Karl May
Die Sklavenkarawane
Karl May

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Eine Ghasuah

Da, wo der Bahr el Ghazal, der Gazellenfluß, in das Gebiet der Bongoneger tritt, sind an seinem rechten Ufer nur einzelne Dalebpalmen zu sehen, deren dunkelgrüne Blattwedel sich im leisen Luftzuge träumerisch bewegten. Am linken Ufer stieg ein dichter Mimosenwald bis an das Wasser herab. Die da an den Ästen und Zweigen hängenden dürren Gräser zeigten an, wie hoch zur Regenzeit das Wasser zu steigen pflegte.

Auf dem Wasser lagen große Inseln, welche aus Anhäufungen frischer und abgestorbener Grasrhyzome bestanden, und dazwischen gab es lange und breite Streifen von Omm Sufah, welche den jetzt schmalen Strom noch mehr einengten.

Im hohen Rohre, und von demselben fast ganz verborgen, lag ein Noqer, eine jener Segelbarken, wie sie am oberen Nile gebräuchlich sind. Der in der Mitte des Fahrzeuges angebrachte Hauptmast war niedergelegt, ebenso der kleinere am Vorderteile des Schiffes. Wer von der Anwesenheit dieses Noqer nichts wußte, konnte leicht in kurzer Entfernung von demselben vorüberfahren, ohne ihn zu bemerken.

Es war klar, daß die so vorsichtig versteckte Barke außer Gebrauch lag, und dennoch gab es Personen, welche sich emsig auf derselben beschäftigten.

Fünf oder sechs Sklavinnen knieten nebeneinander, um Durrha auf der Murhaqa zu reiben. Diese Murhaqa ist ein Reibstein, welcher den in Pfahlbauten gefundenen Mahlsteinen fast genau gleicht. Die angefeuchtete Durrah wird in die Vertiefung desselben geschüttet und mit dem Ibn el Murhaqa, einem kleineren Steine, mühsam zerquetscht und zu Mehl zerrieben. Diese primitive Weise des Mahlens, bei welchem den Sklavinnen der Schweiß von den Gesichtern in den teigigen Brei tropft, ist sehr anstrengend und zeitraubend. Hat so ein armes Wesen sich von früh bis abend abgemüht, so ist das Ergebnis kaum der tägliche Bedarf von zehn bis fünfzehn Mann.

Dieser durch das nasse Mahlen erzeugte dicke Brei ist die Grundlage des sudanesischen Speisezettels. Auf der Doka gebacken, gibt er die Kisrah, rotbraune, saubere Fladen, das gewöhnliche Brot des Landes, mit Wasser gekocht aber die Luqmah, eine Art Pudding, welcher keinem Europäer einen Ruf des Entzückens entlocken kann. Die Kisrah wird als Proviant auf monatelangen Reisen mitgenommen. Läßt man sie mit Wasser gären, so bekommt man die Merissah, ein säuerliches, überall gebrauchtes Getränk.

Unter dem Verdecke des Hinterteiles waren zwei Schwarze beschäftigt, Stricke aus Palmblattfasern zu drehen. Dabei sprachen sie leise miteinander. Die Blicke, welche sie dabei auf die Sklavinnen warfen, bewiesen, daß sie von diesen ja nicht gehört sein wollten.

Diese Schwarzen trugen die Guluf, drei wulstige Narben auf jeder Wange, ein sicheres Zeichen, daß sie geraubt worden waren. Ist nämlich eine Sklavenjagd glücklich ausgefallen, so empfangen die jüngeren männlichen Gefangenen diese sechs Schnitte als ewiges und unverwischbares Zeichen der Knechtschaft. Man reibt die Wunden mit Pfeffer, Salz und Asche ein, um den Heilungsprozeß zu verzögern, und die Narben möglichst aufschwellen zu lassen.

Bekleidet waren die beiden nur mit dem Lendenschurze. Das Haar hatten sie mit Anwendung eines vertrocknenden Klebstoffes steif und cylindrisch emporfrisiert, so daß es das Aussehen eines zerknillten Chapeau-claque ohne Krempe besaß. Sie unterhielten sich im Dialekte der Belandaneger, in welchem alle Worte, welche etwas Geistiges, Übersinnliches bezeichnen, dem Arabischen entnommen sind, wie es überhaupt bei allen sudanesischen Sprachen mehr oder weniger der Fall ist. Dabei wendeten sie die erste Person der Einzahl des Zeitwortes nicht an, sondern setzten an Stelle des »Ich« ihre Namen.

»Lobo ist traurig, sehr traurig!« flüsterte der eine. »Und Lobo darf doch nicht sehen lassen, daß er traurig ist.«

»Tolo ist auch traurig, mehr traurig noch als du,« antwortete der andre ebenso leise. »Als Lobo und Tolo geraubt wurden, hat Abu el Mot Lobos ganze Familie getötet, aber Tolos Vater und Mutter entkamen; sie leben noch, und armer Tolo kann nicht zu ihnen. Darum ist er doppelt traurig.«

Er sprach in der dritten Person, meinte aber sich selbst, da er Tolo hieß.

»Warum soll Lobo nur halb traurig sein?« fragte der erstere. »Wurden seine Eltern und Geschwister ermordet, so ist er unglücklicher als du. Und – –« er sprach so leise, daß sein Leidensgefährte es kaum verstehen konnte – »was hat ein Belanda zu thun, wenn der weiße Mann ihm die Seinen tötet?«

Toto blickte besorgt nach den Sklavinnen, ob diese vielleicht horchten, und antwortete dann, indem er die Augen rollte:

»Rache nehmen! Er muß Abu el Mot töten.«

»Ja, er muß, aber er darf nicht davon sprechen!«

»Seinem Freunde Tolo aber kann er es sagen; dieser wird ihn nicht verraten, sondern ihm helfen mit dem Messer oder mit dem Pfeile, welcher in den Saft der Dinqil getaucht und vergiftet ist.«

»Aber dann wird man uns zu Tode peitschen.«

»Nein; wir fliehen.«

»Weißt du nicht, wie schwer das ist? Die Weißen werden uns mit Hunden verfolgen, welche uns sicher finden.«

»So macht Tolo sich selbst tot. Peitschen läßt er sich nicht, und leben mag er auch nicht, wenn er nicht bei Vater und Mutter sein kann. Der Weiße denkt nicht, daß der schwarze Mann ein Herz hat; aber er hat ein besseres als der Araber; er liebt Vater und Mutter sehr, und will bei ihnen sein, oder sterben. Weißt du, ob wir leben werden, wenn wir hier bleiben? Wir sind Eigentum des Weißen, und er kann uns beim kleinsten Zorne töten. Und wenn er eine Ghasuah unternimmt, so müssen wir mit, und für ihn gegen unsre Brüder kämpfen. Auch da können wir getötet werden. Tolo will aber seine schwarzen Brüder nicht fangen und zu Sklaven machen!«

»Meinst du denn, daß es eine Ghasuah geben wird?«

»Ja. Warum reiben die Weiber dort nun schon seit vielen Tagen Durrah? Merkst du nicht, daß Kisrah gebacken werden soll? Viel Vorrat von Kisrah aber macht der Araber nur dann, wenn er sie als Vorrat bei einer Ghasuah braucht.«

Lobo schlug die Hände zusammen, machte ein erstauntes Gesicht und sagte:

»Wie klug du bist! Daran hat Lobo nicht gedacht. Er glaubte, der Zug würde erst dann unternommen, wenn Abu el Mot aus dem Lande der Homr zurückgekehrt ist.«

»Abd el Mot kann auch ziehen, wenn er will. Er ist der zweite Häuptling der Seribah und Abu el Mot der erste. Ist der erste nicht da, so befiehlt der zweite. Warum haben die Leute ihre Gewehre putzen und ihre Messer schleifen müssen, gestern und vorgestern schon. Niemand weiß vorher, was geschehen soll, aber wir werden bald etwas erfahren.«

»Weißt du, wohin es gehen soll?«

»Wie kann Tolo es wissen! Nicht einmal die weißen Soldaten, die sich in der Seribah befinden, erfahren es vorher. Abd el Mot allein weiß es, und – –«

Er hielt inne, bückte sich auf seine Arbeit nieder und drehte an den Seilfasern mit einer Hast, als ob er sich bei dieser Beschäftigung nicht Zeit zu einem einzigen Worte gegeben habe. Sein Genosse folgte seinem Beispiele. Beide hatten gesehen, daß ein Mann in einem Kahne an den Noqer gelegt, und das Deck desselben bestiegen hatte.

Dieser Mann war ein Weißer. Ein dichter, dunkler Bart umrahmte sein Gesicht, welches vom Sonnenbrande das Aussehen gegerbten Leders erhalten hatte; seine Züge waren hart, seine Augen blickten finster. Er trug einen eng anliegenden weißen Burnus, um welchen ein Shawl gewunden war, aus dem die Griffe eines Messers und zweier Pistolen blickten. Die nackten Füße steckten in grünen Pantoffeln, und der Schädel war in ein grünes Turbantuch gehüllt, ein Zeichen, daß dieser Mann seine Abkunft von dem Propheten Mohammed herleitete. In der Hand hielt er die lange, dicke Nilpeitsche.

»Abd el Mot!« flüsterte Lobo seinem Gefährten zu.

»Still, schweig!« antwortete dieser ängstlich.

Der Weiße war also der zweite Kommandant der Seribah. Er nannte sich »Diener des Todes«, während der erste Befehlshaber »Vater des Todes« hieß. Er blieb für einen Augenblick bei den Sklavinnen stehen. Diese arbeiteten mit doppeltem Eifer als vorher; doch schien ihr Fleiß seinen Beifall nicht zu finden, denn er schrie sie mit harter Stimme an:

»Allah zerschmettere euch! Wollt ihr ihm die Zeit abstehlen, ihr Faullenzerinnen! Heute soll gebacken werden, denn morgen brechen wir auf, und noch ist das Mehl nicht fertig!«

Er schlug mit der Peitsche ohne Wahl auf sie ein, daß die Getroffenen vor Schmerz heulten, aber ohne zu wagen, ihre Arbeit dabei auch nur für einen Augenblick einzustellen. Dann kam er zu den beiden Belandanegern. Er sah ihnen eine Weile zu, hob dann ein Seil auf, um die Arbeit zu prüfen, warf es wieder hin, und versetzte jedem einige Hiebe, von denen die Haut an den getroffenen Stellen sofort aufsprang. Die Schwarzen bissen die Zähne zusammen, daß es laut knirschte, gaben aber keinen Laut von sich, und arbeiteten ohne Unterbrechung weiter.

»Es that wohl nicht weh genug?« lachte er grausam. »Das nächste Mal werdet ihr schon heulen müssen, ihr Tagediebe. Werft euch nieder, wenn ich mit euch rede!«

Dieser Befehl war von einigen weiteren Hieben begleitet. Die Neger sanken zu Boden, was sie vorher nicht gewagt hatten, um nicht mit der Arbeit inne zu halten. Er betrachtete sie mit gefühllosem Blicke, versetzte jedem einen Fußtritt und fuhr fort:

»Ihr seid Belandas. Ist euch euer Land bekannt?«

»Ja, Herr,« antwortete Tolo ohne aufzublicken.

»Kennt ihr die Helle Ombula?«

»Tolo ist oft dort gewesen.«

»Was hattest du dort zu thun?«

»Die Schwester der Mutter wohnt mit ihrem Manne und ihren Kindern dort.«

»So hast du also Verwandte in Ombula! Wie viele Familien gibt es da?«

»Sehr viele, Herr, viel mehr als in andern Dörfern,« antwortete der Neger, dem es wie den meisten seinesgleichen unmöglich war, weiter als höchstens zwanzig zu zählen.

»Ist der Ort gut befestigt?« fuhr der Araber fort.

»Es ist ein doppelter Stachelzaun rundum,« antwortete der Gefragte.

»Ist die Umgebung offen, oder gibt es Wald?«

»Der Subakh steht in Büschen, aus denen Lubahn ragen.«

»Besitzen die Einwohner viele Rinder?«

»Nein, Herr, sie sind arm.«

Die Rinder sind dem Sklavenjäger nämlich noch lieber als die Gefangenen. Diese Tiere haben für den Neger einen so hohen Wert, daß er bei einem Überfalle vor allen Dingen sie zu retten sucht und dabei wohl seine Kinder opfert. Der Belanda hatte eine verneinende Antwort gegeben, um den Araber von dem Überfalle des befreundeten Dorfes abzubringen. Abd el Mot durchschaute ihn. Er zog ihm die Peitsche zwei-, dreimal über den Rücken, und donnerte ihn an:

»Hund, lüge nicht, sonst peitsche ich dich tot! Sage die Wahrheit, oder ich schlage dir das Fleisch in Striemen von den Knochen. Gibt es viele Rinder dort?«

»Ja,« gestand jetzt Tolo aus Angst.

»Und haben die Leute gute Waffen?«

»Pfeile, Spieße und Messer.«

»Keiner hat eine Flinte?«

»Keiner, Herr.«

Abd el Mot examinierte weiter und drohte: »Wenn ich ein einziges Gewehr finde, oder auch nur sehe, peitsche ich dir die schwarze Seele aus dem dunklen Leibe. Kennst du alle Wege dort?«

»Ja.«

»Und Lobo auch?«

»Auch er.«

»Wenn wir des Morgens von hier wegmarschieren, wann kommen wir hin?«

»Am Abende des dritten Tages, Herr.«

»Gut, ich habe beschlossen, Ombula zu überfallen, um Abu el Mot Sklaven und Rinder geben zu können, wenn er kommt, damit er sieht, daß wir thätig gewesen sind. Ihr beide sollet unsre Führer sein, und ich kann euch nur raten, daß ihr eure Sache gut macht. Bin ich mit euch zufrieden, so verkaufe ich euch an einen guten Herrn, der euch nicht prügelt, selbst wenn ihr faul seid. Im Gegenfalle aber grabe ich euch in einen Bau der Ardah ein, damit sie euch bei lebendigem Leibe fressen. Merkt euch das, ihr beiden schwarzhäutigen Schlingel, und nun frage ich: wollt ihr mir treu und gehorsam sein?«

»Ja, Herr!«

»Das versprecht ihr jetzt; aber ich traue keinem schwarzen Hunde. Ihr bleibt bis zum Aufbruche hier auf dem Schiffe, und werdet es nicht verlassen. Ich stelle euch einen Wächter her, welcher den Befehl hat, euch zu erschießen, sobald ihr euch dem Rande des Schiffes nähert. Und während des Marsches gebe ich euch Gewichte an die Füße, damit ihr die Lust zur Flucht verliert. Jetzt arbeitet weiter und schwatzt nicht dabei, sonst lasse ich euch den Mund zunähen, daß ihr verschmachten müßt. Ihr wißt, daß das keine leere Drohung ist. Ich habe das schon oft gethan.«

Er gab jedem noch einen Hieb, dann ging er und stieg in sein Boot. Sie sahen es im hohen Schilfe verschwinden, besorgten aber, daß er sie von dort aus beobachten werde. Darum arbeiteten sie schweigend weiter, bis sie ihn am Ufer erscheinen, und einen schmalen, durch den Mimosenwald führenden Weg einschlagen sahen.

Erst jetzt wagte es Tolo, seinem Gefährten leise zuzuflüstern:

»Du siehst, daß Tolo recht hatte, der Zug beginnt schon morgen.«

Lobo griff mit der Hand nach seinem schmerzenden Rücken, knirschte mit den Zähnen, rollte die Augen, als ob er sie herausdrehen wolle, und antwortete:

»In unser Land, nach Ombula. Allah, Allah! Unsre Freunde sollen Sklaven werden!«

»Und wir müssen die Weißen führen! Werden wir es thun?«

Lobo zögerte mit der Antwort. Er schien überhaupt geistig weniger begabt zu sein als sein Unglücksgenosse.

»Warum sagst du nichts?« fragte dieser. »Sollen wir die Araber führen und unsre schwarzen Brüder mit töten und gefangen nehmen?«

»Nein,« antwortete Lobo in bestimmtem Tone. Er war nun zu einem Entschlusse gekommen. »Wir fliehen. Dann aber können wir Abu el Mot nicht töten, was wir doch thun wollten. Er ist noch nicht wieder da.«

»So töten wir Abd el Mot an seiner Stelle. Das ist fast ebenso gut. Wenn wir ihm das Leben nehmen, so muß der Zug morgen unterbleiben, und wir retten die Leute von Ombula.«

»Werden sie es uns auch danken? Und wie töten wir ihn? Am Tage ist es ganz unmöglich, und das Nachts schläft er mitten unter den Wächtern. Man wird uns ergreifen. Ist es da nicht besser, wenn wir uns nicht in eine so große Gefahr begeben?«

Tolo erkannte gar wohl die Wahrheit dieser Worte. Er dachte nach. Jetzt erschallte von jenseits des Waldes ein schrecklicher Lärm herüber. Menschliche Stimmen sangen, jauchzten und brüllten. Dazu ertönten die ganz unbeschreiblichen Klänge der im Sudan gebräuchlichen Instrumente.

Das schien den nachdenkenden Neger schnell zu einem Resultate zu bringen. Er sagte:

»Hörst du den Jubel? Jetzt hat Abd el Mot gesagt, daß die Ghasuah morgen beginnen soll. Nun entfalten sie die Fahne und fragen den Zauberer.«

»Er wird dem Zuge günstig sein, und sie gehorchen ihm, denn er ist ein frommer Fakir. Auch wir sollten ihm eigentlich gehorchen, obwohl wir nicht zu Allah beten wie unsre Peiniger.«

»Nein. Tolo gehorcht nicht dem Fakir, sondern einem ganz andern.«

»Wem? Wer ist das?«

»Dem großen Schech, der über den Sternen wohnt und niemals stirbt, der alles sieht und jede That belohnt oder bestraft.«

»Du hast Lobo davon erzählt, aber Lobo kann ihn nicht sehen.«

»Er ist überall, wie die Luft, die man auch nicht erblickt.«

»Vielleicht hat dich der Fremde belogen, der dir von ihm erzählte!«

»Nein. Dieser fremde Weiße war ein Khassis, ein guter Mann, der keine Lügen sagte. Er erzählte von dem großen, allmächtigen Schech, welcher den Himmel und die Erde gemacht hat, und auch die Menschen. Er befahl ihnen, gut und fromm zu sein, aber sie gehorchten ihm nicht. Da sandte er seinen Sohn vom Himmel herab, der ihnen Gnade brachte und dafür von ihnen getötet wurde. Er lehrte, daß die Menschen einander lieben, und sich nur Gutes erweisen sollen. Diese Lehre brachte der Khassis zu uns. Wir gewannen ihn lieb und glaubten seinen Worten. Da aber kamen die Sklavenjäger und töteten ihn. Tolo weiß noch alle seine Worte und wird nach denselben handeln. Die Liebe gebietet ihm, seine Eltern aufzusuchen und die Helle Ombula zu retten. Das wird er thun, selbst wenn es sein Leben kosten sollte. Der Sohn des Schechs im Himmel ist auch ohne Murren gestorben. Und wer da stirbt, indem er Gutes thut, und die Gesetze des großen Schechs erfüllt, der ist nicht tot, sondern er steigt auf zum Himmel, zum Sohne des Schechs, um bei demselben zu leben und niemals zu sterben.«

Der Neger hatte das mit wahrer Inbrunst gesprochen, im Tone vollster Überzeugung. Der andre schüttelte den Kopf und sagte:

»Lobo versteht das nicht; aber du hast ihm noch niemals eine Lüge gesagt, und so will er es glauben, und ganz dasselbe thun, was du thust. Hätte er den Khassis gesehen und gehört, so würde er wohl ganz so überzeugt sein, wie du es bist. Also wir fliehen und retten Ombula!«

»Ja, und Abd el Mot töten wir zur Strafe für seine Thaten, und daß er morgen die Ghasuah nicht beginnen kann.«

»Aber ist es nicht der Wille des großen Schechs, von welchem du sprichst, daß man den Menschen nur Gutes erweisen soll? Und du willst den Araber ermorden!«

»Das ist nichts Böses,« entgegnete der Neger in einem Tone, der allerdings zu besagen schien, daß er noch nicht ganz bibelfest sei.

»Lobo glaubt es dir. Aber selbst wenn es uns gelingt, ihm das Leben zu nehmen, wie kommen wir fort? Einen Kahn können wir nicht bekommen, so müssen wir also gehen, und dann werden die Hunde uns schnell eingeholt haben!«

»Du darfst nicht so zaghaft sein,« entgegnete der andre, »denn der große Schech im Himmel wird uns beschützen. Man wird hier erst am Morgen den Tod Abd el Mots und unsre Flucht bemerken. Dann sind wir schon so weit entfernt, daß uns niemand einholen kann. Wir nehmen uns hier so viel Kisrah wie möglich, damit wir unterwegs nicht zu hungern brauchen.«

»Hat dein großer Schech das Stehlen nicht auch verboten?«

»Ja. Also werden wir es nicht thun. Aber wir finden überall Wurzeln, Früchte und Wasser, um den Hunger und auch den Durst stillen zu können.«

Lobo schien doch noch ein Bedenken zu haben. Er blickte nachdenkend vor sich nieder und sagte dann:

»Aber wie können wir vom Schiffe fort, wenn Abd el Mot uns einen Wächter sendet?«

»Wir warten, bis er schläft.«

»Er wird nicht schlafen, sondern den Befehl erhalten haben, kein Auge von uns zu lassen.«

»Nun, so töten wir auch ihn.«

»Das ist doch nichts Gutes, sondern etwas Böses!«

»Der Wächter ist auch bös, denn er wird ein Weißer, ein Araber sein. Ihm geschieht ganz recht, wenn er sterben muß; er gehört wohl gar zu den Leuten, welche uns gefangen genommen haben.«

»Du hast mir einmal erzählt, daß es der Wille des Schechs im Himmel sei, auch den Feinden Gutes zu thun; du aber willst ihnen nur Böses zufügen.«

»Daran sind sie selbst schuld,« sagte Tolo und half sich über das Bedenken mit Kopfschütteln hinweg. »Schweig jetzt und arbeite, der Wächter kommt!«

Der Kahn nahte wieder. In demselben saß ein andrer Weißer, welcher an Bord gestiegen kam. Er schien sehr zornig darüber zu sein, daß er auf das Schiff kommandiert worden, und nun von der Festlichkeit ausgeschlossen war, welche einer jeden Ghasuah vorherzugehen pflegt. Er warf den Sklaven drohende Worte zu, und setzte sich in ihre Nähe, die Peitsche in der Hand. Sie arbeiteten mit angestrengtem Fleiße weiter. Miteinander zu sprechen, durften sie nicht wagen; desto fleißiger aber dachten sie an ihr Vorhaben. Tolo war fest entschlossen, Abd el Mot und den Wächter zu ermorden. Das, was er von den Lehren des Missionars behalten hatte, kam nicht in Konflikt mit seinen heidnischen Anschauungen. Er wußte beides ganz gut in Einklang zu bringen. Lobo war weniger spitzfindig als er. Wie die meisten langsam denkenden und schwer begreifenden Menschen, konnte er nicht leicht eine neue Ansicht fassen, welche seiner bisherigen entgegengesetzt war. Hatte er den Gedanken aber einmal gefaßt, so hielt er ihn fest, und bewegte ihn fleißig im Herzen, soviel dies seinem Verständnisse möglich war. Es wollte ihm nicht recht begreiflich erscheinen, daß man zwei Menschen ermorden, und dabei doch den Willen des guten »Schechs im Himmel« befolgen könne.

Der am linken Ufer des Flusses liegende Mimosenwald war sehr lang, aber nur schmal. Vom Wasser führten einige schmale Wege quer durch ihn hindurch. Folgte man einem dieser Pfade, so hatte man schon nach fünf Minuten den Wald im Rücken und eine weite, freie Strecke vor sich liegen.

Im Süden nennt man jeden Weg, welcher neben einem Flusse hinläuft, Darb tachtani, den untern Weg. Ein Pfad aber, welcher von der Seite her, also senkrecht auf den Lauf des Wassers führt, eine Mischrah. Gewöhnlich steigt die Mischrah vom hohen Ufer herab. Die Wohnungen der Menschen müssen wegen der jährlichen Nilüberschwemmungen hoch liegen, und so kommt es, daß an einer Mischrah gewöhnlich sich Niederlassungen befinden. Besonders gern legt man die Seriben an solchen Stellen an, an denen ein Pfad hinab zum tiefen Ufer führt. Dies war auch hier mit der Seribah Omm et Timsah der Fall.

Hatte man, vom Flusse aufwärts steigend, den Wald hinter sich, so stand man vor einer hohen, stachlichten Umzäunung, hinter welcher die Tokuls dieser Sklavenjägerniederlassung lagen. Dieser Zaun war stark genug, um gegen Menschen und wilde Tiere Schutz zu bieten. Jede Seribah ist mit einer solchen Dornmauer umgeben, welche zwar europäischen Waffen nicht widerstehen könnte, gegen Pfeile und Lanzen aber vollständige Sicherheit gewährt. Die Ein- und Ausgänge haben keine Thüren nach unsrem Begriffe, sondern einige stachlichte Büsche genügen zum Verschlusse. Diese Stellen werden übrigens des Nachts mit Wachtposten besetzt, für welche gewöhnlich hohe Warten auf Pfählen errichtet sind, ganz ähnlich den russischen Kosakenwarten.

Die Seribah Omm et Timsah hatte einen bedeutenden Umfang. Sie enthielt über 200 Tokuls, deren Unterbau aus aufgeworfener Erde bestand, während die Wände und Dächer aus Schilf hergestellt waren. Sie alle hatten eine runde Gestalt und jede einzelne war für sich mit einer besonderen Dornenhecke umgeben. Dies alles bildete eine Art Dorf, welches innerhalb der kreisförmigen Hauptumzäunung lag.

Auch die Hütten hatten keine verschließbaren Thüren. Diebstahl kommt unter den Bewohnern einer Seribah nicht vor; diese haben sich nur vor den irrigen Eigentumsbegriffen der Eingeborenen zu hüten.

Die Wege, welche zwischen den Tokuls hinführten, waren ziemlich reinlich gehalten; desto schlimmer aber sah es vor der äußern Umzäunung aus. Da gab es Abfälle und Unrat in Menge; sogar die verwesenden Leichen natürlich gestorbener oder zu Tode gepeitschter Sklaven lagen hier, einen Geruch verbreitend, den die Nase eines Europäers nicht hätte ertragen können. Dies war ein Sammelplatz aller Arten von Raubvögeln. Auch die Hunde der Sklavenjäger befanden sich da, und des Nachts stellten sich wohl Hyänen und andre wilde Tiere ein.

Unweit der Seribah befand sich die Murrah, der umfriedigte nächtliche Pferch des Viehstandes, dessen Angehörige am Tage über im Freien weiden. Der Dünger dieser Tiere wird sorgfältig gesammelt und in der Sonne getrocknet, um abends in die Murrah geschafft und angebrannt zu werden. Der dichte Rauch, welcher sich dann entwickelt, gewährt den Tieren und Menschen Schutz gegen die schreckliche Plage der Baudah, der Stechfliegen des Sudans. Die Menschen graben sich bis an den Kopf in die ellenhoch liegende Düngerasche ein, wodurch, ganz abgesehen von dem Geruche, die schwarze Haut der Neger sich mit einem abscheulichen grauen Überzuge umhüllt, welcher das Auge des Europäers beleidigt, nach der Meinung der Eingeborenen aber so schön wie gesund ist.

In der Mitte der Seribah standen zwei Tokuls, welche sich durch besondere Größe auszeichneten. Sie waren die Wohnungen der beiden Anführer, Abu el Mots und Abd el Mots.

Da eine Hütte nicht bloß für eine einzelne Person bestimmt ist, so war bei der großen Zahl der Tokuls anzunehmen, daß die Gesellschaft gewiß aus wenigstens 500 Personen bestand. Rinder und Schafe weideten in Menge umher. Auch Pferde und Kamele gab es, doch nur bei gegenwärtiger Jahreszeit. Während und kurz nach der Regenzeit pflegen sie zu Grunde zu gehen.

Der eigentliche Besitzer einer Seribah ist nur höchst selten auf derselben anwesend. Diese Herren bleiben daheim, in Chartum oder wo sie sonst ihren festen Wohnsitz haben. Es fällt ihnen gar nicht ein, sich persönlich an der Sklavenjagd zu beteiligen; sie senden vielmehr ihre Stellvertreter, welche Wokala genannt werden und sehr ausgedehnte Vollmachten besitzen.

Unter diesen Wokala stehen die Reïsihn, Kapitäne und Nautia, Matrosen. Diese Leute werden gebraucht, weil die Jagden meist kurz nach der Regenzeit zu Wasser unternommen werden. Auch Sajadin und Asaker werden engagiert. Die ersteren sind Jäger und verpflichtet, die andern mit frischem Fleische zu verproviantieren. Die letzteren sind Soldaten, welche sich aus allerlei weißem und farbigem Gesindel rekrutieren, gewissenlose Menschen, welche mit den göttlichen und weltlichen Gesetzen vollständig zerfallen sind, und sich sonst nirgends sehen lassen dürfen, ohne daß ein strafender Arm sich nach ihnen ausstreckt.

Die Wokala erhalten eine beträchtliche Besoldung und oft auch noch einen besondern Anteil am Gewinne. Die übrige Mannschaft erhält einen Lohn bis zu zehn Mariatheresiathalern pro Monat und die Kost. Alles andre muß der Mann von dem Sold bezahlen und bekommt es zu den höchsten Preisen angerechnet. Daher bleibt ihm gewöhnlich nichts, oder wenig übrig. Ist der Fang gut, so kommt es vor, daß die Leute ihren Sold in Sklaven ausgezahlt erhalten. Der Schwarze ist dann dem Soldaten mit Leib und Leben angehörig, und dieser kann mit ihm machen, was ihm beliebt, ihn schlagen, verstümmeln oder gar töten.

Je zwanzig oder fünfundzwanzig Soldaten stehen unter einem Unteroffizier, Buluk genannt. Die Rechnungen hat ein Buluk Emini über, welcher lesen, schreiben und rechnen können muß und also gewöhnlich ein niederer Geistlicher, ein Fakir ist; er vertritt zugleich die Stelle des Zauberers, bestimmt die glücklichen und unglücklichen Tage und heilt alle möglichen Schäden des Leibes und der Seele mit Amuletten, welche er verfertigt und gegen guten Preis verkauft. Die Feindschaft eines solchen Mannes kann dem einzelnen sehr gefährlich werden.

Wird eine Ghasuah unternommen, so zwingt man den Schech des Gebietes, in welchem die Seribah liegt, seine Neger als Träger und Spione zu stellen. Dafür wird er nach dem Raubzuge mit Kühen entschädigt, was ihm natürlich lieber ist, als wenn er mit Sklaven bezahlt wird. Der Tag des Aufbruches wird von dem Fakir bestimmt, welcher von jedem einzelnen Tage des Jahres zu sagen weiß, ob er ein glücklicher oder unglücklicher ist.

Sobald der Kommandant die Ghasuah verkündet hat, wird die Barakha aufgesteckt. Sie besteht aus einem großen, viereckigen, roten Zeuge, auf welchem das mohammedanische Glaubensbekenntnis oder die erste Sure des Korans gestickt ist.

Sobald diese Fahne weht, weiß jedermann, daß ein Raubzug beschlossen worden ist, und die an demselben Beteiligten geben sich der tollsten Freude hin.

Abd el Mot hatte seine Absicht erst den beiden Belandanegern mitgeteilt, nachdem er selbstverständlich erst von dem Fakir erfahren hatte, daß der morgende Tag ein glücklicher sei. Dann zur Seribah zurückgekehrt, hatte er die Fahne aufstecken lassen. Der Jubel der ersten, welche dieses willkommene Zeichen erblickten, rief alle andern Bewohner der Tokuls aus den Hütten hervor. Die Musikinstrumente wurden geholt; man scharte sich zusammen und schleppte alle vorhandene Merissah herbei, um die glückliche Stimmung durch einen berauschenden Trunk zu erhöhen.

Der Fakir erschien, hielt eine anfeuernde Rede und bot Amulette aus, welche im bevorstehenden Kampfe vor Verwundung und Tod schützen sollten. Dann begann die Musik zu spielen, aber was für eine!

Da war zu sehen und zu hören die Rababah, eine sehr primitive Guitarre mit drei Saiten, die röhrenförmige Bulonk von ausgehöhltem Kamaholze, die Nogarah, eine Kriegspauke, aus einem hohlen Baumstumpfe konstruiert, die Darabukkah, eine kleinere Handpauke, ferner surrende Flöten, hölzerne Riesenhörner, deren schreckliche Töne dem Rindergebrüll gleichen, steinerne Klappern, geschüttelte Flaschenkürbisse, in denen Steine rasselten, Antilopenhörner, deren Töne dem Jammern eines frierenden Hundes gleichen, kleine und große Pfeifen, mit denen man alle möglichen Tierstimmen, besonders die Stimmen der Vögel nachmachte. Wer kein Instrument hatte, brüllte und heulte nach Belieben. Viele improvisierten ganz sonderbare Geräusche. Der eine schlug mit einem Stocke auf dürres Reisig, der andre kniff einem Hunde in den Schwanz, daß das Tier ganz zum Erbarmen musizierte; der dritte schwang an einer Schnur eine Blechplatte im Kreise, um das Pfeifen des Sturmes nachzuahmen. Kurz, es war ein entsetzliches Konzert, welches nur auf kurze Zeit unterbrochen wurde, als der Fakir die Helden aufforderte, das Sklavenjägerlied zu singen. Die Kerls stellten sich in zwei Reihen einander gegenüber auf und sangen:

»U marran basahli!
U marran alei dschebal,
U marran antah el woara,
El es soda kubar.
U marran besahli!
U marran ketir hami,
U marran fi woar kan ro dami;
U marran katach barrut,
Jentelik e reqiq schi dali!«

Das heißt zu deutsch: »Und trinken ist meine Lust! Und dann hinaus in die Berge, und hinaus in den Wald, wo der Löwe haust. Und trinken ist meine Lust! Und kommt die Verwegenheit über mich, da fließt wohl Blut in der Wildnis; und dann wird Pulver verpufft und ich bring Sklaven mit nach Hause!«

Doch welche Stimmen waren das, die dieses Lied sangen. Der eine brüllte wie ein Löwe und der andre wie ein Ochsenfrosch. Ein dritter schrillte im höchsten Fisteltone, und ein vierter schleppte, wie eine Baßgeige brummend, hinterdrein. Eine Melodie gab es nicht, jeder sang so hoch oder tief, wie es seinem Kehlkopfe angemessen war. Nur die einzelnen Worte klangen zusammen, da der Fakir mit hoch erhobenen Armen skandierte. Dies that er in einer Weise, daß er an einem andern Orte sofort als völlig unheilbar ins Irrenhaus geschafft worden wäre.

Als das Lied zu Ende war, wurde wieder getrunken und Musik gemacht. Dann ward ein Tanz arrangiert, den drehenden Derwischen nachgeäfft. So ging es unter steter Abwechselung von Musik, Gesang und Tanz bis in die späte Nacht, da es keinen Tropfen Merissah mehr gab.

Der Lärm schallte über den Wald hinweg bis zum Flusse und dem Schiffe. Dort saßen die beiden Belandaneger und vor ihnen der Wächter, die Peitsche stetig in der Hand. Die Sklavinnen waren nach der Seribah geholt worden, um zu backen.

Zuweilen erhob sich der Aufseher, um einige Minuten hin und her zu gehen. Dabei brummte er grimmig in den Bart, darüber, daß er weder mitsingen noch mittrinken durfte.

Kurz nach Mitternacht kam Abd el Mot noch einmal an Bord, um sich zu überzeugen, ob der Posten seine Schuldigkeit thue. Dann, als er sich entfernt hatte, wurde es drüben in der Seribah still. Die berauschten Sklavenjäger suchten und fanden den Schlaf. Als der Wächter wieder einmal seinen Spaziergang unternahm, flüsterte Lobo seinem Kameraden zu:

»Dieser Weiße ist zornig; er hat die Peitsche stets in der Hand, schlägt uns aber nicht. Lobo möchte ihn darum nicht gern töten.«

»Dann können wir nicht entkommen!«

»Wollen wir ihm nicht die Kehle zuhalten, daß er nicht schreien kann? Dabei binden wir ihn und stecken ihm den Mund zu.«

»Das hat auch Tolo lieber, als ihn zu töten; aber ein einziger Schrei kann uns verderben.«

»Lobos Fäuste sind stark. Er wird den Mann so fassen, daß derselbe gar nicht rufen kann.«

»Und während du ihn festhältst, wird Tolo ihn binden. So können wir es machen. Stricke sind genug da.«

»Wann beginnen wir?«

»Nach einer Weile; dann werden alle Weißen eingeschlafen sein.«

»Aber der Kahn ist nicht da. Er wird des Abends in die Seribah geschafft.«

»So schwimmen wir.«

»Hat Tolo vergessen, daß sich viele Krokodile im Wasser befinden? Darum wird die Seribah ja Omm et Timsah genannt.«

»Tolo läßt sich lieber von den Krokodilen fressen, als daß er die Weißen nach Ombula führt.«

»Lobo auch. Der gute Schech im Himmel wird uns beschirmen, da wir soeben dem Wächter das Leben geschenkt haben.«

»So glaubst du jetzt an diesen großen Schech?«

»Lobo hat während des ganzen Abends über denselben nachgedacht. Wenn der Khassis kein Lügner war, so ist es wahr, was er gesagt hat, denn er ist klüger gewesen, als wir es sind. Und für den schwarzen Mann ist es sehr gut, einen solchen Schech im Himmel zu haben, denn alle weißen Schechs auf der Erde sind seine Feinde. Lobo glaubt also an ihn und wird ihn jetzt bitten, die Flucht, welche wir vorhaben, gelingen zu lassen.«

Der Neger faltete die Hände und blickte zum Himmel auf. Seine Lippen bewegten sich, aber die Bitte war nur für Gott hörbar.

Der Wächter hatte sich wieder niedergesetzt. Dann dauerte es längere Zeit, bis er abermals aufstand, um hin und her zu gehen. Da fragte Lobo:

»Warten wir noch länger?«

»Nein. Tolo hält schon die Stricke in der Hand. Wenn er uns wieder nahe ist und sich umdreht, so springen wir auf und du ergreifst ihn von hinten.«

So geschah es. Der Wächter kam auf sie zu und machte wieder Kehrt. Im Nu standen die Neger hinter ihm, und Lobo legte ihm die beiden Hände um den Hals, den er fest zusammendrückte. Der Mann stand, wohl nicht nur infolge dieses Druckes, sondern mehr noch aus Schreck, völlig bewegungslos; er gab keinen Laut von sich. Er wehrte sich auch nicht, als Tolo ihm die Stricke fest um die Arme, Beine und den Leib wickelte. Er blieb sogar stumm, als Lobo ihm die Hände von dem Halse nahm und ihm seinen Fes vom Kopfe zog, denselben zerriß und aus den Stücken einen Knebel machte, der ihm in den Mund geschoben wurde.

Der Mann war vollständig überwältigt und wurde in den Raum hinabgeschafft. Lobo nahm ihm das Messer und Tolo die Peitsche ab; dann kehrten sie auf das Deck zurück.

Sie ließen sich so leise wie möglich, um ja nicht etwa durch ein Geräusch die Krokodile herbeizulocken, in das Wasser und strebten dem Ufer zu, was gar nicht leicht war, da sie sich durch die dichte Omm Sufah zu arbeiten hatten. Doch gelangten sie wohlbehalten an das Land. Das Naßwerden schadete ihrer mehr als einfachen Kleidung nicht das mindeste.

»Der gnädige Schech im Himmel hat uns vor den Krokodilen beschützt; er wird uns auch weiter helfen,« sagte Lobo, indem er das Wasser von sich abschüttelte. »Denkst du nicht, daß es besser wäre, wenn wir Abd el Mot leben ließen und unsre Wanderung sogleich anträten?«

»Nein. Er muß sterben!«

»Seit du heute von dem himmlischen Schech und seinem Sohne gesprochen hast, kommt es Lobo nicht gut vor, den Araber zu töten.«

»Wenn wir ihm das Leben lassen, ereilt er uns unterwegs. Töten wir ihn aber, so wird, wenn man ihn findet, alle der Schreck so ergreifen, daß sie versäumen, uns zu verfolgen.«

»Lobo thut alles, was du willst. Wie aber kommen wir in die Seribah? Die Wächter machen Lärm.«

»Hast du denn nicht das Messer, mit dessen Hilfe wir uns ein Loch machen können?«

»Aber die Hunde werden uns verraten!«

»Nein; sie riechen, daß wir in die Seribah gehören, und ich kenne sie fast alle nach ihren Namen. Komm!«

Sie schlichen sich vorwärts bis zum obern Rande des Waldes. Dort galt es, vorsichtiger zu sein, denn die Nacht war so sternenhell, daß man einen Menschen auf zwanzig Schritte erkennen konnte. Sie legten sich auf die Erde und krochen derjenigen Stelle der Umzäunung zu, von welcher aus sie die kürzeste Strecke nach dem Tokul Abd el Mots hatten.

Glücklicher und auch sonderbarerweise erreichten sie diese Stelle, ohne von einem Hunde bemerkt worden zu sein. Dort begann Lobo, mit dem Messer ein Loch in den dichten, stachlichten Zaun zu schneiden. Das war nicht leicht und ging außerordentlich langsam. Obgleich er der Stärkere war, mußte Tolo ihn einigemal ablösen, bis die Öffnung so groß wurde daß ein schlanker Mensch durchschlüpfen konnte.

Im Innern der Seribah angelangt, mußten sie nun doppelt vorsichtig sein. Sie blieben eine kleine Weile lauschend liegen; sie vernahmen kein verdächtiges Geräusch. Ein Rind schnaubte draußen im Pferche, und aus der Ferne tönte das tiefe Ommu-ommu einer Hyäne herüber. In der Seribah aber herrschte absolute Stille.

»Wir können es wagen,« sagte Tolo. »Gib mir das Messer!«

»Warum dir?«

»Weil ich den Stoß führen will.«

»Nicht du, sondern Lobo wird es thun, denn er ist der Stärkere von uns beiden.«

»Aber es ist dir ja nicht lieb, daß er getötet werden soll!«

»Aber du hast gesagt, daß er dennoch sterben muß, und da ist es gleich, von wessen Hand es geschieht. Sollte der Schech im Himmel darüber zürnen, so wird er Lobo eher verzeihen als dir, denn Lobo glaubt erst seit heute an ihn, du aber schon seit längerer Zeit. Bleib also hier und warte, bis ich wiederkomme!«

»Du willst allein gehen?«

»Ja.«

»Das duldet Tolo nicht. Er wird dich bis zum Tokul begleiten, um bereit zu sein, wenn dir etwas Böses widerfährt.«

»So komm, denn du hast recht.«

Sie kannten den Weg genau. Die meisten Schläfer befanden sich in ihren Hütten; mehrere lagen vor denselben, doch so fest im Merissahrausche, daß sie nicht aufwachten. Selbst ein Nüchterner hätte die beiden nicht gehört.

Als sie an den Tokul Abd el Mots kamen, lagen wohl acht bis zehn Soldaten um denselben. Der Unteranführer traute den Negersoldaten nicht und pflegte seine Hütte des Nachts mit weißen Söldnern zu umgeben. Aber auch diese lagen in tiefem Schlafe.

»Bleib hier liegen!« flüsterte Lobo. »Es ist nicht schwer, zwischen ihnen hindurchzukommen. Der Araber befindet sich ganz allein in der Hütte. Auch er wird getrunken haben. Ein Stoß, und dann ist Lobo wieder bei dir.«

Die Zuversicht, mit welcher er dies sagte, klang etwas hastig. Die That wurde ihm wohl schwerer, als er es merken lassen wollte. Das Messer in der Hand, kroch er schlangengleich zwischen zwei Schläfern hindurch. Schon hatte er den Eingang erreicht und streckte die Hand aus, um das leichte Schilfgeflecht, welches des Nachts die Thür bildete, beiseite zu schieben; da ließ sich hinter demselben ein lautes Knurren hören. Er zog die Hand zurück; aber der unerwartete Feind brach, anstatt sich zu beruhigen, in ein wütendes Gebell aus und kam, das Geflecht umreißend, aus der Hütte gestürzt. Es war einer jener großen Schillukhunde, welche die Sklavenjäger gern kaufen, um sie gegen die Neger abzurichten. Er warf sich auf Lobo. Dieser war, obgleich dem Alter nach noch kaum ein Mann, doch ein sehr kräftiger Mensch. Er wich dem Hunde mit einer behenden Bewegung aus, faßte ihn mit der Linken beim Genick, riß ihn empor und stieß ihm mit der Rechten mit außerordentlicher Schnelligkeit das Messer einigemal in die Brust. Der Hund brach unter lautem Geheul zusammen.

Von allen Seiten, allüberall antworteten die andern Hunde; die Menschen erwachten, und die vor dem Tokul liegenden weißen Schläfer waren aufgesprungen. Sie wollten sich auf Lobo werfen, dem es nun unmöglich war, sein blutiges Vorhaben auszuführen. Wohl zwanzig Arme streckten sich nach ihm aus; er war umringt und schlug und stieß um sich, um sich Luft zu machen. Dies wäre ihm wohl kaum gelungen, wenn ihm nicht Tolo geholfen hätte. Dieser sprang herbei und schlug mit seiner Nilpeitsche in der Weise auf die Bedränger seines Gefährten ein, daß sie, die so etwas nicht erwartet hatten, Raum gaben. Dies benutzend, flogen die beiden Neger in weiten Sätzen davon, um das Loch und durch dasselbe das Freie zu gewinnen.

Einer der Schläfer, welche Lobo hatten ergreifen wollen, war ein Unteroffizier, ein Mann, welcher zu befehlen gewohnt war und mehr Umsicht besaß als die andern. Er sagte sich, daß die zwei Missethäter wohl ihrer Strafe entgehen würden, wenn niemand sie erkannt habe. Darum schrie er mit lauter Stimme in den Lärm hinein:

»Wer waren die beiden? Hat jemand ihre Gesichter gesehen?«

»Lobo und Tolo, die zwei Belanda waren es,« antwortete eine Stimme.

»So sind sie vom Noqer entflohen und haben sich, ehe der Eingang geschlossen wurde, in die Seribah geschlichen, um Abd el Mot zu ermorden. Sie sind noch in der Umzäunung. Eilt an die Thore und besetzt dieselben, damit die Mörder nicht hinaus können! Aber ruft alle Hunde herein, welche uns die Flüchtigen aufspüren werden!«

Infolge dieses Befehls rannte alles nach den Eingängen. Abd el Mot war natürlich erwacht. Er kam aus dem Zelte, um sich nach dem Grunde der großen Aufregung zu erkundigen. Der Unteroffizier erstattete ihm Bericht, und der »Diener des Todes« erteilte der Anordnung desselben seine Zustimmung.

So kam es, daß die ganze Bevölkerung der Seribah sich an den Eingängen versammelte und die beiden Neger das Loch ungehindert erreichen konnten. Lobo wollte durch dasselbe schnell hinaus in das Freie kriechen; aber der schlaue Tolo hielt ihn zurück und sagte:

»Halt, warte! Hörst du nicht, daß man den Hunden ruft und pfeift? Gehen wir jetzt hinaus, so treffen wir auf diese Tiere, welche uns zwar vielleicht nichts thun, aber uns sicher verraten werden. Wir müssen warten, bis sie alle herein sind.«

Lobo sah die Wahrheit dieser Worte ein und blieb stehen. Die beiden hörten mehrere Hunde an dem Loche vorüber und nach dem nächsten Thore rennen. Dort erklang der Befehl Abd el Mots:

»Bindet sie an Leinen, damit sie uns führen können! Und bringt sie an meine Hütte, auf die Spur der Neger!«

»Jetzt ist es Zeit!« flüsterte Tolo. »Schnell hinaus und fort!«

»Die Hunde werden das Loch finden,« antwortete Lobo, »und die Verfolger auf unsre Fährte bringen. Könnten wir reiten, so würden unsre Füße den Boden nicht berühren und die Hunde verlören unsre Spur.«

»Reiten ist unmöglich.«

»Warum nicht? Draußen in der Murrah stehen Pferde und auch Kamele.«

»Aber die Wächter sind bei ihnen; diese Leuten haben den Lärm vernommen und werden sehr aufmerksam sein.«

»Überfallen wir sie!«

»Nein. Es sind ihrer zu viele für uns und wir haben nur ein Messer. Und selbst wenn es uns gelänge, sie zu überwältigen, würde dabei so viel Zeit vergehen, daß die Hunde bei uns wären, ehe wir die Pferde hätten. Wir müssen laufen.«

Sie krochen hinaus und rannten davon, an der Murrha vorüber und in der Richtung, in welcher ihre Heimat lag, in die Nacht hinein.

Als sie glaubten, daß das Loch schnell entdeckt werden würde, hatten sie sich geirrt. Es waren über zwanzig Hunde vorhanden, welche nach dem Tokul Abd el Mots geführt wurden. Dort gab es eine Menge von Spuren, und jetzt wurden dazu so viel neue gemacht, daß es für die Tiere ganz unmöglich gewesen wäre, die richtige zu entdecken. Aber die Hunde verstanden überhaupt gar nicht, um was es sich handelte. Man richtete ihre Nasen zwar auf die Erde, aber man konnte ihnen nicht begreiflich machen, welche Aufgabe man ihnen stelle. Sie suchten im Kreise umher und wollten in den verschiedensten Richtungen davon.

»So geht es nicht,« sagte Abd el Mot. »Sie wissen nicht, wen sie suchen sollen. Wir müssen es ihnen zeigen.«

»Das können wir nicht,« sagte ein alter Tschausch, welcher Befehlshaber über hundert war. »Etwas zu zeigen, was man selbst weder sieht noch weiß, ist unmöglich.«

»Dein Bart ist weiß, aber deine Gedanken sind dunkel,« antwortete der Kommandant. »Die Neger sind vom Schiffe entflohen; dort ist der richtige Ort, den Hunden zu zeigen, was wir wollen. Ich werde selbst gehen und nehme nur den meinigen mit; er ist der beste von allen. Schafft das Boot an das Wasser, doch nicht auf dem Pfade, den die Neger wahrscheinlich gekommen sind! Ihr würdet sonst mit euren Füßen die Fährte verderben. Ich werde euch führen.«

Er nahm seinen Hund an der Leine und schritt dem Haupteingange zu, wo das Boot lag. Sechs Männer nahmen es auf ihre Schultern und folgten ihm. Er wählte einen schmalen Pfad, welcher oberhalb desjenigen, welcher direkt nach dem Schiffe führte, durch den Wald an das Wasser ging. Als sie das Ufer erreicht hatten, wurde das Boot ins Wasser gesetzt und Abd el Mot stieg mit dem Hunde und zwei Männern, welche rudern sollten, ein. Die andern konnten zurückgehen.

Beim Noqer angekommen, stieg der Kommandant an Bord und ließ sich den Hund heraufheben; die Ruderer durften das Schiff nicht betreten, um die Fährte nicht zu verwischen.

Der gut dressierte Hund blieb bei seinem Herrn stehen, der das Verdeck überschaute, was ihm der helle Sternenschimmer erlaubte. Es war kein Mensch zu sehen. Abd el Mot rief den Namen des Wächters, empfing aber keine Antwort. Er rief die beiden Neger, doch mit demselben Mißerfolge. Der Hund bewegte die Ohren, richtete den Kopf zu seinem Herrn empor und stieß die Luft leise pfeifend durch die Nase.

»Du weißt etwas? Du hast etwas gehört? Führe mich!« forderte Abd el Mot das Tier auf, indem er die Leine lockerte

Das Tier zog ihn an derselben unter das Verdeck bis hin zur Stelle, wo der Wächter lag. Der Araber beugte sich zu demselben nieder, um ihn zu betasten, zog ihm den Knebel aus dem Munde, ohne ihm aber die Stricke zu lösen, und fragte mit vor Zorn bebender Stimme:

»Wer hat dich überwältigt und hierher gebracht?«

»Die Neger. Amahn, amahn!«

»Wo sind dieselben?«

»Jedenfalls entflohen. Ich kann nicht dafür. Sie überfielen mich von hinten und ohne daß ich es ahnen konnte. Du wirst es mir verzeihen!«

Er kannte die Strenge seines Vorgesetzten; seine Stimme zitterte vor Angst. Abd el Mot antwortete nicht und fragte auch nicht weiter. Er nahm den gefesselten Mann auf die Schulter und trug ihn hinauf auf das Deck.

»Um Allahs und des Propheten willen, verzeihe mir!« schrie der Wächter, welcher aus dem Verhalten des Kommandanten schloß, was dieser beabsichtigte.

»Allah und der Prophet mögen dir gnädig sein, ich habe nichts dagegen,« antwortete dieser; »aber mich darfst du nicht um Verzeihung bitten. Wer meinen Befehlen nicht gehorcht und seinen Dienst vernachlässigt, den kann ich nicht brauchen. Hast du die Sklaven über Bord gelassen, so sollst du zur Strafe denselben Weg nehmen!«

Der Mann wand sich vergebens in den Armen des Arabers, um sich los zu machen, und flehte mit vor Todesangst kreischender Stimme:

»Sei gnädig, Herr, denn auch du wirst einst von Gott Gnade verlangen!«

»Schweig, Hund, und fahre zur Hölle!«

Er warf ihn über Bord und blieb dann mit vorgebeugtem Körper stehen, um zu sehen, wie der Mann im Wasser verschwand. Nach wenigen Augenblicken tauchte derselbe für kurze Zeit wieder auf und brüllte, indem er das in den Mund gedrungene Wasser von sich sprudelte:

»Allah jilanak kullu abadli – Gott verdamme dich in alle Ewigkeit!«

»Ma' assalahme ia kelb – gehab' dich wohl, du Hund!« lachte der Araber ihm höhnisch nach.

Er sah zwei Furchen, welche sich blitzschnell der Stelle näherten, an welcher der Unglückliche wieder am Versinken war; sie wurden von zwei Krokodilen gezogen, die durch das Geräusch, welches der fallende Körper im Wasser hervorgebracht hatte, aufmerksam geworden waren. Sie schnappten zu gleicher Zeit nach ihm – ein entsetzlicher Schrei, und die gierigen Ungeheuer verschwanden mit seinem zerrissenen Körper in der Tiefe.

Das noch größere Ungeheuer droben auf dem Deck aber murmelte befriedigt:

»Wer meinen Befehl nicht befolgt, muß sterben. Nun jetzt zu der Spur!«

Er führte den Hund nach der Stelle, an welcher die Neger gearbeitet hatten, und drückte ihm da den Kopf nieder, indem er ihm gebot:

»Dauwir, fattisch – such, such!«

Der Hund fuhr mit der Nase am Boden hin, sog, sich erhebend, die Luft ein und stieß ein kurzes, scharfes Bellen aus.

»Du hast es? So komm!«

Er ging mit ihm nach dem Schiffsrande, hob ihn in den Kahn, stieg selbst nach und gebot den beiden Wartenden, nun nach dem Hauptwege, den sie vorhin vermieden hatten, zu rudern.

Die zwei Untergebenen waren Zeugen des Todes ihres Kameraden gewesen, doch fühlten sie nicht das geringste Mitleid mit demselben. Derartige Bestrafungen eines Soldaten waren für sie ganz gewöhnliche Ereignisse.

Als sie am Ufer ausgestiegen waren, nahm Abd el Mot den Hund fest an die Leine und ließ ihn suchen. Das Tier stieß schon nach einigen Augenblicken jenen Laut aus, welcher sagen soll, daß es sich auf der Fährte befände, und drängte mit allen Kräften vorwärts.

»Jetzt haben wir den Anfang,« sagte der Araber. »Der Hund ist vortrefflich und wird die Spur nicht verlieren. Das Ende wird der Tod der beiden Burschen sein.«

Der Hund zog so stark an der Leine, daß sein Herr alle Kraft aufwenden mußte, sie sich nicht aus der Hand reißen zu lassen. Fast im Trabe ging es das steile Ufer hinauf, durch den schmalen Wald und dann genau nach der Stelle, in welcher sich das Loch in der Umzäunung befand. Erst wollte der Hund hindurchkriechen; aber er besann sich, wendete sich wieder zurück und stieg dann, laut bellend und sich kaum halten lassend, an der Leine empor, um nach der freien Ebene, wohin die Neger geflohen waren, durchzubrechen.

In der Seribah hatte man indessen alle Feuer wieder angeschürt, und der Schein derselben fiel auf das Loch, so daß dasselbe deutlich zu erkennen war.

»Hier haben sie sich hindurchgearbeitet,« sagte Abd el Mot. »Und hier sind sie auch wieder heraus. Während wir suchten, haben sie Vorsprung gewonnen; aber es soll ihnen nichts helfen. Wir werden sie schneller ereilen, als sie es vermuten können.«

Er schritt nach dem Haupteingange, wobei er Mühe hatte, den Widerstand des Hundes, welcher den Flüchtigen nach wollte, zu bemeistern. Dort standen sämtliche Bewohner der Seribah. Er teilte ihnen das Resultat seiner Nachforschung mit und gebot dann den Unteroffizieren, vorzutreten, um seine Befehle zu empfangen.

»Herr,« sagte der bereits erwähnte alte Feldwebel, »dein Wille muß der unsrige sein und wir dürfen es nicht wagen, dir etwas vorzuschreiben; aber ich meine, daß sofort so viele Männer, als Pferde da sind, mit dem Hunde aufbrechen müssen, um die Neger schnell einzuholen. Beeilen wir uns weniger, so entkommen sie vielleicht nach Ombula und benachrichtigen die Leute dort von unsrem beabsichtigten Überfall.«

»Deinem Alter will ich es verzeihen, daß du mir Vorschläge machst,« antwortete Abd el Mot in scharfem Tone; »ein andermal aber wartest du, bis ich dich frage! Das mit den Reitern habe ich schon beschlossen, ehe du daran denken konntest. Aber meinst du vielleicht, daß ich ihnen befehlen werde, nach hier zurückzukehren, wenn sie die Neger ergriffen haben? Dann müßten sie von neuem mit uns aufbrechen, und den Pferden, welche uns kostbar sind, dürfen wir eine solche Anstrengung nicht auferlegen. Die Ghasuah ist beschlossen; ob sie gleich jetzt beginnt oder erst am Morgen, das kann euch gleichgültig sein. Ich will beim Fang der Neger selbst zugegen sein. Ebenso notwendig aber ist meine Anwesenheit beim Aufbruche des Zuges von hier. Also rüstet euch! In einer Stunde muß jeder zum Abmarsche fertig sein. Du aber wirst zur Strafe dafür, daß du mir Gesetze vorschreiben wolltest, nicht an dem Zuge teilnehmen, sondern als Befehlshaber der fünfzig Mann, die ich zum Schutze der Seribah auslosen werde, hier zurückbleiben.«

Für einen Sklavenjäger, und gar einen Feldwebel derselben, konnte es gar keine größere Strafe geben. Natürlich muß, wenn eine Ghasuah unternommen wird, eine Abteilung zum Schutze der Seribah zurückbleiben. Diese Leute erhalten zwar ihre Löhnung, doch ist ihnen die Gelegenheit entzogen, sich beim Überfalle des betreffenden Negerdorfes privatim zu bereichern. Aus diesem Grunde will keiner zurückbleiben, und es ist also der Gebrauch, das Los entscheiden zu lassen, und zwar nicht nur in Beziehung auf die gewöhnlichen Soldaten, sondern auch hinsichtlich der Chargierten. Hier nun sollte der Feldwebel verzichten, ohne durch das Los dazu bestimmt worden zu sein. Das hielt er für eine Ungerechtigkeit, die er sich nicht gefallen zu lassen brauchte, zumal es gar nicht seine Absicht gewesen war, Abd el Mot einen Befehl zu erteilen. Er hatte sich infolge seines höheren Alters, seiner großen Erfahrung und seines Ranges nicht für unberechtigt gehalten, eine Meinung auszusprechen, welche nicht einmal mit derjenigen seines Vorgesetzten in Widerspruch gestanden hatte. Darum sagte er, doch in ganz ruhigem Tone:

»Herr, ich sage dir, und Allah ist mein Zeuge, daß ich dich nicht beleidigen wollte. Ich bin mir keiner Schuld bewußt und habe diese Strafe nicht verdient. Du kannst meine Wangen nicht dadurch mit Schamröte überziehen, daß du mich vor den Hundert, die mir untergeordnet sind, erniedrigst!«

»Schweig!« donnerte ihn Abd el Mot an. »Sind dir etwa die Gesetze, nach denen in jeder Seribah gehandelt wird, nicht bekannt? Ich kann dich töten, sobald du mir widersprichst!«

»Das wirst du nicht thun, denn du weißt recht gut, daß ich der erfahrenste und kühnste deiner Leute bin. Durch meinen Tod würdest du dich um den brauchbarsten Mann der Seribah bringen, was ein Schade für euch alle wäre. Und was Abu el Mot, der Herr und erste Kommandant, dazu sagen wurde, das weißt du nicht.«

Er hatte das zwar in bescheidenem Ton, doch mit gewissem Selbstbewußtsein gesprochen. Abd el Mot gab innerlich die Wahrheit des Gesagten zu, doch hielt er es nicht für rätlich, solche Worte zu dulden. Darum antwortete er:

»Zu töten brauche ich dich zwar nicht; aber ich kann dich bestrafen, ohne daß du uns deine Dienste entziehen darfst. Du bist von diesem Augenblicke an nicht mehr Tschausch, sondern gewöhnlicher Soldat und bleibst als Gefangener auf der Seribah zurück. Nun kann das Los darüber entscheiden, welcher Unteroffizier hier während unsrer Abwesenheit das Kommando erhält.«

Das Urteil brachte den alten Feldwebel um die bisher bewahrte Ruhe.

»Was?« rief er zornig aus. »Ich soll gemeiner Asaker werden und sogar gefangen sein? Das wird Allah wohl verhüten! Noch gibt es hier Leute, welche es mit mir halten und mich nicht verlassen werden!«

Er sah sich stolz und auffordernd im Kreise herum. Ein leises Murmeln, welches sich vernehmen ließ, schien seinen Worten recht zu geben. Da zog Abd el Mot seine beiden Pistolen hervor, spannte die Hähne und drohte:

»Die Kugel dem, der mir zu widerstreben wagt! Bedenkt, wenn ein Tschausch fällt, so rücken andre nach ihm auf. Wollt ihr euch dieses Avancement entgehen lassen? Soll ich diejenigen, welche ihm helfen wollen, auch in Ketten legen? Nehmt ihm den Säbel und die Pistole ab und bindet ihn!«

»Mich entwaffnen und binden?« schrie der Tschausch. »Lieber will ich sterben. Schieß also zu, wenn du –«

Er hielt inne. Er hatte den Säbel aus der Scheide gezogen und ihn drohend gezückt; aber es schien ihm plötzlich ein andrer Gedanke gekommen zu sein. Er senkte die Klinge, strich sich mit der linken Hand langsam über das bärtige Gesicht, vielleicht um den momentanen Ausdruck desselben nicht sehen zu lassen, und fuhr in ergebenem Tone fort:

»Verzeihe, Herr! Du hast recht, denn du bist der Vorgesetzte, und ich habe zu gehorchen. Mache mich immerhin zum gewöhnlichen Soldaten! Ich werde mich doch bald so auszeichnen, daß ich wieder aufwärts rücke. Allah ist groß und weiß am besten, was geschehen soll.«

Diese letzten Worte enthielten eine versteckte Drohung, was aber Abd el Mot nicht bemerkte. Er nahm dem Tschausch selbst die Waffen ab und sagte:

»Danke es deinem Alter und meiner Gnade, daß ich mit deiner Ergebung einverstanden bin! Du hast den Säbel gegen mich gezogen und bist also des Todes schuldig. Dennoch will ich dir verzeihen. Ich schenke dir das Leben; im übrigen bleibt es bei dem Urteile, welches ich ausgesprochen habe. Führt ihn in das Gefängnis und bindet ihn dort an, damit er nicht entfliehen kann!«

Dieser Befehl war an zwei Unteroffiziere gerichtet, welche sofort gehorchten. Sie nahmen den Tschausch zwischen sich, um ihn abzuführen, und er ging ohne Widerstreben mit ihnen. Die Hoffnung auf Avancement hatte ihre Wirkung auf die Leute nicht verfehlt.

Nun begaben sich alle nach dem Tokul des Befehlshabers, wo unter Anrufung des Propheten und aller heiligen Kalifen die Lose gezogen wurden. Die fünfzig Mann und der Unteroffizier, welche von denselben getroffen wurden, ergaben sich schweigend, aber innerlich zornig in ihr Schicksal, die übrigen rüsteten sich zum Aufbruche, nachdem der Fakir erklärt hatte:

»Ein jeder gläubige Moslem tritt jede Reise zur Zeit des heiligen Asr an. Nachdem es aber Allah gefallen hat, uns zu erlauben, schon am Morgen aufzubrechen, ist es keine Sünde gegen ihn, schon nach einer Stunde auszuziehen, da die Mitternacht vorüber und es dann auch schon Morgen ist. Sein Name sei gelobt!«

Es waren an dem beabsichtigten Zuge weit über vierhundert Personen beteiligt, welche in zwei Abteilungen zerfallen sollten. Die erste bestand aus denjenigen Leuten, welche mit den vorhandenen Pferden beritten gemacht werden konnten. Ihr sollte die Aufgabe zufallen, voranzueilen und die beiden Neger zu fangen, um dann auf die zweite Abteilung zu warten, welche teils auf Reitochsen, denen das Klima nichts anhaben kann, teils zu Fuß nachfolgen sollte. Den ersten Trupp befehligte Abd el Mot selbst. Das Kommando des zweiten sollte derjenige Unteroffizier führen, welcher in die Stelle des abgesetzten Feldwebels aufgerückt war.

Nach einer Stunde hielten die beiden Abteilungen vor der Seribah, vor ihnen der Fahnenträger mit der heiligen Barakha in der Hand. So unmenschlich der Zweck einer Ghasuah ist, so wird doch niemals eine solche unternommen, ohne daß man vorher um den Schutz und Segen Gottes bittet, ganz ähnlich wie man früher in den Kirchen mancher Küstenorte mit lauten Gebeten um einen »gesegneten Strand« bat. Der Fakir, der das Amt des Geistlichen und zugleich des Rechnungsführers verwaltete, stellte sich neben dem Fahnenträger vor der Front auf, erhob die beiden Arme und rief mit lauter Stimme:

»Hauehn aaleïna ia rabb, Salam aaleïna be barakkak – hilf uns, o Herr, begnadige uns mit deinem Segen!«

Diese Worte wurden von dem ganzen Corps unisono wiederholt. Der Fakir fuhr fort:

»Hafitsina ia mobarek ia daaim – segne uns, o Gesegneter, o Unsterblicher!«

Auch dies wurde einstimmig nachgesprochen. Der erste Ausruf war an Gott und der zweite an Mohammed gerichtet. Dann folgten die vor dem Gebete jeder Sure vorgeschriebenen Worte:

»Be issm lillahi er rahmaan er rahiim – im Namen des allbarmherzigen Gottes!«

Hierauf wurde die erste Sure des Korans, die heilige Fathha gebetet, worauf die hundertsechsunddreißigste Sure folgte, welche von Mohammed den Namen »Herz des Korans« erhielt und seitdem von jedem Moslem so genannt wird. Man betet sie im Angesichte jeder Gefahr, und man liest sie den Sterbenden, wenn sie in den letzten Zügen liegen, vor. Sie ist ziemlich lang; ihr Schluß lautet:

»Der Ungläubige bestreitet die Auferstehung; er stellt Bilder an Gottes Stelle und vergißt, daß er einen Schöpfer hat. Er spricht: 'Wer soll den Gebeinen wieder Leben geben, wenn sie dünner Staub geworden sind?' Wir aber antworten: 'Der wird sie wieder beleben, der sie auch zum erstenmal in das Dasein gerufen.' Sollte der, welcher Himmel und Erde geschaffen, nicht die Kraft besitzen, Tote wieder lebendig zu machen? Sicherlich, denn er ist ja der allweise Schöpfer. Sein Befehl ist, so er etwas will, daß er spricht: 'Es werde!' und es ist. Darum Lob und Preis ihm, in dessen Hand die Herrschaft aller Dinge ist. Zu ihm kehret ihr einst zurück!«

Es dauerte sehr lange, ehe diese Sure vorgesprochen und nachgebetet worden war. Als die letzten Worte verklungen waren, hatte sich der Osten gelichtet und die ersten Strahlen der Sonne zuckten empor. Nun durfte man nicht eher fort, als bis el Fager, das für die Zeit des Sonnenaufgangs vorgeschriebene Morgengebet, gesprochen worden war. Dann erhoben sich die Knieenden, um abzuziehen.

Zuerst bestieg Abd el Mot mit den Seinigen die Pferde. Er ritt voran mit seinem Hunde, welcher mit langer Leine an den Sattelriemen gebunden war und die Spur mit Eifer wieder aufgenommen hatte. Die Reiter flogen wie im Sturmwinde gegen Süden.

Die zweite Abteilung folgte langsam, voran der Fahnenträger mit der jetzt in ein Tuch gewickelten Barakha. Sie nahmen mit Gewehrsalven Abschied, welche von der zurückbleibenden Besatzung erwidert wurden. Diese Salven sind stets scharf, wie man auch Trupps, denen man unterwegs begegnet, nur mit scharfen Schüssen begrüßt, eine Munitionsverschwendung, von welcher man nicht lassen mag, weil die Sitte es erfordert.

Die Besatzung blieb vor der Einfriedigung, bis die Fortziehenden nicht mehr zu sehen waren. Sie befand sich in einer keineswegs freundlichen Stimmung. Es entging ihr der zu erhoffende Raub, und sie hatte dafür nicht einmal das Bewußtsein, der Mühen des Marsches und der Gefahren des Kampfes enthoben zu sein. Arbeit gab es nun in der Seribah mehr als genug. Was vorher fünfhundert gethan hatten, das mußte nun von nur fünfzig geschehen, und auch Gefahr war jederzeit vorhanden, da Seriben, deren größter Besatzungsteil sich auf einem Sklavenzuge abwesend befindet, von den anwohnenden Völkern oft überfallen werden. Es gab also mehr als doppelte Arbeit und Wachsamkeit.

Daher war es gar kein Wunder, daß hie und da ein unwilliges Wort laut wurde, unwillig über die Ungerechtigkeit des Loses und unwillig auch über die allzu große Strenge des Befehlshabers. Dieser war nur Stellvertreter des eigentlichen Herrn, Abu el Mots, in dessen Abwesenheit er sich stets so gebärdete, als ob er größere Macht besitze, als eigentlich der Fall war. Darum war er nicht bloß gefürchtet, sondern, was viel schlimmer ist, auch unbeliebt und von den meisten gehaßt. Der alte Feldwebel hingegen verstand es besser, diejenigen, deren Rang er früher auch eingenommen hatte, richtig zu behandeln. Er war streng, doch nicht grausam; er hielt auf seine Würde, doch ohne sich zu überheben. Darum war er beliebt, und darum hatten vorhin, als er gefangen genommen werden sollte, viele leise zu murren gewagt.

Der mit zurückgebliebene Unteroffizier bemerkte gar wohl die Stimmung seiner Leute; er hörte auch ihre halblauten Worte, sagte aber nichts dagegen. Er selbst war außerordentlich ärgerlich. Er hatte sich von seiten des Feldwebels stets einer freundlichen Behandlung zu erfreuen gehabt; darum fühlte er Teilnahme mit demselben. Er war bei der Degradation des Alten ruhig geblieben, weil er gehofft hatte, in seine Stelle aufzurücken. Dies aber war nicht geschehen. Abd el Mot hatte ihm einen andern vorgezogen, obgleich er meinte, größeres Anrecht zu besitzen. Kein Wunder, daß er sich nun doppelt unzufrieden fühlte und mit den Ansichten seiner Untergebenen einstimmte, aber ohne es ihnen merken lassen zudürfen.

Er mußte schweigen, nahm sich aber vor, seinem Unmute gegen Abd el Mot dadurch Luft zu machen, daß er den Feldwebel so gut wie möglich behandelte und ihm seine Gefangenschaft nach Umständen erleichterte. Er ließ Kisrah backen und am Flusse Fische fangen, welche gebraten wurden. Jeder erhielt von diesen Gerüchten[Gerichten] sein Teil. Dann begab er sich mit einer tüchtigen Portion nach dem Tokul, welcher als Gefängnis diente.

Dieser bestand nicht etwa aus starken Steinmauern, um das Entweichen zu verhindern; o nein, man hatte sich die Sache viel leichter gemacht, indem ein doppelt mannstiefes Loch gegraben worden war, in welches man die Missethäter hinabließ. Darüber befand sich ein Schilfdach, aber nicht etwa zur Erleichterung für die Gefangenen, damit sie nicht von den glühenden Sonnenstrahlen der hochstehenden Sonne getroffen werden sollten, sondern aus Rücksicht auf die Schildwache, welche die Eingekerkerten zu beaufsichtigen hatte. Da dieses Loch niemals gereinigt worden war, so mußte der Aufenthalt in demselben als selbst des rohesten Menschen unwürdig bezeichnet werden.

Gegenwärtig befand sich der Feldwebel allein darin. Der Wächter ging, als er den Unteroffizier kommen sah, respektvoll zur Seite.

»Hier bringe ich dir ein Essen,« rief der letztere hinab. »Kisrah und gebratene Fische, was sonst kein Gefangener bekommt. Später lasse ich Merissah machen; da sollst du auch einen Topf voll bekommen.«

Der Feldwebel stand bis an die Knie in halb verwestem Unrat.

»Allah vergelte es dir,« antwortete er, »ich habe aber keinen Appetit.«

»So hebe es dir auf!«

»Wohin soll ich es thun? Ist das ein Ort, Speise aufzubewahren?«

»Zu diesem Zweck ist die Grube freilich nicht bestimmt. Soll ich dir das Gericht in eine Decke wickeln?«

»Ja, und – ich kenne dich. Allah hat dir ein gutes und dankbares Herz gegeben. Habe ich dich jemals streng behandelt?«

»Nein.«

»Kannst du mir vorwerfen, daß ich dich jemals beleidigt oder übervorteilt habe?«

»Das hast du nie.«

»So verdiene dir den Segen des Propheten, indem du mir eine Gnade erweisest!«

»Was soll ich thun?«

»Ziehe mich hinauf und erlaube mir, oben bei dir zu essen. Dann kannst du mich wieder herunterlassen.«

»Das darf ich nicht.«

»Wer kann es dir verbieten? Du bist doch jetzt der Herr der Seribah. Oder glaubst du, nicht thun zu dürfen, was dir beliebt?«

Der Buluk fühlte sich bei seiner Ehre angegriffen; darum antwortete er:

»Ich bin der Kommandant. Was ich will, das muß geschehen.«

»So mangelt es dir an gutem Willen. Das hätte ich nicht gedacht.«

»Es ist zu gefährlich. Wie leicht kannst du mir entfliehen!«

»Entfliehen? Das ist doch ganz unmöglich. Ich habe keine Waffen; du kannst mich sofort niederschießen. Und deine fünfzig Männer werden wohl hinreichend sein, mich an der Flucht zu hindern.«

»Das ist wahr,« meinte der Buluk nachdenklich.

»Auch darfst du nicht vergessen, daß ich nicht für immer hier stecke. Abu el Mot weiß meine Dienste zu schätzen, und wenn er zurückkehrt, werde ich sehr rasch wieder Feldwebel sein.«

»Das denke ich auch,« gab der Unteroffizier aufrichtig zu.

»Dann kann ich es dir vergelten, wenn du mir die Gefangenschaft jetzt ein wenig erleichterst. Ich denke also, daß du mir die kleine Bitte erfüllen wirst.«

»Gut, ich werde es wagen. Aber meine Pflicht muß ich thun, und du darfst es mir nicht übel nehmen, wenn ich der Schildwache befehle, sich bereit zu halten, dich sofort niederzuschießen, falls du dich mehr als zwei Schritte von dem Rande der Grube entfernst.«

»Thue es! Es ist deine Pflicht, und du thust sehr wohl daran, sie zu erfüllen.«

Während der Buluk zu dem Posten trat, um ihm den betreffenden Befehl zu erteilen, strich sich unten der Tschausch befriedigt über den Bart und murmelte:

»Das war nur die Probe, und er hat sie bestanden. Allah wird ihn erleuchten, auch auf meine ferneren Vorschläge einzugehen. Ich werde in dieses Loch nicht wieder zurückkehren, und dieser Abd el Mot, den Allah vernichten möge, wird keinen Feldwebel wieder zum gemeinen Soldaten erniedrigen!«

Jetzt erschien der Buluk wieder oben in Gemeinschaft des Postens. Sie ließen ein Seil herab, an welchem der Tschausch emporkletterte. Oben angekommen, setzte er sich nieder und machte sich sogleich über sein Essen her. Die Schildwache zog sich außer Hörweite zurück, hielt aber das Gewehr zum Schusse bereit. Der Unteroffizier setzte sich vor dem Gefangenen nieder, sah ihm mit Vergnügen zu, wie es ihm schmeckte, und sagte:

»So lange ich hier kommandiere, sollst du ebensoviel und ebensogut essen, wie bisher. Ich hoffe, daß du es mir danken wirst!«

»Das werde ich gewiß. Ich weiß, daß ich es kann, denn ich werde später selbst Herr einer großen Seribah sein und sehr einträgliche Sklavenzüge unternehmen.«

»Du?« fragte der Buluk erstaunt.

»Ja, ich!« nickte der andre.

»Hast du das Geld dazu?«

»Geld? Braucht man da Geld?«

»Viel, sehr viel Geld, großes Vermögen, so wie Abu el Mot es hat.«

»Hm! Meinst du, daß er dieses Vermögen stets besessen hat?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber ich weiß es. Ich diene ihm über noch einmal so lang als du und kenne seine ganze Vergangenheit.«

»So bist du der einzige. Niemand weiß genau, woher er stammt und was er war.«

»Ein Homr-Araber ist er, und sehr arm war er. Er befand sich als gewöhnlicher Soldat bei einem Sklavenjäger und brachte es da, gerade so wie ich, bis zum Tschausch.«

Das war die Unwahrheit, aber es lag in dem Plane des Alten, den Buluk durch diese erfundene Erzählung zu gewinnen.

»Arm war er?« meinte dieser. »Und auch nur erst Buluk und Tschausch, so wie du und ich?«

»Ja, nichts andres.«

»Aber wie brachte er es dann zu dieser großen Seribah?«

»Auf eine ebenso einfache wie leichte Weise. Sein Herr hatte ihn einmal sehr beleidigt und dafür schwor er ihm Rache. Als dann später der Herr eine Ghasuah unternahm, traf es sich, daß er Abu el Mot als Kommandant der Seribah zurückließ.«

»Also ganz mein jetziger Fall!«

»Ja. Aber du wirst nicht die Klugheit besitzen, welche Abu el Mot und sein Buluk damals entwickelt haben.«

»Er hatte auch einen Buluk bei sich?«

»Freilich. Du kennst ihn ja!«

»Ich? Ich weiß von nichts.«

»Ach so! Ich vergaß, daß du die Geschichte gar nicht kennst. Sein damaliger Buluk ist noch jetzt bei ihm, und zwar als zweiter Befehlshaber.«

»Etwa Abd el Mot?«

»Ja. Beide haben damals den Streich gespielt, welcher sie reich gemacht hat.«

»Was thaten sie?«

»Etwas, worauf eigentlich jeder Unteroffizier kommen kann, welcher zurückgelassen wird und auf die Beute verzichten muß. Sie warteten, bis der Herr fort war, plünderten die Seribah aus, brannten sie nieder und zogen mit dem vorhandenen Vieh und allem, was mitgenommen werden konnte, nach Süden, hierher, wo sie diese Seribah gründeten und das Geschäft für ihre eigene Rechnung begannen.«

»Allah 'l Allah! Mein Verstand ist weg!« rief der Buluk aus, indem er den Mund aufriß und die Augen fast ebenso weit.

»Das ist sehr bedauerlich für dich,« bemerkte der Tschausch. »Wenn dein Verstand entflohen ist, so wirst du niemals reich werden.«

»Ich – reich? – Wer hat jemals daran gedacht!«

»Du nicht?«

»Nie! Wer soll sich das Unmögliche als möglich denken!«

»Allah ist allmächtig; ihm ist alles möglich, und wen er mit seiner Gnade beglücken will, der braucht nur zuzugreifen, falls er Hände hat. Du aber scheinst keine zu haben.«

»Ich – ich habe doch welche, zwei sogar!«

»Aber du gebrauchst sie nicht!«

»Soll ich etwa zugreifen?«

»Natürlich!«

»Jetzt?«

»Ja. Es wird sich dir nie wieder eine solche Gelegenheit bieten, schnell reich zu werden.«

Der Buluk erfüllte als Unteroffizier seine Pflichten zur Zufriedenheit; aber besonders glänzende Geistesgaben besaß er keineswegs. Er saß vor dem Tschausch, als ob er gelähmt sei, ihn groß und fast verständnislos anstarrend.

»Allah akbar!« stieß er langsam hervor. »Habe ich recht gehört? Ich soll es machen wie diese beiden?«

»Nicht du allein, sondern ich und du.«

»Das – ist doch – gar nicht auszudenken!«

»So gib dir Mühe, es zu begreifen! Aber versäume nicht die gute Zeit. Abu el Mot kann jeden Augenblick zurückkehren. Dann ist es zu spät, und die Gelegenheit wird niemals wieder vorhanden sein.«

»Sprichst du denn wirklich im Ernste?«

»Ich schwöre dir bei Allah und dem Propheten, daß ich nicht scherze.«

»Und du meinst, daß es wirklich auszuführen ist?«

»Ja, denn Abu el Mot und sein Buluk haben es auch fertig gebracht. Denke doch an alles, was sich hier befindet, an die Waffen und die viele Munition, an die Kleider und Gerätschaften, an die Handelsgegenstände und Vorräte, welche wir, wenn wir etwas davon kaufen, von unsrem armen Solde zehnfach teurer bezahlen müssen! Denke ferner an die Rinder, welche wir bewachen müssen. Überlege dir, welch einen Wert das alles hat! Weißt du, wieviel Elfenbein wir bei den Negern für eine einzige Kuh eintauschen können?«

»O, das weiß ich schon. In Chartum würden wir dreißig und noch mehr Kühe dafür bekommen.«

»Wir haben über dreihundert Rinder hier. Machten wir es so, wie Abu- und Hamd el Mot[Abd el Mot] es damals gemacht haben, so wären wir mit einem Schlage reiche Männer.«

»Das ist wahr; das ist wahr! Aber es würde eine Sünde sein!«

»Nein, sondern nur eine gerechte Strafe für die beiden. Denke nach! Man darf in solchen Fällen ja keine Zeit verlieren!«

Der Buluk hielt sich den Kopf mit beiden Händen, griff sich an die Nase, an die Brust und die Knie, um zu versuchen, ob er wirklich lebe und existiere, und rief dann aus:

»Allah begnadige mich mit seiner Erleuchtung! Mir ist's, als ob ich träume!«

»So wache auf, wache auf, bevor es zu spät wird!«

»Gedulde dich! Meine Seele findet sich nur schwer in eine so ungeheure Sache. Ich muß sie unterstützen.«

»Womit?«

»Ich will mir Tabak für meine Pfeife holen!«

»Auch ich habe einen Tschibuk hier am Halse hängen, aber keinen Tabak.«

»Ich bringe auch für dich welchen mit.«

Er stand auf und eilte fort. Schon war er weit entfernt, da erinnerte er sich an seine Pflicht. Er blieb stehen, drehte sich um und rief zurück:

»Du entfliehst doch nicht? Du hast es mir versprochen!«

»Ich bleibe!« antwortete der Tschausch.

»Bedenke wohl, daß dich die Kugel des Wächters sofort treffen würde, denn du bist mein Gefangener!«

»Ich halte mein Wort! Aber sage keinem, was du von mir gehört hast!«

»Nein; auch würde es mir wohl niemand glauben!«

Er ging weiter. Der Tschausch rührte sich nicht von seiner Stelle. Er hatte die Kisrah und die Fische verzehrt. Jetzt strich er sich mit beiden Händen den grauen Bart und murmelte vergnügte, leise Worte vor sich hin.

Bald kehrte der Buluk wieder. Er hatte seinen Tabakbeutel in der Hand, dem man es ansah, daß er nicht viel enthielt. Der Tabak ist in den Seriben ein teurer Artikel. Dennoch reichte er, als er sich niedergesetzt und seine Pfeife gestopft hatte, auch dem Tschausch hin. Dieser griff hinein, ließ den zu Mehl zerstoßenen und mit weniger wertvollen Pflanzenblättern vermischten Tabak durch die Finger gleiten, machte ein pfiffig bedauerndes Gesicht, begann auch seinen Tschibuk zu stopfen und fragte:

»Wem gehört dieser Tabak?«

»Mir,« antwortete der Buluk verwundert.

»Woher hast du ihn?«

»Hier gekauft natürlich!«

»So hast du vorhin allerdings ganz richtig gesprochen: Dein Verstand ist weg!«

»Wieso?« fragte der Buluk, indem er mit dem Stahle Feuer schlug.

»Hast du keinen andern und bessern Tabak?«

»Nein.«

»O Allah! Hat dir denn Abd el Mot nicht die ganze Seribah übergeben?«

»Ja.«

»Auch die Tukuls[Tokuls] mit den Vorräten?«

»Ja. Ich soll sie wohl verwahren. Es hängen Schlösser vor den Thüren.«

Während nämlich kein Tukul[Tokul] verschlossen ist, sind diejenigen, welche als Magazine benutzt werden, mit hölzernen Thüren und Vorlegeschlössern versehen.

»Aber die Schlüssel hast du doch?« fragte der Tschausch.

»Ja, sie sind mir übergeben worden.«

»So kannst du hinein, wo die Fässer mit dem köstlichsten Tabak stehen, den nur Abu el Mot und Abd el Mot rauchen, und dennoch begnügst du dich mit diesem letzten, schlechten Rest?«

Der Buluk öffnete wieder den Mund, starrte den andern eine ganze Weile an und fragte dann:

»Du meinst –?«

»Ja, ich meine!«

»Allah, wallah, tallah! Es wäre freilich schön, wenn ich meinen Beutel füllen könnte, ohne ihn später bezahlen zu müssen!«

»Nur Tabak? Alles, alles kannst du nehmen, ohne es zu bezahlen. Du vernichtest diese Seribah Omm et Timsah und legst eine andre an.«

»Wo?«

»Im Süden, wo die Waren teurer und die Sklaven billiger sind.«

»Das wäre bei den Niam-niam?«

»Ja. Dort sind geradezu glänzende Geschäfte zu machen.«

Der Buluk rieb sich an den Armen, an den Beinen, an allen Teilen seines Körpers. Es war ihm höchst unbehaglich zu Mute, und doch fühlte er sich dabei so wohl wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er wäre gar zu gern reich geworden, aber nach längerem Nachdenken gestand er aufrichtig:

»Ja, wenn ich deinem Vorschlage folgte, so könnte ich sehr leicht eine Seribah gründen; aber – ich bin nicht klug genug dazu.«

»Du hast ja mich! Ich will doch Teilnehmer werden!«

»Ah ja! Das ist wahr!«

»Übrigens lernt sich so etwas ganz von selbst.«

»Meinst du?«

»Gewiß, du bist ja schon jetzt Kommandant einer ganzen Seribah!«

Da schlug sich der Buluk an die Brust und rief:

»Ja, das bin ich! Bei Allah, das bin ich! Wer das leugnen wollte, den würde ich peitschen lassen!«

»Wenn Abd el Mot dich zum Kommandanten gemacht hat, so weiß er gewiß, daß du der richtige Mann dazu bist. Er kennt dich also weit besser als du selbst.«

»Ja, er kennt mich; er kennt mich ganz genau! Er weiß, daß ich der richtige Mann dazu bin! Also du meinst –?«

»Ja, ich bin überzeugt, daß wir beide in kürzester Zeit die reichsten und berühmtesten Sklavenjäger sein würden.«

»Berühmt, das möchte ich werden,« nickte der Buluk.

»So folge mir! Ich habe dir den Weg dazu gezeigt. Und wenn du noch nicht wissen solltest, welche Vorteile dir erwachsen, falls du auf meinen Vorschlag eingehst, so will ich sie dir deutlich machen und erklären. Komm!«

»Wohin?« fragte der Buluk, als der Feldwebel würdevoll aufstand.

»Zu den Vorräten. Ich will sie dir zeigen und ihren Wert berechnen.«

»Ja, komm!« stimmte der Buluk eifrig bei. »Ich habe die Schlüssel in der Tasche und möchte wissen, wie reich wir sein würden.«

Er ergriff den Tschausch am Arme und führte ihn fort. Der Posten wagte natürlich nicht zu schießen, weil der jetzige Kommandant selbst seinen Gefangenen fortführte.

Die fünfzig Soldaten waren zerstreut, teils in der Seribah selbst, teils draußen bei den Herden beschäftigt. Einige von den ersteren sahen zu ihrem nicht geringen Erstaunen den Buluk mit dem Feldwebel, welchen sie im Gefängnisse wußten, gehen, doch sagten sie nichts. Es war ihnen ganz recht, daß der interimistische Gebieter nicht so streng verfuhr, als er eigentlich sollte. Erst als dieser sich mit seinem Begleiter beim ersten Vorratstukul[Vorratstokul] befand und die Thür desselben schon geöffnet hatte, fiel ihm ein, was er laut seiner Instruktion zu thun hatte.

»w' Allah!« fuhr er zornig auf. »Ich lasse den Hund peitschen!«

»Wen?« fragte der Tschausch.

»Den Gefängnisposten.«

»Warum?«

»Weil er dich nicht erschossen hat! Ich habe es ihm doch befohlen!«

»Aber du selbst hast mich ja weggeführt. Er sah also, daß du mir erlaubtest, mich zu entfernen, und so wäre es ein Ungehorsam gegen dich gewesen, wenn er geschossen hätte, nicht nur Ungehorsam, sondern Auflehnung und Aufruhr! Du bist ja der Kommandant!«

»Der bin ich allerdings, und ich will keinem raten, gegen mich aufzurühren! Beim Scheitan, ich würde den Hund totpeitschen lassen, wenn er auf dich geschossen hätte. Jetzt komm herein und zeige mir die Sachen, deren Wert du besser kennst als ich!«

Sie blieben ziemlich lang in dem Tokul; aus diesem gingen sie auch in die übrigen Vorratshäuser. So oft der Buluk aus einem derselben trat, sah man sein Gesicht glückseliger strahlen. Als er das letzte verschlossen hatte, legte er dem Feldwebel die Hand auf die Achsel und sagte:

»Jetzt schwöre mir bei deinem Barte, daß du von dem Gelingen deines Planes vollständig überzeugt bist!«

Der Anblick der reichen Vorräte hatte ihn für den Tschausch vollständig gewonnen.

»Ich schwöre es!« antwortete dieser, indem er die Hand erhob.

»Und du rätst mir wirklich, ihn auszuführen?«

»Ja, das rate ich dir, und wenn du später eine Million Abu Noqtah besitzest, so wirst du mir es Dank wissen, dir diesen Rat gegeben zu haben.«

»Aber wir allein können es doch nicht unternehmen?«

»Wir beide? Nein. Wir müssen unsre Soldaten dazu haben.«

»Werden sie es thun?«

»Ganz gewiß. Dafür laß mich sorgen. Ich werde mit ihnen sprechen.«

»Dann aber werden sie die Beute mit teilen wollen.«

»Darauf gehen wir nicht ein. Es würde jeder gleichviel erhalten, und so hätten wir die Mittel nicht, eine neue Seribah anzulegen. Ich verspreche einem jeden den doppelten Sold, wenn sie uns dienen wollen, und ihnen allen die Beute, welche Abd el Mot zurückbringen wird. Auf diese Weise bleibt uns alles, was sich hier in Omm et Timsah befindet.«

»Die Beute, welche Abd el Mot bringt? Wie kannst du ihnen diese versprechen? Du hast sie ja nicht!«

»Aber ich werde sie haben, denn ich nehme sie ihm ab.«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig! Er wird dir doch nicht den Verstand verwirrt haben!«

»Nein, das hat er nicht. Mein Plan geht weiter, als du meinst. Ich werde Abd el Mot entgegenziehen und ihn während seiner Rückkehr überfallen.«

»Deinen eigenen Vorgesetzten!«

»Schweig! Er hat mir meinen Rang genommen und mich in das Gefängnis werfen lassen; das muß er büßen.«

»Aber es sind fünfhundert Krieger bei ihm!«

»Ich verheiße auch ihnen doppelten Sold, und außerdem dürfen sie in Gemeinschaft mit unsern fünfzig Mann die Beute, welche sie in Ombula gemacht haben werden, unter sich teilen. Darauf werden sie ein- und zu mir übergehen. Wer das nicht thut, der wird getötet, oder er mag laufen, wohin er will.«

»Bist du toll? Wenn sie nun alle Abd el Mot treu bleiben wollen, so sind wir verloren. Sie sind uns zehnfach überlegen.«

»Das schadet nichts. Ich weiß schon, in welcher Weise ich ohne alle Gefahr an sie kommen werde. Die Hauptsache ist, daß wir nicht säumen. Abu el Mot will viele Nuehrs anwerben und mitbringen. Trifft er mit diesen hier ein, während wir noch da sind. so ist es aus mit unsrem schönen Plane.«

»Dieser wird überhaupt nicht ausgeführt werden,« meinte der Buluk.

»Warum?«

»Weil er zu gefährlich ist. Du willst weiter gehen, als ich dachte.«

»So ziehst du dich zurück?«

»Ja. Ich wäre sehr gern reich geworden; aber ich sehe ein, daß unser Leben verloren ist. Ich mache nicht mit.«

»So wird mein Plan doch ausgeführt!«

»Von wem?«

»Von mir!«

»Von dir? Das ist ja ganz unmöglich, da du mein Gefangener bist!«

»Ja, der bin ich freilich. Aber ich werde mit deinen Leuten sprechen und bin überzeugt, daß sie mir sofort zustimmen werden. Dann aber wirst du mein Gefangener sein, falls du dich feindlich gegen uns verhältst.«

»Allah, Allah!« rief der Buluk erschrocken. »Du hast mir ja versprochen, nicht zu entfliehen!«

»Ich halte auch mein Wort. Ich habe nicht die mindeste Lust zur Flucht. Ich will vielmehr von hier fortziehen als Sieger, als Besitzer alles Eigentums, aller Herden und auch aller Sklaven, die sich hier befinden und natürlich mitgenommen werden.«

»Du bist ein schrecklich entschlossener Mensch!«

»Ja, entschlossen bin ich, und ich wünschte sehr, daß auch du es wärest. Jetzt ist es noch Zeit für dich. Sage ja dazu, so wirst du Mitbesitzer. Sagst du aber nein, so wirst du ausgestoßen oder darfst höchstens als gewöhnlicher Asaker mit uns gehen. Ich möchte nicht gern hart gegen dich verfahren, muß es aber thun, wenn du mich dazu zwingst. Also entscheide dich schnell! Willst du nichts wagen und von uns ausgestoßen sein, oder willst du mutig auf meinen Plan eingehen, mein Unterbefehlshaber sein und reich werden?«

Der Buluk blickte einige Zeit zur Erde nieder. Dann antwortete er in entschlossenem Tone:

»Nun wohl, ich bin mit dir einverstanden. Ich sehe ein, daß ich es bei dir und auf deine Weise weiter bringen kann als bei Abu el Mot, bei welchem ich höchstens das bleiben werde, was ich jetzt bin, ein armer Buluk. Wir werden Sklaven machen, Tausende von Sklaven, und wenn wir reich genug sind, gehen wir nach Kahira, kaufen uns Paläste und führen ein Leben wie die Gläubigen im Paradiese.«

»Gut, so gib mir die Schlüssel!«

»Muß das sein?«

»Ja, denn ich bin jetzt der Herr von Omm et Timsah.«

Er bekam die Schlüssel zu den Magazinen und ging dann mit dem Buluk, welchem das Herz außerordentlich klopfte, nach der Stelle, an welcher die weithin schallende Trommel an einem Pfahle hing. Auf den Schall derselben mußten alle zu der Niederlassung Gehörigen, sogar die draußen bei den Herden befindlichen Wächter, auf dem Versammlungsplatze in der Mitte der Seribah erscheinen.

Er rührte selbst die Trommel, und binnen wenigen Minuten befanden sich alle zurückgebliebenen Sklavenjäger auf dem Platze. Sie wunderten sich nicht wenig, als sie den gefangenen Tschausch neben dem Buluk stehen sahen. Aber ihre Verwunderung ging noch auf ganz andre Gefühle über, als er zu sprechen begann.

Er stand unbewaffnet vor ihnen, ohne alle Furcht und Sorge, daß sein kühnes Unternehmen mißlingen könne. Er kannte seine Leute. Sie gehörten, wie ja er auch selbst, dem Abschaume der Menschheit an; sie besaßen weder Gefühl noch Gewissen oder Religion, denn was sie von der letzteren hatten, das bestand nur in der Befolgung äußerer Formen, deren Bedeutung sie kaum kannten. Ein abenteuerliches Leben hinter sich und auch vor sich, waren sie an alle Gefahren gewöhnt und schreckten vor nichts zurück, was ihnen irgend einen Vorteil bringen konnte. Sie waren also ganz die Leute, für welche der Plan des alten Feldwebels paßte.

Er schilderte ihnen ihr jetziges, resultatloses Leben, entwickelte ihnen seinen Plan, soweit er dies für nötig hielt, nannte ihnen die Vorteile, welche ihnen derselbe bringen mußte, versprach ihnen, solange sie in seinem Dienste bleiben würden, einen doppelt höheren Sold als denjenigen, den sie jetzt erhielten, und sagte ihnen endlich, daß Abd el Mot die ganze Beute abgenommen werden sollte, um verteilt zu werden. Als er sie dann fragte, ob sie bereit seien, ihm zu dienen, sagten sie dies jubelnd zu. Kein einziger schloß sich aus; kein einziger schien auch nur das allergeringste Bedenken zu hegen. Nur verlangten sie Merissah, um diesen glücklichen Tag feiern und sich berauschen zu können.

Ohne ihnen zunächst eine Antwort zu geben, nahm er sie in Eid. Da kein Fakir oder andrer Geistlicher zugegen war, holte er aus Abu el Mots Tokul einen für solche Zwecke vorhandenen Koran, auf welchen jeder einzelne die rechte Hand zu legen hatte. Ein solcher Schwur war ihnen als Moslemim heiliger als einer, welcher ihnen von einem Imam abgenommen worden wäre. Dann erst, als sie nun fest zu ihm gehörten, versagte er ihnen die Erfüllung ihres Wunsches nach dem betäubenden Getränk.

Er stellte ihnen vor, daß kein Augenblick zu verlieren sei, da Abu el Mot noch heute mit den angeworbenen Nuehr eintreffen könne. Er überzeugte sie von der Notwendigkeit, sofort an das Werk zu gehen, und verhieß ihnen aber für dann, wenn sie sich in genügender Entfernung befänden, nicht nur einen, sondern mehrere Freudentage.

Sie mußten einsehen, daß er recht hatte, und ergaben sich in das Unvermeidliche. Um sie für diese Entsagung zu belohnen, verteilte er eine solche Quantität Tabak unter sie, daß sie auf Wochen hinaus mit dem geliebten Genußmittel versehen waren.

Nun wurden die Waren und alles, was mitgenommen werden konnte, vor die Umzäunung geschafft und die Rinder herbeigeholt, um sie zu beladen. Das war eine lange und schwere Arbeit, die erst gegen Mittag überwältigt war. Dann befestigte man die Sklaven und Sklavinnen, von denen gegen dreißig da waren, mit gebundenen Händen an ein langes Seil, und der Zug war zum Aufbruche bereit.

Jetzt wurde Feuer an die Tokuls gelegt. Der Noqer, welchen Abu el Mot zu seinen Sklavenjagden per Wasser zu gebrauchen pflegte, wurde auch in Brand gesteckt. Die glühende Sonne hatte das Material so vollständig ausgedörrt, daß sich das Feuer mit rasender Schnelligkeit verbreitete, und bald auch den großen, äußeren Dornenzaun ergriff. Es war vorauszusehen, daß die Seribah nach Verlauf einer Stunde in einen glühenden Aschenhaufen verwandelt sein werde. Die große Glut trieb Menschen und Tiere fort. Der Zug bewegte sich in derselben Richtung, in welcher heute früh die Ghasuah nach Süden gezogen war. – –

Die erste Abteilung der letzteren, die Reiter, waren so schnell wie möglich der Fährte der beiden entflohenen Neger gefolgt. Der Fluß machte hier eine bedeutende Biegung nach links, also nach Osten; die Spur führte in fast schnurgerader Linie in eine baumlose Steppe hinein, deren kurzes Gras, von der Sonne verbrannt, wie vom Winde zerstreutes Heu am Boden lag. Der weit sich hinausdehnende Horizont war ringsum durch keinen einzigen erhabenen Punkt markiert.

Die Stapfen der Neger waren auf der harten Erde nicht zu erkennen; aber der Hund war seiner Sache gewiß, und geriet nicht für einen einzigen Augenblick in Unsicherheit.

Stunde um Stunde verrann. Die Strecken, welche man zurücklegte, wurden immer bedeutender, und noch immer war von den Flüchtigen nichts zu sehen. Sie mußten, wenn auch nicht im Galopp, doch immer im scharfen Trabe gelaufen sein, eine ganz außerordentliche Leistung, wenn man bedachte, daß sie einen Zeitvorsprung von nur zwei Stunden gehabt hatten.

Freilich waren die Pferde der Sklavenjäger bei weitem keine Radschi bak. Im Sudan verkommt die beste Pferderasse sehr schnell, teils infolge der Feuchtigkeit zur Regenzeit, mehr noch aber durch die unvernünftige Behandlung seitens der dortigen Völker und der außerordentlichen Stechfliegenplage. Berüchtigt sind die Baudah- und Surrehtafliegen.

Zur heißen Jahreszeit trocknet der Boden so aus, daß die Pferde kein Futter finden. Da ziehen sich die Fliegen an die Flüsse zurück. Dann aber, wenn sich die Vegetation zu regen beginnt, entwickelt sich die Insektenwelt, und besonders die Familie der Dipteren zu einer geradezu entsetzlichen Landplage. Ungeheure Schwärme stechender Mücken und Fliegen erfüllen die Luft und peinigen Menschen und Tiere auf das fürchterlichste. Die Pupiparen bedecken dann die Pferde, Rinder, Kamele und andre Tiere in so ungeheurer Menge, daß die Haut gar nicht zu sehen ist. Die Surrehta wird den Tieren geradezu lebensgefährlich; dasselbe sagt man auch von der berüchtigten Tsetse. Doch darf man ja nicht denken, daß der Stich oder Biß eines oder einiger dieser Insekten den Tod herbeiführt. Diese weitverbreitete Anschauung ist grundfalsch.

Geradezu undurchsichtige Mengen von Tabaniden, Culicinen, Sippobosciden, Musciden und wie sie alle heißen, hüllen die armen Tiere förmlich ein, so daß der ganze Körper derselben eine einzige große Wunde wird. Das unaufhörliche Ausschlagen, Stampfen und sich Bäumen ermüdet das befallene Tier, raubt ihm jede Ruhe und benimmt ihm auch den Appetit. Eine solche Tage, Wochen und Monate währende Tortur muß es krank machen, und schließlich umbringen. Der geringste Hautriß oder Satteldruck wird da zur jauchigen, von Maden wimmelnden Wunde, welche den Untergang des Tieres nach sich zieht. Die Pferde, Rinder und Kamele besitzenden Stämme ziehen um diese Zeit, um ihre Tiere zu retten, nach dem Norden.

Aus diesem Grunde und noch andern Ursachen wird man im Sudan selten ein gutes Pferd zu sehen bekommen. Auch diejenigen, auf denen die Truppe Abd el Mots ritt, waren von der letzten Regenzeit und der jetzigen Dürre so mitgenommen, daß große Ansprüche an sie nicht gemacht werden konnten. Man mußte sie öfters langsam gehen lassen; sie trieften von Schweiß und hatten kurzen Atem. Diesem Umstande allein hatten die beiden Neger es zu verdanken, daß sie nicht so schnell eingeholt wurden.

Gegen Mittag rückte der östliche Horizont näher. Ein schwarzer Strich, welcher sich dort zeigte, ließ auf Wald schließen. Der Bahr Djur-Arm des weißen Niles kehrte von seinem Bogen zurück. Die Gräser waren hier weniger dürr, und endlich traten einzelne Suffarahbäume vor die Augen. Diese Akazienart hat eigentümliche Anschwellungen an der Basis der Stacheln, aus denen sich die sudanesischen Jungens Pfeifen zum Spielen machen. Suffar heißt im sudanesischen Dialekte »pfeifen«; daher der Name dieses Baumes.

Der Hund lief, mit der Nase immer am Boden, ohne irre zu werden, zwischen den Bäumen hin, welche immer enger zusammentraten und endlich einen ziemlich dichten Wald bildeten, so daß die Pferde nun langsamer gehen mußten.

Hie und da gab es eine trübe Wasserlache, in deren Nähe der Boden feucht war. An solchen Stellen konnte man die Fußspuren der beiden Neger deutlich sehen. Ein Indianer oder Prairiejäger hätte aus diesen Eindrücken leicht bestimmen können, vor welcher Zeit die Flüchtigen hier gewesen seien. Dazu aber reichte der Scharfsinn der Sklavenjäger nicht aus.

Leider befanden die Verfolgten sich gar nicht weit vor den Verfolgern. Sie waren bis zum Tode ermüdet. Als sie den Wald gesehen hatten, war ihnen der Gedanke gekommen, daß sie nun gerettet seien. Sich umschauend, hatten sie da aber am nördlichen Horizonte den Reitertrupp bemerkt, was sie zu einer letzten großen Anstrengung spornte.

Sie rannten in den Wald hinein, um sich dort zu verstecken. Freilich mußten sie sich sagen, daß dies vergebens sei, da Abd el Mot jedenfalls einen oder mehrere Hunde bei sich hatte. Sie suchten das Ufer des Flusses auf. Lieber wollten sie ertrinken, als sich ergreifen lassen. Da aber sahen sie die ekelhaften Köpfe von Krokodilen aus dem Schlamm ragen. Nein, doch lieber gefangen und erschlagen, als von diesen Scheusalen zerrissen und verschlungen! Sie huschten, so schnell es ihre Kräfte erlaubten, weiter.

Da begann Tolo, welcher zwar scharfsinniger und klüger, aber körperlich schwächer als Lobo war, zu wanken.

»Tolo kann nicht weiter!« klagte er keuchend.

»Lobo wird dich halten,« antwortete sein Gefährte.

Er legte den Arm um ihn und zog ihn mühsam weiter.

»Rette dich allein!« bat Tolo. »Sie mögen Tolo finden, und du wirst entkommen.«

»Nein. Du mußt lieber gerettet werden als Lobo. Du bist klüger, und wirst dich leichter nach Ombula finden, um sie zu warnen.«

So ging es eine kleine Strecke weiter, bis Tolo stehen blieb.

»Der gute Schech im Himmel will es nicht haben, daß wir leben sollen,« sagte er. »Er will uns zu sich rufen. Tolo kann nicht mehr gehen; er muß hier liegen bleiben.«

»So wird Lobo dich tragen.«

Der selbst furchtbar ermattete Neger nahm den Freund auf seine Arme, und trug ihn fort; aber kaum war er zwanzig Schritte gegangen, so konnte er selbst nicht mehr. Er legte den Kameraden sanft auf die Erde nieder, blickte trostlos umher und klagte:

»Das Leben ist zu Ende. Bist du wirklich überzeugt, daß es da oben bei den Sternen einen guten Schech gibt, der uns lieb hat und bei sich aufnehmen wird?«

»Ja, das ist wahr,« antwortete Tolo. »Man muß es glauben.«

»Und wenn man gestorben ist, lebt man bei ihm?«

»Bei ihm und seinem Sohne, um niemals wieder zu sterben.«

»So ist er besser, viel besser als der Allah der Araber, welche nur Sklaven machen wollen und uns töten werden!«

»Sei ruhig! Er wird es sehen, wenn wir sterben, und herabsteigen, um uns hinauf zu sich zu holen.«

»Lobo würde wohl gern sterben, denn er hat keine Verwandten mehr, bei denen er sein kann; aber der Tod ist gar so schlimm: hier die Krokodile, und dort Abd el Mot, der Araber. Wer ist böser, sie oder er?«

»Es ist eins so schlimm wie das andre, das Krokodil wie der Araber, denn beide glauben nicht an den großen Schech und seinen Sohn, der für alle Menschen gestorben ist, um sie zu erretten.«

»Wenn Lobo dich dadurch erretten könnte, würde er sich nicht weigern, sofort zu sterben!«

»Du kannst mich nicht retten; wir sind verloren. Ich weiß noch den Anfang des Gebetes, welches man sprechen muß, bevor man stirbt. Tolo wird ihn dir sagen, und du mußt ihn nachsprechen, dann kommen wir beide zu dem großen Schech. Sage also: 'Ja abana iledsi fi ssemavati jaba haddeso smoka!'«

Er hatte die Hände gefaltet und blickte zu dem Genossen auf. Dieser legte seine Hände auch zusammen und sprach die Worte nach, doch nur in halber Andacht, wenn auch mit vollem Glauben an die Wirkung derselben. Dabei schweiften seine Augen suchend umher, und als er »haddeso smoka« sagte, leuchteten seine treuen Augen auf, als ob er etwas Gesuchtes gefunden habe. Er fuhr gleich fort:

»Wenn der Sohn des großen Schechs gestorben ist, um die Menschen zu retten, sollen wir es wohl auch thun?«

»Ja, wenn wir es können.«

»Und wenn Lobo dich retten könnte, was würdest du thun?«

»Tolo würde sich nicht von dir retten lassen, sondern lieber selbst sterben.«

»Aber wenn nur einer von uns beiden gerettet werden könnte, wenn der andre für ihn stürbe, so müßtest doch du es sein, der leben bleibt!«

»Nein, sondern du!«

»Vielleicht können wir beide entkommen?«

»Wie denn?«

»Siehst du diesen Subakh und den Lubahn, welche hier nebeneinander stehen? Ihre Äste sind eng miteinander vermischt, und das Laub ist noch so dicht, daß man zwei Menschen, welche da oben sind, gar nicht sehen kann. Wir wollen uns hinauf verstecken!«

Der Subakh (Combretum Hartmanni) ist ein mittelgroßer, schöner Baum mit dichten Zweigen und saftig grünen, in lange Zipfel ausgezogenen Blättern. Der Lubahn wächst noch höher; er ist die Boswellia papyrifera, aus welcher der afrikanische Weihrauch gewonnen wird.

Beide eng nebeneinander stehende Bäume bildeten eine einzige große und dichte Krone, daß sich zwei Menschen, zumal Schwarze, allerdings gut in derselben verbergen konnten, ohne von unten gesehen zu werden.

»Tolo ist zu schwach, um hinauf zu klettern,« antwortete der andre.

»Lobo wird dich heben; dann kannst du den untersten Ast fassen. Versuche es einmal!«

Er nahm seine letzten Kräfte zusammen und hob den Freund empor. Tolo, welcher nicht ahnte, daß Lobo den eines gläubigen Christen würdigen Gedanken gefaßt hatte, sich für ihn zu opfern, ergriff den Ast und kam glücklich auf denselben zu sitzen.

»Noch höher!« sagte Lobo. »Man sieht dich noch. Noch drei, noch vier Äste höher. Dort aber setzest du dich nieder, und umfängst den Stamm, um dich fest zu halten!«

Tolo kroch weiter hinauf, machte es sich bequem, und sagte dann:

»Nun komm auch du herauf!«

»Gleich, aber horch!«

Man hörte menschliche Stimmen und dann auch das Heulen eines Hundes. Es war ein blutgieriges Geheul.

»Sie kommen; sie sind da! Schnell herauf zu mir!« warnte Tolo voller Angst.

»Nun ist's zu spät,« antwortete Lobo. »Sie würden mich sehen. Ich muß mir ein andres Versteck suchen.«

»Dann rasch, aber rasch!«

Doch Lobo blieb stehen und sagte mit unterdrückter Stimme:

»Lobo hat gehört, daß ein solcher Hund, wenn er Blut gekostet hat, sofort den Geruch verliert. Dieser Hund soll Blut bekommen, damit er dich nicht riecht. Sei aber still!«

Ehe Tolo antworten und Einspruch erheben konnte, huschte der wackere Neger fort, nach einem andern Baume, um nicht an demjenigen gesehen zu werden, auf welchem Tolo saß. Das Geheul des Hundes ließ sich in großer Nähe hören. Pferde schnauften, und Menschen riefen einander zu.

Lobo entfernte sich noch mehr von den beiden Bäumen, und stellte sich so auf, daß er von dem Hunde, sobald dieser herbeikam, sofort erblickt werden mußte.

Der Wald gestattete nicht, daß zwei Reiter sich nebeneinander bewegen konnten. Die Sklavenjäger waren nicht abgestiegen, um ihre Pferde nicht zurücklassen zu müssen. Sie ritten einzeln, voran Abd el Mot mit dem Hunde. Sobald dieser erschien, setzte Lobo sich in fliehende Bewegung, damit man nicht erraten solle, daß er hier gestanden habe und sein Genosse sich noch in der Nähe befinden könne. Der Araber erblickte ihn.

»Scheitan!« schrie er auf. »Da läuft einer, und weiter vorn der andre, wenn ich mich nicht irre. Schnell nach, schnell nach!«

Er trieb sein Pferd an, gab aber glücklicherweise den Hund noch nicht frei. Die andern stürmten hinter ihm her, so schnell das Terrain es erlaubte. Der Hund zerrte mit wildem Ungestüm an der Leine und stieß dabei ein geradezu diabolisches Geheul aus. Die Araber brüllten um die Wette. Lobo schrie, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aus Leibeskräften. Tolo auf dem Baume stand eine schreckliche Angst um den Freund aus. Er schrie mit; doch zum Glücke wurde seine vor Ermattung schwache Stimme in dem allgemeinen Skandal gar nicht gehört. Die wilde Jagd ging an den beiden Bäumen vorüber, flußaufwärts weiter.

»Laß doch den Hund los!« brüllte einer der Reiter.

Abd el Mot hörte die Worte, zog das Messer, und schnitt die Schnur durch. Der Hund schoß mit doppelter Schnelligkeit dem Neger nach, dessen Absicht war, sich zerreißen zu lassen, um der Bestie den Geruch zu nehmen, wie er gesagt hatte. Doch jetzt kam ihm der Gedanke, ob es denn nicht möglich sei, das Tier zu töten. Er hatte doch heut schon einen Hund erstochen, warum nicht auch diesen? Hatten die Verfolger nur diesen einen mit, so war Rettung wohl noch möglich.

Auch er hatte den Ruf des Arabers gehört und ahnte, daß Abd el Mot demselben folgen werde. Da gab es keinen Augenblick zu verlieren. Er blieb stehen und lehnte sich an den Stamm eines Baumes, keuchend vor Aufregung, Müdigkeit und Atemlosigkeit. Er sah den Hund in großen Sätzen daherschnellen, die mit Blut unterlaufenen Augen stier auf sein Opfer gerichtet und aus dem Maule geifernd, und zog sein Messer aus dem Lendenschurze.

»Herab von den Pferden; wir haben ihn fest!« rief Abd el Mot, indem er sein Tier parierte und aus dem Sattel sprang.

Die andern folgten seinem Beispiele.

Jetzt war der Hund dem Neger nahe, noch drei, zwei Sätze, nur noch einen! Das blutgierige Tier warf sich mit aller Gewalt auf den Neger, und rannte – – da dieser blitzschnell nach links vom Baume wegtrat, mit dem Kopfe gegen den Stamm desselben, und prallte nieder. Ehe es sich wieder aufraffen konnte, kniete Lobo auf ihm und stieß ihm das Messer zwei-, dreimal ins Herz, wurde aber am linken Arme von den Zähnen gepackt.

Er riß sich von dem verendenden Tiere los, gar nicht darauf achtend, daß ein Stück Fleisch im Rachen desselben zurückblieb, und flog davon. Die Araber zeterten vor Wut und rannten ihm nach. Die Eile erlaubte ihnen nicht, von ihren Gewehren Gebrauch zu machen. Sie hätten stehen bleiben müssen, um zu zielen, und dabei nur Zeit verloren. Aber ihre Pistolen rissen sie heraus und drückten sie auf den kaum zwanzig Schritte vor ihnen befindlichen Neger ab. Ob eine Kugel getroffen hatte, war nicht zu ersehen, denn Lobo rannte weiter.

Aber er war matt bis auf den Tod, und sie besaßen noch ihre vollen Kräfte. Sie kamen ihm immer näher. Er sah sich nach ihnen um und bemerkte dies. Doch lieber zu den Krokodilen, als ihnen in die Hände fallen und zu Tode gepeitscht werden! Er lenkte also nach links ab, dem Ufer des Flusses zu.

Dieser machte hier eine Krümmung, an deren konkaven Seite die unmenschliche Hetze vor sich ging. Lobo erreichte das Wasser, und warf sich, einen Todesschrei ausstoßend hinein. Es spritzte hoch über ihn auf.

Wenige Augenblicke darauf langten seine Verfolger an derselben Stelle an. Sie blieben halten, die Augen auf das Wasser gerichtet.

»Er ist hineingesprungen, um uns zu entgehen!« rief einer enttäuscht.

»Uns entgeht er, ja,« antwortete Abd el Mot; »aber die Temasih werden ihn verschlingen. Paßt nur auf!«

Vom Ufer weg gab es eine vielleicht acht oder neun Ellen breite freie Strecke. Dann folgte die Spitze eines lang gestreckten Omm Sufah- und Schilffeldes, worauf wieder freies Wasser kam, welches von einer mitten auf dem Flusse an einer Schlammbank festgefahrenen Grasinsel begrenzt wurde.

Jetzt tauchte ganz in der Nähe der erwähnten Omm Sufahecke der Kopf des Negers auf. Er sah sich nach seinen Verfolgern um.

»Schießt, schießt!« rief Abd el Mot, worauf sein Nachbar das Gewehr an die Wange zog und schnell losdrückte.

Aber er war zu hitzig gewesen und hatte schlecht gezielt. Die Kugel schlug neben Lobo in das Wasser. Dieser hatte die Spitze erreicht, und umschwamm dieselbe mit einigen raschen Stößen. Dort hielt er an, als ob er über irgend etwas, worauf sein Auge fiel, erschrecke. Dann stieß er einen lauten, durchdringenden Schrei aus, den man ebensowohl dem Jubel, als auch der Todesangst zuschreiben konnte, und verschwand hinter dem Schilffelde.

»Was schrie er?« fragte einer der Araber.

»Er hat ein Krokodil gesehen,« antwortete Abd el Mot.

»Es klang, als ob er vor Freude geschrien hätte.«

»O nein, hier im Wasser gibt es nichts, worüber er sich freuen könnte. Da seht, dort kommt es geschossen. Seht ihr den Wasserstreif?«

Er deutete mit der ausgestreckten Hand nach der Grasinsel, von welcher aus sich eine Furche schnell über die freie Strecke nach dem Schilffelde bewegte. Die Spitze dieser Furche bildete die Schnauze eines riesigen Reptils.

»Ein Krokodil!« riefen mehrere zugleich. »Allah sendet ihn zur Hölle!« schrie einer der Sklavenjäger. »Et Timsah wird ihn holen und verspeisen!«

Jetzt verschwand das Krokodil hinter dem Rohre, und im nächsten Augenblicke hörte man einen wilden Schrei, dieses Mal ohne allen Zweifel den Schrei eines Menschen, welcher den Tod vor sich sieht.

»Es hat ihn; er ist dahin!« rief Abd el Mot. »Ihm ist noch wohl geschehen, denn ich hätte ihn in einen Termitenhaufen eingegraben, daß ihm das Fleisch bei lebendigem Leibe bis auf die Knochen abgefressen worden wäre. Aber was ihm nicht geschah, das soll Tolo geschehen, der sich noch da im Walde befindet. Diese beiden Schejatin haben mir die zwei besten Hunde getötet. Dafür wird nun Tolo eines doppelten Todes sterben!«

»Befindet er sich wirklich noch da?« fragte einer.

»Ja. Ich habe auch ihn gesehen. Er war dem Lobo noch voraus. Zwei von euch mögen die Pferde aus dem Walde führen, um uns draußen zu erwarten.«

Dies geschah. Dann begann die Suche von neuem.

Die beiden Negerjäger, welche sich außerhalb des Waldes bei den Pferden befanden, mußten wohl über eine Stunde warten, bis die andern zu ihnen kamen, aber – – ohne den Neger.

»Dieser Neger ist wie verschwunden,« knirschte Abd el Mot. »Wir haben bis jetzt nicht die geringste Spur von ihm entdeckt.«

»Aber du hast ihn doch vorher gesehen!« wurde ihm gesagt.

»Ganz deutlich sogar! Aber welches Menschenauge kann die Fährte eines nackten Fußes im Walde erkennen! Dieser Wald ist übrigens groß und zieht sich stundenweit am Wasser hin. Wer soll da suchen und finden!«

»So ist uns der schwarze Hund sogar lebend entgangen, während der andre wenigstens von et Timsah gefressen wurde!«

»Nein. Entkommen ist er nicht. Von hier aus zieht sich der Fluß fast gerade nach Sonnenaufgang, während Ombula gegen Süd und West liegt, wo wieder eine sehr große, freie Ebene ist. Über diese muß der Schwarze gehen. Wenn wir ihn haben wollen, brauchen wir nur hinauszureiten, um ihn dort zu erwarten.«

»Er wird des Nachts kommen, wenn wir ihn nicht sehen können!«

»So breiten wir uns aus, und bilden eine Kette. Dann muß er sicher auf einen von uns stoßen. Also vorwärts jetzt!«

Sie bestiegen ihre Pferde wieder und ritten gegen Süden davon. Der Umstand, daß er irrtümlicherweise überzeugt war, Tolo gesehen zu haben, hatte diesem vielleicht das Leben gerettet. Man hatte nur nach vorwärts, nicht aber nach rückwärts gesucht, wo die beiden Bäume standen. Hätte man auch die letztere Richtung eingeschlagen, so stand zu erwarten, daß der Neger bei der Aufregung, von der er wegen der Gefahr, in welche sich sein Freund für ihn gestürzt hatte, ergriffen worden war, entdeckt worden wäre. – Aber wo befand er sich? Noch auf dem Baume? Und war der todesmutige Lobo wirklich von dem Krokodile erfaßt und verzehrt worden?

Das hätte man am besten auf dem Flachboote erfahren können, welches um die Mittagszeit, oder kurz vor derselben, vom Negerdorfe Mehana den Fluß herabgerudert kam. Es war nicht groß und auch nicht allzuklein; es hätte wohl dreißig Personen fassen können, trug aber heute nur dreiundzwanzig. Davon waren zwanzig Neger, je zehn an jeder Seite, die Ruder führten. Am Steuer saß ein vielleicht sechzehn Jahre alter Jüngling von hellerer Hautfarbe, welche entweder auf arabische Abstammung oder gemischtes Blut schließen ließ. Die übrigen beiden waren Weiße.

Die Neger waren alle nur mit dem gebräuchlichen Lendenschurze bekleidet; sie hatten die wolligen Haare in kurzen, dünnen, wohl eingeölten Flechten rings um den Kopf hängen. Der Knabe am Ruder hatte schlichtes, dunkles Haar. Seine Kleidung bestand aus einem großen, hellen Tuche, welches er wie eine Toga um sich geschlungen hatte.

Daß die Fahrt keine friedliche war, oder daß diese Leute sich auf Feindseligkeiten gefaßt gemacht hatten, zeigten die Waffen, welche am Schnabel des Bootes zusammengehäuft waren. Dort saßen auch die beiden Weißen.

Der eine von ihnen trug einen Haïk mit Kapuze und hohe Stiefel, ganz genau der Anzug, welchen Doktor Schwarz getragen hatte. Er besaß auch die hohe, breite Gestalt desselben, und beider Züge hatten eine große Ähnlichkeit miteinander. Kurz, dieser Mann war Doktor Joseph Schwarz, welcher seinem Bruder den »Sohn der Treue« entgegengeschickt hatte, und ihm nun selbst entgegenfuhr, weil ihm die Ankunft desselben zu lange währte, und er besorgt um sein Schicksal geworden war.

Der andre trug graue Zeugschuhe, graue Strümpfe, eine graue, sehr weite und sehr kurze Hose, eine graue Weste, eine graue Jacke und einen grauen Turban. Grau war auch der Shawl, den er sich um die Hüfte geschlungen hatte. An ihm schien alles grau zu sein, selbst die Augen, die Gesichtsfarbe, das lange, bis auf die Brust herabhängende Halstuch und das dichte Haupthaar, welches unter dem Turban hervor bis zum Rücken niederfiel. Das Sonderbarste an ihm aber war seine Nase, eine Nase, wie man sie nur einmal im Leben, und auch das kaum, zu sehen bekommt.

Diese Nase war unbedingt ein sogenannter »Riecher«. Sie war entsetzlich lang, entsetzlich gerade und entsetzlich schmal und lief in eine förmlich lebensgefährliche scharfe Spitze aus. Sie glich dem Schnabel eines Storches, nur daß dieser nicht von grauer Farbe ist. Wer in Faschodah Gelegenheit gehabt hatte, den »Sohn der Treue« von Abu Laklak, dem »Vater des Storches« sprechen zu hören, der mußte hier unbedingt auf den Gedanken kommen, diesen Mann vor sich zu haben. Die beiden Weißen musterten mit Kennerblicken die Oberfläche des hier sehr breiten Flusses. Nichts entging ihren Augen, und besonders war der Graue wie elektrisiert, wenn irgend ein Vogel sich aus dem Schilfe erhob oder von einem Ufer nach dem andern kreuzte. Dabei ließen sie die Unterhaltung keinen Augenblick ruhen. Sie bedienten sich der deutschen Sprache, Schwarz des reinen Hochdeutsch, der Graue aber eines sehr kräftigen und dabei doch zutraulichen Dialektes, welcher irgendwo zwischen dem Thüringerwald, Böhmerwald, Innsbruck, dem Algäu und der württembergischen Grenze zu Hause sein mußte.

»Da gebe ich dir vollständig recht, lieber Doktor,« sagte Schwarz. »Wir haben daheim noch eine ganz falsche Vorstellung von diesen Sudanvölkern. Um sie kennen zu lernen, muß man zu ihnen kommen.«

»So gefallens dir gut, he?« fragte der Graue.

»Gar nicht übel.«

»Auch wanns Menschen fressen?«

»Auch dann, wenn sie nur mich nicht fressen. Sie haben gar keine Vorstellung von der Abscheulichkeit dieses Genusses; sie muß ihnen erst beigebracht werden. Nach geschlagener Schlacht verzehren sie die getöteten Feinde und behaupten dabei, es sei sehr gleichgültig, ob man dieselben in den Magen, oder in die Erde begräbt.«

»Na, mein G'schmack wär' das schon nit. Ich will doch lieber in der Erden liegen, mit einer hübschen Kapellen drauf, als im Magen eines solchen Kannibalen!«

»Ich auch, lieber Doktor. Du mußt aber wohl unterscheiden zwischen – –«

»Halt!« unterbrach ihn der Graue, indem er seine Nase wie ganz aus eigener, völlig selbständiger Initiative auf und nieder senkte. »Wannst mich nochmals Doktor nennst, so bekommst halt sogleich eine Waatschen, daß't denkst, deine paar Knöcherln halten Kaffeevisit! Du bist auch Doktor, aber nenn' ich dich so? Wozu die Komplimenten zwischen Leutln, die Brüderschaft trunken haben, wenn auch bloß in dera Merissah, die mir g'stohlen werden kann, nämlich aber nur dann, wenn ich einen guten Spatenbräu dagegen hab'. Du weißt doch, wie ich heiß'?«

»Allerdings,« lächelte Schwarz.

»Na also! In dera g'lehrten Welt bin ich als Herr Doktor Ignatius Pfotenhauer bekannt. Daheim, wo ich z'Haus bin, nennens mich nur den Vogel-Nazi, weil ich nun einmal eine ganz b'sondere Liebhaberei hab' für alles was da fleugt, aber nit kreucht. Hier z'Land heißens mich gar Abu el Laklak, den Vater des Storches, wegen meiner Nase, die mir aber ebensowenig feil ist, wie dir die deinige. Nachhero, weil ich dich einfach Sepp nenne, weil dein Vorname Joseph ist, so kannst mir auch die Lieb' und Güt' erweisen, mich Nazi, oder Naz, zu heißen, was bedeutend kürzer ist als Ignatius, mit vier Silben. Hast's verstanden?«

»Sehr wohl! Hoffentlich verspreche ich mich nicht wieder.«

»Das möcht' ich mir halt ausg'beten haben! Weißt, ich bin einmal ein b'sonderer Kerl, und so – – halt, siehst ihn fliegen?«

»Wen? Wo?«

Der Graue war eifrig aufgesprungen und rief erregt, indem er mit der Hand nach aufwärts deutete:

»Dort – hier – da kommt er g'flogen! Kennst ihn schon?«

»Ja. Es ist ein Perlvogel, Trachyphonus margaritatus

»Richtig! Hast's schon g'wußt. Weg ist er!« stimmte der Graue bei, indem er sich wieder niedersetzte. »Aber weißt auch wie die Eing'bornen ihn nennen?«

»Noch nicht.«

»Da hast wieder aan' Beweis, daß sie gar gute und auch g'spaßige Beobachter sind; sie benennen ihn und sie nach der Stimme, wanns schreien. Er schreit nämlich: bescherrrretu, bescherrrretu! Weißt, was das in dera hiesigen Sprachen bedeutet?«

»Ja, hast dein Kleid zerrissen, hast dein Kleid zerrissen!«

»Richtig! Das Weibchen sieht nämlich dunkel aus, und hat weiße Flecken drauf, was grad so ausschaut, als ob sie Löcher in dera Toiletten hätt'. Sie aber antwortet ihm hernach: baksi-ki, bak-si-ki! Was heißt das?«

»Näh's zusammen, näh's zusammen!«

»Auch das ist richtig. Wann der Volksmund mit solcher Naivität von denen Vögeln spricht, so möcht' man diese Leutln nur schwer für Menschenfresser halten.«

»Man bezeichnet die Niam-niam als solche. Aber ich habe nichts davon bemerken können.«

»Weils halt wissen, daß wir solchen Schmaus verabscheuen, drum lassens gar nix merken davon. Dennoch sind wir vollständig sicher bei ihnen. Sie thun uns alles mögliche z'lieb'. Das muß man anerkennen. Sie jagen Tag und Nacht, um mir Vögel zu bringen. Ich hab' sonst in Jahreszeit nit so viel g'sammelt, wie jetzt in aan' einzigen Monat.«

»Das wird wieder ein umfangreiches, gelehrtes Werk geben, nicht?«

»Ja, ich werd' schon was zusammenschreiben. Es hat noch keinen 'geben, der sich um die hiesige Vogelwelt groß kümmert hat. Diese Lück' möcht' ich ausfüllen.«

»Du bist der geeignete Mann dazu. Woher kommt denn eigentlich deine große Vorliebe für die Vogelwelt? Hat sie einen besonderen Grund?«

»Daß ich nit wüßt! Und woher's kommen ist? Hm! An meiner Wiegen hat man mir's freilich nit g'sungen, daß ich mich mal so auf die Ornithologie verinteressieren würd', und fünfzehn Jahre später auch noch nicht. Ich selber hab' auch nit dran gedacht, und erinnere mich noch heute mit Schreck an das erste ornithologische Abenteuer, das ich damals erlebte.«

»Was war das?«

»Das war – nun, dir kann ich's ja erzählen; sonst aber red' ich nimmer gern davon – das war, da ich als Gymnasiast in der Quart g'sessen bin. Der Professor für die Naturgeschicht' hat mich nit gern g'habt, weil ich ihn in meiner Dummheiten immer nach Dingen g'fragt hab', die kein Mensch beantworten kann.«

»Das kommt in diesem Alter häufig vor, ist aber meist ein Beweis von regem Wissensdrang.«

»Wissensdrang? Der Professor hat's halt immer Voreiligkeit und Neugierd' g'nannt, und nur auf eine G'legenheiten gesonnen, es mir heimzugeben. Das war zum Osterexamen. Ich hab' a neues Vorhemd ang'legt, und den neuen blauseidenen Schlips drumrum, und nachhero g'meint, daß ich mit diesem Staat das Examen schon b'stehen muß. Es ist auch ganz leidlich 'gangen, bis hin zu dera Naturg'schicht'n. Die Fragen wurden reihum g'richtet; als ich dran komm, erheb' ich mich, und was wird mich da der Professor fragen, he?«

»Nun, was denn?«

»Warum die Vögel Federn haben.«

»Ja, da hat er dir's freilich heimzahlen wollen. Was hast du ihm denn geantwortet?«

»Was ich g'antwortet hab'? Nun, zunächst hab' ich mir denkt, daß er – – halt, dort sitzt er! Siehst du ihn?«

Er war wieder aufgesprungen und deutete erregt nach dem Ufer, wobei seine Nase sich zur Seite bog, als ob sie sich ganz speciell für diese Gegend interessiere.

»Wer? Wo?« fragte Schwarz.

»Dort oben auf dem Sunutbaume, ganz auf der Spitze.«

»Ach so, ein Flußadler, Haliaetus vocifer, ein prachtvolles Tier!«

»Das ist er. Die Eingeborenen nennen ihn Abu Lundsch. Er frißt fast ausschließlich Fische, und weißt, wie die Leut' hier sein Geschrei verdolmetschen?«

»Nein.«

»Sef, Charif, jakull hut, hut. Wie heißt das auf deutsch?«

»Im Sef und Charif verzehre ich Fische.«

»Richtig! Auch hier hast wieder aan Zeichen von liebevoller Beobachtung der Natur. Die Negern sind gar nit so stupid und verständnisarm, wie man sie beschreibt. Wenn ich an deiner Stell' wär', so thät ich a Buch zu ihrer Ehrenrettung verfassen.«

»Das wird vielleicht geschehen, wenn ich die Zeit dazu finde.«

Jetzt wurde die Aufmerksamkeit der beiden auf den Steurer gelenkt, welcher ein kurzes Kommandowort aussprach, worauf die Schwarzen ihre Ruder einzogen.

»Wollen wir landen?« fragte ihn Schwarz, natürlich nicht in deutscher Sprache.

»Nein, Effendi,« antwortete er. »Hier landet man nie sofort, sondern man legt den Kahn erst für einige Zeit in das Schilf, um zu erspähen, ob sich keine Feinde am Lande befinden.«

»Und das willst du thun? Warum fahren wir nicht weiter?«

»Weil wir sonst zu weit an die Seribah Omm et Timsah kommen, wo Abd el Mot wohnt. Sieht er uns, so macht er uns zu Sklaven.«

»Das sollte er versuchen!«

»Er würde es nicht nur versuchen, sondern wirklich thun. Ihr beide seid kühne und kluge Männer, und wir verstehen auch unsre Waffen zu gebrauchen; aber er hat über fünfhundert Sklavenjäger bei sich, die wir nicht überwinden können. Wir würden dreißig oder vierzig, vielleicht auch noch mehr töten, von den übrigen aber erdrückt werden.«

Das klang so ruhig, klar und überlegt. Der Jüngling war gewiß seinen Jahren vorausgeschritten.

»So meinst du, daß wir nur des Nachts vorüberfahren können?« fragte Schwarz.

»Ja.«

»Aber das können wir doch auch am Tage thun. Wir rudern schnell und nehmen das Segel dazu.«

»Niemand kann wissen, wie der Wind in einer Stunde weht. Kommt er uns entgegen, so würde das Segel uns nur hindern, und auf die Ruder darf man sich nicht verlassen. Abd el Mot hat ein Schiff im Flusse liegen, welches er zwar geheim hält, aber ich weiß es doch. Er kann von seinem Ufer aus den Fluß aufwärts weit überblicken. Er würde uns also sehr zeitig bemerken, und braucht dann nur das Schiff nach der Mitte des Flusses zu steuern und die Trommel schlagen zu lassen, um uns sicher zu bekommen. Nein, wir müssen hier anlegen und die Nacht abwarten, dann können wir die gefährliche Stelle passieren.«

»Er kann uns auch dann zufällig bemerken.«

»Wenn wir Schilf und Zweige quer über das Boot legen, wird man es für eine losgerissene schwimmende Grasinsel halten. Erlaubst du also, daß ich gegen das Ufer steure?«

»Ja, thue es.«

Das Boot trieb mit dem Strome dem linken Ufer zu, fuhr an der bereits genannten, auf der Schlammbank lagernden Grasinsel vorüber, und gewann sodann den Rand des spitzen Feldes von Omm Lufah und Schilf, welches auch schon erwähnt wurde. Dort ließ man den eisernen, scharfen Bongoanker nieder, welcher sofort im Grunde festgriff und das Boot zum Stehen brachte.

Vom linken Ufer, in dessen Nähe es lag, konnte man es unmöglich sehen, weil das sehr hohe und dichte Rohr dazwischen stand. Das rechte Ufer war zwar weit entfernt, aber ein sehr scharfes Auge hätte es doch vielleicht zu erkennen vermocht; darum schnitten die Neger so viel Schilf und Rohr ab, um es vollständig in eine kleine Insel verwandeln zu können, welcher man es nicht ansah, daß der Grund derselben in einem vor Anker liegenden Kahne bestand.

Gesprochen wurde nur leise; dabei strengte man das Gehör an, um sich kein Geräusch am Ufer entgehen zu lassen. Man hatte die Maskierung des Bootes noch nicht beendet, da drangen unverständliche Laute herbei, welche einer menschlichen Stimme anzugehören schienen. Die Insassen des Bootes lauschten mit angestrengtester Aufmerksamkeit, bei sich selbst jedes Geräusch vermeidend.

Der junge Dumandschi erhob sich von seinem Sitze, um besser hören zu können.

»Es sind zwei Neger, welche dort am Ufer sprechen, nicht weit abwärts von uns,« sagte er leise.

»Woher weißt du das?« fragte Schwarz.

»Ich verstand nur wenige Worte, welche der Sprache der Belanda angehören, die nur von Schwarzen gesprochen wird.«

»Was sprachen sie?«

»Das weiß ich nicht. Die Worte gehörten mehreren Sätzen an. Rettung – sterben – Sklavenjäger, das habe ich gehört.«

»Ach! Vielleicht sind es verfolgte Sklaven.«

»Dann sind sie gewiß Abd el Mot entsprungen.«

»So müssen wir sie retten. Wir nehmen sie in unser Boot auf.«

»Das müssen wir uns vorher überlegen, Effendi. Ich bin bereit, jeden verfolgten Menschen zu retten, vorher aber muß ich überzeugt sein, daß ich mich damit nicht dem gewissen Tode in die Arme werfe. Gefahr kann ja dabei sein, vor ihr schrecke ich nicht zurück; aber einem sichern und voraussichtlichen Tode weihe ich mich nicht, denn dann wäre ja auch der, den ich retten will, mit verloren.«

»Du sprichst wie ein gelehrter und erfahrener Mann.«

»Spotte nur, aber gib mir recht. Horch!«

Man hörte jetzt wütendes Hundegebell und rufende Menschenstimmen.

»Scheitan! Da läuft einer, und weiter vorn der andre, wenn ich mich nicht irre. Schnell nach, schnell nach!« klang es deutlich herüber.

Das war der Ausruf Abd el Mots, als er Lobo erblickte. Dann folgte wütendes Hundegeheul und durcheinander brüllende Männerstimmen.

»Laß doch den Hund los!« rief jemand.

»Zwei Sklaven sind es, welche verfolgt werden!« sagte Schwarz. »Wir müssen sie retten!«

Er griff nach seiner Büchse. Auch der Graue nahm sein Gewehr und stimmte bei:

»Schießen wir die Halunken nieder!«

»Still, still,« bat der Steuermann. »Es scheinen der Verfolger gar viele zu sein, und jedenfalls gehören sie zu Abu el Mot. Wollen wir uns ihnen zeigen, ohne die Neger retten zu können? Das würde unklug sein. Und ehe wir den Kahn vom Anker losbringen und das Ufer erreichen, kommen wir zu spät, weil die Jagd schon vorüber ist. Horch! Ein Schrei. Da starb einer. Er sprang in das Wasser. Lebt er noch, so holen ihn die Krokodile!«

Er trat auf die Steuerbank; die andern stellten sich auf die Ruderbänke, um über das maskierende Schilf hinwegsehen zu können. In diesem Augenblicke kam Lobo um die Spitze des Schilffeldes geschwommen. Der Steuermann schob das Rohr mit den beiden Armen auseinander, um von ihm gesehen zu werden und winkte ihm. Lobo stutzte. Das war der Augenblick, an welchem seine Verfolger sagten, er müsse etwas gesehen haben. Der Schuß Abd el Mots fiel.

»Schnell, schnell – die Krokodile!« rief der Steuermann dem Neger zu.

Dieser sah einen Menschen scheinbar oberhalb des Wassers stehen. Seine Kräfte verdoppelten sich, und er schnellte sich mit einigen starken Stößen herbei. Schon ergriff er mit den Händen den Rand des Bootes, und mehrere Arme streckten sich aus, ihn hereinzuziehen; da warnte einer der Ruderer, welcher zufällig einen Blick hinaus auf den freien Strom und nach der Grasinsel geworfen hatte:

»Et Timsah, et Timsah, amal, amal – das Krokodil, das Krokodil, macht, macht!«

Glücklicherweise war der Mann so vorsichtig gewesen, nicht in lautem Tone zu sprechen.

»Von welcher Seite?« fragte der Steuermann schnell.

»Links«, antwortete der Ruderer.

»Schnell alle auf diese Seite nach links, sonst wirft es das Boot um!«

Lobo wurde förmlich emporgerissen; aber schon war das Tier da – ein gewaltiger Stoß gegen die linke Bootswand hätten die Insassen rechts gestanden, so wäre das Fahrzeug umgeworfen worden; so aber widerstand ihr Gewicht dem Stoße des gierigen Tieres – Lobos Unterschenkel geriet doch noch zwischen die vordern Zähne desselben, aber noch ehe es den Rachen vollständig schließen konnte, wurde er ihnen entrissen. Der Neger stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, den seine Verfolger für seinen Todesschrei hielten, und flog herein in das Boot, doppelt blutend, nämlich am Arme, wo ihn der Hund gepackt hatte, und am Beine, von welchem ein ganzes Stück der Wade fehlte. Er schloß die Augen. Es war über seine Kräfte gegangen, und eine Ohnmacht nahm ihn in ihre mitleidigen Arme.

»Ist er tot?« fragte Schwarz.

»Nein,« antwortete der Graue, welcher sich neben den Neger niedergekniet hatte, um ihn zu untersuchen. »Ein Biß in den Arm, ein Stück Fleisch aus dem Beine und Bewußtlosigkeit, das ist alles.«

»Still,« sprach der Steuerer. »Man spricht am Ufer.«

Sie horchten und vernahmen die Worte, welche dort gesprochen wurden. Sie hörten sogar die Schritte der sich dann Entfernenden.

»Einer ist gerettet, Gott sei Dank!« sagte Schwarz. »Aber der andre wird in ihre Hände fallen. Wie können wir das verhüten?«

»Wir brauchen es nicht zu verhüten,« antwortete der junge, kluge und umsichtige Steuermann. »Sie werden ihn nicht fangen.«

»Wie kannst du das behaupten?«

»Weil ich ihre Worte gehört habe. Sie haben zwei Hunde verloren. Dieser Neger hat ganz sicher einen getötet, denn er hält selbst jetzt noch das Messer fest in der Hand. Gäbe es noch ein Tier bei den Verfolgern, so wäre er nicht entkommen, sondern zerfleischt worden; auch wäre ihm der Hund gewiß ins Wasser nachgesprungen, um ihn festzuhalten. Gekämpft hat er mit so einem Negerfänger, das zeigt hier die Wunde an seinem Arme. Aus dem allen schließe ich mit Sicherheit, daß es dort am Ufer keinen Hund mehr gibt. Wie wollen sie da den andern Flüchtling finden, da der Wald viele Stunden lang ist, und sie seine Fährte nicht riechen können!«

»Du scheinst recht zu haben.«

»Ich glaube nicht, daß ich mich täusche. Warten wir hier also in unsrer Sicherheit ganz ruhig ab, was noch geschieht; dann werden wir wissen, was wir zu thun haben.«

Die beiden Deutschen mußten diesen Sudanesen aufrichtig bewundern. Er machte trotz seiner Jugend den Eindruck eines gereiften Denkvermögens, fast hätte man sagen können, den Eindruck von Überlegenheit. Dabei waren seine Bewegungen und Gesten so ruhig und sicher, wie seine Art, sich auszudrücken.

Der Graue hielt dem besinnungslosen Neger ein Riechfläschchen an die Nase. Das wirkte. Lobo begann sich zu bewegen.

»Tolo – halte den – – Stamm fest,« flüsterte er, doch ohne die Augen zu öffnen.

Selbst jetzt, noch in halber Ohnmacht, war er nur auf die Rettung seines Freundes bedacht! Pfotenhauer ließ das flüchtige Salz noch einmal wirken; da öffnete der Neger die Lider. Sein noch verschleierter Blick fiel in das männlich schöne, wohlwollend ernste Gesicht Schwarz'. Er schloß die Augen wieder und sagte lächelnd:

»Tolo – du lebst – und ich bin bei – – bei dem guten Schech über – – über den Sternen!«

»Er meint jedenfalls Gott,« sagte Schwarz. »Ob er ein Christ ist?«

»Christ oder Heide; er ist Mensch, und es soll ihm geholfen werden,« antwortete der Graue.

Er hob den Bugsitz empor, unter welchem sich ein Kasten mit Medikamenten und Verbandzeug befand und begann die beiden Wunden kunstgerecht zu verbinden, wobei ihm Schwarz mit gleicher Geschicklichkeit half.

In den oberen Nilgegenden werden selbst leichte Wunden, wenn sie eine Vernachlässigung finden, leicht lebensgefährlich. Das erhöht die Sterblichkeit dieser unter der Kriegs- und Mordlust ihrer Nachbarn leidenden Völker bedeutend.

Die Krokodilszähne hatten Fleischfetzen zurückgelassen, welche mit dem Messer entfernt werden mußten. Das konnte nur unter Schmerzen geschehen, infolge deren Lobo erwachte. Er sah sich im Kreise um.

»Weiße Männer und Sandeh!« sagte er, die Niam-niam an ihrer eigenartigen Haartracht erkennend. »Das sind keine Sklavenjäger!«

»Nein, wir sind keine,« beruhigte ihn Schwarz. »Du bist unter Freunden.«

»So – so ist Lobo nicht – gestorben?«

»Du lebst. Da draußen liegt das Ufer, von welchem aus du in das Wasser gesprungen bist.«

»Das ist ein – – ein Boot! Ja, ihr habt Lobo hereingezogen. Lobo besinnt sich jetzt. Ihr seid gute Leute. Aber wo ist Tolo?«

»Er wird auch gerettet sein, denn sie haben ihn sicher nicht gefunden.«

»Dann gleich, schnell zu den Bäumen gehen, wo er sich befindet!«

Er wollte aufspringen, aber die schmerzenden Wunden hinderten ihn daran; sie waren noch nicht einmal vollständig verbunden. Das Schicksal seines Gefährten bereitete ihm solche Sorge, daß er kaum beruhigt werden konnte; doch sah er ein, daß man nur sein Bestes wolle, und er sich fügen müsse. Während sein Verband vollends ausgeführt wurde, wobei er männlich die Schmerzen verbiß, mußte er erzählen, was geschehen war. Rührend war es dabei, ihn von dem guten Schech über den Sternen, von dessen Sohn, der für die Menschen gestorben sei, und auch von sich selbst, daß er sich für seinen Freund dem Tode geweiht hätte, erzählen zu hören. Als er geendet hatte, sagte Schwarz:

»Also Abu el Mot ist nicht auf seiner Seribah, aber nach derselben unterwegs? Das macht mich für meinen Bruder bange. Und Abd el Mot ist auch schon aufgebrochen? Da steht die Seribah fast verwaist da!«

»Man läßt stets fünfzig Mann daselbst zurück,« bemerkte Lobo.

»Die können uns nicht bange machen. Wir haben nun nicht nötig, den Abend zu erwarten und können noch am Tage weiterfahren.«

»So will Lobo heraus aus eurem Boote. Er muß bei Tolo sein!«

»Du? Du kannst nicht heraus. Du vermagst ja nicht einmal zu stehen, viel weniger zu gehen. Du mußt dich äußerst ruhig verhalten, wenn die Wunden sich nicht entzünden und lebensgefährlich werden sollen. Darum werden wir dich bei uns behalten und erst dann entlassen, wenn du vollständig geheilt sein wirst.«

»Das ist unmöglich! Lobo muß bei Tolo sein. Wo ist dieser?«

»Beruhige dich! Er ist gerettet. Du sagst, daß der Subakh und Lubahnbaum da rechts am Ufer stehen. Dorthin sind eure Verfolger nicht zurückgekehrt. Wir werden nach ihm suchen.«

»Er muß gefunden werden, denn er soll nach Ombula eilen, um die Leute dort zu warnen, da Lobo nicht mehr gehen kann!«

»Ich werde das Ufer betreten, um zu sehen, ob die Sklavenjäger noch da sind,« erklärte der Steuermann.

»Wir gehen alle; wir rudern das Boot die kurze Strecke hin,« antwortete der »Vater des Storches«.

»Das wäre unvorsichtig. Das Boot darf erst dann landen, wenn wir wissen, daß die Araber fort sind. Ich begebe mich allein hinüber.«

»So müßtest du schwimmen und würdest von den Krokodilen erfaßt werden.«

»Nein. Ich mache mir aus Schilf und Rohr schnell ein Kelek, auf welchem ich hinüberfahre. Das greift kein Krokodil an, wenn es nicht allzu klein ist. Ist es so groß, daß ich vollständig darauf Platz finde und kein Teil meines Körpers über den Rand weg in das Wasser ragt, so wird keins dieser Tiere sich um mich bekümmern.«

Er trieb mittels des Steuers das Boot etwas tiefer in das Schilfdickicht hinein und begann dann, Rohr für das Floß zu schneiden. Die Ruderer halfen ihm.

»Aber wenn sie noch da sind, kannst du leicht gesehen werden, und dann bist du verloren, denn entweder töten sie dich, oder sie machen dich zum Sklaven und führen dich fort,« warnte Schwarz.

»Sie werden keins von beiden thun,« antwortete der mutige Knabe. »Ich verstehe es, sie zu beobachten, ohne daß sie mich bemerken.«

Die Neger entwickelten eine große Fertigkeit im schnellen Flechten einer hinlänglich großen und dicken Matte, unter welche starke Schilfbündel befestigt wurden, die mehr als nur einen Menschen getragen hätten. Der junge Steuermann bestieg dieses Floß; er nahm ein Ruder mit, um es lenken zu können.

Er vermied es, aufwärts nach der Spitze des Schilffeldes zu rudern. Dort war Lobo in das Wasser gesprungen, und es stand zu erwarten, daß die Sklavenjäger, falls sie noch anwesend waren, ihre Aufmerksamkeit auf diese Stelle gerichtet hielten. Er gebrauchte vielmehr das Ruder einstweilen nur als Steuer. Auf dem Floße kniend, ließ er dasselbe geräuschlos abwärts gleiten, bis er eine Stelle erreichte, welche frei vom Schilfe war und ihm erlaubte, das Floß an das Ufer zu treiben.

Die Zurückbleibenden waren nicht ohne Sorge um ihn. Sie hätten sein Wagnis lieber selbst unternommen, mußten sich aber sagen, daß es für ihn nicht so groß sei, wie es für sie gewesen wäre. Im Falle eines Angriffs konnte er sich viel mehr auf ihre Hilfe, als sie sich auf diejenige ihrer afrikanischen Begleiter verlassen. Schwarz sagte in deutscher Sprache zu dem Grauen:

»Ein wackerer, kleiner Kerl! Beim geringsten Zeichen, daß ihm ein Unfall droht, heben wir den Anker und eilen ihm zur Hilfe!«

»Das versteht sich ganz von selbst,« stimmte der Genosse bei. »Der Junge ist mir ebenso lieb g'worden wie dir. Er hat so was Appartes, so was Vornehmes an sich. Möcht' wissen, was für ein Landsmann er ist. Ein Niam-niam g'wiß nit. Dazu passen seine G'sichtszüg' und auch die Hautfarben nit.«

»Auch ich werde nicht klug. Einmal möchte ich ihn für einen Mulatten, das andre Mal für einen Somali halten. Wenn ich ihn nach seiner Abkunft gefragt habe, wußte er mir stets auszuweichen.«

»Mir auch. Nit mal die Niam-niam, bei denen er doch wie ein Stammesgenosse lebt, wissen zu sagen, wo seine Heimat liegt. Er scheint sich also auch ihnen gegenüber in das G'heimnis g'hüllt zu haben. Aber daß sie ihn Abd es Sirr nennen, das läßt vermuten, daß sie seine Abkunft für eine arabische halten.«

»Dann wäre er also Mulatte, denn ein reiner Araber ist er nicht. Mir scheint, er hat Schreckliches erlebt. Er lacht nie; höchstens sieht man einmal ein kurzes, leises Lächeln auf seinen Lippen. Hast du ihn jemals spielen und tollen sehen wie andre seinesgleichen bei den Niam-niam?«

»Nie.«

»Ich auch nicht. Der finstere Ernst, den er stets zeigt, läßt vermuten, daß er die Erinnerung eines tragischen Ereignisses, unter welchem seine junge Seele schwer gelitten haben muß, in sich bewahrt. Den wenigen religiösen Übungen nach, die man bei ihm beobachtet, ist er Mohammedaner. Hast du ihn einmal beten hören?«

»Im Gebet gesehen hab' ich ihn bereits, g'hört aber noch nit. Er betet nit zu den vorg'schriebenen Zeiten, sondern nur dann, wann er meint, nit g'sehen und beobachtet zu werden.«

»Ich habe ihn zweimal belauscht. Er betete die Fathha; hinter den beiden Worten Weltenherr und Allerbarmer fügte er die gar nicht in diese Sure gehörenden Ausdrücke 'Mir itakam und Sabit el meglis hinzu. Das deutet darauf, daß er sich mit einer Rache trägt.«

»Das hab' auch ich schon gedacht. Wann er glaubt allein zu sein, so brütet er finster vor sich hin und ballt und dreht dabei die Fäust', als ob er einen da hätt', den er erwürgen wollt'. Dabei verdreht er die Augen und knirscht mit den Zähnen, daß man schier meinen möcht', er – – – halt, schau mal! Da kommens g'flogen! Kennst sie auch bereits?«

Er war aufgesprungen, und deutete erregt auf eine Vogelschar, welche quer über den Fluß geflogen kam. Indem er mit den Augen dem Fluge derselben folgte, bewegte sich auch seine lange Nase von der rechten nach der linken Wange, als ob sie für sich ebenso diese genaue Beobachtung machen wolle.

»Ja, ich kenne sie,« antwortete Schwarz. »Es sind Bienenfresser, Merops caeruleo cephalus. Herrliche Vögel! Siehst du ihr prachtvolles Gefieder in der Sonne wie lauter Smaragde und Rubine funkeln?«

»Natürlich schau ich das gerade so wie du. Weißt auch ihren hiesigen Namen?«

»Ja. Man nennt sie Dschurull.«

»Warum?«

»Weil ihre Stimme gerade wie diese zwei Silben klingt.«

»Hast recht; bist kein übler Vogelkenner. Jetzt sinds weg, in die Bäum' hinein.« Er setzte sich wieder nieder, wobei seine Nase sich in ihre ordnungsmäßige Lage zurückbegab, und fuhr fort: »In Europa gibt's nur a einzige Art des Bienenfressers, Merops apiaster, mit weißer Stirn, blauem Augenstreif, blaugelbem Kinn, meerblauer Brust und grünblauen Handschwingen. Ich thu mich gerade für diese Vögerl außerordentlich verinteressieren, weil so a Merops der erste Vogel war, den ich 'zeichnet und dann wieder auf den Rücken g'malt erhalten hab.«

»So? Von wem?«

»Vom Professor'n der Naturg'schichten. Ich hatt' mir von ihm a Buch ausg'borgt, in dem ein Bienenfresser in Holzschnitt abg'bildet war. Es hat mich verdrossen, daß er so schwarz ausg'schaut hat; darum nahm ich schnell den Malkasten her und hab' das Bild so bunt ang'strichen, daß dabei die Farben fast ausgang'n sind. Nachher hat der Professor das entdeckt und mich mit in seine Stub' g'nommen, wo er mir mit dem Lineal den Merops so nachhaltig auf den Rücken koloriert hat, daß mir darüber das G'sicht und G'hör vergangen ist. Dieses Konterfei konnt' ich zwar nicht sehen, weil's eben auf dem Rücken war, aber so grün und blau wie der Merops ist's sicher g'wesen, und g'fühlt hab' ich's noch wochenlang. Dieser Professor hat überhaupt einen g'heimen Blitz auf mich g'habt, weil ich ihn immer nach Dingen g'fragt hab', die er nit beantworten konnt'. Dafür hat er mich dann im Examen tüchtig ausg'wischt. Hab' ich's dir vielleicht schon verzählt?«

»Nein,« antwortete Schwarz sehr ernst.

»Nun, ich sprech gar nie davon, dir aber kann ich's schon mal sagen. Das war, als ich in der Quart' g'sessen bin. Weil's Examen 'geben hat, hab' ich ein reines Chemisetten umg'bunden und dazu den neuen, schönen Schlips um den Hals, denn ich hab' denkt, daß es mir, so trefflich herausg'putzt, gar nit fehlen kann. Aber es ist halt anders kommen. Nämlich als ich an die Reihe kam und deshalb aufg'standen bin, um die Frag' in schuldiger Ehrfurcht entgegen zu nehmen, was hat der Professorn da g'sagt?«

»Nun, was?«

»Warum die Vögel Federn haben, hat er mich g'fragt.«

»Das war freilich für dich eine heikle Sache. Was hast du geantwortet?«

»Was ich für eine Antworten geben hab'? Nun, zunächst hab' ich die Augen zug'drückt und g'wartet, ob mir vielleichten ein Einfall kommen will, und sodann, als keiner 'kommen ist, hab' ich – – –«

»Abd es Sirr!« rief in diesem Augenblick einer der Ruderer, den Grauen unterbrechend, indem er mit der Hand flußaufwärts deutete.

Der Steuerer kehrte zurück. Er hatte sein Floß am Ufer aufwärts geschafft und kam nun auf demselben um die Spitze des Schilffeldes und auf das Boot zu getrieben. Als er dasselbe erreicht und sich hineingeschwungen hatte, meldete er:

»Der Wald ist leer; ich habe keinen Feind gesehen.«

»Auch Tolo nicht?« fragte Lobo besorgt.

»Nein; aber wir werden nun nach ihm suchen und ihn gewiß finden. Ich ging bis vor die Bäume hinaus und sah Reiter, welche sich über die Chala entfernten.«

»In welcher Richtung?« fragte Schwarz.

»Zwischen Süd und West.«

»So sind sie fort. Hoffentlich befindet sich Tolo nicht als Gefangener bei ihnen. Wir wollen sofort an das Ufer und nach ihm forschen.«

Der Anker wurde aufgewunden und das Boot an das Land gerudert. Lobo konnte nicht den Führer machen, da ihn seine Wunde am Gehen verhinderte. Er blieb also bei den beiden Schwarzen, welche zur Bewachung des Fahrzeuges zurückgelassen wurden, beschrieb aber den Ort, an welchem der Subakh- und der Lubahnbaum stand, so genau, daß die Suchenden nicht fehlgehen konnten.

Schwarz hatte sein Fernrohr mitgenommen. Er führte seine Begleiter zunächst bis an den Rand des Waldes, um sich zu überzeugen, daß der Steuermann richtig beobachtet habe. Er kam noch zeitig genug, um die abziehende Sklavenjägerschar durch die Gläser zu erkennen. Dann wurden die beiden Bäume aufgesucht.

Es war im Walde kein Laut zu hören; nur vom jenseitigen Ufer klang das »Nuk-nuk, kur-nuk« eines Pfauenkranichs herüber. Doch als sie die erwähnten Bäume erreichten, hörten sie ein leises, leises Wimmern in der Luft. Es kam aus den dichten Zweigen, deren Belaubung die Gestalt des Obensitzenden nicht zu erkennen erlaubte.

»Tolo, bist du da oben?« fragte Schwarz.

Es erfolgte keine Antwort, doch wurde das Wimmern lauter. Da die Wiederholung der Frage denselben Erfolg hatte, schwang Schwarz sich auf den untersten Ast und kletterte dann weiter hinauf. Er sah den Schwarzen über sich sitzen, die Arme krampfhaft um den Stamm geschlungen.

»Wir suchen dich; komm herab!« rief er ihm zu.

Der arme Mensch schrie wie in höchster Todesgefahr auf und antwortete:

»Tolo tot machen, immer Tolo tot machen, aber nur Lobo leben lassen. Lobo ist gut, hat Tolo retten wollen!«

»Ihr seid beide gerettet. Komm herab; es geschieht dir nichts. Wir sind deine Freunde und werden dich beschützen.«

»Das ist nicht wahr. Du bist weiß; du bist ein Araber, ein Sklavenjäger; du gehörst zu Abd el Mot!«

»Nein, ich bin sogar sein Feind. Ich meine es gut mit dir; ich will dich retten. Komm mit mir herab!«

»Tolo kann nicht klettern; Tolo ist jetzt viel zu schwach dazu.«

»So werden wir dir helfen.«

Der Schwarze war durch die Anstrengung der Flucht und die darauf folgende große Angst um seinen Freund so ermattet, daß er sich wirklich kaum mehr festzuhalten vermochte. Schwarz rief zwei Niam-niam zu sich herauf und dann gelang es der vereinten Kraft der drei Männer, den armen Menschen vom Baume auf die Erde zu schaffen.

Er sah noch immer nicht ein, daß er gerettet sei. Er wollte es trotz aller Versicherung nicht glauben und wimmerte unaufhörlich fort. Er konnte kaum gehen und mußte unterstützt werden, als man jetzt zu dem Boote zurückkehrte. Am Ufer angekommen, sah er Lobo auf der Ruderbank liegen. Einen lauten Schrei der Freude ausstoßend, brach er bewußtlos zusammen. Er mußte in den Kahn getragen werden.

Lobo war außer sich vor Entzücken, als er sah, daß sein Freund gerettet sei. Zugleich aber verursachte ihm die Bewußtlosigkeit desselben große Sorge. Die beiden Deutschen beruhigten ihn durch die Versicherung, daß Tolo bald wieder erwachen werde.

Dies geschah allerdings in sehr kurzer Zeit; der Schwarze erwachte, aber die Besinnung war ihm nicht zurückgekehrt. Er wand sich hin und her, stöhnte und wimmerte, und bat unausgesetzt um Gnade für seinen Freund Lobo. Die Gefangenschaft, die Anstrengung der Flucht und die Aufregung während der Verfolgung hatten ihn so angegriffen, daß seine Kräfte nun zu Ende waren. Der Arzneikasten mußte wieder geöffnet werden; der Neger erhielt ein beruhigendes Mittel, worauf er in Schlaf verfiel. Er wurde neben Lobo gebettet, welcher die Ruderbank verlassen mußte, und in der Mitte des Bootes einen Lagerplatz erhielt.

Jetzt wurde über das, was vorzunehmen sei, eine Beratung gehalten. Lobo drang darauf, daß ein Bote zu den Bewohnern des Dorfes Ombula gesendet werde, um diese vor den Sklavenjägern zu warnen. Er selbst konnte nicht gehen, Tolo ebensowenig. Von den Niam-niam wollte sich keiner dazu verstehen, den gefährlichen Auftrag zu übernehmen, sie kannten den Weg nach Ombula nicht und hatten überhaupt keine Lust, das Risiko zu übernehmen, unterwegs in Gefangenschaft und Sklaverei zu geraten. So blieben nur die beiden Deutschen übrig. Abd es Sirr, der »Sohn des Geheimnisses«, hörte den Verhandlungen zu, ohne ein Wort zu sagen. Er war überhaupt ein schweigsamer Mensch, und pflegte nur dann zu sprechen, wenn er gefragt wurde, oder wenn er es für nötig hielt.

»Was ist da zu thun?« fragte Schwarz in deutscher Sprache. »Die Sorge für unsre eigene Sicherheit verbietet, uns mit dieser Angelegenheit zu befassen; aber die Menschen- und Christenpflicht gebietet das Gegenteil. Sollen wir ein ganzes großes Dorf, welches wir retten können, der Vernichtung anheimfallen lassen? Was sagst du dazu, Doktor?«

Die Nase des Grauen stieg mit ihrer Spitze in die Höhe, als ob sie mit ihren beiden weiten Löchern den Sprecher zornig anblicken wolle; die Augenbrauen zogen sich finster zusammen, und dann erklang es im unwilligsten Tone:

»Weißt, wannst mich in dera Wildnis nochmal Doktor schimpfst, so hau ich dir a Backpfeifen ins Fenster, daß alle Scheiben entzwei gehen, du Malefizbub, du! Ich sag' Sepp zu dir, folglich hast du mich Naz zu nennen, und wann dir das nit g'fallt, so kannst gehen, wohin d' willst! Verstanden?«

»Entschuldige noch dieses Mal; es soll nicht wieder geschehen!« lachte Schwarz.

»Das will ich mir ausg'beten haben. Man muß jedem seine Ehr' geben; aber unter Freunden bedarf es keiner Titel und Komplimenten. Oder willst die Brüderschaft, die wir g'macht haben, etwa wieder aufheben?«

»Das kann mir nicht einfallen!«

»Schön! Wärst auch übel dabei wegkommen, denn ich hätt' dich von nun an nicht wiederum Sie, sondern blos nur Er genannt. Und was nun dieses Ombula betrifft, so werd' ich mal nachschauen, ob ich es auf dera Karten find'. Ich weiß nur, daß es im Gebiet der Belandaneger liegt.«

Er zog eine alte, vielgebrauchte und abgegriffene Karte aus der Tasche, faltete sie auseinander, breitete sie auf seine Kniee aus und begann sie zu studieren, wobei sich seine Nase so eifrig von einer Seite nach der andern bewegte, als ob sie die Absicht habe, den Ort noch eher zu entdecken, als der Name desselben von den Augen erblickt wurde.

»Steht nicht da,« sagte Pfotenhauer nach einer Weile, indem er die Karte wieder zusammenlegte und in die Tasche steckte. »Die Belanda wohnen zwischen den Bongo und den Niam-niam, also südwestlich von hier, wohl gegen die Pambisaberge hin; aber wo das Dorf Ombula steht, davon find' ich auf dera Karten nix und in meinem Kopf noch viel weniger.«

»Pambisa!« rief Lobo, welcher zwar kein Wort der deutschen Rede verstanden, aber diesen Namen herausgehört hatte. »Dort ist Ombula.«

»Also dort?« antwortete Schwarz. »Wie weit von hier?«

»Drei Tagereisen von der Seribah Omm et Timsah.«

»Also zwei und eine halbe von hier aus. Eine Warnung unsrerseits würde zu spät kommen. Die Sklavenjäger haben Reittiere, wir aber nicht. Wollte einer von uns diesen Weg machen, so müßte er gehen, und sie würden also vor ihm dort sein.«

»Nein,« sagte der Steuerer, indem er sich zum erstenmal in dieser Angelegenheit hören ließ. »Man kann doch noch eher hinkommen, als die Araber.«

»In welcher Weise?«

»Auf einem schnellen Reitkamele.«

»Aber wir haben doch keins.«

»Das Volk der Dschur besitzt in dieser Jahreszeit Kamele. Ich kenne ein Dschurdorf, welches westlich von der Seribah Omm et Timsah liegt. Wenn wir es aufsuchen, können wir ein Kamel, oder auch mehrere kaufen, oder geliehen bekommen.«

»Liegt dieses Dorf weit von der Seribah?«

»Nein. Die Bewohner sind von Abu el Mot bezwungen worden; sie müssen ihm dienen, er bezahlt sie dafür; aber wenn sie können, ohne daß es verraten wird, sind sie sehr gern bereit, ihn in Schaden zu bringen.«

»Würden sie wohl dazu zu bringen sein, aus ihrer Mitte einen Boten nach Ombula zu senden?«

»Nein, denn sie befinden sich mit den Bewohnern des Belandalandes in Feindschaft. Sie würden sich von dir bezahlen lassen, und den Boten auch wirklich vor deinen Augen absenden; aber er würde gewiß sehr bald umkehren. Wir sind gezwungen, einen von uns zu senden. Ich hätte mich dazu bereit erklärt, aber ich muß im Boote bleiben, da keiner von euch den Fluß kennt, und also steuern könnte.«

»So kommen nur wir beide in die engere Wahl,« sagte Schwarz zu dem Grauen. »Meinst du, daß wir uns mit dieser Angelegenheit befassen?«

»Natürlich! Erstens ist es unsre Pflicht, den Bedrohten zu helfen, und zweitens wird es mir eine wahre Passion sein, diesem Abd el Mot eine Nase zu drehen, die fast noch größer ist, als die meinige. Ich werde also schauen, daß ich ein Kamel bekomme, und dann nach Ombula reiten.«

»Das kann ich nicht zugeben. Ich habe dieselbe Verpflichtung, wie du. Die Sache ist außerordentlich gefährlich, und so mache ich den Vorschlag, daß wir losen.«

»Hab' nix dagegen. Gefahr gibt's hier überall. Ob ich mit dem Boote deinem Brudern entgegenfahr', oder ob ich nach Ombula reit', das ist schnuppe; denn hier wie dort kann's einem ans Leben gehen.«

»So nehmen wir zwei Stücke Schilf, ein langes und ein kurzes, und dann –«

»Nein!« fiel ihm Pfotenhauer in die Rede. »Wir selbst wollen das Los nit machen. Die Vögel mögen zwischen uns entscheiden. Paß auf, wann wieder einer über den Fluß kommt. Fliegt er von drüben herüber, so gilt's für dich; fliegt er aber von hier hinüber, so mußt du die Botschaft übernehmen. Soll's so gelten?«

»Ja, ich bin einverstanden. Zugleich wollen wir die unterbrochene Fahrt wieder aufnehmen, damit wir sobald als möglich das Dorf der Dschur erreichen.«

Die Niam-niam erhielten den Befehl, zu den Rudern zu greifen. Auch wurden sie aufgefordert, auf die Vögel aufzupassen. Der »Sohn des Geheimnisses« erklärte:

»Da nur fünfzig Männer in der Seribah zurückzubleiben pflegen, so brauchen wir uns nicht zu fürchten. Wir können uns sehen lassen und ganz offen vorüberrudern. Dann legen wir am linken Ufer unterhalb der Seribah an, verbergen das Boot im Schilfe, und ich führe euch zu dem Dorfe, dessen Schech ich kenne.«

Er steuerte das Boot nach der offenen Mitte des Stromes, und dann flog es, von den Rudern getrieben, wie ein Pfeil den Fluß hinab.

Die Arznei hatte gewirkt. Tolo lag im tiefen Schlaf, und auch Lobo schloß die Augen und schlief ein. Er wußte, daß jemand seine Landsleute warnen werde und fühlte sich nun von der Sorge frei, welche ihn so schwer bedrückt hatte.

Die beiden Deutschen saßen still am Bug des Fahrzeuges. Die bevorstehende Trennung sollte nur eine kurze sein, konnte aber auch eine lebenslängliche werden. Der »Vater des Storches« arbeitete innerlich; das war seinem Gesichte abzunehmen, welches sich von Minute zu Minute in andre Falten legte. Die Nase war unausgesetzt thätig. Bald blickte sie nach rechts und bald nach links, bald hob und bald senkte sie sich. Er half mit der Hand nach, schob sie herüber und hinüber, räusperte sich, schluckte und knurrte leise vor sich hin und sagte endlich:

»Wann's einem so zu Herzen geht, da mag der Teuxel Schlittschuh fahren! Wir müssen bald aus'nander, und keiner weiß, ob er seinen guten Kameraden jemals wiederschaut. Aber was soll man machen? Ich würd' mich für den Schuldigen halten, wenn diese Schwarzen getötet oder in die Sklaverei geschleppt würden, ohne daß wir den Versuch g'macht hätten, sie zu warnen.«

»Mir ergeht es ebenso. Übrigens darf man sich die Sache nicht so gefährlich vorstellen. Es reitet einer von uns nach Süden, und gibt sich Mühe, unterwegs nicht in feindliche Berührung zu kommen. Das ist doch nicht allzu schwer.«

»Nein. Doch wenn die Mühe vergebens ist, und er kommt doch mit Feinden zusammen, so ist er allein und wird ausg'löscht, ohne daß der andre ihm helfen kann. Ich wollt', das Los thät' mich treffen. Lieber will doch ich derjenige sein, den es trifft.«

»Nimm es doch nicht so schwer, alter Freund!«

»Schweig! Wann ich einen lieb hab', so seh' ich ihn nicht gern einer Gefahr entgegengehen, in der ich ihm nit beistehen kann. Das kannst dir doch denken, und – – halt, schaust sie? Da kommen's g'flogen!«

Er war aufgesprungen und deutete nach dem jenseitigen Ufer, von welchem eine ganze Schar schreiender und kreischender Vögel herübergeflogen kam. Seine ausgestreckte Hand folgte der Richtung ihres Fluges, und seine Nase, welche sich erhoben hatte, that ihrerseits ganz dasselbe.

»Kennst sie?« fragte er.

»Ja. Es sind Sporenkibitze, Hoplopterus spinosus

»Richtig! Du bist gar kein übler Vogelkenner. Es ist selten, daß sie um diese Zeit so hoch in die Luft gehen. Jedenfalls sind's da drüben von einem Nilpferd aufg'scheucht worden. Weißt auch, wie sie hier zu Lande heißen?«

»Siksak.«

»Und warum?«

»Weil sie so schreien.«

»Hast recht. Dieses Sik-sak, sik-sak, wann man's am Morgen aus hundert Schnäbeln hört, klingt grad so, als ob der Fuchs seinen Namenstag feiert. Jetzt sind's herüber und im Schilf verschwunden, wo sie im Morast nach Schnecken suchen.«

Da er die Vögel nicht mehr sah, setzte er sich wieder nieder und fuhr fort:

»Ich will hoffen, daß wir im Dorf der Dschur wirklich a schnelles Kamel bekommen. Der von uns, den es trifft, hat sich für sechs Tag' mit Proviant zu versehen. Der andre aber hat zu warten und auf deinen Bruder aufzupassen. Aber wo soll er das thun? In der Nähe von der Seribah Omm et Timsah kann er es nicht thun.«

»Nein, das kannst du nicht, weil die Besatzung der Seribah dich nicht sehen darf,« antwortete Schwarz, indem er leise lächelte. »Du wirst vielmehr weiter hinab bis nach der Seribah Madunga fahren, deren Bewohner unser Steuermann kennt. Er sagte, daß wir dort gut aufgenommen würden. An dieser Seribah muß mein Bruder vorüberkommen; du kannst ihn gar nicht fehlen, falls er eher kommt, als ich von Ombula zurückkehre.«

»Du?« fragte der Graue erstaunt.

»Ja, ich!«

»Du willst nach Ombula? Nit ich soll hin? Wer hat denn das g'sagt?«

»Du selbst hast es so angeordnet.«

»Ich? Ist mir im ganzen Leben gar nit eing'fallen!«

»Oho! Wer hat denn bestimmt, daß der Flug der Vögel entscheiden soll?«

»Ich.«

»Nun, er hat doch entschieden!«

»Davon weiß ich nix. Willst mir wohl 'was weiß machen? Denkst wohl, daß ich so a Firlfax bin, der – – –«

Er hielt inne, machte den Mund weit auf und starrte den Gefährten eine ganze Weile sprachlos an. Die Spitze seiner Nase hob sich auch empor, als ob sie ebenso betroffen sei wie ihr Herr. Dann platzte er los:

»Meiner Seel', daran hab' ich ja gar nit mehr g'dacht! Die Sporenkiebitz' sind doch übers Wasser g'flogen!«

»Na, also! Und in welcher Richtung?«

»Von drüben herüber.«

»Also bin ich es, auf den das Los gefallen ist. Das gibst du doch zu?«

»Ich muß wohl. Aber dieses nixnutzige G'sindel hätt' auch was Bessers thun können, als da herüber zu kommen. Wär' mir die Flint' zur Hand g'west, so hätt' ich sie alle mit'nander derschossen! Wollen wir nit lieber nochmal losen?«

»Nein. Ich bin für den Ritt bestimmt und werde ihn also ausführen.«

»So mag sich von heute an kein Kiebitz mehr vor mir sehen lassen, sonst knall ich ihm eins auf den Frack, daß ihm der Atem vergeht! Wer hätt' denken können, daß das Los dich treffen thät!«

»Warum sollte es dich leichter als mich treffen?«

»Weil ich's so schlau darauf ang'fangen hab'.«

»Wieso?«

»Ich hab' g'sagt, wann der Vogel von hier hinüberfliegt, so soll ich g'meint sein. Ich hab' mir natürlich g'dacht, daß wir auf unsrer Seiten hier mit dem Boote die Vögel aufstören werden.«

»Dann hast du dich freilich verrechnet, denn ein aufgestörter Vogel wird nicht über unser Boot hinweg nach dem fernen rechten Ufer fliegen, sondern vielmehr das nahe, linke aufsuchen.«

»Dann darf's nix gelten, weil meine Dummheit schuld ist, daß dich's 'troffen hat.«

»Nein, lieber Freund, es gilt. Gib dir keine Mühe! Sie würde unbedingt vergeblich sein.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»So lang mal her und gib mir aane Ohrfeigen, aber a tüchtige! Ich hab's verdient. Wann dir was Böses g'schieht, so werd' ich nie im Leben wieder Ruhe finden! Aber so ist's! Man denkt wunder wie g'scheit man ist, und daß man den Sack bei allen vier Zipfeln hat, und doch macht man Fehler, die kein Schulbub' größer machen kann.«

Er senkte den Kopf und zog die graue Bedeckung desselben so tief in die Stirn, daß man von seinem Gesichte nur die Nase sah. Aus der fortwährenden Bewegung, in welcher sich dieselbe befand, war zu schließen, daß er sich mit allerhand reuevollen Gedanken beschäftigte, denen er aber keinen Ausdruck gab. Er blieb von jetzt an in beharrliches Schweigen versenkt und erhob selbst dann den Kopf nicht, wenn eine Schar von Vögeln über ihn dahin rauschte. Das war das sicherste Zeichen, daß er ungewöhnlich tief in sich versunken sei.

Der Strom floß rasch, und die muskulösen Arme der Neger setzten die Ruder so kräftig in Bewegung, daß es schien, als ob die Ufer an dem Boote vorüber förmlich aufwärts flögen. Dabei veränderte sich die Scenerie nicht im mindesten. Drüben, zur rechten Hand, sah man nur Schilf und wildes Zuckerrohr, während am linken Ufer der Wald ununterbrochen folgte.

So verging die Zeit. Die Sonne hatte den Zenith längst hinter sich und warf bereits die Schatten der Bäume über die Flut. Da lenkte der Steuerer das Boot mehr dem rechten Ufer zu. Schwarz bemerkte das und fragte ihn nach der Ursache.

»Die Seribah Omm et Timsah ist nahe,« antwortete der Jüngling. »Wenn wir unbemerkt vorüberkommen wollen, müssen wir uns möglichst nahe an das jenseitige Ufer halten.«

Jetzt erhob der Graue den Kopf zum erstenmal wieder, um sich die gefährliche Gegend zu betrachten. Da schien seine Nase sofort einen Grund zu ganz besonderer Thätigkeit zu finden. Sie bewegte sich nach allen möglichen Richtungen und schnüffelte die Luft mit hörbarem Geräusche ein.

»Was gibt's? Riechst du etwas?« fragte Schwarz.

»Ja. Du nicht?« antwortete Pfotenhauer.

»Nein. Ich bemerke nicht das Geringste, was mir auffallen könnte. Auch die Neger arbeiten nur mit den Armen und nicht mit den Nasen. Die deinige wird sich also wohl im Irrtum befinden.«

»Was? Wie meinst? Meine Nasen soll sich täuschen? Du, da kennst sie schlecht! Die nimmt mehr Luft ein, als ihr alle mit 'nander. Auf sie kann ich mich verlassen.«

»Nun, was riechst du denn?«

»Es riecht nach Brand.«

»Schwerlich! Ich merke nichts.«

»Ja, du! Was willst auch merken mit deinem Naserl, was man kaum mit dem Fernrohre derkennen kann!«

»Vielleicht hat dort am Ufer irgendwer ein Feuer angemacht, um sich einen Vogel, einen Fisch oder sonst etwas zu braten?«

»Nein, das ist kein Braten; das riecht versengt, verbrannt, nach Holz und Lehm und Stein, wie wann ein Haus ang'steckt worden ist. Ich wett' auf meinen Kopf, daß da drüben links aan Gebäud' verbrannt ist.«

Auch Schwarz spürte jetzt den Geruch, die Niam-niam wurden aufmerksam. Der Steuerer erhob sich auf seinem Platze, wendete das Gesicht dem linken Ufer zu, sog die Luft laut ein und sagte dann:

»Es brennt auf der Seribah Omm et Timsah. Anderswo kann es nicht sein. Es ist ein großer Brand, denn der Rauch steigt so hoch auf, daß er dort über den Bäumen liegt.«

Er deutete mit der Hand nach der betreffenden Stelle, an welcher man den Rauch dick über die Wipfel steigen sah. Die Schwarzen zogen die Ruder ein, so daß das Boot nur mit dem Strome trieb, und sahen den »Sohn des Geheimnisses« an, erwartend, was er thun oder befehlen werde. Er prüfte mit scharfen Sinnen die Gegend, die Luft, den Geruch und meinte dann:

»Die ganze Seribah brennt. Das ist nur dann möglich, wenn man sie mit Absicht angezündet hat. Bricht in einem einzelnen Tokul Feuer aus, so liegt der Fluß nahe genug, es schnell zu löschen. Die Weißen haben sie vielleicht ganz verlassen, um weiter im Süden eine neue anzulegen. Wir müssen Lobo fragen.«

Der Neger wurde geweckt. Als er erfuhr, was man von ihm wissen wollte, war er sehr erstaunt. Er erklärte, ebenso wie der fest schlafende Tolo nichts davon zu wissen, daß man die Absicht gehabt habe, die Seribah ganz zu verlassen und gar niederzubrennen. Und doch blieb der Steuermann bei seiner Behauptung, daß die ganze Seribah brenne. Er meinte, daß man alle Veranlassung habe, so vorsichtig wie möglich zu sein. Darum ließ er das Boot an ein Schilfdickicht treiben und dort festlegen. Es wurde da Rohr geschnitten, um das Fahrzeug so zu maskieren, daß man es vom Ufer aus für eine kleine schwimmende Insel halten mußte. Dann wurde die Fahrt fortgesetzt, aber so, daß das Boot nur mit dem Strome trieb und von dem Steuer in der Richtung erhalten wurde.

Je weiter man kam, desto schärfer wurde der brandige Geruch. Die Leute saßen still auf ihren Bänken und beobachteten das linke Ufer, indem sie durch das Schilf blickten, welches rund um das Boot angebunden war. Als man dem Herde des Feuers nahe gekommen war, deutete der »Sohn des Geheimnisses« hinüber und sagte:

»Dort hinter den Bäumen liegt die Seribah! Seht ihr den dicken Qualm, welcher da aufsteigt? Das ist nicht von einer einzigen Hütte, sondern die ganze Niederlassung hat in Flammen gestanden. Die Reste derselben, welche aus Erde bestehen, qualmen noch. Und auf dem Flusse hat es auch gebrannt. Seht ihr die Stelle in der Nähe des Ufers, wo das Schilf schwarz aussieht und der Rauch noch aufsteigt?«

»Der Fluß kann doch nicht brennen,« entgegnete der Graue.

»Der Fluß nicht, aber das Schiff, der Noqer, welcher da verborgen lag. Auch er ist angesteckt worden. Das können nur Feinde gethan haben. Sollte man die Seribah überfallen haben?«

»Das müßte ganz unerwartet geschehen sein!«

»So etwas geschieht stets unerwartet. Der Feind braucht gar nicht stark gewesen zu sein, da die Seribah nur noch fünfzig Verteidiger hatte. Vielleicht sind es gar die Dschur gewesen, zu denen wir wollen. Wir müssen unbedingt erfahren, was sich ereignet hat.«

»Aber direkt fahren wir nicht hinüber,« warnte Schwarz.

»Nein. Wir treiben so weit abwärts bis wir nicht mehr bemerkt werden, und legen dann im dichten Rohre an.«

Es war wirklich der Gestank von verbranntem Mauerwerk, welcher hier auf dem Flusse lag. Die beiden Deutschen mußten also die Ansicht des jungen Steuermannes zu der ihrigen machen. Voller Erwartung harrten sie des Augenblickes, an welchem sie das Ufer erreichen würden.

Dies geschah nach kurzer Zeit. Abd es Sirr lenkte das Boot nun nach rechts, dem Lande entgegen. Dort, wo er es erreichte, stand die Omm Sufah wie ein Maisfeld so dick und hoch im Wasser und bis an das Ufer heran. Das Boot wurde, ohne daß man den Anker fallen ließ, mit Hilfe eines starken Palmseiles an den Stamm eines Baumes gebunden. Die Sehwarzen durften es nicht verlassen und der Steuermann sagte ihnen, was sie thun sollten, falls sie von Fremden oder gar Feinden entdeckt würden. In diesem Falle sollten sie sofort vom Ufer stoßen, die Mitte des Stromes gewinnen und sich da abwärts treiben lassen, bis er ihnen vom Ufer aus, an welchem er dem Laufe des Bootes folgen wolle, ein Zeichen zum Landen gebe.

Dann stieg er mit den beiden Deutschen aus, sich nur mit dem Spieße und der Wurfkeule bewaffnend. Die Weißen nahmen ihre geladenen Gewehre, Schwarz auch sein Fernrohr mit. Sie stiegen zwischen den nicht dicht stehenden Bäumen am Ufer empor und schritten vorsichtig durch den schmalen Wald bis an den Rand desselben. Bis hierher hatten sie nichts Verdächtiges bemerkt.

Nun sahen sie die Ebene vor sich liegen, die ihnen einen weiten Ausblick erlaubte. Sie befanden sich im Norden der Seribah, welche als ein großer, qualmender Trümmerhaufe vor ihnen lag, und zwar so nahe, daß sie dieselbe in fünf Minuten erreichen konnten. Ein lebendes Wesen war nicht zu sehen; selbst die Vögel waren von den Flammen und dem spätern Geruche des Brandes verscheucht worden.

Die drei Personen schritten näher, sich immer unter den Bäumen haltend und von Stamm zu Stamm vorsichtig auslugend, ob nicht etwa ein feindliches Wesen vor ihnen verborgen sei. Die Umzäunung war vollständig niedergebrannt. Bald konnte man das Innere der Seribah überblicken. Da wo eine Hütte gestanden hatte, lag jetzt ein rauchender Erdhaufen, und zwischen diesen Haufen bewegten sich, wie erst jetzt zu erkennen war, dunkle Gestalten.

»Es sind Menschen da!« sagte der Steuermann. »Wer sind sie? Bewohner der Seribah können es nicht sein. Wüßte ich nur, ob sich Weiße bei ihnen befinden.«

»Das werde ich gleich erfahren,« antwortete Schwarz, indem er sein Fernrohr auszog. Als er mit Hilfe desselben den Platz genau betrachtet hatte, fuhr er fort: »Ich sehe nur Schwarze; auch sind ihrer nicht viele; ich zähle kaum zwanzig.«

»Sind diese Leute bewaffnet?«

»Sie haben Stangen, mit denen sie in den Trümmern herumstöbern.«

»Sie werden für sich holen wollen, was zu retten ist. Wie sind sie gekleidet?«

»Keiner trägt mehr als nur den Schurz um die Lenden. Das Haar liegt wie ein Kranz um den Kopf.«

»Dann sind es Dschur, also Freunde von mir. Ich werde mich an sie schleichen. Irre ich mich und werde ich überfallen, so werde ich laut den Namen Abu Laklak rufen. Dann kommt ihr, mir zu helfen. Eure Gewehre sind mehr als genug, sie alle zurückzutreiben.«

Er legte sich auf die Erde nieder und kroch vorwärts, in den langen Aschenstreifen hinein, welcher die frühere Umzäunung bezeichnete. Dann sahen sie ihn hinter einem Trümmerhaufen verschwinden. Sie hielten ihre Gewehre bereit, um, falls er rufen werde, ihm sofort zur Hilfe zu eilen. Minuten vergingen. Dann sah Schwarz durch das Fernrohr, daß die Leute alle sich an einer Stelle versammelten. Zu dem Haufen, der sich dort bildete, traten zwei Männer, welche er bisher noch nicht gesehen hatte. Beide trugen graue Haïks. Der eine war ein Schwarzer, der andre schien kein Neger zu sein.

Nach einiger Zeit löste sich der erstere mit einem Begleiter von der Gruppe und kam mit demselben schnellen Schrittes auf die Gegend zu, in welcher die Deutschen standen.

»Sie kommen zu uns,« erklärte Schwarz seinem Gefährten.

»Doch nit in feindlicher Absicht?« fragte dieser.

»Nein. Den einen halte ich für den Anführer der Schwarzen; der andre ist unser Steuermann.«

»So haben wir nix zu befürchten. Ich bin neugierig, mit welcher Art von Menschen wir es zu thun haben werden. Wann's Leute vom Stamme der Dschur sind, so werd' ich's loben.«

Die beiden waren jetzt so nahe gekommen, daß man ihre Gesichter deutlich sehen konnte. Der »Sohn des Geheimnisses« lächelte sehr befriedigt. Der andre war ein dicker Neger, dessen wohlgenährtes Gesicht vor Freundlichkeit glänzte. Er hob schon von weitem die Hände empor, legte sie zusammen und bewegte sie grüßend auf und nieder. Dann blieb er gar stehen, verbeugte sich bis zur Erde nieder und rief:

»Salam, Salam aleïk! Ich heiße euch willkommen! Allah gibt mir große Gnade, indem er euch zu mir sendet. Ich und mein Haus, mein ganzer Stamm mit allen seinen Kriegern steht zu eurer Verfügung.«

»Das ist freilich nicht ernstlich zu nehmen,« meinte der Graue leise. »Dieser Kerl weiß von Allah gewiß ebensowenig wie sein Kamel von der Sternkunde.«

Laut aber erwiderte er den Gruß mit großer Herzlichkeit, und Schwarz stimmte ein. Der Dicke kam darauf näher, verbeugte sich abermals und fuhr fort:

»Ich bin der Schech des Stammes der Dschur, welcher hier in der Nähe wohnt. Wir erblickten heute ein großes Feuer in der Gegend der Seribah und eilten herbei, den Weißen zu helfen. Als wir kamen, waren sie fort, und nun retten wir, was gerettet werden kann.«

»Wo sind sie hin?« fragte Schwarz.

»Allah weiß es, ich nicht.«

Der Mann war ein Heide, glaubte aber, in den beiden Mohammedaner vor sich zu sehen; darum bediente er sich des Wortes Allah.

»Kennst du die Bewohner der Seribah?« erkundigte sich Schwarz.

»Ich kenne sie alle.«

»Wann warst du zum letztenmal hier?«

»Gestern ist es ein Tag gewesen.«

»Was hattest du da zu thun?«

»Abd el Mot ließ mich kommen, um mit mir wegen der Reittiere zu verhandeln, welche ich ihm zu dem Zuge liefern mußte.«

»Wohin ging der Zug?«

»In das Land der Belanda.«

»Nach welchem Orte?«

»Das weiß ich nicht. Den Ort sagt er nie, so wenig wie Abu el Mot.«

»Wo befindet sich der letztere?«

»Im Lande der Homr, doch kehrt er bald zurück.«

»Bist du ein Freund von ihm?«

Der Schech zog den Mund von einem Ohre bis zum andern, was wohl ein diplomatisches Lächeln sein sollte, griff sich verlegen nach dem rund um seinen Kopf liegenden Haarwulste, welcher die Gestalt eines aufgeblasenen Luftkissens besaß, und antwortete:

»Herr, ein armer Mann muß der Freund aller großen Herren sein, wenn er nicht aufgefressen werden will. Auch dir diene ich gern, denn ich weiß, daß du mich gut bezahlen wirst.«

»Ob ich dich überhaupt bezahle, kommt nur auf deine Aufrichtigkeit an. Weißt du, wann Abd el Mot die Seribah verlassen hat?«

»Am frühen Morgen; ich mußte ihm meine Tiere bereits am Nachmittage vorher bringen.«

»Hat er eine Besatzung zurückgelassen?«

»Ja. Er thut das stets und sagte auch diesmal, daß er es thun werde.«

»Wo sind diese Leute?«

»Fort. Wohin, das weiß ich nicht,« wiederholte er.

»Wer hat die Seribah angebrannt?«

»Die Besatzung ist es gewesen. Sie wird sich empört haben, denn sie ist fort und hat alle Rinder und Schafe mit fortgenommen.«

»Ah! Ist es so! Dann ist also Abu el Mot ein armer Mann, wenn er zurückkehrt!«

»Er wird bald wieder reich sein, Herr. Als er ging, sagte er, daß er viele Krieger der Nuehr anwerben und mitbringen wolle, denn er werde bei den Niam-niam Sklaven fangen. Wenn er kommt und sieht, daß die fünfzig Männer die Seribah ausgeraubt und verbrannt haben, so wird er ihnen nachjagen, um sie zu töten und ihnen alles wieder abzunehmen.«

»Hat vielleicht Abd el Mot den Brand anbefohlen?«

»Nein, Herr, gewiß nicht, denn er ist dem Besitzer der Seribah treu.«

»So treu wie du!«

Er sah bei diesen Worten dem Negerhäuptling scharf in das fette Gesicht. Dieser verbeugte sich, lachte verlegen und antwortete:

»Herr, ich bin einem jeden treu, der mich gut bezahlt.«

»Womit lässest du dich bezahlen? Mit Zeug oder mit Rindern?«

»Mit beidem, aber der Abu Noktah ist mir noch lieber.«

»So ist es möglich, daß du einen oder mehrere von mir bekommst. Bist du mit den Belanda in Feindschaft?«

»Ja, Herr; die Blutrache ist zwischen ihnen und uns.«

»Aber du kennst den Weg nach ihren Dörfern?«

»Jeder Dschur kennt diese Wege.«

»Ich will nach Ombula. Kennst du es?«

»Ja. Es liegt an den Bergen, welche Pambisa genannt werden.«

»Hast du vielleicht einen Mann, welcher mich dorthin führen kann?«

»Jeder Dschur kann dich führen. Wenn du drei Abu Noktah bezahlst, will ich dir einen guten Führer geben.«

»Ich zahle sie, vorausgesetzt, daß der Mann seine Pflicht erfüllt.«

»Er wird sie gewiß erfüllen.«

»Nun gut! Er soll mich hin- und auch wieder zurückbringen. Ich zahle ihm freiwillig vier Abu Noktah, aber er bekommt sie erst dann, wenn wir zurückgekehrt sind.«

Da schlug der Mann die Hände zusammen und rief aus:

»Allah schütze dich, Herr! Was hast du für Gedanken! Du mußt sie sofort bezahlen!«

»Nein, das thue ich nicht.«

»Da werde ich sie ja nie erhalten!«

»Warum?«

»Weil du nie wiederkommen wirst. Die Belanda werden dich ermorden und den Führer auch. Darum wird dieser nur so weit mitgehen, als er seines Lebens sicher ist.«

»Ah, das ist sehr aufrichtig von dir! Ich werde also gar keinen Führer nehmen und du wirst keinen Abu Noktah bekommen.«

Der Neger sah ein, daß er keineswegs schlau gewesen sei. Um das Geld für sich zu retten, sagte er:

»Kein Dschur wird anders als mit Heeresmacht zu den Belanda gehen; aber der Führer wird dich bis zur Grenze ihres Landes geleiten. Dort muß er umkehren. Daß es dann für ihn zu gefährlich ist, wird dir auch der Sejad ifjal sagen, wenn du ihn fragen willst.«

Sejad heißt Jäger; ifjal ist der Plural von Fil = Elefant, ein Sejad ifjal ist also ein Elefantenjäger. Einen solchen unter den Dschur zu wissen, war für Schwarz höchst unerwartet, darum fragte er:

»Womit tötet dieser Jäger die Elefanten?«

»Mit seinem Gewehre.«

»Gibt es denn in deinem Stamme diese Art von Flinten?«

»Bei meinem Stamme? Nein. Er gehört ja gar nicht zu uns.«

»Zu welchem Stamme denn?«

»Das weiß ich nicht. Er ist gar kein Neger, sondern ein Weißer. Wir kannten ihn nicht, sondern nur seinen Namen. Er ist ein sehr berühmter Mann, von welchem alle Menschen erzählen. Er kam heute zum erstenmal zu uns, gerade als wir das Feuer bemerkten. Da ging er mit uns, um sich die Seribah anzusehen.«

»Wohin will er von hier aus?«

»Das weiß ich nicht. Wir hatten noch keine Zeit, davon zu sprechen.«

»Auch wir wollen die Seribah sehen. Zeige sie uns!«

»Kommt mit, und seid meine Gäste. Feuer ist da, und Fische haben wir auch gefangen; so gibt es also ein Mahl, welches wir euch vorsetzen können.«

Er machte den Führer, und sie folgten ihm. Es gab nicht viel zu sehen. Asche und verbranntes Mauerwerk, welches nur aus Nilschlamm bestanden hatte. Was in den Hütten zurückgelassen und nun gerettet worden war, hatte man auf einen Haufen zusammengetragen, nicht etwa, um es Abu el Mot später auszuhändigen, sondern um es selbst zu behalten.

Schwarz schickte den Steuermann zu dem Boote zurück, um die Ruderer zu benachrichtigen, daß nichts zu befürchten sei, und dann auf seine Ankunft zu warten. Die Dschurneger standen jetzt beisammen. Bei ihnen befand sich ein Mann, dem es anzusehen war, daß er nicht zu ihnen gehörte. Seine Haut war zwar von der Sonne verbrannt, aber doch viel heller als die ihrige, und seine Gesichtszüge zeigten ebensoviel arabischen, wie Negertypus. Seine Gestalt war nicht hoch, aber sehr breit und ungemein kräftig gebaut. Gekleidet war er in einen lichten Haïk, dessen Kapuze seinen Kopf bis zur Stirn bedeckte. An den Füßen trug er Bastsandalen, und in der Hand hielt er ein doppelläufiges Gewehr von demselben starken Kaliber wie die einläufige Elefantenbüchse des Slowaken, welcher Vater der elf Haare genannt worden war. Ein langer, grauer Bart hing ihm fast bis auf den Gürtel herab. Sein Gesicht war tief eingefallen. Es machte den Eindruck inneren Leidens und äußerlicher Anstrengungen und Entbehrungen; doch war der Blick seines dunklen Auges lebhaft und von ungewöhnlicher Schärfe.

»Das ist der Sejad ifjal,« sagte der Häuptling, indem er auf ihn deutete. »Er wird mir bezeugen, daß es gefährlich ist, zu den Belanda zu gehen.«

»Ihr wollt zu den Belanda?« fragte der Neger, indem er die Deutschen mit einem langen Blicke musterte.

»Nur ich allein will hin,« antwortete Schwarz.

»Dann bist du ein kühner Mann. Darf ich erfahren, welchem Stamme du angehörst?«

»Keinem. Ich bin ein Nemsawi, welches Volk du wohl nicht kennen wirst.«

»Ich kenne es, denn ich habe bei einem Nemsawi gewohnt, welcher mich aus großer Gefahr errettet und mir dann von seiner Heimat erzählt hat. Dein Vaterland zerfällt in mehrere Länder, deren jedes einen großen, mächtigen Sultan hat; aber der oberste Schah, welcher über sie alle herrscht, wird Uilelem auwalani genannt. Ist es so?«

»Ja,« stimmte Schwarz bei.

»Sein oberster Wesir heißt Bisemar, und sein berühmtester Dschanaral ist Moltika geheißen?«

»So ist es.«

»Du siehst, daß ich dein Land und dein Volk kenne. Ihr habt große Kriege gehabt und alle Schlachten gewonnen, sogar den Sultan von Feransa gefangen genommen. Ich liebe die Völker, welche tapfer sind, und ich liebe ganz besonders euch, weil ich einem der eurigen das Leben zu verdanken habe.«

»Darf ich erfahren, welcher Mann das ist?«

»Du darfst es. Ich trage seinen Namen stets auf der Zunge, um ihn zu preisen und ihm dankbar zu sein. Er nennt sich Emin Pascha und beherrscht das Land Wadelai. Kennst du ihn vielleicht?«

»Ja; er ist ein hochberühmter Mann, welcher alles thut, um den Wohlstand seiner Unterthanen zu begründen und zu heben. Besonders duldet er keinen Sklavenhandel, den er in seiner Provinz aufgehoben hat.«

»Das ist recht von ihm, und darum bin ich doppelt sein Freund, obgleich er einer der Eurigen und nicht ein Anhänger des Propheten ist.«

»Wie? Ich halte dich für einen Araber, und so wundert es mich, daß du ein Gegner des Sklavenhandels bist.«

»Ich bin aus Dar Runga und besaß früher viele Sklaven, welche mich bedienten, aber ich hatte einen Feind, welcher mir aus Rache meinen Sohn, mein einziges Kind raubte und in die Sklaverei führte. Da gab ich sämtlichen Sklaven die Freiheit, vertraute meine Zelte und Herden meinem Bruder an und reiste fort, um den Geraubten zu suchen.«

»Und du hast ihn noch nicht gefunden?«

»Nein. Viele Jahre sind vergangen, und ich sah weder meinen Sohn noch meine Heimat wieder. Ich wandere umher wie der Jahudi el Abadi, von welchem die Christen erzählen, daß er in Ewigkeit wandern muß, weil er Isa Ben Marryam die Ruhe versagt hat. Auch den Feind, welcher mir meinen Sohn raubte, habe ich nicht wieder gesehen; nicht die geringste Spur fand ich von den beiden. Nun kann ich nichts anderes thun, als von Land zu Land, von Stamm zu Stamm ziehen, um es dem Zufalle zu überlassen, mir Kunde von dem Verlorenen zu geben. Jetzt komme ich von dem Idris und will zu den Belanda und Babukur.«

»Du sagst aber doch, daß es sehr gefährlich sei, die ersteren aufzusuchen!«

»Von hier aus, ja, weil sie mit den hiesigen Negern in Feindschaft leben. Ich werde ihnen aber nicht sagen, daß ich von hier, von den Dschur, komme. Was willst denn du bei ihnen?«

Schwarz antwortete ihm so leise, daß die Neger es nicht zu hören vermochten:

»Ich will sie vor Abd el Mot warnen, welcher ausgezogen ist, das große Dorf Ombula zu überfallen.«

»Wissen diese Dschur hier von dieser deiner Absicht?« fragte der Elefantenjäger ebenso leise.

»Der Häuptling kann es erraten; gesagt aber habe ich es ihm noch nicht.«

»Sprich nicht davon, denn die Dschur sind Freunde des Abu el Mot. Du mußt gewärtig sein, daß sie dir heimliche oder gar gefährliche Hindernisse in den Weg legen. Kommt lieber zur Seite, damit wir ungehört darüber reden können.«

Er führte die beiden so weit von den Schwarzen fort, daß sie von diesen nicht beobachtet werden konnten, und fragte, indem er sich mit den Händen auf sein Gewehr stützte, und die Deutschen forschend anblickte: »Warum wollt ihr den Belanda diesen Gefallen thun? Kann es euch nicht gleichgültig sein, ob sie Sklaven werden oder nicht? Seid ihr vielleicht befreundet mit ihnen?«

»Nein,« antwortete Schwarz. »Wir waren niemals dort und kennen sie nicht. Aber nicht nur unsre Religion, sondern auch unser Herz gebietet uns, sie zu warnen.«

»Dann seid ihr nicht diejenigen Christen, welche in andre Länder gehen, um die Völker derselben zu unterjochen und auszunützen, sondern wie Emin Pascha, welcher gekommen ist, seine Leute glücklich zu machen. Aus welchem Grunde aber seid ihr überhaupt in diese Gegend gekommen?«

»Um die Menschen, Tiere und Pflanzen, welche es hier gibt, kennen zu lernen.«

Der Araber schüttelte den Kopf und antwortete: »Das kann euch doch gar keinen Nutzen bringen!«

Schwarz wußte sehr wohl, daß es fremde ausgebildete Völker gibt, deren Angehörige es nicht begreifen können, daß ein Mensch sich den Gefahren ferner Länder aussetzen kann, nur um des Wissens willen. Dennoch antwortete er:

»Du hast doch von den verschiedenen Ulum gehört, mit denen sich die Gelehrten beschäftigen?«

»Ja, ich kannte einen, welcher alle Nächte durch ein Rohr die Sterne anschaute. Was hatte er davon?«

»Er berechnete den Lauf der Sterne und bestimmte nach demselben die Zeiten, Jahre, Monden, Tage und Stunden.«

»Das war ein guter Zweck. Aber ich habe gesehen, daß Emin Pascha Steine und Pflanzen sammeln ließ. Wozu könnte das dienen?«

»Um die Heilkräfte dieser Pflanzen zu untersuchen und dann mit Hilfe derselben die Kranken gesund zu machen. Die Steine wollte er kennen lernen, um zu erfahren, ob es wertvolle unter ihnen gibt oder gar Erze, Gold und Silber.«

»Wenn du es so erklärst, so erkenne ich freilich, daß die Wissenschaft ihre sehr guten Zwecke hat. Gehört ihr auch zu den Gelehrten?«

»Ja. Wir wollen bei den Niam-niam eine Station, einen Ort errichten, von welchem aus wir das Land untersuchen, um diejenigen Tiere, Pflanzen und Steine zu entdecken, deren Verkauf den Bewohnern Nutzen bringen kann. Wenn sie mit Hilfe eines solchen Handels das verdienen, was sie brauchen, so werden sie von dem verderblichen Sklavenhandel lassen.«

»Diese eure Absicht billige ich, denn sie ist sehr gut. Ihr seid als die wahren Freunde der hiesigen Völker gekommen.«

»Allerdings. Und weil dies der Fall ist, wollen wir die Belanda vor ihren Feinden, den Sklavenjägern warnen. Vielleicht ist es gar nicht nötig, daß ich zu ihnen gehe. Konntest du es nicht übernehmen, ihnen die Botschaft zu überbringen?«

»Nein. Ich würde verloren sein, da sie dann wüßten, daß ich hier bei den Dschur gewesen bin.«

»Dann bin ja ich ebenso verloren.«

»Nein, denn du bist nicht ein Araber, sondern ein Fremder. Ich werde nach dem Volke behandelt, bei welchem ich mich zuletzt aufgehalten habe. Darum muß ich aus Klugheit die Leute, welche ich aufsuche, stets in der Weise täuschen, daß ich behaupte, von einem befreundeten Stamme zu kommen. Bei euch ist das nicht nötig. Ihr als Fremde seid den Gesetzen der Blutrache nur dann verfallen, wenn ihr selbst, also in eigener Person, das Blut eines hiesigen Mannes vergießet. Woher wißt ihr denn so genau, daß Abd el Mot nach Ombula will?«

Schwarz erzählte ihm das heutige Abenteuer und gab ihm auch über sich und Pfotenhauer soweit Auskunft, daß der Araber am Schlusse der Auseinandersetzung sagte:

»Bei Allah, ihr seid gerechte, menschenfreundliche und sehr mutige Leute! Ich werde gern mit dir nach Ombula reiten, wo ich vielleicht eine Spur meines Sohnes oder seines Entführers finde. Nur mußt du dort verschweigen, daß du mich hier bei den Dschur getroffen hast, da ich sonst, weil ich Gast derselben gewesen bin, bei den Belanda als Feind aufgenommen würde. Erfahren sie es nicht, so vermag ich dich vor Feindschaft zu schützen, denn mein Name ist ihnen gar wohl bekannt. Alle Völker von hier bis hinunter zu den Leuten am Ufer des Tanganyikasees haben Ehrfurcht vor dem Manne, welcher überall nur Sejad ifjal genannt wird.«

»So preise ich den Zufall, welcher mich mit dir zusammengeführt hat.«

»Ja, du magst ihn preisen, denn ohne mich würdest du nie aus dem Gebiete der Belanda zurückgekehrt sein, denn du wärst ganz gewiß in die Hände der Sklavenjäger gefallen, da du nicht wissen kannst, wie dieselben reisen.«

Das klang so selbstgefällig, daß Schwarz es für geraten hielt, zu entgegnen:

»So schlimm wäre es wohl nicht geworden. Ich habe mit Menschen zu thun gehabt, welche wenigstens ebenso gefährlich waren, wie diese Jäger es sind, und wenn ich auch die Gegend nicht kenne, so wäre das doch nicht das erste Mal, daß ich mich durch ein feindliches Gebiet zu schlagen hätte.«

»Ja, ich weiß es, ich weiß es,« nickte der Araber, indem ein überlegenes, aber wohlwollendes Lächeln um seine bärtigen Lippen spielte; »die Gelehrten wissen alles und können alles, und also ist es wohl möglich, daß Allah dir geholfen hätte, den dir hier drohenden Gefahren zu entgehen; aber ich denke, daß ich dir immerhin von einigem Nutzen sein werde. Du bist ein Deutscher; ich wünsche, dein Freund zu sein, und hoffe, daß du mich nicht zurückweisen werdest.«

»Dich zurückweisen? Das kann mir gar nicht einfallen! Ich gebe dir vielmehr hiermit die Hand, dich willkommen zu heißen, und sage dir aufrichtig, daß ich mich sehr darüber freue, dich getroffen zu haben.«

Der Sejad ifjal schlug in die dargebotene Hand ein und sagte in wohlwollendem Tone: »Ich erkläre, daß ich mit dir gehen und dich beschützen werde. Du scheinst ein mutiger Mann zu sein; aber die Gelehrten verstehen es nicht, gegen den Löwen und Panther, den Elefanten, das Nashorn und Flußpferd zu kämpfen. Ich jedoch lebe von der Jagd dieser Tiere und kann dich von ihnen befreien. Mit deiner kleinen, dünnen Flinte könntest du nicht eins dieser Tiere erlegen. Da sieh dagegen einmal mein Gewehr an!«

Er hielt ihm die alte, schwere Waffe vor die Augen. Jetzt war es Schwarz, welcher mit einem leise ironischen Lächeln antwortete:

»Ja, es ist noch einmal so dick wie das meinige; aber Allah gibt zuweilen auch dem Schwachen Stärke. Doch freut es mich, überzeugt sein zu dürfen, daß ich mich auf deinen Schutz verlassen kann. Es ist fest beschlossen, daß wir zusammen reisen; wann aber bist du zum Aufbruche bereit?«

»Sobald ich mich bei den Dschur hier mit einem neuen Reittier versehen habe. Mein Ochse, der mich hierherbrachte, ist abgetrieben, und da unsre Reise schnell vor sich gehen muß, so werde ich ein Kamel oder ein Pferd kaufen.«

»Das muß ich auch thun. Bist du mit Geld versehen?«

»Nein. Geld habe ich nie. Ich bezahle alles mit Elefantenzähnen und Nashornelfenbein. Ich kam mit zwei Tieren. Das eine trug mich, das andre die Zähne, welche ich erbeutet hatte. Das reicht mehr als hin, zwei Pferde oder Kamele und auch Proviant für uns einzutauschen. Ich werde den Handel machen, und du kannst mich dann mit Geld bezahlen, damit ich auch einmal ein Silberstück in die Hand bekomme.«

»Schön! Aber du wirst es erlauben, daß ich mir mein Tier selbst auswähle!«

»Nein, das darf ich nicht erlauben. Wir dürfen keine Unklugheit begehen. Diesen Dschur ist nicht zu trauen. Sie halten es mit Abu el Mot, welcher in jedem Augenblicke zurückkehren kann. Wenn sie ihm sagen, daß du nach Ombula willst, wird er dich töten. Es ist ein Fehler von dir, daß du nach diesem Orte gefragt hast. Du mußt ihn dadurch wieder gut machen, daß du dir den Anschein gibst, als ob du diese Absicht aufgegeben hättest. Wie du siehst, beladen sich die Dschur soeben mit den Gegenständen, welche sie dem Feuer entrissen haben. Sie werden mit denselben in ihr Dorf zurückkehren, und ich begleite sie. Sobald ich dann den Handel abgeschlossen habe, komme ich wieder, um dich abzuholen.«

»So soll ich hier auf dich warten?«

»Ja; aber du mußt dich verbergen, damit Abu el Mot, wenn er je schon jetzt ankommen sollte, dich nicht finden kann. Du sagst jetzt dem Schech der Dschur, daß du nicht nach Ombula wollest, da dieser Weg für dich zu gefährlich sei. Ihr kehrt in euer Boot zurück und fahrt mit demselben ab. Sobald man euch von hier aus nicht mehr sehen kann, legst du wieder am Ufer an, um auszusteigen und heimlich hierher zurückzukehren. Siehst du dort links den hohen Hegelik über die andern Bäume ragen? An seinem Stamme magst du auf mich warten, während dein Boot nach der Seribah Madunga weiterfährt, wo du mit deinen Gefährten wieder zusammentreffen wirst.«

Schwarz erklärte sich einverstanden, fügte aber hinzu:

»Ich darf mich doch auf dich verlassen? Denke dir meine Lage, wenn mein Boot fort wäre und du nicht kämest!«

»Habe keine Sorge! Ich gebe dir hiermit meine Hand und schwöre dir bei Allah und dem Propheten, bei meinem Barte und bei allen meinen Vätern, daß ich jetzt alles, was du brauchst, für dich besorgen und dann zu dir zurückkehren werde!«

Diesen heiligen Schwur bricht ein Mohammedaner nie; er gibt vielmehr sein Leben daran, ihn zu halten. Darum fühlte Schwarz sich vollständig beruhigt. Gut war es übrigens, daß die Verabredung zu Ende war, denn jetzt kam der Schech herbei, welchem es aufgefallen war, daß die drei Männer so abseits heimlich miteinander verhandelten. Auf seinem Gesichte lag das deutlichste Mißtrauen, als er fragte: »Darf ich hören, was hier gesprochen wird? Wir gehen jetzt nach unsrem Dorfe. Wenn der fremde Herr wirklich zu den Belanda will, so werde ich ihm einen Führer auswählen, der ihn bis an die Grenze bringt.«

»Das hat sich erledigt,« antwortete der Elefantenjäger. »Diese Männer haben eingesehen, daß es gefährlich ist, jetzt ihren Vorsatz auszuführen. Sie werden also aufbrechen, um ihre Reise fortzusetzen.«

»Aber es wurde mir doch Geld versprochen!« meinte der dicke Schwarze enttäuscht.

»Für den Führer, ja; aber da sie ihn nun nicht brauchen, hast du nichts zu verlangen.«

»Wohin wollen sie von hier aus?«

»Den Fluß abwärts, bis sie ein Schiff erreichen, mit welchem sie nach Chartum fahren können.«

»So erfordert es die Höflichkeit, daß ich sie bis an ihr Boot begleite, um ihnen dort Heil für die Reise zu wünschen.«

Sein Mißtrauen war nicht geschwunden. Er wollte sich von der Abfahrt der Weißen überzeugen. Der Jäger verabschiedete sich sogleich von ihnen, wobei er durch eine heimliche Pantomime zu verstehen gab, daß er sicher Wort halten werde. Der Schwarze aber ging mit ihnen bis zur Stelle, an welcher ihr Fahrzeug angebunden lag. Er betrachtete die Insassen desselben genau und sagte dann:

»Ich muß auf das Geld verzichten; aber ihr werdet nicht abreisen, ohne mir ein Geschenk gegeben zu haben. Ich bin der Schech des Dorfes und habe von jedem Fremden, welcher unser Gebiet betritt, den Tribut zu fordern.«

»Wir haben nur die Seribah, nicht aber dein Dorf betreten,« antwortete Schwarz. »Dennoch will ich dir eine freiwillige Gabe nicht verweigern, damit du Gelegenheit findest, in Freundlichkeit an uns zu denken. Hier nimm!«

Er hatte, wie jeder Europäer, der die dortigen Länder bereist, einen Vorrat von Handels- und Tauschartikeln bei sich und entnahm demselben mehrere Perlenschnüre, die er dem Neger reichte. Aber in neuerer Zeit sind so viele Glasperlen durch die Händler nach dem Bahr el Dschur gebracht worden, daß diese Ware ihren früheren Wert dort fast ganz verloren hat. Der Häuptling hielt die Schnüre einige Augenblicke in der Hand, warf sie dann in das Boot zurück und rief in zornigem Tone:

»So ein Geschenk wagt ihr mir anzubieten? Ich brauche keine Perlen. Hängt sie euch selbst um die Hälse, wenn ihr solche Weiber seid! Allah sende euch schlechten Wind auf eurer Fahrt und tausend Krokodile, die euch fressen!«

Dann rannte er, so schnell es ihm seine Korpulenz gestattete, von dannen. Die Ruderer lachten ihm nach; die Weißen aber nahmen die Sache ernster. Als das Boot vom Ufer gestoßen war und der Mitte des Stromes zustrebte, sagte Schwarz:

»Dieser Mensch hatte sich wohl den Empfang einiger Theresienthaler eingebildet. Nun mag ich mich nur vor ihm und seinen Leuten in acht nehmen.«

»Ja, vorsichtig wirst du sein müssen,« antwortete der Graue. »Nun darfst dich von ihnen nit derblicken lassen. Sie schaffen jetzt die Sachen von der Seribah fort, kehren aber gewiß nochmals zurück, um vollends aufzuräumen. Wenn sie dich dabei entdecken, so will ich zwar nit sagen, daßt verloren bist, doch halt' ich's für besser, daß ich bei dir bleib', bis der Araber kommen ist und ihr glücklich abgreist seid. Was denkst du dazu?«

»Ich gebe dir nicht unrecht; du magst mich also begleiten. Damit auch du dich dann nicht allein befindest, nehmen wir noch einen Ruderer mit. Übrigens wollte ich es den Negern nicht raten, mich zu überfallen; sie würden vor meinen Kugeln bald davonlaufen.«

Das Boot hatte jetzt die Strömung erreicht und trieb mit derselben so schnell abwärts, daß man das Ufer bald wieder aufsuchen konnte. Dort wurde das Fahrzeug im Schilf verborgen, und Schwarz versah sich mit den Gegenständen, welche ihm als notwendig erschienen. Dann brach er auf, begleitet von dem Grauen und einem bewaffneten Schwarzen. Der Steuermann erhielt den Befehl, die Rückkehr der letzteren zwei hier zu erwarten und dabei den Fluß im Auge zu behalten.

Auch hier besaß der Wald nur eine sehr geringe Breite, so daß die drei Männer schon nach wenigen Schritten den Rand desselben und die offene Ebene erreichten. Dort schritten sie nun südwärts der Seribah wieder zu.

Nach Verlauf einer Viertelstunde sahen sie die Trümmer derselben, aus denen sich noch immer ein leichter Rauch erhob. Sie mußten, um unbemerkt zu bleiben, ihren Weg nun zwischen den Bäumen fortsetzen und erreichten glücklich den Hegelikbaum, unter dessen Dach sie sich niederließen, um die Ankunft des Elefantenjägers zu erwarten.

Die baldige Rückkehr desselben mußte ihnen um so erwünschter sein, als der Tag schon weit vorgeschritten war und die Sonne sich dem westlichen Horizonte schnell zuneigte.

Der Schwarze hatte sich aus Ehrerbietung in einiger Entfernung von den Weißen niedergesetzt. Die beiden letzteren sprachen von ihrer bevorstehenden Trennung, wobei der Graue nicht umhin konnte, seinen Gefährten allerlei gute Ratschläge zu erteilen.

»Hast doch g'nug Patronen eing'steckt, daßt brav schießen kannst, wannst ang'fallen wirst?« fragte er.

»Versteht sich ganz von selbst,« antwortete Schwarz. »Bei einem Ritte, wie ich ihn vorhabe, ist ausreichende Munition das Notwendigste.«

»Und wie g'fallt dir der Elefantenjäger? Als Begleiter muß er dir willkommen sein. Ich möcht' ihn für ehrlich halten, hätt' aber doch beinahe g'lacht, als er seine alte Haubitz'n mit deinem G'wehr verglich und dabei versprach, dich mit derselben zu beschützen. Wann's auf den Treffer kommt, wirst halt du es sein, der ihn in Schutz zu nehmen hat.«

»Möglich. Er ist mir wirklich höchst willkommen, und ich schenke ihm alles Vertrauen. Sein Schicksal erregt mein Beileid. Ein Vater, welcher lange Jahre hindurch nach seinem geraubten Sohne sucht!«

»Ja, man zählt diese Leut' zu den Halbwilden; aber sie haben ebenso gut wie wir Herz und G'müt. Der Mann thut mir wirklich leid, und – – halt, schaust sie? Da kommen sie! Es ist a Manderl und a Weiberl. Kennst sie auch schon?«

Er deutete auf zwei regenpfeiferartige Vögel, welche unter den Bäumen dahergelaufen kamen und, als sie die Männer erblickten, vorsichtig stehen blieben. Ihr Rücken war schwarz, ihr Bauch sandfarben, Schwanz und Flügel aber schwarz, weiß und grau gezeichnet.

»Ja, ich kenne sie,« antwortete Schwarz. »Krokodilswächter, Pluvianus aegypticus. Dieser Vogel wird schon von Herodot erwähnt.«

»Hast recht. Aber weißt auch, wie er von den Leuten hier genannt wird?

»Ter-, Habobd- und Ghafir- et Timsah«.

»Richtig! Bist gar kein übler Vogelkenner, und kannst mir helfen, wann ich später mein Buch schreib'. Schau, da gehen's wieder fort. Hast auch schon zug'schaut, wann so a Vogel sich dem Krokodil in den offenen Rachen setzt, um das darin befindliche G'würm zu fressen? Die riesige Eidechs' sperrt dabei das Maul sperrangelweit auf, und es fällt ihr gar nit ein, das kleine Viecherl zu stören oder gar zu verschlingen; sie weiß vielmehr recht gut, daß dasselbige sein Wohlthäter ist. Dazu g'hört nit bloß Instinkt, sondern die wirkliche Überlegung, die man diesen Geschöpfen so gern absprechen möcht'. So a Tier hat auch Gedanken; es versteht zu folgern und Erfahrungen zu sammeln, und es kann vorkommen, daß so a Wesen klüger handelt als a Mensch, der sich für g'scheit und weise hält.«

»Daß du da recht hast, habe ich nicht nur einmal an mir selbst erfahren.«

»Wieso?«

»Ganz so wie du: wie oft ist uns ein Vogel oder sonst ein Tier entgangen, welches wir fangen oder erlegen wollten. Es war eben vorsichtiger und klüger als wir.«

»Das ist sehr richtig. Es gibt Vögel, welche große Versammlung und Unterredungen abhalten. Ich hab' kürzlich g'sehen, daß wohl an die dreißig Pfauenkraniche im Kreise standen und aaner in der Mitt' von ihnen, der in einem fort g'schrieen hat. Die haben Reichstag oder Abiturientenexamen g'habt, denn einzelne riefen, wann der in der Mitt' mal pausiert hat, ihr Kurnuknuknuknuk dazwischen, als ob sie auf seine Frag' die Antwort zu geben hätten. Vielleicht sind diese Antworten klüger ausg'fallen als manche, die man in unsern Schulen zu hören bekommt.«

»Hoffentlich denkst du dabei nicht an dich selbst,« antwortete Schwarz, indem ein leises Lächeln um seine Lippen spielte.

»Warum nit? Denkst etwa, daß ich stets hab' richtig antworten können? Freilich sind die Fragen oft so g'stellt gewesen, daß man ganz verblüfft dag'standen hat. Da denk' ich gleich an damals, als ich in der Quarta g'sessen bin. Weißt das vielleicht schon?«

»Daß du auch diese Klasse besucht hast, kann ich mir doch denken!«

»Das mein ich nit, sondern ich ziel' auf die Frag', welche ich damals bekommen hab'. Ich glaub's nit, daß ich es dir schon verzählt hab'. Es sollt' nämlich Examen sein, und ich hab' a saubres Vorhemd umgebunden und die neue, bunte Kravatt' um den Hals. Als ich dann in den Spiegel schau, hab' ich 'dacht, daß es um mich gar nit fehlgehen kann. Aber, es ist doch anders kommen.«

»Wie denn?« fragte Schwarz, als der Erzähler eine Pause machte.

»Das wirst gar nit vermuten können. Der Naturg'schichtsprofessorn hat's nämlich auf mich g'spitzt gehabt, weil ich ihm immer mit Fragen 'kommen bin, die ka vernünftiger Mensch beantworten kann. Dafür hat er mich im Examen auszahlen wollen. Als die Reih' an mich 'kommen ist, bin ich voller Ehrerbietung aufg'standen und hab g'meint, daß man sich wohl über meine Kenntnissen wundern werd'. Aber was sagst dazu, wannst derfährst, daß der Professorn mich g'fragt hat, warum die Vögel Federn haben?«

»Das war freilich hinterwärts gemeint!«

»Ja, er hat mich tüchtig hereinlegen wollen.«

»Jedenfalls ist es dir gelungen, dich brav herauszubeißen. Was hast du denn für eine Antwort gegeben?«

»Zunächst hab' ich gar nix g'sagt, sondern nur das Maul aufg'macht, um meine sieben Gedanken in Ordnung zu bringen, und dann, als die Frag' zweimal wiederholt worden ist, hab' ich – – – –«

»Dir bahlak!« raunte in diesem Augenblicke der Schwarze den beiden Weißen zu, indem er mit der rechten Hand nach der Stelle deutete, wo der Weg vom Flusse nach der Seribah aus dem Walde trat.

Der Erzähler verstummte sofort, denn er erblickte zwei wohlbewaffnete Männer, welche dort standen und starren Blickes den Schutt- und Trümmerhaufen betrachteten. Sie schienen vom Schreck gelähmt zu sein; dann aber rannten sie unter lauten Ausrufen und lebhaften Gestikulationen auf die Brandstätte zu.

»Zwei Weiße!« sagte der »Vater des Storches«, indem er ihnen mit den Augen folgte, wobei seine Nase sich zur Seite bog wie der Kopf eines Vogels, welcher von einem Aste herab eine verdächtige Erscheinung betrachtet. »Wo kommen's her, und wer mögen's sein?«

»Europäer sind sie nicht,« antwortete Schwarz. »Ich halte sie für Leute, welche zur Seribah gehören. Ich vermute das aus dem Entsetzen, welches sie bei dem Anblicke der Trümmerhaufen verrieten.«

»Kannst recht haben! Sollten's zur Schar des Abu el Mot gehören? Sollten's etwa voraus sein, um seine Ankunft zu melden?«

»Das ist möglich, sogar wahrscheinlich. Ich werde sie beobachten.«

Er zog sein Fernrohr aus und richtete es auf die beiden so unerwartet Erschienenen. Sie rannten eine Zeitlang auf der Brandstätte umher; dann folgten sie eine kurze Strecke weit den Spuren der abgezogenen Sklavenjäger, und endlich liefen sie in höchster Eile westwärts davon.

»Sie gehen nach dem Dorfe der Dschur, um sich nach dem Vorgefallenen zu erkundigen,« sagte Schwarz, indem er das Rohr wieder zusammenschob. »Das gibt uns Zeit, nachzusehen, woher sie gekommen sind. Ich vermute, daß ihr Boot unten am Flusse liegt. Komm mit!«

Als die beiden an das Wasser kamen, erblickten sie einen kleinen, schmalen, zweiruderigen Kahn, welcher mit einem Baststricke an eine in das Wasser ragende Baumwurzel befestigt war. Die Stelle, an welcher er lag, war vom Schilfe frei. Die Ruder lagen auf dem Boden, sonst war er leer.

»Es ist so, wie wir dachten,« sagte Schwarz. »Diese Kerls sind vorausgesandte Boten Abu el Mots. Es steht zu erwarten, daß sie schleunigst zurückkehren, um ihm zu melden, was geschehen ist, und ihn zur Eile anzuspornen.«

»Das müssen wir zu verhüten suchen. Meinst nicht, daß wir ihnen das Boot zerbrechen?«

»Nein, denn sie würden daraus ersehen, daß Leute hier waren, welche ihnen feindlich gesinnt sind. Wir binden den Kahn los und lassen ihn abwärts treiben. Dann können sie denken, daß sie ihn nicht fest angebunden hatten.«

Er machte den Strick los und gab dem leichten Fahrzeuge einen kräftigen Stoß, daß es weit hinaus in das Wasser schoß. Dort wurde es von der Strömung erfaßt, einige Male rundum und dann schnell weitergetrieben.

Die beiden kehrten nach dem Baume zurück, an welchem die Niam-niam zurückgeblieben waren. Sie warteten mit Sehnsucht auf die Rückkehr des Arabers, doch vergeblich. Es verging noch eine Stunde; die Sonne berührte den westlichen Horizont, und noch immer war der Sejad ifjal nicht zu sehen. An seiner Stelle kamen die beiden Sklavenjäger schnellen Laufes zurück. Sie beachteten die Brandstätte gar nicht und verschwanden im Walde, auf dem Wege, den sie gekommen waren.

»Sie wollen wieder fort,« sagte Schwarz. »Wenn sie sehen, daß der Kahn weg ist, werden sie ihn wohl suchen. Damit sie uns nicht etwa sehen, müssen wir uns verstecken, bis sie fort sind.«

Es gab kein Unterholz, in welches man sich hätte verbergen können. Darum stiegen die fünf(.!!) auf Bäume, deren Wipfel dicht genug war, den beabsichtigten Zweck zu erfüllen.

Vom Ufer her ertönten die Stimmen der enttäuschten Männer. Sie schienen, wie Schwarz vorausgesehen hatte, überzeugt zu sein, daß sie den Strick nicht gehörig befestigt gehabt hatten, denn sie zeigten keinen Verdacht und kehrten ebenso eilig, wie sie gekommen waren, nach dem Dorfe zurück. Die fünf aber stiegen wieder von den Bäumen herab.

Die kurze Dämmerung ging vorüber, und der Abend brach herein; noch immer ließ der Araber auf sich warten. Die beiden Deutschen wurden um so besorgter, je mehr die Zeit verstrich. Stunde um Stunde verging; es wurde Mitternacht. Da endlich hörte man draußen auf der Ebene das Geräusch von nahenden Schritten.

»Das ist er!« atmete Schwarz tief auf. »Es sind die Schritte von Pferden oder Kamelen. Ich wüßte nicht, wer außer ihm mit solchen Tieren hieher kommen sollte.«

Er hatte recht, denn vom Rande des Waldes her erscholl der Ruf:

»Ja ishab elbet – he, Leute!«

Schwarz erkannte die Stimme des Erwarteten, dennoch fragte er:

»Min haida – wer ist da?«

»El Sejad ifjal. Ta' a lihene – der Elefantenjäger. Komm hieher!«

Die beiden Weißen folgten mit dem Schwarzen diesem Rufe, doch vorsichtig. Ihr Mißtrauen war überflüssig, denn als sie die letzten Bäume erreichten, sahen sie zwei an der Erde liegende Kamele, bei denen der Elefantenjäger stand. Die Sterne leuchteten hell genug, um sehen zu lassen, daß er allein war.

»Ich habe gedacht, daß du nicht allein kommen würdest,« sagte er, als er die Begleiter Schwarzens erblickte. »Ihr habt mit Schmerzen auf mich gewartet, wie ich mir denken kann; aber es war mir nicht möglich, eher zu kommen.«

»Warum nicht?« fragte der Graue.

»Der Schech war mißtrauisch dadurch, daß ich mit euch abseits gesprochen hatte, und euer karges Geschenk hatte seinen Zorn erregt. Er wollte mir keine Tiere verkaufen. Dann kamen die Boten des Abu el Mot, welche unsern Handel unterbrachen.«

»Es waren also wirklich Boten von ihm?«

»Ja. Sie sollten verkünden, daß er in zwei Tagen ankommen werde. Als sie hörten, was geschehen war, beschlossen sie, zu ihm zurückzukehren, um ihn zur Verfolgung der Verräter und Brandstifter aufzufordern. Aber sie konnten diesen Vorsatz nicht ausführen, weil sie ihr Fahrzeug nicht sorgsam angebunden hatten. Der Fluß hat es mit sich fortgerissen.«

»Nein, sondern wir haben das Boot losgebunden und dem Strom übergeben, weil wir vermuteten, wer die beiden seien und was sie thun würden.«

»Das war klug von euch. Es ist kein Fahrzeug vorhanden, welches sie benutzen könnten, und die Dschur besitzen nicht die erforderlichen Werkzeuge, schnell ein Boot zu bauen. Darum wird Abu el Mot unbenachrichtigt bleiben.«

»Wo befindet er sich?«

»Heute ist er zwei Tagereisen abwärts von hier. Er kommt auf dem Wasserwege. Er hat in Diakin zwei Fahrzeuge gefunden und gemietet, einen Sandal und einen Noqer, auf denen er über dreihundert gut bewaffnete Nuehrs nach der Seribah bringt. Der mitgenommene Proviant ist ihm ausgegangen; darum sandte er die Boten auf dem leichten Kahne voraus, um Fleisch und Mehl von der Seribah zu beordern. Er muß nun, wie die Sachen stehen, mit den Nuehrs hungern. Von hier aus kann er nichts erhalten, und in der Seribah Madunga, dem einzigen Orte, an welchem er noch vorüber kommt, darf er sich nicht sehen lassen, weil er mit dem Besitzer derselben in Feindschaft lebt. Er ist also auf das Fischen und Jagen angewiesen, was seine Ankunft sehr verzögern wird. Wenn ihr mit eurem Boote nach Madunga wollt, so rate ich, euch vor ihm in acht zu nehmen. Ihr müßt, sobald ihr seine Schiffe erblickt, anlegen und euch am Ufer verbergen, bis sie vorüber sind.«

»Wir werden gleich jetzt aufbrechen und die ganze Nacht fahren. Da wir die Strömung für uns haben, werden wir eher in Madunga sein als er. Du beginnst doch auch gleich jetzt den Ritt mit meinem Gefährten.«

»Nein, nicht jetzt, sondern erst wenn der Morgen graut.«

»Warum erst dann?« fragte Schwarz.

»Aus zwei sehr triftigen Gründen. Ihr seid Christen und wißt also wohl nicht, daß der Moslem jede Reise um die Zeit des Asr, drei Stunden nach Mittag anzutreten hat. Ist das nicht möglich, so darf er ausnahmsweise zum Fagr aufbrechen, früh wenn der Strahl der Sonne erscheint. Keineswegs aber ist es ihm gestattet, nach el Aschia, dem Nachtgebete, eine Reise zu beginnen. Von dieser Regel darf er nur in der höchsten Not abweichen. Ich erlaube dir, nach den Satzungen deines Glaubens zu leben, aber du mußt mir auch gestatten, die Gebote des meinigen zu befolgen. Und selbst wenn ich gleich jetzt mit dir reiten wollte, wozu könnte das nützen? Wir müssen der Fährte der Sklavenjäger folgen, welche des Nachts ja doch nicht zu erkennen ist.«

»Aber wenn wir warten, bis es hell geworden ist, so werden die Dschur wieder hierher kommen und mich sehen.«

»Sie kommen nicht. Sie sitzen noch jetzt beisammen und trinken berauschende Merissah, worauf sie dann gewiß bis in den Tag hinein schlafen werden. Der Schech war schon vorhin betrunken, und das war ein Glück für mich und dich, denn nur der Rausch machte ihn willig, mir diese zwei Kamele abzutreten. Das eine ist mit samt dem Sattel dein Eigentum, du hast mir dafür fünf Abu Noktah zu zahlen. Dieser Preis ist sehr gering, weil die Kamele hier doch in der baldigen Regenzeit zu Grunde gehen werden; aber dafür fordere ich, daß deine Abu Noktah keine Fehler haben.«

Der Mariatheresienthaler wird nämlich im Sudan nur dann angenommen, wenn die Prägung deutlich ist; außerdem müssen sich die sieben Punkte des Diadems, von denen der Thaler seinen Namen hatAbu Noktah = Vater des Punktes, ferner auch die Agraffe und die Buchstaben S. F. scharf zeigen. Fehlt eines dieser Merkmale, so wird der Thaler entweder gar nicht angenommen, oder um mehrere Piaster billiger berechnet.

Fünf Thaler für ein gesatteltes Kamel war gar kein Preis. Schwarz hatte Geld zu sich gesteckt, als er das Boot verließ, und bezahlte die Summe sofort. Da es zu dunkel war, als daß die Prägung gesehen werden konnte, so versprach er, ein etwa minderwertiges Stück am Morgen ohne Widerrede auszuwechseln.

Er konnte nichts gegen die religiösen Anschauungen des Arabers thun, und sah sich also gezwungen, die vier Stunden bis zum Morgengrauen hier zu bleiben. Anders war es mit Pfotenhauer. Da dieser noch vor Abu el Mot die Gegend der Seribah Madunga erreichen wollte, so durfte er keine Zeit verlieren; er mußte nach dem Boote zurückkehren, und sich also jetzt von Schwarz verabschieden.

»Geb's Gott, daß wir uns bald und glücklich wiedersehen!« sagte er, als er dem Gefährten die Hand reichte. »Nun ich dich fort lassen muß, denk' ich doch, daß die Belanda es gar nicht wert sind, daß't dein Leben für sie wagst. Sie gehn uns eigentlich gar nix an. Aber, wannst denkst, daß dein G'wissen es gebietet, sie zu warnen, so reit in Gottes Namen zu. Oder willst mir's derlauben, an deiner Stell' es zu thun? Jetzt ist's noch Zeit dazu!«

»Nein, lieber Doktor, es kann mir gar nicht einfallen, dich – –«

»Willst gleich schweigen, du Malefizbub' du!« fiel ihm der Graue zornig in die Rede. »Nennst mich schon wieder Doktor! Und zwar gerade beim Abschiednehmen, wo du dir alle Müh' geben sollst, mich nit zu verzürnen!«

»Es war nicht so gemeint; ich habe mich versprochen; es fuhr mir so schnell heraus!«

»So nagel es drinnen fest an, daß es nit heraus kann! Wannst mich nit kurzweg Ignaz oder Naz, oder noch kürzer, Vogelnazi heißen willst, so brauchst gar nimmer wiederzukommen! Hab' ich etwa darum mit dir Brüderschaft g'macht, daß't mir immer den Titel an den Kopf wirfst, und mich als hoffährtigen Kerl behandelst! Wann dies auch später so fortgehen soll, so bleib' lieber bei den Belanda, und laß dich von ihnen als Friseur und Komplimentenfex anstellen. Jetzt weißt, woran du bist. Leb' also wohl; laß dir nix Böses widerfahren, und denk' recht oft an deinen Nazi, der die Augenblick' zählen wird, bis er dich wieder bei sich hat!«

Er eilte davon, gefolgt von dem Schwarzen. Schwarz blickte ihm in tiefer Rührung nach, bis er im Dunkel der Nacht verschwunden war. Der alte, originelle Kauz war ihm ja ungewöhnlich lieb und wert geworden.

Der Sejad ifjal hatte sich niedergesetzt, und der Deutsche nahm nun an seiner Seite Platz. Sie unterhielten sich über ihr Vorhaben, doch war über dasselbe nicht viel zu sprechen. Ihr Plan bestand einfach darin, den Sklavenjägern zu folgen; sobald sie denselben nahe genug gekommen waren, wollten sie zur Seite weichen und einen Bogen reiten, um vor ihnen Ombula zu erreichen.

Dann saßen sie still bei einander. Wovon hätten sie sprechen sollen? Jeder hätte sehr gern über die Verhältnisse des andern etwas Näheres erfahren, aber beide hielten es für unhöflich, danach zu fragen.

So verging ihnen die Zeit in stillem Sinnen und zeitweiligem Einnicken, bis die lautschallende Stimme eines Kranichs den nahenden Morgen verkündete. Einige Reiher flogen über die Bäume; ein Sporenkibitz kreischte sein »Sik-sak«; das niedrige Volk der Enten und Klaffschnäbel wurde dadurch aus dem Schlafe geweckt, und fiel in allen möglichen Tönen ein. Die Sterne des Ostens wichen dem dort aufsteigenden Glanze, und der Elefantenjäger kniete auf seine ausgebreitete Decke, um sein Morgengebet, el Fagr, zu sprechen.

Auch Schwarz faltete die Hände. Wer könnte in dem Augenblicke, an welchem eine solche Natur rundum erwacht, nicht dessen gedenken, der sie geschaffen hat!

Nach dem Gebete stieg der Araber, ohne ein Wort zu sagen, in den Sattel; Schwarz folgte diesem Beispiele. Die Kamele sprangen auf und trugen ihre Reiter südwärts, auf der Fährte der Sklavenjäger hin. Der Ritt hatte begonnen, wer vermochte zu sagen, wie er enden werde!

Die Morgendämmerung hatte kaum zehn Minuten gewährt; dann brach der lichte Tag herein. Man konnte weithin die Ebene überblicken. In der Gegend, nach welcher hin das Dorf der Dschur lag, war kein Mensch zu sehen; der Aufbruch der beiden Männer erfolgte also unbemerkt.

Schwarz sah jetzt, daß sein Gefährte sich mit Nahrungsmitteln ziemlich reichlich versehen hatte. Am Sattelknopfe desselben hingen einige geschlachtete Hühner und zwei Ledersäcke, welche wohl mit Mehl gefüllt waren. An ein Hungerleiden brauchte also für jetzt nicht gedacht zu werden.

Weniger beruhigend wirkte die Beobachtung der beiden Kamele. Sie waren außerordentlich mager und trugen tiefe Geschwürsnarben in der Haut. Waren sie den Krankheiten und Plagen der letzten Regenzeit nicht zum Opfer gefallen, so mußte das in der nächsten Zeit sicher geschehen. Der dicke Schech hatte wohl seine beiden schlechtesten und schwächsten Tiere verkauft. Sie waren zu keinem schnellen Schritte zu bewegen, weder durch Zureden, noch durch Schläge. Ein guter Fußgänger hätte recht gut mit ihnen Schritt halten können.

So kam es, daß sie erst gegen Mittag die Gegend erreichten, in welcher gestern Lobo und Tolo gerettet worden waren. Man sah die Fährte deutlich; sie bog von hier nach Südwest ab, während sich der Nil mit dem Walde in einem weiten Bogen ostwärts wendete.

Die beiden Reiter ließen, ehe sie sich von dem Flusse wendeten, ihre Tiere tüchtig trinken, auch hieben sie mit den Messern einen Vorrat von grünen Zweigen ab, welche den Kamelen am Abende als Futter gegeben werden sollten. Dann ging es wieder der Fährte nach, und zwar in der Überzeugung, daß man heute weder Schatten noch Wasser mehr finden werde.

Die Hitze des Mittags wurde so drückend, daß die Kamele noch langsamer als vorher gingen. Das erregte in Schwarz die ernstesten Besorgnisse. Er hatte bisher geschwiegen, um seinen Gefährten nicht zu beleidigen; nun aber sagte er:

»Hatten die Dschur keine besseren Kamele? Oder hättest du nicht lieber Pferde kaufen sollen?«

»Pferde gab es nicht mehr; Abd el Mot hat sie alle gemietet,« antwortete der Ar aber. »Und von den Kamelen mußte ich diejenigen nehmen, welche ich bekam.«

»Aber Reitochsen gab es noch?«

»Auch nicht; Abd el Mot hat sie mit. Allah weiß, was geschehen soll!«

»Und ich weiß, was geschehen wird. Wir werden nämlich Ombula zu spät erreichen. Wir kommen nicht schneller vorwärts als die Fußtruppen Abd el Mots, und diese haben einen vollen Tagesvorsprung voraus! Es scheint, daß unsre Tiere eher zusammenbrechen, als rascher gehen werden. Sie sind weder durch Worte, noch durch Schläge anzutreiben.«

»So weiß ich noch ein Mittel, welches helfen wird. Wir haben die Zweige der Suffarah abgeschnitten, welche uns helfen sollen.«

Er zog sein Messer hervor und schnitt aus der Anschwellung eines dieser Zweige eine kleine Pfeife. Als sie fertig war, und er diesem Instrumente einen Ton entlockte, spitzten die Kamele die Ohren. Er pfiff weiter, und da setzten sich die Tiere freiwillig in einen ausgiebigen Trott, welchen man ihnen vorher unmöglich hatte zutrauen können.

»Siehst du!« lachte der Araber. »Ich werde auch dir so eine Suffarah anfertigen; dann können wir einander ablösen, um bei Atem zu bleiben.«

»Thue es,« stimmte Schwarz in heiterer Laune bei. »Hoffentlich gelingt es uns, die Hedschahn bis Ombula zu pfeifen. An mir soll es nicht fehlen.«

Er erhielt seine Suffarah, und dann blies bald der eine, bald der andre, als ob sie es bezahlt bekämen. Sobald die Pfeifen schwiegen, fielen die Kamele in den entsetzlichen, langsamen Gang, welcher Zustände erweckt, die denen der Seekrankheit höchst ähnlich sind. Ließen sich aber die schrillen Instrumente hören, so verwandelte sich der Schaukelschritt sofort wieder in den schnellen Trott.

So pfiffen sich die beiden Reiter während des Nachmittages über eine weite, dürre und vegetationslose Ebene, bis sie am Abend einen kleinen, fast ganz ausgetrockneten Sumpf erreichten, welcher sich zur Regenzeit wahrscheinlich in einen ganz respektablen See verwandelte.

Da gab es trockenes Schilf zum Feuer genug, aber kein tierisches Leben, außer den halb verhungerten Krokodilen, welche den Schlamm bevölkerten und, in Ermangelung einer andern Nahrung, jedenfalls gezwungen waren, während der heißen Jahreszeit von ihresgleichen zu leben.

Der Elefantenjäger war am Mittag und Nachmittag abgestiegen, um das vorgeschriebene Gebet zu verrichten. Jetzt war el Mogreb nahe, das Gebet bei Sonnenuntergang; darum hielt er am Sumpfe an und erklärte, daß er hier bleiben werde.

Schwarz fügte sich in das Unvermeidliche. Er war übrigens mit dem heutigen Ergebnisse nicht ganz unzufrieden. Die Pfeifen hatten so gewirkt, daß man den Sklavenjägern ein gut Teil näher gekommen war. Der Deutsche hatte an den Spuren gesehen, daß sie ihr Nachtlager eine nicht unbedeutende Strecke rückwärts gehabt hatten.

Nach Einbruch der Dunkelheit wurde ein Feuer angebrannt, teils um ein Huhn zu braten, teils zur Abwehr wilder Tiere. Die Kamele durften wegen der Krokodile nicht allzu nahe an den Sumpf. Sie wurden gefesselt und bekamen die mitgenommenen Zweige vorgelegt. Wasser gab es nicht. Da das Feuer während der ganzen Nacht hell brennen mußte, so konnten die beiden Männer nicht zu gleicher Zeit schlafen; sie waren gezwungen, einander zum Wachen abzulösen.

Darum, und weil der Ritt ermüdet hatte, wurde nur das Notwendigste gesprochen. Als das Huhn, welches dem Deutschen gar nicht mundete, weil es schon in Fäulnis übergegangen war, verzehrt war, konnte ersterer schlafen, während der Araber die erste Wache übernahm.

Nach Mitternacht wurde Schwarz durch einen Schuß aufgeweckt. Er sprang sofort empor, und griff nach seinem Gewehr.

»Ma fi schi, bess timsah – es ist nichts, nur ein Krokodil,« sagte der Araber, welcher ruhig am Feuer saß, die rauchende Flinte in der Hand.

Er deutete seitwärts, wo ein riesiges Krokodil sich in Todeszuckungen wand. Der Hunger hatte es aus dem Sumpfe nach dem Feuer getrieben, wo ihm die Kugel des Elefantenjägers in das Auge gedrungen war.

»Das ist höchst einladend!« antwortete Schwarz. »Wollen wir uns nicht etwas mehr entfernen?«

»Ich halte es nicht für nötig. Der Schuß hat die Bestien so erschreckt, daß sich keine mehr heranwagen wird. Lege dich getrost nieder. Du hast noch eine halbe Stunde zu schlafen, um dann bis zum Morgen zu wachen.«

»Unter solchen Umständen beginne ich lieber gleich die Wache. Ich will lieber einige Krokodile erschießen, als mich von ihnen fressen lassen.«

»Wie du willst. Du hast aber gesehen, daß du unter meinem Schutze sicher bist. Ich hoffe, daß ich es unter dem deinigen auch sein werde.«

Er lud den abgeschossenen Lauf wieder und wickelte sich dann in seine Decke. Dieser Mann war jedenfalls kaltblütiger und brauchbarer, als Schwarz bisher geglaubt hatte. Der letztere warf einen Haufen Schilf in die Flamme und übernahm sein Wächteramt.

Die Nacht war für ihn einsam wie noch selten eine. Von fernher tönten undeutliche Stimmen von Tieren, welche sich nicht herbeiwagten, weil sie die Anwesenheit der gefräßigen Krokodile kannten, und außerdem vom Feuer zurückgescheucht wurden. Hyänen und Schakale sind ungefährlich. Löwen oder Panther waren nicht zu erwarten, da sich selbst für sie kein genießbares Wasser hier befand. Er hatte also seine Aufmerksamkeit nur gegen den Sumpf zu richten, um, falls abermals ein Saurier sich lüstern nähere, ihm eine Kugel zu geben. Doch erfolgte auch von dieser Seite kein weiterer Angriff.

Die Nacht verging, und kurz vor dem Morgengrauen weckte Schwarz seinen Gefährten, damit dieser die ihm vorgeschriebene Morgenandacht nicht versäume. Vorher hatte er den Kamelen als Futter Schilf vorgeworfen.

Die unverzehrten Hühner waren mittlerweile vollständig ungenießbar geworden; in jenen Gegenden hält Fleisch sich nur stundenlang. Der Araber hatte sie mitgenommen, weil man sie ihm umsonst gegeben hatte. Es gibt dort Stämme, welche Hühner in Menge haben, aber das Fleisch derselben nicht genießen. Er warf sie in den Sumpf, wo sich augenblicklich ein wahrhaft scheußlicher Kampf um das Aas erhob. Die Krokodile verletzten einander dabei selbst. Schwarz sah, daß dem einen ein Bein herausgerissen, dem andern der Schwanz, und einem dritten ein Stück des Rachens abgebissen wurde.

Nun entfesselte man die Kamele, um den Ritt von neuem zu beginnen. Er war heute nicht so beschwerlich, die Gegend nicht so trostlos wie gestern.

Der Fluß kehrte von seiner großen Krümmung zurück, und die Fährte, welcher man zu folgen hatte, suchte seine Nähe wieder auf. Da gab es Wasser zum Trinken, Grün für die Tiere, und – Enten für die Menschen. Schwarz erlegte auf einen Schuß zwei derselben.

Die Kamele waren, durch die Pfeifen aufgemuntert, heute noch fleißiger gewesen, als gestern. Man erreichte schon kurz nach Mittag die Stelle, an welcher die Sklavenjäger in voriger Nacht Halt gemacht hatten. Das veranlaßte die beiden Reiter, ihren schwachen Tieren eine Ruhestunde zu gönnen. Sie stiegen ab, machten ein Feuer und brieten eine Ente.

Auch während dieses Haltes wurde nur wenig gesprochen. Der Elefantenjäger schien ein höchst schweigsamer Mann zu sein, und Schwarz hatte keinen zwingenden Grund, ihn zur Beredsamkeit zu bringen.

Am Nachmittage wurde der bisher ebene Boden wellenförmig, und später sah man zur rechten Hand Höhen liegen, welche nach dem bisherigen Maßstabe ganz respektabel erschienen. Von dorther lief ein Chor herab, welchem die Fährte aufwärts folgte. Einige Stellen dieses in der Regenzeit einen Fluß bildenden Bettes waren feucht; in andern stand sogar noch Wasser. Da gab es pflanzliches und tierisches Leben in Menge. Aber zur Beobachtung desselben war keine Zeit vorhanden, da die Sklavenjäger bis spätestens morgen mittag überholt werden mußten. Aus diesem Grunde wurden die Suffarah heute noch anhaltender als gestern benutzt, und die Wirkung war, daß die Kamele fast über ihre Kräfte liefen.

Der weitere Weg führte zwischen den erwähnten Höhen hindurch und senkte sich dann wieder abwärts nach dem Flusse, welcher abermals einen Bogen gemacht hatte, der durch die Fährte abgeschnitten worden war. Doch blieb die Fährte nicht am Flusse, sondern lief am Rande einer Maijeh hin, um deren äußerste Spitze sie bog. An dieser Stelle mußten die beiden Reiter halten, weil der Abend hereinzubrechen drohte.

Der Nil bildet weit in das Land gehende Buchten, ähnlich den Bayous des Mississippi, welche zur Regenzeit mit Wasser gefüllt sind. Kehrt der Nil dann zu seiner ursprünglichen Breite zurück, so bleibt das Wasser in diesen Buchten stehen, wo es eine lebhafte Vegetation erweckt, um dann später mehr oder weniger auszutrocknen. Viele dieser Vertiefungen sind so energisch eingeschnitten, daß sie selbst in den heißesten Monaten Wasser halten. Sie werden Maijeh genannt, und an einem derselben hielten die beiden Reiter.

Mehrere hundert Schritte vom Rande desselben stand eine riesige Homrah, deren Stamm gewiß über fünfzig Fuß Umfang hatte. Dabei war sie kaum zwanzig Ellen hoch, und ihre jetzt kahlen Äste und Zweige senkten sich mit den Spitzen fast wieder bis zur Erde nieder, so daß der Wipfel eine hohle Halbkugel bildete, in deren Mitte sich der ungeheure Stamm befand. Dorthin leiteten die beiden ihre Tiere, um da die Nacht zuzubringen. Hier konnten sie sich durch das Feuer leichter vor den Nachtmücken schützen, deren Plage am Wasser viel ärger gewesen wäre.

Während Schwarz eine Sporengans zum Mahle schoß, holte der Araber Brennmaterial herbei, welches in großer Menge vorhanden war. Dann verrichtete er sein Gebet, nach welchem er vier Feuer anbrannte, zwischen denen sich die Reiter und Kamele lagerten. Dies letztere war notwendig wegen der hier vorhandenen Mücken, und weil man aus der Nähe der von Tausenden Vögel belebten Maijeh auf das Vorhandensein größerer Raubtiere schließen konnte.

Während der Deutsche die Gans rupfte, sie ausnahm und dann an einen über dem einen Feuer improvisierten hölzernen Bratspieß steckte, sah ihm der Araber zu, ohne ein Wort zu sprechen. Er schien auch heute noch nicht aus sich herausgehen zu wollen.

Die Kamele waren am Maijeh getränkt worden, und hatten dann ihr Futter erhalten. Als die Gans gar war, schritten auch die Reiter zum leckeren Mahle. Der Schein der Feuer drang zwischen den Zweigen der Homrah hinaus ins Freie, doch reichten die Blicke der beiden Männer nicht so weit, da sie von vier Flammen geblendet wurden.

Während sie schweigend aßen, hörten sie vor sich ein Knacken der Äste, und darauf ein tiefes, unruhiges Schnaufen. Sie blickten auf und griffen nach ihren Gewehren.

»Allah akbar, dschamus, dschamus – Gott ist groß, ein Büffel, ein Büffel!« rief der Araber.

Im Nu hatte er den Kolben an der Wange und drückte ab, beide Läufe schnell hintereinander, doch leider ohne den erwarteten Erfolg, da er in seiner Aufregung und von den Feuern geblendet, nicht genau gezielt hatte.

Der afrikanische Büffel ist noch viel stärker, wilder und unbändiger als der indische. Er liebt die Sümpfe, schwimmt ausgezeichnet und bricht sich durch das dichteste Unterholz im schnellen Laufe Bahn. Erfahrene Jäger halten seine Jagd für noch gefährlicher als diejenige des Elefanten, Nilpferdes und Nashornes. Selbst auf den Tod verwundet, kämpft er fort. Besonders gefährlich sind die einzelnen Umherstreicher, welche wegen ihrer wahnsinnigen Wildheit von ihresgleichen nicht geduldet und aus den Herden ausgestoßen werden. Von ihnen sagt der Sudanese: »Wenn du eine Herde Büffel erblickst, so flieht sie vor dir; findest du mehrere Büffel, so brauchst du sie nicht zu fürchten; begegnest du aber einem einzelnen, so sei Gott dir gnädig!«

Und ein solcher einzelner, ein solcher Umherstreicher war es, der so plötzlich seinen dicken Kopf mit den mächtigen Hörnern und niederhängenden Ohren durch die Zweige steckte. Die Feuer hatten, anstatt ihn zu verscheuchen, vielmehr herbeigelockt. Sie erregten seinen Grimm. Er sah die Männer und die Kamele und wollte sich auf sie stürzen, gerade als der Elefantenjäger ihm die beiden Kugeln entgegenschickte. Sie trafen ihn zwar, aber nur leicht. Er stand einen Augenblick unbeweglich, wie erstaunt, daß man es gewagt habe, an Gegenwehr zu denken, dann senkte er den Kopf, und warf sich unter wütendem Gebrüll vorwärts.

»Rette dich hinter den Baumstamm!« rief Schwarz dem Araber zu.

Es bedurfte dieser Aufforderung gar nicht, denn der Jäger war bereits hinter der Homrah verschwunden. Der Deutsche aber blieb kaltblütig stehen, das Gewehr in der Hand. Schon senkte das Tier den Kopf, um ihn mit den Hörnern zu fassen, da sprang Schwarz blitzschnell zur Seite, seine Schüsse krachten – der Büffel stand wie vom Schlage getroffen, unbeweglich; ein Zittern ging durch seine mächtigen Glieder, seine kolossale Gestalt, dann brach er auf demselben Fleck zusammen, auf welchem die Kugeln des Deutschen ihm Halt geboten hatten.

Dieser letztere war nicht von der Stelle gewichen. Um das zu wagen, mußte er seines Schusses außerordentlich sicher gewesen sein. Er griff in die Patronentasche, lud von neuem, und sagte dabei zu dem Araber in so ruhigem Tone, als ob es sich nur um die Tötung einer Fliege gehandelt habe:

»Du kannst nun wiederkommen, denn er ist tot.«

»Tot?« fragte der andre, indem er sehr vorsichtig nur die Nase sehen ließ. »Das ist nicht möglich!«

»Überzeuge dich!«

»So habe ich ihn also doch gut getroffen!«

»Du? Das glaube ich nicht! Du scheinst ja gar nicht zu wissen, wo sich die verletzbarsten Stellen eines Büffels befinden. Wohin hast du gezielt?«

»Nach der Stirn.«

»So wollen wir sehen, welche Wirkung deine Kugeln gehabt haben.«

Er kniete vor das Ungetüm nieder, um die Stirn desselben zu untersuchen.

»Allah jisallimak – Gott behüte dich!« schrie der Araber entsetzt. »Willst du dich ermorden? Wenn er noch nicht völlig tot ist, bist du verloren!«

»Habe keine Sorge! Ich weiß sehr wohl, was ich thue. Schau her! Deine eine Kugel hat das Ohr durchlöchert, und die andre ist vom Hörnerwulste abgeglitten. Du kannst es ganz deutlich sehen.«

Der andre kam nur zagend herbei; er streckte die Hand weit aus, um das Tier zu betasten; er faßte es am Schwanze und dann am Beine, um sich zu überzeugen, daß es wirklich nicht mehr gefährlich sei; dann erst näherte er sich dem Kopfe, um die Stellen zu betrachten, welche er getroffen hatte.

»Allah, Allah!« rief er aus. »Du hast recht. Ich habe ihn nicht einmal verwundet, denn das Loch im Ohre hat gar nichts zu bedeuten. Wo aber hast du ihn getroffen? Er stand mitten im Laufe, wie von Allahs Faust erfaßt, und sank dann zitternd zur Erde nieder, um sich nicht mehr zu regen.«

»Ich habe ihm den letzten Halswirbel zerschmettert, das hielt ihn fest, und ihn dann ins Herz getroffen, das warf ihn nieder. Ich hatte keine andre Wahl, da er mit gesenktem Kopfe auf mich zukam.«

»Du wolltest ihn wirklich an diesen beiden Stellen treffen?« fragte der Elefantenjäger erstaunt.

»Natürlich !«

»Aber du hast ja gar nicht gezielt!«

»Besser wie du. Man kann sehr genau zielen, ohne das Gewehr an das Auge zu nehmen. Ich habe die Mündungen gerade an die Stellen gehalten, die ich treffen wollte. Das muß freilich blitzschnell geschehen, wenn man sich nicht von den Hörnern fassen lassen will. Und seines Gewehres muß man absolut sicher sein, sonst ist man des Todes.«

Der Araber stand auf, starrte ihn mit einem geradezu ratlosen Blicke an, und rief dann aus:

»Das begreife ich nicht! Du bist ein Gelehrter. Wie darfst du so verwegen bei dem gefährlichsten der Tiere sein!«

»Es ist dies nicht der erste Büffel, den ich erlege. Ich war mit meinem Bruder in Amerika, einem Lande, wo es Herden von Tausenden von Büffeln gab, die wir verfolgt haben. Von mir selbst will ich nicht sprechen; aber glaubst du auch jetzt noch, daß dein Gewehr besser sei, als das meinige, weil es größer und stärker ist?«

»Herr, was ich glauben soll, das weiß ich jetzt noch nicht. Ich weiß nur, daß ich jetzt eine Leiche wäre, wenn du dieses Ungeheuer nicht so schnell erlegt hättest. Es hätte mich und dich, und dann auch noch die Kamele getötet, die nicht fliehen konnten, weil wir ihnen die Füße gefesselt haben. Wenn das kein Zufall ist, wenn du stets so gut triffst, wie jetzt, so wirst du mich besser beschützen können, als ich dich!«

»Wir sind Gefährten, und auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Keiner darf den andern in der Not verlassen. Wenn wir das zu unsrem Grundsatze machen, so brauchen wir die Gefahren, denen wir entgegengehen, nicht zu fürchten. Jetzt wollen wir unser Mahl fortsetzen. Da liegt die Gans, um welche es jammerschade wäre, wenn wir sie den Geiern oder Schakals überließen.«

Er setzte sich nieder und schnitt sich ein Stück von dem Braten ab. Der Sejad ifjal wußte nicht, was er zu dieser bewundernswerten Ruhe und Kaltblütigkeit sagen solle. Er hielt es für das beste, dem Beispiele des Gefährten zu folgen; darum legte er erst neues Holz in die Flammen, und setzte sich dann nieder, um seinerseits auch der Gans die ihr gebührende Ehre zu erweisen. Er konnte es aber nicht über das Herz bringen, schon nach einiger Zeit zu fragen:

»Was thun wir nun mit diesem Abu kuruhn? Wenn er hier liegen bleibt, wird er alle Raubtiere der Umgegend herbeilocken.«

»Jetzt noch nicht. Blut ist fast gar nicht geflossen, und da wir ihn nicht öffnen, wird der Geruch während der Nacht nicht bedeutend sein. Übrigens wird kein Löwe sich zwischen diese vier Feuer wagen. Das konnte nur ein so störrisches Tier, wie dieser Ochse war, thun.«

»Aber die Kamele fürchten sich vor ihm.«

»Sie sind jetzt freilich noch ängstlich, werden sich aber bald beruhigen. Das Fleisch dieses alten Kerls ist ungenießbar. Wir müssen es für die Geier liegen lassen. Unter gewöhnlichen Umständen würde ich das Skelett des Kopfes mit den prächtigen Hörnern mitnehmen; das kann ich aber jetzt nicht, da wir uns auf einem nichts weniger als wissenschaftlichen Ausfluge befinden. Also lassen wir diesen Vater der Hörner liegen, wie er ist, und begnügen uns mit dem Bewußtsein, den Plan, den er gegen uns hegte, zu Schanden gemacht zu haben.«

»Effendi, du bist gerade so ein mutiger und zugleich ruhiger Mann, wie Emin Pascha. Ich bewundere und achte dich. Darf ich deinen Namen erfahren, damit ich weiß, wie ich dich nennen soll?«

»Du würdest ihn nicht richtig aussprechen können; darum will ich ihn dir in arabischer Übersetzung sagen. Nenne mich Aswad; das wird genügen.«

»Ist er nicht länger?«

»Nein. In meiner Heimat führt man nicht so lange Namen, wie bei euch. Ein Mann mit dem kürzesten Namen kann bei uns ein berühmter Held oder Gelehrter sein. Nun darf ich wohl auch deinen Namen erfahren?«

»Noch nicht, Effendi. Als ich Dar Runga verließ, schwor ich bei Allah, meinen Namen abzulegen, bis ich die Spur meines Sohnes finden würde. Da dies noch nicht geschehen ist, darf ich ihn nicht über die Lippen bringen. Man nennt mich überall den Elefantenjäger. Willst du das nicht auch thun, sondern mir einen Namen geben, so nenne mich Bala Ibn; das ist ein Wort, welches auf mich paßt.«

»Ich werde mich dieses Namens bedienen, wenn ich von oder mit dir spreche. Aber hast du auch geschworen, darüber zu schweigen, unter welchen Umständen du deinen Sohn verloren hast?«

»Nein, Effendi. Wie könnte ich jemals hoffen, ihn wiederzufinden, wenn ich nicht davon sprechen dürfte. Ich habe schon Hunderten mein Unglück erzählt, doch keiner hat vermocht, mir einen Fingerzeig zu geben. Ich glaube nun, daß mein Sohn gestorben ist, aber ich bleibe dennoch meinem Schwur getreu, und werde nach ihm und seinem Entführer suchen, bis Allah mich aus dem Leben nimmt.«

Er legte die Hand über die Augen, wie um die tiefe Trauer, welche in seinem Blicke lag, zu verbergen, und fuhr dann fort:

»Ich war der reichste und angesehenste Mann meines Stammes, der Anführer unsrer Krieger, und der Oberste im Rate der Weisen; ich pries mich glücklicher als alle, die ich kannte, und ich war es auch, bis derjenige kam, welcher mein Unglück verschuldete. Ich liebte mein Weib und mein einziges Kind, einen Sohn, dem wir den Namen Mesuf et Tmeni Sawabi-Ilidschr gaben. Da sandte – – –«

»Wie hieß dieser Knabe?« unterbrach der Deutsche ihn. »Mesuf et Tmeni Sawabi-Ilidschr? Warum hast du ihm diesen Namen gegeben?«

»Weil er nur vier Zehen an jedem Fuße hatte. Ich weiß nicht, ob das bei euch auch vorkommt; bei uns ist es selten.«

»Bei uns auch. Aber ich habe Personen gekannt, welchen Finger oder Zehen von der Geburt an fehlten, und auch einen Mann, der sechs Finger, also einen zu viel an jeder Hand hatte.«

»Die Finger meines Sohnes waren vollzählig, doch fehlte ihm die kleine Zehe an jedem Fuße; dafür aber hatte Allah ihm eine um so reichere Seele gegeben, denn er war das klügste Kind im ganzen Stamme. Als er noch nicht drei Jahre zählte, begab es sich, daß ein Baija'l abid in unser Duar kam, um Sklaven zu verkaufen. Es waren Knaben und Mädchen, auch Frauen, lauter Neger, außer einem Knaben, welcher helle Haut, auch schlichtes Haar und keine Negerzüge besaß. Der Händler errichtete einen Markt bei uns, um seine Waren zu verkaufen, und aus der ganzen Gegend kamen die Beni el Arab herbei, mit ihm zu handeln. Der helle Knabe weinte stets, aber sprechen konnte er nicht, denn man hatte ihm die Zunge herausgeschnitten.«

»Entsetzlich! Wie alt war er?«

»Vielleicht vierzehn Jahre. Als der Händler eine Woche bei uns gewesen war, kam plötzlich ein Mann mit mehreren Begleitern aus Birket Fatma zu uns, und klagte den Händler an, ihm seinen Sohn gestohlen zu haben. Der Vater war der Spur des Schurken gefolgt, und so zu uns gekommen. Der Händler leugnete; er schwor bei Allah, den Mann gar nicht zu kennen. Da er unser Gast war, mußten wir ihn in Schutz nehmen; aber die Erzählung der Männer aus Birket Fatma klang so wahrhaftig, daß wir sie glauben mußten. Es wurde eine Beratung abgehalten, in welcher ich bestimmte, daß der Knabe, welcher eingesperrt gehalten wurde, dem Fremden vorgeführt werden solle. Dieser letztere erhielt den strengen Befehl, dabei ganz ruhig zu erscheinen, und kein Wort zu sagen. Der Knabe wurde gebracht. Als er den Fremden erblickte, stieß er Jubeltöne aus und sprang auf ihn zu, ihn zu umarmen und zu küssen. Auch die übrigen Männer aus Birket Fatma begrüßte er mit großer Freude. War das nicht ein Beweis, daß er der Sohn des Fremden sei?«

»Ganz gewiß!« antwortete Schwarz.

»Außerdem beschworen die Leute die Wahrheit ihrer Aussage. Der Händler hatte den Sohn eines gläubigen Moslem gestohlen und zum Sklaven gemacht, welches Verbrechen mit dem Tode bestraft wird. Sodann hatte er dem Knaben die Zunge geraubt, damit dieser ihn nicht verraten könne; darauf mußte eine weitere Strafe erfolgen. Die große Versammlung trat also wieder zusammen, um ihm das Urteil zu sprechen. Dieses lautete auf den Tod für den Raub. Für das Herausschneiden der Zunge sollte er täglich die Peitsche erhalten. Und für den Verlust seiner Sprache sollte der verstümmelte Knabe die Sklavenware des Verbrechers empfangen.«

»Wurde dieses Urteil vollstreckt?«

»Nur ein kleiner Teil desselben. Nach dem Gesetze mußte der Schuldige dem Vater des Knaben ausgeantwortet werden. Dies konnte erst nach einer Woche geschehen, denn er war unser Gast, als welcher er für vierzehn Tage in unserm Schutze stand. Darum sperrten wir ihn ein, um ihn nach sieben Tagen den Rächern auszuliefern; aber bis dahin sollte er an jedem Tage durchgepeitscht werden. Dies geschah zweimal unter meiner eigenen Aufsicht. Am dritten Morgen war er entflohen, ohne eine Spur zurückzulassen. Unsre Krieger bestiegen sofort ihre Pferde, um ihn zu verfolgen, aber sie kehrten alle zurück; ohne daß einer ihn gesehen hatte. Die Leute aus Birket Fatma kehrten mit dem Knaben und den Sklaven dorthin zurück, auf die Ausführung des Todesurteils hatten sie verzichten müssen.«

»Und dieses Ereignis steht im Zusammenhange mit dem Verluste deines Sohnes?«

»Ja. Nach wenigen Wochen brachte mir ein Bote aus Salamat einen Brief, welcher mit Ebrid Ben Lafsa, dem Namen des Sklavenhändlers, unterzeichnet war. Dieser Hund schrieb, er sei unschuldig verurteilt worden, und er werde sich an mir rächen, daß ich bis an mein Ende an den geraubten Knaben aus Birket Fatma denken solle. Einen Monat später war ich mit meinen Kriegern vom benachbarten Stamme zu einer großen Fantasia eingeladen. Kaum befanden wir uns dort, so kam uns ein Bote mit der Nachricht nach, daß mein Sohn verschwunden sei. Er war in der Nacht geraubt worden, und am Morgen hing an der Zeltstange ein Brief, in welchem Ebrid Ben Lafsa mir mitteilte, daß er sich meinen Knaben an Stelle des andern geholt habe, und daß ich das Kind im Leben nicht mehr erblicken solle.«

»Das ist ja teuflisch; das ist geradezu höllisch!« rief der Deutsche schaudernd aus.

»O, er schrieb außerdem, daß er meinen Sohn für die zweimaligen Schläge täglich peitschen, und ihm außerdem auch die Zunge nehmen werde. Ich war wie ein Wahnsinniger. Alle meine und auch die benachbarten Krieger streiften weit umher, um diesen Teufel zu ergreifen – vergeblich! Als wir nach Wochen zurückkehrten, lag mein Weib im Fieber, und da ich ihr den Sohn nicht brachte, starb sie nach wenigen Tagen. Als ich sie begraben hatte, that ich den Schwur, den du kennst. Ich gab meinen Sklaven die Freiheit, vertraute alle meine Habe meinem Bruder an und wanderte fort, um meinen Sohn zu suchen. Kein Negerfürst, der unter dem Chedive steht, darf einen weißen Sklaven kaufen; ich mußte also im Norden und Westen suchen. Darum wanderte ich nordwärts durch Wadai, durch die Wüste nach Borgu, wieder zurück nach Kanem und Bornu, nach Bagirmi und Adamaua. Ich frug und forschte an allen Orten, doch stets umsonst. Wenn ich einmal glaubte, die Spur entdeckt zu haben, grinste mir die Enttäuschung bald entgegen. Dann ging ich nach Osten, wo ich ganz Kordofan und Dar Fur durchsuchte; aber auch das war vergebens. Die Jahre schwanden, mein Herz lag im Blute, und mein Haar wurde grau. Der einzige Erfolg, der sich nur zeigte, war die nunmehrige Einsicht, daß ich dreizehn Jahre lang in falscher Richtung geforscht hatte. Ich wandte mich nun doch dem Süden zu, von Habesch aus bis zu den Galla und den größten Seen, dann zu den Völkern, die im Westen davon wohnen. Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Ich lebte von der Jagd. Von den Leiden, die ich überstand, und den Gefahren brauche ich dir nicht zu erzählen. Seit mehreren Monaten durchforsche ich die Gegenden der vielen Wasser, aus denen sich der Bahr el Abiad bildet. Ich bin da als Sejad ifjal bekannt geworden, aber meinen Sohn werde ich auch hier nicht finden, ich habe darauf verzichtet, denn er wird seinen Leiden längst erlegen sein. Doch bitte ich Allah täglich um das eine, mich mit Ebrid Ben Lafsa, falls er noch lebt, zusammenzuführen. Sollte ich diesem hundertfachen Teufel begegnen, so siebenmal siebenmal wehe ihm! Die Hölle wird keine der Qualen haben, die er von meiner Hand erdulden soll!«

Diese letzten Worte hatte der unglückliche Vater in einer Weise durch die Zähne geknirscht, daß es seinen Nachbar schauderte; dann senkte er den Kopf und legte sein Gesicht in die Hände. Er fuhr fast erschrocken aus seinen düstern Gedanken auf, als Schwarz nach einiger Zeit in mildem Tone sagte:

»Allah ist allmächtig und allbarmherzig. Vielleicht hast du einst deine Sklaven hart behandelt, und da hat er dir zeigen wollen, welch ein unbeschreibliches und unendliches Herzeleid das Wort Sklaverei umfaßt.«

Der Araber stöhnte auf; dann seufzte er schwer:

»Ich war ein jähzorniger Gebieter. Mancher Schwarze ist unter meiner Peitsche gestorben; einigen habe ich die Hände abhauen, einem auch die Zunge nehmen lassen, weil er mich mit derselben beleidigte. Nach dem Verschwinden meines Sohnes kam die Reue über mich, und ich gab sie alle frei«

»So hat meine Vermutung mich nicht getäuscht. Alle Menschen, die weißen und die schwarzen, sind Gottes Kinder. Allah hielt Gericht über dich; nun er aber deine Reue gesehen, und deine Leiden gezählt hat, wird er Gnade walten lassen. Ich bin überzeugt, daß du deinen Sohn wiedersehen wirst, vielleicht schon bald.«

»Nie, nie!«

»Sprich nicht so! Warum willst du an Gottes Gnade verzweifeln? Bietet dein Glaube dir keine Versöhnung zwischen der göttlichen Liebe und dem reuigen Sünder? Du glaubst nicht an den großen Erlöser aller Menschen, welcher am Kreuze auch für dich gestorben ist, so sei wenigstens überzeugt, daß Allah alle deine Klagen, auch die jetzigen, vernommen hat, und daß seine Hilfe sich vielleicht schon unterwegs zu dir befindet.«

»Das ist undenkbar,« antwortete Bala Ibn. »Wollte er mir helfen, so hätte er es schon längst gethan.«

»Er allein weiß es, warum er es noch nicht that. Vielleicht hast du deine frühere Härte noch niemals so erkannt wie heute.«

Es fiel dem Araber sichtlich schwer, hierauf eine Antwort zu geben. Er sah eine Weile schweigend vor sich nieder und gestand dann:

»Niemand wagte es, mich darauf aufmerksam zu machen, und ich selbst war nicht ganz aufrichtig gegen mich. Du bist der erste, der mir in deutlichen Worten sagt, daß ich mich an meinen Sklaven versündigt habe, und gerade, daß du es bist, der Fremde, der Christ, der keine meiner früheren Grausamkeiten kennt, und den ich eigentlich als einen Giaur verachten sollte, das zeigt mir die Vergangenheit in ihrer ganzen blutigen Beleuchtung. Ich kann nie wieder gut machen, was ich that; ich verdiene es nicht, meinen Sohn wiederzufinden. Und doch würde ich mich im höchsten Himmel Allahs fühlen, wenn es mir vergönnt wäre, ihn noch einmal zu sehen, selbst wenn – – wenn ihm die Zunge fehlte, so daß er nicht einmal den Vaternamen lallen könnte!«

Er hatte mit tief ergreifender Innigkeit, mit einer wahren Inbrunst gesprochen. Der Deutsche legte ihm leuchtenden Auges und freudeglänzenden Angesichtes die Hand auf die Achsel und sagte:

»So ist es recht; so will Allah es hören, und nun darfst du die Überzeugung hegen, daß er den Wunsch deines Herzens erfüllen wird. Schon sehe ich die Erhörung nahen, und vielleicht wird sie dir dadurch zu teil, daß du dich mir so aufrichtig geoffenbaret hast.«

»Durch dich? Welch ein Wunder wäre das! Die Männer meines Stammes und befreundeter Stämme haben vergebens mit mir nach dem Verlorenen gesucht. Dann habe ich fünfzehn Jahre lang fast diesen ganzen Erdteil ohne Resultat durchforscht; tausend Einheimischen habe ich die Geschichte meiner Leiden erzählt, worauf sie ihre Mühe mit der meinigen vereinten, und trotzdem ist mir auch nicht der kleinste Hoffnungsschimmer geworden. Da habe ich dich, den Abendländer getroffen, der unsre Länder, unsre Völker und unsre Verhältnisse gar nicht kennt und sich erst so kurze Zeit hier befindet. Ich spreche zu dir von meinen Wünschen, weil du dich zufällig nach meinem Namen erkundigt hast, und dennoch solltest gerade du der Auserwählte sein, durch den mir Erhörung beschieden ist? Ich wiederhole, daß dies ein unbegreifliches Wunder wäre.«

»Es geschehen noch täglich Wunder, doch auf viel einfachere Weise, als sie früher zu geschehen pflegten. Wie nun, wenn ich deinen Sohn gesehen hätte, wenn ich ihm begegnet wäre? Kommt dir das so undenkbar vor?«

»Nein; aber es kann, es kann nicht sein!«

»So bist du dem Allerbarmer gegenüber ein Giaur, und ich bin der Gläubige. Willst du der Botschaft Allahs nur deshalb nicht glauben, weil ein Christ der Bote ist?«

Bala Ibn warf einen langen, forschenden Blick in das vor Genugthuung strahlende Gesicht des Deutschen; seine düstern Züge gewannen mehr und mehr Licht; seine Augen wurden größer und größer, und seine Stimme zitterte, als er sagte:

»Allah gibt den Tod; er sendet auch das Leben. Dein Gesicht sagt mir, daß du deine Worte nicht ohne Grund gesprochen hast. Vielleicht glaubst du, mir eine frohe Nachricht geben zu können; ich bin überzeugt, daß du dich irrest, daß es wieder eine jener Täuschungen ist, deren ich hunderte überwunden habe; aber rede, sprich! Kennst du eine Person, welche mein Sohn sein könnte?«

»Ja.«

»Wie alt ist er?«

»Ungefähr achtzehn Jahre.«

»Wo befindet er sich?«

»Er lebt bei den Niam-niam.«

»Wie heißt er?«

»Er wird Abd es Sirr, 'Sohn des Geheimnisses' genannt; das ist ein Beweis, daß er von unbekannter Herkunft ist. Der Sohn des Fürsten der Niam-niam ist sein Busenfreund. Ich habe einst ein Gespräch dieser beiden belauscht und dabei bemerkt, daß dieser 'Sohn des Geheimnisses', wenn kein andrer es hört, sich von seinem Freunde Mesuf nennen läßt.«

»Allah ist groß! Aber das wird nur ein Zufall sein.«

»Ich glaube nicht. Kommt der Name Mesuf so häufig vor?«

»Nein. Ich habe außer meinem Sohne keinen zweiten gefunden, der ihn führt.«

»Und ich hörte ihn bei jenem Gespräche zum ersten und heute von dir zum zweitenmal.«

»Von welcher Farbe ist der Jüngling?«

»Er ist vielleicht etwas dunkler als du in seinem Alter gewesen bist.«

»Das stimmt, das stimmt! Er mußte dunkler sein. Vielleicht ist es doch ein Strahl, der mir heute von dir in meine Dunkelheit geworfen wird. Aber die Hauptsache, die Hauptsache! Hast du die Füße dieses Jünglings gesehen?«

»Ja. Er hat nur vier Zehen an jedem Fuße; die beiden kleinen Zehen fehlen.«

»Gott ist groß; Gott ist barmherzig und gnädig!« rief der Araber fast überlaut. »Mein Herz gewinnt neues Leben, und ich habe ein Gefühl, als ob mein Haar in diesem Augenblicke wieder dunkel werden wolle. Ich möchte vor Wonne jauchzen, aber ich darf es nicht, denn wenn ich auch jetzt mich wieder irrte, so würde meine Kraft, es zu ertragen, vielleicht zu Ende sein. Ich darf es nicht wagen, mich mit Zuversicht an deine Worte zu hängen. Ich muß kalt und ruhig bleiben, um das, was du mir mitteilst, wie ein Fremder, den es gar nichts angeht, erwägen zu können. Ich muß alle möglichen Bedenken aufbringen, welche gegen deine Botschaft gefunden werden können.«

»Das sollst du auch. Du sollst ebenso genau erwägen wie ich. Wenn du Bedenken hast, so teile sie mir mit!«

»Ich werde es thun. Du hast mir gesagt, daß dieser Jüngling der Freund des Sohnes des Fürsten sei, daß er mit demselben gesprochen habe. Ich bin aber überzeugt, daß mein Sohn, falls er noch lebte, gar nicht sprechen könnte.«

»Wohl weil der Sklavenhändler dir damals gedroht hat, ihm auch die Zunge herauszuschneiden?«

»Ja.«

»Wahrscheinlich hat er es in der Absicht gethan, dein Leid dadurch zu vergrößern. Die Klugheit aber riet ihm, die Drohung nicht auszuführen. Früher gab es ja wohl Verhältnisse, welche einen stummen Sklaven als brauchbar erscheinen ließen; das ist aber heute nicht mehr der Fall. Ein Diener muß sprechen können, um im stande zu sein, alle Aufträge seines Herrn auszuführen. Einen Sklaven, welcher stumm, also nur in beschränkter Weise brauchbar ist, wird in der jetzigen Zeit nur selten jemand kaufen. Das wußte der Sklavenhändler. Folglich vermute ich, daß er deinen Sohn nicht verstümmelt hat.«

»Dagegen ist einzuwenden, daß er ihn aus Rachsucht, nicht aber des Geldgewinnes wegen, geraubt hat. Er mußte ihn stumm machen, um nicht von ihm verraten zu werden.«

»Ich wollte mich dieser Meinung anschließen, wenn der Knabe älter gewesen wäre. Und selbst in diesem Falle würde die Stummheit dem Händler keine genügende Sicherheit gewährt haben. Ein Stummer kann schreiben lernen und dann das, was er nicht mit dem Munde zu sagen vermag, zu Papiere bringen. Der Knabe war aber kaum drei Jahre alt. In diesem Alter genügen Monate, die bisherigen Eindrücke aus der Seele zu verdrängen. Der Sklavenhändler hat sich gewiß gesagt, daß der Knabe, wenn er in vollständig neue Verhältnisse komme, bald alles Bisherige vergessen werde.«

»Effendi, deine Einwürfe beglücken mich, obgleich ich aus ihnen entnehmen muß, daß der betreffende Jüngling sich der ersten Zeit seiner Kindheit und also auch seiner Eltern nicht mehr erinnern kann.«

»Was das betrifft, so bin ich nicht im stande, dir genaue Auskunft zu geben. Der 'Sohn des Geheimnisses' spricht niemals von seiner Vergangenheit; aber ich weiß, daß er eine heimliche Rache im Herzen trägt, und vermute, daß sich dieselbe auf den Mann bezieht, der ihn geraubt hat.«

Der Araber saß längst nicht mehr an der Erde. Er war aufgesprungen, und auch Schwarz hatte sich aufgerichtet. Der erstere stand vor dem letzteren, welcher sein Glück, sein Leben von jedem Worte, welches er hört, abhängig weiß.

»Eine Rache, eine Rache also hat er!« sagte er. »Vielleicht hat er alles, alles vergessen, nur das eine nicht, daß er geraubt worden ist. Wie lange befindet er sich bei den Niam-niam? Kam er schon als Knabe zu ihnen?«

»Nein, sondern erst vor zwei Jahren. Er kam ganz allein und blieb da, ohne jemals mitzuteilen, wer er sei und woher er komme. Daher erhält er den Namen 'Sohn des Geheimnisses'.«

»Und was thut er bei diesen Schwarzen? Womit ernährt er sich?«

»Der Sohn des Fürsten war ihm im Walde begegnet und hatte ihn zu seinem Vater gebracht. Der fremde Knabe verstand mit den Waffen umzugehen und zeigte sich gleich in der ersten Zeit so mutig und überaus anstellig, daß der Fürst ihn in seine Leibwache aufnahm. In dieser Stellung befindet er sich so wohl, wie es unter solchen Verhältnissen nur möglich ist. Er hat sich die Zuneigung aller, die ihn kennen, schnell erobert. Er ist sehr schweigsam, aber meine Beobachtungen lassen mich vermuten, daß er trotz seiner Jugend ein viel bewegtes Leben hinter sich hat. Er kennt fast alle Völker vom Bahr el Abiad bis zu den großen Seen; er spricht mehrere ihrer Sprachen und Dialekte – –«

»Auch arabisch?« fiel der Jäger ein.

»Ja, auch arabisch. Ferner ist er in vielen Dingen geschickt, welche seinen jetzigen Genossen völlig unbekannt sind; kurz, er weiß soviel und ist so gewandt, daß ein jeder Niam-niam ihn beneiden würde, wenn er ihn nicht lieben müßte.«

»So ist er also ein guter Mensch und steht überhaupt nicht so tief wie ein gewöhnlicher Neger?« fragte Bala Ibn, indem zum erstenmal ein freudiges Lächeln über sein ernstes, hageres Gesicht glitt.

»Ja, sein Herz ist gut und rein,« antwortete Schwarz. »Er weiß, daß er den Schwarzen überlegen ist; dieses Bewußtsein spricht sich in seinem Wesen, in seiner ganzen Erscheinung aus, aber sein Stolz ist ein derartiger, daß er nicht verletzen kann. So oft ich ihn beobachtete, ist er mir vorgekommen wie ein junges, edles Roß, welches sich mit gewöhnlichen Pferden auf derselben Weide befindet. Es grast mit ihnen, es gehört zu ihnen, es verträgt sich mit ihnen, und doch sagt der erste Blick, den man auf dasselbe wirft, daß es einst einen schönern Sattel und einen vornehmern Reiter tragen werde, als die andern.«

»Allah, o Allah!« rief der Jäger, indem er die Hände faltete. »Wenn er mein Sohn wäre, wenn er es wirklich wäre! Ich muß zu den Niam-niam, um ihn zu sehen!«

»Du hast ihn schon gesehen.«

»Ich? Wo?« klang es erstaunt.

»Zwischen den Trümmern der Seribah Abu el Mots. Hast du den jungen Mann nicht bemerkt, der bei uns war, der allein zum Schech ging, um uns bei demselben anzumelden?«

»Ich habe ihn gesehen und großes Wohlgefallen an ihm gehabt. Als mein Auge auf ihn fiel, ging es wie ein fernes Licht in meinem Herzen auf, wie wenn ein verirrter Wanderer den Schein eines Lagerfeuers von weitem erblickt. Der also, der ist's, den du meinst. Oh Mohammed und alle ihr heiligen Kalifen! Der Jüngling ist in meiner Nähe gewesen, ich habe ihn gesehen, ich hörte seine Stimme und habe nicht geahnt, daß er vielleicht derjenige ist, den ich so lange Jahre hindurch mit Schmerzen suche! Wo befindet er sich jetzt? Wo ist er hin?«

»Nach der Seribah Madunga. Er ist der Steuermann meines Bootes.«

»So kennt er den Fluß? So sind ihm die Ufer und Länder desselben bekannt?«

»Sehr genau. Aber wie und bei welchen Gelegenheiten er sie kennen gelernt hat, davon spricht er nicht.«

»Er muß trotz seiner achtzehn Jahre ein außerordentlicher Charakter sein. Mein Herz klopft in freudiger und doch zugleich banger Erwartung, als ob es die Brust zersprengen wolle. Ich weiß, daß deine Leute in der Seribah auf dich warten sollen. Er wird bei ihnen bleiben, bis du kommst?«

»Natürlich! Ohne ihn könnte ich meine Reise nicht vollenden.«

»So gebe ich mein Suchen auf. Ich gehe jetzt mir dir nach Ombula, um die dortigen Leute zu warnen, und dann kehre ich in deiner Begleitung nach der Seribah Madunga zurück, um mit diesem 'Sohne des Geheimnisses' zu sprechen. Ja, Herr, du hast recht gehabt, als du sagtest, man dürfe an der Gnade Allahs nicht verzweifeln, als du behauptetest, daß vielleicht gerade du es seiest, durch den mir Hoffnung werden könne. Ich fühle diese Hoffnung jetzt in mir. Ich bin plötzlich ein ganz andrer, ein ganz neuer Mensch geworden. Und das habe ich nächst Allah dir zu verdanken. Wir wollen Freunde sein. Wir wollen die Gefahren unsres Weges redlich miteinander teilen und uns in keiner Not verlassen. Sage mir, ob du mein Freund, mein Bruder sein willst?«

»Gern, herzlich gern! Hier hast du meine Hand darauf.« – Er reichte ihm die Hand entgegen. Der andre schlug ein und sagte:

»Da ist auch die meinige. Weißt du, mit welchen Worten man einen Bund auf Leben und Tod schließt? Mit den Worten ›es suhbi l' es suhbi, el umr la umr‹. Sage sie mir nach!«

Schwarz wiederholte diese Formel; dann schlang der Araber die Arme um ihn, küßte ihn und rief:

»Jetzt sind wir eins, eine einzige Person. Du bist ich, und ich bin du. Wehe dem Feinde, welcher dich oder mich beleidigt! Nun aber ist's genug der Aufregung. Setzen wir uns wieder nieder, und dann magst du mir alles erzählen, was du von dem 'Sohne des Geheimnisses' weißt.«

Sie nahmen wieder am Feuer Platz, und Schwarz begann, den verlangten Bericht zu erstatten. Er mußte den Jüngling auf das Genaueste beschreiben und jedes Wort berichten, welches er mit demselben gesprochen hatte. Darüber verging eine lange Zeit, es wurde Mitternacht, und als dann der Stoff doch endlich ausgegangen war, mußte der Deutsche an die Ruhe denken, die ihm nach der Anstrengung der beiden Tage so nötig war.

»Schlafe in Allahs Namen!« sagte der Araber. »Ich werde wachen und dich nicht wecken. Nach dem, was ich von dir erfahren habe, ist es mir unmöglich, ein Auge zu schließen. Du wirst das begreifen und dich also nicht weigern, mich an deiner Seite wachen zu lassen.«

Schwarz sah ein, daß bei dem aufgeregten Manne an Schlaf unmöglich zu denken sei, darum ging er ohne Widerrede auf den Vorschlag ein, wickelte sich fest in seine Decke und schloß die Augen.

Die Nacht verging ohne jedwede Störung von außen her. Der Deutsche wurde nicht geweckt; er erwachte von selbst, als der Moslem bei Tagesanbruch laut seine Morgenandacht verrichtete. Die Feuer glimmten noch, und in der heißen Asche derselben wurden aus dem mitgebrachten Mehle eine Anzahl der landesüblichen Fladen gebacken, welche für den ganzen Tag ausreichten, zudem auch noch ein Stück der gestern gebratenen Gans übrig war.

Während der Araber diese Arbeit verrichtete, fütterte und tränkte Schwarz die Kamele. Dann wurde aufgebrochen.

Dem Elefantenjäger war keineswegs anzusehen, daß er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Er sah fast jünger aus als gestern und behauptete, seit langen Jahren sich nicht so wohl befunden zu haben wie heute. Von so großem Einflusse ist der Gemütszustand eines Menschen auf seinen Körper!

Die beiden waren überzeugt, daß sie die Sklavenjäger um die Mittagszeit einholen würden. Es sollte aber anders kommen. Als sie den Maijeh hinter sich hatten, führte die Fährte, welcher sie folgten, wieder in die Nähe des Flusses. Dort stand ein dichter Wald, welcher zahlreiche Büsche als Vorposten in eine grasreiche Ebene sandte. Zwischen diesen Sträuchern schlängelte sich die Fährte hin.

Hier auf dem verhältnismäßig leichten Boden sah man deutlicher als bisher, aus wie vielen Spuren dieselbe bestand; sie wurde bedeutend breiter. Die vielen Rinder, welche die Brandstifter der Seribah mitgenommen hatten, waren hier, wo die Büsche ihnen Leckereien boten, schwer zusammenzuhalten gewesen.

Die beiden Männer ritten, sich laut unterhaltend, nebeneinander. Sie hatten keine Veranlassung, in dieser vermeintlichen Einsamkeit ihre Stimmen zu dämpfen. Eben hatten sie eine Stelle passiert, an welcher die Büsche enger zusammentraten, und wollten nun auf einen freieren Platz einlenken, als Schwarz, welcher für diese kurze Strecke vorangeritten war, sein Kamel plötzlich mit einem jähen Rucke anhielt, es schnell umlenkte, um wieder hinter das Gesträuch zu kommen, und dabei hastig, aber leise sagte:

»Alle Wetter! Einen Augenblick später, und wir wären entdeckt worden!«

»Von wem?« fragte Bala Ibn.

»Von Menschen, welche sich da draußen auf der Ebene befinden und ihre Herden weiden.«

»Schwarze?«

»Schwarze und Weiße.«

»Wer könnte das sein?«

»Werden es gleich sehen. Schauen wir uns diese Leute einmal aus dem Verborgenen an!«

Er ließ sein Kamel niederknieen und stieg ab. Der Araber that dasselbe. Hinter dem Gesträuch versteckt, blickten sie hinaus auf die vor ihnen liegende Scene.

Nach rechts hin, also nach West, dehnte sich eine weite, freie Ebene. Links, am Waldesrande, lagerten wohl gegen vierzig Menschen von allen Farben und in den verschiedensten Gewändern. Nahe bei sich hatten sie ihre Gewehre zusammengestellt. Gerade aus und nach rechts hin von den beiden heimlichen Beobachtern weideten zahlreiche Rinder nebst einigen Pferden und Kamelen. Unter den ersten Bäumen des Waldes lagen Waren aufgehäuft. Vielleicht zehn Männer befanden sich draußen vor den weidenden Tieren, um dieselben in Ordnung zu halten und sie zu verhindern, nach der Ebene auszubrechen. Hätte Schwarz sein Tier nur noch wenige Schritte machen lassen, so wäre er von diesen Leuten gesehen worden.

»Weißt du, wer diese Leute sind?« fragte er seinen Kameraden.

»Ja,« nickte dieser.

»Nun?«

»Die zurückgelassene Besatzung der Seribah, welche die letztere verbrannt und geplündert hat.«

»Das vermute ich auch. Aber ich kann nur nicht begreifen, wie diese Menschen es wagen können, sich hier festzusetzen. Ich kann mir überhaupt nicht sagen, aus welchem Grunde sie dieselbe Richtung wie Abd el Mot eingeschlagen haben. Sie müssen ihm doch in die Hände laufen.«

»Oder er ihnen!« bemerkte der Araber, indem er die Geste des Erstechens machte.

»Wie meinst du das?«

»Ich weiß nicht, ob ich mit meinen Gedanken das Richtige treffe. Ich habe bei den Dschur gehört, daß Abd el Mot bei seinen Untergebenen keine Beliebtheit besitzt, weil er grausam und ungerecht ist. Darum wird die Besatzung von ihm abgefallen sein. Aber außer diesen fünfzig Männern wird es noch viele andre geben, welche ebenso denken wie sie und ebenso wünschen, frei zu werden, wenn sie dabei auch noch einen anderweiten Vorteil finden. Auf diese Gleichgesinnten wird der alte Feldwebel, der Anführer der Empörer, rechnen. Was soll er mit den entführten Gütern und mit den fünfzig Mann thun? Er kann sie nur in dem Falle, daß er eine neue Seribah gründet, recht verwerten, und ich vermute, daß dies auch wirklich seine Absicht ist. Zum Sklavenjagen sind fünfzig Personen viel zu wenig; er muß sich also nach mehr Leuten umsehen. Woher will er sie nehmen, und wo kann er sie leichter finden, als bei seinen bisherigen Kameraden?«

»Da magst du freilich recht haben,« stimmte Schwarz bei.

»Nur auf diese Weise,« fuhr der Jäger fort, »läßt es sich erklären, daß er der Spur Abd el Mots gefolgt ist. Er will auf die Rückkehr seiner Gefährten warten und diese veranlassen, zu ihm überzugehen. Die meisten werden dies thun, denn er wird ihnen natürlich einen viel höheren Sold bieten, als sie bisher erhalten haben.«

»Und was wird mit Abd el Mot geschehen?«

»Wahrscheinlich wird man ihn ermorden und sich dabei all seines Eigentums bemächtigen. Bei alledem habe ich natürlich angenommen, daß der Überfall von Ombula gelingt.«

»Es ist schrecklich, welche Verhältnisse der Sklavenhandel im Gefolge hat. Der Mensch wird zum Ungeheuer!«

»Das habe ich eingesehen. Also ich bin überzeugt, daß diese Leute hier auf Abd el Mot warten, um ihn zu töten. Aber falls ihnen das gelingt, wird die Strafe auf dem Fuße folgen.«

»Inwiefern?«

»Denke an Abu el Mot, welcher nach zwei Tagen mit über dreihundert Nuehrs auf seiner Seribah ankommen wollte! Er wird dieselbe in Trümmern finden und bei den Dschur erfahren, was geschehen ist. Was wird er darauf thun?«

»Er wird den Empörern nach jagen.«

»Natürlich. Er findet sie hier, wo wir sie sehen, und wird sie alle niedermachen. So zerfleischen sich die Geier untereinander, wofür man Allah doch nur danken kann. Für uns aber ist es nicht angenehm, daß diese Menschen sich hier gelagert haben. Wir dürfen uns von ihnen natürlich nicht sehen lassen und sind also zu einem Umweg gezwungen, welcher viele Zeit erfordert.«

»Das ist leider wahr. Auf unsern Kamelen sind wir weithin sichtbar, zumal heute die Luft von einer außerordentlichen Reinheit ist. Wir müssen eine bedeutende Strecke zurück, um dann draußen auf der freien Ebene einen weiten Bogen zu reiten. Bevor wir die Spur Abd el Mots wieder erreichen, werden drei oder vier Stunden vergangen sein.«

»Weniger nicht. Aber wir können nicht anders. Laß uns aufbrechen, damit wir so wenig wie möglich Zeit verlieren.«

Sie stiegen wieder auf und kehrten so weit, als sie es für erforderlich hielten, zurück; dann ritten sie nach West, um hierauf nach Süden einzubiegen. Auf diese Weise gelangten sie in die offene Ebene, von wo aus sie den Wald, an welchem sich das Lager des Feldwebels befand, als einen dunkeln, langen Strich liegen sahen. Schwarz sah durch sein Fernrohr da hinüber und erkannte die weidenden Tiere und die bei denselben befindlichen Menschen. Mit dem bloßen Auge hätte er sie nicht erreichen können, also war es gewiß, daß auch er mit dem Araber von dorther nicht bemerkt wurde.

Später mußten die beiden Reiter ihre Richtung ändern, indem sie wieder ostwärts hielten, um auf die verlassene Fährte zurückzukommen. Als sie dieselbe erreichten, waren von dem Augenblicke an, an welchem sie das Lager vor sich gesehen hatten, vier und eine halbe Stunde vergangen; sie befanden sich aber nun höchstens drei Viertelwegsstunden jenseits dieses Lagers und hatten also fast vier volle Stunden verloren.

Dieser Verlust war schwerlich einzubringen. Sie trieben ihre Tiere möglichst an; aber die Kamele waren gleich anfangs schwach gewesen, und die bisherige Anstrengung hatte sie nichts weniger als gekräftigt; sie hörten kaum mehr auf die Töne der Suffarah, welche doch vorher einen so aneifernden Eindruck auf sie gemacht hatte.

Noch im Laufe des Vormittages brach die Fährte plötzlich von ihrer bisherigen Richtung ab und wendete sich fast gerade nach West. Je weiter sie sich vom Flusse entfernte, desto harter und öder wurde das Land, bis sie endlich gar fast eine Stunde lang durch Felsgeröll führte. Es war, als ob man hier einen ganzen Berg in faustgroße Stücke zerschlagen und diese mit großer Gleichmäßigkeit über die weite Fläche verteilt habe.

Dann traten unbestimmte Linien über den Horizont empor. Anstatt des Gerölles gab es wieder Erde, welche aber auch hart und trocken war. Später stieg der Boden allmählich an; leicht geschweifte Berge, welche zur Regenzeit wohl mit Gras bewachsen waren, traten von rechts und links heran. Zwischen ihnen gab es gewundene Thäler, durch welche der Weg führte. Je weiter man kam, desto bestimmter wurden die vorher am Horizonte bemerkten undeutlichen Linien. Der lang gestreckte Raum, den sie abwärts umfaßten, färbte sich erst grau, dann weißlich blau, bis er dunkler und dunkler wurde und dabei immer mehr an Höhe gewann.

»Die Pambisaberge,« sagte Bala Ibn, indem er mit der ausgestreckten Hand in die angegebene Richtung deutete.

»An deren Fuß Ombula liegen soll? Weißt du genau, daß sie es sind?«

»Wissen kann ich es nicht, denn ich war noch nicht dort; aber ich vermute es.«

»Wie weit meinst du, daß wir noch bis zu diesem Gebirge haben?«

»Vor Abend ist es unmöglich zu erreichen.«

»So kommen wir zu spät!«

»Das darfst du nicht denken. Kein Sklavenjäger überfällt ein Dorf am hellen Tage. Man wartet vielmehr am liebsten bis gegen Morgen. Es bleibt uns also Zeit, die Bedrohten zu warnen; wenigstens hoffe ich das.«

»So wird Abd el Mot ein verborgenes Lager bezogen haben, in welchem er wartet, bis es Nacht geworden ist.«

»Das glaube ich nicht. Die Ghasuah verfährt ganz anders. Du mußt den Umstand berücksichtigen, daß diese Gegend nur spärlich bevölkert ist. Es gibt keine zahlreichen Städte und Dörfer wie in Ägypten und anderswo. Wasser gibt es außer im Nile und in dessen Nähe nur selten, und doch kann ein Dorf nur da existieren, wo Wasser vorhanden ist. Am Flusse wohnen die Neger ungern, weil sie dort den Besuchen der Sklavenhändler mehr ausgesetzt sind. Sie lassen sich also lieber an einsamen Regenbetten oder an fern vom Nile liegenden Maijehs nieder. So wird es auch mit Ombula sein. Der Schech der Dschur sagte mir, daß es in einsamer Gegend, am Fuße der Berge in der Nähe eines großen Sumpfes liege, welcher zur Regenzeit einen mehrere Stunden langen und ebenso breiten See bilde. Eine solche Lage macht es nicht nötig, daß die Sklavenjäger sich vorsichtig verstecken. Sie gehen vielmehr gerade auf ihr Ziel los.«

»Aber da werden sie doch bemerkt!«

»Nein, denn so weit nähern sie sich am Tage nicht.«

»Wie aber, wenn ihnen Bewohner des Dorfes, welches überfallen werden soll, begegnen?«

»Die läßt man nicht entkommen. Sie werden sofort niedergemacht oder gefesselt; sie können also nicht zurückkehren und die Ihrigen warnen. Die Sklavenjäger ziehen nie in einer kompakten Masse an. Ist man dem betreffenden Orte auf eine halbe Tagereise nahe gekommen, so werden die geschicktesten Leute als Späher vorangesandt. Ihnen folgen andre, welche sich zerstreuen und eine Kette bilden, durch welche kein Feind schlüpfen kann. So umringt man von weitem das betreffende Negerdorf, ohne daß die Bewohner desselben es ahnen, und des Nachts wird der Überfall ausgeführt. Dieser geschieht meist so, daß die das Dorf umschließende Dornenhecke an vielen Stellen angebrannt wird. Sie steht sehr bald rundum in Flammen. Die Bewohner erwachen; sie können nicht entkommen, weil sie umringt sind. Wer von ihnen sich zur Wehr setzt, wird niedergeschossen. Überhaupt werden gewöhnlich alle Männer getötet, weil sie sich selten in ihr Schicksal fügen und also den Transport erschweren. Auch die älteren Frauen werden erschlagen, weil niemand sie kauft. Die Knaben, Mädchen und jungen Frauen bilden die erwünschte Beute. Auch die Herden sind hoch willkommen. Es kommt vor, daß man schon auf dem Rückwege nach der Seribah die erbeuteten Leute verkauft oder gegen Elfenbein vertauscht. Geht der Zug durch das Gebiet eines Stammes, welcher das Fleisch der Menschen demjenigen der Tiere vorzieht, so schlachten die Sklavenjäger die fettesten der erbeuteten Neger und verhandeln sie an die Menschenfresser.«

»Herrgott! Ist so etwas denn möglich?«

»Möglich? Herr, es ist wirklich und kommt sehr häufig vor. An den Zuflüssen des Bahr el Abiad und weiter nach Süd und West gibt es genug Völkerschaften, denen Menschenfleisch die größte Delikatesse ist. Ich kenne einen Häuptling, welcher versicherte, daß nichts besser schmecke als die innere Fläche einer gebratenen Menschenhand. Er führte mit den benachbarten Völkern Krieg, nur um Gefangene zu machen, welche geschlachtet wurden; auch seine eigenen Toten und Schwerverwundeten wurden verzehrt. Die Hände derselben wurden ihm abgeliefert; die übrigen Körperteile überließ er seinen Untergebenen. Ich sprach mit einem Sklavenhändler, welcher behauptete, daß in Afrika die Menschenjagd täglich wenigstens sechstausend Opfer fordere, was für jedes Jahr weit über zwei Millionen ergibt. Dieser Mann kannte das Geschäft und hat mit dieser Schätzung sicher nicht zu hoch gegriffen. Ebrid Ben Lafsa, jener Halunke, welcher meinen Sohn raubte, erzählte uns, daß er nur am Bahr Kuta jage; er hatte also nur ein kleines Gebiet, und doch behauptete er, jährlich über tausend Sklaven zu fangen. Dazu kommen gewiß ebensoviele andre, welche dabei getötet werden.«

»Woher war dieser Mensch eigentlich?«

»Aus Bagirmi.«

»Hast du dort nach ihm gesucht?«

»Natürlich. Ich bin sofort hin und dann später noch viele Male dort gewesen; aber er hat sich nie wieder in dieser seiner Heimat sehen lassen.«

»Würdest du ihn erkennen, wenn du ihm begegnetest, nach so vielen Jahren?«

»Ja. Er hat ein Gesicht, welches man nie vergessen kann und dessen Ausdruck das Alter nicht zu verändern vermag. Doch schau einmal den dunklen Strich da vor uns. Ob das Bäume sind? In diesem Falle gibt es dort einen Chor, welcher von den Bergen kommt und stellenweise noch Wasser enthält. Das liefert einen Trunk für uns und die Tiere, welche vor Schwäche kaum weiter können.«

Seine Voraussetzung hatte ihn nicht betrogen. Quer über die Richtung, welcher sie folgten, zog sich ein tiefes, breites Flußbett, von den Wassern gerissen, welche zur Regenzeit von den Pambisabergen herab dem Nile zuströmten. Solche im Sommer trockene Flüsse werden, wie bereits erwähnt, Chor, im Plural Cheran, genannt.

Als die beiden Reiter das Ufer desselben erreichten, befanden sie sich zwischen hohen Kafalahbäumen, von deren Stämmen und Ästen lose Epidermisfetzen hingen, welcher Umstand ihnen die botanische Bezeichnung papyrifera verliehen hat. Die dünneren Zweige trugen eine Menge kunstvoller Nester, welche von zahlreichen Orangewebervögeln bevölkert waren. Auf der Sohle des breiten Flußbettes stand ein fast undurchdringliches Dickicht von Ambag, welcher Strauch in der heißen Jahreszeit bis auf die Wurzel abzusterben, und während oder nach der Überschwemmung sich zu erneuern pflegt. Diese Büsche standen noch, weil es an diesem Orte zurückgebliebenes Wasser gab. Man ersah aus der deutlichen Fährte, daß die Sklavenjäger am diesseitigen Ufer hinab, an diesem Wasser vorüber und jenseits wieder hinaufgegangen waren, ohne anzuhalten und ihre Tiere zu tränken.

»Ich begreife nicht, warum sie das nicht thaten,« sagte Bala Ibn. »Unsre Kamele sind jedenfalls müder als die ihrigen, und wir müssen ihnen hier eine kurze Ruhe gönnen.«

Die beiden stiegen ab und leiteten ihre Tiere die Steilung hinunter bis an das Wasser. Dort setzten sie sich an einem Busche nieder, welcher von dichten Cissuswinden durchschlungen war. Während sie ihre Tiere trinken und dann an den Sträuchern knuspern ließen, sprachen sie über die Absicht ihres gegenwärtigen Rittes miteinander, und zwar nicht in leisem Tone. Sie glaubten sich vollständig allein, befanden sich dabei aber leider im Irrtume.

Auf der Höhe des andern Ufers stand ein Schedr es simm, an dessen Stamm zwei Männer gesessen hatten. Die Euphorbie war von ihnen angebohrt worden, und der Saft tropfte in ein untergestelltes Trinkgefäß. Beide waren Neger, nur mit dem Schurz bekleidet; aber ihre Bewaffnung, welche aus Messer und Flinte bestand, bezeichnete sie als Asaker, die zu Abd el Mot gehörten.

Schwarz und der Araber ahnten, als sie sich dem Regenbette näherten, nicht, daß sie sich ganz in der Nähe der Sklavenjäger befanden. Sie hatten nicht sehen können, daß es jenseits des Chors einen Maijeh gab, dessen Wasser der Entstehung eines kleinen Waldes günstig gewesen war. In diesem letzteren hatte Abd el Mot, welcher die Gegend von früher her kannte, sein Lager aufgeschlagen. Er hatte nicht die Absicht, das Dorf in der von dem Elefantenjäger beschriebenen Weise zu überfallen. Er sendete weder Kundschafter noch Posten aus, sondern er wollte mit allen seinen Leuten hier bis gegen Abend versteckt bleiben, um dann im Schutze der Nacht den Rest des Marsches zu unternehmen.

Beim Passieren des Regenbettes hatte einer der Asaker die Euphorbie gesehen und war dann mit einem seiner Kameraden zurückgekehrt, um sich in den Besitz des Saftes zu setzen, mit welchem man Messer, Lanzen und Pfeile zu vergiften pflegt. Während diese beiden Männer mit dieser Arbeit beschäftigt waren, erblickten sie zu ihrem Erstaunen die zwei Reiter, welche auf ihren müden Kamelen sich langsam dem Chor näherten.

»Zwei Weiße!« sagte der eine. »Wer sind sie, und was können sie hier nur wollen?«

»Zu uns gehören sie nicht,« antwortete der andre. »Bleib ruhig hinter dem Stamme sitzen, damit sie uns nicht sehen. Wohin können sie anders wollen als nach Ombula? Abd el Mot darf sie nicht vorüber lassen. Er wird sie kommen sehen und anhalten. Wir müssen hier verborgen bleiben, damit sie nicht vor der Zeit bemerken, daß sich die Ghasuah hier befindet.«

Hinter dem Giftbaume versteckt, sahen sie, daß die beiden Fremden das Flußbett nicht sofort durchquerten, sondern sich unten am Wasser niedersetzten.

»Das ist gut,« flüsterte der erste. »Sie sitzen hinter dem Ambag, durch dessen Zweige sie nicht sehen können. Wir werden erfahren, wer sie sind, und was sie in dieser Gegend wollen. Bleib hier, und mach kein Geräusch! Ich schleiche mich hinab an den Busch, um zu hören, was sie sprechen.«

Der Schwarze huschte schlangengleich am Ufer hinab und erreichte den Ambag, ohne von Schwarz und dessen Gefährten bemerkt worden zu sein. Dort niedergekauert, lauschte er ihren Worten; dann kam er zu seinem Kameraden zurückgekrochen und sagte: »Wer und woher sie sind, das habe ich nicht erfahren; sie sprachen nicht davon. Aber was sie wollen, das weiß ich. Sie wissen, daß wir nach Ombula gehen, um Sklaven zu machen und wollen vor uns hin, die Belanda zu warnen. Komm schnell fort! Wir müssen das Abd el Mot berichten.«

Sie eilten fort, dem Maijeh zu, und meldeten Abd el Mot, was sie gesehen hatten. Er saß unter einer hohen Talha, seine Unteroffiziere neben sich. Weiterhin standen, saßen oder lagen die andern Leute bei ihren angebundenen Tieren. Als er die unerwartete Meldung hörte, sprang er auf und rief:

»Zwei weiße Reiter, welche arabisch sprechen? Sie wollen uns verraten? Sie müssen unser sein! Kann man sie sehen, ohne von ihnen bemerkt zu werden?«

»Ja, Herr. Wenn du willst, so werde ich dich führen,« antwortete derjenige, welcher die beiden belauscht hatte.

»Du wirst mir die Stelle zeigen. Wenn wir sie auf das hohe Ufer lassen, finden sie vielleicht Zeit, uns zu entfliehen, oder sie verteidigen sich und töten einige von uns. Darum werden wir sie lieber überfallen, wenn der Platz, an welchem sie sich befinden, es erlaubt. Nehmt Stricke mit!«

Er wählte ein Dutzend seiner gewandtesten Leute aus und begab sich mit ihnen nach dem Chor. Vom Rande desselben vorsichtig hinablugend, musterte er die Stelle. Die Personen konnte er nicht sehen, da sie hinter dem Ambag saßen.

»Es ist nicht schwer, sie zu beschleichen,« entschied er. »Macht euch leise hinter sie, und fallt über sie her, so daß sie keine Zeit zur Gegenwehr finden! Gelingt es, so schenke ich euch den Betrag eines kräftigen Sklaven. Mißrät es aber, so wird derjenige, welcher daran schuld ist, erschossen. Vorwärts!«

Er sah zu, wie die Asaker einzeln hinabglitten und sich dann hinter dem Busche sammelten. Als der letzte von ihnen dort angelangt war, brachen sie hervor und fielen über die beiden auf das Äußerste überraschten Männer her. Es gab ein kurzes Ringen und Durcheinander von schreienden Stimmen – der Überfall war gelungen. Abd el Mot kehrte nach dem Maijeh zurück und setzte sich wieder unter der Talha nieder. Seine Leute versammelten sich um ihn.

»Die Hunde haben uns verraten wollen,« sagte er. »Sie müssen sterben, und zwar augenblicklich, wer sie auch sein mögen!«

Nach wenigen Minuten brachten die Asaker die Gefangenen geführt; sie hatten denselben die Ellbogen auf den Rücken geschnürt. Zwei Soldaten leiteten die Kamele hinterher.

Schwarz befand sich in einem eigentümlichen traumhaften Zustande, der Elefantenjäger ebenso. Das Unglück war so plötzlich und unerwartet über sie gekommen, daß es ihnen fast unmöglich war, ihre Gefangenschaft für Wirklichkeit zu halten. Aus den triumphierenden Worten, welche die Asaker einander zuriefen, ersahen sie, daß Abd el Mot hier sei, und daß sie zu ihm geführt werden sollten.

»Wir wissen nichts,« raunte der Araber dem Deutschen zu. »Laß nur mich sprechen!«

Er verzweifelte nicht. Er hatte in noch größeren Gefahren immer Rettung gefunden und hielt die gegenwärtige keineswegs für groß. Was hätten die Sklavenjäger für Gründe haben können, zwei ihnen unbekannte Weiße zu ermorden. Daß sein und seines Gefährten Gespräch belauscht worden war, daran dachte er nicht. Übrigens sollte es noch ganz anders kommen. Er stand, ohne es zu ahnen, vor dem Augenblicke, nach welchem er sich seit fünfzehn Jahren gesehnt hatte; freilich aber war die Situation gerade umgekehrt als er sie sich stets vorgestellt hatte.

Vom Chor bis zu der Maijeh war es gar nicht weit. Die beiden wurden von den Soldaten in rohester Weise vorwärts gestoßen und geschoben; sie nahmen das ruhig hin, in dem Glauben, daß es nur einer ernsten Vorstellung bei dem Anführer bedürfe, um der Fesseln entledigt zu werden. Beide waren gespannt auf die Person desselben. Sie hatten so viel von ihm gesprochen; nun sollten sie ihn zu sehen bekommen.

Jetzt standen sie vor ihm. Die Menschenjäger drängten sich rundum heran, um zu hören, was gesprochen werde.

»Herr,« begann der Elefantenjäger in stolzem Tone, »wie kommt es, daß deine Leute – –«

Er hielt mitten in dem angefangenen Satze inne. Sein Mund blieb offen, und seine Augen vergrößerten sich. Seine Gestalt und seine Glieder schienen die Fähigkeit jedweder Bewegung verloren zu haben. Er stand da, ein Bild starren Entsetzens.

Abd el Mot war, als der Gefangene zu sprechen begann, auch vor Schreck aufgesprungen; aber sein Schreck schien ein freudiger zu sein, denn seine Augen leuchteten auf; seine Wangen röteten sich, und sein Gesicht nahm den Ausdruck des Entzückens an.

»Der Emir!« rief er, nein, sondern er schrie es förmlich überlaut. »Barak el Kasi, der Emir von Kenadem!«

»Ebrid Ben Lafsa, der Sklavenhändler!« stieß der Araber hervor.

»Ja, der bin ich!« jubelte Abd el Mot. »Ich bin Ebrid Ben Lafsa. Erkennst du mich, du Hundesohn, du Enkel aller Hunde?«

»E – – brid – – Ben – – Laf – – sa – –!« wiederholte der Elefantenjäger, indem er den Namen kaum hervorbrachte, so daß die einzelnen Silben nur auseinandergerissen über seine Lippen kamen. »Oh Allah! Er ist es; er ist es!«

»Ja, ich bin es; ich bin es! Schau mich an! Schau mir ins Gesicht, wenn du es nicht glaubst! Ich bin der, den du zum Tode verurteiltest, dem du die Sklaven wegnehmen ließest! Ich bin der, den du zweimal peitschen ließest, der unter deiner Peitsche hätte sterben müssen, wenn es ihm nicht gelungen wäre, zu entfliehen! Ich bin der, welcher seit fünfzehn Jahren seine Heimat meiden mußte, weil du mich dort verklagt hast, so daß ich hingerichtet worden wäre, wenn man mich dort gesehen und ergriffen hätte! Ich bin der, welcher sich diese langen Jahre hindurch gesehnt hat, dir einmal zu begegnen und dich in den Staub zu treten. Jetzt führt Allah dich in meine Hände. Ihm sei Preis und Dank!«

»Wo – wo – – ist mein Sohn?« fragte der Araber, ohne auf die Drohung zu achten, welche in Abd el Mots Worten lag.

Das Gesicht des letzteren verzog sich zu teuflisch-höhnischer Fratze, als er antwortete:

»Dein Sohn? Ah, du willst wissen, wo er ist? Soll ich dir das wirklich sagen?«

»Sage es! Sage es schnell!« bat der Araber mit fliegendem Atem.

»Unter den Negern ist er.«

»Wo?«

»Tief unten im Süden bei den Menschenfressern.«

»Ist das wahr?«

»Ja, ich sage die Wahrheit.«

»So lebt er also noch! Allah ist barmherzig. Ihm gebührt Preis in Ewigkeit!«

»Halt ein mit deinem Preise! Es wäre besser für diesen achtzehigen Hund, wenn er tot wäre, denn er ist der niedrigste, armseligste Sklave eines schwarzen Häuptlings, dem ich ihn unter der Bedingung geschenkt habe, daß er ihn täglich prügeln und immerwährend hungern lassen soll. Ich habe ihn kürzlich gesehen. Sein Leib ist voller Geschwüre; seine Augen sind erblindet; er stirbt in großen Qualen langsam hin und kann es doch niemandem klagen, weil ich ihm damals die Zunge herausgerissen habe; merke wohl auf: nicht herausgeschnitten, sondern herausgerissen!«

Er stieß diese Rede hastig hervor; er konnte gar nicht schnell genug sprechen, um seinen Feind möglichst rasch niederzuschmettern. Dieser wollte antworten, brachte aber vor Entsetzen kein Wort hervor. Nur ein schneidender, unartikulierter Laut rang sich über seine Lippen.

»Freu' dich also darüber, daß er noch lebt!« höhnte Abd el Mot. »Sein Tod wird ein fürchterlicher sein, trotzdem ihn derselbe von unsagbaren Leiden erlöst. Und doch wird dieser sein Tod eine Wonne sein gegen denjenigen, den du nun sterben wirst. Du bist in meiner Gewalt, und es soll keine Qual der Erde geben, die ich dir nicht zu kosten gebe.«

»Allah 'l Allah!« hauchte der Emir, indem er in die Kniee nieder sank.

»Knieest du vor mir nieder, um mich um Gnade anzuflehen? Kniee nur, und jammere nur! Aber eher wird der Schetan eine Seele aus der Hölle entkommen lassen, ehe ich auf dein Zetern höre!«

Nicht die Furcht und nicht die Angst, sondern das Entsetzen über die Schilderung des Zustandes, in welchem sein Sohn sich befinden sollte, hatte den Araber niedersinken lassen. Als Vater konnte er Schwäche fühlen; als Mann aber war er stolz und stark. Er sprang schnell auf, richtete sich hoch empor und antwortete, indem seine Augen blitzten:

»Was sagst du? Ich soll jammern und zetern vor dir? Dich um Erbarmen anflehen? Hund, wie kannst du wagen, dies zu sagen. Ich bin Barak el Kasi, der Emir von Kenadem, und habe nur vor Allah gekniet. Du aber bist Ebrid Ben Lafsa, ein elender Kadaver, den nicht einmal der Racham fressen mag. Nie sollst du sehen, daß ich ein Glied vor dir beuge!«

Hund genannt zu werden, ist für den Mohammedaner eine der größten Beleidigungen. Es war ein großes Wagnis von dem Araber, sich dieses Wortes gegen Abd el Mot zu bedienen, und die Umstehenden waren vollständig überzeugt, daß der letztere darüber in Wut ausbrechen werde. Dies geschah aber nicht. Zwar ballte er die beiden Fäuste und erhob den Fuß, als ob er sich auf seinen Gegner stürzen wolle, aber er setzte den Fuß wieder nieder und antwortete in spottendem Tone:

»Das hattest du dir gut ausgedacht; aber ich durchschaue deine Absicht und sie wird dir nicht gelingen. Du willst deinen Qualen, welche dir bevorstehen, entgehen, indem du mich reizest, dich im Zorne auf der Stelle zu töten. Aber sage, was du willst, es wird mich nicht ergrimmen. Töten werde ich dich. Monatelang aber sollst du sterben. Schimpfest du mich noch einmal, so lasse ich dir die Zunge ausreißen; das merke dir!«

»Reiß sie heraus!« gab der Araber ihm zurück. »Du bist ein Hund, den alle andern Hunde fliehen, weil er räudig ist!«

Auch bei dieser gesteigerten Beleidigung blieb Abd el Mot ruhig. Er sagte:

»Ja, sie soll dir ausgerissen werden, doch nicht jetzt, nicht heute, sondern erst dann, wenn wir Zeit dazu haben. Einen Verwundeten kann ich jetzt nicht brauchen. Später wirst du täglich bis auf die Knochen gepeitscht werden; jetzt muß ich damit noch warten, weil du stark sein mußt, um mit uns marschieren zu können. Aber vergessen sind deine Worte nicht. Jetzt frage ich, woher du kommst und wohin du willst?«

»Frage soviel dir beliebt; von mir erhältst du keine Antwort!«

Er wendete sich ab.

»Du wirst noch antworten lernen,« lachte Abd el Mot. »Holt eine Schebah für ihn herbei!«

Unter Schebah versteht man einen schweren Ast, dessen eines Ende eine Gabel bildet. In diese Gabel wird der Hals der Sklaven während des Transportes gesteckt und durch ein Querholz fest gehalten. Der Ast geht nach vorn; an ihn werden die Hände des Gefangenen, mit denen dieser ihn tragen muß, gebunden. Dadurch behält der Gefesselte den freien Gebrauch der Füße und ist dennoch am Entrinnen verhindert. Eine solche Schebah wurde dem Emir angelegt. Dann wendete sich Abd el Mot mit finsterer Miene an Schwarz:

»Jetzt sage nun du, wer du bist! Aber lüge nicht, sonst erhältst du die Peitsche!«

Hätte der in dieser Weise Angeredete die Gefühle, welche er jetzt empfand, beschreiben sollen, er wäre nicht fähig dazu gewesen, er hätte keine Worte zu finden vermocht. Haß, Ekel, Abscheu, Zorn – die Summe aller dieser Begriffe deckte sich nicht mit dem, was ihn jetzt erfüllte. Er wußte, daß man auch ihn an eine Schebah fesseln werde; aber er wußte ebenso, daß man gezwungen war, ihn gerade so wie den Emir einstweilen zu schonen. Darum sah er keine augenblickliche Veranlassung, durch höfliche oder gar kriechende Antworten eine mildere Behandlung, die ihm ja doch nicht geworden wäre, zu erstreben. Darum sah er Abd el Mot wie von oben herab an und sagte:

»Welches Recht hast du zu dieser Frage?«

Der Sklavenjäger war sehr erstaunt über diese Worte; das sah man ihm deutlich an. Er mußte sich erst besinnen, wie er sich verhalten solle; dann lachte er höhnisch auf:

»Allah thut Wunder! Solltest du etwa der Sultan von Stambul oder wenigstens der Chedive von Kahira sein? Deine Worte lassen so etwas vermuten. Ich frage, weil du mein Gefangener bist.«

»Mit welchem Rechte hast du mich überfallen und binden lassen?«

»Es hat mir so beliebt. Jetzt weißt du es. Du siehst uns hier auf einer Ghasuah, bei welcher man keine Spione duldet.«

»Ich bin keiner!«

»Lüge nicht! Ihr habt die Belanda vor uns warnen wollen.«

»Wer hat dir das gesagt?«

»Ihr selbst. Meine Leute haben es gehört, als die unten im Chor standen, um euch zu belauschen. Von wem habt ihr denn erfahren, daß wir nach Ombula wollen?«

»Von Leuten. welche es wissen.«

»Wer sind diese Leute?«

»Das wirst du vielleicht später erfahren. Ich habe dir keine Auskunft zu erteilen.«

»Nicht?« rief Abd el Mot in zornigem Tone. »Dann ist deine Zunge überflüssig; ich werde sie dir also auch herausnehmen lassen!«

»Pah! Das wirst du nicht wagen; es wäre zu deinem Verderben.«

»Wieso?«

»Ich bin kein Araber, sondern ein Europäer. Meine Regierung wird dich zur Rechenschaft zu ziehen wissen. Ich verlange augenblicklich frei gelassen zu werden. Gehorchst du dieser Forderung nicht, so kommen die Folgen über dich!«

Da schlug Abd el Mot ein lautes Gelächter auf und rief:

»Ich sehe, du bist ein Narr! Meinst du denn wirklich, daß ich deine Drohungen fürchte? Du bist ein Franke, folglich ein Christ?«

»Ja.«

»Allah verderbe dich! Ein Christ, ein Giaur! Und du wagst es, mir zu drohen! Wer hindert mich, dich augenblicklich erschießen zu lassen?«

»Das Gesetz.«

»Hier gilt kein Gesetz, sondern nur mein Wille. Wenn ich dich töte, wie will deine Regierung es erfahren? Und wenn sie es erfährt, wie will sie mich fassen und bestrafen? Nicht einmal die Macht des Großherrn oder des Vicekönigs reicht bis hieher, viel weniger die Gewalt der ungläubigen Schakals, welche du meinst, wenn du von deiner Regierung redest. Wir haben dich bei dem Emir gefunden. Du bist sein Freund und Gefährte und wirst also ganz dasselbe Schicksal wie er erleiden. Du kannst dasselbe nur dadurch mildern, daß du alle meine Fragen beantwortest und ein offenes Geständnis ablegst. Wie lautet dein Name?«

»Ich nenne ihn nicht, denn er ist zu gut und zu ehrlich für deine Ohren!«

»Seit wann befindest du dich bei dem Emir?«

»Das geht dich nichts an!«

»Wo und von wem habt ihr erfahren, daß wir nach Ombula wollen?«

»Wenn ich dir das sagte, so wäre ich ein ebenso großer Schurke wie du!«

»Mensch,« brauste Abd el Mot auf, »du wagst zu viel! Der Emir kann mich beleidigen, ohne daß ich ihn sofort töte, denn ich habe mich an ihm zu rächen und will mir das für später aufsparen. Mit dir aber habe ich nichts vor. Ich kann dich sofort töten, ohne mir dadurch ein späteres Vergnügen zu rauben. Wenn du mich noch ein einziges Mal beleidigst, so bist du verloren!«

»Das mag sein, du kannst mich ermorden, denn ich bin gefesselt und vermag mich nicht zu wehren. Hätte ich aber die Arme frei, so wollte ich dir zeigen, wie man mit einem Abendländer zu sprechen und zu verkehren hat! Übrigens denke ja nicht, daß du mir ungestraft das Leben nehmen kannst! Ich befinde mich nicht allein in dieser Gegend. Es sind Männer bei mir, welche die Macht besitzen, dich mit einem einzigen Fingerzeig zu vernichten!«

Dieser Trumpf wirkte. Abd el Mot machte eine weniger zuversichtliche Miene, als er fragte:

»Wer sind diese Leute?«

»Auch das geht dich nichts an. Ich gestehe dir überhaupt kein Recht zu, mich zu verhören und auszufragen. Ich will mich aber herbeilassen, dir freiwillig zu sagen, daß sie wissen, wo ich mich befinde und wohin ich will. Kehre ich nicht zurück, so nehmen sie an, daß du mich ermordest hast.«

»Warum wolltest du die Belanda warnen?«

»Weil ich ihr Freund bin.«

»Du kannst unterwegs verunglückt sein, ohne mich getroffen zu haben. Niemand wird mir etwas beweisen können!«

»Täusche dich nicht. Man wird jeden einzelnen deiner Leute streng verhören. Und wie wolltest du meinen Tod bei Abu el Mot verantworten? Kehre ich binnen vier Tagen nicht zurück, so wird man ihn gefangen nehmen. Du bist sein Untergebener, und was du thust, ist also gerade so gut wie seine eigene That.«

»Kennst du ihn?«

»Ja.«

»Und er dich?«

»Nein. Aber er wird, selbst wenn du mich tötest, mich und die Meinen kennen lernen!«

Das feste, sichere Auftreten des Deutschen blieb nicht ohne Eindruck. Er sah es wohl und beeilte sich, diesen Erfolg zum Vorteile seines so schwer bedrohten Gefährten auszunützen. Darum fuhr er fort:

»Ich verlange losgebunden zu werden, und fordere meine Waffen und alles zurück, was deine Leute mir abgenommen haben! Übrigens ist der Emir von Kenadem mein Freund, und was ihr ihm thut, rechne ich so, als ob es mir geschehen sei. Er wird ebenso gerächt werden, wie man mich rächen würde!«

Er mußte sofort erkennen, daß er zu weit gegangen war, denn Abd el Mot fuhr zornig auf:

»Mann, nimm dich in acht! Wenn einer hier zu fordern und zu gebieten hat, so bin ich es allein! Wer überzeugt mich denn, daß du die Wahrheit redest! Wer hindert mich, anzunehmen, daß du mich belügst, um freizukommen! Ist alles, was dem Emir geschieht, für dich so gut, als ob wir es an dir gethan hätten, nun so betrachte ich alles, was er gethan hat, auch so, als ob es von dir begangen worden sei. Soll ich ihn als deinen Freund behandeln, nun gut, so behandle ich auch dich als den seinigen. Du wirst also ganz dasselbe Schicksal haben wie er, und ich will ruhig abwarten, ob es wirklich so mächtige Leute gibt, welche ihn und dich an mir rächen können. Bringt auch für diesen Christenhund eine Schebah und bindet sie dann beide aneinander!«

Es wurde eine zweite Schebah gebracht und die Gabel derselben Schwarz um den Hals befestigt. Die Enden der beiden Stangen band man dann vorn an den Spitzen zusammen. Als dies geschehen war, höhnte Abd el Mot:

»So! Jetzt seid ihr als Freunde vereint, und ich will es gern erlauben, daß ihr euch euer Schicksal gegenseitig so viel wie möglich erleichtert. Es thut mir sehr leid, daß es euch unmöglich wird, die Belanda vor uns zu warnen. Da ihr darauf verzichten müßt, werde ich euch als Ersatz dafür eine andre Freude bereiten. Ihr sollt nämlich dabei sein, wenn wir das Dorf überfallen. Ich werde euch einen Platz anweisen, an welchem ihr alles genau beobachten könnt. Für jetzt aber wird man euch an einen Baum binden, damit euch nicht etwa der Gedanke kommt, mitsamt der Schebah lustwandeln zu gehen!«

Schwarz und Barak el Kasi wurden zu einem Baum geführt und dort angebunden. In dieser Situation an Flucht zu denken, wäre geradezu Wahnsinn von ihnen gewesen. Man denke sich zwei Menschen, welche an einen Baumstamm gefesselt sind, und dazu zwei schwere, hölzerne Deichseln, zwischen deren hintern, gespaltenen Teilen ihre Hälse stecken; diese Deichseln sind vorn in spitzem Winkel zusammengebunden, und außerdem hat man den Männern die Hände an dieselben gefesselt, so daß jeder von ihnen die Last seiner Deichsel halten und tragen muß.

So standen Schwarz und Barak el Kasi jetzt im Lager der Sklavenjäger.

Die einzige Erleichterung gewährte ihnen der Umstand, daß man sich jetzt nicht mehr um sie zu bekümmern schien. Die Leute waren mit den Vorbereitungen für den heutigen Abend beschäftigt, und keiner stand nahe genug, um hören zu können, was die beiden miteinander sprachen.

»Welch ein Unterschied!« knirschte der Emir. »Wie ganz anders hatte ich mir den Augenblick gedacht, an welchem ich den Räuber meines Kindes sehen würde! Ich wollte ihm als Richter und Rächer gegenübertreten, und nun befinde ich mich in seinen Händen! Statt daß er den Tod von meiner Hand empfängt, wird er mich langsam und grausam zu Tode martern!«

»Ob er es wagt!« warf der Deutsche ein, weniger weil er Hoffnung hegte, sondern um den Gefährten zu trösten.

»Er wird es wagen; darauf kannst du dich verlassen. Allah hat es gewollt; ich ergebe mich darein. Aber es betrübt meine Seele, daß ich dich mit in das Verderben gezogen habe.«

»Sprich nicht so! Auch ich trage die Schuld. Wir sind so unbegreiflich unvorsichtig gewesen, daß ich mich über das, was geschehen ist, gar nicht wundern kann. Wir hätten, bevor wir lagerten, die Umgegend absuchen sollen. Und sodann hatten wir uns ungeschickter Weise gerade so gesetzt, daß wir der Richtung, aus welcher allein eine Gefahr kommen konnte, den Rücken zukehrten. Ich habe unter wilden Völkerschaften gelebt und weiß ganz genau, was man in einer Lage, wie die unsrige war, zu beobachten hat.«

»Wenn sie uns nur nicht gar so plötzlich überfallen hätten!«

»Wir wären dennoch verloren gewesen. Einer Schar Neger hätten wir wohl widerstehen können, nicht aber mehreren Hundert solcher Teufel, die so gut bewaffnet sind. Ein Glück ist es, daß man uns wenigstens unsre Kleider gelassen hat. Nimmt man uns auch diese noch, so wird die Lage doppelt schlimm und grausam.«

»Bei Allah, ich würde gern sterben und gern alle Qualen erdulden, welche dieser Mensch sich nur ersinnen kann, wenn mein Sohn nicht ebenso wie ich zu leiden hätte!«

»Du glaubst also, was Abd el Mot dir von ihm sagte?«

»Du etwa nicht?«

»Nein.«

»Ich zweifle nicht!«

»Und ich halte seine Worte für Lüge. Er hat die Unwahrheit gesagt, um dich zu quälen, um dich doppelt unglücklich zu machen.«

»Meinst du? Es wäre ihm wohl zuzutrauen.«

»Glaube mir, es ist so, wie ich sage. Ich bin vollständig überzeugt, daß der 'Sohn des Geheimnisses' dein Mesuf ist. Ich hoffe sogar, dir beweisen zu können, daß Abd el Mot gelogen hat.«

»Wie willst du das anfangen?«

»Warte nur, bis er wieder mit uns spricht!«

»Du spannst meine Seele auf die Folter. Und wenn du recht hättest, wenn der 'Sohn des Geheimnisses' der Gesuchte wäre, was könnte es mir nun nützen? Ich bekomme ihn nun doch nicht zu sehen, und er wird niemals erfahren, wer sein Vater war. Wir beide werden ermordet, und da wir die Einzigen sind, welche davon wissen, so kann dann niemand es ihm sagen.«

»Noch sind wir nicht tot; noch leben wir!«

»Jetzt, heute, ja! Aber wie lange?«

»An eine Flucht ist unter den jetzigen Umständen freilich nicht zu denken; aber Abd el Mot selbst hat uns die Hoffnung gemacht, daß man sich während einiger Tage nicht an uns vergreifen werde. Er will dich mit Genuß martern, was doch nur daheim in der Seribah geschehen könnte. Bis dahin muß er bestrebt sein, uns die zum Marsche nötigen Kräfte zu erhalten. Heute wird Ombula überfallen; morgen gibt es einen Fest- und Jubeltag, und übermorgen hat man noch vollauf mit der Vorbereitung zum Rückzuge zu thun, welcher jedenfalls länger dauert, als der Ritt hieher. Sieben oder gar acht Tage sind also von heute an nötig, um die Seribah zu erreichen. So lange Zeit hätten wir Frist. Aber nun bedenke, was auf der Seribah geschehen ist! Wir werden uns natürlich hüten, Abd el Mot auch nur ein Wort davon zu sagen.«

»Meinst du, daß uns daraus ein Vorteil erwachsen könne?«

»Ganz natürlich! Wenn die Absicht gelingt, welche wir dem alten Feldwebel unterlegen, so ist es um Abd el Mot geschehen und wir sind frei.«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig! Du träufelst Balsam in mein Herz.«

»Vielleicht können wir uns von der Schebah befreien. Dazu ist weiter nichts nötig, als daß es einem von uns beiden gelingt, die Hände los zu bekommen.«

»Das ist bei mir unmöglich. Man hat die meinigen so fest an das Holz gebunden, daß der Strick mir in das Fleisch schneidet.«

»Dies ist auch bei mir der Fall; aber der Strick wird nach und nach locker werden, und lieber werde ich mir das Fleisch von den Händen würgen, als mich töten lassen, ohne wenigstens den Versuch zu machen, dem Tode zu entgehen.«

Jetzt begannen die Sklavenjäger den Pferden, Kamelen und Ochsen die Reit- und Packsättel aufzulegen. Man rüstete zum Aufbruche, denn es waren nicht zwei volle Stunden mehr bis zum Anbruche des Abends. Abd el Mot kam zu den beiden und fragte:

»Ich darf euch wohl höflich um Verzeihung bitten, daß ich euch nicht erlauben kann, zu reiten? Ihr werdet gehen müssen. Dafür aber soll euch die große Auszeichnung widerfahren, daß ihr an mein eigenes Pferd gehangen werdet. Ich liebe euch so sehr, daß ich euch in meiner Nähe haben muß. Du, Emir, kannst dich dabei deines Sohnes erinnern, welchen ich damals in ganz derselben Weise transportiert habe.«

»Das wissen wir,« antwortete Schwarz in ruhigem Tone.

»Du, Giaur? Was willst du wissen?«

»Was du mit dem Knaben Mesuf vorgenommen hast.«

Abd el Mot warf einen langen, forschenden Blick auf den Deutschen und sagte dann höhnisch:

»Du träumst! Wo warst du denn zu jener Zeit?«

»Daheim in meinem Vaterlande. Doch Allah ist allmächtig und allweise und leitet die Menschen durch tausend Wunder. Ich kenne den Knaben, den du raubtest.«

»Unmöglich!« rief der Sklavenjäger, indem er einen Schritt zurücktrat.

»Ich sage die Wahrheit; ich lüge nicht wie du. Du hast deinen Zweck nicht erreicht, sondern das Gegenteil. Indem du den Emir kränken wolltest, hast du ihm das größte Entzücken bereitet.«

»Ich verstehe dich nicht!«

»So will ich deutlicher sprechen. Ich kenne den Emir erst seit drei Tagen, nicht aber seine früheren Schicksale. Da sprachst du vorhin mit ihm von seinem Sohne; das erweckte meine Aufmerksamkeit; nachdem wir hier angebunden worden waren, fragte ich ihn, und er erzählte mir alles. Allah hat es gewollt, daß ich seinen Schmerz in Freude verwandeln konnte, denn ich kenne seinen Sohn.«

Abd el Mot vermochte nicht, sich zu beherrschen; er machte eine Bewegung der Überraschung und rief aus:

»Wo ist er? Wo befindet er sich?«

»Nicht dort, wo du sagtest.«

»Wo sonst?«

»In sehr guten Händen, nämlich bei meinen Freunden und Gefährten. Er ist nicht blind und krank; er kann auch sprechen, denn du hast ihm die Zunge nicht herausgerissen! Er ist ein prächtiger Jüngling geworden, und sein Vater wird ihn mit Wonne an das Herz drücken.«

»Das soll er bleiben lassen!« brauste Abd el Mot auf. »Noch seid ihr meine Gefangene, und ich werde dafür sorgen, daß Vater und Sohn sich erst jenseits dieses Lebens zu sehen bekommen. Wer konnte ahnen, daß das Weib des Fürsten mit dem Knaben fliehen werde!«

Schwarz hatte ihn dahin, wohin er ihn hatte haben wollen. Der Zorn entreißt dem Menschen manches unbedachte Wort; darum war der Deutsche bestrebt, den Ärger des Sklavenjägers zu erhöhen, indem er sagte:

»Du hattest es nicht klug genug angefangen. Daß du den Knaben nicht weiter fortschafftest, läßt mich vermuten, daß Allah dir ein sehr kleines Gehirn gegeben hat.«

»Schweige, Schakal! Liegt der Mukambasee nicht weit genug von Dar Runga? Muß man nicht mehrere Monate reisen, um von da bis zu dem Volke der Matwa zu gelangen?«

»Das bestreite ich nicht. Aber der Erfolg sagt dir, daß du ihn noch weiter nach dem Süden hättest bringen sollen. Es war eine Dummheit, ihn an den Fürsten der Matwa zu verkaufen.«

»Schimpfe nicht, sonst sollst du noch vor mir zittern! Der Fürst zahlte den Preis von zehn schwarzen Sklaven für ihn; er wollte ihn mästen, um einmal das Fleisch eines Weißen kosten zu können. War ich schuld, daß sein Weib ihn nicht liebte, weil er sie geraubt hatte, daß sie ihm entfloh und den Knaben mitnahm, den sie liebgewonnen hatte?«

»So hättest du später nach ihr und ihm forschen sollen!«

»Gib mir keinen Rat! Ich brauche ihn nicht; ich weiß selbst, was ich zu thun habe. Die Frau ist niemals zu ihrem Volke zurückgekehrt. Ich war bis jetzt überzeugt, daß sie unterwegs mit dem Kinde umgekommen sei.«

»Nun. so kann ich dich eines andern belehren: sie leben beide, und die Frau hat erzählt, daß du ihn an den Fürsten verkauft hast. Sie hat dich vor einiger Zeit gesehen und erkannt.«

»Wo? Wo ist sie jetzt?«

»Daß ich ein Narr wäre, dir das mitzuteilen.«

»Sprich, ich befehle es dir!«

»Darüber brauche ich dir keine Auskunft zu geben. Ich liebe den Knaben, welcher zum Jüngling herangewachsen ist, und nun ich ganz zufällig seinen Vater gefunden habe, werden beide bald vereinigt sein.«

»In die tiefste Hölle werden sie miteinander fahren, und du mit ihnen, Giaur!« schrie Abd el Mot, indem er sein Messer zog und gegen Schwarz zückte.

Dieser blickte ihm groß und ruhig in die Augen und sagte:

»Stoß zu, wenn du es wagst! Dieser Stoß aber würde auch dein Leben mit vernichten, denn indem du mich tötest, ermordest du den einzigen, der dich retten kann!«

Es war ein ganz außerordentliches Staunen, mit welchem der Knabenräuber fragte:

»Retten? Du mich, du? Vor wem und vor was denn?«

»Vor der Rache Mesufs, des von dir entführten Knaben. Dieser Rache wegen ritt ich dir nach, um die Belanda zu warnen und dich zu verderben. Du hörst, daß ich ohne Furcht und aufrichtig bin. Allah fügte es, daß ich dabei auf seinen Vater traf, welchen er bisher vergeblich gesucht hatte. Er hat mächtige Beschützer bei sich, welche sich seiner angenommen haben, weil er der Sohn eines Emirs ist. Kehrst du zurück, so bist du des Todes, und dein Ende wird ein doppelt schreckliches sein, wenn man mich nicht wiedersieht und im Gegenteil erfährt, daß ich von deiner Hand gefallen bin.«

Der Deutsche sagte das in einer so überzeugenden Weise, daß Abd el Mot eine ganze Weile in schweigender Bestürzung dastand. Dann sagte er halb fragend, halb behauptend:

»Du lügst, um dich zu retten?«

»Denke, was du willst,« antwortete Schwarz, indem er die Achsel zuckte. »Dein Schicksal steht in deiner Hand!«

»So wartet man also auf mich?«

»Ja.«

»Wo?«

»Wie kannst du Fragen aussprechen, die du selbst an meiner Stelle nicht beantworten würdest! Meinst du, ich sei weniger klug wie du?«

»Ja, klug bist du, so klug und listig, daß man nicht weiß, ob du die Lüge oder die Wahrheit sagst.«

Er blickte finster vor sich nieder. Gern hätte er die Behauptungen des Deutschen angezweifelt; aber diese wurden in einer solchen Weise und mit solchem Nachdrucke gegeben, daß es schwer war, ihnen nicht zu glauben. Dann hob er langsam den Kopf, fixierte Schwarz mit einem durchbohrenden Blicke und fragte:

»Wenn es so ist, wie du sagst, wie wolltest du mich retten können. Wo will ich hin, wenn dieser Zug beendet ist? Ich muß zurück zu Abu el Mot, zur Seribah, denn dort habe ich mein Vermögen. Wollte ich auf deine Worte hin von hier entfliehen, so wäre ich zum Bettler geworden.«

Schwarz jubelte innerlich auf; er glaubte schon gewonnen zu haben und antwortete:

»Nun man einmal entdeckt hat, daß du der Entführer bist, nun man weiß, daß Abd el Mot der damalige Ebrid Ben Lafsa ist, kannst du nicht mehr entkommen. Du könntest gehen, wohin du wolltest, man würde dich finden. Es sind fünfzehn Jahre des Jammers, des Unglücks an dir zu rächen; bedenke das! Sage ich aber den Meinen, daß wir uns in deiner Gewalt befanden und du uns dennoch verschontest, so wird man auch gegen dich mild sein.«

»Dieser da aber nicht!«

Er deutete auf den Emir, welcher bisher kein Wort gesagt hatte und auch jetzt keine Antwort gab. Darum richtete er nun direkt an ihn die Frage:

»Was würdest du thun, wenn ich dir jetzt die Freiheit schenkte? Würdest du dich dann an mir rächen?«

Diese Frage wog schwer. Die Antwort darauf konnte, oder vielmehr sie mußte über das Schicksal der beiden Gefangenen entscheiden. Wenn der Emir seinem Feinde Verzeihung verhieß, so stand zu erwarten, daß dieser sie beide freigab. Aber sollte er auf seine Rache verzichten? Sollte der elende Missethäter straflos ausgehen? Nein, lieber sterben!

»Allah weiß es!« murmelte der Emir zweideutig.

»Das ist weder ein Ja, noch ein Nein,« antwortete Abd el Mot. »Ich frage dich im Namen des Propheten und der Kalifen und fordere dich auf, die Wahrheit zu sagen! Würdest du mir verzeihen oder dich dennoch rächen?«

»Allah weiß es!« wiederholte der Gefragte.

»Ist das die einzige Antwort, welche du für mich hast?«

»Ja.«

»So habe ich nichts mehr zu fragen. Allah entscheide zwischen dir und mir!« – Er wendete sich ab und ging fort. Da holte der Emir tief, tief Atem. Er mußte sich bezwingen, nicht laut auf zujubeln:

»Freund, Bruder, du hattest recht! Mein Sohn lebt; er lebt! Er ist nicht tot und auch nicht verstümmelt!«

»Ich wußte es,« nickte Schwarz, selbst bis ins tiefste Herz erfreut. »Und wie schön hat er uns alles gesagt, ohne zu ahnen, daß wir gar nichts wußten!«

»Ich sage dir, daß ich an seiner Stelle mir auch alles hätte entlocken lassen. Du bist wirklich listiger als Talab, der heimlich Schleichende. Wärst du ein Kadi, so würdest du alle Verbrechen entdecken. Aber sage, lebt die Frau wirklich noch, die mit meinem Sohne von ihrem Manne floh?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe von ihr ja gar nichts gewußt! Aber warum beantwortetest du seine letzte Frage nicht?«

»Weil ich unmöglich konnte.«

»Ein Ja hätte uns vielleicht die Freiheit sofort wiedergegeben!«

»Und ein offenes Nein hätte zum sichern Tod geführt. Ich konnte keins von beiden sagen. Oder meinst du, daß ich meine und sogar auch deine Rettung einer Lüge verdanken möchte?«

»So kannst und wirst du nicht vergeben?«

»Nie!«

»Auf keinen Fall?«

»Niemals! Es würde eine Sünde gegen das Gesetz der Wüste, ja gegen das Gesetz des Propheten sein. Und selbst wenn ich diese beiden Vorschriften übertreten wollte, so würde mich mein Schwur daran verhindern. Ich habe Rache geschworen, und ich werde mich rächen. Was thätest du an meiner Stelle?«

»Nein. Unser Kitab el mukaddas befiehlt uns, die Rache Gott zu überlassen.«

»Auch wenn ihr geschworen habt?«

»Kein frommer Christ thut einen solchen grausigen Schwur, denn Isa Ben Marryam hat uns befohlen: 'Liebet eure Feinde, segnet die, welche euch fluchen; thut wohl denen, die euch beleidigen und verfolgen!' Und hätte jemand dennoch einen solchen Schwur gethan, so würde er Gott bitten, ihn zurücknehmen zu dürfen.«

»Eure Lehre ist schön; sie ist gut für euch, falls ihr eure Feinde wirklich zu lieben vermögt; aber sie paßt nicht für diese Länder, nicht für die Wüste, nicht für uns. Auge um Auge, Blut um Blut, Leben um Leben, das ist unser Gesetz; wir müssen ihm gehorchen, und du darfst mir nicht zürnen, wenn ich es erfülle.«

»So bleiben wir also gefangen!«

»Ja. Ich habe dich lieb, aber ich kann selbst dich nicht durch eine Sünde retten. Werde ich schuld an deinem Tode, so mag Allah es mir vergeben, der ja auch der Gott der Christen ist.«

»Nun, was das betrifft, so brauchst du dir jetzt noch keine Vorwürfe zu machen. Ich weiß, daß meine Worte und Vorstellungen bei Abd el Mot haften geblieben sind; sie werden sicher, wenn auch langsam wirken. Ich habe ihn in Zwiespalt mit sich selbst versetzt, und wir müssen nun das Ergebnis in Ruhe erwarten.«

Er hatte die Worte kaum gesagt, so zeigte sich schon die erste der Wirkungen. Abd el Mot kam wieder herbei und fragte:

»In einigen Minuten brechen wir auf. Habt ihr Hunger oder Durst?«

»Nein,« antwortete Schwarz.

»Unterwegs erhaltet ihr nichts. Ihr seid also selbst schuld, wenn euch während des Marsches hungert oder dürstet.«

Er band sie los und führte sie zu den Lasttieren. Er selbst schlang einen Strick um die Spitze der beiden Halsgabeln und band denselben an den Sattel eines Lastochsen. Schwarz warf seinem Gefährten einen befriedigten Blick zu. Ohne die Mahnungen des Deutschen hätte der Sklavenjäger ihnen wohl nicht Speise und Trank angeboten und sie auch jetzt nicht an den Ochsen gebunden, nachdem er vorher gesagt hatte, daß er sie an sein eigenes Pferd fesseln werde. Es war also wohl Grund vorhanden, die Hoffnung auf Befreiung nicht ganz aufzugeben.

Jetzt erteilte Abd el Mot seine Befehle, und zwar laut, daß die Gefangenen es hören konnten. Von jetzt an befolgte er die Taktik, von welcher der Emir gesprochen hatte. Zwanzig Späher mußten auf den schnellsten Pferden voranreiten; ihnen folgten hundert andre, welche nach ihrer Ankunft das Dorf in weitem Kreise zu umstellen hatten. Darauf setzten sich die übrigen in Bewegung, teils zu Fuß, teils auf Ochsen reitend.

Diese Ochsen sind nicht die langsamen störrigen Tiere wie die unsrigen. Sie besitzen ein intelligenteres Auge und einen viel schnelleren und dabei sehr sicheren Schritt. Sie sind das Ergebnis hundertjähriger Zucht und dürfen keineswegs mit dem wilden Büffel verglichen werden.

Die Gefangenen mußten ziemlich rasch ausschreiten, um mit ihrem Ochsen Schritt zu halten. Die Schebah, welche jeder von ihnen trug, war von hartem, unzerbrechlichem Holze und wog wohl über dreißig Pfund. Diese Last war nicht übermäßig; aber die Gabel berührte bei jedem Schritte den nackten Hals und rieb ihn in der Folge wund. Später stellte sich noch ein zweiter Übelstand ein. Die vom Ellbogen aufwärts an die Schebah gefesselten Vorderarme waren diese Stellung oder Haltung nicht gewohnt und schliefen ein. Im übrigen war der Marsch mit keiner Beschwerde verbunden.

Abd el Mot hielt sich stets in ihrer Nähe und ritt meist hinter ihnen her, schien jedoch auf das, was sie sprachen, gar nicht zu achten. Übrigens unterhielten sie sich wenig, und wenn sie es thaten, nur mit gedämpfter Stimme. Er hatte das Gewehr des Deutschen übergehängt und dessen Revolver in seinen Gürtel gesteckt. Mit diesen Waffen liebäugelte er so fleißig, daß man merken konnte, wie stolz er auf dieselben war. Das Fernrohr blickte aus der Satteltasche hervor, und die Uhr, den Geldbeutel und das übrige Eigentum Schwarz' hatte er auch an sich genommen.

Man kam über ödes, langsam ansteigendes Land. Von fernher winkten kahle Berge. Als man ihren Fuß erreichte, stand die Sonne am Horizont, und es wurde angehalten und zum Mogreb abgestiegen. Diese gefühllosen Barbaren beteten zu Gott, obgleich sie im Begriff standen, eine himmelschreiende That auszuführen. Auch der Emir kniete trotz der ihn hindernden Sklavengabel nieder, um sein Gebet zu verrichten, und Schwarz folgte seinem Beispiele, vielleicht auch um die Moslemin nicht gegen sich aufzubringen, meist aber aus wirklichem Herzensbedürfnis.

Dann, als die Sonne verschwunden war, ging es weiter. Es wurde finster, und nun war es dem Deutschen nicht mehr möglich, die Landschaft zu sehen, durch welche sie kamen. Er bemerkte nur, daß es stets bergauf ging, oft über steile Gelände, oft durch enge Thäler. Einige Male kam man an Sümpfen vorüber, von denen sich Myriaden Stechfliegen erhoben, um sich auf Menschen und Tiere zu werfen und den Zug auf weite Strecken zu verfolgen. Dann fühlten die Gefangenen es schmerzlich, daß sie mit ihren gefesselten Händen nicht im stande waren, diese Blutsauger von sich abzuwehren.

Je später, desto heller wurde der Glanz der Sterne, der den Marsch wesentlich erleichterte. Zuweilen kehrte einer der Späher zurück, um eine leise Meldung zu machen. Endlich, vielleicht eine Stunde vor Mitternacht, gebot Abd el Mot Halt.

Schwarz strengte seine Augen an, vielleicht das Dorf zu sehen, doch vergeblich. Boten kamen und gingen wieder; der Anführer verkehrte leise mit ihnen. Sämtliche Reit- und Lasttiere wurden unter der Obhut einer Anzahl Wächter nach einem sicheren Orte geschafft; kleine Abteilungen der Asaker marschierten ab, geradeaus, nach rechts und nach links, und endlich hielt Abd el Mot nur noch mit zehn Männern bei den Gefangenen, welche natürlich von ihrem Ochsen losgebunden worden waren.

»In kurzer Zeit werdet ihr sehen, wie man es machen muß, um Sklaven zu bekommen,« sagte er. »Denkt aber, wenn es losgeht, ja nicht, daß ihr diese Gelegenheit zur Flucht benützen könnt! Ihr würdet augenblicklich erschossen werden!«

Dem Deutschen war traurig zu Mute; er dachte nicht an sich, sondern an die armen, unschuldigen und nichts ahnenden Schwarzen, welche auf eine so entsetzliche Weise aus ihrer Ruhe gestört werden sollten.

»Liegt das Dorf in der Nähe?« fragte er, doch ohne Hoffnung, eine Antwort zu erhalten.

Er erhielt doch eine. Abd el Mot selbst gab sie ihm:

»Ja. Ihr werdet mit bis an die Umzäunung gehen und alles sehen.«

»Ist der Überfall unwiderruflich beschlossen?«

»Allah! Wer soll ihn widerrufen, und warum?«

»Bedenke, daß sie dir nichts gethan haben und Menschen sind wir du!«

»Schweig!« erhielt er barsch zur Antwort. »Ich habe dich nicht gefangen, um mich von dir belehren zu lassen. Diese Schwarzen sind wie das Vieh. Sie fühlen nichts und lecken die Hand, von welcher sie geschlagen werden. Sage mir vielmehr jetzt, wie man dein Gewehr zu handhaben hat. Ich weiß, es ist besser als alle unsre Flinten, aber ich weiß nicht, wie es geladen wird.«

»Willst du damit auf die Neger schießen?«

»Was soll ich sonst damit wollen!«

»So hänge es getrost wieder um! Ich will nicht durch eine solche Belehrung den Tod dieser Menschen verschulden.«

»Hund! Wirst du gehorchen oder nicht?«

»Nein!«

»Ich töte dich!«

»Immer zu!«

Abd el Mot besann sich, hing das Gewehr wieder um und sagte:

»Jetzt nicht. Du wirst deine Strafe später empfangen. Vorwärts!«

Zwei Mann nahmen Schwarz und zwei andre den Emir bei der Gabel und zogen sie mit sich fort. Die andern folgten leise, bis sich eine hohe dunkle Masse vor ihnen erhob, welche nach beiden Seiten mauerähnlich in der Finsternis verlief. Das war die Dornhecke, von denen bekanntlich zwei, eine innere und eine äußere, das große Dorf Ombula umgaben.

Schwarz hatte während des ganzen Marsches bis hieher nachgedacht, ob es nicht doch ein Mittel gebe, das Dorf zu retten; aber es war ihm keins eingefallen. Jetzt kam ihm ein Gedanke, aber ein Gedanke, dessen Ausführung ihm unbedingt das Leben kosten mußte. Dennoch war er entschlossen, sein Leben für dasjenige vieler zu opfern.

»Ich rette das Dorf doch noch,« raunte er dem Emir zu.

»Wie denn?« flüsterte dieser.

»Ich werde mit aller Macht meiner Stimme schreien, daß man es durch ganz Ombula hört und alle Schläfer davon erwachen.«

»Allah behüte dich! Du gibst dein Leben hin, ohne einen einzigen zu retten. Das Dorf ist eingeschlossen, und kein Mensch kann entkommen. Dein Rufen würde das Elend nur erhöhen, denn es ist besser, im Schlafe, als im Wachen erschlagen zu werden.«

Das waren triftige Gründe; dennoch öffnete Schwarz bereits den Mund, um seinen todesmutigen Vorsatz auszuführen, als einer der Unteroffiziere herbeikam, um dem Anführer zu melden:

»Es kann beginnen. Alle stehen bereit. Die Wächter des Eingangs sind still umgebracht worden, und auch der Pferch der Tiere ist umstellt.«

Da mußte Schwarz freilich einsehen, daß sein Opfer vollständig nutzlos gewesen wäre.

»Brenn an, den andern zum Zeichen,« gebot Abd el Mot dem Manne.

Dieser kauerte sich nieder – ein leiser Klang von Stahl und Stein – ein springender Funke – eine glimmende Flintenlunte und dann ein kleines Flämmchen, welches rasch anwuchs, sich zerteilte und dann in zehn, zwanzig Zickzackschlangen an der ausgedorrten Hecke emporlief. Wenige Sekunden später stand an dieser Stelle die Einfriedigung bereits mehrere Meter breit in Flammen, welche so schnell weiterliefen, als ob der Zaun aus geöltem Papier bestanden hätte.

Zur Rechten und zur Linken, fern und nahe, zuckten gleiche Flammen auf. Nach Verlauf von zwei Minuten stand die Umzäunung des ganzen Dorfes in hellen, haushoch emporschlagenden und keine Lücke lassenden Flammen. Von jenseits erschallten angstvolle Rufe, von Schüssen beantwortet.

»Die Wächter bei den Herden sind erwacht; sie werden erschossen,« erklärte Abd el Mot mit teuflischer Freude.

»Jetzt geht es los. Ihr werdet die Dscharahdin gleich winseln hören.«

Ein starker Luftzug, von den Flammen aufgeweckt, begann zu wehen, und die Stimme des Feuers ging wie das Brausen einer fernen Brandung durch die grell erleuchtete Nacht. Hierein mischten sich einzelne Schreie, welche den Lippen derer entsprangen, die durch die Schüsse aus dem Schlafe geweckt wurden. Die Bewohner des Dorfes waren erwacht. Sie sprangen aus ihren Tokuls und erkannten mit Entsetzen, daß die Umzäunung brannte. Noch war ihnen die ganze Größe ihres Unglücks verborgen.

Sie weckten die noch Schlafenden, um im Vereine mit ihnen das Feuer von ihren Hütten abzuwehren. Aber die umherfliegenden Funken fielen auf die aus dürrem Schilfe bestehenden Dächer und steckten diese trotz aller Bemühung der Bewohner in Brand. Bald standen sämtliche Tokuls in Flammen. Die Neger konnten es in der Glut nicht aushalten. Aber wohin? Durch die brennende Umzäunung konnten sie nicht ins Freie; Auswege gab es nur durch die Thore. Diese pflegten des Tages offen zu stehen und des Nachts mit Schilfmatten verhängt und durch Krieger bewacht zu werden. Diese letzteren waren von den Sklavenjägern aber überrascht und ermordet worden. Die Matten hatten sich schnell in Asche verwandelt, da sie aus einem Materiale bestanden, welches vom Feuer in wenigen Augenblicken verzehrt wird. Darum waren die Thore die einzigen Punkte, wo man aus der alles versengenden Glut hinaus ins Freie konnte. Diesen Stellen eilten die Unglücklichen zu.

Aber die Sklavenjäger hatten das vorberechnet und sich in ausreichender Anzahl dort postiert. Jeder erwachsene Belanda, welcher vor einem der Thore erschien, wurde sofort erschossen; dasselbe Schicksal erlitten die alten Frauen. Die jüngeren Personen riß oder schlug man nieder und band sie mit Stricken, welche zu diesem Zwecke in großem Vorrate auf den Lasttieren mitgebracht worden waren.

Die Scene, welche das gab, läßt sich unmöglich beschreiben. Männer kamen gesprungen, mit Kindern auf den Armen, die sie retten wollten. Sie stürzten, von den Kugeln getroffen, nieder, und dann riß man die Kinder aus ihren Armen. Hier kam eine alte Frau durch das Thor gerannt, laut aufjubelnd, daß sie dem Feuer entgangen war; in demselben Augenblicke wurde sie mit dem Kolben niedergeschmettert. Ein junges Weib flüchtete sich, zwei Knaben nach sich ziehend, durch das Thor. Die Kinder wurden ihr sofort entrissen; sie selbst warf man sofort nieder, um sie an Händen und Füßen zu binden. Ein stämmiger Neger, welcher in weiten Sätzen zwischen den brennenden Tokuls nach dem Thore rannte, wurde von der Kugel nicht tödlich getroffen. Er erhielt mit dem Flintenlaufe einen Stoß vor den Magen, so daß er niederstürzte; dann schnitt man ihm die Achillessehne durch, so daß der Ärmste nicht entspringen konnte.

Es geschahen ähnliche und noch viel schlimmere Thaten, so daß sich die Feder sträubt, sie zu beschreiben. Aus den einzelnen Schreien, welche man zuerst gehört hatte, war ein allgemeines Geheul und Gebrüll geworden. Die Neger hatten erkannt, daß sie es nicht mit einem zufällig ausgebrochenen Feuer, sondern mit einer Ghasuah zu thun hatten, welcher sie nicht entrinnen konnten. Die Männer wußten, daß sie dem unerbittlichen Tode verfallen seien. Viele von ihnen rotteten sich zusammen, um kämpfend zu sterben. Da sie aber keine Zeit gefunden hatten, ihre Waffen dem Feuer zu entreißen, so waren sie nur auf ihre Fäuste angewiesen und wurden schnell niedergemetzelt. Andre hatten ein Messer gefunden und benützten dasselbe, sich selbst den Tod zu geben, indem sie sich damit erstachen. Einige sprangen freiwillig in die lodernden Flammen und rissen ihre Frauen oder Kinder mit hinein, um sie vor der Sklaverei zu retten.

Schwarz war es unmöglich, solche Scenen anzusehen. Er wendete sich ab. Er fühlte sich unbeschreiblich unglücklich, nicht etwa aus Sorgen um sich selbst, sondern weil er gezwungen war, Zeuge dieser Grausamkeiten zu sein. Das Heulen der unglücklichen Neger, das Jauchzen der Sklavenjäger wollte ihm die Besinnung rauben. Die letzteren kamen ihm im Scheine der lodernden Flammen wie Teufel vor, welche um die Seelen der Verdammten ihre höllischen Reigen tanzen. Hätte es ihm ein Wort gekostet, sie alle in den Tod zu schicken, er hätte es gethan, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen.

Als seit dem Aufzucken der ersten Flamme eine halbe Stunde vergangen war, sah man das grausige Werk vollendet. Es erschien kein Neger mehr, um sich aus den Flammen zu retten. Wer sich nicht in den Händen der Sklavenjäger befand, war von denselben getötet worden oder im Feuer umgekommen.

Draußen vor dem brennenden Dorfe befanden sich die erbeuteten Herden, von einer Anzahl Asaker bewacht. Die andern hüteten die Gefangenen. Diese befanden sich in einem Zustande teils der größten Aufregung, teils der tiefsten Niedergeschlagenheit. Die meisten saßen am Boden, still weinend oder lautlos vor sich hinstarrend. Andre rasten zwischen diesen umher, gebärdeten sich wie wahnsinnig und brüllten vor Verzweiflung wie wilde Tiere. Sie wurden mit der Peitsche sehr bald zur Ruhe gebracht.

Nun gebot Abd el Mot die Beute zu zählen. Die Unteroffiziere gingen umher, um die Gefangenen mit Kennerblicken zu mustern. Die einzelnen »Arten« wurden voneinander geschieden und zu Gruppen vereinigt. Man hatte gegen vierhundert Knaben, ebensoviel Mädchen und fast zweihundert jüngere Frauen erbeutet. Außerdem gab es noch viele kleine Kinder, welche man ihren Müttern einstweilen noch ließ. Im ersten Augenblick war es notwendig gewesen, den Gefangenen auch an die Füße Fesseln zu legen; dann aber hatte man sie von denselben befreit, um ihnen die notwendigste Beweglichkeit zu gestatten. Sie wurden wieder zusammengetrieben und mußten sich niedersetzen. An die Flucht dachte keine dieser unglücklichen Personen. Sie waren ja rund von bewaffneten Männern umstellt, und man hatte ihnen gedroht, daß wer es wage, von seinem Platze auch nur aufzustehen, augenblicklich erschossen werde.

An einen Schlaf war nicht zu denken, weder bei den Gefangenen, noch bei den Sklavenjägern. Diese letzteren hatten noch nie einen so reichlichen Fang gemacht. Beinahe tausend Sklaven, ohne das Vieh, welches eine ebenso wertvolle Beute war! Das machte diese Menschen beinahe wonnetrunken. Sie jubelten, lachten und scherzten und erzählten einander die Heldenthaten, welche sie ausgeführt hatten, indem sie die fliehenden Männer erschossen, erstachen oder niederschlugen.

Abd el Mot war stolz auf das Gelingen seines Raubzuges; er befand sich in der heitersten Laune. Die Folge davon war, daß er in fast freundlichem Tone zu dem Deutschen sagte:

»Ihr werdet Hunger haben. Soll ich euch zu essen geben lassen?«

»Nein,« antwortete Schwarz. »Ich bin satt, vollständig satt. Wer könnte jetzt ans Essen oder Trinken denken!«

»Ganz wie du willst! Freust du dich nicht, so viele Gefährten bekommen zu haben, denen du dein Unglück klagen kannst?«

»Spotte immerhin! Ich bin glücklicher als du. Wenn du einst über es Ssireth, die Brücke des Todes, gehst, werden die Seelen der heute Ermordeten dich in die grausigste Tiefe ziehen, und weder Allah noch dein Prophet wird sich dein erbarmen. Mir graut vor dir!«

»Du bist sehr aufrichtig. Eigentlich sollte ich dich dafür bestrafen, aber mein Herz ist heiter gestimmt, und so will ich dir verzeihen. Ich will dir sogar den Beweis einer Güte geben, zu welcher ich mich sonst nur schwer zu verstehen pflege. Ihr werdet ermüdet sein und der Ruhe bedürfen. Die Schebah verhindert euch, zu schlafen. Ich will sie euch abnehmen lassen und hoffe, daß ihr mir für diese Gnade danken werdet.«

Er gab einigen seiner Leute den betreffenden Befehl. Diese nahmen den beiden die Gabeln vom Halse, doch erstreckte sich die gewährte Erleichterung nicht so weit, wie Schwarz vermutet hatte. Er mußte sich vielmehr mit dem Rücken auf die Schebah legen und wurde mit derselben so zusammengebunden, daß er lang ausgestreckt am Boden lag und sich nicht bewegen konnte. Dem Emir erging es ebenso. Dann mußte sich ein Soldat zwischen sie setzen, um sie während der Nacht zu bewachen.

Diese Nacht war die schrecklichste, welche Schwarz jemals erlebt hatte. Er vermochte kein Auge zuzuthun, und wenn er die Lider je einmal schloß, so führte die aufgeregte Phantasie die erlebten Scenen an seinem Inneren vorüber. Die wenigen Stunden bis zum Morgen wurden ihm zur Ewigkeit, und er war unendlich froh, als der erste Schimmer des Tages die Sterne erbleichen ließ.

Aber wenn er der Ansicht gewesen war, daß der Tag ihn weniger Grausamkeiten werde sehen lassen als die Nacht, so hatte er sich geirrt.

Zunächst verrichteten die Sklavenjäger ihr Morgengebet. Dann wurde die Fahne aufgesteckt, und der Fakir las, an derselben stehend, die Sure des Sieges vor. Hierauf wurden mehrere Rinder und viele Schafe geschlachtet, um als Festspeise verzehrt zu werden. Die Gefangenen mußten die Orte angeben, wo ihre Matmurah und Siebah lagen.

Unter Matmurah versteht man große, tiefe Gruben, in denen die Durrah aufbewahrt zu werden pflegt. Siebah sind kleine, auf Steinen errichtete und gut zugedeckte cylindrische Bauten, welche dem gleichen Zwecke dienen.

Man schaffte ganze Haufen von Durrah herbei, welche die gefangenen Frauen mahlen mußten, um dann Kisrah daraus zu backen und Merissah zu bereiten. Für Abd el Mot, die Unteroffiziere und einige Soldaten, welche sich besonders ausgezeichnet hatten, wurde Mararah gebraten.

Diese gilt im ganzen Sudan als großer Leckerbissen und wird aus der Leber, den Gedärmen und der Galle bereitet. Diese letztere Zuthat läßt es ganz selbstverständlich erscheinen, daß die Mararah einem Europäer unmöglich munden kann.

Während diese Vorbereitungen getroffen wurden, ereignete sich etwas, was Schwarz mit Schauder erfüllte. Die Gefangenen sollten natürlich nach der Seribah Abu el Mots transportiert werden. Kleinere Kinder waren dabei hinderlich und unbequem. Darum gab Abd el Mot den Befehl, alle Kinder, welche das Alter von vier Jahren noch nicht erreicht hatten, zu töten. Die Aufregung, welche dieses Gebot bei den unglücklichen Müttern hervorbrachte, läßt sich gar nicht beschreiben. Sie wollten die Kinder nicht hergeben; sie wehrten sich wie die Löwinnen, doch vergeblich. Man bezwang sie mit der Peitsche. Als dieses unmenschliche Morden gethan war, wurde die übrige Menschenbeute in der bekannten Weise aneinander gebunden, und dann erst ordnete sich die ganze Kolonne zum Abzug. Vorher kam aber Abd el Mot zu dem Emir und dem Deutschen, welche noch auf der Schebah an der Erde lagen, und sagte:

»So macht man es mit dem schwarzen Fleische, welches man nicht gebrauchen kann. Ihr werdet mir zugeben, daß dies sehr klug gehandelt heißt.«

»Du bist ein Satan!« antwortete Schwarz in höchstem Zorn.

»Schimpfe und denke nicht, daß ich stets guter Laune bin.«

»Stände ich mit freien Gliedern vor dir, so wollte ich dir zeigen, in welcher Laune ich mich jetzt befinde!«

»Was würdest du thun?«

»Ich erwürgte dich! Ich sage dir, der Augenblick, welcher mir die Freiheit wiedergibt, ist zugleich der Augenblick deines Todes!«

»Drohe und belle immerhin, du Hund!« lachte der Sklavenjäger höhnisch. »Du wirst die Freiheit nicht wieder verkosten. Jetzt schone ich dich, sind wir aber auf der Seribah angekommen, so werde ich euch meine Rache in einer Weise fühlen lassen, daß euch die Verdammnis der Hölle dagegen als Seligkeit erscheint!«


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