf dem Gaste einen Krug voll Merissah und einige neugebackene Fladenbrote zu bringen.

Kurze Zeit später kam der »Sohn des Geheimnisses« zu dem Deutschen, um zu erfahren, ob es ihm in seiner Wohnung gefalle.

»Ganz gut,« antwortete dieser. »Wo wohnst denn du?«

»In dem Tokul des 'Schnarchers', welcher sich sehr darüber freuen wird, mich bei sich zu finden, wenn er abgelöst worden ist.«

»Ich war ganz erstaunt, zu hören, daß ihr einander kennt. Du warst schon hier?«

»Wie du gehört hast, ja.«

»Wie lange?«

»Mehrere Monate.«

»Wann?«

»Vor vier Jahren.«

»Was wolltest du hier?«

»Herr, das ist ein Geheimnis.«

»So! Ich hörte, daß es sich dabei um Abd el Mot gehandelt hat. Du hast also ihn und Abu el Mot schon früher gekannt?«

»Ja, Effendi.«

»Ohne mir ein Wort davon zu sagen!«

»Zürne mir nicht! Es ist das eine Sache, von welcher ich nicht spreche.«

»Ich beabsichtige keineswegs, in deine Geheimnisse zu dringen. Aber sage mir nur das Eine, ob du damals allein oder in Begleitung hieher gekommen bist!«

»Auch hiervon spreche ich nicht gern.«

»Gut! Hast du die Fremden gesehen, welche vorhin gekommen sind?«

»Ja. Ich war dabei, als der Lieutenant mit ihnen sprach. Der Offizier ist mit einer Dahabiëh bis in die Nähe der Seribah gekommen und hat angefragt, ob er unten an der Mischrah Anker werfen darf.«

»Woher kommt er?«

»Stromaufwärts. Er fragte, ob der Lieutenant nicht wisse, ob Abu el Mot auf seiner Seribah angekommen sei.«

»Hast du nicht gefragt, ob dieser Offizier vielleicht Reisende auf seinem Schiffe habe?«

»Nein. Er sprach mit dem Befehlshaber, nicht aber mit mir.«

»Es ist doch leicht möglich, daß sich der Bruder meines Gefährten auf dieser Dahabiëh befindet. Ich werde zu dem Hauptmann gehen, um ihn zu fragen.«

»Er ist nicht mehr hier, sondern mit seinen Soldaten wieder fort, um das Schiff herbeizuholen.«

»So muß ich warten, bis er zurückkehrt.«

»Das ist nicht notwendig, denn sein Begleiter, welcher das Kleid eines Babral trägt, ist hier geblieben. Soll ich ihn zu dir senden?«

»Ja, hole ihn!«

Der »Sohn des Geheimnisses« ging, und bald darauf trat der Rotbefrackte ein. Sein Gesicht war voller Pockennarben, und vielleicht war es eine Folge dieser Krankheit, daß sein Bart nur aus wenigen Haaren bestand, welche er aber steif gummiert hatte, daß sie wie Borsten nach den Seiten standen. Er verbeugte sich auf orientalische Weise und sagte:

»Ich höre, daß du ein Effendi bist und mich sprechen willst. Was hast du mir zu sagen?«

»Ich wollte gern wissen, woher die Dahabiëh kommt, auf welcher du gefahren bist.«

»Sie kommt von Faschodah herauf.«

»Ah! Hast du dich gleich von Faschodah aus auf diesem Schiffe befunden?«

»Ja.«

»Wer sind die Passagiere?«

»Lauter Soldaten.«

»Sind keine Civilisten dabei?«

»Einige.«

»Wer sind diese Leute?«

»Vor allen Dingen ich!«

»Du bist also nicht Soldat?«

»Nein.«

»Trägst aber doch Uniform?«

»Weil es mir so beliebt, und weil meine Reise eine kriegerische ist.«

»Willst du mir deinen Namen sagen?«

»Meinen eigentlichen Namen würdest du nicht aussprechen können. Gewöhnlich werde ich Abu el Hadascht scharin, 'Vater der elf Haare', genannt. Bei mir befindet sich mein Kamerad Abu Dihk, der 'Vater des Gelächters'.«

»Weiter niemand?«

»Noch einer, ein großer Gelehrter und Effendi, dessen Freund und Adjutant ich bin.«

»Wie heißt er?«

»Abu 'l arba ijun, 'Vater der vier Augen'.«

»Der vier Augen. So trägt er wohl eine Brille?«

»Ja.«

»Wo will er hin?«

»Zu den Niam-niam, und vorher nach der Seribah, welche Abu el Mot gehört.«

Bisher hatte der Deutsche gesessen; jetzt sprang er auf und rief:

»Er ist ein Fremder, ein Deutscher, und heißt Schwarz?«

»Das ist er, und so heißt er, ja. Kennst du ihn?«

»Nein; aber ich kenne seinen Bruder, der ihm entgegengefahren ist. Also er ist da; er ist hier; er wird mit der Dahabiëh kommen?«

»So ist es. Ich werde jetzt hinunter zur Mischrah gehen, um ihn zu empfangen.«

»Ich begleite dich. Ich muß dort sein, wenn er aussteigt. Ich muß ihn begrüßen!«

»So komm! Deine Begleitung ist mir nicht unangenehm.«

Er sagte das in dem Tone eines Gönners, welcher sich in guter Stimmung befindet. Pfotenhauer nahm das ruhig hin. Sie verließen den Tokul und auch die Seribah, ohne von dem Thorposten angehalten zu werden, und schritten zum Strom hinab. Dort stand der »Schnarcher« noch mit seinen Leuten. Das Boot, mit welchem der Deutsche gekommen war, lag am Ufer. Da es bequeme Sitze bot, setzten sich die beiden hinein.

»Also du bist sein Freund und Adjutant! Seit wann denn?« fragte der Graue.

»Seit Faschodah. Wir lernten uns in der Wüste kennen, wo wir zwei Löwen töteten und die Homr besiegten, welche uns überfallen wollten. Er ist ein außerordentlich tapferer und gelehrter Mann.«

»Das weiß ich.«

»Und er thut nichts ohne mich!« fügte der Kleine wichtig hinzu.

»So! Dann seid ihr wohl recht vertraut miteinander?«

»Außerordentlich! Wie zwei Brüder! Das versteht sich auch ganz von selbst, da auch ich Gelehrter bin.«

»Du?«

»Ja, ich! Glaubst du das?«

»Ich glaube es, da du mir bis jetzt das Gegenteil noch nicht bewiesen hast.«

»Das wird auch nie bewiesen werden. Bei meinem Latein nehme ich es mit einem jeden auf.«

»Latein?« fragte Pfotenhauer erstaunt. »Wie kommst du auf dieses Wort?«

»Wort? Ich spreche ja die ganze lateinische Sprache!«

»Unmöglich! Wo hättest du das gelernt?«

»Bei dem berühmten Mathias Wagner, mit dem ich den ganzen Sudan bereist habe. Er war mein Landsmann.«

»Landsmann? Soviel ich weiß, war Wagner ein Ungar aus dem Eisenstädter Komitate!«

ÉDas stimmt. Auch ich bin ein Magyar, aus Nagy Mihaly bei Ungvar. Doktor Schwarz ist ganz glücklich, in dieser abgelegenen Welt mit mir deutsch sprechen zu können.«

»Was, du sprichst auch deutsch?«

»Ausgezeichnet!«

»Wirklich, wirklich? Das freut mich ungemein, denn ich bin auch ein Deutscher!«

Der »Vater der elf Haare« fuhr freudig erschrocken auf und rief, indem er sich sofort der deutschen Sprache bediente:

»Was? Wie? Ein Deutsches seinte Sie?«

»Ja, freilich!« antwortete der Graue in derselben Sprache.

»Woher?«

»Aus Bayern.«

»O, das seinte schön, das seinte gut! Ich warrr geweste auch in Land, bayrisches.«

»So! Das g'freut mich halt außerordentlich, wann's meine Heimat kennen.«

»Ja, ich seinte gebliebte in München, wo ich hatt trunkte Bier, Sedlmeirisches; ich hatt dazu gegeßte Rettich, schwarzigen, und Würstel, senftigte.«

»Ja, a gutes Bier mit Rettich und auch Würstel, das ist bei uns zu haben; darauf versteht man sich bei uns in Bayern. Aber wann's aan Ungar sind, so heißen's doch nicht von Haus aus 'Vater der elf Haare'. Wie ist denn Ihr Name?«

»Ich heißte Uszkar Istvan. Und wie seinte Namen Ihriger?«

»Pfotenhauer. Aber, erlauben Sie, was sprechen Sie denn da für aan' Dialekt? So was hab' ich noch nie g'hört.«

»Dialekt? Ich sprechte kein Deutsch, dialektiges, sondern ein Deutsch, reinheitlichtes.«

»So! Das möcht' ich wohl bezweifeln. Wann Ihr Latein auch ein so reines ist, so könnten's Ihna für Geld hören lassen.«

»Ja, das hätt' ich gekonnte. Ich sein geweste stets Philolog, erstaunlicher, und Pomolog, bedeutender!«

»Alle Wetter! Das also ist Ihr Latein? Was ist denn eigentlich Philologie?«

»Philologie seinte Wissenschaft von Baum, mit Äpfel und Birnen.«

»Ah! Und Pomologie?«

»Das seinte Kenntnis von Lehre, weisheitlicher.«

»Na, alter Freund, da sind's halt schön auf dem Holzweg g'raten! Es ist ja grad umgekehrt!«

»Dann warrr es geweste Verwechstelung, wissenschaftliche. Ich hatt auffangte so viel Wissenschaft in Kopf, meinigen, daß, wenn wollte die eine heraus, sie bleibte oft steckte, und statt ihr kommte heraus Wissenschaft andre.«

»Ja, so geht's halt, wann man gelehrt ist und doch nit Zeit g'funden hat, die Akademie zu besuchen!«

»O, ich hatt kennte Akademie und Apoplexie!«

»Wirklich? Na, dann sind's ja a fürchterlich g'scheiter Pfiffikus! Was verstehen's denn unter dera Apoplexie?«

»Das seinte Hochschule, universitätliche.«

»Ach so! Und Akademie?«

»Das sein geweste Schlag, flüssiger, welcher treffte in Kopf und lähmte den Arm, linkigen, oder Bein, rechtiges.«

»Donner und Doria! So a G'schwätz hab' ich all mein Lebtag noch nit g'hört! Erstens was das für a Deutsch is! Welch Karnikel soll denn das verstehen? Und sodann haben's die G'schicht wiederum grad umdreht. Akademie ist Hochschule, und Apoplexie ist Schlagfluß oder meinswegen auch flüssiger Schlag, wie Sie sich auszudrücken belieben!«

»Das warrr geweste nur Umkehrung, zufällige. Das kann passierte Mensch, jedwedigen.«

»Aber Ihnen scheint es regelmäßig zu passieren! Und dabei sind's gar der Freund und Adjutant des Herrn Doktor Schwarz? Na, dem werd' ich gratulieren! Da hat er eine Acquisition g'macht, um die ich ihn nit beneid'.«

Er lachte laut und herzlich auf. Der »Vater der elf Haare« fühlte sich beleidigt. Er fragte in scharfem Tone:

»Sein damit gemeinte Person, meinige?«

»Ja, wer denn sonst? Natürlich meine ich Person, Ihrige!«

»Das mußte ich verbitten mit Nachdruck, allergrößtem. Ich sein geweste stets Mann, respektabliger. Ich hatt nie gelaßte beleidigen Ehre, meinige, und wenn Sie nicht machte Abbitte, sofortige, dann ich werd' geforderte Satisfaktion, pistolige oder säbelige!«

Der Graue lachte lauter und anhaltender als zuvor und antwortete:

»Mann, was fallt Ihnen denn ein! Fordern wollen's mich? Also ein Duell, säbeliges oder pistoliges? Das lassen's lieber bleiben! Ich hab' gar nit Lust, mit Pulver und Blei Ihre schöne Wissenschaft und Ihr Latein zu verletzen. Wann's sich beleidigt fühlen, so kann ich nit dafür. Ich bin bloß Ornitholog und zieh' also nur Vögeln, aber nit den Menschen die Bälge ab!«

»Wenn Sie seinte Ornitholog,« antwortete der Ungar noch zorniger als vorher, »so warrr ich geweste Gelehrter, noch viel größerer! Ich hatt' studiumtierte Ornithologie und Orographie!«

»Auch! Wissen Sie denn, was diese beiden Worte bedeuten?«

»Ich hatt gewußte es besser als Sie! Wenn Sie nicht kennte Wissenschaft, beidige, so will ich gegebte Aufklärung, augenblickliche!«

»Nun, heraus damit! Was ist Ornithologie?«

»Das seinte Beschreibung von Berg, karpathentlicher oder riesengebirglicher.«

»Und Orographie?«

»Das hatt zu bedeutente Naturgeschichte, vogelige und gefiederte.«

»Aber, Liebster, das ist ja wieder verkehrt! Sie sind ja der reine Taschenspieler, welcher einem mit seinem Hokuspokus ganz irre machen kann! Ich werd' wirklich davon ganz dumm im Kopf. Hören's auf, ich mag nix mehr davon hören!«

Da sprang der Kleine aus dem Boote an das Ufer und rief im höchsten Grimm:

»Ja, Sie seinte dumm im Kopf, Ihrigen! Sie seinte Hokuspokus in Person, eigener! Sie könnte nicht sprechen und nicht verstehende Deutsch, reinigendes! Sie wollte sein Gelehrter, wissenschaftlicher? Laßte nicht Sie auslachte sich! Ich konnte nur bedauerte geistigen Bankerott, Ihrigen. Ich willte nichts wißte mehr von Individuum, Ihrigem. Lebte Sie also wohl für ewig und für immerdar! Adieu, do brau noc, poraucim se, gute Nacht, ich empfehlte mich, leletak sa'ide, Allah jisallimak!«

Er rannte davon.

Der Graue sah ein, daß dieser Mann vielleicht ein Original war, den man als solches zu behandeln hatte. Es reute ihn, nicht nachsichtig, sondern fast grob gewesen zu sein. Darum rief er ihm nach, doch zurückzukommen. Das hatte keinen Erfolg. Schon wollte er ihm nacheilen, da sah er abwärts von der Mischrah ein Licht auf dem Wasser erscheinen. Das mußte die Dahabiëh sein, und darum blieb er im Boote sitzen.

Das Licht kam näher und näher; Pfotenhauer sah, daß es loderte. Es war ein Feuer, welches auf dem Deck brannte und die Segel beleuchtete. Das Schiff kam, vom Winde getrieben, langsam aufwärts geglitten, ging an der Mischrah vorüber, ließ dann die Segel fallen und sich vom Wasser zurück an das Ufer treiben, wo es den Anker fallen ließ und die Taue warf, welche von dem »Schnarcher« und seinen Leuten aufgefangen und am Lande befestigt wurden. Als die Landebrücke das Ufer berührte, kam der Graue herbei und rief in deutscher Sprache:

»Hallo! Ist Doktor Schwarz an Bord?«

»Ja,« ertönte die Antwort. »Ein Deutscher auf Seribah Madunga? Das ist mir eine außerordentlich frohe Überraschung!«

»G'wiß, Landsmann, a Deutscher steht hier und heißt Sie willkommen. Wann's mich umärmeln woll'n, so schauen's, daß S' herüberkraxeln. Aber nehmen's sich in acht, daß mich etwa nit vor lauter Freut' zerdrucken!«

»Aus dem Bayernlande, wie ich höre! Gleich bin ich drüben bei Ihnen!«

Der Graue sah die hohe, breite Gestalt über die Brücke kommen. Er breitete die Arme aus, schlang sie um Schwarz, küßte ihn auf die Wange und sagte:

»Willkommen also, herzlich willkommen! Mich kennen's freilich nit, und ich hab' eigentlich kein Recht, Sie so zärtlich zu empfangen; aber dieser Kuß soll nit von mir, sondern von Ihrem Bruder sein.«

»Von meinem Bruder? Von Joseph? Kennen Sie ihn?«

»Den Sepp? Na, den werd' ich doch kennen! Ich bin sein Kamerad. Haben's nicht seinen Boten in Faschodah 'troffen?«

»Ja, und seinen Brief erhalten.«

»Na, ich bin der Pfotenhauer und Vogelfänger, von dem er wohl auch a Wort erwähnt haben wird. Oder hat er nix von mir mitg'schrieben.«

»Ja, freilich hat er es gethan. Ich habe mich auf Sie gefreut. Aber was thun Sie hier, den ich oben bei den Niam-niam vermute, und wo ist mein Bruder?«

»Es hat ihm keine Ruh g'lassen, und so sind wir fort, um Ihnen entgegen zu fahren. Es konnt Ihnen leicht a Unglück g'schehen. Darum wollt' er lieber schau'n, Ihnen eher zu begegnen, als ausg'macht worden war.«

»Das sieht ihm ähnlich. So ist er also auch hier? Warum sehe ich ihn nicht?«

»Weil er noch nit hier ang'langt ist. Ich bin einstweilen voran, und er wird nachfolgen.«

»Warum blieb er zurück? Wo befindet er sich?«

»Davon nachher! Sagen's mir vorerst, ob's droben in dera Seribah oder hier unten im Schiff übernachten wollen. Man hat mir den schönsten Tokul überlassen, in welchem Raum g'nug ist für uns beide.«

»Ich danke Ihnen; aber ich ziehe doch vor, an Bord zu bleiben. Ich habe eine prächtige Kajüte, die mir kein Tokul ersetzen kann. Hoffentlich machen Sie mir die Freude, nicht nach der Seribah zurückzukehren, sondern bei mir zu bleiben?«

»Wann's Ihnen recht ist, so bleib' ich da. Oben oder unten, das ist ganz gleich; die Hauptsach' ist, daß wir beisammen sind.«

»So kommen Sie mit an Bord. Bitte!«

Er führte ihn hinüber und auf das Hinterdeck, wo ein schwarzer Diener die Thür der Kajüte öffnete, um sie eintreten zu lassen.

Schwarz erinnerte sich der Stelle des erwähnten Briefes, in welcher Pfotenhauer als ein sonderbarer Kauz und dabei doch wackerer, brauchbarer Mann beschrieben wurde. Er war neugierig, ihn kennen zu lernen.

Die Kajüte bestand aus mehreren fast prächtig eingerichteten Räumen. Eine Bronzelampe hing von der Decke nieder und beleuchtete die schwellenden Polster, den hohen Spiegel und die glänzenden Geräte, welche auf kleinen Tischen standen oder an den Wänden hingen.

»Was Teuxel fallt Ihnen ein!« rief der Graue erstaunt. »Sie fahren a richtiges Damenboudoir spazieren? Im Sudan, auf dem oberen Nil? Sind's etwa Millionär g'worden?«

»Nein,« lächelte Schwarz, indem er den Landsmann heimlich musterte. »Diese Herrlichkeiten gehören nicht mir, sondern dem Vicekönig von Ägypten. Dieses Schiff ist eine Regierungsdahabiëh.«

»Auch nit übel! Wie aber kommen's zu diesem Regierungsschiff? Ist etwa a Pascha von drei Roßschweifen an Bord, der Sie als Gast mitg'nommen hat?«

»Nein. Die Dahabiëh ist mir zur Verfügung gestellt worden. Augenblicklich bin ich der Herr derselben, dem die Bemannung zu gehorchen hat.«

Der Graue schüttelte den Kopf und sagte, indem seine Nase sich nach rechts und nach links wendete, als ob sie sich diese Herrlichkeiten recht genau betrachten wolle:

»Dann sind's a wahrer Glückspilz! Uns Deutschen, und zumal uns Bücherfexen, wird es nit oft so wohl, wie es Ihnen da g'worden ist.«

»Sie haben freilich recht. Aber setzen Sie sich nieder und nehmen Sie fürlieb!«

Er hatte vorhin dem Schwarzen, welcher öffnete, einen Wink gegeben. Als er jetzt in die Hände klatschte, trat dieser Neger herein, zwei Tschibuks zu bringen. Hinter ihm kam ein zweiter Schwarzer, welcher dem Grauen Kaffee in einem silbernen Findschan bot. Als beide weitere Befehle erhalten hatten, entfernten sie sich.

»Wissen's, mir ist halt grad so, als ob ich jetzt einen Abend aus 'Tausendundeine Nacht' erlebte,« meinte der Graue, indem er den köstlichen Trank schlürfte und dann nach der Tabakspfeife griff. »Bei uns hat's immer nur Merissah und harte Fladen 'geben. Wann ich diesen Kaffee schmeck', so muß ich vermuten, daß Sie auch in Beziehung auf die Speisen nicht übel g'stellt sind.«

»Haben Sie schon zu Abend gegessen?«

»Nein; soupiert hab' ich noch nit.«

»So thun Sie es hernach mit mir, um sich zu überzeugen, daß Sie ganz richtig vermutet haben.«

»So sagen's nur, was für a Kunststück Sie g'macht haben, um diese Dahabiëh geliehen zu bekommen! Was zahlen's denn pro Tag oder Woch' dafür?«

»Keinen einzigen Piaster, keinen Pfennig.«

Der Graue machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht, und seine Nasenspitze richtete sich auf, als ob sie Schwarz fragen wolle, ob er denn wirklich die Wahrheit gesagt habe.

»Nix, gar nix zahlen Sie? Wer soll Ihnen denn das glauben? Ich etwa?«

»Ja, Sie! Ich ersuche Sie ganz ergebenst darum,« lachte Schwarz.

»Dann ist's eben a Kunststück, a richtiges und wirkliches Kunststück!«

»Dieses Kunststück bestand sehr einfach in einer glücklichen Kur. Ich befand mich bei Ali Effendi Abu Hamsah miah, dem Mudir von Faschodah. Ich hatte ihm gesagt, daß ich ein wenig Arzt bin. Zufällig verschluckte ein kleiner Sohn von ihm beim Spielen einen elfenbeinernen Würfel, welcher in der Speiseröhre stecken blieb. Das Kind war dem Erstickungstode nahe, als ich geholt wurde, und es gelang mir, den Gegenstand zu entfernen. Die Freude und Dankbarkeit des Vaters war so groß, daß er mir jeden Wunsch, dessen Gewährung nicht gerade zu den Unmöglichkeiten gehörte, erfüllt hätte. Dazu kam nun freilich noch der Umstand, daß es ein eifriges Verlangen von ihm war, Abu el Mot in seine Hand zu bekommen.«

»Abu el Mot?« fragte Pfotenhauer ganz erstaunt, diesen Namen hier zu hören.

»Ja, so heißt der Mann, den Sie wohl nicht kennen, mit welchem Sie sich aber, falls Sie bei mir bleiben, in den nächsten Tagen zu beschäftigen haben werden.«

»So! Kennen Sie ihn?«

»Leider! Er ist der berüchtigtste Sklavenjäger am oberen Nile und macht zugleich, falls es ihm einträglich erscheint, den Wüstenräuber. Er hat mich kurz vor Faschodah überfallen, um mich auszurauben und zu töten.«

»Aber g'lungen ist's ihm doch nit?«

»Nein, wie Sie sehen,« lächelte Schwarz. »Ich sitze ja lebend vor Ihnen.«

»So haben's seinen Plan vereitelt?«

»Ich habe seine Helfershelfer gefangen genommen und nach Faschodah transportiert, wo ihnen ihr Recht geworden ist; ihm aber gelang es, zu entkommen.«

»Das ist jammerschad' g'wesen. Hätten's ihn derwischt, so wär' ihm das Handwerk wohl für immer g'legt worden.«

»Ganz gewiß. Es wäre um seinen Kopf geschehen gewesen. Der Mudir brennt darauf, ihn zu fangen. Ich belauschte den Sklavenjäger, als er bei den Seinen saß, und was glauben Sie wohl, was ich da hörte?«

»Ich glaub' alles, was Sie g'hört haben.«

»Er hatte schon längst einen Raubzug zu den Niam-niam geplant und war durch einen Boten unterrichtet worden, daß jetzt zwei Weiße, zwei Naturforscher bei diesem Volke seien. Er schwur, diese beiden zu ermorden.«

»Teuxel! Da war wohl gar ich und Ihr Bruder g'meint?«

»Ja. Ich zweifelte zwar zunächst daran, weil ich glaubte, daß mein Bruder sich allein dort befinde; aber als ich aus seinem Brief ersah, daß er in Ihnen einen Gefährten gefunden hatte, da wurde es mir zur Gewißheit. daß Sie es waren, von denen man gesprochen hatte. Natürlich nahm ich mir vor, schleunigst aufzubrechen, um Abu el Mot zuvorzukommen. Der Mudir, dem ich die Angelegenheit vorstellte, versprach, mich zu unterstützen. Er wollte mir eine Anzahl Soldaten mitgeben, und dafür sollte ich ihm Abu el Mot senden, falls dieser in meine Hände fallen werde. Da ereignete sich am nächsten Morgen der Unfall mit dem Knaben, und aus Dankbarkeit für die Rettung desselben ging der Mudir noch über sein Versprechen hinaus. Kurze Zeit später kam diese Dahabiëh aus Chartum an, und er stellte sie mir zur Verfügung. Auch erhöhte er die Zahl der versprochenen Soldaten auf hundertfünfzig, welche unter einem Hauptmann mit mir gefahren sind. Sie haben diese Leute vorhin gesehen?«

»Ja. Das Verdeck wimmelte von ihnen. Also diesen Abu el Mot wollen's fangen! Das ist interessant, sehr interessant!«

»Aber nicht ganz ohne Gefahr! Er ist ein gewissenloser und verzweifelter Bösewicht. Leider war ich, wenn ich das Schiff benutzen wollte, gezwungen, einen vollen Tag länger, als sonst der Fall gewesen wäre, in Faschodah zu bleiben. Dadurch erhielt Abu el Mot einen Vorsprung, welcher nur mit Anstrengung eingebracht werden konnte. Wir hatten günstigen Wind. Wir mieteten Schilluks und dann Nuehrs, die Dahabiëh von ihnen ziehen zu lassen, und doch war Abu el Mot, als wir Diakin erreichten, schon seit fast zwei Tagen fort. Ich erfuhr, daß er über dreihundert Nuehrs angeworben hatte, jedenfalls für den Raubzug zu den Niam-niam. In Diakin hatte er einen Sandal und einen Noqer gemietet. Es galt nun, wer schneller segelte, seine Fahrzeuge oder unsre Dahabiëh.«

»Nun, wer war schneller?«

»Bis jetzt er, denn wir haben ihn noch nicht eingeholt.«

»Und wissen's vielleicht, wie weit er Ihnen voran ist?«

»Nein. Kann ich zu Lande einer Fährte folgen, so ersehe ich aus der Spur sehr leicht, wie nahe ich den Gesuchten bin. Das Wasser aber läßt keine solchen Zeichen zurück. Wir haben die möglichste Geschwindigkeit entwickelt. Wenn die Beschaffenheit des Ufers es erlaubt, so arbeiten wir am Zugseile; die Stoßstangen sind während des ganzen Tages in Thätigkeit, und da unser Fahrzeug ein vortrefflicher Segler ist, so vermute ich allerdings, daß wir dem Sklavenjäger ziemlich nahe sind.«

Der Graue nickte vor sich hin. Ein unbestimmtes Lächeln spielte um seinen Mund, und seine Nasenspitze drehte sich herüber und hinüber, als ob sie etwas sagen möchte und doch nicht sagen dürfe. Endlich fragte er:

»Wo ist denn der Bote, den wir Ihnen g'sandt haben?«

»Hier an Bord. Dieser 'Sohn der Treue' ist zwar jung, aber ein außerordentlich brauchbarer Mensch. Ohne ihn wären wir noch weit zurück, denn er kennt den Nil und das Fahrwasser desselben so genau, wie ich meine Tasche kenne.«

»Weil er mit seinem Freunde Abd es Sirr sehr oft Fahrten abwärts g'macht hat, deren Zweck man nit derfährt.«

»Wer ist dieser Abd es Sirr, dieser 'Sohn des Geheimnisses'?«

»Das werden's schon noch hören. Sagen's mir vorher, wer denn eigentlich der Heiduck ist, der sich Ihren Freund und Adjutant nennt?«

»Meinen Freund und Adjutanten? Ich habe keinen Adjutanten. Wen meinen Sie?«

»Nun, den roten Puthahn, der sich aufbläht, als ob er die Klugheit nur so mit Schneeschippen ausg'löffelt hätt'.«

»Ah, der Ungar? Der 'Vater der elf Haare'?«

»Ja, dieser ist's.«

»Ein ganz vortrefflicher Kerl!«

»Wirklich?«

»Gewiß! Er ist treu, aufopfernd, klug und sehr mutig. Denken Sie, er hat mit mir zwei Löwen erlegt!«

»Das hat er mir freilich schon g'sagt, und ich bin begierig, zu der fahren, wie das g'schehn is. Aber auch klug soll er sein? Dafür möcht' ich ihn doch nicht gelten lassen.«

»Warum nicht?«

»Weil man sich in seinen Quirlquatsch, wann er spricht, weder hinein- noch wieder 'raus finden kann. Er will Latein verstehen und spricht doch a Deutsch, bei dem einem alle Zähne aus dem Munde springen möchten.«

»So hat er also auch mit Ihnen schon angebunden? Er ist ein halbes Original und trägt sich mit der Marotte herum, ein gelehrter Kerl zu sein. Sie werden ihn schon noch kennen lernen. Ich habe noch einen andern da, einen Freund von ihm, welcher Hadschi Ali heißt und 'Vater des Gelächters' genannt wird. Dieser behauptet, alle Länder und Völker, alle Städte und Dörfer der Erde zu kennen. Solche Leute muß man mit Nachsicht behandeln. Wenn man ihnen ihre 'Neunundneunzig' läßt, sind sie die besten Menschen.«

»Da bin ich freilich voreilig g'wesen, denn ich hab' ihn tüchtig ausg'zankt.«

»O weh!«

»Ja. Ich war fast grob mit ihm, und im Ärger darüber ist er auf und davong'laufen. Jetzund thut mir's leid. Ich hab' mir vorg'nommen, es ihm abzubitten.«

»Das ist nicht nötig. Wenn Sie ihn freundlich behandeln, wird er es wohl vergessen. Die Sache ist mehr lustig als ärgerlich. Ich lasse ihn sprechen, und will mir je einmal die Geduld ausgehen, so denke ich daran, daß ich auch meine schwache Seite besitze und nicht immer klug und weise gehandelt habe.«

»Ich auch nit,« stimmte der Graue bei. »Ich hätt's wohl auch zuweilen g'scheiter machen können, besonders damals!«

»Damals? Was meinen Sie?«

»Nun, als ich in der Quart g'sessen bin.«

Schwarz glaubte, daß es sich um etwas Besonderes und Wichtiges handle, und fragte:

»Was ist Ihnen da geschehen?«

»A arger Streich. Ich sprech' zwar nie davon, und niemand braucht's zu wissen, aber unter Freunden darf man schon offen sein. Wissen's, der Professor von der Naturgeschicht hat 'n Spitz auf mich g'habt, weil ich ihn immer nach Dingen g'fragt hab', welche selbst a G'lehrter nit beantworten kann.«

»So, so!« dehnte Schwarz, vollständig überzeugt, daß er etwas Hochinteressantes erfahren werde.

»Ja, so ist's g'wesen. Er hat nur auf die Gelegenheit g'wartet, mich dafür in die Tinte zu bringen. Nachher ist's Examen kommen, und ich hab' die neue Chemisetten umg'bunden und den bunten Schlips dazu, weil es mir dann mit dem Antworten gar nicht fehlen kann. Die Fragen sind nach der Reih' an uns g'richtet worden, und als ich dran war, bin ich aufg'standen und hab' wunder denkt, was er mich fragen werd'.«

»Nun, bitte weiter!«

»Ja, weiter! Jetzt kommt das Loch, in welches ich g'stolpert bin. Was denken's wohl, was er mich g'fragt hat?«

»Das kann ich nicht erraten.«

»Nein, denn ich selbst hätt's nit derraten 'konnt. Er hat nämlich wissen wollen, warum die Vögel Federn haben.«

Der Graue hatte seine Geschichte so ernst vorgetragen, als ob es sich um eine wichtige Staatsaffaire handle. Darum fühlte sich Schwarz jetzt ungeheuer enttäuscht. Er wußte sozusagen nicht, ob er lachen oder weinen solle, hielt es aber doch für seine Schuldigkeit, sich zu erkundigen:

»Welche Antwort haben Sie ihm denn gegeben?«

»Zunächst hab' ich gar nix g'sagt.«

»Das wäre mir an Ihrer Stelle ganz ebenso passiert.«

»Nit wahr! Sie sind halt ein verständnisvoller Mann. Ich hab' zwei große Augen g'macht und den Mund offen g'habt, damit mir eine richtige Antwort kommen soll, und nachhero bin ich – –«

Er wurde unterbrochen, denn es klopfte an, und der »Vater der elf Haare« trat herein. Er würdigte den Grauen keines Blickes und wendete sich an Schwarz, ihm eine Meldung zu machen. Er hätte dies in arabischer Sprache thun können; aber da Pfotenhauer behauptet hatte, daß sein Deutsch nichts tauge, bediente er sich dieses letzteren, um den schändlichen Beleidiger niederzuschmettern:

»Ich meldete Besuch, kommender!«

»Wer will kommen?« fragte Schwarz.

»Es sein Lieutenant von Seribah, hiesiger.«

»Ah! Ist er schon da?«

»Noch nicht mit Vollständigkeit. Er kommte her hinter Rücken, meinigem.«

»Du warst jetzt oben?«

»Ja. Ich seinte gegangte hinauf, weil unten hatt geseßte Person, unhöfliche!«

Dabei warf er einen vernichtenden Blick auf den Grauen.

»Und da sprach der Lieutenant mit dir von mir?«

»Er willte haben gewißt, ob Sie wohnte auf Schiff, diesiges, oder herbergte in Seribah. Er hatt Absicht, freundliche, Sie einladente zu Mahl, abendliches. Er geschickte mich hieher, um zu erzählte von seiner Gegenwart, baldiger.«

»Gut! Wenn er kommt, so öffnest du ihm die Thür.«

»Es soll geschehente mit Vergnügen, allergrößtem!«

Er verbeugte sich und wendete sich zum Gehen, drehte sich aber wieder um, trat zwei Schritte näher und fragte Schwarz:

»Sie haben lernen kennte alle Fähigkeiten, meinige; ich bitt', mir zu gebte Zeugnis, wahrheitliches.«

»Worüber?«

»Über Latein, meiniges.«

»Für deinen Bedarf ist es mehr als ausreichend.«

»Ich sagte Dankbarkeit, herzliche!«

Er warf dem Grauen von der Seite her einen triumphierenden Blick zu und fuhr fort:

»Und noch eine Censur über meine Sprache, germanische. Wie drückte ich mich aus in die selbige? Mit Unkenntnis, wehmutsvoller, oder mit Leichtigkeit, außerordentlicher?«

»Ich verstehe dein Deutsch sehr leicht und vollkommen.«

»Gut! Weiter willte ich nichts haben gehörte. Sie seint Retter, edler, von großer Ehre, meiniger! Person, feindselige, ist geschlagte in Flucht, schimpflichte!«

Er machte eine energische Seitenschwenkung und stolzierte so hart, daß er ihm beinahe auf die Füße trat, an dem Grauen vorüber und zur Thür hinaus. Kaum aber hatte er sie geschlossen, so riß er sie wieder auf und rief herein:

»Er kommte gegangte, Kommandeur von Seribah, lieutenantlicher!«

Der alte stellvertretende Befehlshaber kam unter tiefen Verbeugungen herein. Er hatte von seinen Leuten gehört, daß das Schiff eine vicekönigliche Dahabiëh sei. Der Herr, den sie brachte, mußte also ein sehr vornehmer Beamter sein, welchem er unbedingt seine Aufwartung machen mußte.

Sein Besuch hatte freilich einen noch andern Grund, von welchem zu sprechen er sich aber sehr wohl hütete. Der Sklavenhandel war streng verboten worden, und doch war seine Seribah nur zu dem Zwecke errichtet und wurde zu dem Zwecke unterhalten, Neger zu fangen und zu verkaufen. Das war dem Mudir von Faschodah bekannt, und das mußte also auch der Effendi wissen, welcher jetzt auf der Regierungsdahabiëh angekommen war. Was nun hatte seine Ankunft für einen Zweck? Wollte er die Seribah besichtigen? Wollte er nach gefangenen Negern suchen? Glücklicherweise waren solche gerade jetzt nicht vorhanden. Vielleicht war er gekommen, neue Gesetze und Verordnungen zu verkündigen. Was es auch sei, was ihn hiehergeführt hatte, die Klugheit erforderte, ihn in entgegenkommender, schuldiger Unterthänigkeit aufzusuchen, seinen Befehlen entgegen zu sehen und bei dieser Gelegenheit listig nach seinen eigentlichen Absichten zu forschen.

Schwarz war klug und erfahren genug, ihn zu durchschauen und dem angemessen zu behandeln. Er ließ Kaffee und noch eine Pfeife kommen, lud den Alten ein, sich zu setzen, richtete an ihn die landläufigen Höflichkeitsfragen und vermied es, das Gespräch auf die Seribah und den Sklavenhandel zu bringen. Er sagte, daß er bis morgen bleiben und diese Nacht auf dem Schiffe schlafen werde. Auch teilte er ihm mit, daß Pfotenhauer nicht beabsichtige, nach der Seribah zurückzukehren.

Als der Lieutenant sich nach einer halben Stunde verabschiedete, war er so klug wie zuvor, ja er nahm eine gewisse Besorgnis mit. Er hielt es für kein gutes Zeichen, daß Schwarz sich so außerordentlich zugeknöpft verhalten hatte, und schickte, oben angekommen, sogleich einen reitenden Boten nach Jau, um den Herrn herbei zu holen. Er wußte, daß dieser schon unterwegs war, da er morgen mittag hatte eintreffen wollen, besser aber war es jedenfalls, wenn die Ankunft noch eher erfolgte.

»Der hatte Angst,« sagte Schwarz, als der Alte fort war. »Vielleicht kann ich das zu meinem Vorteil ausbeuten.«

»Angst vor Ihnen?« fragte der Graue. »Weshalb?«

»Weil er mich für einen Regierungsbeamten hält. Nun habe ich meinen Soldaten erlaubt, an das Land zu gehen und die Seribah zu besuchen. Sie werden dort erzählen, daß wir die Absicht haben, Abu el Mot zu fangen. Das wird seine Sorge vergrößern, denn der Gedanke liegt ihm nahe, daß ich die gleichen Absichten auch gegen diese Seribah verfolge.«

»Wann's das meinen, so täuschen's sich vielleicht. Ich weiß genau, daß diese Leute Abu el Mot hassen. Er darf sich gar nit in ihre Nähe wagen.«

»Das sollte mir außerordentlich lieb sein. Vielleicht könnte ich sie veranlassen, sich mir anzuschließen. Ich konnte nicht ahnen, daß Abu el Mot so viele Nuehrs anwerben werde. Mit meinen hundertfünfzig Mann brauche ich freilich dreihundert Nuehrs nicht zu fürchten, aber die Bemannung seiner Seribah soll fünfhundert Köpfe stark sein. Das gibt in Summa achthundert, gegen welche wir in offenem Kampfe doch zu schwach sein würden. Ich muß mich mehr auf meine List, als auf unsre Gewehre verlassen. Könnte ich mich hier verstärken, so würde mir das hoch willkommen sein.«

»Aber Sie haben's nun doch gar nit nötig, mit Abu el Mot anzubinden,« meinte der Graue, welcher noch immer zögerte, mit seinen Mitteilungen vorzugehen.

»Wieso?«

»Weil's diesen Entschluß nur aus dem Grund g'faßt haben, Ihren Bruder und mich zu retten, was nun nit mehr nötig ist.«

»Selbst wenn das wegfiele, wäre ich verpflichtet, das Wort zu halten, welches ich dem Mudir von Faschodah gegeben habe. Und noch sehe ich meinen Bruder nicht. Sie haben mir ja noch nicht gesagt, wo er sich befindet und warum er nicht mit Ihnen gekommen ist. Ich strecke meine Hand auf jeden Fall nach Abu el Mot aus, und wäre es nur, ihn dafür zu bestrafen, daß er mich überfallen hat. Den Ausgang freilich kann ich nicht vorher sehen, und ich mute Ihnen auch nicht zu, sich mir anzuschließen. Sie können ja hier bleiben und den Erfolg abwarten.«

»So! Hier bleiben und warten, während Sie sich in G'fahr begeben, da wär' ich ja aan schöner Kerl! Das brauchen's von mir nit zu denken. Nein, ich geh mit, und ich hau mit zu, daß die Funken fliegen, zumal ich überzeugt bin, daß die Sach' gar nit so schwer ist, wie Sie denken. Ich halt es vielmehr für sehr leicht, den alten Abu zu fangen, denn seine Seribah steht jetzt leer, und die Besatzung, welche zurückg'lassen wurde, hat sich empört, das ganze Dings verbrannt und sich dann auf und davon g'macht.«

Schwarz sah den Sprecher wortlos an. Das, was er vernahm, mußte er für unmöglich halten.

»Ja,« lachte der Graue, »da schauen's mich an und machen den Mund sperrangelweit auf wie damals ich, als ich sagen sollt', warum die Vögel Federn haben!«

»Weil Sie sich jedenfalls irren!«

»Ich irr' mich nit; ich weiß es genau, denn ich bin gestern abend selbst dort g'wesen und hab' die Trümmer rauchen sehen.«

»Sie waren dort? Wirklich?«

»Ja freilich, und Ihr Bruder mit!«

»Was! Sie beide in der Höhle des Löwen, der es auf Sie abgesehen hat?«

»Er war ja nit da. Ich bin ihm erst heute unterwegs begegnet.«

»Sie haben ihn selbst gesehen?«

»Ihn und seine beiden Schiffe. Er stand auf dem Sandal neben dem Steuer und der Häuptling der Nuehr neben ihm.«

»So sagen Sie schnell, wann war das, und wie weit von hier?«

»Eine Stund' haben wir noch nötig g'habt, um hieher zu kommen, also schätz' ich, wie Sie mit der Dahabiëh segeln gibt's vier Stunden, bis Sie die Stell' erreichen, an welcher wir ihm begegnet sind.«

»So nahe also sind wir an ihn gekommen! Wenn er des Nachts beilegt, wie wir es gethan haben, so kann ich ihn bis morgen abend einholen.«

»Das ist leicht möglich. Der Proviant ist ihm aus'gangen, und er muß also jagen und fischen, wann seine Nuehrs nicht hungern sollen; das verlangsamt die Fahrt.«

»Auch das wissen Sie, daß er keine Vorräte hat?«

»Ja. Der Elefantenjäger hat mir's g'sagt.«

»Wer ist das?«

»Das ist – – na, ich seh' es halt, daß ich nun heraus muß mit dera Sprach'. Ich hab' bisher nix g'sagt, um Sie vorher kennen zu lernen, ob's wirklich der Mann sind, als den Ihr Bruder Sie mir b'schrieben hat. Jetzund nun werd' ich Ihnen alles verzählen, was g'schehen ist.«

Man kann sich denken, welche Teilnahme Schwarz dem Berichte des Grauen entgegenbrachte. Er sprang, als dieser zu Ende war, von seinem Sitze auf, schritt erregt in der Kajüte auf und ab und rief:

»Wer konnte so etwas ahnen! Die Seribah eingeäschert, Empörung unter den Leuten und mein Bruder nach Ombula! Das ist zu verwegen von ihm. Er hätte es unterlassen sollen!«

»Damit die armen Belanda hingemordet oder in die Sklaverei geschleppt werden?«

»Ja, das ist wahr. Sie haben recht. Ich an seiner Stelle hätte ebenso gehandelt wie er. Aber, was das nächste ist: Wo befinden sich die beiden Belandaneger, dieser Lobo und Tolo?«

»Noch im Boote. Sie konnten nit hinauf in die Seribah g'schafft werden, da ich erst wissen wollt', ob's mir selbst da oben b'hagt. Ich hab' dem 'Sohne des Geheimnisses' anbefohlen, nach ihnen zu schauen. Als ich vorhin mit dem 'Vater der elf Haare' im Boote saß, schlief Tolo, welcher überhaupt in einem fort schläft, und Lobo wachte still bei ihm.«

»Dort dürfen sie nicht bleiben. Ich werde sie nach der Dahabiëh holen lassen.«

Er ging hinaus, um den betreffenden Befehl zu erteilen. Bei dieser Gelegenheit sah er den »Sohn des Geheimnisses« und den »Sohn der Treue«. Der erstere war von der Seribah herabgekommen, seinen Busenfreund zu begrüßen. Er nahm sie beide mit in die Kajüte, um sie an der nun notwendigen Beratung teilnehmen zu lassen.

Diese dauerte fast bis Mitternacht, dann legte man sich zur Ruhe. Die Schläfer wurden schon beim Sonnenaufgang durch das laute Morgengebet der Soldaten geweckt. Schwarz und Pfotenhauer standen auf. Sie hatten beschlossen, nach der Seribah zu gehen, um den Kommandanten zu bewegen, ihnen eine Abteilung seiner Leute mitzugeben.

Der Ungar hatte während der ganzen Fahrt sich Schwarz unentbehrlich zu machen gesucht. Er war eifersüchtig auf jeden andern und sah es nur sehr ungern, daß die schwarzen Diener mehr um den Herrn sein mußten als er. Kaum schloß er aus dem durch die dünnen Kajütenwände dringenden Geräusch, daß Schwarz wach sei, so trat er nach vorherigem Anklopfen ein und meldete, ohne dem Grauen einen Blick zu gönnen, in deutscher Sprache:

»Es seinte wieder da Besuch von Seribah, hiesiger. Willte sprechte Herrn Doktor, geehrten.«

»Wer ist's?« erkundigte sich Schwarz.

»Hasab Murat, Herr von Seribah. Seinte kommen schon, als noch warrr geweste Nacht, finstere.«

»Und da hat er bis jetzt gewartet?«

»Ja. Er willte nicht gehen, ohne zu sprechen gehabte mit Effendi, hochgeborenem.«

»Laß ihn herein und sorge für Kaffee und Pfeifen!«

Hasab Murat war ein behäbiger Ägypter, welcher eher das Aussehen eines biedern Teppichhändlers, als dasjenige eines Sklavenjägers hatte. Er verbeugte sich fast bis zur Erde und wartete, bis man ihn anreden werde. Schwarz winkte ihm zu, sich zu setzen, und beobachtete ein würdevolles Schweigen, bis der Kaffee und die Pfeifen gebracht worden waren. Erst als man die Tassen geleert und die Meerschaumspitzen im Munde hatte, begann er:

»Ich vernehme, daß du der Gebieter von Madunga bist. Du wünschest, mich zu sprechen. Ich höre deine Worte.«

Der Herr, welchem der Bote seines Lieutenants rechtzeitig begegnet war, besann sich einige Augenblicke, wie er auf diese reservierte Ansprache beginnen solle, und antwortete dann:

»Ich kam während der Nacht von der Reise zurück und erfuhr deine Gegenwart. Ich ging sogleich an Bord der Dahabiëh, um dir meine Ehrfurcht zu erweisen.«

»Ich habe keinen Anspruch auf dieselbe, denn du bist älter als ich.«

»Der Abgesandte der Regierung ist bejahrter als der älteste Greis.«

»Du irrst. Ich bin nicht das, wofür du mich hältst«

Über das Gesicht des Ägypters glitt ein demütig-pfiffiges Lächeln. Sein Auge schweifte mit einem bezeichnenden Blicke umher, mit welchem er deutlich genug sagte: Mich machst du nicht irre; ich weiß genau, woran ich bin! Und dann antwortete er:

»Nur Allah darf den Mund des Menschen öffnen, ich aber achte deine Verschwiegenheit. Wie lange wirst du hier an meiner Mischrah bleiben?«

»Bis ich mit dir gesprochen habe. Du handelst noch mit Sklaven?«

»Effendi!« fuhr der Mann erschrocken auf. »Das Gesetz verbietet seit einiger Zeit dieses Geschäft, und ich bin ein gehorsamer Unterthan der Obrigkeit.«

»Kannst du das beweisen?«

»Fordere Beweise, und wenn es in meiner Macht liegt, so gebe Ich sie.«

»So sage mir aufrichtig, ob Abu el Mot noch auf Ghasuah zieht.«

»Er thut es; er fängt noch Sklaven. Allah verdamme ihn.«

»Du sagst die Wahrheit; ich weiß es. Eben jetzt will er wieder eine Ghasuah unternehmen, und ich bin gekommen, ihn dabei abzufangen. Was sagst du dazu?«

Das Gesicht Hasab Murats glänzte vor Freude, als er die Bestätigung dessen vernahm, was ihm sein Lieutenant gemeldet hatte. Abu el Mot war sein bedeutendster Konkurrent und zugleich sein persönlicher Feind; ihm gönnte er alles Böse. Wurde diesem Manne das Handwerk gelegt, so blühte es für die Seribah Madunga doppelt auf. Darum antwortete er:

»Möge ihm geschehen, was er verdient hat! Ich bitte zu Allah, seine Sünden über ihn kommen zu lassen.«

»Das ist ein Beweis, daß du gelernt hast, die Sünde des Menschenhandels zu hassen. Ich wünsche, die Nähe deiner Seribah von diesem Sklavenjäger zu befreien; aber ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird. Ich hörte zu spät, daß Abu el Mot neue Leute angeworben hat, und befürchte nun, daß meine Truppen nicht zahlreich genug sind, diesen Mann unschädlich zu machen.«

Als Hasab Murat diese Worte, welche ihm wie Musik in die Ohren klangen, hörte, fühlte er sich entzückt. Er zögerte keinen Augenblick, die Antwort zu geben, welche Schwarz erwartet hatte:

»Effendi, es ist Pflicht eines jeden Unterthanen, die Obrigkeit in der Ausübung der Gerechtigkeit zu unterstützen. Darf ich dir meine Leute anbieten?«

»Ja. Ich erwartete das von dir. Aber was verlangst du für diesen Dienst?«

»Nichts, gar nichts. Ich würde mir meine Hand abhauen, wenn sie auch nur einen Piaster von dir nehmen wollte! Ich bitte dich nur um das eine, daß ich selbst mitkommen darf. Meine Leute sind gewöhnt, daß ich sie kommandiere; natürlich aber stehe ich unter deinem Oberbefehle und werde streng und genau nach deiner Weisung handeln.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Du darfst mitgehen und stehst unter mir. Wieviel Köpfe wirst du zusammenbringen?«

»Ich darf die Seribah nicht entblößen, doch suche ich die besten Krieger aus und werde ihrer über dreihundert zählen. Sie sind sehr gut bewaffnet, und für Proviant ist stets gesorgt.«

»Dreihundert! Mit ihnen wäre ich des Sieges gewiß; leider aber muß ich auf eine so zahlreiche Schar verzichten. Ich kann nur so viele mitnehmen, als mein Schiff noch faßt.«

»So willst du den Zug nicht zu Lande unternehmen?«

»Wenigstens von hier aus nicht. Wir würden volle drei Tage brauchen, nur um die Seribah Abu el Mots zu erreichen, und ich muß noch eher dort sein. Oder gibt es Schiffe in der Nähe?«

»Es gibt welche, Effendi.«

»Wo? Bei wem?«

Diese Frage versetzte den Ägypter in große Verlegenheit; er wand sich hin und her, bis er erklärte:

»Effendi, ich habe mein Wort gegeben, es nicht zu verraten. Wer hier ein Schiff besitzt, der versteckt es, wenn er es nicht braucht. Es gibt Maijehs, welche mit dem Flusse in Verbindung stehen und deren Eingang durch das Rohr und Schilf verdeckt wird. An solche Orte verbirgt man die Fahrzeuge wenn man ihrer für längere Zeit nicht bedarf.«

»Du sprichst nicht von einem Schiff, sondern von Schiffen. So stehen dir wohl mehrere zur Verfügung?«

»Zwei Noqer sind's, die ich bekommen kann, gerade bequem genug für dreihundert Krieger.«

»Und wann spätestens können sie hier sein?«

»Wenn ich mich beeile, so können wir mit den voll bemannten Fahrzeugen gerade am Mittag absegeln.«

»Gut, so spute dich! Ich werde so lange warten und die Fahrt aber pünktlich um diese Zeit beginnen.«

Der Mann eilte fort, innerlich jubelnd über diesen Erfolg seines Frühbesuches bei dem Manne, dessen Ankunft ihn in so große Sorge versetzt hatte.

Ebenso froh wie dieser Mann war Schwarz. Eine so ansehnliche Hilfstruppe zu bekommen, daran hatte er gar nicht gedacht.

Zunächst suchte er den Hauptmann auf, welcher eine separate kleine Kajüte bewohnte, und teilte ihm mit, was beschlossen worden war. Soldaten gab es auf der Dahabiëh nur so viele, als zur Bewachung des Schiffes nötig waren. Die andern waren alle schon nach der Seribah gegangen, wo sie gestern abend gute Kameradschaft geschlossen hatten.

Abd es Sirr und Ben Wafa, die beiden jungen Freunde, saßen auf dem Deck und erzählten einander, was sie seit ihrer letzten Trennung erlebt und gesehen hatten. Schwarz forderte sie auf, mitzugehen und sie thaten dies sehr gern, da sie es für eine Auszeichnung hielten, bei ihm sein zu dürfen. Schwarz hatte von Pfotenhauer alles erfahren, was dieser von Abd es Sirr wußte. Sie hatten die Seribah vor sich liegen. Über dem Thore war die Fahne des Propheten als Kriegszeichen aufgepflanzt, und überall, wohin das Auge blickte, sah es die Leute mit den Vorbereitungen zum Aufbruche beschäftigt. Nur an einer Stelle, gleich wenn man den Haupteingang hinter sich hatte, gab es eine Anzahl Müßiger, welche einen Kreis gebildet hatten, um einer Rede des Ungarn zuzuhören.

Er stand auf Brettern, welche auf zwei Pulverfässer gelegt waren, neben ihm sein Freund und Zankgenosse, der »Vater des Gelächters«. Der kleine Sohn der Blattern erzählte soeben, als Schwarz und Pfotenhauer hereinkamen, von dem Überfalle an der Quelle des Löwen. Er that dies, um seine Zuhörer zur Rache gegen Abu el Mot anzufeuern. Daran schloß er die Geschichte von der Erlegung der Löwen. Jedenfalls hatte er es sich vorher vorgenommen gehabt, von dieser Heldenthat zu sprechen, denn er führte als Beweis der Wahrheit seiner Worte die vordere Hälfte des Löwenfells mit sich, wogegen er seinen Federturban auf dem Schiffe zurückgelassen hatte; er trug die Löwenhaut so, wie die alten Deutschen ihre Bären- und Ochsenfelle trugen, nämlich solchergestalt, daß sein Kopf im Schädel des Löwen steckte und das Fell ihm über den Rücken hinabhing.

Auch der »Vater des Gelächters« hatte seine Hälfte mit. Sie war so um seine Schultern gelegt, daß die Schwanzspitze bis auf die Bretter herabreichte.

»Ja, ihr Männer des Krieges und der Tapferkeit, vernehmt die Heldenthat, durch welche wir Dschezzar-Bei, den Würger der Herden, töteten!« rief er laut. »Wir haben ihn und seine Frau besiegt und dann noch seinen Sohn gefangen genommen. Hadschi Ali, sag', ob es so ist! Spreche ich die Wahrheit?«

Der »Vater des Gelächters« nickte und antwortete:

»Es ist keine Lüge.«

Er wollte das durch ein sehr ernstes Gesicht bekräftigen, zog aber statt dessen eine solche Fratze, daß die Zuhörer in ein lautes Gelächter ausbrachen.

»Was habt ihr zu lachen?« fuhr der Ungar fort. »Diesen 'Vater des Gelächters' mögt ihr immerhin auslachen, doch nur nicht etwa mich; ich vertrage keinen Spott! Also wir saßen am Feuer und glaubten uns an demselben vollständig sicher; da erscholl die Stimme des Löwen aus der Ferne. Sag', ob das wahr ist, Hadschi Ali! Du hast das Brüllen doch auch gehört.«

»Es ist genau so, wie du sagst,« bestätigte der Genannte, indem er ein Gesicht zog, als ob er sich totlachen wolle.

»Ja, ich sage die Wahrheit. Der 'Vater des Mordes', der Herr mit dem dicken Kopfe kam herbei. Die Araber und Händler versteckten sich aus Angst hinter das Gepäck, aber ich und dieser mein Freund, welcher hier neben mir steht, wir hielten tapfer zu dem 'Vater der vier Augen', welcher zu seinem Gewehre gegriffen hatte, um den Löwen mit uns zu erlegen. Dieser Effendi steht hinter euch. Betrachtet ihn, und laßt euch von ihm die Wahrheit meiner Worte bestätigen!«

Die Blicke aller wendeten sich auf Schwarz. Dann fuhr der Slowak fort, zu erzählen, wie der Löwe erlegt worden war und die Löwin dann herbeigesprungen kam.

»Wir glaubten fertig zu sein,« sagte er. »Aber die Frau des Herdenwürgers hatte die Stimmen unsrer Gewehre gehört und eilte herzu, ihrem Manne zu helfen oder seinen Tod zu rächen. Das war eine große, eine entsetzliche Gefahr, nicht wahr, Hadschi Ali?«

»Ja, es war fürchterlich,« antwortete der »Vater des Gelächters«, indem er trotz der großen Gefahr, welche geschildert wurde, eine Grimasse zog, als ob er am ganzen Körper gekitzelt werde.

Der Slowak führte seine Erzählung zu Ende und schilderte dann die Teilung des Felles.

»Mir als dem Tapfersten fiel die vordere Hälfte zu,« berichtet er. »Und sodann – – –«

»Schweig!« fiel ihm sein Freund und Genosse in die Rede. »Der Effendi war der Tapferste. Du aber bist nicht mutiger gewesen als ich. Deine Hälfte ist dir durch das Los zugefallen, weshalb wir dich noch heute wegen des großen Maules, welches der Löwe hat, und welches auch du besitzest, Abu el buz, 'Vater des Maules' nennen.«

»Schweig du selbst,« antwortete der Kleine zornig. »Mein Maul ist nicht größer als das deinige. Es ist jedenfalls ruhmvoller, den Kopf des Löwen zu haben, als den Schweif. Oder hältst du es etwa für eine große Ehre, Abu ed daneb 'Vater des Schwanzes' genannt zu werden? Siehe dich nur an, wie lächerlich dich deine hintere Hälfte kleidet!«

»Selber lächerlich!« schrie der andre. »Wenn du mich so fort beschimpfest, verzehre ich dich mit meinem Zorne und vernichte dich mit meinem Grimme!«

Er wollte sein fürchterliches Gesicht machen; es bekam aber ein solches Aussehen, als ob er infolge eines guten Witzes gar nicht aus dem Lachen herauskommen könne.

»Ich verachte deinen Zorn!« antwortete der Kleine. »Weißt du nicht, daß ich ein berühmter Gelehrter bin und sogar Latein verstehe, wovon du keine Ahnung hast!«

»Und ich kenne alle Völker und Dörfer der Erde, und alle Länder und Einwohner des Weltkreises nenne ich mit Namen. Mache mir das nach, wenn du es kannst!«

»Gut! Ich werde es dir nachmachen; aber mache mir es nur erst vor!«

»Das werde ich thun, um dich vor diesen vielen Zeugen zu blamieren, daß du dich scheuen sollst, jemals wieder einen Menschen anzusehen. Wage es doch einmal, mich nach meinen Völkern und Dörfern zu fragen!«

»Gleich werde ich fragen! Wie heißen die Inseln, welche westlich von der großen Wüste Sahara im Meere liegen?«

»Bilad el adscham

»Falsch! Wie heißt das Land, welches die Spitze von Afrika bildet?«

»Bilad el moskob

»Wie heißt das Land, welches ganz im Norden von Europa liegt?«

»Sailan

»Noch falscher! Und wie heißt das größte Reich der Erde, welches den Osten von Asien bildet?«

»Dschebel et Tarik

Da schlug der Slowak die Hände zusammen, lachte laut auf und rief:

»O du 'Vater des Schwanzes', wie hast du dich jetzt so lächerlich gemacht! Die Inseln jenseits der Wüste heißen Dschesajir kanara. An der Spitze von Afrika liegt das Bilad er ras. Das nördlichste Land von Europa heißt Bilad el lap, und im Osten von Asien liegt das größte Reich der Erde, Bilad ed dschin. Du hast also lauter falsche Antworten gegeben!«

»Ich antwortete richtig!« behauptete der »Vater des Gelächters«.

»Nein, falsch!«

»Beweise es!« schrie der Geograph, indem er in größter Wut mit den Füßen die Bretter stampfte, so daß der Löwenschwanz den Takt mit ihnen schlug.

»Die Worte eines Mannes, welcher Latein versteht, sind stets richtig; er braucht nichts zu beweisen,« antwortete der Kleine stolz. »Mit den Ländern habe ich dich vollständig geschlagen. Wie steht es nun mit den Völkern und Dörfern?«

»Ich kenne sie alle!«

»Wollen doch einmal sehen, ob das wahr ist. Welches Volk wohnt gerade in der Mitte von Europa?«

»Das sind die Swahili

»Falsch! Welches Volk wohnt nördlich von Indien?«

»Die FilimenkHolländer.«

»Auch falsch! Welches Volk wohnt ganz im Süden von Bilad ed dinja

»Die Talian

»Auch das ist falsch! Nun sag aber doch einmal, wo Nagy Mihaly liegt?«

»Das gibt's gar nicht!«

»Das gibt's gar wohl, denn dort bin ich geboren! Und wo liegt Buxtehude?«

»In Le Leli

»Laß dich nicht auslachen! Wo liegt wohl Blasewitz?«

»Auch das gibt es nicht!«

»Freilich gibt es das, denn dort hat Schiller seine Gustel geheiratet. Aber von diesem Schiller hast du freilich noch nie etwas gehört. Und wo liegt Itzehoe?«

»In Dschenowah

»Auch das ist nicht richtig. Hättest du das Buch gelesen, welches eben dieser berühmte Schiller über die Dschigrafija geschrieben hat, so würdest du wissen, daß dieses Itzehoe im Duar Salak el hadschar liegt! Deine Antworten sind eben alle falsch. Du kennst kein einziges fremdes Volk und keine einzige fremde Stadt. Du bist so dumm, daß ich über dich weinen möchte!«

»Beweise es doch! Beweise es!« brüllte der »Vater des Gelächters«, jetzt fast außer sich vor Wut, daß er vor so vielen Zuhörern blamiert wurde. »Es ist sehr leicht, so etwas zu behaupten; aber den Beweis zu liefern, das ist die Hauptsache!«

»Das kann ich. Frage doch die beiden Effendis, welche hier stehen! Sie werden dir sagen, daß ich recht habe, du aber unrecht hast!«

Schwarz und Pfotenhauer waren bei der interessanten Gruppe stehen geblieben. Der kleine »Vater der elf Haare« sah in seinem roten Fracke, den er bei einem Händler in Faschodah aufgegabelt hatte, und mit der übergeworfenen Löwenhaut gar zu drollig aus. Aber sich nun an dem Streite zu beteiligen, das beabsichtigten sie nicht. Als der Slowak seinen Gegner jetzt auf sie verwies, wollten sie sich schnell entfernen, um den Vater des Gelächters nicht beleidigen zu müssen; dieser aber enthob sie der beabsichtigten Flucht, denn er antwortete:

»Ich habe es nur mit dir, aber nicht mit andern Leuten zu thun. Du bist es, den ich schlagen will und schlagen werde, nicht aber sind es diese beiden Effendis, von denen jeder allein zehntausendmal gescheiter ist als wir beide zusammengenommen! Zeige doch dein Latein und deine Wissenschaft! Beweise es doch, daß du die Völker und Dörfer der Erde besser kennst als ich!«

»Das kann ich schon beweisen. Sage mir nur, wie!«

»Ich werde dich fragen, ganz so, wie du mich gefragt hast!«

»Thue das! Man wird sehen, wie du über die Klugheit meiner Antworten staunen wirst.«

»Wollen sehen! Sage mir also einmal, wo liegt der berühmte Ort Al Hutama?«

Dieses Wort ist ein Beiname der Hölle, welcher ihr in der hundertvierten Sure gegeben wird. Der schlaue »Vater des Gelächters« wendete sich also klugerweise auf ein Feld, auf welches der Slowak ihm nicht folgen konnte.

»Das weiß ich freilich nicht,« mußte dieser gestehen. »Ich habe von dieser Stadt noch nie gehört.«

Ein allgemeines Gelächter war die Folge dieser Antwort, denn als Mohammedanern war allen Anwesenden das Wort bekannt.

»Schau! Deine Wissenschaft läßt dich schon bei meiner ersten Frage im Stich!« jubelte der Hadschi, indem er ein Gesicht zog, infolgedessen das Gelächter sich verdoppelte. Er aber fuhr, davon unbeirrt, fort: »Jetzt sage mir, in welchem Lande der berühmte Tasnim entspringt!«

Tasnim ist eine Quelle im Paradiese. Sie wird in der dreiundachtzigsten Sure erwähnt.

»Auch diesen Namen kenne ich nicht,« antwortete der Kleine.

Ein rundum laufendes Murmeln ließ ihm erkennen, daß man sich über seine Unwissenheit wundere.

»So sage mir wenigstens, wo Sidschin liegt!«

Dieser Name befindet sich in derselben Sure und bezeichnet einen Ort der Unterwelt, in welchem das Verzeichnis der Handlungen aller bösen Menschen und Geister aufbewahrt wird; auch dieses Verzeichnis selbst wird Sidschin genannt.

»Weißt du es denn selbst?« opponierte der Rotfrackige.

»Natürlich weiß ich es. Wir alle wissen es; du aber nicht?«

»Frage weiter!« sagte der Kleine, ohne eine direkte Antwort zu geben.

»So sage mir nur noch, wo al' Ahkaf liegt!«

Al' Ahkaf bedeutet eigentlich Sandhaufen und ist der Name eines sehr sandigen Thales in der Provinz Hadramaut, wo die Aditen, von denen der Koran wiederholt spricht, gewohnt haben sollen. Dieses Thal wird im 21. Vers der sechsundvierzigsten Sure erwähnt, und darum wird diese ganze Sure Al' Ahkaf genannt.

»Auch das weiß ich nicht,« gestand der Ungar kleinlaut.

»So hast du mir nun schon zum drittenmal nicht antworten können! Ich wollte dir hundert und noch mehr ähnliche Fragen vorlegen, und du würdest bei jeder schweigen müssen. Wer ist nun der Kluge von uns beiden?«

»Keiner! Du hast mir nicht antworten können und ich dir nicht, folglich ist einer so klug wie der andere. Du kennst deine Völker und Dörfer und ich meine Wissenschaften und mein Latein. Wir wollen uns unsre Gelehrsamkeit in Zukunft nicht mehr streitig machen. Habe ich recht? Stimmst du mir bei?«

»Von ganzem Herzen!« antwortete der »Vater des Gelächters« gerührt, wobei er aber ein Gesicht machte, als ob er sich über den Kleinen krank lachen wolle.

»So reiche mir deine Hand, und küsse mich! Wir sind Brüder und sind versöhnt. Mein Feind ist auch dein Feind, und deine Freunde sind auch meine Freunde!«

»So soll es sein jetzt und in alle Ewigkeit. Allah l' Allah!«

Sie umarmten und küßten sich, sprangen von ihrem Podium herab und schritten Arm in Arm von dannen.

»Sonderbare Kerle!« lachte der Graue. »So 'was hab' ich fast noch nit g'schaut. Erst wollen's sich fressen, und dann küssen's sich die G'sichter und trollen vergnügt davon. Kommt das denn öfters vor?«

»Täglich mehrere Male. Und dabei haben sie sich wirklich aufrichtig lieb. Diese beiden können ohne einander gar nicht leben, notabene, wenn sie sich streiten dürfen. Sie gestehen selbst, daß das die Liebe erneuere.«

»Ich dank' gar schön! Aber brav sind's doch alle beid'?«

»Sehr! Sie hängen so an mir, daß sie für mich ihr Leben wagen würden. Sie werden sie schon noch näher kennen lernen, Herr Doktor.«

»Was! Wie nennen's mich? Doktor etwa? Damit kommen's mir ja nit mehr!« antwortete Pfotenhauer eifrig. »Das kann ich nit leiden! Deswegen hab' ich mich mit Ihrem Bruder schon oft 'zankt.«

»Aber es ist doch der Ihnen rechtmäßig zukommende Titel!«

»Ach was Titel! Ich pfeif' darauf! Mein Nam' ist Ignatius Pfotenhauer. In der Heimat nennen's mich darum, und weil ich gern überall umherkraxelt bin, um Vögel zu fangen, rundweg nur den Vogel-Nazi. Wann's mir die Freud' machen wollen, so sagen's auch Nazi oder Naz zu mir!«

»Wenn Sie es wünschen, mir soll es recht sein!«

»Ja, ich wünsch' es sehr! Leut' wie wir, die von morgens bis abends und dann wiederum von abends bis morgens beisammen sind, die dürfen sich nit solche Titel und Komplimenten an die Köpf' werfen. Aan Fremder, den ich nit kenn' und der mich nix angeht, der muß mir mit der erforderlichen Höflichkeit kommen; von dem verlang' ich allerdings, daß er mir meine Ehr' erweist und mich Herr Doktor Vogel-Nazi Pfotenhauer nennt. Wann er das nit thut, so soll ihn der Teuxel reiten! Sie aber können sich die lange Red' dersparen. Hören's! Was geht da los? Die Gebetsstund' ist doch noch nit da; die kommt erst zum el Deghri, also des Mittags wieder.«

Der Fakir stand nämlich auf dem Minaret und schlug das Klangbrett an. Dann erhob er seine Stimme, aber nicht um zum Gebete zu rufen, sondern er verkündete mit lauter Stimme, so daß es über die ganze Seribah vernommen werden konnte:

»Auf, ihr Gläubigen, versammelt euch, um die Stunde des Glückes zu befragen! Eilt zum Versammlungsplatze, um zu hören, ob ihr am Mittag aufbrechen dürft!«

Und dann ertönte der Schall der Darabukka, die Soldaten zum Sammeln zu rufen.

»Das ist die Trommel,« sagte der Graue.

»Wissen's, wie trommeln im Arabischen heißt?«

»Ja, dakk . . . ettal.«

»Richtig! Das Wort ahmt den Schall der Trommel nach: dakk . . . ettal – dakk . . . ettal, gerade wie wir im Deutschen sagen rumdibum, rumdibum. Auch der Name Darabukka ist nur die Nachahmung dieses Schalles. Jetzt schaun's mal, wie die Kerls alle laufen! Wollen wir auch mit?«

»Ja. Wir müssen doch sehen, wie es gemacht wird, das Schicksal zu befragen, ob eine gewisse Stunde eine glückliche ist. Wir als Christen haben natürlich die Überzeugung, daß alle Tage und Stunden des Herrn sind.«

Sie fanden alle Bewohner der Seribah auf dem Versammlungsplatz beisammen, die Gesichter nach einem Tokul gerichtet, auf dessen Spitze das Zeichen des Halbmondes angebracht war. Das war die Hütte des Fakirs.

Eben als die beiden dort anlangten, kam Hasab Murat, der Herr der Seribah, aus seiner Behausung. Als er sie erblickte, ging er auf sie zu, um sie unter tiefen Verbeugungen zu begrüßen.

»Wird der Fakir sich befriedigend aussprechen?« fragte Schwarz.

»Ja, Effendi,« antwortete der Ägypter.

»Woher weißt du das?«

»Daher!«

Er griff, indem er listig mit den Augen blinzelte, in die Tasche und zog zwei Mariatheresienthaler hervor, welche er ihnen heimlich zeigte, um sie sogleich wieder einzustecken.

»Nach so einem Opfer ist die Stunde allemal glücklich,« fügte er hinzu. »Allah sieht es gern, daß man seinen Dienern Geschenke macht.«

»So eile, dies zu thun, und füge noch diese drei Abu Nokat bei!«

Er holte seinen Beutel heraus und gab ihm drei Thaler.

»Effendi, dein Herz ist reich an Güte und Klugheit,« antwortete Hasab Murat, indem er das Geld in seine Tasche gleiten ließ. »Nun wird Allah unserm Vorhaben das glücklichste Gelingen gewähren.«

Er eilte fort, um im Tokul des Fakirs zu verschwinden. Nach einiger Zeit kam er mit diesem heraus, und der Fakir verkündete mit lauter Stimme:

»Hört es, ihr Gläubigen! Ich habe das Buch des Schicksals aufgeschlagen und die Stimme der Gewährung gehört. Ich verkündige euch Sieg und dreimal Sieg. Ihr werdet die Feinde schlagen und ihre Seelen in die Hölle schicken. Allah ist Allah, und Mohammed ist sein Prophet!«

»Allah ist Allah, und Mohammed ist sein Prophet!« wiederholten über vierhundert Stimmen.

Dann ging die Versammlung auseinander. Hasab Murat erteilte seinem Basch Muni den Befehl, Tabak und Merissah zu verteilen, was mit großem Jubel aufgenommen wurde, und lud dann Schwarz und Pfotenhauer ein, um sie bei sich zu bewirten.

Er bediente sie in eigener Person und setzte ihnen das Beste vor, was die Seribah zu bieten vermochte. Es lag ihm daran, sie sich möglichst wohlgesinnt zu machen. Später kam ein Neger und flüsterte ihm eine Meldung zu. Als der Schwarze gegangen war, sagte er:

»Effendis, ich hörte soeben, daß die beiden Schiffe unten an der Mischrah angekommen sind. Wenn ihr sie sehen wollt, so könnt ihr das jetzt ungestört thun, da die Soldaten noch nicht eingeschifft sind. Erlaubt mir, euch zu begleiten!«

Er führte sie hinab an den Fluß, wo die beiden Noqer neben der Dahabiëh vor Anker lagen.

»Seht sie euch an!« sagte er in hörbarem Stolze. »Euer Fahrzeug ist gewiß ein guter Segler; ich habe das schon heute früh erkannt; aber meine Schiffe sind nach meiner eigenen Angabe auf der Mangarah von Qaun gebaut worden. Ihr Bug ist scharf; sie durchschneiden das Wasser mit Leichtigkeit, und ich habe noch kein Fahrzeug auf dem Nil gesehen, welches es mit ihnen aufnehmen könnte, eure Dahabiëh ausgenommen.«

»Das ist mir lieb,« antwortete Schwarz. »An der Schnelligkeit meines Schiffes habe ich nichts auszusetzen, und so werden die drei Fahrzeuge wohl leicht beisammen bleiben können, ohne daß das eine auf das andre zu warten hat.«

Sie bestiegen die beiden Schiffe, deren Inneres nichts Außergewöhnliches bot. Dann führte Schwarz den Ägypter auf die Dahabiëh. Auf dem Verdeck derselben angekommen, sagte er:

»Jetzt will ich dir etwas zeigen, was du heute früh wohl nicht gesehen hast. Folge mir zunächst nach hinten!«

Sie stiegen auf das Verdeck oberhalb der Kajüte, wo ein langes, schmales und niedriges Holzhäuschen stand, welches auf Rädern beweglich war und dessen Zweck ein mit demselben Unbekannter wohl nicht gleich erraten hätte.

»Was meinst du, was sich darin befindet?« fragte Schwarz.

»Das kann ich nicht erraten,« antwortete Hasab Murat.

»Erraten Sie es vielleicht?« fragte Schwarz den Grauen.

»Vielleicht,« antwortete dieser deutsch. »Wohl eine Drehbasse oder Drehkanone, welche durch das Häuschen maskiert wird, damit der Feind nit zu früh bemerkt, was er zu derwarten hat?«

»Erraten! Da sehen Sie!«

Er öffnete vorn die Thür und schob das Häuschen nach hinten über die Kanone hinweg. Der Lauf derselben lag auf einem Zapfen, so daß er im Kreise rundum nach allen Richtungen bewegt werden konnte.

»Medfa', Omm ed dauwar – eine Kanone, eine Mutter des Drachens!« rief der Ägypter, indem er für die Drehbasse sofort einen bezeichnenden Namen improvisierte. »Das ist gut! Da werden und müssen wir siegen!«

»Ich hoffe es,« antwortete Schwarz. »Das ist für einen Kampf zu Wasser. Für ein Gefecht zu Lande habe ich etwas viel Besseres. Laßt es euch zeigen!«

Er führte sie nach dem Vorderteile des Schiffes, wo ein hoher Haufen von Matten zu liegen schien. Dieser bestand aber aus nur fünf Stück. Als Schwarz dieselben entfernt hatte, zeigte sich eine Kanone, deren Lafette und Räder mit Stricken befestigt waren, daß sie feststand und nicht über Bord gehen konnte.

»Noch eine Kanone!« rief Hasab Murat. »Aber wie ist sie gebaut! So eine habe ich noch nie gesehen!«

»Das glaube ich gern,« antwortete Schwarz. »Das ist eine Konstruktion, welche selbst bei den Europäern neu ist. Der Khedive hat einige aus Bilad el ingeliz geschenkt bekommen und zwei davon dem Jaffar Pascha zum Gebrauche gegen die Sklavenräuber nach Chartum geschickt. Mit der einen ist diese Dahabiëh armiert worden, und ich denke, daß sie uns gute Dienste leisten wird, zumal wir einen tüchtigen Vorrat von Munition besitzen. Sie ist eigentlich für den Kampf zu Lande bestimmt, kann aber auch hier auf dem Deck gebraucht werden.«

»Wie heißt denn diese Konstruktion?« fragte der Graue.

»Es ist eine Maximkanone, aus welcher in der Minute recht gut fünfhundert Kugeln abgegeben werden können; das kann, wenn es erforderlich ist, sogar bis auf sechshundert gesteigert werden.«

»Alle Wetter! Da können wir ja in zwei Minuten diesen Abu el Mot mit samt seinen Leuten derschießen!«

»Da müßten sie sehr eng beisammenstehen. So schlimm, wie Sie denken, ist es freilich nicht; aber ein solches Geschütz ersetzt eine ganze Anzahl von Leuten. Die Hauptsache ist eine Taktik, welche es ermöglicht, diese Kanone zur Wirkung kommen zu lassen.«

»Na, daran soll's nit fehlen. Ich bin zwar kein Moltke und auch kein Napoleon, aber ein paar Sklavenhändler so zusammenzutreiben, daß man mit dieser Kanone auf sie schießen kann, das trau' ich mir schon zu, doch nur unter der Voraussetzung, daß nit gar auf mich selber zielt wird.«

Das Geschütz wurde wieder verhüllt, und dann war die Zeit zum Einschiffen der Soldaten gekommen. Gegen Mittag war man fertig. Die dreihundert Mann des Ägypters befanden sich auf den beiden Noqers und die hundertfünfzig aus Faschodah auf der Dahabiëh. Der Unterschied dieser beiden Schiffsarten besteht darin, daß die Dahabiëh größer und gedeckt ist, während der Noqer offen ist und kein Verdeck besitzt.

Gerade um Mittag, als von der Seribah herab der Schall des Klangbrettes ertönte und die Leute darauf ihr Gebet verrichtet hatten, wurden die Anker gehoben und die Ländseile an Bord gezogen.

Mit dem bekannten Ausrufe »ja rabb, ja rabb – o Herrgott, o Herrgott«, mit welchem die Arbeiter an ihr Werk zu gehen pflegten, stießen die Bahriji die Schiffe vom Ufer ab, an welchem die Frauen und Kinder der Soldaten standen. Die Herren mancher Seriben erlauben nämlich ihren Untergebenen, ihre Angehörigen mitzubringen, und zwar aus Berechnung, weil die Soldaten dadurch mehr an den Ort gekettet werden. Diese Weiber und Kinder riefen den Scheidenden ihr schrilles Lulululululu nach, den gewöhnlichen Abschiedsgruß, welcher noch lange über den Fluß schallte, als die Segel aufgezogen waren und, den günstigen Wind fangend, die Schiffe aufwärts trieben.

Nun zeigte es sich, daß Hasab Murat die Wahrheit gesagt hatte: Seine Noqers segelten ebenso gut wie die Dahabiëh, und Schwarz sah zu seiner Freude, daß dieser günstige Umstand die Bemannung der Fahrzeuge zum Wetteifer trieb.

Die Dahabiëh hatte natürlich ihren geschulten Reïs und einen ebenso erfahrenen Mustamel. Beide hatten jetzt dem Deutschen zu gehorchen. Auch auf jedem der beiden Noqer befand sich ein Reïs und ein Mustamel. Jeder dieser drei Reïsihn war eifersüchtig auf die Schnelligkeit der andern Fahrzeuge und bestrebte sich, es ihnen vorzuthun. Es entstand infolgedessen ein Wettkampf wie zwischen konkurrierenden Mississippidampfern. Die Reïsihn befahlen ihren Matrosen, zu den Stoßstangen zu greifen, und die Soldaten halfen aus Leibeskräften.

Ganz besonders zeichnete sich El Schachar, »der alte Schnarcher«, aus, welcher als Reïs den einen Noqer befehligte. Seine rasselnde Stimme erscholl unausgesetzt. Er feuerte nach der bekannten Art dieser arabischen Kapitäne seine Leute bald durch Schmeichelworte und bald durch die kräftigsten Schimpfreden an.

»Ja Allah, ja Nabi!« schrie er. »Amahl, amahl, ja Allah, amahl – o Gott, o Prophet, macht, macht, o Gott, macht! Ja Allah, ja Sahtir, amahl, amahl – o Gott, o Helfer, macht, macht! Eschhetu mu la il laha il Allah; sallam aaleïna be baraktak – bezeugt, daß es nur einen Gott gibt; begnadige uns mit deinem Segen! Sallah en nabi – preist den Propheten!«

Seine Leute arbeiteten in der Sonnenhitze, daß ihnen der Schweiß in Strömen über die Gesichter lief. Sein Noqer war der hintere; die Dahabiëh segelte voran. Er wollte den andern Noqer ausstechen und bestrebte sich also, ihm den Wind wegzufangen. Wenn ein Reïs den Wind teilen oder schneiden will, so sticht er sein Messer in den Mast und ruft dabei den Namen Gottes an. Darum zog »der Schnarcher« sein langes, gekrümmtes Messer, hob es hoch empor, um es seinen Leuten zu zeigen und rief dabei mit einer Stimme, als ob er Tote erwecken wolle:

»Kawahm, kawahm! Schatir, schedid – schnell, schnell! Seid fleißig, seid stark! Stoßt, schiebt, arbeitet, arbeitet, ihr Kräftigen, ihr Geschickten! Laßt nicht nach, ihr Helden! O arbeitet, ihr Hunde, ihr Feiglinge, ihr Faulenzer! Seht hier mein Messer, seht ihr es? Schneidet den Wind! Nehmt diesem Noqer den Wind, daß seine Segel schlottern. Macht, macht, ihr Kinder, ihr Söhne, ihr Lieblinge! Arbeitet, ihr Trauten, ihr Auserwählten! Jetzt kommt der Augenblick; jetzt ist er da! Sikkini, sikkini, hai sikkini – mein Messer, mein Messer, hier ist mein Messer!«

Er trat zum Maste und holte zum Stoße aus. In dem Augenblicke, als er mit seinem Segel das des voranfahrenden Noqer deckte, stieß er das Messer in den Mast und rief:

»Be issm billahi, amahl, amahl, ja mobarekihn – im Namen Gottes, arbeitet, arbeitet, ihr Gesegneten! Wir haben ihn, wir haben diesen Noqer! Seht, wie ihm der Atem vergeht! Lakuddam, lakuddam – vorwärts, vorwärts! So ist's recht; wir kommen vorüber; wir haben ihn ausgestochen! Aaïb aaleïhu, hamdulillah – Schande über ihn, Allah sei Dank!«

Das Segel des andern Noqer war flau gefallen; es klatschte an den Mast. Da der Steuermann, dies nicht beachtend, das Ruder fest hielt und die Matrosen gerade in diesem Augenblicke am Steuerbord ihre Kraft auf die Stoßstangen legten, so fiel der Noqer nach Backbord ab, und der »alte Schnarcher« segelte an ihm vorüber. Hüben jubelten die Matrosen und Soldaten. Drüben ertönten Flüche und Verwünschungen, und man arbeitete mit verdoppelter Anstrengung, diese Schande wett zu machen.

Nun richtete »der Schnarcher« seine Absicht darauf, auch die Dahabiëh auszustechen; aber dies gelang ihm nicht, da ihre Segel höher standen und auch größer waren als die seinigen; er konnte ihr den Wind nicht wegfangen. Aber dieser Wetteifer hatte zur Folge, daß die Schiffe eine ganz ungewöhnliche Fahrt machten, was auch durch den Umstand unterstützt wurde, daß der Nil hierorts frei von hindernden Schilffeldern und schwimmenden Inseln war.

Noch vor dem Nachmittagsgebet erreichte die Dahabiëh die Krümmung, hinter welcher Pfotenhauer den Schiffen Abu el Mots begegnet war. Er machte Schwarz darauf aufmerksam.

»So hat er,« sagte dieser, »einen Vorsprung vor uns, welcher nicht ganz einen Tag beträgt. Wir werden die ganze Nacht segeln. Das Wasser leuchtet und die Sterne scheinen. Auch denke ich, daß der Mond sich zeigen wird. Auf diese Weise bringen wir den größten Teil dieses Vorsprunges ein.«

»Werden die Matrosen es aushalten?« fragte der Graue. »Diese Kerle arbeiten ja wie die Riesen. Sie schwitzen, daß ich glaub', es gibt eine Ueberschwemmung unten in Kairo.«

»Sie mögen sich in zwei Wachen teilen; es sind ja genug Soldaten zur Unterstützung vorhanden. Ich werde Hasab Murat das wissen lassen.«

Er schickte das kleine Boot zu dem Genannten ab, welcher sich auf dem von »dem Schnarcher« geführten Noqer befand. Die beiden Deutschen saßen im Schatten des großen Segels auf einem Serir und beobachteten den Lauf des Schiffes und die Scenerie des Flusses. Da trat Abd es Sirr, der »Sohn des Geheimnisses«, zu ihnen und fragte Schwarz:

»Effendi, hast du jetzt Zeit, die Antwort zu hören, welche ich dir heute noch geben wollte?«

»Ja, setze dich zu uns!«

Das war eine ehrende Auszeichnung, welche der Jüngling mit bescheidener Würde entgegennahm. Ein andrer hätte sich aus Höflichkeit geweigert; er aber hatte das ganz bestimmte Gefühl, daß er eher zu den Herren als zu den Dienern gehöre.

»Einiges habe ich dir schon gesagt,« begann er; »die Hauptsache aber wirst du jetzt zu hören bekommen. Wer mein Vater war, weiß ich nicht; aber ein Araber ist er ganz gewiß gewesen, denn die Worte, welche mir aus jener Zeit geblieben sind, gehören alle der arabischen Sprache an.«

»Und welchem Dialekte? Es wäre von großer Bedeutung, wenn du das wüßtest.«

»Das ist schwer zu sagen, denn es sind der Worte, welche ich gemerkt habe, nur sehr wenige.«

»Und wohin hat der Räuber dich geschafft?«

»Auch das weiß ich nicht. Ich erinnere mich nur, daß ich mich bei Schwarzen befunden habe, und daß eine Frau, welche weniger schwarz als die andern war, mich sehr lieb hatte. Sie ging mit mir fort, weit fort. Ich weiß, daß sie mich viele Tage auf ihren Armen getragen hat, in ein fernes, fernes Land. Dann legte sie sich hin und stand nicht wieder auf. Ich war sehr müde und schlief ein. Als ich erwachte, lag sie noch da und regte sich nicht. Sie war tot, vor Hunger und Erschöpfung gestorben. Auch ich hatte Hunger und weinte sehr, ohne Aufhören. Da kam ein Weib, welches meine Stimme gehört hatte und mich fand. Sie nahm mich mit sich in ein nahes Dorf, wo sie mir zu essen und zu trinken gab. Es kamen viele Schwarze, welche meine Arme, meine Beine und meinen Leib betasteten und mir mehrere Tage nur immerfort zu essen gaben. Wenn ich nicht essen wollte, so bekam ich Schläge.«

»Ah, Menschenfresser!«

»Ja, Effendi; es waren welche, wie ich später hörte. Auch an dem Orte, von welchem die gute Frau mit mir floh, hatte ich so viel essen müssen; darum denke ich, daß diese Schwarzen auch Menschenfresser waren.«

»Und wo befandest du dich nun jetzt? Weißt du das?«

»Ja; ich war bei den Jambarri.«

»Am obern Kongo! Das ist weit, weit von hier!«

»Sehr weit! Dann kam ein weißer Mann, der einen grünen Turban auf dem Kopfe und grüne Bantuflat an den Füßen hatte. Er war sehr freundlich mit mir und nahm mich mit sich über den Fluß hinüber nach Mawembe.«

»Dem Hauptorte der Kororu!«

»Du kennst die Namen dieser Völker, Effendi?«

»Ja, aus Büchern. Weißt du, wer oder was dieser weiße Mann gewesen ist?«

»Ja, ein wandernder Imam, welcher von einem Volke zum andern reiste, um den Islam zu verbreiten. Er war auch zu den Jambarri gekommen und hatte erfahren, daß ich gegessen werden solle. Da kaufte er mich ihnen ab, um mich zu seinem Sohne zu machen. Das that er, weil er die Worte verstand, welche mir meine Mutter immer vorgebetet hatte und die mir noch nicht entfallen waren, nämlich die Worte Allah il Allah Mohammed rassuhl Allah.«

»Er hatte aus diesen Worten ersehen, daß dein Vater ein Moslem gewesen war, und so erforderte sein Glaube, sich deiner anzunehmen.«

»Er verstand auch die Worte, welche ich außerdem konnte. Die Frau, welche mit mir floh, hatte sie mir eingeprägt. Sie hatte mir auch noch andre vorgesagt, damit ich sie auswendig lernen solle; aber ich hatte mir nur einen Teil derselben gemerkt, nämlich »ana arab, ana nahabi.« Ich sprach die Worte nicht richtig aus; aber er merkte doch, daß ich ein Araber sei, den man geraubt hatte. Er gab sich viele Mühe, noch weiteres aus mir herauszubringen, doch vergebens, denn ich wußte nichts. Aber den Räuber mußte ich ihm beschreiben. Dessen Gesicht war das einzige, dessen ich mich genau erinnern konnte, und der Imam sagte, daß ich darauf ganz allein die Hoffnung, meine Eltern wiederzufinden, stützen müsse. Darum mußte ich ihm dieses Gesicht fast täglich so genau beschreiben, daß mir das Bild desselben niemals wieder entschlüpfen konnte. Dieser seiner Klugheit habe ich es zu danken, daß ich nun weiß, wer der Räuber war.«

»Lebt er denn noch?«

»Ja. Du wirst nachher seinen Namen erfahren. Der Imam liebte mich wie seinen eigenen Sohn. Er nahm mich mit von Land zu Land, von Volk zu Volk, deren Sprachen ich nach und nach kennen lernte; er aber sprach nur arabisch mit mir. Auch lehrte er mich alles, was er selbst wußte; er unterrichtete mich im Schwimmen, Rudern und Schießen. Er ließ mir, wohin wir kamen, auch in andern Dingen Unterricht erteilen, so daß ich vieles lernte, was andre nicht können und erfahren. Als ich zwölf Jahre bei ihm war, kamen wir zu den Bongo, wo er plötzlich starb. Er hinterließ mir seine wenige Habe und seinen reichen Segen, welcher sich auch sofort bewährte, denn nur wenige Tage nach seinem Tode kam ein Mann zu den Bongo, um Krieger anzuwerben, und in diesem erkannte ich auf den ersten Blick denjenigen, der mich geraubt hatte. Ich wollte mich auch anwerben lassen, um mitgehen und mich an ihm rächen zu können; aber ich war ihm zu jung, und er wies mich ab. Als ich weiter in ihn drang, schlug er mich mit der Peitsche und verbot mir, mich wieder bei ihm sehen zu lassen.«

»Hörtest du seinen Namen?«

»Nein.«

»Aber du erfuhrst wenigstens, woher er war?«

»Auch nicht. Beides wurde verschwiegen. Ich gehörte nicht zu den Bongo; ich war ihnen fremd; darum sagten sie mir nichts. Aber ich erlauschte, daß die Krieger zum Sklavenraube gemietet seien, und daß sie nilaufwärts nach einer Seribah segeln würden. Da versteckte ich das beste Boot, welches sie besaßen, legte vier Ruder, zwei als Vorrat, ein Segel und meine Waffen hinein, brachte einen Vorrat von Kisrah und Früchten hinzu und wartete nun, bis der Fremde auf seinem Noqer, welcher am Ufer lag, mit den Bongo aufbrechen werde. Als dies geschah, stieg ich in mein kleines Boot und ruderte ihnen heimlich nach.«

»Das war kühn von einem so jungen Menschen!«

»Effendi, die Rache macht stark und verwegen. Ich mußte von ihm erfahren, wer mein Vater ist, und wollte ihn dann töten. Ich ruderte und segelte volle drei Tage hinter seinem Noqer her. Gleich am ersten Tage war ich auf eine Wurzel gestoßen, und mein Boot fiel um, mit allem, was sich darin befand. Nun hatte ich weder Waffen noch Speise mehr. Ich hielt zwei Tage den Hunger aus; dann aber konnte ich ihn nicht länger ertragen. Der Noqer kam an einer Mischrah vorüber, von welcher er sich sehr vorsichtig fern hielt. Darum vermutete ich, daß die dort wohnenden Menschen dem Manne, welchem ich folgte, feindlich gesinnt seien. Das gab mir den Mut, dort anzulegen, mir ein wenig Durrah oder Kisrah zu erbitten und mich zugleich nach dem Noqer zu erkundigen. Der erste Mann, den ich am Ufer traf, war el Schacher.«

»'Der Schnarcher', der jetzt mit uns fährt?«

»Ja. Er nahm sich meiner an und beantwortete meine Fragen. Ich erfuhr, wem der Noqer gehörte, denn er hatte ihn vorübersegeln sehen. Ich teilte ihm mein Geheimnis nicht mit, doch wußte ich nun, daß ich die Verfolgung aufgeben konnte. Ich blieb einige Zeit auf der Seribah Hasab Murats und suchte unbemerkt zu erfahren, ob dieser wohl zu einem Kampf mit meinem Feinde zu bringen sei. Das war aber nicht der Fall; er haßte ihn zwar, doch fühlte er sich zu schwach, ihn anzugreifen. Allein konnte ich nichts ausrichten. Ich hätte meinen Entführer wohl heimlich überfallen und töten, aber nicht von ihm erfahren können, wer mein Vater ist. Ich mußte mir andre Verbündete suchen. Die Dschur hatten ihre Dörfer in der Nähe. Ich fuhr zu ihnen und versteckte meinen Kahn am Ufer. Ich wagte mich sogar in das Dorf, welches ganz in der Nähe der Seribah meines Feindes liegt. Aber leider erfuhr ich, daß die Dschur seine Verbündeten seien.«

»Ah, jetzt weiß ich, wer es ist!« sagte der Graue. »Abu el Mot ist es. Du kanntest den dicken Häuptling der Dschur und sein Dorf.«

»Nein, nicht dieser, sondern ein andrer ist es. Ich fuhr weiter, um Leute zu suchen, welche mir helfen würden. So kam ich zu den Sandeh, welche ihr Niam-niam nennt. Sie nahmen mich sehr freundlich auf, und der Sohn des Häuptlings wurde mein Freund. Ihm, dem 'Sohne der Treue', teilte ich mein Geheimnis mit, und er versprach mir, zu helfen. Offen den Krieg predigen durften wir nicht, denn Abu el Mot hatte die Niam-niam noch nicht beleidigt; aber heimlich streuten wir den Haß gegen ihn aus, und nach und nach reifte der Plan ohne Wissen des Königs, des Vaters meines Freundes, mit einer kleinen Schar junger Krieger, die mich lieben, nach der Seribah Abu el Mots aufzubrechen, meinen Feind herauszuholen und ihn als Gefangenen heimzubringen. Dann konnte ich ihn zwingen, mir den Namen meines Vaters und alles, was ich wissen wollte, mitzuteilen.«

»Du bist ein kühner und doch vorsichtiger, kluger Mann,« sagte Schwarz. »Jetzt liegen die Verhältnisse freilich noch viel vorteilhafter für dich.«

»Ja, Effendi. Eben wollten wir den Plan ausführen, da mußte der 'Sohn der Treue' nach Faschodah zu dir. Er kannte den größten und gefährlichsten Teil des Weges genau, denn wir waren oft im geheimen, wenn der König glaubte, daß wir auf den in seinem Gebiete liegenden Maijehn zur Jagd abwesend seien, herab nach der Seribah gesegelt, um zu erfahren, daß mein Feind sich noch auf derselben befinde. Dann wurde deinem Bruder und dem 'Vater des Storches' hier die Zeit zu lang; sie glaubten dich in Gefahr und wollten dir entgegengehen. Ich sagte ihnen, daß ich den Fluß kenne, und durfte als Steuermann mit ihnen fahren. Was dann geschehen ist, hat dir der 'Vater des Storches' erzählt.«

»Ich danke dir für deine aufrichtige Erzählung. Ich werde dir natürlich behilflich sein, dein Ziel zu erreichen. Nun aber sage auch, welcher Bewohner der Seribah es ist, auf den du es abgesehen hast!«

»Versprich mir vorher zweierlei!«

»Was?«

»Daß du ihn zwingen willst, mir Auskunft zu geben.«

»Das werde ich. Ich gebe dir mein Wort darauf.«

»Und daß du ihn dann mir überlässest.«

»Zur Bestrafung?«

»Ja.«

»Darauf kann ich nicht sofort ja sagen.«

»Warum nicht?«

»Ich bin ein Christ und darf infolgedessen keine Grausamkeiten dulden.«

»So denke daran, was ich erduldet habe; denke auch an den Kummer meiner Eltern. Denke ferner an die Sünden, welche dieser Mann noch sonst begangen hat. Das Blut Hunderter schreit nach Rache himmelauf für ihn, und Tausende sind es, welche er in die Sklaverei verkauft hat!«

Schwarz zögerte zu antworten; darum fuhr der »Sohn des Geheimnisses« fort:

»Willst du nicht auch daran denken, daß ich und der 'Sohn der Treue' euch einige kleine Dienste geleistet haben? Ich fordere weder Dank noch gar Bezahlung; aber willst du mir die erste und einzige Bitte, welche ich auszusprechen habe, abschlagen?«

Der sonst so stolze Jüngling ließ sich auf seine Kniee nieder und faltete flehend die Hände.

»Lassen's ihm doch seinen Willen!« sagte der Graue deutsch. »Wir sind ihm wirklich zu Dank verpflichtet. Und er hat ganz recht: Dieser Abd el Mot, denn der wird's wohl sein, ist a Teufel in Menscheng'stalt, um den ich mich g'wiß nit grämen thu', wenn er a bisserl am Ohr g'zwickt wird.«

»Aber es ist ein Mord, Doktor!«

»A Mord? Gehn's Doktor, lassen's mich aus, und schauen's, daß Sie von hier fortkommen, sonst kriegen's eine Maulschellen, daß sie in zwei Purzelbäumen hinüber ans Ufer fliegen und dort im G'sträuch hängen bleiben! Redet der Mensch von Mord, wo es sich um einen tausendfachen Mörder handelt! Und mich nennt er Doktor, nachdem ich ihm g'sagt und erklärt hab', daß ich nur der Naz, oder noch kürzer g'sagt, der Vogel-Nazi bin! Da soll doch gleich der Luftballon zerplatzen! Ich bin a guter Mensch, aber wann man so doppelt g'ärgert wird, so halt's die beste Lung' nit aus; sie muß heraus mit der Sprach'!«

Schwarz kannte den Grauen noch nicht so lange wie sein Bruder; darum blickte er ihm erstaunt in das Gesicht, wo die lange Nase sich so energisch hin- und herwand, als ob sie sich vor Wut herausdrehen wolle.

»Ja, schauen's mich nur an!« fuhr Pfotenhauer fort. »Das hilft Ihnen aber gar nix. Was ich g'sagt hab', das hab' ich g'sagt, und davon ziehn mich zehn Elefanten nit ab. Seien's also vernünftig und reden's a verständig's Wort! Ich laß mich auf der Stell' gleich braten und verspeisen, wenn's nit Abd el Mot ist, den er meint!«

Schwarz mußte trotz des Ernstes, welchen der Gegenstand erforderte, lachen. Er erkundigte sich bei dem noch immer vor ihm knieenden jungen Mann:

»Ist es etwa Abd el Mot, von welchem du sprichst?«

»Ja, Effendi.«

»Gut, ich schenke ihn dir, wenn ich ihn zu verschenken habe, was ich sehr bezweifle. Wenn er in meine Hände fällt, so soll er dein Gefangener sein.«

»Mehr verlange ich nicht,« antwortete der »Sohn des Geheimnisses«, indem er aufstand. »Ich danke dir, Effendi!«

»Und noch eins,« fuhr Schwarz fort. »Nun du mir alles erzählt hast, fällt mir eine Episode ein, welche mir der 'Vater des Storches' erzählt hat. Du hast den Elefantenjäger gesehen, der dann mit meinem Bruder nach Madunga geritten ist?«

»Ja.«

»Ist er dir nicht schon vorher einmal begegnet?«

»Nein.«

»Denke nach! Vielleicht hast du ihn doch schon vorher gesehen?«

»Ich kann mich nicht entsinnen.«

»Auch vor langen, langen Jahren nicht?«

»Auch da nicht.«

»Hm! Du hast bis jetzt noch nicht gesagt, ob du deinen Namen weißt.«

»Meine Mutter nannte mich stets Kilbi, Nefsi oder Hajati. Mein Vater aber sagte kein solches Liebeswort. Er nannte mich nur Mesuf. Dieses Wort gehört mit zu den wenigen, welche ich mir gemerkt habe.«

»Mesuf! Hm! Einen Namen hat der Elefantenjäger leider nicht genannt; aber er ist ein Araber und hat gesagt, daß ihm sein Sohn geraubt worden sei.«

»Meinst du, daß er mein Vater ist?«

»Ich meine es nicht; ich vermute es nicht einmal; aber möglich wäre es doch.«

»Es werden vielen Leuten die Kinder geraubt. Hat er gesagt, woher er ist?«

»Nein.«

»Oder was er ist?«

»Auch nicht.«

»So ist er mein Vater nicht.«

»Aus welchem Grund behauptest du das?«

»Mein Vater ist ein vornehmer Mann, und ein solcher nennt seinen Stand; er braucht ihn nicht zu verschweigen. Und glaubst du, daß ein reicher und vornehmer Mann Elefanten jagt, um leben zu können?«

»Nein.«

»Nun, so ist dieser Elefantenjäger ein mir fremder Mensch.«

»Aber er hat gesagt, daß er jahrelang umhergewandert sei, um seinen Sohn zu suchen! Da kann er nicht von seinem Reichtum, sondern er muß von der Jagd leben.«

»Mein Vater hat viele Leute und Diener, welche an seiner Stelle suchen können. Hat der Elefantenjäger von der Mutter seines Sohnes gesprochen?«

»Auch nicht.«

»So ist er ein harter Mann, welcher nur nach seinem Sohne, aber nicht nach dem Sohne seines Weibes sucht. Mag er ihn finden, ich aber bin es nicht.«

Er wendete sich ab und ging.

»Ein charaktervoller, junger Mensch!« meinte Schwarz, indem er ihm nachblickte. »Glücklich der Vater, welcher so einen verlorenen Sohn wiederfindet!«

»Ja, ich hab' ihn herzlich lieb g'wonnen, und ich glaub' gern, daß es unter den Niam-niam Leut' g'nug gibt, die sich mit ihm in die G'fahr begeben hätten, den Abd el Mot lebendig und mit Haut und Haar zu fangen und heimzuschaffen. Er ist eben – – – schaun's, da kommen sie! Ja, bei meiner Seel', da kommen sie!«

Er war plötzlich aufgesprungen und deutete in die Luft.

»Wer denn, wer?« fragte Schwarz beinahe erschrocken.

»Sehen's denn nit? Da kommen's g'flogen, grad übers Wasser herüber!«

»Ah, diese Vögel?«

»Ja. Wer denn sonst?«

»Ich dachte, Abd el Mot käme irgendwo, weil Sie von ihm sprachen!«

»Gehen's mit dem! So a Vogel is an der Flügelspitz' mehr wert, als der Abd el Mot am ganzen Korper. Haben's g'sehen? Da haben's sich niederg'macht am andern Ufer. Kennen's auch schon diese Tiere?«

»Ja, natürlich.«

»Nun, was waren's für welche?«

»Ibisse, und zwar heilige.«

»Lateinisch?«

»Ibis religiosa

»Richtig! Die haben weißes G'fieder. Und wie heißt die andre Art lateinisch?«

»Ibis falcinellus,« antwortete Schwarz, sehr belustigt über dieses Examen.

»Ja; die haben schwarze Federn. Und wie wird der Ibis hier g'nannt?«

»Herehz oder Abu mingal.«

»Das ist arabisch; ich meine aber sudanesisch!«

»Nädsche.«

»Und zwar warum?«

»Weil sein Geschrei so klingt.«

»Sehr richtig! Der Sudanese nennt die Tiere gern nach ihrer Stimm' oder sonstigen augenfälligen Eigenschaften. Der heilige Ibis heißt Nädsche abi ad, weil er weiß ausschaut, und der andre Nädsche os wud, weil er schwarz aussieht. Man sieht sie nit oft so hoch fliegen wie die, welche wir jetzt beobachtet haben. Sie scheinen gar kein übler Vogelkenner zu sein. Mit Ihrem Bruder bin ich auch sehr zufrieden g'west, denn er hat niemals falsch oder vielleicht gar nit g'antwortet, sondern alles gleich richtig g'wußt. Das hat mich sehr g'freut von ihm, und ich hoff', daß ich mit Ihnen auch so gut z'frieden sein kann. Die Vögel sind eben die interessantesten unter den Tieren, was mich vermocht hat, mich vorzugsweise grad mit ihnen zu beschäftigen. A hübscher Vogel is mir lieber als zehn Säugetiere und zwanzig Fische, und darum ist's mir sehr egal, ob die da vorn mit ihren Angeln jetzt was fangen oder nit; das ist ja nur zum Essen und nit zum Beobachten.«

Er deutete nach dem Vorderteile des Schiffes, wo mehrere Soldaten ihre Angeln ausgeworfen hatten, und andre mit den Hakenspeeren dabei standen, um die Beute anzuwerfen, falls die so schwer sein sollte, daß die Angelleine sich als zu schwach erweise.

»Nun, mitessen würden Sie wohl dennoch?« fragte Schwarz.

»Ja freilich. Aber was thu' ich wissenschaftlich mit dem Fisch? Nehmen's dagegen so einen Ibis, wie wir 'n g'sehen haben! Der war schon im Altertum a heilig's Tier und wurd' einbalsamiert und mit Königen begraben. Haben's schon mal eine Ibismumie g'schaut?«

»Viele.«

»Ich auch; die erste schon als Bub', als ich noch in die Schul' gangen bin. Unsern Professorn von der Naturg'schicht hat eine g'habt, die er mit ganz b'sonderm Stolz vorg'zeigt hat, wann die Lehr' auf die storchartigen Vögel 'kommen ist. Er war gar kein übler Ichthyolog; das muß ich sagen, obgleich er mich gar nit gern g'habt hat. Und wissen's auch, warum?«

»Nun?«

»Weil ich ihn immer nach Dingen g'fragt hab', die selbst dera größte G'lehrte nit beantworten kann. Dafür hat er mich aber bei b'sonderer G'legenheit richtig ausg'zahlt. Das war damals, als wir in der Quarta Examen hatten. Ich hab' mich sehr auf dasselbige g'freut und das beste Vorleghemd und den bunten Shlips um den Hals g'macht. In diesem Staat hab' ich so sauber und blank ausg'schaut, daß es mir im Examen gar nit fehlen konnt'. Und doch ist's nit so glatt abg'laufen, wie ich's mir vorg'stellt hab', denn als ich an die Reih' kommen bin, da hat er mich g'fragt – was glauben's wohl, was?«

Schwarz wußte noch nicht, daß dies das Lieblingsthema des Grauen war. Er machte ein diesen nicht ganz befriedigendes Gesicht, da er die Geschichte schon einmal gehört hatte, was Pfotenhauer doch wohl wissen mußte.

»Na, was machen's denn für a G'sicht?« fuhr dieser fort. »Fast grad so wie das meinige, damals, als ich die Frag' bekommen hab'! Ich red' sonst nit davon, weil's fremde Leut nix angeht, doch unter Bekannten braucht man sich nit zu genieren, und darum sollen's derfahren, daß er mich g'fragt hat, warum die Vögel Federn haben.«

»Das weiß ich schon,« bemerkte Schwarz.

Er meinte, daß er die Geschichte kenne; der Graue bezog diese Worte aber auf die Federn und antwortete:

»Jetzund weiß ich's natürlich auch; aber damals hab' ich's noch nit g'wußt, und darum bin ich erst eine ganze Weil' dag'standen und hab' den Mund offen g'habt, bis ich endlich – – –«

»Samki, samki, samki el kebir, samki el tkil – ein Fisch, ein Fisch, ein großer Fisch, ein schwerer Fisch!« jubelten in diesem Augenblicke zehn, zwanzig und dreißig Stimmen vom Vorderteile her, so daß der Graue in seiner Erzählung inne hielt. »Ischadd, ali, a'la; hai hu, aho – zieht, hoch, höher; da ist er, da ist er!«

Sie brachten einen Fisch von gewiß drei Ellen Länge auf das Deck, wo er sofort getötet wurde; dann schleiften sie ihn nach dem Hinterdeck, damit die Effendina sich über die Beute freuen möchten. Es war ein Wels, eine Fischgattung, an welcher der obere Nil sehr reich ist. Die alten, großen Welse schmecken nicht gut und sind schwer verdaulich; dieser aber war ein noch junges Exemplar. Darum freuten sich die Leute ihres Fanges. Als Schwarz sie ob desselben gelobt und beglückwünscht hatte, schafften sie ihn nach der Matbach; nur der »Vater der elf Haare« blieb stehen und sagte, indem er einen herausfordernden Seitenblick auf den Grauen warf, zu Schwarz, und zwar in deutscher Sprache:

»Ich hatt fangte mit Herrn Wagner schon sehrrr oft so Fisch, großmächtigen. Es hatt gegebte Menschen, welche wollte sein von Gelehrsamkeit, großartiger, und wißte doch nicht vielleicht, wie heißte Fisch, dieseriger.«

Es war klar, daß er Gelegenheit suchte, dem Grauen zu imponieren. Dieser blickte von ihm weg und that so, als ob er seine Anwesenheit gar nicht bemerke; Schwarz aber antwortete gutmütig:

»Nun, wie heißt dieser Fisch?«

»Sein Name seinte Wels; er geschmeckte Delikatesse, wenn noch klein und jung; wenn ganz und garrr klein, er seinte zart wie Karpfen, heimatlicher.«

»Du scheinst ein großer Ichthyolog zu sein?«

»Ich warrr stets einer geweste, Ichthyolog und Phrenolog, berühmter.«

»So! Dann sag uns doch einmal, was ein Ichthyolog ist!«

»Das seinte Kenner von Gehirn, menschliches.«

»Und Phrenolog?«

»Das warrr geweste Kenner von Fisch, flüssigem.«

»Aber, mein Lieber, das ist gerade verkehrt! Ichthyologie ist die Lehre von den Fischen und Phrenologie die Lehre vom Bau des Gehirnes.«

»Das wird seinte ganz egal! Warum soll habte stets nur ich unrecht, immerwährendes? Konnte sich nicht irren auch Mensch, andrer? Besitzte Fisch nicht auch Gehirn, inwendiges. Wernte also sein Ichthyologie und Phrenologie Das- und Einselbiges!«

Da war es mit der Geduld Pfotenhauers zu Ende. Er sprang auf und rief:

»Schweig, Kerl, sonst fall' ich augenblicklich in sämtliche Ohnmachten! Solchen Unsinn zu hören, das treibt einem ja den ganzen Haarwuchs in die Alpen! Was muß ich wohl verbrochen haben, daß ich diese Art von Straf' ausstehen soll? Erstens dieses Wendehalsdeutsch, sodann diese wahnsinnige Verwechselung der Worte und Begriffe, und dann endlich gar, was das Allerbeste bei dera G'schicht ist, die Unverfrorenheit, mit welcher dieser Patenthottentott den Unsinn vorbringt und sich für klug und weise hält! Wenn's in dem guten Ungarn noch mehr solche Kerle gibt, so mögen's nur gleich in die Donau springen und sich mit Stumpf und Stiel versäufen, sonst ist's um Österreich g'schehen. Latein will der Mensch verstehen? Der kann ja nit mal den Frosch von der Gans unterscheiden! Lauf, Bursch, lauf, daß du fortkommst, mir schnell aus den Augen! Wannst nit gleich gehst, so stopf' ich dich in meine Tabakspfeif' und blas' dich hinaus in alle Welt, du Homunkulus, winziger!«

Er war ganz im Ernste zornig geworden. Er stand in drohender Haltung da, und seine Nase unterstützte ihn auf das Kräftigste, indem sie sich schnaubend auf und ab bewegte.

Aber der Kleine kannte keine Furcht. Er wich nicht, sondern blickte ihm fest in das Gesicht. Über die ganze Rede des Grauen hinweggehend, hielt er nur das eine Wort Homunkulus fest, welches er jedenfalls auch einmal aus dem Munde Wagners, seines früheren Herrn, gehört hatte.

»Was hatt sie gesagte?« fragte er. »Ich soll verflüchtete vor Person, Ihriger? Das fallte mir nicht in Kopf, meinigen! Ich hatt erschießte Löwen, raubtierlichen, und werd' also nicht fürchten Mensch, unhöflichen! Wenn Sie gewollte schimpfte Ehre, meinige, so gemüßte Sie wählen Wort, andres! Homunkulus seinte nicht Schimpf, beleidigender. Ich hatt wüßte sehrrr genau, was bedeutet Homunkulus. Ich hatte dazu sogarrr gelernte, was heißt Ranunkulus!«

»So! Dann einmal heraus damit! Was ist denn Homunkulus? Ich bin begierig, was da wiederum für Unsinn aus dera Thür fallen wird.«

»Es wernte nicht sein Unsinn, lächerlicher, denn ich hatt studiumtierte Gelehrsamkeit, pflanzliche. Homunkulus hatt heißte Hahnenfuß in Sprache, deutscher.«

»Ah, das ist gut! Und Ranunkulus?«

»So wernte genannt ein Mensch, kleiner und elendiger.«

»Aber, das ist ja abermals verkehrt!« schrie der Graue ganz empört. »Umgedreht ist es richtig! Du bist a G'schöpf, bei dem das Fell nach innen und das Fleisch nach außen schaut. Soll ich dich etwa mal umwenden, du Homunkuranunkulus? Lust hätt ich alleweil sogleich dazu!«

»Ich bedankte sehrrr! Bei mir hatt nicht bedürfte Umwendung, herauswärtsige. Ich hatt befindete mich in Zustand, normaligem; aber ich kann nicht wüßte, ob sich erweiste Zustand, Ihriger, als stilltezufriedener oder regeltezuwidriger. Gleich als Sie mich hatt getreffte an Abend, gestrigem, warrr Sie geweste von Manier, beleidigender. Sie scheinte nicht können lieben Person, meinige; darum ich werte halten zurück mich in Entfernung, vornehmer und reservierter!«

Er machte dem Grauen eine tiefe Verbeugung und schritt stolz davon. Das brachte diesen wieder zu sich. Sein Zorn war mit einem mal verschwunden; er erfaßte die Sache in ihrer ganzen Komik und brach in ein herzliches Lachen aus, in welches Schwarz einstimmte, indem er sagte:

»So ist's recht, bester Nazi! Ich begreife keinen, der sich über diesen Patenthottentotten, wie Sie ihn nannten, ärgert.«

»Und so ist's auch von Ihnen recht,« antwortete Pfotenhauer. »Bester Nazi! Das laß ich mir g'fall'n; so will ich's hab'n! Und ärgern werd' ich mich ganz g'wiß nit mehr. Wie dieser Mensch nur auf den Blödsinn kommen ist?«

»Er war jahrelang der Diener des bekannten Matthias Wagner. Er hat diesem sammeln helfen und dabei eine Menge wissenschaftlicher Ausdrücke und Benennungen gehört. Da sein Gedächtnis leider, nämlich nur für diesen Fall leider, ein sehr gutes ist, so hat er diese Worte und Namen alle behalten; aber sie liegen wirr und bunt durcheinander in seinem Kopfe aufgestapelt, und so zieht er, wenn er eins davon erwischt, gleich ein ähnlich klingendes mit hervor, welche beide er dann in der Regel miteinander verwechselt. Ich habe Ihnen das ja schon erklärt und Sie dabei gebeten, ihn reden zu lassen. Sein Mischmasch ist doch nicht nur ungefährlich, sondern sogar belustigend. Erst zwar fühlte auch ich mich belästigt; jetzt aber lasse ich ihn nicht nur gewähren, sondern ich bringe ihn in müßigen Stunden sogar mit Absicht darauf, mir sein angebliches Wissen auszukramen.«

»Werd's auch so machen!«

»Das dürfte Ihnen nun nicht leicht werden. Er hat Ehrgefühl und wird sich, wie er ja auch sagte, möglichst fern von Ihnen halten. Dadurch kommen Sie um den Genuß, den er mir bereitet.«

Während dieser Scenen und Gespräche hatte Schwarz sein Fernrohr in der Hand gehabt und mit Hilfe desselben wiederholt die beiden Ufer betrachtet, um zu erfahren, ob Abu el Mot während der Nacht am Ufer angelegt habe. Hatte dieser die Fahrt unterbrochen, so mußte das in der Gegend gewesen sein, welche man jetzt passiert hatte. Dreihundert Nuehrs hätten mehr als nur eines Lagerfeuers bedurft, und die betreffende Stelle mußte unbedingt durch das Rohr in das Auge fallen. Aber es war keine Spur einer Lagerstätte zu sehen.

Schwarz kam also zu der Überzeugung, daß der Sklavenjäger die ganze Nacht hindurch gefahren sei, und so galt es, es ihm an Eile wenigstens gleich zu thun. Es beruhigte ihn freilich, von dem Grauen zu erfahren, daß die Schiffe Abu el Mots nicht so gut gesegelt seien, wie die Dahabiëh mit den beiden Noqer; aber es galt ja einen ganztägigen Vorsprung einzuholen, was innerhalb zweier Tage unmöglich geschehen konnte, wenn der Feind sich nicht wenigstens eine Nacht am Ufer verweilt hatte.

Es kam die Zeit zum Sonnenuntergangsgebete und dann auch die der Abendandacht. Nach dem Essen zog Schwarz sich mit dem Grauen in die Kajüte zurück. Sie krochen in ihre Moskitonetze, mit denen Schwarz für sich und seine Soldaten reichlich versehen war, und legten sich zur Ruhe. Für den Neuling ist eine Nacht auf dem Nile verleitend genug, ihn wach zu erhalten; die beiden aber kannten diesen durch die Stechfliegen verschmälerten Genuß zur Genüge.

Sie erwachten schon am frühen Morgen und erfuhren von dem »Sohne des Geheimnisses«, daß die Schiffe auf kein Hindernis gestoßen seien und eine tüchtige Fahrt gemacht hätten. Bisher war der Slowak früh der erste gewesen, den Effendi zu begrüßen; heute ließ er sich nicht sehen; er wollte, so lange der Graue sie mit Schwarz teilte, nichts von der Kajüte wissen.

Der heutige Tag verging langsam, ohne etwas Neues zu bringen. Einmal kam Hasab Murat an Bord der Dahabiëh, um sich mit Schwarz zu unterreden. Das war die einzige Unterbrechung, welche es gab. Die folgende Nacht wurde auch fortgesegelt. Das wurde nur dadurch ermöglicht, daß es hinreichend freies Fahrwasser gab und die Matrosen so von den Asaker unterstützt wurden, daß sie sich in zwei einander ablösende Wachen teilen konnten.

Gegen Abend war Tolo aus seinem lethargischen Schlafe, welcher von ganz vorteilhafter Wirkung gewesen war, erwacht; die Aufregung seiner Nerven hatte sich vollständig gelegt – er war gesund, worüber sich niemand so sehr wie sein Schicksalsgenosse Lobo freute, dessen Wunden sich im besten Zustande befanden.

Auch der Vormittag des nächsten Tages verging ohne ein erwähnenswertes Ereignis. Nun aber war man der eingeäscherten Seribah so nahe gekommen, daß es galt, vorsichtig zu sein. Es galt, zu rekognoscieren, wozu sich niemand so gut wie der »Sohn des Geheimnisses« und sein Freund, der »Sohn der Treue«, eignete, da sie so viele Male dort gewesen waren und die Gegend ganz genau kannten. Sie zeigten sich, als Schwarz sie darum befragte, sofort bereit dazu.

Man hatte, als man die Seribah Madunga verließ, das Boot, auf welchem der Graue mit den Niam-niam gekommen war, ins Schlepptau genommen. Es wurde mit denselben Ruderern wieder bemannt, und dann stieß es mit ihnen und den beiden Jünglingen von der Dahabiëh ab, um, von vierzig ausgeruhten, starken Armen getrieben, den drei Schiffen voran zu eilen. Der »Sohn des Geheimnisses« hatte so genau Instruktion erhalten, daß auf ein Gelingen fast mit Sicherheit zu rechnen war. Seiner Berechnung nach mußten die Schiffe zur Zeit des Aschia, des Abendgebetes, bei Einhaltung der bisherigen Geschwindigkeit die Seribah erreichen. Darum ließ Schwarz die Leute jetzt noch fleißig an den Staken oder Stoßstangen arbeiten, welche Hilfeleistung sie erst dann einstellten, als der Sonnenuntergang nahe war.

Als es dann zu dunkeln begann, postierte Schwarz selbst sich an den Bug seiner noch immer voransegelnden Dahabiëh, um nach dem verabredeten Zeichen auszuschauen. Aber noch bevor die Gegend erreicht wurde, in welcher es hatte gegeben werden sollen, kamen diejenigen, denen es aufgetragen war, selbst zurück. Sie legten an der Seite an und kamen an Bord. Schwarz zählte sie und sah zu seiner Freude, daß keiner fehlte. Daß sie gegen die Verabredung zurückkehrten, konnte Schlimmes bedeuten, aber auch ein gutes Zeichen sein. Darum war er sehr gespannt, den Bericht der Freunde zu hören.

»Erschrick nicht, Effendi,« beruhigte ihn der 'Sohn des Geheimnisses'; »es ist alles gut gegangen.«

»Hat euch niemand bemerkt?«

»Uns konnte kein Auge sehen, so gut hatten wir uns am Ufer versteckt. Ich durfte nicht nach der Seribah, weil die Dschur mich vor einigen Tagen dort gesehen hatten. Falls sie mich heute schon wieder erblickten, mußten sie Verdacht schöpfen. Darum ging der 'Sohn der Treue' allein nach der Seribah, und er ist dort nur von einem einzelnen Dschur gesehen worden.«

»Aber also doch gesehen worden, und das mußte vermieden werden.«

»So hattest du freilich befohlen; aber wir fanden es ganz anders, als du gedacht hast, und so mußten wir auch anders handeln.«

»Dieser Dschur wird es Abu el Mot verraten!«

»Nein; das kann er nicht, denn Abu el Mot ist nicht mehr dort.«

»Nicht? Ist er den Aufrührern nach?«

»Ja.«

»Mit wieviel Leuten?«

»Mit allen. Die Seribah liegt so verlassen da, wie er sie gefunden hat. Nur der eine Dschur suchte in den Trümmern, ob er vielleicht noch etwas finde, was er brauchen könne.«

»Da ging ich zu ihm hin,« fuhr der »Sohn der Treue« fort, »um mich bei ihm zu erkundigen. Ich lief gar keine Gefahr, denn es war noch heller Tag, und ich konnte also weit um mich sehen. Ich sagte ihm, daß ich von der Helle Melan gekommen sei, um mich von Abu el Mot anwerben zu lassen, und er antwortete mir, daß ich nur gleich wieder umkehren könne, da mein Wunsch nicht zu erfüllen sei.«

»Du fragtest ihn doch aus?«

»Ja. Es war ein geschwätziger Alter, welcher gar nicht auf meine Fragen wartete, sondern mir fast ganz von selbst alles sagte und erzählte, was ich wissen wollte.«

»Was hast du da erfahren?«

»Folgendes: Die fünfzig Aufrührer liegen mit den fortgeführten Waren und Herden zwei und eine halbe Tagereise oberhalb der Seribah am rechten Ufer des Niles. Dort wollen sie die Rückkehr Abd el Mots erwarten, seine Leute zum Übertritt bewegen, ihm alles abnehmen und ihn vielleicht töten.«

»Haben sie das denn den Dschur gesagt, ehe sie fortzogen?«

»Nein.«

»Wie können dann diese es wissen?«

»Durch einen Unteroffizier, welcher zurückgekehrt ist, um auf Abu el Mot zu warten und es ihm zu sagen. Dieser Mann hat seinem Gebieter treu bleiben wollen, ist aber von dem alten Feldwebel und den andern gezwungen worden, mitzugehen. Er als der einzige gegen Fünfzig hat gehorchen müssen, um sein Leben zu retten, ist ihnen aber bei der ersten passenden Gelegenheit entflohen. So hat er erzählt; aber ich glaube es nicht.«

»Du meinst, er lügt?«

»Ja. Er hat ganz gewiß freiwillig mitgemacht, denn als Unteroffizier hatte er einen ansehnlichen Teil der Beute zu erwarten und dann, wenn der Feldwebel eine Seribah gründet, auch eine bessere als seine bisherige Stelle. Er wird sich aber unterwegs mit diesem veruneinigt haben und auf den Gedanken gekommen sein, daß es für ihn vorteilhafter sei, zu Abu el Mot zu gehen, den Unschuldigen zu spielen und sich von ihm für seinen Verrat belohnen zu lassen.«

»Dieser Verrat wird ihm keinen Vorteil bringen, denn die Fünfzig, denen er entflohen ist, werden geahnt haben, was er beabsichtigt, und sogleich aufgebrochen sein, um sich vor Abu el Mot in Sicherheit zu bringen.«

»O nein. Sie halten ihn für tot. Er ist des Abends mit Zweien von ihnen an das Wasser gegangen, hat so gethan, als ob er hineinfalle, und ist dann untergetaucht, nachdem er einigemal um Hilfe gerufen hat. Während sie nun glauben, daß er ertrunken und von den Krokodilen gefressen sei, ist er eine Strecke davon wieder an das Ufer geschwommen und davongelaufen. Dann hat er sich aus Omm Sufah ein Floß und aus Schilf und zwei langen Ästen ein paar Ruder gemacht und ist dann schleunigst und in einer Tour nach der Seribah gefahren. Das ging abwärts so schnell, daß er heute mittag angekommen ist, gerade als Abu el Mot mit seinem Sandal und seinem Noqer eben auch angelangt war. Dieser war erschrocken gewesen, die Seribah verwüstet zu finden. Als er von dem Unteroffizier hörte, von wem das geschehen sei, hat er vor Wut förmlich geschäumt. Dann ist er in das Dorf der Dschur gekommen, um diese auszufragen, und darauf hat er die dreihundert Nuehrs und den Unteroffizier gleich wieder auf die Schiffe genommen und ist abgesegelt, um die Empörer zu bestrafen.«

»So ist er also wirklich nicht mehr bei der Seribah?«

»Nein.«

»Auch keiner seiner Leute?«

»Kein einziger. Ich habe mich ganz genau überzeugt, den Landeplatz gesehen und sogar auch den Wald durchsucht, so lange es hell genug war. Dann kehrte ich zum Boote zurück, und wir hielten es für geraten, nicht liegen zu bleiben, sondern dich zu benachrichtigen.«

»Das war recht von euch. Aber wie kommt es, daß Abu el Mot den Wasser- und nicht den Landweg eingeschlagen hat? Die Schiffe segeln doch langsamer, als die Pferde und Kamele reiten!«

»Er konnte keine Tiere bekommen, weil Abd el Mot sie alle den Dschur schon abgeliehen hatte. Er will Tag und Nacht segeln und glaubt, daß er in zwei Tagen an Ort und Stelle sein werde.«

»Ich bin überzeugt, daß alles genau so ist, wie du sagst; aber ich muß ganz sicher gehen und mich durch meine eigenen Augen überzeugen. Ihr rudert mich jetzt nach der Seribah zurück. Während die Schiffe langsam nachkommen, werde ich dort Umschau halten. Wie weit ist es bis dahin?«

»In einer halben Stunde sind wir dort.«

»Die Schiffe also in einer Stunde. So habe ich Zeit genug, mich genau umzusehen. Also wieder hinab in das Boot!«

Die beiden Freunde begaben sich in dasselbe, und er folgte nach, sobald er sich bewaffnet und dem Reïs die nötigen Befehle erteilt hatte. Der »Sohn des Geheimnisses« führte das Steuer. Er suchte das ruhige Wasser auf, vermied die hindernde Strömung, und so entwickelte das Boot eine Schnelligkeit, welche es noch vor der angegebenen Zeit an Ort und Stelle brachte.

Der junge Steuermann hatte beabsichtigt, den Zeitverlust, welcher mit dem Aufsuchen einer verborgenen Landestelle verbunden war, zu vermeiden und direkt nach dem Ankerplatze zu lenken. Da Abu el Mot fort war, hatte man ja nichts zu befürchten. Aber als sie sich dieser Stelle näherten, sahen sie ein großes, helles Feuer, welches dort brannte. Die Niamniam zogen sofort die Ruder ein, und nur zwei von ihnen gebrauchten die ihrigen so, daß das Boot keine Rücktrift bekam, sondern seine Lage behauptete.

»Ein Feuer!« sagte Schwarz. »Wer mag sich dort befinden! Solltet ihr euch doch von dem Dschur haben täuschen lassen? Sollte Abu el Mot noch da oder doch aus irgend einem Grunde zurückgekehrt sein?«

»Gewiß nicht!« antwortete der »Sohn des Geheimnisses«. »Er ist wirklich fort. Er ist vor Wut außer sich gewesen, und du kannst dir denken, daß er, wenn er die Verfolgung, bei der er keine Stunde versäumen darf, einmal angetreten hat, nicht wieder zurückkommen wird.«

»Das leuchtet mir freilich ein. Es handelt sich bei ihm ja nicht nur darum, die Abtrünnigen zu bestrafen, sondern auch sein Eigentum zurückzuerhalten. Sie werden mit allem, was am Lager war, auch seine Pulvervorräte mitgenommen haben. Ich habe mich in Diakin, wo er die beiden Schiffe mietete, genau erkundigt und da erfahren, daß er kein Pulver gekauft hat. Er hat zwar danach gefragt, aber keins bekommen können. Er ist also auf die Quantität, welche sich auf der Seribah befand, angewiesen. Ein Sklavenjäger ohne Pulver ist wie ein Elefant ohne Stoßzähne; er kann weder angreifen, noch sich recht verteidigen. Darum muß Abu el Mot sich schon aus diesem Grunde beeilen, den Feldwebel baldmöglichst zu erreichen. Ich nehme also nicht an, daß er umgekehrt ist, falls es wirklich auf Wahrheit beruht, daß er aufgebrochen ist. Wer also mag sich dort am Feuer befinden?«

»Jedenfalls nur Dschurneger.«

»Zu welchem Zwecke?«

»Um zu fischen. So lange die Seribah bewohnt war, sind sie vom Flusse auf dem direkten Wege abgeschnitten gewesen. Sie mußten einen weiten Umweg machen, um zum Wasser zu gelangen. Darum werden sie das Versäumte nun fleißig nachholen. Der Ertrag ist des Nachts reicher als am Tage, wenn man ein Feuer anbrennt, welches die Fische herbeilockt.«

»Du wirst wohl das Richtige vermuten; aber dennoch will ich die Vorsicht nicht aus der Acht lassen. Wir wollen schon hier anlegen. Dann schleichen wir uns zum Feuer, um zu sehen, wen wir vor uns haben.«

Das Boot wurde nach dem Ufer gelenkt und dort befestigt. Die Ruderer blieben in demselben zurück. Schwarz stieg mit Abd es Sirr und Ben Wafa aus und näherte sich, von den Bäumen gedeckt, der Stelle, an welcher das Feuer brannte.

Als sie so nahe an dasselbe gelangt waren, daß sie die dort Befindlichen erkennen konnten, hielten sie an und musterten die nächtliche Scene. Ja, es waren fünf Neger aus dem Dorfe der Dschur, die sich hier befanden. Sie hatten aus Schilf ein Floß gebaut und mit einer Erdschicht belegt, um ein Feuer darauf anbrennen zu können. Dieses Floß war mehrere Schritte vom Ufer entfernt, im Wasser verankert und trug nur einen Mann, welcher die Flamme zu unterhalten hatte. Die übrigen lagen am Ufer und spähten in das bis auf den Grund erleuchtete Wasser, um, die kleineren Fische unbeachtet lassend, die größeren zu speeren oder, falls dies nötig war, mit einer kurzen, widerhakigen Lanze, an welcher sich eine Leine befand, zu harpunieren. Sie hatten schon eine reiche Beute gemacht. Man sah beim Scheine des Feuers eine Anzahl Fische in der Größe von zwei Fuß bis über zwei Ellen am Ufer liegen.

»Gehen wir hin?« fragte der »Sohn des Geheimnisses«.

»Noch nicht.« antwortete Schwarz. »Ich will auch nicht das mindeste versäumen und möchte also vorher hinauf, wo die Seribah gelegen hat.«

»So komm! Es ist nicht weit. In einer Minute sind wir durch den Wald.«

Sie stiegen leise am Ufer empor. Als sie den Rand des Waldes erreichten, sah Schwarz die Brandstätte vor sich liegen. Nichts regte sich auf und bei derselben. Er konnte gar nicht daran zweifeln, daß Abu el Mot den Ort verlassen habe, und kehrte also zufriedengestellt zum Feuer zurück.

»Bleibt hier stehen,« sagte er. »Diese Leute kennen euch, weil ihr schon in ihrem Dorfe gewesen seid, und brauchen euch nicht zu sehen. Sprechen sie arabisch?«

»Viele von ihnen nicht. Der Dicke aber, welcher dort in der Mitte liegt, ist der Häuptling, welcher diese Sprache zur Genüge versteht, um dir Auskunft geben zu können.«

Schwarz trat unter den Bäumen hervor und grüßte die Schwarzen. Sie erschraken außerordentlich, als sie so unerwartet eine fremde Stimme hinter sich hörten. Sie sprangen auf, und als sie die hohe, breite Gestalt des Deutschen erblickten, erhoben sie ein lautes Angstgeschrei und flohen, alles im Stiche lassend, von dannen. Auch den einen, welcher sich auf dem Leuchtflosse befand, ergriff ein solcher Schreck, daß er sich kopfüber in das Wasser warf und, gar nicht an die hier so häufigen Krokodile denkend, eine Strecke abwärts schwamm, um dort ans Ufer zu gehen und schleunigst zu verschwinden. Es war das in der Nähe des Bootes, dessen Insassen es aber für geraten hielten, ihm ihre Anwesenheit nicht bemerken zu lassen.

Nur einer war nicht entkommen, nämlich der dicke Häuptling. Sobald dieser Miene gemacht hatte, davonzulaufen, war er von Schwarz mit starker Hand bei der Haarfrisur ergriffen und festgehalten worden. Er wehrte sich nicht; er wagte keine einzige Bewegung; aber er heulte vor Angst so entsetzlich, daß seine Stimme wohl bis weit über das jenseitige Ufer drang.

»Sei still!« gebot Schwarz dem Negerhäuptling. »Ich thue dir nichts.«

»Ja schetan, ja schetan, ja schetan el mlih, amahn, amahn, rahmi – o Teufel, o Teufel, o guter Teufel, Gnade, Gnade, Erbarmen!« zeterte er, indem er weder von der Stelle zu gehen noch sich zu rühren wagte.

»So schweige doch, Bursche! Ich bin nicht der Schetan, sondern ein Mensch wie du. Es soll dir nichts geschehen. Du sollst mir nur einige Fragen beantworten, und dann gehe ich wieder.«

»So gehe, gehe gleich jetzt; ich bitte dich!«

Er sagte das in so angstvoll flehendem Tone, daß Schwarz lachen mußte. Doch hielt der letztere ihn noch immer fest, um ihn an der Flucht zu verhindern, indem er antwortete:

»Ich gehe, doch erst dann, wenn du mir Bescheid gegeben hast. Je schneller du mir Auskunft gibst, desto eher wirst du frei von mir sein.«

»So frage, frage rasch!«

»Gut! Aber ich erwarte, daß du mir die Wahrheit sagst. Belügst du mich, so binde ich dir Hände und Füße zusammen und werfe dich als Speise für die Krokodile in das Wasser!«

»Ich schwöre dir zu, daß ich dich nicht belügen werde!« versprach der Dicke, welcher zitternd zu Boden blickte und noch immer nicht wagte, dem Deutschen in das Gesicht zu sehen.

»Wo ist Abu el Mot?«

»Fort.«

»Wann?«

»Eine Stunde vor Sonnenuntergang.«

»Wer ist mit ihm?«

»Fünf Araber und die Nuehr, welche sich auf den Schiffen befunden hatten.«

»Wen hat er hier zurückgelassen?«

»Niemand.«

»Verschweige mir nichts, sonst bist du verloren! Blieb wirklich keiner von seinen Leuten hier?«

»Kein einziger.«

»Wo will er hin?«

»Dem Feldwebel nach, um ihn zu bestrafen.«

»Und was beabsichtigt er dann?«

»Dann will er wiederkommen, und wir sollen ihm helfen, die Seribah neu aufzubauen.«

»Wo lagert der Feldwebel?«

»Zwei und einen halben Tagemarsch von hier, am Nile, wo sich der große Maijeh befindet, welcher Maijeh Husan el bahr genannt wird.«

»Wann wird Abu el Mot dort ankommen?«

»Er gedachte, übermorgen dort zu sein, da er auch des Nachts segeln will; aber ich glaube, daß er längere Zeit braucht.«

»Warum?«

»Weil er schon gegen Morgen, vor Anbruch des Tages, an eine Stelle kommen wird, wo man mit großen Schiffen am Tage nur sehr schwer und langsam, des Nachts aber gar nicht durch die Omm Sufah kommen kann. Er muß dort warten, bis es hell wird, und es dauert ganz gewiß eine lange Zeit, bis er wieder in freies Fahrwasser kommt.«

»Hast du vielleicht gehört, ob er bald wieder einen Sklavenzug, eine Ghasuah unternehmen will?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Er wollte zu den Niam-niam. Aber er wird diese Ghasuah nun aufschieben müssen, bis die Seribah wiederhergestellt ist. Er braucht überhaupt jetzt keine Sklaven zu fangen, denn Abd el Mot wird aus Ombula viele mitbringen.«

»Wie viele Jäger hat dieser mitgenommen?«

»Fünfhundert.«

»Kennst du den Sejad ifjal?«

»Den Elefantenjäger? Ja; er war bei uns, gerade als die Seribah brannte.«

»Weißt du, wo dieser Mann her ist?«

»Nein. Niemand weiß es.«

»Wie ist sein eigentlicher Name?«

»Den sagt er nicht. Er wird nicht anders als Sejad ifjal genannt.«

»Hat er dir gesagt, wohin er gehen will?«

»Nein. Er tauschte bei mir zwei Kamele ein. Als wir früh erwachten, war er fort.«

»Allein?«

»Ja, denn es war niemand bei ihm.«

»Und hat sich sonst jemand nach Abd el Mot und Ombula erkundigt?«

»Ja. Ein Fremder war hier, ein Weißer, welcher nach diesem Dorfe wollte.«

»Weshalb?«

»Das weiß ich nicht. Er verlangte einen Führer von mir; aber ich sagte ihm, daß die Belanda unsre Todfeinde seien, und daß man das Leben wage, wenn man sie von hier aus aufsuche. Da ging er fort.«

»Wohin?«

»Er hat es mir nicht gesagt; jedenfalls dahin, woher er gekommen ist.«

»Hast du heute mit Abu el Mot gesprochen?«

»Ja. Er kam zu uns, und ich mußte ihm alles, was während seiner Abwesenheit geschehen war, erzählen.«

»Hast du auch den Elefantenjäger erwähnt?«

»Nein.«

»Aber doch vielleicht den fremden Weißen, der einen Führer nach Ombula haben wollte?«

»Auch diesen nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil es keine Zeit dazu gab, denn Abu el Mot hatte es sehr eilig, weil er fort wollte.«

»Wie waren die Nuehr bewaffnet?«

»Einige von ihnen hatten Gewehre, die andern aber nicht.«

»Hast du sie alle gesehen?«

»Ja, denn ich war mit hier, als sie am Land waren und dann wieder einstiegen.«

»Wie viele Flinten waren ungefähr vorhanden?«

»Nicht über zwanzig. Die übrigen hatten Pfeile, Spieße, Messer und Schilde von Dschild husan el bahr

»Aber Abu el Mot selbst und die fünf Araber waren gut bewaffnet?«

»Sie hatten Gewehre, Pistolen und Messer.«

»Wie stand es mit dem Pulver?«

»Es war nur so viel davon vorhanden, wie sie in den Kuruha el barud bei sich hatten. Darüber war Abu el Mot sehr zornig, denn der Feldwebel hat den ganzen Vorrat mitgenommen. Auch Blei zu den Kugeln fehlte.«

»So! Ich danke dir! Das ist es, was ich wissen wollte.«

»Kann ich nun gehen?«

»Du brauchst nicht zu fliehen, sondern du kannst unbesorgt bleiben, es wird dir nichts geschehen. Damit du erkennst, daß ich es nicht bös mit dir meine, will ich dir einen Abu Noktah schenken. Hier hast du ihn!«

Erst jetzt ließ er die Hand von dem Schopfe des Dicken, zog den Beutel aus der Tasche und gab ihm einen Mariatheresienthaler. Das war das richtige Mittel, dem Neger Vertrauen einzuflößen. Er wagte es, an der hohen Gestalt des Deutschen bis zum Gesicht desselben emporzublicken und fragte:

»Herr, soll dieser Abu Noktah wirklich mein sein?«

»Ja.«

»Dann bist du wirklich kein Schetan, sondern ein sehr wohlthätiger Mensch. Du bist gütiger und verständiger als der fremde Weiße, welcher mir Geld versprach und doch nur armselige Perlen gab. Ich sehe ein, daß ich mich vor dir nicht zu fürchten brauche.«

»Ja, rufe oder hole deine Leute wieder her und fische ruhig fort. Ich gehe jetzt. In kurzer Zeit wirst du drei Schiffe hier vorüberfahren sehen; aber auch vor diesen brauchst du dich nicht zu ängstigen. Sie werden nicht anhalten.«

»Schiffe? Wem gehören sie? Wo kommen sie her, und wo wollen sie hin? Vielleicht zu einer Sklavenjagd?«

»Nein. Es befinden sich keine Sklavenjäger sondern nur gute Menschen auf denselben!«

»Und werden sie wirklich nicht hier halten?«

»Nein. Verlasse dich auf mein Wort. Gute Nacht!«

Er ließ ihn stehen und trat in das Dunkel des Waldes zurück. Seine beiden Begleiter hatten von dem nahen Baume aus, unter welchem sie verborgen gewesen, die Unterredung angehört. Als er nun mit ihnen nach dem Boote ging, bemerkte der »Sohn der Treue«:

»Effendi, jetzt erkenne ich, daß ich nicht klug gewesen bin, als ich vorhin mit dem Dschur sprach.«

»Inwiefern?«

»Ich habe nur nach Abu el Mot gefragt, nicht aber nach den andern nötigen Dingen, die du jetzt erfahren hast. Nun wissen wir alles.«

»Ja, ich weiß nun freilich viel, viel mehr, als ich erfahren zu können glaubte. Es war ein Glück, daß diese Leute sich hier befanden.«

Sie hatten das Boot erreicht, stiegen ein und ruderten zurück. Aber die Strecke, welche sie zu fahren hatten, war nicht groß, denn schon nach kurzer Zeit sahen sie das Licht der Dahabiëh und dann auch diejenigen der beiden Noqer erscheinen. Um Hasab Murat zu unterrichten, ließ sich Schwarz zunächst an das Schiff desselben und dann erst nach der Dahabiëh rudern. An Bord gestiegen, gab er dem Reïs die nötigen Befehle.

Am Bug der drei Schiffe brannten große Feuer, um das Fahrwasser zu erleuchten. In dem Scheine, welchen sie auf den Strom warfen, sah man häufig Fische emporschnellen. Der Wind war von Anfang an stets günstig gewesen und war es noch jetzt. Er spielte mit der Flamme drüben am Ufer, an welchem man die Dschur stehen sah, welche mit ihren Blicken die vorüberpassierenden Schiffe verfolgten.

Oft, wenn man eine Krümmung des Flusses erreichte, wurde der Wind von der vorspringenden Uferspitze aufgefangen, und die Segel fielen schlaff zusammen. Später, gegen Mitternacht, schlief der Luftstrom plötzlich ein, ohne wieder zu erwachen. Das war fatal, und es gab dabei nur den Trost, daß Abu el Mot unter derselben Flaue zu leiden hatte und also auch nicht vorwärts kommen konnte.

»Jetzt fehlt nix als a Remorqueur, der uns von dannen schleppt,« sagte der Graue zu Schwarz. »Wann's nur wenigstens Tag wär', daß wir uns am Zugseil schleppen lassen könnten, wo das Ufer dazu paßt. Wie weit ist denn eigentlich Abu el Mot vor uns?«

»Er ist eine Stunde vor Sonnenuntergang von der Seribah abgesegelt. Zwei Stunden später kamen wir dort vorüber; also beträgt sein Vorsprung nur drei Stunden.«

»So holen wir ihn morgen ein.«

»Ganz gewiß.«

»Und was gedenken's da zu thun? Ihn anzugreifen?«

»Ja.«

»Mein Plan wär' ganz anders.«

»Wie denn?«

»Ich ließ ihn ruhig voraus bis zum Lager des Feldwebels. Dort würden sich die beiden einander umbringen, denn ohne Gegenwehr wird sich der Abtrünnige wohl nit ergeben, und wann's sich dann halb derwürgt haben, fallen wir über sie her.«

»Diesen Gedanken habe auch ich gehabt, aber er taugt nichts.«

»Was? Er taugt nix? Das ist kein großes Lob und Kompliment für mich!«

»Überlegen Sie sich die Sache; dann werden Sie finden, daß ich recht habe.«

»Das seh' ich nit so schnell ein. Wann's vorher Abu el Mot angreifen, so müssen's nachher extra noch den Feldwebel überfallen. Das kann doch lieber gleich mit einem mal abg'macht werden.«

»Daß ich ein Thor wäre! Mit unsern drei Schiffen und vierhundertfünfzig Mann sind wir Abu el Mot überlegen. Er hat wenig Gewehre und fast kein Pulver, während wir mit beidem wohl versehen sind. Wir können also, wenn wir ihn auf dem Flusse fassen, kurzen Prozeß mit ihm machen, ohne befürchten zu müssen, große Verluste zu haben. Lassen wir ihn aber bis zum Maijeh kommen, so gelangt er zu Blei und Pulver, und wenn er in allem auch kaum dreißig Gewehre zusammenbringt, so ist das ganz hinreichend, ein halbes Hundert von uns oder gar noch mehr zu töten. Das will ich vermeiden.«

»Hm! Daran habe ich freilich noch nit g'dacht.«

»Und noch eins. Auf dem Flusse haben wir ihn so, daß er uns nicht entkommen kann. Lassen wir ihn aber landen, so herrscht bei mir zwar gar kein Zweifel darüber, daß wir ihn besiegen, aber es ist mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß er flieht, sobald er seine Sache verloren sieht. Was nun dann? Ich will ihn fangen; ich muß ihn persönlich haben, um ihn dem Mudir von Faschodah zu schicken.«

»Sehr richtig! Hören's mal, Sie sind doch aan andrer Kerl als ich! Auf meine Fachwissenschaft versteh' ich mich schon gut, aber mit dera Strategie, da thät' es wohl g'waltig hapern. Sie hätten Off'zier werden sollen. Vielleicht wären's jetzt schon Oberst oder gar noch mehr!«

»Danke! Ich habe meine Pflicht als Soldat gethan; im übrigen bin ich mit meinem Civilberufe ganz zufrieden.«

»So! Also Soldat sind's g'wesen? Ich nit.«

»Doch nicht als untermäßig oder zu schwach? Sie haben über die erforderliche Länge und sind wohl auch gesund gewesen.«

»Gesund wie der Fisch im Wasser, und auch lang g'nug. Ich hab' ganz g'wiß glaubt, daß man mich nehmen wird, und doch bin ich loskommen.«

»Aus welchem Grunde denn?«

»Das fragen's mich? Sehen's das denn nit?«

»Nein,« antwortete Schwarz ganz aufrichtig, indem er die Gestalt Pfotenhauers mit einem prüfenden Blick überflog.

»Sie haben halt keine Augen! Freilich, der Grund, um den sich's g'handelt hat, ist auch mir sehr sonderbar vorkommen, aber meine Verwunderung hat nix dran ändern können. Nämlich als ich bei dera Militärkommission erschienen bin, so haben die Herren erst mich ang'schaut, dann sich ang'schaut, nachher wiederum mich und wiederum sich, und endlich sind's in a Gelächter ausg'brochen, welches gar nicht hat enden wollen. Ich hab' dag'standen wie der Milchbub', der den Topf zerbrochen hat, und mein G'sicht wird wohl nit allzu klug dreing'schaut haben, denn sie haben immer wieder von Neuem g'lacht, bis endlich der Vorsitzende, welcher Major g'wesen ist, aufstand, zu mir herankam, mich im G'sicht gestreichelt und freundlich zu mir g'sagt hat, daß ich gehen kann und für immer frei bin.«

»Aber den Grund, den Grund! Hat er Ihnen den nicht genannt?«

»Freilich hat er ihn mir g'nannt. Er hat den Zollstab vom Tisch genommen und drei Viertelstunden lang mit dem selbigen an meiner Nas' herumg'arbeitet. Dann hat er g'sagt: 'Es geht nit; es geht wirklich nit; es geht beim besten Willen nit! Dieser Rekrut thät' seinem Vordermann mit dera Nas' das G'nick einstoßen! Und doppelten Abstand nehmen wegen ihm, das kann man auch nicht thun; er brächt' das ganze Regiment aus dem 'Augen rechts, richt't Euch!' heraus. Und wann er rechtsumkehrt machen muß, so dauert es drei volle Stunden, eh' er die Nas' herumbringt. Wir müssen ihn laufen lassen.' So hat der Major g'sagt, und folglich hab ich's nur meiner Nas' zu verdanken, daß ich Anno sechsundsechzig oder siebzig nit mit derschossen worden bin.«

Er erzählte das mit einem so vergnügten Lachen, daß Schwarz in dasselbe einstimmte.

»Da lachen's auch?« fuhr er fort. »Damals ist mir's freilich nit wie lachen g'wesen, denn ich hab' mich für einen Mordskerl und Adonis g'halten. Heute aber laß ich's gelten. Ich hab' meine Nas' und bin mit ihr zufrieden, zumal ich überzeugt bin, daß aus mir kein großer Kriegsheld g'worden wär'. Das seh' ich eben jetzt grad ein, wo Ihr Plan zehnmal klüger ist, als der meinige war. Ja, wir müssen Abu el Mot zu Schiff' angreifen. Er wird sich wundern, wann er die Kanone donnern hört. Aber haben's denn jemand, der sie zu behandeln versteht?«

»Ja. Es ist ein Mann, auf den ich mich in dieser Beziehung verlassen kann.«

»Wer?«

»Ich selbst.«

»Sie? Auch mit Kanonen können's schießen? Sie scheinen grade zu alles g'lernt zu haben!«

»Wenn auch das nicht, aber ein Geschütz weiß ich zu laden, zu richten und auch abzufeuern. Ich war Einjähriger bei der Artillerie.«

»So! Dann will ich's glauben. Ich aber versteh' von dera Artillerie soviel wie nix. Ich glaub', ich stellt' mich vor den Lauf, wenn ich abdrücken sollt'. Doch weiter jetzt mit unserm Plan! Was werden's denn thun, wann wir Abu el Mot und auch den Feldwebel haben?«

»Die Antwort ist sehr leicht zu geben. Wir bleiben am Maijeh, wo jetzt der Feldwebel lagert, und warten, welchen Ausgang die Ghasuah nach Ombula nimmt. Mag dieser Zug gelingen oder nicht, so muß Abd el Mot zurück und also in unsre Hände fallen.«

»Und Ihr Bruder?«

»Den muß ich freilich einstweilen seinem Glück und Geschick überlassen. Was könnte ich sonst thun? Ihm etwa nacheilen?«

»Nein, denn wir wissen ja gar nit, wo er zu finden ist.«

»Er ist der Spur Abd el Mots gefolgt und wird gewiß auf derselben zurückkehren. Treffen müssen wir ihn also auf jeden Fall, wenn ihm nicht unterwegs ein Unglück zugestoßen ist, was leider auch im Bereiche der Möglichkeit liegt.«

»Ich hoff' auf gutes Gelingen, denn er befindet sich in guter G'sellschaft.«

»So hat der Elefantenjäger Ihnen gefallen?«

»Ja. Er ist g'wiß kein gewöhnlicher Mann und muß viel erfahren und erlebt haben. Auch hat er klug und überlegen g'nug ausg'schaut, so daß ich ihm gern zutrau', daß er sich nit übereifrig in Gefahr begibt.«

»Ich kann den Gedanken nicht los werden, daß er zu dem 'Sohne des Geheimnisses' in Beziehung steht. Wenn unser Vorhaben in allen Stücken gelingt, werden diese beiden einander sehr bald wiedersehen, und dann muß es sich finden, ob meine Ahnung die richtige ist. Doch, sehen Sie dort den 'Vater der elf Haare'! Er blickt beständig her, als ob er mir etwas sagen wolle. Ich werde ihn einmal fragen. Ich weiß, daß er nur Ihretwegen nicht herkommt.«

»Gehen's nit hin, sondern bleiben's da, und rufen's ihn her! Wann ich nit mit ihm zusammentreff', kann ich den Fehler, den ich begangen hab', nit gutmachen.«

Schwarz winkte dem Slowaken, und so sah dieser sich gezwungen, zu ihm zu kommen. Auf die Frage, ob er vielleicht ein Anliegen habe, antwortete er:

»Ich hatt wirklich eine Bitte, ergebenste. Wir hatt gesprochte von Wind, entschlummertem, und von Fahrt, langsamiger. Wenn wir gewollte kommen an Abu el Mot, vorausigem, so muß fahrte Schiff mit Schnelligkeit, größerer. Darum wir hatt beschließte, daß wir aussetzte Boote, alle vorhandene, sie spannte vor Schiff, müßiggängerisches, und ruderte es vorwärts mit Eile, zufriedenstellen der.«

»Ach so! Du machst den Vorschlag, die Boote vorzuspannen?«

»Ja, alle!«

»Ich habe schon daran gedacht. Boote wären ja da. Die Dahabiëh hat außer der Feluka noch ein kleineres Boot; jeder Noqer hat zwei Kähne und außerdem ist das große Boot der Niam-niam vorhanden. Aber ich habe den Befehl nicht geben wollen, weil ich nicht glaube, die Leute so anstrengen zu dürfen.«

»Leute haben gesprochte davon. Sie wollte stellen Freiwillige, hinreichende. Hatt mich gebeten, zu meldente es Effendi, kommandieren dem.«

»Also hat man sich freiwillig zum Rudern erboten? Das ist mir sehr lieb. Zwingen wollte ich niemand. Da du der Beauftragte dieser Freiwilligen bist, so sage ihnen, daß ich ihren Wunsch erfüllen werde. Ich ernenne dich zu ihrem Chef. Rufe sie zusammen!«

Über das pockennarbige Gesicht des Kleinen glitt der Ausdruck freudiger Genugthuung. Er warf einen stolzen Seitenblick auf den Grauen und sagte:

»Wenn ich seinte Chef, installierter, so hatt ich zu kommandierte Compagnie, freiwillige?«

»Ja,« nickte Schwarz. »Du bist ihr Oberst, doch unter meinem Befehle.«

»Ich wernte machte ein Oberst, tüchtiger. Ich hatt schon stets besitzte Eigenschaft, geeignete, zu kommandierte Compagnie und Bataillon mit Leichtigkeit, militärischer. Und da ich hatt Frack, schönen und roten, so werd' ich erfüllte Pflicht, meinige, mit Aplomp, ausgezeichnetem. Zu Befehl, Effendi!«

Er legte die zwei Finger salutierend an seinen Federturban und stolzierte steif wie ein Storch und erhobenen Hauptes von dannen.

»Nun ist er zufriedeng'stellt,« lachte Pfoten Hauer. »Auch eine Ansicht! Weil er einen roten, schönen Frack hat, hält er sich für geeignet, ein Bataillon zu kommandieren!«

»O, tragen Sie keine Sorge um ihn! Ich bin überzeugt, daß er die Ruderer zusammennehmen und anfeuern wird, daß es eine Lust ist. Passen Sie auf!«

Der Kleine brachte nach wenigen Minuten gegen dreißig Soldaten herbei, welche gelernt hatten, ein Ruder zu führen; diesen schlossen sich die Niam-niam an, und der »Sohn des Geheimnisses« und der »Sohn der Treue« meldeten sich zum Steuern. Die Feluka und das zweite Boot wurden hinabgelassen und bemannt; man hing sie ebenso wie das Boot der Niamniam an ein Tau, welches an das Vorderteil der Dahabiëh befestigt wurde, und dann setzten sich fünfzig Arme in Bewegung, das Schiff, welches nun nur noch mit Hilfe der Stoßstangen bewegt worden war, in schnellern Lauf zu bringen.

Kaum wurde das von den Noqers bemerkt, so ertönte die Stimme des Schnarchers durch die Nacht:

»Ja radschal, flajik linahr – auf, Ihr Männer, die Boote ins Wasser! Arbeitet, macht, macht! Soll die Dahabiëh uns zum Gelächter machen? Schnell eilt, ihr Söhne, ihr Gelobten, Ihr Fleißigen! Oder wollt ihr schlafen, ihr Söhne von Hunden, ihr Taugenichtse!«

Bald hatten sich die Boote auch vor die beiden Noqer gespannt, und nun gingen die Schiffe schneller vorwärts, wenn auch nicht so, als wenn sie von einem guten und günstigen Wind getrieben worden wären. Die Ruderer, deren Arbeit eine sehr anstrengende war, wurden in zwei Wachen geteilt, welche einander stündlich ablösten.

Im vordern Boote saß der Ungar, dessen hochroter Frack im Scheine des Bugfeiers leuchtete. Seine Stimme war stets zu hören; seine bewegliche Zunge ruhte keinen Augenblick, und es klang gar sonderbar, wenn er wieder und immer wieder kommandierte:

»Tabor, lakuddam, lakuddam! Kull el ordi, biladschel, mudschtahid, mudschtahid – Bataillon vorwärts, vorwärts! Ganzes Armeekorps, schnell, fleißig, fleißig!«

So ging es durch die ganze Nacht. Als Schwarz nach kurzem Schlafe früh aufstand, meldete ihm der Reïs, daß man mit den Ruderern zufrieden sein könne. Sie befanden sich jetzt wieder an Bord, denn mit der Sonne hatte sich ein neuer Wind erhoben, welcher die Segel prächtig schwellte und die bisherige Nachhilfe unnötig machte. Die Leute, welche sich während der Nacht so sehr angestrengt hatten, lagen jetzt unter ihren Decken, um die versäumte Ruhe nachzuholen.

Während Schwarz mit dem »Vater des Storches« beim Kaffee saß, kam der »Sohn des Geheimnisses« zu ihnen und bat in bescheidenem Tone:

»Effendi, erlaube mir, dich auf etwas, was du vielleicht vergessen könntest, aufmerksam zu machen!«

»Nun?« fragte Schwarz.

»Du hast in den letzten Stunden geschlafen und weißt also nicht, wie weit wir vorwärts gekommen sind. Auch kennst du den Fluß noch nicht, und so muß ich dir sagen, daß wir gleich die Schilffelder erreichen werden, von denen gestern abend der Schech der Dschur sprach. Vor diesem Omm Sufah hat Abu el Mot ganz sicher liegen bleiben müssen. Er konnte erst mit Aufgang der Sonne weiter, und auch das nur sehr langsam, da er seinen Schiffen das Schilf aus dem Wege räumen muß; darum ist es gewiß, daß wir ihm nahe sind.«

»Soll da nicht vielleicht ein kleines Boot vorangehen, um nach ihm auszuschauen?«

»Ja. Dieser Vorschlag ist gut. Willst du das übernehmen?«

»Ich und mein Freund sind bereit dazu.«

»So nehmt das kleinste Boot, welches nicht leicht bemerkt werden kann!«

Wenige Minuten später schoß der leichte Kahn vom Schiffe ab, um die ihm gestellte Aufgabe zu erfüllen. Dann kam der Beweis, daß der »Sohn des Geheimnisses« den Nil genau kannte. Mächtige Omm Sufahfelder bedeckten seine ganze Breite, ursprünglich kaum so viel Raum lassend, daß ein kleines Boot sich hindurchwinden konnte; jetzt aber war eine breitere Bahn frei geworden, auf welcher man den Kahn der beiden Freunde um die nächste Krümmung verschwinden sah. Der Reïs deutete auf diese offene Bahn und sagte:

»Gestern noch ist sie zugewesen. Abu el Mot hat sie brechen müssen. Wir folgen ohne Arbeit hinterdrein, und ich denke, daß wir ihn bald zu sehen bekommen werden.«

Seine Voraussetzung bewahrheitete sich schneller als er vielleicht selbst gedacht hatte, denn als kaum eine Viertelstunde vergangen und man aus der Omm Sufah herausgekommen war, kehrte der Kahn zurück, und der »Sohn des Geheimnisses« rief herauf:

»Laß die Segel fallen, Effendi! Wir haben die Schiffe gesehen. Wenn du weiterfährst, wirst du von ihnen bemerkt.«

»Sind sie im freien Wasser?« fragte Schwarz.

»Nein. Sie befinden sich abermals an einem Rohrfelde, durch welches sie müssen. Es können drei Stunden vergehen, bevor sie sich Bahn gebrochen haben.«

»Gut! So lassen wir die Segel und Anker fallen und sehen uns die Schiffe einmal an.«

Die drei Fahrzeuge manövrierten so, daß sie dicht nebeneinander zu liegen kamen, was den Verkehr und die Verständigung bedeutend erleichterte. Dann bestiegen Schwarz, Pfotenhauer, Hasab Murat, Abd es Sirr und Ben Wafa ein Boot, um zu rekognoscieren.

Sie ruderten zwischen so hohem Schilf dahin, daß sie in demselben vollständige Deckung fanden; die offene Mitte des Flusses aber mußten sie vermeiden, wenn sie nicht bemerkt sein wollten. Eine scharfe Krümmung des Flusses lag vor ihnen. Als sie dieselbe passiert hatten, sahen sie die Schiffe liegen, und zwar in einer so geringen Entfernung, daß man sie mit dem Boote binnen zehn Minuten hätte erreichen können.

Schwarz und Pfotenhauer nahmen ihre Fernrohre zur Hand, um die Situation, in welcher Abu el Mot sich befand, zu betrachten. Es gab dort ein Schilffeld, welches von einem bis zum andern Ufer des gerade hier sehr breiten Flusses reichte, und in welchem die Schiffe sich festgefahren hatten. Um nicht noch tiefer hineinzukommen, waren die Segel niedergelassen worden. Neben und vor den Fahrzeugen waren die Boote beschäftigt, mit allerlei Werkzeugen, deren jedes Nilschiff welche besitzt, die Hindernisse aus dem Wege zu räumen.

»Kennst du dieses Feld?« fragte Schwarz den »Sohn des Geheimnisses«.

»Ja. Wir haben Mühe gehabt, es mit unserm Boote zu durchbrechen,« antwortete dieser.

»Ist das Feld lang?«

»So lang, daß, wie ich dir bereits sagte, wohl drei Stunden erforderlich sind, ehe Abu el Mot hindurchkommt.«

»Und wie ist dann die Strecke?«

»Sie ist nur einige hundert Bootslängen frei. Dann kommt wieder ein Feld, welches den ganzen Fluß bedeckt, aber auch das letzte in dieser Gegend ist.«

»So gibt es keine bessere Stelle zum Angriff als eben diese. Zwischen diesen beiden Feldern nehmen wir ihn fest. Er kann weder vorwärts noch zurück, wenn wir es recht beginnen.«

»Aber an die Ufer kann er,« warf Hasab Murat ein.

»Das müssen wir ihm unmöglich machen. Mein Plan ist fertig und ich hoffe, daß er eure Zustimmung finden werde.«

»Laß ihn hören!«

»Die beiden Schiffe müssen von allen vier Seiten eingeschlossen werden, so daß weder ein Schiff noch ein Mann entkommen kann. Lassen wir sie erst durch das Feld. an welchem sie jetzt arbeiten. Auf der dahinter liegenden kurzen, freien Strecke wird Abu el Mot angefallen. Vor sich hat er das zweite Feld, durch welches er nicht entkommen kann. Links von ihm gehe ich mit meiner Dahabiëh vor Anker. Hinter ihm, so daß er nicht zurück kann, legen sich ihm unsere beiden Noqer in den Weg – – –«

»So kann er aber doch rechts an das Ufer!« warf Hasab Murat ein. »Dort muß einer meiner Noqer liegen!«

»Nein! Wenn ich auf ihn schieße, würde ich dein Schiff mit treffen und beschädigen. Du nimmst hundert deiner Leute und gehst mit ihnen an das Ufer, wo du dich so festsetzest und verbirgst, daß du nicht gesehen werden kannst.«

»O, ich verstehe! Das ist gut; das ist eine schlaue Falle!«

»Das thust du bald, noch ehe Abu el Mot jetzt durch das erste Feld gekommen ist. Du bist also vor ihm dort und hast die Aufgabe, weder ein Boot noch einen Menschen an das Land zu lassen. Deine übrigen Leute werden auf die Noqers verteilt, also je hundert Mann auf einen. Auf diese Weise haben wir ihn zwischen uns, und es müßte ein wahres Wunder geschehen, wenn wir ihn nicht mit seiner ganzen Mannschaft in die Hand bekämen. Seid ihr einverstanden?«

Der Plan war vorzüglich; es konnte keinen bessern geben; darum erklärte Hasab Murat sich einverstanden mit demselben, und man kehrte zurück.

Nun wurde sofort ans Werk gegangen, die hundert Mann, welche mit Gewehren versehen waren, auszuschiffen. Da alle Kähne dabei thätig waren, so hatte man sie binnen einer Viertelstunde an das linke Ufer gebracht. Diese Leute standen also unter Hasab Murats eigenem Kommando. Dennoch glaubte Schwarz, sich nicht allzu sehr auf ihn verlassen zu dürfen, und darum erklärte er, einstweilen mit ihnen gehen zu wollen, um den Kampfplatz aus größerer Nähe in Augenschein zu nehmen.

Der hart an das Ufer tretende Wald hatte zwar Unterholz, aber es war nicht so dicht, daß es ein großes Hindernis geboten hätte. Die Leute marschierten flußaufwärts, möglichst nahe am Ufer hin, Schwarz und Hasab Murat an der Spitze.

Nach zehn Minuten sahen sie zu ihrer Linken die Masten des Sandal und des Noqer hoch aus dem Schilfe ragen. Sie befanden sich also parallel mit Abu el Mot. Weiter ging's, an dem Schilffelde hin, bis dieses zu Ende war. Da gab es zu Schwarzens Freude an dieser Seite freies Wasser, welches bis an das Ufer reichte. An demselben standen Büsche genug, hinter denen sich die Leute aus der Seribah Madunga vollständig verbergen konnten.

»Hier bleibt ihr also, bis der Sandal und der Noqer kommt,« sagte Schwarz. »Ich werde ihnen sofort folgen, denn ich darf ihnen keine Zeit lassen, wegen des neuen Schilffeldes wieder in die Kähne zu steigen. Sobald ihr seht, daß die Boote bemannt werden sollen, schießt ihr jeden weg, der hineinsteigen will.«

»Werden unsre Kugeln die Schiffe erreichen?« fragte Hasab Murat.

»Ja, denn sie werden sich in die Nähe dieses Ufers halten, weil das jenseitige nicht so schilffrei ist, wie ihr seht. Ich habe euch einen wichtigen Posten anvertraut; ich hoffe, daß ihr eure Pflicht thun werdet!«

Jetzt kehrte er nach der Stelle zurück, wo das Boot auf ihn wartete, welches ihn nach der Dahabiëh bringen sollte. Auf derselben angekommen, ließ er sogleich die Anker heben, um mit den drei Schiffen möglichst weit vorzurücken und sich dort wieder festzulegen. Ein Posten wurde im kleinsten Boote vor ins Uferschilf gesandt. Er erhielt das Fernrohr mit und hatte den Auftrag, den Sandal und Noqer unausgesetzt zu beobachten und sofort zurückzukehren, wenn er sehe, daß diese beiden Fahrzeuge die Segel wieder hissen würden. In diesem Falle waren sie durch das erste Schilffeld gedrungen, und man mußte ihnen schleunigst folgen.

Jetzt machte Schwarz die beiden Kanonen bereit. Er ließ Munition zur Drehbasse bringen und lud sie mit einer Vollkugel. Dann wurde auch die Maximkanone so befestigt, daß man Schüsse aus ihr abgeben konnte. Der Lauf wurde nach Backbord gerichtet und dann wieder mit den Decken belegt. Einige der Asaker waren Artilleristen in Ägypten gewesen. Diesen vertraute er die Drehbasse an und erklärte ihnen den Gebrauch derselben; er selbst wollte die Maximkanone bedienen und beorderte einige Mann zu leichter Handreichung dabei.

Dann erhielt der Reïs und der Mustamel genaue Anweisung, wie sie zu manövrieren hätten. Ben Wafa mußte die Reïsahn der beiden Noqers holen, damit auch diese erfuhren, wie sie und ihre Leute sich zu verhalten hätten.

Über diesen Vorbereitungen waren fast zwei Stunden vergangen, und man konnte nun für jeden Augenblick den ausgesandten Posten zurückerwarten. Jeder Soldat stand an seinem Platze, möglichst gedeckt vor den Kugeln der Feinde. Da man wußte, aus welcher Richtung diese Kugeln kommen würden, so war es nicht schwer, für genügenden Schutz zu sorgen.

Pfotenhauer hatte sich fleißig aber wortkarg an den bisherigen Arbeiten beteiligt. Jetzt stand er, sein Gewehr in der Hand, neben Schwarz und sagte:

»Nun wollen wir mal schau'n, ob ich wirklich zum Soldat nix taugen thu' und ob meine Nas' wirklich mir und andern im Weg' ist. Vielleicht wird mir a Stück davon wegg'schossen, womit ich auch zufrieden sein müßt. Ich freu' mich nur auf die Gesichter, welche sie machen werden, wann's uns sehen. Schön wär's, wenn wir an sie kommen könnten, ohne daß sie uns vorher bemerkten!«

»Das ist sehr leicht möglich,« antwortete Schwarz.

»Wirklich? Sie werden doch nit bloß nach vorn schauen!«

»Nein; aber es gibt Sandals und Noqers, welche Hecksegel führen, die so weit hinten herabgehen, daß sie die Aussicht nach rückwärts verdecken.«

Und sich zu dem in der Nähe befindlichen »Sohn des Geheimnisses« wendend, fragte er diesen, ob die Schiffe Abu el Mots nur die gewöhnlichen Segel führten. Der junge Mann hatte sich das Gewehr und die Munition eines der nun als Kanoniere verwendeten Asaker geben lassen. Er antwortete:

»Diese Schiffe sind plumpe Fahrzeuge; darum hat man ihnen, damit sie viel Wind fassen, noch ein Kalakafal gegeben.«

»Es ist so, wie ich dachte,« erklärte Schwarz dem Grauen. »Vielleicht gelingt es uns, so nahe an sie zu kommen, daß sie uns nicht eher bemerken, als bis wir uns an ihrer Seite befinden.«

»Dann wären's Ohrfeigen wert!«

»Warum? Ihr Augenmerk ist nur nach vorn gerichtet, und da sie nicht ahnen können, daß wir sie verfolgen, und ihnen das Segel den Ausblick verwehrt, so würde es gar kein Wunder sein, wenn sie uns nicht sähen. Da! Es geht los! Dort kommt der Posten in seinem Boote. Mag's gut von statten gehen! Reïs, die Segel in die Höhe, und die Anker auf!«

Die Ankerketten rasselten; die Leinwand stieg empor, der Wind legte sich hinein, und die Fahrzeuge setzten sich in Bewegung, die Dahabiëh voran, die Noqer hinterdrein, nachdem der zurückgekehrte Posten an Bord genommen worden war.

Schwarz stieg hinauf zum Steuermann, bei dem der Kapitän stand. Die Dahabiëh bog in die Krümmung des Flusses ein, und nun sah man jenseits derselben das durchbrochene Omm Sufahfeld. Die Leute Abu el Mots hatten durch dasselbe einen Kanal gebahnt, durch welchen jetzt die beiden Schiffe segelten. Man konnte die Decks nicht sehen, da dieselben durch die tief herabgehenden Hintersegel verborgen wurden.

»Wir sehen sie nit und sie uns nit,« sagte der »Vater des Storches«, der mit heraufgekommen war. »Nun glaub' ich auch, daß wir ihnen zum Handreichen nahe sein werden, bevor sie uns bemerken. Das wird aan Schreck' für sie, den ich nit haben möcht'!«

Auf den drei Fahrzeugen herrschte lautlose Stille. Wenn je zwei miteinander sprachen, so thaten sie das flüsternd. Es geht jedem Kampfe eine solche bange Stille voran. Desto lauter wird es dann, wenn die Feindseligkeiten begonnen haben.

Schwarz hatte den Befehl gegeben, Abu el Mot womöglich nicht zu töten, und demjenigen, der ihn lebendig fangen und ihm überbringen werde, eine entsprechende Belohnung versprochen. Nun war das Augenmerk jedes darauf gerichtet, sich womöglich diese Prämie zu verdienen.

Jetzt hatten der Sandal und der Noqer den offenen Kanal passiert, und die Dahabiëh fuhr in denselben ein. Sie kam den beiden Fahrzeugen schnell näher. Abu el Mot sah erst jetzt, daß sich ihm nach kurzer, offener Strecke wieder ein neues Schilffeld in den Weg legte. Er befahl infolge dessen, die Segel abermals einzuziehen und die Anker zu werfen. Er saß rauchend bei seinen fünf Homr-Arabern, den Gefährten seiner Unthaten, die damals nach dem verunglückten Überfalle an der Quelle des Löwen glücklich mit ihm entkommen waren. Sie hatten von ihrem Vorhaben, den Feldwebel zu überfallen und zu züchtigen, gesprochen; es war ihnen jede Minute kostbar, und nun wurde der Lauf ihrer Schiffe schon wieder von dem dichten Schilfe aufgehalten! Es gab zwar eine Bahn durch dasselbe, aber diese war nur für einen Kahn, nicht aber für größere Fahrzeuge breit genug. Der Schnabel seines Sandal war gerade auf dieselbe gerichtet gewesen und fuhr, ehe der Anker Grund faßte, ein Stück hinein, rechts und links das Rohr auseinanderdrängend. Der Noqer kam hinterdrein und legte rechts von dem Sandal bei, während die Segel aus dem Winde fielen.

Dadurch wurde der Blick nach hinten wieder frei, und nun hörte Abu el Mot zu seinem Erstaunen den Ruf des Reïs:

»Ein Schiff hinter uns! Eine Dahabiëh! Allah 'l Allah, wer kann sich das denken!«

Er sprang auf und seine Homr mit ihm, um das so unerwartet erschienene Schiff zu sehen. Daß hinter demselben zwei Noqers kamen, konnte man nicht bemerken, da die Dahabiëh sie vollständig deckte.

Kaum hatte Abu el Mot sein Auge auf das Fahrzeug geworfen, so entfärbte er sich.

»Kull mlajiki wa schejatin – alle Engel und Teufel!« rief er erschrocken, »das ist eine Dahabiëh des Vicekönigs!«

»Unmöglich!« antwortete einer der Homr. »Wie kannst du das behaupten?«

»Bist du blind? Siehst du nicht das Wappen vorn am Bug, die Pyramide mit der Sphinx? Und, bei Allah, es sind Soldaten auf derselben!«

»Was wollen sie?«

»Weiß ich es denn? Uns gilt diese Fahrt der Dahabiëh jedenfalls nicht. Wir haben nichts zu befürchten, so lange der Offizier nicht weiß, daß ich Abu el Mot bin.«

»Wenn man es ihm nun verrät!«

»Wer sollte das thun? Ihr nicht, die Nuehr nicht, weil sie sonst als Leute von mir ergriffen würden, und die Schiffer, die ich gut bezahle, auch nicht. Und so denke ich, daß – – – Allah akbar! Es kommt noch ein Schiff hinterher und dann gar ein drittes! Zwei Noqer! Das ist ja eine wirkliche Amara

»Laß sie! Du sagst ja selbst, daß es nicht uns gilt.«

»Das sagte ich, doch – doch – – Himmel und Hölle! Ich müßte mich sehr irren, wenn es nicht doch mir gälte! Diese beiden Noqer kenne ich genau. Sie gehören meinem Todfeinde Hasab Murat auf der Seribah Madunga. Wie kommt er, der Sklavenjäger, mit einem Regierungsschiffe zusammen? Sollten sie ihn auf einer Ghasuah ertappt und ihm die Noqer weggenommen haben! Seine Leute kennen mich; sie werden mich verraten.«

»So verstecke dich!«

»Das bringt keinen Nutzen, denn der Offizier wird zu uns kommen und alles untersuchen. Ich leugne, so lange es geht, und dann wehren wir uns. Macht euch zum Kampfe fertig! Seht, da ist die Dahabiëh. Sie will sich links neben uns legen, und hinter uns werfen die Noqer die Anker. So bleibt im Notfalle immer noch Rettung an das linke Ufer, dem wir nahe genug liegen. Ich werde antworten, wenn er fragt. Sagt den Nuehrs, daß sie sich bereit halten sollen! Zum Teufel, daß wir so wenig Feuergewehre und fast gar kein Pulver bei uns haben!«

Die Dahabiëh war da, zur linken Seite des Sandal; sie ließ ungefähr vierzig Schritte von ihm entfernt den Anker fallen und trieb dann an der Kette desselben wieder ein Stück zurück, so daß sie nicht Bug gleich Bug, sondern mehr rückwärts zu liegen kam. So war es ihr möglich, das Deck des Sandals und auch des Noqer mit ihren Kugeln zu bestreichen. Die Situation war also folgende:

Vorn, mit dem Buge ein Stück in dem Rohrdickicht, lag der Sandal, neben ihm der kleinere Noqer. Rechts von beiden, und zwar eine halbe Schiffslänge rückwärts, die Dahabiëh. Hinter diesen drei Fahrzeugen die beiden Noqer aus Madunga, ihnen so nahe, daß von dorther die Flintenkugeln ihr Ziel noch trafen.

Schwarz hatte sich hinter die Maximkanone gesetzt, so daß er von dem Deck des Sandal aus nicht gesehen werden konnte. Beim Reïs stand der Hauptmann aus Faschodah, welcher zuerst sprechen sollte. Er that dies, indem er hinüberfragte:

»Was ist das für ein Sandal und für ein Noqer? Wem gehören diese Schiffe?«

»Mir,« antwortete Abu el Mot, welcher am Rande seines Fahrzeugs stand und mit Befriedigung die kriegerische Haltung seiner Nuehr bemerkte.

»Wer bist du?« erkundigte sich der Hauptmann weiter.

»Ich heiße Jussuf Helam und bin Händler.«

»Womit?«

»Mit allerlei Waren.«

»Wo bist du her?«

»Aus Wau.«

»Und wohin willst du?«

»Stromaufwärts, um zu handeln und zu tauschen.«

»Mann, ich glaube, du lügst!«

»Allah erleuchte dein Gehör! Ich habe die Wahrheit gesagt; hast du sie nicht gehört, so sind deine Ohren schuld; du hörst anders als man spricht!«

»Spotte nicht; ich kenne dich!«

»Und ich habe dich noch nicht gesehen!«

»Du bist Abu el Mot, der Sklavenräuber.«

»So erleuchte Allah auch deine Augen; denn du siehst Dinge und Menschen, welche gar nicht vorhanden sind!«

»Ich sehe sehr richtig. Ich sehe sogar die fünf Männer, welche hinter dir stehen. Gehören sie nicht zu den Homr, von denen auch Abu el Mot stammt?«

»Nein. Sie sind auch Handelsleute aus Wau, welche ihre Waren auf meinen Schiffen transportieren.«

»Das ist nicht wahr. Ich kenne dich und sie. Der Mudir Ali Effendi Abu Hamsah miah in Faschodah läßt euch grüßen. Er sucht nach euch und hat mich beauftragt, euch nach Faschodah zu bringen.«

»Suche die, welche er haben will! Wir sind es nicht.«

»Ihr seid es. Oder wäret ihr wirklich nicht diejenigen, welche an der Quelle des Löwen, westlich von Faschodah, einen fremden Effendi überfielen, um ihn zu töten?«

»W'allah! Das wird schlimm!« raunte Abu el Mot seinen Homr zu. »Es kommt zum Kampfe. Wehrt euch gut!« Und laut antwortete er:

»Wir sind niemals in jene Gegend gekommen und haben nichts mit einem Effendi zu thun gehabt!«

»Auch nicht mit mir?« fragte jetzt Schwarz, indem er aufstand und sich sehen ließ.

Ein grimmiger Fluch entfuhr den Lippen Abu el Mots. Man sah deutlich, daß er erbleichte. Diesen Fremden hier, so weit von der Quelle des Löwen entfernt, zu sehen, das hätte er für unbedingt unmöglich gehalten. Und zudem mit drei Fahrzeugen und Soldaten! Er wußte wirklich nicht, was er antworten, ob er gestehen oder leugnen solle.

»Er ist's,« sagte einer der Homr hinter ihm. »Aber wir fürchten uns nicht. Die beiden Noqers thun uns nichts. Es sind ja die gefangenen Leute Hasab Murats darauf, und mit der Dahabiëh werden wir wohl fertig!«

Diese Worte gaben Abu el Mot seine Fassung und sein Selbstvertrauen zurück, und als jetzt Schwarz seine Frage wiederholte, rief er ihm zornig zu:

»Ja, mit dir habe ich zu thun gehabt, du Hund, du Enkel eines Hundes. Und nun sollst du mit mir zu thun bekommen! Gehe zur Dschehennah!«

Er riß sein Gewehr an die Wange und drückte ab. Schwarz bückte sich blitzschnell hinter die Kanone nieder, und die Kugel flog über ihn hinweg.

»Gebt Feuer! Schießt!« rief Abu el Mot seinen Leuten zu. »Schießt den Offizier weg!«

Seinem Befehle wurde augenblicklich Folge geleistet. Auf dem Sandal standen zweihundert und auf dem Noqer einhundert Nuehr. Sie sahen auf der Dahabiëh nur halb so viel Soldaten und waren überzeugt, daß sie mit diesen bald fertig sein würden. Ihre Gewehre knallten und eine Wolke von Pfeilen und Wurflanzen flogen von ihnen herüber. Aber die Soldaten hatten für Deckung gesorgt. Sie bückten sich hinter die Deckschanze, hinter die Masten, hinter Kisten, Körbe und andre Gegenstände, welche zu diesem Zwecke vorher auf das Deck geschafft worden waren. Es wurden ihrer nur einige leicht verwundet.

Schwarz hatte den Kopf und die Arme unter die Decken gesteckt, welche auf der Kanone lagen, um sie zu maskieren. Er zog die oberste derselben ein wenig zur Seite, so daß er zielen konnte. Er richtete den Lauf. Dabei sah er, daß Abu el Mot, die doppelläufige Flinte, von der nur ein Lauf abgeschossen war, in der Hand, nach ihm suchte. Die zweite Kugel sollte ihn besser treffen als die erste.

Da ertönte als Antwort auf den Angriff Abu el Mots und der Nuehr das Kommando des Hauptmannes. Seine Leute richteten sich auf und schossen. Der Erfolg war bedeutend, wie man sehen und auch hören konnte. Viele der Feinde stürzten nieder; alle aber schrieen auf vor Wut und Kampfbegier.

Jetzt richtete auch Schwarz sich wieder auf. Sobald Abu el Mot ihn erblickte, legte er das Gewehr an, zielte, drückte ab und rief zugleich:

»Hier hast du den Tod! Diesesmal sicher!«

Aber Schwarz' scharfem und geübtem Auge war die kleine Bewegung des drückenden Fingers nicht entgangen. Er machte eine schnelle Drehung zur Seite, wurde abermals nicht getroffen, riß dann die Decken weg und rief antwortend:

»Desto sicherer treffe ich, aber nicht dich, denn dich muß ich lebendig haben!«

Er ließ den Mechanismus spielen, und die Folgen waren derart, daß Abu el Mot vor Schreck kein Glied zu rühren vermochte. Die Toten und Verwundeten brachen zusammen; alles, was eine Stimme hatte, heulte, schrie und brüllte. Die Projektile hatten nicht nur das Deck des Sandals, sondern auch dasjenige des Noqer bestrichen. Dazu kam, daß nun die Kanoniere auch die Drehbasse ertönen ließen und auf den beiden hinten liegenden Noqers aus Madunga die Schüsse krachten.

Jetzt erkannte Abu el Mot, daß sich auf diesen beiden Fahrzeugen keine Gefangenen befanden. Und wenn er diese Ansicht noch hätte festhalten wollen, so wäre ihm das unmöglich gewesen, denn es ertönte von dahinten eine laute, schnarrende Stimme, welche er sehr genau kannte:

»Das war gut getroffen; das war herrlich! So ist es recht. Ihr Männer, ihr Helden, ihr Tapfern! Ladet schnell wieder, schnell, und gebt es ihm! Möge Allah diesen Abu el Mot verdammen. Schießt, schießt, ihr Feigen, ihr Faulen, ihr Halunken!«

»El Schachr, 'der Schnarcher'!« rief Abu el Mot seinen Homr zu, welche sich um ihn versammelt hatten. »Hasab Murat, der Sohn einer räudigen Hündin, hat sich mit dem Fremden und den Soldaten verbunden. Schießt, schießt! Zielt auf den Offizier und diesen Christenhund!«

Aber sie trafen die beiden nicht, denn der Hauptmann stand hinter dem Maste sicher, und Schwarz hatte sich wieder gebückt, um die Kanone zu laden. Auch die Kanoniere hinter der Drehbasse, welche Kugel um Kugel abgaben, hatten sich durch das vorgeschobene Häuschen gedeckt, welches mit starkem Eisenblech gefüttert war und wie eine Panzerplatte die Kugeln auffing.

Die zweite Salve der Maximkanone wirkte noch vernichtender als die erste. Die Nuehr, welche erst so kampfesmutig gewesen waren, warfen ihre Waffen weg und verbargen sich im Innern der Fahrzeuge. Abu el Mot sah ein, daß er sich unmöglich halten könne. Er durfte nicht einmal mehr schießen. Er mußte den kleinen Rest seiner Munition nicht zu seiner Verteidigung, welche ja erfolglos war, sondern zu seiner Rettung verwenden. Er rief seinen Nuehrs zu:

»Schnell in die Boote und an das Ufer! Dorthin ist der Weg noch frei!«

Abu el Mot's Befehl sollte augenblicklich Folge geleistet werden. Aber kaum erschienen die dunkeln Gestalten der Nuehr an den Rändern der Fahrzeuge, um hinabzusteigen, so knallten von dem Ufer her, welches Abu el Mot für unbesetzt gehalten hatte, die Schüsse der hundert Soldaten Hasab Murats.

Diese waren bisher hinter den Büschen versteckt gewesen. Jetzt kamen sie hervor, um sich zu zeigen. Hasab Murat schwang seine Flinte und rief:

»Komm herüber, Abu el Mot, komm doch her! Wir werden dich festlich empfangen, denn wir lieben dich. Kennst du mich, du stinkende Hyäne? Komm nur, komm, damit ich dir das Fell über den Kopf ziehe!«

Abu el Mot sah diesen Ausweg abgesperrt. Links hatte er die Dahabiëh, rechts das besetzte Ufer, hinter sich die Noqer und vor sich das undurchdringliche Schilf – undurchdringlich für seinen Sandal, aber nicht für einen Kahn. Dieser letztere Umstand bot ihm den einzigen Rettungsweg.

»Ihr seht, daß wir umzingelt sind und eine Übermacht gegen uns haben, der wir unterliegen müssen,« sagte er zu den fünf Homr, welche ebenso wie er noch unverletzt waren, weil sie bei ihm gestanden hatten, wohin niemand die Kugel gerichtet hatte, da man ihn lebend haben wollte. »Kommt mit mir in die Kajüte!«

Das Gefecht war keineswegs zu Ende. Zwar schwiegen die beiden Kanonen, weil sie keinen Erfolg mehr haben konnten, da die Nuehr sich versteckt hatten; aber diese sandten ihre Pfeile noch immer aus dem Verborgenen hervor, und wenn einer von ihnen einmal seinen Kopf oder einen sonstigen Körperteil sehen ließ, so flogen gleich von allen Seiten die Kugeln der Asaker nach der betreffenden Stelle.

Vor allen Dingen kam es darauf an, die Nuehrs nicht in die Boote zu lassen, eine Aufgabe, welche gar keine Schwierigkeit bot. Sie mußten die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage einsehen und sich baldigst mit den beiden Schiffen und Abu el Mot ergeben.

Dieser wußte nur zu gut, was seiner wartete. Er mußte fliehen, und zwar so schnell wie möglich, denn er sah, daß ihm nur noch Minuten dazu vergönnt seien.

Die Kajüte, das heißt der verdeckte Raum im Hinterteile des Schiffes hatte, als er das letztere mietete, der Reïs nicht hergeben wollen; darum war ganz vorn am Bug für Abu el Mot ein Bretterverschlag errichtet worden, den er während der Fahrt mit den Homr geteilt hatte. Nach diesem führte er sie jetzt.

Als sie dort eingetreten waren, riegelte er die Thür hinter sich zu und sagte:

»Wir müssen fort und dürfen den Nuehr nichts davon wissen lassen, sonst drängen sie sich herbei, leiten die Aufmerksamkeit der Feinde auf uns und machen uns das Entkommen zur Unmöglichkeit.«

»Ja, wir müssen schnell fort,« antwortete einer der Homr. »Aber wie? Ich sehe keinen Weg zur Flucht.«

»Aber ich kenne einen, den einzigen, den es gibt. Habt ihr vergessen, daß eins unsrer Boote hier am Vorderteile hängt? Der Feind kann es nicht sehen, weil auf dieser Seite unser Noqer liegt und es sich so seinem Blicke entzieht.«

»Ich weiß, daß es sich hier befindet; aber wir können doch nicht hinein. Sobald wir über Bord wollen, schießt man uns weg.«

»Wir gehen eben nicht über Bord. Haben wir nicht einen Kadduhm, ein Balta und auch eine Firra'a hier? Die Seiten des Sandal bestehen über dem Wasser aus dünnem Holze und sind leicht zu durchbrechen. Kein Mensch wird uns in das Boot steigen sehen.«

»Aber dann, wenn wir davonrudern, sehen und fangen sie uns!«

»Nein. Du hast ja gesehen, daß der Schnabel des Sandal in das Schilf ragt, gerade da, wo der schmale, offene Kanal durch dasselbe führt. Dorthin fliehen wir. Haltet eure Sachen bereit; denn es muß sehr schnell gehen! Und nun greift zu den Beilen!«

Er selbst nahm die Axt und schlug gegen das dünne Holz, daß es schon bei dem zweiten Hiebe nachgab. Zwei Homr halfen mit den Beilen, und in Zeit von nicht viel mehr als einer Minute war eine Öffnung entstanden, groß genug, einen Mann hindurch zulassen. Sie lag nahe oberhalb der Wasserlinie.

Abu el Mot bog sich hinaus, ergriff den Strick, an welchem das Boot hing, und zog es heran. Er stieg hinaus; ein andrer folgte ihm. Die übrigen vier reichten erst ihre Sachen hinaus, welche sie nicht zurücklassen mochten, und kamen dann nach.

Das Boot war ein sechsruderiges. Es wurde losgebunden; die Homr ergriffen die Ruder und schoben sich langsam nach vorn, zwischen der Schiffswand und dem Schilf hindurch, bis sie sich im freien Wasser befanden. Abu el Mot hatte sich an das Steuer gesetzt, um das Boot zu lenken.

»Bis jetzt ging alles gut,« sagte er. »Aber nun kommt die Gefahr. Sobald wir hier vom Sandal abstoßen und durch den offenen Kanal fahren, wird man uns von der Dahabiëh aus sehen und auf uns schießen. Legt euch also so kräftig wie möglich an die Riemen, damit wir schnell aus dem Bereiche ihrer Kugeln kommen. Jetzt vorwärts! Allah beschütze uns und verderbe unsre Feinde!«

Die Homr senkten die Ruder in das Wasser, zogen an, und das Boot flog vom Buge des Sandal ab in den Kanal hinein.

Infolge der Schüsse, welche noch von allen Seiten fielen, hatten die Nuehr, welche sich im Sandal befanden, das Geräusch der Axt- und Beilhiebe nicht gehört oder nicht beachtet. Sie ahnten nicht, daß sie von ihrem Anführer treulos verlassen werden sollten. Sie wurden darauf, daß er sie ihrem Schicksale überließ, erst durch die Stimme Schwarzens aufmerksam gemacht.

Dieser war hinauf zur Drehbasse gestiegen, um durch einige Vollkugeln die feindlichen Schiffe leck zu schießen und dadurch die Bemannung zur Übergabe zu zwingen. Sein Blick fiel ganz zufälligerweise nach einer andern Seite, als wohin er den Lauf zu richten hatte, und da sah er das Boot, welches soeben hinter der Spitze des Sandals hervor- und in den zwischen dem Schilfe liegenden engen Wasserweg hineinschoß. Sofort die Situation erkennend, beeilte er sich, zu laden. Und ebenso schnell kam ihm der Gedanke, daß er, falls seine Kugel nicht treffe, das Boot mit der zweiten kaum mehr erreichen werde. Darum rief er mit lautester Stimme zum Ufer hinüber:

»Hasab Murat, hallo! Dort entflieht Abu el Mot mit einem Boote. Spring mit deinen Leuten aufwärts, und gib ihm und den Homr die Kugeln. Schone ihn ja nicht mehr!«

Der Genannte hatte die Worte gehört und verstanden. Man sah ihn mit allen seinen Leuten fortrennen.

Aber das war für Schwarz nicht genug. Er rief dem »Sohne der Treue« zu:

»Abd es Sirr, schnell mit deinen Leuten in euer Boot! Hier am Sandal vorüber, den Flüchtigen nach! Stephan Uszkar, nimm fünf gute Schützen und steige mit ins Boot. Holt ihr Abu el Mot ein, so bringt ihn lebendig oder tot. Müßt ihr ihn aber entkommen lassen, so treibt ihn wenigstens an das rechte Ufer hinüber, und sucht sein Boot zu erwischen. Schnell vorwärts, schnell!«

Das Boot der Niam-niam hing seitschiffs an der Dahabiëh. Die Schwarzen sprangen hinein, der »Sohn des Geheimnisses« voran. Der Slowak folgte schnell mit der angegebenen Zahl von Soldaten, die er aufgerufen hatte.

Inzwischen war die Drehbasse geladen. Schwarz richtete sie in gerader Linie nach dem fliehenden Boote, schätzte mit sicherm Blicke die Geschwindigkeit desselben ab, zielte ein wenig darüber hinaus und zog ab. Der Schuß krachte. Den Blick auf das Boot gerichtet, erwartete er die Wirkung. Er hatte vortrefflich gezielt; aber er kannte das Geschütz und die Munition nicht genau, und das Zielobjekt war zu klein. Die Kugel schlug hart neben dem Boote, kaum sechs Fuß von demselben entfernt, in das Wasser, welches man hoch aufspritzen sah.

Zugleich war zu sehen, daß die Homr erschraken und ihre Anstrengung verdoppelten. Schwarz lud schnell wieder, zielte und schoß. Die Kugel schlug hinter den Fliehenden ein, rikoschettierte nahe an ihnen vorüber und sank nach dem dritten Sprunge unter. Der Deutsche versuchte noch einen dritten Schuß, erreichte aber das Boot nicht mehr.

Unterdessen hatten die Niam-niam ihr Boot an dem Buge des Sandal vorübergeschoben. Es war so schnell bemannt und in Fahrt gesetzt worden, daß es schon bei dem zweiten Schusse Schwarzens den Kanal erreicht hatte und die Jagd begann. Die Niam-niam waren bessere Ruderer als die Araber. Wie unter dem Drucke ihrer Riemen das Boot davonflog, war vorauszusehen, daß sie Abu el Mot einholen würden, falls er nicht rechtzeitig sich nach dem Ufer wendete.

Der alte Sklavenräuber war, als die Kugel neben dem Boote einschlug, in keine geringe Angst geraten.

»Rudert, rudert!« schrie er auf. »Der Hund schießt mit der Kanone auf uns. Er zielt wie ein Teufel. Macht, macht, sonst sind wir verloren! Wenn er uns trifft, so bekommt das Boot ein Loch, und die Krokodile fressen uns.«

Als die nächste Kugel an ihnen vorüberflog und das Wasser zweimal aufspritzen machte, wiederholte er diesen Ruf, aber als die dritte das Boot nicht erreichte, jubelte er auf:

»Hamdulillah! Wir sind gerettet; er kann uns nicht mehr erreichen.«

Bald hatten sie das Schilffeld durchfahren, und der Strom lag frei und offen vor ihnen.

»Rechts hinüber!« gebot er den Homr. »Drückt die Ruder links tiefer ein! Wir landen dort und machen, daß wir schnell zu Abd el Mot kommen. Mit seinen fünfhundert Mann sind wir diesem fremden Hunde überlegen.«

Aber kaum hatte er dem Boote die angegebene Richtung erteilt, so tauchte drüben Hasab Murat mit seinen Leuten auf. Dieser Mann hätte sich verbergen und Abu el Mot herankommen und aussteigen lassen sollen, um ihn dann lebendig zu ergreifen, was ihm bei der großen Anzahl Asaker, die er bei sich hatte, unbedingt gelingen mußte. Aber er war zu eifrig, ließ sich sehen und schoß auf das Boot.

»Allah!« rief der Alte. »Da hat der Fremde diese Hunde auf uns gehetzt. Wir können nicht landen. Aber bald wird der Wald so dicht, daß sie uns nicht folgen können. Arbeitet, daß wir einen Vorsprung bekommen! Dann gehen wir ans Ufer und sie mögen hinter uns hersehen.«

Er hielt wieder auf die Mitte des Stromes zu, wo ihn die Kugeln der Asaker nicht erreichen konnten. Dadurch erhielten die rückwärts sitzenden Ruderer den Blick auf den Kanal, den sie zurückgelegt hatten, und sahen das Boot, welches ihnen nachgeschickt worden war.

»Ein Boot, ein großes Boot mit vielen Leuten,« rief derjenige Homr, der es zuerst gesehen hatte. »Man verfolgt uns auch hier, nicht nur am Ufer.«

Abu el Mot drehte sich um und beobachtete das Fahrzeug der Niam-niam eine kurze Zeit; dann sagte er:

»Die Hölle komme über sie! Sie rudern schneller als wir und müssen uns einholen, wenn wir in dieser Richtung bleiben!«

»So werden wir kämpfen!«

»Dummkopf! Was nützt uns das? Es sind ihrer viermal so viele als wir. Nein, gekämpft wird nicht. Es gilt jetzt, das Leben zu retten. Wir müssen nach links hinüber. Wir müssen uns anstrengen, das rechte Ufer zu erreichen. Gewinnen wir dasselbe vor ihnen, so sind wir sie los.«

»Aber das Boot auch!«

»Das werden sie freilich nicht für uns am Ufer lassen.«

»Aber wie kommen wir dann wieder über den Fluß? Wir müssen doch ans linke Ufer zurück, wenn wir zu Abd el Mot wollen!«

»Wir bauen uns ein Floß. Rudert nur, rudert, und wenn euch das Blut aus den Fingern spritzt! Erreichen sie uns, so sind wir verloren; entkommen wir, dann aber wehe diesen Hunden! Sie sollen mir den heutigen Tag mit tausend Qualen und Schmerzen bezahlen!«

Jetzt sah man das Boot der Niam-niam aus dem Kanale hervorschießen. Die Angst gab den Homr dreifache Kraft. Ihr Fahrzeug flog nur so über das Wasser, welches zum Glück für sie hier eine nicht allzu große Breite hatte. Sie näherten sich schnell dem rechten Ufer; sie erreichten es, ergriffen ihre Sachen und sprangen an das Land, ohne sich erst Zeit genommen zu haben, das Boot anzubinden. Es trieb wieder in den Strom hinaus.

Der Ungar hatte, seinen Elefantenmörder in der Hand, in der Mitte des Bootes gestanden und die Ruderer fleißig angefeuert. Jetzt sagte er enttäuscht:

»Sie entgehen uns! Da seht, sie springen ans Land! Aber eine Kugel gebe ich ihnen noch!«

»Laß das!« meinte der »Sohn des Geheimnisses«. »Du kannst nicht ruhig zielen.«

»Ich ziele gut. Ich erschieß den Kerl!«

Er nahm das schwere Gewehr auf, zielte auf Abu el Mot, welcher eben hinter einen Strauch verschwinden wollte. Die Ruderer, welche mit dem Rücken nach dem Ufer saßen, blickten sich nach demselben um; sie wollten die Wirkung des Schusses sehen. Dadurch verlor das Boot die Glattheit der Fahrt, es wankte, der Slowak drückte ab, erhielt von dem Gewehre einen Rückschlag, welcher einer tüchtigen Ohrfeige glich, kam ins Taumeln und stürzte über Bord.

Einer der mitgenommenen Soldaten war so glücklich, den »Elefantenmörder« zu erwischen, sonst wäre das Gewehr ins Wasser geschleudert worden. Ein andrer erfaßte ebenso glücklich den Schoß des roten Frackes und hielt ihn fest. Man zog an demselben den Kleinen empor, ergriff ihn bei den Armen und hob ihn herein. Aber naß geworden war er durch und durch.

»Ich sagte es dir,« meinte der »Sohn des Geheimnisses« gleichmütig, »daß du ihn nicht treffen würdest.«

»Ich hätte ihn getroffen, wenn ihr nicht geschaukelt hättet!« antwortete der Ungar, indem er das Wasser, welches ihm in Mund und Nase gekommen war, von sich sprudelte. »Wie leicht wäre ich ertrunken oder von den Krokodilen gefressen worden! Was thun wir jetzt? Verfolgen wir ihn am Lande?«

»Nein, denn wir würden ihn doch nicht bekommen. Wir fischen das Boot auf und kehren zurück.«

»So ist er uns für immer verloren!«

»Das glaube ich nicht. Dieser Mann ist voller Wut und Rache. Er wird zu seinen Leuten eilen, welche nach Ombula sind, und sie holen, um uns zu bestrafen. Da kommt das Boot getrieben. Nehmt es auf!«

Die Nuehr waren voller Zorn über die Flucht ihres Anführers, der sie in größter Not verlassen hatte. Wäre er geblieben, so wäre er es gewesen, über den der Zorn der Sieger sich entladen hätte; nun aber waren sie demselben in vollstem Maße preisgegeben. Sie hatten, seit er entflohen war, keinen einzigen Schuß mehr abgegeben, und ihr Häuptling war der Ansicht, daß es geraten sei, sich zu ergeben und die Sieger nicht durch eine Fortsetzung des Kampfes zu erbittern. Dem Beispiele Abu el Mots zu folgen und in derselben Weise das Weite zu suchen, das war ihnen unmöglich. Es hing keines der Boote mehr so bequem für diesen Zweck, und sodann war mit Sicherheit anzunehmen, daß die Feinde nun ihr Augenmerk sehr scharf auf den Kanal richten würden.

Diese Vermutung bestätigte sich. Schwarz bemannte ein Boot mit Soldaten und schickte dasselbe um das Vorderteil des Sandal herum, wo es dann im Kanale Posto fassen mußte. An eine Flucht nach dieser Seite konnte nun nicht mehr gedacht werden.

Der Kampf ruhte jetzt vollständig. Die Schüsse waren verstummt, und Freund und Feind schienen, bevor etwas Ferneres zu unternehmen sei, die Rückkehr des zur Verfolgung ausgesandten Bootes erwarten zu wollen. Die Nuehr versuchten, ob sie sich ohne Gefahr zeigen dürften. Hie und da erschien ein Arm, ein Kopf über dem Rande der beiden Fahrzeuge. Da darauf kein Schuß erfolgte, so folgten andre Köpfe nach, und endlich ließen sie sich in voller Gestalt sehen.

Schwarz hatte dem Hauptmann den Befehl gegeben, das Schießen einstweilen einzustellen und erst dann wieder mit demselben zu beginnen, wenn es den Nuehr einfallen sollte, die Feindseligkeiten zu erneuern. Er saß jetzt noch oben bei der Drehbasse. Pfotenhauer war zu ihm heraufgekommen und unterhielt sich mit ihm über den Verlauf des Gefechtes, welcher durch die Wirkung der Maximkanone so außerordentlich abgekürzt worden war.

»Glauben's, daß die Schwarzen wieder anfangen werden?« fragte er.

»Nein, ich glaube es nicht,« antwortete Schwarz. »Es wäre wahnsinnig von ihnen, es zu thun. Sie müssen doch eingesehen haben, daß wir ihnen nicht nur in Beziehung auf die Waffen, sondern auch der Zahl nach überlegen sind. Und da Abu el Mot sie verlassen hat, sind sie überdies führerlos geworden.«

»Sie haben ihren Häuptling!«

»Pah! Dieser Mann wird es wohl nicht wagen, sich mit uns zu messen! Es sollte ihm auch schlecht bekommen. Unsre Asaker verstehen es, mit ihren Gewehren umzugehen. Bei dieser Gelegenheit muß ich Ihnen sagen, daß ich mich über Sie gefreut habe.«

»Warum?«

»Daß Sie so wacker geschossen haben. Sie sind aus dem Feuern gar nicht herausgekommen!«

»Ja, g'schossen hab' ich brav. Aber wissen's auch, wen und wohin?«

»Nein.«

»So will ich's Ihnen sagen. Ich hab' halt immer nur nach der Frisur g'zielt, a bißchen höher als der Kopf. Ich hab' g'meint, daß man keinen Menschen ganz derschießen soll, wann man mit der Frisur auch einen guten Erfolg haben kann.« »Und wie!« lachte der Graue. »Sie hätten's nur sehen sollen! Aber Sie haben so mit dera Kanone zu thun g'habt, daß Sie das gar nit beobachten konnten. Aber haben's denn die hohen und großen Schöpfe der Nuehr gar noch nit g'sehen? Wissen's nit, woraus sie g'fertigt werden?«

»Nein. Ich hatte keine Zeit, in der Gegend der Nuehr so eingehende Studien zu machen. Ich bin schnell hindurchgefahren.«

»Nun. sie lassen das Haar lang wachsen, streichen es in die Höh' und schmieren einen Teig aus Asch' und Kuh-Urin hinein, was gegen g'wisse Tierchen helfen soll, von denen die Negerköpfe stets sehr zahlreich bevölkert sind. Dadurch wird aus dera Frisur eine hohe, kompakte und harte Masse, welche so fest auf dem Schädel sitzt, daß sie zu demselben zu g'hören scheint. Wann nun eine Kugel hindurchg'schossen wird, so gibt das dem Nuehr einen Schlag, der ihn zu Boden wirft. Er kann da gar wohl meinen, daß ihm die Kugel durch den Kopf 'gangen ist. Wenigstens ist keiner von allen, die ich mit meinen Kugeln niederpelzt hab', wieder aufg'standen. Vielleicht ist ihnen die Frisur ebenso teuer wie der Schädel selbst; darum lassen's sich lieber gar nit wieder sehen, um sich diesen schönen Schmuck nit weiter verschimpfieren zu lassen.«

»Das ist freilich lustig. Übrigens stimme ich Ihnen vollständig bei, wenn Sie sagen, daß man einen Menschen nur in der höchsten Not töten soll. Es hat mir leid gethan, die Kanone brauchen zu müssen; aber es galt, Abu el Mot zu zeigen, daß mit uns nicht zu spaßen ist. Hätte ich das nicht gethan, so wäre der Kampf von viel längerer Dauer gewesen und hätte auf unsrer Seite bedeutende Opfer gefordert. Lieber sollen drei Sklavenjäger fallen als einer von unsren Soldaten. Freilich hätte ich ahnen können, daß Abu el Mot eine Gelegenheit zur Flucht finden werde, so hätte ich dem Gefechte sofort dadurch ein Ende gemacht, daß wir ihn und seine fünf Homr gleich beim Beginn niedergeschossen hätten. Die Nuehr wären dadurch so erschreckt worden, daß sie vielleicht sogleich zu dem Entschluß gekommen wären, sich uns zu ergeben.«

»Das kann möglich sein. Sie können sich denken, wie g'spannt ich darauf bin, zu erfahren, ob er entkommen ist oder ob's ihn festgenommen haben.«

»Das letztere bezweifle ich. Wenn sie ihn eingeholt haben, so hat er sich jedenfalls nicht fassen lassen, sondern sich gewehrt. Er ist entkommen oder tot.«

»Haben's das Gesicht g'sehen, was er zog, als er Sie erblickte?«

»Ja.«

»Das war, als ob ihn der Schlag 'troffen hätt'. So etwas hat er doch nit vermuten können, und – – – Ah, was ist das? Schaun's, da kommen sie! Sehen's nur hinauf! Wissen's, was für welche das sind?«

Es kamen zwei große Vögel über den Fluß geflogen. Trotz der schwierigen, ja gefährlichen Lage, in welcher sich die Menschen hier unten, und der Graue mit ihnen, befanden, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit hinauf zu den Vertretern seiner Lieblingstierklasse. Er war aufgesprungen und verfolgte ihren Flug mit scharfem Auge, wobei seine Nase sich auch emporrichtete, als ob sie ganz dasselbe lebhafte Interesse wie ihr Besitzer empfinde.

»Ja, das weiß ich,« antwortete Schwarz lächelnd.

»Nun? Den lateinischen Namen?«

»Balaeniceps rex.«

»Wahrhaftig, Sie wissen's! Und wie wird dieser Vogel hier g'nannt?«

»Abu Merkub, 'Vater des Schuhes'.«

»Warum?«

»Weil der obere Schnabel die Form eines Schuhes hat.«

»Richtig! Da sehen's wieder mal, daß die Leut' hier den Tieren ihre Namen nach gewissen Eigenschaften geben. Sonst fliegt der Abu Merkub nit so hoch. Er muß aufg'scheucht worden sein. Er kam aus dera Gegend, wohin die Boote g'fahren sind, von dorther, wo – – – schaun's, da kommt es, unser Boot! Sehen's es, ganz da draußen im Kanal?«

»Ja. Es schleppt ein zweites hinter sich her. Jetzt werden wir erfahren, welchen Erfolg die Jagd gehabt hat.«

Die beiden Fahrzeuge wurden auch von andern bemerkt. Die Leute machten einander durch laute Zurufe auf sie aufmerksam. Auch die Nuehr, soweit sie nicht mit ihren Toten und Verwundeten zu thun hatten, richteten ihr Augenmerk auf sie.

Als sie näher kamen, stellte es sich zur Enttäuschung der Sieger heraus, daß Abu el Mot entkommen war. Die Niamniam und Asaker kehrten vollzählig und unverletzt zurück, und das Boot, in welchem der Sklavenjäger die Flucht ergriffen hatte. war leer. Es hatte also keinen Kampf gegeben.

Die Niam-niam legten bei der Dahabiëh an, und der »Vater der elf Haare« war der erste, welcher an Bord stieg und zu Schwarz kam, um ihm seine Meldung zu machen.

»Wie siehst du aus?« fragte dieser. »Du bist ja ganz naß!«

Der Kleine nahm seinen Turban ab, strich die ganz trübselig aussehenden Federn desselben mit der Hand und antwortete:

»Ich warrr gefallte in Wasser, triefendes.«

»Wie ist das gekommen?«

»Ich hatt geschoßte auf Abu el Mot, miserablem, und da mußt schaukelnte derrr Kahn, unvorsichtiger; da hatt ich machte Wasserplumps, kopfübergen.«

»So ist also Abu el Mot entkommen.«

»Ja; errr ist fahrte an Ufer, von uns unerreichtes, und gelaufte davon in Busch, gesträuchigen.«

»Die Homr mit ihm?«

»Seinte auch entflüchtete, die Homr, fünfige!«

»So konntet ihr das Boot also nicht einholen?«

»Nein, denn es hatt gehabte Vorsprung, übermäßigen; wir es nicht kann einholte trotz Anstrengung, aller und fast übermäßiger. Aber wir hatt auffangte Boot, seiniges, und bringte es herrr in Triumph, siegreichem.«

»An welches Ufer hat er sich denn gerettet? Etwa an das linke?«

»Nein, sondern an rechtiges, von uns hier aus aber linkiges, weil wir habte Stellung aufwärtsige in Fluß.«

»So ist er also fort!« sagte Pfotenhauer. »Er wird sich nit wieder sehen lassen, und Sie können Ihr dem Mudir gegebenes Wort nit einlösen.«

»Ich hoffe, es doch noch zu können,« antwortete Schwarz.

»Das bezweifle ich!«

»Und ich bin überzeugt, daß er mehr als ich dafür sorgen wird, daß wir uns wieder treffen.«

»Das wär' dumm von ihm!«

»Gewiß nicht, nämlich von seinem Standpunkte aus. Wir haben ihm eine Schlappe beigebracht, wie er sie in seinem ganzen Leben gewiß noch nicht erlitten hat. Klug wäre es freilich von ihm, sich nicht nur von uns, sondern auch überhaupt in dieser Gegend niemals wieder sehen zu lassen; aber wie wäre das mit seinem Charakter zu vereinbaren! Es handelt sich bei ihm nur darum, sich nicht nur an mir, sondern auch an Hasab Murat zu rächen, und darauf wird er auf keinen Fall verzichten. Ich bin vielmehr überzeugt, daß er sich damit sehr beeilen wird.«

»Aber wie will er das anfangen?«

»Er holt seine Leute als Hilfe herbei.«

»Die nach Ombula sind? So meinen's also, daß er nach dort gehen wird? Ja, das ist freilich wahrscheinlich. Das sind fünfhundert gut bewaffnete Leut', mit denen er es schon wagen kann, uns anzugreifen. Aber nach dem Maijeh Husan el bahr ist nit so weit wie bis Ombula. Vielleicht geht er erst dorthin?«

»Das glaube ich nicht. Er mit den fünf Homr? Gegen fünfzig Aufrührer? Das ist ein zu großes Wagnis.«

»Aber er muß doch hin, da er nur dort die Munition, welche ihm fehlt, erlangen kann! Er mag vielleicht der Ansicht sein, daß diese Leut', wann er ihnen verzeiht, sich wieder zu ihnen halten.«

»Möglich ist das; aber er wird dennoch nach Ombula gehen und erst von dort aus mit hinreichender Macht den Feldwebel aufsuchen.«

»Wie er's macht, das ist mir gleich, wann wir ihn nur wiederbekommen! Ich rechne aber nit mit solcher Sicherheit darauf wie Sie. Wann er klug ist, begibt er sich nit nochmals in die G'fahr, welcher er jetzt nur mit Not entkommen ist. Er weiß ja auch überhaupt nit, ob es ihm möglich ist, uns nochmals anzutreffen.«

»Was das betrifft, so hat er gehört, daß wir ihn haben wollen. Er muß natürlich annehmen, daß ich nur deshalb hieher gekommen bin, ihn gefangen zu nehmen. Darum ist er überzeugt, daß ich nach ihm suche. Auch von seinem Feinde Hasab Murat muß er der Ansicht sein, daß dieser nicht heimkehren werde, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, ihn zu erwischen.«

»Sollte er das wirklich denken? Sollte er uns für so dumm halten, ins Blaue hinein nach ihm zu forschen, ohne irgend ahnen zu können, wo er zu finden ist? Denn das letztere muß er doch denken.«

»O nein. Er weiß, daß wir nach Ombula gehen werden.«

»Sie meinen, daß er das errät?«

»Ja. Er muß sich doch jedenfalls folgendes denken: Wir sind nach der Seribah gekommen, um ihn zu bestrafen. Wir haben ihn gar nicht und sie eingeäschert gefunden. Selbstverständlich haben wir uns da bei den Dschur erkundigt und erfahren, wohin er will, und sind ihm schleunigst nachgefolgt. Nun er uns entgangen ist, wissen wir doch, wohin er sich wenden wird und wenden muß, und wir werden ihm nachfolgen. Das denkt er gewiß, und danach wird er handeln.«

»Ja, wenn Sie die Sach' so erklären, so wird sie schon richtig sein. Und nun, wie gedenken's dann, wohin wir gehen? Nach dem Maijeh oder nach Ombula?«

»Nach dem Maijeh. Ich habe meine guten Gründe dazu.«

»Welche sind das?«

»Erstens wird er glauben, daß wir ihm nach Ombula folgen, und sein Verhalten nach dieser Voraussetzung einrichten. Indem ich es nicht thue, stelle ich mich in den Vorteil gegen ihn. In Ombula wird es ihm leichter, sich gegen uns zu wehren, als wenn wir ihn an einem andern Orte, den wir selbst auswählen, während des Heimzuges überrumpeln. Und sodann haben wir, wenn wir den Feldwebel mit seinen Leuten vorher festnehmen, den Rücken frei, was nicht der Fall wäre, wenn wir direkt nach Ombula gingen und also zwischen zwei Lager kämen.«

»Aber Sie müssen halt dennoch mit dem Umstand rechnen, daß er den Feldwebel aufsucht. Die Klugheit erfordert das. Er muß ihn, um die Herden und alles andre zu retten, auf irgend eine Weis' vor uns warnen.«

»Das habe ich schon in Betracht gezogen. Ich muß suchen, ihm zuvorzukommen. Darum werde ich einstweilen mit der Dahabiëh voranfahren. Die hundertfünfzig Soldaten, welche sich auf derselben befinden, sind mehr als ausreichend für die Überwältigung des Feldwebels. Jetzt aber gilt es, hier mit den Nuehr zu Ende zu kommen. Ich werde mit dem Häuptling in Verhandlung treten.«

Diesen letzteren sah man auf dem Deck des Sandal sitzen. Seine Leute lagen oder standen um ihn her und unterhielten sich unter lebhaften Gestikulationen. Es war natürlich anzunehmen, daß ihre gegenwärtige mißliche Lage der Gegenstand ihrer Reden sei. Schwarz trat an den Rand der Dahabiëh und rief ihn an. Der Häuptling stand auf und trat an die Brüstung des Sandal.

»Ich habe mit dir zu reden,« sagte Schwarz.

»So sprich!« antwortete der Nuehr.

»Nicht so, nicht aus dieser Entfernung. Komm herüber auf mein Schiff!«

»Du kannst ebenso auf das meinige kommen!«

»Ich glaube, es ist Sitte, daß der tiefer Stehende zu den Höhern, der Besiegte zu dem Sieger kommt.«

»Noch bin ich nicht besiegt!«

»Weil wir euch geschont haben. Wir werden es aber nicht länger thun, wenn du dich weigerst, meiner Aufforderung Folge zu leisten.«

»Wie kannst du von mir verlangen, zu dir zu kommen und mich also in deine Hände zu liefern!«

»Das verlange ich nicht. Ich will nur mit dir sprechen. Ich möchte euch nicht töten. Wenn du kommst, werde ich dir nichts thun und dich auch nicht zurückhalten.«

»Sagst du die Wahrheit?«

»Ja.«

»Ich kann zu meinen Leuten zurück, selbst dann, wenn ich nicht mit dir einig werde?«

»Gewiß; ich verspreche es dir.«

»Schwöre es mir beim Propheten!«

»Nun wohl! Mohammed ist mein Zeuge, daß du gehen kannst, sobald es dir beliebt.«

»So komme ich.«

»Auch nit übel!« lachte Pfotenhauer. »Schwört dieser Naturforscher Schwarz auf den alten Mohammed! Man derlebt doch sonderbare Sachen. wann man die Nas' in fremde Länder steckt! Was werden's ihm denn für Bedingungen machen ?«

»Sich zu ergeben, das verlange ich, und dafür soll er straflos ausgehen.«

»Ist das nit zu gelind?«

»Nein. Diese Nuehrs haben nicht den richtigen Begriff von der Abscheulichkeit des Sklavenhandels. Und selbst wenn sie sich derselben bewußt wären, wie soll ich sie strafen? Etwa indem ich sie alle erschieße?«

»Nein.«

»Oder sie in ein Zuchthaus stecke?«

»Da gibts keins.«

»Habe überhaupt ich über sie zu richten?«

»Wohl schwerlich! Es wird sogar zweifelhaft sein, ob der Mudir das Recht hat, sie zu bestrafen.«

»Ganz richtig! Es fällt mir gar nicht ein, etwas zu thun, was nicht meines Amtes ist. Und außerdem gebietet mir die Klugheit, Milde walten zu lassen. Was wollen wir mit diesen vielen Menschen thun, wenn sie in unsre Hände fallen? Sie vielleicht mit uns umherschleppen, daß sie uns in allem hindern und vielleicht gar bei Gelegenheit gegen uns losbrechen? Nein, ich lasse sie laufen.«

Jetzt kam der Häuptling in einem Boote herbei. Schwarz befahl Kaffee und Pfeifen und begab sich mit Pfotenhauer in die Kajüte, wo er den Häuptling empfing.

Er war sehr gut gebaut, die schmale, enge Brust abgerechnet, welche alle Völker haben, welche in Flußniederungen und sumpfigen fiebererzeugenden Gegenden wohnen. Quer über die Stirn trug er drei parallele Narben. Die Eltern bringen den Knaben schon in der Jugend diese Schnitte bei. Die Narben gelten als Schönheit. Ferner hatte er in der Unterkinnlade keine Vorderzähne. Die Nuehr haben die Sitte, diese den Kindern auszubrechen, weshalb, das ist schwer zu sagen. Dadurch bekommt ihre Sprache etwas Eigentümliches, was sehr schwierig nachzuahmen ist.

Auf Schwarzens Einladung setzte er sich nieder, trank seine Tasse Kaffee aus und ließ es gern geschehen, daß der schwarze Diener ihm die Pfeife in Brand steckte. Als er zwei oder drei Züge gethan hatte, ließ er ein wohlgefälliges, ja entzücktes Grunzen hören. Er hatte bisher stets nur mit andern Blättern vermischtes schlechtes Tabakspulver rauchen können. Der Wohlgeruch und Wohlgeschmack dieser Pfeife versetzte ihn in Ekstase. Schwarz begann:

»Du sagtest, daß wir euch noch nicht besiegt hätten. Hältst du es vielleicht für möglich, uns noch zu entkommen?«

»Nein,« gestand der Schwarze in naiver Aufrichtigkeit.

»Was gedenkst du da zu thun?«

»Zu kämpfen bis auf den letzten Mann.«

»Was hättest du davon?«

»Wir würden viele von euch töten.«

»Ohne einen Vorteil davon zu haben!«

»Müssen wir nicht? Sind wir nicht dazu gezwungen?«

»Nein.«

Der Häuptling machte ein außerordentlich erstauntes Gesicht. Fast wäre ihm dabei die Pfeife ausgegangen. Er bemerkte das, that schnell einige Züge und fragte dann:

»Du willst wirklich nicht weiter mit uns kämpfen?«

»Nein.«

»Aber wir werden uns doch nicht ohne Gegenwehr töten lassen sollen!«

»Das mute ich euch auch gar nicht zu. Aber was meinst du denn, was geschehen soll? Der Sieger tötet entweder die Besiegten, oder er macht sie zu Sklaven. Und ich will weder von dem einen noch von dem andern etwas wissen. Ich will euch nicht töten und brauche auch keine Sklaven. Ich bin ein Christ.«

»Ein Christ?« Er suchte in seinem Gedächtnisse nach, um darüber, was man unter einem Christen zu verstehen habe, klar zu werden. Endlich dämmerte eine Erinnerung in ihm auf, und er fuhr fort:

»Sind das die Leute, welche Schweinefleisch essen dürfen?«

»Ja. Doch ist das nicht etwa das Hauptzeichen, welches uns von den Bekennern des Propheten unterscheidet. Unsere Religion gebietet uns, zu lieben anstatt zu hassen und selbst unsern Feinden Gutes zu erweisen.«

Der Nuehr sah ein, daß dieses Gebot sehr vorteilhaft für ihn sei, und fragte:

»Und ihr gehorcht dieser Religion auch wirklich?«

»Ja.«

»Du weißt doch wohl, daß wir deine Feinde sind?«

»Allerdings.«

»So mußt du uns Gutes erweisen!«

»Das beabsichtige ich auch, zu thun,« antwortete Schwarz, innerlich belustigt über die schlaue Logik dieses Mannes.

»Und worin soll das bestehen?«

»Das wird ganz auf dich ankommen. Sage mir aufrichtig, wozu Abu el Mot euch angeworben hat!«

»Um Sklaven zu machen.«

»Wo?«

»Bei den Niam-niam.«

»Was bot er euch dafür?«

»Speise und Trank, Kleider, wie sie bei unserm Volk getragen werden, jedem eine Flinte und sodann für jeden Sklaven, den wir machen würden, einen Abu Noktah.«

»Das ist sehr wenig! Ihr seid also bloß zum Sklavenfang angeworben worden. Warum habt ihr da gegen uns gekämpft?«

»Weil Abu el Mot es so wollte, weil wir seine Genossen, seine Verbündeten sind und ihn also verteidigen mußten.«

»Ihr habt erfahren, wie gefährlich es ist, der Genosse eines Sklavenjägers zu sein! Eure Freundschaft für ihn hat euch viele Tote und Verwundete gekostet.«

»Ja, es sind ihrer viele,« antwortete der Häuptling niedergeschlagen. »Deine Medfa hatte großen Hunger; sie hat mehr von uns aufgefressen, als ihr kleiner Mund verschlingen kann.«

»Hast du sie gezählt?«

»Ja. Es sind über dreißig Tote und doppelt so viel Verwundete. Mehrere sind sogar durch die Compirah geschossen! Was soll weiter werden?«

»Sage vorher, wem die Schiffe gehören!«

»Einem Manne in Diakin.«

»Ist er Sklavenhändler?«

»Nein.«

»Oder reich?«

»Auch nicht. Die Schiffe sind sein einziges Eigentum, und er wird sehr arm werden dadurch, daß du sie verbrennst.«

»Wer sagt dir, daß ich sie verbrennen werde?«

»Jeder Sieger würde das thun oder sie für sich behalten.«

»Hat er sie dazu vermietet, daß mit ihnen eine Ghasuah unternommen werden solle?«

»Nein. Sie sollten uns nach der Seribah bringen und dann umkehren. Aber weil der Noqer Abu el Mots verbrannt worden war, mietete er sie weiter.«

»So soll dieser Mann seine Schiffe wieder bekommen. Sage ihm, daß ich sie ihm schenke!«

»Das wolltest du thun? Herr, deine Güte ist ganz ohnegleichen! Aber wie soll ich ihm das sagen?«

»Sobald du nach Diakin kommst.«

»Komme ich denn hin?«

»Ja, du und deine Leute. Ich schenke euch die Freiheit.«

Da ließ der Schwarze seine Pfeife fallen, sprang auf und rief:

»Die Freiheit? Ist das möglich? Herr, du scherzest nur mit mir!«

»Nein; was ich sage, das ist mein vollster Ernst. Ihr sollt leben bleiben.«

»Alle? Auch ich?«

»Alle und auch du mit eingeschlossen; aber ich mache meine Bedingungen dabei!«

»Sage sie; sage sie!« forderte der Schwarze ihn freudig auf. »Wir werden alles thun, was du verlangst, wenn es nur möglich ist«

»Ihr gebt alle eure Waffen ab!«

»Die sollst du erhalten. Wir haben genug andre daheim.«

»Ihr denkt ferner nicht mehr an Abu el Mot; ihr macht keinen Versuch, ihn aufzufinden, sondern ihr fahrt in euern beiden Schiffen so schnell wie möglich heim.«

»Das werden wir gern thun, sehr gern!«

»Ich hoffe es. Ich werde nur mit der Dahabiëh diese Stelle verlassen, und meine Noqer bleiben hier, um dafür zu sorgen, daß diese Bedingung auch genau erfüllt werde. Sie sollen euch folgen. Sobald ihr Miene macht, umzukehren, werden sie euch angreifen und vernichten. Beachte das wohl!«

»Herr, wir werden froh sein, nach Hause fahren zu dürfen, und es fällt uns gar nicht ein, zurückzubleiben. Dieser Abu el Mot hat uns schmählich und heimtückisch verlassen, und wenn ich ihn je einmal wiedersehe, so ist es um ihn geschehen.«

»Gut, wir sind also fertig und – –«

»Nein, wir sind noch nicht fertig,« fiel der Graue ein, natürlich in deutscher Sprache. »Ich habe auch ein Wort zu sagen und stelle noch eine Bedingung.«

Seine Nasenspitze wippte in so lächerlicher Weise auf und nieder, hin und her, daß einer, der ihn kannte, überzeugt sein mußte, seine Bedingung werde eine wenig tragische sein.

»Sage sie!« forderte der Häuptling ihn auf; »ich hoffe, daß es möglich ist, sie zu erfüllen.«

»Nun gut! Ich verlange, daß ihr euch eure Compajir abschneidet und an mich abliefert!«

Die Wirkung dieser Bedingung war keine geringe. Der Schwarze erschrak auf das heftigste. Er trat einen Schritt zurück, warf die Arme in die Luft, rollte die Augen, schrie laut auf und antwortete dann:

»Herr, das darfst du nicht verlangen!«

»O doch! Ich verlange es. Du hast es ja gehört!«

»Aber wir können es nicht erfüllen!«

»Warum nicht? Es sind ja scharfe Sekakin genug da, und außerdem haben wir einige Makassa hier, mit denen wir sie schnell herunterschneiden können.«

»Warum willst du uns solche Schmerzen erleiden lassen?«

»Schmerzen? Nehmt euch nur in acht, dann wird es nicht wehe thun!«

»Du irrst. Andern kann man die Compirah leicht nehmen, weil sie das Haar lose tragen. Unsre Compajir aber sind hart und fest gebaut wie Stein. Man weiß nicht, wo der Kopf aufhört und wo die Compirah beginnt.«

»Wenn ihr es nicht wißt, so weiß ich es, denn ich bin Tabib und kenne den Bau des Kopfes ganz genau. Und wenn ich je einem von euch ein Stück vom Schädel mit wegschneide, so heile ich es ihm sofort wieder an.«

»Nein, nein, Herr! Ich glaube gern, daß du ein großer und berühmter Tabib bist, denn du hast eine Nase, welche fürchterlich groß ist, und wir Abdi wissen recht gut, daß ein Mensch desto klüger und gelehrter gilt, je länger seine Nase ist; aber wenn du uns die Compajir auch wirklich schmerzlos herunter schneiden kannst, so wirst du uns doch nicht die Schande anthun, uns unsres Schmuckes zu berauben und uns zu zwingen, daheim ohne die größte männliche Zierde vor unsere Frauen zu treten.«

»Ich kann nicht anders,« behauptete der Graue. »Strafe muß sein!«

»Wenn du uns strafen willst,« fuhr der Nuehr voller Angst fort, »so will ich dir einen Vorschlag machen. Ein Nuehr stirbt lieber, als daß er der Lieblichkeit seiner Vorzüge entsagt. Das Los mag unter meinen Leuten entscheiden. Die Hälfte von ihnen mögen mit ihren Compajir nach Hause gehen dürfen, und die andern magst du töten und ihnen den Schmuck nehmen. Dazu magst du noch extra die Compajir unsrer Toten bekommen.«

Daß er sich in größter Sorge befand, bewies dieser Vorschlag. So ernst er die Sache nahm, so große Mühe hatten die Deutschen, das Lachen zu verbeißen. Pfotenhauer fragte:

»Also deine Leute sollen losen? Du doch auch mit?«

»Ich? Nein, denn ich bin der Anführer und als solcher über das Los erhaben. Bedenke doch, daß ich auch sterben würde, wenn es mich träfe!«

»Ach so! Du willst aber nicht sterben? Nun, das kann ich keinem Menschen übel nehmen und auch dir nicht. Aber mein Gerechtigkeitsgefühl empört sich dagegen, daß einer auf alle Fälle leben bleiben soll, während die andern ihr Leben von dem Zufalle abhängig machen müssen. Darum will ich nicht bloß gegen dich milde sein, sondern auch die andern mit meiner Barmherzigkeit erleuchten. Ich verzichte hiermit auf die Compajir, verlange aber, daß du mir an deren Stelle deine Boneta el badschak überlieferst.«

»Meine Bornata el lulu?« rief der Schwarze aus, indem er sich mit beiden Händen nach der bereits beschriebenen Kopfbedeckung fuhr und seine Züge sich vor Entsetzen verzerrten. »Herr, das kannst du nicht wollen; das kannst du nicht verlangen! Diese Bornata ist das Zeichen meiner Häuptlingswürde.«

»Das weiß ich wohl, geht mich aber nichts an. Bedenke, daß du damit das Leben von über hundert Nuehrs, auf welche das Los fallen würde, retten kannst!«

»Mögen sie sterben; ich habe nichts dagegen. Kein Schah und kein Malik gibt seine Tadscha her, ohne um sie gekämpft zu haben. Was soll dir die meinige nützen, da du doch nicht König der Nuehr wirst sein wollen!«

»Diese Absicht habe ich freilich nicht. Aber du bist besiegt und hast ein Zeichen der Unterwerfung an uns abzuliefern. Etwas andres wäre es, wenn du dich entschließen könntest, dir meine Gnade dadurch zu erwerben, daß du bei uns bleibst und unser Freund und Verbündeter wirst. Dann brauchtest du uns weder deine Tadscha noch eure Compajir abzuliefern und würdest vielmehr manches von uns erhalten, was dir nützlich ist und dich erfreuen kann.«

Als der Neger diese Worte hörte, holte er tief und erleichtert Atem und antwortete:

»Herr, du machst meine Seele wieder leicht. Ich habe große Angst ausgestanden. Sage mir, in welcher Weise ich euer Verbündeter sein soll!«

»Du sollst mit uns gegen Abu el Mot ziehen, der euch so hinterlistig eurem Schicksal überlassen hat.«

»Herr, das thue ich gern, sehr gern!« lautete die eilige und energische Antwort. »Es war seine Pflicht, uns zu sagen, daß er fliehen wolle. Er hat uns geopfert, um nur selbst entkommen zu können, und dadurch unsre Rache verdient. Du magst noch so großmütig sein und uns nach Hause ziehen lassen, ohne uns unsre Schiffe, ja selbst unsre Waffen und Compajir zu nehmen, so ist uns das doch nicht so lieb und willkommen, als wenn du uns erlaubst, bei euch zu bleiben und diesem Chajin zu zeigen, daß er uns nicht unbestraft in der Gefahr verlassen darf. Er hat, indem er dieses that, den Bund mit uns zerrissen, und ich knüpfe nun einen neuen mit euch, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Gut! Ihr sollt euch bei uns wohler als bei ihm befinden. Ihr habt gesehen, daß wir stärker sind als er, und so gebietet euch schon die Klugheit, es lieber mit uns, als mit ihm zu halten. Wir schenken euch dafür das Leben, die Waffen, die Compajir, kurz alles, was euch gehört, und dir auch deine Bornata el lulu. Dazu sollt ihr einen Teil der Beute haben, welche wir machen werden. Die Herden und Vorräte Abu el Mots werden in unsre Hände fallen, auch seine Soldaten, denen wir die Gewehre nehmen, um sie euch zu geben. Ihr werdet dann besser bewaffnet sein als alle Stämme an und zwischen den Flüssen und sie euch leicht unterwerfen können.«

»Herr, das ist ja weit, weit mehr, als wir von Abu el Mot erhalten hätten!« jubelte der Nuehr. »Du gibst uns Gnade und Leben, anstatt Rache und Tod. Ihr werdet Freunde an uns haben, auf die ihr euch selbst in der größten Gefahr verlassen könnt!«

»Ich will es dir glauben. Außerdem habt ihr noch einen großen Vorteil, welchen ihr bei Abd el Mot nicht gefunden hättet. Nicht ich allein bin Tabib, sondern dieser Effendi, mein Freund, ist ein noch viel größerer und berühmterer als ich. Wir werden uns eurer Verwundeten annehmen, deren größter Teil bei Abu el Mot wohl nicht hätte gerettet werden können. Hast du, um den Bund mit uns abzuschließen, die Zustimmung deiner Leute zu erbeten?«

»Was denkst du von mir!« antwortete der Häuptling stolz. »Ich bin der König meines Stammes, und meine Krieger haben mir zu gehorchen. Aber denke ja nicht, daß sie das jetzt nicht gern thun werden. Sie erwarteten den Tod, und anstatt des Verderbens bringe ich ihnen das Glück. Sie werden meine Nachricht mit Entzücken empfangen.«

»Gut, so seid ihr von jetzt an unsre Freunde und Bundesgenossen. Gieb uns die Hand darauf und kehre dann auf den Sandal zurück. Wir werden hören was deine Leute dazu sagen, und dann hinüberkommen, um die Verwundeten zu verbinden.«

Der Neger gab beiden seine Hand und ging dann fort, um sich nach dem Sandal rudern zu lassen.

»Nun, sind's einverstanden? Hab' ich's gut g'macht?« fragte der Graue Schwarz.

»Ja,« antwortete dieser. »Wir sind zwar auch ohne die Nuehr stark genug, um es mit Abu- und Abd el Mot aufzunehmen, aber Feinde in Freunde zu verwandeln, ist stets vorteilhaft, und wir können doch vielleicht in eine Lage kommen, in welcher dieser Zuwachs an Leuten uns von Nutzen ist. Aber warum haben Sie den armen Teufel vorher in Beziehung auf die Frisuren in solche Angst getrieben?«

»Weil's meine Absicht war, in den Besitz seiner Spitzhaube zu kommen. Ich hätt' sie halt gar zu gern als ethnographische Kuriosität mit heimg'bracht. Da er aber mit Leib und Seel' an derselbigen hängt, so mag er sie b'halten. Nun kommen's! Wir wollen schauen, was seine Leut' für G'sichter machen. Sie scheinen froh zu sein; hören's, wie sie schreien und brüllen?«

Die beiden hatten die Kajüte nicht zugleich mit dem Nuehr verlassen; sie waren in derselben zurückgeblieben. Trotz der zugemachten Thür vernahmen sie jetzt ein Getöse menschlicher Stimmen, als ob die Schreienden gepfählt werden sollten.

»Ja sefa, ja bacht, ja fahra – o Wonne, o Glück, o Freude!« nur diese drei Worte waren es, welche die Nuehr riefen, aber sie brachten mit ihnen ein solches Stimmengewirr fertig, daß man sich hätte die Ohren zuhalten mögen.

Und als die Deutschen aus der Kajüte auf das Deck traten, sahen sie die Schwarzen auf ihren beiden Schiffen springen und tanzen, als ob sie wahnsinnig geworden seien.

»Da hab' ich schönes Unheil ang'richtet!« lachte der Graue. »Jetzund möcht' man Irrenarzt sein, um die Kerls wieder zu Verstand zu bringen.«

Der Häuptling trat an den Rand des Sandals und rief herüber:

»Seht ihr die Freude meiner Krieger? Sie sind voller Wonne und werden euch treu dienen und ihr Leben für euch wagen. Nun kommt auch herüber und nehmt euch der Verwundeten an, welche mit Schmerzen auf euch warten!«

Bevor Schwarz dieser Aufforderung Folge leistete, beordete er die Reïsihn der beiden Noqer zu sich. Hasab Murat erhielt die Weisung, seine Leute wieder einzuschiffen und mußte auch mit nach der Dahabiëh kommen. Hier erfuhren sie, daß die Nuehr von jetzt an als Verbündete zu betrachten und zu behandeln seien, und sie nahmen diese Nachricht mit großer Befriedigung auf.

Da es nun galt, keine Zeit zu verlieren, sondern wieder aufzubrechen, um Abu el Mot zuvorzukommen, so wurden sämtliche Kähne mit Leuten bemannt, welche die durch das Schilffeld führende schmale Bahn verbreitern mußten. Indessen konnten die beiden Deutschen den Verwundeten Hilfe leisten. Als sie in die Kajüte gingen, um die chirurgischen Utensilien zu holen. kamen sie an dem »Sohne des Geheimnisses« vorüber, und Schwarz nahm die Gelegenheit wahr, ihn zu fragen:

»Du kennst den Fluß. Wir müssen nach dem Maijeh Husan el bahr. Weißt du, wo dieser Ort liegt?«

»Ja, Effendi, ich kenne ihn. Ich bin mit Ben Wafa einigemale, wenn wir von der Seribah Abu el Mots kamen, dort gewesen. Er ist berühmt wegen der vielen Nilpferde, welche es dort gibt.«

»Wann denkst du, daß wir hinkommen werden, falls wir guten Wind behalten?«

»Fahren wir auch während der Nacht, was wir ja thun können, da es in dieser Jahreszeit weder Regen noch Stürme gibt und von hier aus der Fluß wieder stets offen ist, so kommen wir morgen abend an.«

»Könnte auch ein Fußgänger bis zu dieser Zeit dort sein?«

»Ja, wenn er sich beeilt. Er kann die gerade Richtung einschlagen, während wir den Krümmungen des Stromes folgen müssen.«

»Das zu hören, ist mir nicht lieb. Es ist möglich, daß Abu el Mot nach dem Maijeh geht.«

»So müssen wir es machen wie in der vergangenen Nacht. Wir spannen die Boote vor. Das wird uns nicht anstrengen, denn wir sind zahlreich genug, um einander oft ablösen zu können. Die Nuehr werden uns dabei sehr nützlich sein, da sie weit bessere Ruderer als die Asaker sind.«

»Komm mit in die Kajüte, um uns die Medizinkästen zu tragen! Du bist geschickt und kannst uns bei dem Verbinden der Verwundeten helfen.«

Diese Worte hörte der Slowak. Er trat sofort herzu und sagte:

»Effendi, auch ich besitzte Geschicklichkeit, bedeutende. Ich hatt verbindete schon Wunden, vielige. Ich hatt Ihnen schon einmal erzählte von Storch, beingebrochtem und von mir verbindetem; ich will auch helfen bei Nuehr, geschießten und blessierteten!«

»Gut, warte!«

Während Schwarz mit Abd es Sirr in die Kajüte ging, blieb der Graue bei dem Slowaken stehen, um diese Gelegenheit zu benutzen, sich mit ihm auszusöhnen. Der Kleine strafte ihn, indem er ihn gar nicht beachtete; er stand neben ihm und that so, als ob er ihn gar nicht sehe und bemerke. Er hatte nicht nur einen, sondern zwei Gründe, über den Grauen zornig zu sein. Erstens war dieser ihm auf dem Felde der Wissenschaft beleidigend begegnet, und zweitens nannte er ihn du. Der »Vater der elf Haare« hatte Schwarz, den er liebte und verehrte, gebeten, ihn doch du zu nennen, da er von Wagner, seinem früheren Herrn, auch geduzt worden sei, und Schwarz war dieser Aufforderung gefolgt. Pfotenhauer hatte dieses Beispiel befolgt, ohne nach der Ansicht des Kleinen ein Recht dazu zu besitzen. Der in Beziehung auf seine Ehre sehr empfindliche »Sohn der Blattern« ließ es gelten, im Arabischen du genannt zu werden, denn da konnte er dieses du zurückgeben; aber sobald man sich der deutschen Sprache bediente, meinte er, die höfliche Form der dritten Person pluralis verlangen zu dürfen, und daß Pfotenhauer dies nicht that, ärgerte ihn gewaltig.

»Also du kannst auch verbinden?« fragte der letztere in freundlichem Tone. »Das freut mich; das wird uns die Arbeit sehr erleichtern.«

»Ich kann verbindete viel besser als mancher andre, sich Gelehrsamkeit einbildende,« antwortete der Kleine in wegwerfendem Tone, den Deutschen gar nicht ansehend. »Ich kann kochte und aufschmierte Kataplasma und Salben, wohlthätige und zerteilende für Karbunkel.«

»Was! Du weißt, was Kataplasma ist?«

Er sagte das in der allerbesten Absicht; aber da kam er dem Kleinen schön an! Dieser antwortete zornig:

»Halten Sie das für Wunder, großartiges? Bei Reichtum von Bildung, meiniger, seinte Kataplasma und Pflaster mir Wurst, leichtigkeitige! Ich hab' lernte kennen Kataplasma, Katalog und sogar Katastrophe!«

»So! Nun, was ist denn ein Katalog?«

»Katalog seinte ein erschütterte Ereignis, trauriges, zum Beispiel Erdbeben, unterirdisches.«

»Und Katastrophe?« erkundigte sich der Graue weiter. Er nahm sich vor, dieses Mal trotz der Verwechselung des Katalogs mit der Katastrophe nicht zu opponieren.

»Katastrophe seinte Buch und Verzeichnis über Acker, besitzender, und Flur, angehöriger.«

Da die Verwechselung noch weiter um sich griff, als er vorher angenommen hatte, entfuhr es dem Deutschen:

»So ein Buch ist doch keine Katastrophe, sondern man nennt es Kataster! Du bist wirklich dera reinste Verwechselungskünstler! Ich kann wirklich nit begreifen, wie du dich nur mit solchen – –«

»Schweigte still!« fuhr ihn der Slowak an, indem er sich nun zu ihm herumdrehte und ihn flammenden Blickes ansah. »Wenn Sie nicht begreifte mich, so kannt auch ich nicht begreifte Sie! Ich hatt gelaßte Ihnen Gelehrtesamkeit, Ihrige, und nun kann auch Sie gelaßte mir Kenntnisse, meinige! Wenn ich auch hatt gemachte einmal Verwechstelung, unschuldige, so seinte ich doch ein Mann, stets höflicher und herablassender; Sie aber seinte währenddem immer geweste ein Mann von Unhöflichkeit, grober und beleidigender!«

»Ich?« fragte Pfotenhauer, ganz betroffen infolge des ungewöhnlichen Zornes, welcher aus den Worten und Blicken des Kleinen sprach. »Wegen eines kleinen Widerspruches brauchst doch nit gleich so grimmig zu sein!«

»Ich seinte nicht nur zornig wegen Entgegnung, widersprüchiger, sondern auch wegen Verstößen, oftigen und titulaturigen! Hatt Sie mich verstehente?«

»Nein, ich versteh' dich nit. Was redest du da von Titulatur?«

»Das wüßte Sie nicht? Das begreifte Sie nicht? Ich hatt Ihnen gebte stets das Sie, pluraliges; Sie aber hatt gebte mir stets du, singulariges. Wir hatt noch nicht machte miteinander Brüderschaft. Wenn Sie auch von jetzt an noch gebliebte bei du, einzahliges, so wernte auch ich nicht mehr sprechte Sie, mehrzahliges. Ich hatt studiumtierte, und Sie hatt studiumtierte; wir stehen also auf Stufe, ganz gleichfüßiger. Jetzt hatt Sie die Wahl, entscheidende! Ich sprechte Sie, und ich sprechte du, ganz so, wie Sie sprechte mit mir!«

Das kam dem Grauen so unerwartet, daß er für den ersten Augenblick gar keine Antwort fand. Er machte ein Gesicht, welches sicher noch verblüffter war als damals, wo sein Professor ihm die berühmte Frage vorlegte. Die Antwort wäre nun auch zu spät gekommen, denn der Slowak wandte sich von ihm ab und ließ ihn in »seines Nichts durchbohrendem Gefühle« stehen. Da kehrte Schwarz aus der Kajüte zurück; er sah das Gesicht des Grauen, dessen Nase schlaff herniederhing, als ob sie beim Naschen erwischt worden sei und deshalb einen Verweis bekommen habe; er sah auch den Kleinen stolz von dannen schreiten; da wußte er, was geschehen sei, und fragte lachend:

»Haben Sie sich wieder einmal nicht mit ihm vertragen?«

»Ja, er hat mich ganz g'hörig angepfiffen,« antwortete Pfotenhauer. »Der Kerl hat Haar auf allen Zähnen, und was für welche! Er hat g'meint, ich soll ihn nit mehr du, sondern Sie nennen, sonst will er mich auch duzen.«

»Hat er das? Nun, so ganz unrecht kann ich ihm da nicht geben, lieber Freund.«

»Danke sehr! Jetzund fehlt nur noch, daß er mich Naz oder kurz weg Vogel-Nazi nennt! Das wär' das richtige Kataplasma!«


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