Karl May
Durch das Land der Skipetaren
Karl May

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In Wassersnot

Er hatte Recht. Und da wir uns auf ihn verlassen konnten, so legten wir uns nieder. Aber es war mir unmöglich, einzuschlafen. Ich hörte das öftere, leise Kichern des Hadschi; ich vernahm das Geräusch des Regens; es verging eine lange, lange Zeit, und ich blieb wach. Endlich – es mochten Stunden vergangen sein – war ich wohl über dem Einschlummern, wurde aber durch ein lautes Klopfen geweckt. Man pochte an die Thüre, und zwar so, wie ich es Janik vorgeschrieben hatte. Ich richtete mich auf und vermuthete, daß es Anka sei, welche uns wohl eine Meldung zu machen hatte.

Janik öffnete, und meine Vermuthung bestätigte sich: das Mädchen trat ein. Halef, Osco und Omar waren natürlich auch gleich munter.

»Verzeihung, daß ich Euch störe, Effendim,« sagte unsere hübsche Verbündete. »Ich bringe eine Botschaft. Janik hat mir von Eurem Vorhaben erzählt: Ihr wolltet die Leute da oben in's Wasser stellen. Ist Euch das gelungen?«

»Ja, und sie sind noch oben.«

»Und ich denke, daß sie fort sind.«

»Ah! Wie wäre es ihnen möglich gewesen, herab zu kommen?«

»Das weiß ich nicht; aber ich habe allen Grund anzunehmen, daß sie sich jetzt vorn im Schlosse befinden.«

»Das wäre freilich überraschend. Erzähle!«

»Janik hatte mich aufgefordert, aufmerksam zu sein. Habulam schickte mich zeitig zur Ruhe, aber ich blieb wach und blickte durch das Fenster. Ich sah meinen Herrn mit Humun nach dem Garten schleichen. Damit ich ihn bei seiner Rückkehr hören könne, ging ich in das Erdgeschoß und legte mich hinter die Thüre eines dortigen Gemaches, an welcher er vorüber mußte und die ich ein wenig offen ließ. Trotz der Mühe, welche ich mir gab, wach zu bleiben, schlief ich ein. Welch eine Zeit vergangen war, weiß ich nicht; ich wurde von einem Geräusch geweckt. Zwei Männer kamen aus dem Hof und gingen an meiner Thüre vorüber. Der Eine sprach, und ich erkannte Habulam an der Stimme. Er fluchte, wie ich es noch nie von ihm gehört habe. Ich hörte, daß in der Küche ein großes Feuer gemacht und daß Kleider von ihm herbeigeschafft werden sollten. Ich glaube, es ist Humun gewesen, mit dem er gesprochen hat. In der Küche gab es bald ein großes Geräusch. Ich hörte zornige Stimmen und das laute Knistern und Platzen des brennenden Holzes. Was man dort vornimmt, das weiß ich nicht; aber ich bin herbeigeeilt, um Euch zu sagen, was ich beobachtet habe.«

»Das ist sehr brav von Dir. Die Leute müssen auf irgend eine Weise entkommen sein. Halef, wohin habt Ihr die Leiter geschafft?«

»Wir haben sie nicht fortgetragen, sondern zur Erde niedergelegt. Die Badegäste können doch nicht vom Thurm herabgelangt haben, um die Leiter aufzurichten!«

»Das ist wahr, aber es können Einige von ihnen an dem Schlauch herabgestiegen sein und die Leiter wieder angelehnt haben.«

»Hascha – Gott behüte! Sehen wir gleich einmal nach!«

Er eilte hinaus. Omar und Osco folgten ihm. Als sie nach wenigen Minuten zurückkehrten, machte Halef ein sehr verdrießliches Gesicht und sagte:

»Ja, Sihdi, sie sind fort. Ich bin hinauf gestiegen.«

»So lehnt die Leiter an dem Thurm?«

»Leider! Auf der andern Seite liegt der Schlauch unten an der Erde.«

»Also ist es genau so, wie ich vermuthete. Sie haben den Schlauch entdeckt. Einige ließen sich an demselben herab, worauf er losgebunden und herabgeworfen wurde. Dann legten sie die Leiter an. Die Andern stiegen herab und haben sich nun in die Küche begeben, um sich zu erwärmen und ihre nassen Kleider zu trocknen.«

»Ich wollte, sie säßen in der Hölle, wo sie viel schneller trocken würden, als in der Küche!« zürnte Halef. »Was werden wir nun thun, Effendi?«

»Hm! Das muß überlegt werden. Ich denke, daß wir –«

Ich wurde unterbrochen. Wir hatten die Thüre nicht verriegelt, und sie klaffte ein klein wenig, so daß der Schein des Lichtes nach außen fiel. Jetzt wurde sie weiter aufgestoßen, und die Stimme Habulam's ließ sich hören:

»Anka, Scheïtan kyzi! Wer hat Dir erlaubt, hierher zu gehen?«

Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen.

»Sofort kommst Du heraus!« befahl der draußen Stehende. »Und Janik, Du Hund, bist auch da drin! Was habt Ihr Euch in den Garten zu schleichen! Heraus mit Euch! Die Peitsche wird Euch lehren, was Gehorsam heißt.«

»Murad Habulam,« antwortete ich, »willst Du nicht die Güte haben, herein zu kommen?«

»Ich danke! Ich mag mich nicht von Deinem bösen Blick verderben lassen. Wenn ich gewußt hätte, welch ein Verführer der Dienstboten Du bist, so wäre Dir mein Haus verschlossen geblieben.«

»Darüber werden wir ausführlicher sprechen. Kommt nur herein!«

»Fällt mir nicht ein! Schicke mir mein Gesinde heraus! Dieses hinterlistige Gezücht hat nichts bei Dir zu schaffen!«

»Hole sie Dir!«

Er antwortete nicht, aber ich hörte leise Stimmen. Er war also nicht allein.

»Wenn er nicht kommt, werde ich ihn holen,« sagte der Hadschi und trat an die halb offene Thüre. Da hörte ich das Knacken eines Hahnes und eine Stimme gebot:

»Zurück, Hund, sonst erschieße ich Dich!«

Halef warf die Thüre zu.

»Hast Du es gehört, Sihdi?« fragte er, weit mehr erstaunt als erschrocken.

»Sehr deutlich,« antwortete ich. »Das war Barud el Amasat's Stimme.«

»Ich glaube auch. Es standen zwei Männer drüben an der Feime und schlugen die Gewehre auf mich an. Der meuchlerische Überfall ist ihnen nicht geglückt, nun versuchen sie es mit dem offenen Angriff.«

»Das möchte ich doch bezweifeln. Sie werden es nicht wagen, uns hier niederzuschießen; das würde ja offenbar werden. Wäre es ihr Ernst, so hätten sie nicht bloß gedroht, sondern ohne Warnung geschossen.«

»Meinst Du? Aber warum stellen sich die Zwei dahin?«

»Das errathe ich. Sie wollen sich aus dem Staub machen. Man hat die Abwesenheit von Janik und Anka bemerkt und Verdacht gefaßt. Man hat sie gesucht und bei uns gefunden. Jetzt wissen die Schurken, daß Flucht das Beste für sie ist, und damit wir sie nicht hindern sollen, halten uns diese Beiden hier in Schach, während die Andern sich zur schnellen Abreise vorbereiten.«

»Ich stimme Dir vollständig bei, Effendi; aber wollen wir das so ruhig dulden?«

Ich nahm den Stutzen, stand auf und tastete mich an der Wand hin bis an den Laden neben der Thüre. Omar mußte die Lampe auslöschen, so daß man mich von draußen nicht leicht sehen konnte. Ich zog den Laden leise auf und sah hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen, und der Tag begann zu grauen. Drüben, nur wenige Schritte vom Thurm entfernt, lehnten zwei Gestalten. Der Eine hatte den Kolben seines Gewehres auf die Erde gestemmt; der Andere hielt seine Flinte im rechten Arme grad empor. Da er mir sein rechtes Profil zukehrte, stieg der Lauf der Waffe hart an seiner Wange auf. Beide schienen angelegentlich mit einander zu sprechen.

Ich konnte meinen Stutzen auf die untere Kante der Fensteröffnung legen und war trotz der noch herrschenden Dunkelheit meines Schusses sicher. Ich zielte auf den Lauf der Flinte und drückte ab. Fast zu gleicher Zeit mit dem Schuß erschallte ein Schmerzgeschrei. Meine Kugel hatte getroffen und dem Mann den Lauf an das Gesicht geschlagen, ja, ihm das Gewehr ganz aus der Hand geprellt.

»Ej müssibet, ej hylekiat – o Unglück, o Hinterlist!« schrie er. Ich erkannte ihn an der Stimme – es war Barud el Amasat.

»Fort, fort!« rief Manach. »Dieser Schuß weckt alle Bewohner des Schlosses auf!«

Er hob das Gewehr des Andern auf, ergriff diesen am Arme und zog ihn mit sich fort. Im nächsten Augenblick waren sie verschwunden.

Aus den Worten Manach's war zu schließen, daß sie gar nicht beabsichtigt hatten, zu schießen. Es lag ihnen sehr daran, daß ihre Gegenwart nicht von den Leuten Habulam's bemerkt würde.

Jetzt wandte ich mich zu meinen Gefährten:

»Nehmt Eure Waffen, und eilt in den Stall! Es ist leicht zu denken, daß die Burschen unsere Pferde mitnehmen wollen.«

Alle rannten zur Thüre hinaus. Ich setzte mich ihr gegenüber wieder nieder und behielt den Stutzen in der Hand, um auf Alles vorbereitet zu sein.

Auch Anka hatte sich zugleich entfernt. Sie kehrte nach einiger Zeit mit Janik und Omar zurück, welcher mir meldete, daß Osco und Halef im Stalle geblieben seien, um die Pferde zu bewachen. Es schien, daß es Niemand nach denselben gelüstet habe; überhaupt war ihnen kein Mensch zu Gesicht gekommen. Das beruhigte mich.

Jetzt galt es, vor allen Dingen zu erfahren, wo die Bäume zu suchen seien, unter denen die Pferde unserer Feinde untergebracht gewesen waren; aber weder Anka noch Janik wußte es.

»Ich bin überzeugt, daß Humun es weiß,« fügte der Bursche hinzu, »aber er wird es Dir nicht sagen.«

»O, ich habe ein sehr gutes Mittel,« erwiderte ich, »eine Zange, mit deren Hülfe ich Alles, was ich will, aus ihm herausziehen werde.«

»So kannst Du weit mehr als Andere. Er wird seinen Herrn und dessen Verbündete niemals verrathen.«

»Du sollst dabei sein, um Dich zu überzeugen, wie offenherzig er gegen mich sein wird. Kennst Du Afrit, den Schneider, genauer?«

»Nein. Zwar weiß ich, daß er eigentlich Suef heißt, aber eine eingehendere Auskunft kann ich Dir leider nicht ertheilen. Er ist sehr oft bei Murad Habulam, und ich habe ihn stark im Verdacht, daß er keine ehrlichen Dinge mit ihm verhandelt. Darum bin ich ihm stets aus dem Wege gegangen. Es ist besser, wenn man mit solchen Menschen gar nicht in Berührung kommt. Am liebsten möchte ich fort von hier und ich würde mich freuen, wenn ich Dich nach Weicza begleiten könnte. Wenn Du bei oder in Karanorman-Khan zu thun hast, könnte ich Dir vielleicht nützlich sein.«

»Ich suche dort einen großen Verbrecher, welcher wahrscheinlich ein Freund und Verbündeter Habulam's ist.«

»Wie? Mit solchen Leuten hegt mein Herr Freundschaft?«

»Ja. Die Männer, welche heute bei ihm waren, sind gleichfalls Räuber und Mörder, welche uns nach dem Leben trachten. Und was Dein Herr ist, kannst Du ja daraus ersehen, daß er uns vergiften wollte.«

»Das ist wahr. Effendi, ich bleibe nicht da. Ich gehe aus diesem Hause, und wenn ich noch so lange Zeit ohne Lohn und Verdienst bleiben sollte. Die Zeit unseres Glückes wird zwar dadurch hinausgeschoben, aber wir wollen lieber warten, als daß wir einem solchen Herrn dienen.«

»Nun, was das betrifft, so hast Du ja von mir Deinen Lohn zu fordern, und Anka ebenso. Ihr Beide habt uns das Leben gerettet. Wäret Ihr nicht gewesen, so lebten wir nicht mehr. Also habt Ihr einen Lohn von uns zu fordern, der Eurer That und unserm Vermögen angemessen ist.«

»Das ist wahr,« rief es von der Thüre her. »Wir werden uns nicht nachsagen lassen, daß wir undankbar seien, Sihdi.«

Halef war es, welcher sprach. Er war aus dem Stall herbei gekommen und hatte den letzten Theil unseres Gespräches gehört. Er fuhr fort:

»Wir sind leider nicht reich, aber es ist uns doch vielleicht möglich, Etwas zu Eurem Glück beizutragen. Wenn Ihr Eure jetzige Stellung um unsertwillen aufgebt, so müssen wir dafür sorgen, daß Ihr gar nicht wieder in einen Dienst zu gehen braucht. Ich frage Dich also, Janik, mit der ganzen Würde meiner Seele, ob Du diese Anka hier zum Weibe wünschest.«

»Natürlich!« lachte Janik vergnügt.

»Und wann?«

»Möglichst bald.«

»Und Du, Blume von Kilissely und Retterin unseres Lebens, soll dieser Diener Janik Dein Mann werden, dem Du stets zu gehorchen hast, so lange er nämlich verständig ist und keine Albernheiten von Dir fordert?«

»Ja, er soll mein Mann sein,« sagte das Mädchen erröthend.

»Nun, so soll unser Segen auf Euch niederträufeln aus diesem Beutel des Glückes und der Dankbarkeit. Ich bin der glorreiche Kassierer unserer Gesellschaft. Es war ein Geld des Unglückes, aber wir nahmen uns vor, es in eine Münze des Glückes zu verwandeln, und jetzt haben wir die Gelegenheit dazu.«

Er zog seinen langen Beutel hervor, welcher das Geld enthielt, dessen Besitz wir dem Kampf in und bei der Derekulibe verdankten, und öffnete ihn.

»Erlaubst Du, Sihdi?« fragte er mich.

»Gern!« nickte ich, neugierig, wie viel er den Beiden geben werde.

»So haltet Eure Hände zusammen, um in denselben den Regen des Glückes aufzufangen.«

Janik war gar nicht langsam. Er hielt seine beiden Hände mit den Kleinfingerseiten zusammen und streckte sie dem Hadschi entgegen. Als Anka das sah, that sie ebenso. Die offenen Hände hatten nun eine hohle, schlüsselförmige Gestalt und konnten schon ein hübsches Stück Geld aufnehmen. Halef langte in den Beutel und begann, zu zählen. Er legte abwechselnd immer je ein Goldstück in Anka's und in Janik's Hände und zählte dabei:

»Bir, iki, ätsch, dört, besch, alti, jedi, sekiz, dokuz, on – –« also bis zehn.

Er hatte lauter goldene türkische Pfundstücke aufgezählt, eins zu hundert Piastern, also jeder der beiden Personen tausend Piaster oder 180 – 190 Mark nach deutschem Geld, für diese Leute aber eine ganz bedeutende Summe. Dann fragte er die beiden freudig Erstaunten:

»Wißt Ihr auch, was Aktsche baschy ist?«

»Nein,« antwortete Janik.

»Aktsche baschy ist der Betrag, um welchen das Gold mehr werth ist, als das Silber. Das ist jetzt acht auf das Hundert. Wenn Ihr Euch ein solches Goldstück wechseln laßt, so müßt Ihr für die hundert Piaster Gold hundertacht Piaster in Silberstücken bekommen. Merkt Euch das, denn es beträgt zweimal achtzig Piaster für Euch beide.«

Diese geschäftliche Erklärung war gar nicht überflüssig. Hundertsechzig Piaster waren für das Paar eine nicht unbedeutende Summe. Aber sie hörten nur halb auf seine Worte. Ihr ganzes Denken und Empfinden concentrirte sich in den Blicken, welche freudestrahlend auf die Goldfüchse gerichtet waren.

»Herr,« rief endlich Janik, »ist das ein Scherz, welchen Du mit uns machst?«

»Es ist mein völliger Ernst,« antwortete Halef.

»Aber es ist doch gar nicht möglich! Tausend Piaster für mich und tausend für Anka – wer soll das glauben?«

»Was Ihr in den Händen habt, ist Euer, und was ich in den meinigen habe, gehört mir. Thut mit Eurem Eigenthum, wie ich es mit meinem Geld mache. Paßt auf!«

Er drehte den Beutel zusammen und schob ihn schmunzelnd in die Tasche. Sie aber zögerten, seiner Aufforderung Folge zu leisten.

»Dieses Geld – lauter Gold!« rief Anka. »Sage es uns doch noch einmal, daß es uns gehören soll, sonst kann ich es nicht glauben!«

»Ob Ihr es glaubt oder nicht, das ist mir sehr gleichgültig. Die Hauptsache ist, daß Ihr es einsteckt und Euch dann heirathet. Janik hatte es doch so eilig, also braucht er jetzt nicht so zu zögern.«

»Und doch muß ich erst den Effendi fragen. Das ist eine so große Summe! Wir brauchen gar nicht so viel, denn wir haben ja unsere Ersparnisse. Was sollt Ihr für Euch behalten, wenn Ihr uns ein ganzes Vermögen schenkt?«

»Kümmere Dich nicht um uns,« lachte der kleine Hadschi. »Wir wissen schon, wie man es anfangen muß, um ohne Geld zu leben. Wir reiten auf dem Jol mihmandarlykün. Und selbst unsere größten Feinde müssen uns Tribut zollen. Oder meint Ihr etwa, daß wir Murad Habulam, Euren Herrn, auch nur einen einzigen Piaster schenken für das, was wir bei ihm genossen haben? Das fällt uns nicht ein. Hoffentlich erlaubt mir mein Sihdi, ihn mit einer ganz anderen Münze zu bezahlen, mit einer Münze, die zwar geprägt, aber auch geschlagen wird. Ihr seht, daß wir kein Geld brauchen. Ihr könnt diese wenigen Goldstücke also nehmen, ohne zu denken, daß wir nun darben werden. Übrigens haben wir uns seit kurzer Zeit die löbliche Gewohnheit angeeignet, jedem Spitzbuben, welcher uns in die Hände läuft, das abzunehmen, was er gestohlen hat, um es an ehrliche Leute zu verschenken. Hoffentlich treffen wir bald wieder einige solche Schurken! Dann sitzen wir wieder wie der Kusch im Pirindsch demeti und preisen Allah für die Güte, mit welcher er das Reich des Padischah regiert.«

Um den Dankesergüssen der beiden Glücklichen ein Ende zu machen, gebot ich Halef und Janik, unsere Sachen zu nehmen und sich nach dem Stalle zu begeben, um dort unsere Pferde zu satteln.

»Willst Du abreisen, Effendi?« fragte Janik betroffen.

»Ja, aber nicht sofort. Ich möchte nur haben, daß die Pferde für alle Fälle bereit stehen. Dich und Anka nehmen wir mit.«

»Aber Murad Habulam wird es nicht erlauben!«

»Ich sorge dafür, daß er seine Erlaubniß gibt.«

»So würden wir Dir doppelt dankbar sein. Du bist hierher gekommen, wie wenn Du – –«

»Still! Ich weiß, was Du sagen willst, und daß Du ein guter, dankbarer Mensch bist; damit wollen wir uns für jetzt begnügen.«

Sie begaben sich fort, und ich setzte mich in den ›Räderstuhl‹ von Habulam's Frau, um mich von Omar ihnen nachfahren zu lassen.

Das erste dunkle Grau der Dämmerung war indessen lichter geworden. Man konnte bereits eine ziemliche Strecke weit sehen. Der Regen hatte völlig nachgelassen, und das Aussehen des Himmels erlaubte, gutes Wetter zu erwarten.

Um in den Stall zu kommen, mußten wir an einem schuppenähnlichen, offenen Bauwerk vorüber. Das Dach wurde von einer Hinterwand und vorn von hölzernen Säulen getragen, so daß man alles darin Befindliche sehen konnte. Ich erblickte einen Wagen, nicht von der schwerfälligen Art, welche Araba genannt und meist von Ochsen gezogen wird, sondern von leichterem und gefälligerem Bau, in jenen Gegenden mit dem Namen Kotschu oder Hintof bezeichnet. Daneben hing ein türkisches At takymy an der Wand, welches freilich einem feinen deutschen Geschirr so ähnlich war, wie der Wollkopf eines fetten, schwarzen Haremswächters der Frisur eines französischen Ballettmeisters. Diese beiden Gegenstände paßten mir zu meinem Vorhaben, zumal im Stalle neben anderen Pferden ein junger, munterer Gaul stand, welchem das Geschirr genau auf den Leib zu passen schien. Ich beaufsichtigte das Tränken und Satteln unserer Pferde und gebot dann, mich zu Habulam zu schaffen.

»Sollen auch wir mitgehen, ich und Anka?« fragte der Diener.

»Jawohl.«

»Aber da wird es uns schlecht ergehen!«

»Ihr braucht keine Sorge zu haben. Ihr werdet stets hinter mir stehen und diesen Platz nicht ohne meine Erlaubniß verlassen.«

Als wir aus dem Stall kamen, sahen wir einen Kerl in der Nähe lehnen, welcher uns zu beobachten schien.

»Wer ist das?« fragte ich Janik.

»Einer der Knechte, welche wahrscheinlich draußen bei den Pferden Eurer Feinde gewacht haben. Willst Du ihn fragen, wo die Bäume zu suchen sind?«

»Er würde es mir wohl nicht sagen.«

»Sicher nicht.«

»So will ich lieber meine Worte sparen, denn Humun wird mir ganz gewiß Auskunft ertheilen.«

Als wir den Flur erreichten, sah ich ihn an der Wand lehnen. Er stand so, daß er durch die Thüre nach dem Stall sehen konnte. Also hatte auch er uns seine Aufmerksamkeit geschenkt.

»Was wollt Ihr hier?« schnauzte er uns an.

»Ich wünsche mit Murad Habulam, Deinem Herrn, zu sprechen,« antwortete ich.

Er hütete sich, den Blick direkt auf mich zu richten, denn er fürchtete sich vor meinem Auge und gab seinen Fingern diejenige Lage, welche gegen den bösen Blick helfen soll.

»Das geht nicht,« erklärte er.

»Warum nicht?«

»Weil er schläft.«

»So ersuche ich Dich, ihn zu wecken.«

»Das darf ich nicht.«

»Aber ich wünsche es!«

»Deine Wünsche gehen mich nichts an.«

»Nun, so befehle ich es!« sagte ich mit größerem Nachdruck.

»Du hast mir nichts zu befehlen.«

»Halef, die Peitsche!«

Kaum waren die drei Worte aus meinem Munde, so knallte die Nilpferdhaut-Kurbatsche schon auf den Rücken des feindseligen Menschen nieder, und zwar mit solcher Gewalt, daß der Getroffene sich sofort zu Boden krümmte. Dabei rief Halef:

»Wer hat Dir nichts zu befehlen, Du Choriad, Du böbürlenen Dschirdschirdschyk? Ich sage Dir, daß das ganze Reich des Sultans und alle Länder der Erde meinem Emir zu gehorchen haben, wenn ich mich bei ihm befinde, ich, der ich ein brüllender Löwe bin gegen Dich, Du niesender Regenwurm!«

Humun wollte sich gegen die Hiebe sträuben; aber sie fielen so schnell und dicht, daß er sie ruhig hinnehmen mußte. Doch stieß er ein Geheul aus, welches durch alle Räume des Schlosses drang. Endlich ließ Halef von ihm ab, aber er hielt die Peitsche noch hoch erhoben, als er fragte:

»Willst Du nun den jaschly Ürkekli aus dem Bett holen?«

»Anzeigen werde ich Dich! Geschunden wirst Du werden, geschunden bei lebendigem Leibe!« brüllte der Gezüchtigte, indem er davon rannte.

»Effendi, das wird eine böse Sache,« warnte Janik.

»Wir fürchten uns nicht,« antwortete ich. »Heute ist ein großer Feiertag, welcher Jortu günü dajakün genannt wird. Wir werden ihn in größter Andacht begehen.«

»Von einem solchen Feiertag habe ich noch niemals gehört.«

»So wirst Du ihn heute kennen lernen,« meinte Halef. »Sihdi, Du hast jetzt ein großes, herrliches Wort gesprochen. Über Dich wird Freude sein unter den Gläubigen und Wonne unter den Seligen der letzten drei Himmel. Endlich willst Du einmal zeigen, daß Du die Zierde des männlichen Geschlechtes und die Krone der Helden bist. Meine Muskeln werden zu Schlangen und meine Finger zu Scheeren des schneidenden Krebses. Ich werde wüthen unter den Räubern und toben unter den Mördern. Es wird ein Heulen geben in Kilissely und ein Zetern unter den Söhnen des Verbrechens. Die Mütter und Töchter derjenigen, die kein gutes Gewissen haben, werden jammern, und die Tanten und Schwestern der Ungerechten werden sich die Haare ausraufen und die Schleier zerreißen. Die Vergeltung öffnet ihren Rachen, und die Gerechtigkeit wetzt ihre Krallen, denn hier steht der Richter mit der Peitsche der Rache in der Hand, der Held des Tages der Prügel, Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!«

Er stand mit erhobenen Händen und begeisterten Zügen da, ganz in der Haltung und Gebärde eines Redners, welcher sich bewußt ist, an der Lösung einer welterschütternden Aufgabe zu arbeiten.

Humun hatte uns belogen, als er sagte, daß sein Herr schlafe. Eben als wir nach dem Raum einbogen, in welchem mich Habulam bei meiner Ankunft empfangen hatte, kam dieser uns entgegen geeilt und schnaubte mich grimmig an:

»Mann, was fällt Dir ein, meinen Diener zu schlagen? Ich habe große Lust, Euch Alle durchpeitschen zu lassen!«

Er war nicht allein, sondern Humun und der Schneider Suef, welcher sich Afrit genannt hatte, befanden sich bei ihm, und hinter dieser Gruppe erschienen noch fünf oder sechs Knechte und weibliche Dienstboten.

Ich antwortete nicht, sondern gab Omar einen Wink, mich ruhig weiter zu schieben. Der Grimm Habulam's schien durch mein Schweigen zu wachsen, denn der wüthende Mann erging sich, während er neben uns herlief, in Drohungen, deren Ausführung uns der vollständigen Vernichtung anheim gegeben hätte. Als wir an der betreffenden Thüre anlangten, wollte Halef dieselbe öffnen, da aber stellte sich Habulam vor dieselbe hin und schrie:

»Es darf Niemand hinein! Ich verbiete es Euch!«

»Du?« fragte Halef. »Du hast uns gar nichts zu verbieten.«

»Ich bin die oberste Polizei- und Gerichtsbehörde dieses Ortes!«

»Da kann man ja dem lieben Kilissely Glück wünschen. Wenn die oberste Gerichtsbehörde raubt und mordet, was werden erst die Unterthanen thun! Hebe Dich gefälligst hinweg, sonst bekommst Du einen Öpisch von meiner Peitsche, aber einen sehr laut schallenden Scheftalay. Verstanden!«

Er erhob die Peitsche, und da der Wirth die Thüre nicht freigab, so erhielt er einen solchen Hieb, daß er sofort seinen Platz mit einem Sprung verließ, welcher einem Cirkus-Clown alle Ehre gemacht hätte. Dazu schrie er:

»Er schlägt mich! Allah hat es gesehen und Ihr auch! Fallt über ihn her! Werft ihn nieder! Bindet ihn!«

Diese Aufforderung galt den Knechten, aber weder diese, noch Humun oder Suef wagten es, den kleinen Hadschi zu berühren. Dieser blickte sich gar nicht nach ihnen um, sondern öffnete die Thüre und trat ein. Wir folgten ihm. Habulam kam hinter uns hergestürzt, und die Andern drängten sich ihm nach. In der Mitte des Zimmers blieb er stehen und schrie:

»Das ist entsetzlich! Ich werde es auf das Strengste bestrafen. Ich bin der Oberste des hiesigen Dschesah mehkemeleri

»Kilissely ist ein einfaches Dorf, in welchem es kein solches Gericht gibt,« erwiederte ich.

»Aber ich bin der Mollao dieses Ortes!«

»Das glaube ich nicht. Wo hast Du denn studirt?«

»Studirt zu haben, ist nicht nöthig.«

»Oho! Wenn Du Mollao sein willst, so mußt Du zunächst bis zum zwölften Jahre einen Subjahn mekteb, dann eine Medresseh besucht haben, um den Titel Softa zu erhalten. Besitzest Du diesen oder hast Du ihn besessen?«

»Das geht Dich gar nichts an!«

»Es geht mich sehr viel an. Wer über uns zu Gericht sitzen will, der muß uns beweisen können, daß er das Recht und die Befähigung dazu hat. Kannst Du arabisch sprechen und schreiben?«

»Ja.«

»Auch persisch?«

»Ja.«

»Und kennst Du den Kuran vollständig auswendig? Denn das Alles wird von einem Softa gefordert.«

»Ich kann ihn auswendig.«

»So beweise es! Recitire mir einmal die sechsundvierzigste Sure, welche el Ahkaf genannt wird.«

»Wie beginnt sie?« fragte er verlegen.

»Natürlich mit den Worten ›Im Namen des allbarmherzigen Gottes‹, wie jede andere Sure.«

»Das ist aber nicht der eigentliche Anfang.«

»Nun, dieser lautet: ›Die Offenbarung dieses Buches ist von Gott, dem Allmächtigen und Allweisen. Die Himmel und die Erde, und was zwischen ihnen ist, haben wir in Wahrheit nur auf bestimmte Zeit geschaffen; aber die Ungläubigen wenden sich weg von der Verwarnung, die ihnen geworden ist.‹ – – Sprich weiter!«

Er fuhr sich hinter das Ohr, um sich dort zu kratzen, und sagte dann:

»Wer gibt Dir denn das Recht, mich zu examiniren? Ich bin Softa gewesen, und Du hast es zu glauben!«

»Wenn Deine Behauptung auf Wahrheit beruht, so mußt Du den Titel Hafus erhalten haben.«

»Ich besitze ihn.«

Und so bejahte er keck fernerhin, daß er den Tamam düschünme, den Ilmi edeb und den Ilmi ilahi studirt und darauf in diesen Wissenschaften sein Examen gemacht habe und zum Mülasim ernannt worden sei.

Hierauf fuhr ich fort:

»So zeige mir Deinen Berat! Denn wer Mollao sein will, der muß alle diese Wissenschaften studirt und den Titel eines Mülasim erhalten haben, was er auf alle Fälle durch das ihm ausgefertigte Medressy schehadet namehi beweisen kann.«

»Das habe ich leider verloren.«

»Also kannst Du mir die Wahrheit Deiner Behauptung nicht beweisen und hast kein Recht, Glauben bei uns zu fordern.«

»Ich kann beweisen, daß ich hier der Idschradschi sabtieh kuwwetinün bin, und ich werde meine Macht an Euch ohne Verzug bethätigen. – Hütet die Thüre, daß keiner dieser fremden Angeklagten entfliehen kann, und schafft augenblicklich die Kötek aleti herbei!«

Er hatte den Befehl an seine Untergebenen gerichtet und fand raschen Gehorsam. Humun und Suef stellten sich zu beiden Seiten neben ihn, und die Andern nahmen zwischen uns und der Thüre Platz, um uns die Flucht abzuschneiden. Eines der Dienstmädchen lief fort, um den geforderten Apparat zu holen.

Jetzt setzte sich Habulam mitten im Zimmer nieder und winkte den Beiden neben ihm, dasselbe zu thun.

»Ihr seid die Schehadetschiler und Imdadlar,« sagte er, »und sollt mein Urtheil bestätigen.«

Die drei Wichte steckten jetzt so ernste Amtsgesichter auf, daß es mich Mühe kostete, nicht zu lachen.

»Sihdi, wollen wir denn wirklich dazu schweigen?« fragte mich Halef leise. »Das ist ja eine Schande für uns!«

»Nein, sondern ein Vergnügen. Wir sind schon oft aus Angeklagten zu Anklägern geworden, und das wird jedenfalls auch heute geschehen.«

»Ruhig!« rief mir Habulam zu. »Wenn der Verbrecher vor Gericht sitzt, hat er zu schweigen. Janik, Anka, was habt Ihr dort bei den Übelthätern zu schaffen? Ihr habt Euch schwer gegen meine Befehle verfehlt und werdet nachher Eure Strafe erleiden. Jetzt aber tretet Ihr zurück.«

Es war wirklich zu drollig! Wir hatten natürlich alle unsere Waffen bei uns, und dieser alte Sünder bildete sich wirklich ein, daß wir seinen Spruch respektiren würden. Janik blieb mit Anka bei uns stehen; darum wiederholte Habulam seinen Befehl in noch strengerem Ton.

»Verzeihe!« sagte ich. »Diese beiden Leute stehen seit heute in meinem Dienst.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Ich habe es Dir jetzt gesagt, also weißt Du es nun.«

»Ich verstehe Dich: Du hast sie mir abspenstig gemacht; aber das dulde ich nicht und werde sie außerdem noch bestrafen.«

»Darüber sprechen wir später,« erwiederte ich ruhig. »Du siehst, daß die Gerichtsverhandlung beginnen kann.«

Ich deutete auf die eben zurückkehrende Magd, welche die ›Prügelmaschine‹ brachte und vor den Alten hinstellte.

Man muß sich unter diesem Apparate eine lange, schmale, ursprünglich vierbeinige Holzbank denken, aus welcher an dem einen Ende die zwei Beine entfernt worden sind, so daß sie nur noch zwei eng neben einander befindliche Beine an der andern schmalen Seite hat. Diese Bank wird verkehrt auf die Erde gelegt, so daß die Beine in die Höhe stehen. Der Delinquent muß sich mit dem Rücken auf das Sitzbrett legen, so daß seine Beine an den Beinen der Bank nach aufwärts gerichtet sind. So wird er festgeschnallt und empfängt nun die ihm verordneten Hiebe auf die nackten, wagrecht liegenden Fußsohlen.

Welch' eine schmerzhafte Strafe das ist, geht daraus hervor, daß oft schon beim ersten Streich die Sohle aufspringt. Ein geübter Khawaß schlägt quer über die schmale Fläche der Sohle; er fängt bei der Ferse an und hört bei den Zehen auf, so daß ein Hieb hart neben den andern zu sitzen kommt. Der erste Schlag fällt auf den rechten, der zweite auf den linken Fuß, und so fort. Sind beide Sohlen von den Fersen bis zu den Zehen aufgesprungen, ohne daß die Execution zu Ende ist, so werden die übrigen Streiche in der Weise verabreicht, daß sie sich mit den vorigen rechtwinkelig kreuzen. Das nennt der Türke in höchst behaglicher Weise Satrandsch tachtassy wurmak, d. h. ›Schachbrett schlagen‹.

Murad Habulam betrachtete die Bank mit einem beinahe zärtlichen Blick. Dann richtete er seine Augen sehr bezeichnend auf uns und rief einem der hinter uns stehenden Knechte zu:

»Bejaz, Du bist der Stärkste. Komm her! Du magst die Idschra übernehmen.«

Der Knecht – ein langer, starker Mensch – begab sich zu ihm hin und liebäugelte mit den Stöcken, welche die Magd mitgebracht und neben die Bank gelegt hatte. Murad Habulam richtete seinen Oberleib stolz auf, räusperte sich und begann, zu mir gewendet:

»Dein Name ist Kara Ben Nemsi?«

»So werde ich hier genannt,« antwortete ich.

»Du bist der Herr und Gebieter dieses Hadschi Halef Omar, welcher neben Dir steht?«

»Nicht sein Gebieter, sondern sein Freund.«

»Das ist gleich. Gestehst Du zu, daß er mich geschlagen hat?«

»Ja.«

»Und auch Humun, meinen Diener?«

»Ja.«

»Da Du selbst es eingestehst, so brauche ich ihn gar nicht zu fragen. Weißt Du, wie viel Hiebe er Humun gegeben hat?«

»Ich habe sie nicht gezählt.«

»Es waren wenigstens zwanzig,« rief Humun.

»Gut. Ich habe freilich nur einen einzigen erhalten, aber –«

»Leider!« fiel ihm Halef in die Rede. »Ich wollte, Du hättest doppelt so viel wie Humun erhalten!«

»Schweig'!« donnerte Habulam ihn an. »Du hast nur zu sprechen, wenn ich Dich frage. Übrigens danke Allah, daß er Dich abgehalten hat, mich mehr zu schlagen. Ich bin der Herr und Gebieter hier, und jeder Hieb, den ich erhalte, gilt für dreißig. Das macht mit den zwanzig, die Du Humun gegeben hast, fünfzig, welche Du jetzt auf die Fußsohlen empfangen wirst. Tritt heran und ziehe Deine Schuhe aus!«

Bejaz, der Knecht machte sich mit den Stricken zu schaffen, mit denen Halef angebunden werden sollte. Ich sah meine Gefährten an. Es waren wirklich prächtige Gesichter, welche sie machten.

»Nun, schnell!« gebot Habulam. Und da Halef nicht gehorchte, befahl er seinem Knecht Bejaz:

»Gehe hin und hole ihn herbei!«

Der Knecht trat auf Halef zu. Dieser zog eine seiner Pistolen aus dem Gürtel, hielt sie ihm entgegen und knackte mit dem Daumen die beiden Hähne auf. Da sprang Bejaz zur Seite und schrie seinem Herrn erschrocken zu:

»O Allah! Dieser Mensch schießt! Hole Dir ihn selber!«

»Feigling!« antwortete Habulam. »Du bist ein Riese und fürchtest Dich vor diesem Zwerg?«

»Nein, nicht vor ihm, sondern vor seiner Pistole.«

»Er darf nicht schießen. Auf, Ihr Leute! Faßt ihn, und bringt ihn her!«

Die Knechte warfen einander höchst bedenkliche Blicke zu. Sie fürchteten sich vor dem Hadschi. Nur Einer zeigte jetzt, daß er Muth habe. Das war Suef, der Schneider. Er zog auch eine Pistole aus der Tasche, während wir vorher eine solche Waffe nicht bei ihm bemerkt hatten, trat näher und sagte zu dem Knecht:

»Bejaz, thue Deine Pflicht! Sobald er seine Pistole erhebt, schieße ich ihm eine Kugel in den Kopf!«

Gestern schien dieser Mensch das friedfertigste und harmloseste Schneiderlein zu sein, und jetzt trug sein Gesicht den Ausdruck eines Hasses und einer Entschlossenheit, welcher anderen Leuten, als wir waren, hätte Angst machen können.

»Du, Schneider, willst schießen?« lachte Halef.

»Schweig'! Ich bin kein Schneider! Was habt Ihr Fremden hier bei uns zu suchen? Was gehen Euch unsere Angelegenheiten an? Ihr wollt uns hindern, zu handeln, wie es uns gefällt, und seid doch so unsäglich dumm, mich für einen Schneider zu halten! Wenn Ihr wüßtet, wer und was ich bin, so würdet Ihr zittern vor Angst. Aber Ihr sollt mich kennen lernen, und bei Dir werde ich beginnen. Wenn Du Dich nicht augenblicklich hin zur Bank verfügst und dort Deine Schuhe ausziehst, so werde ich uns Gehorsam zu verschaffen wissen!«

Das war wirklich im Ernst gesprochen. Halef blinzelte ihn von der Seite an, nahm die Pistole in die linke Hand, woraus ich errieth, was folgen würde, und fragte im freundlichsten Ton:

»Wie willst Du denn das anfangen?«

»So – auf diese Weise!«

Suef streckte den Arm aus, um den Hadschi an der Brust zu fassen; dieser aber holte blitzschnell aus und gab ihm eine so gewaltige Ohrfeige, daß dem Getroffenen die Pistole entfiel und er selbst in einem weiten Bogen zur Erde flog. Ehe er Zeit fand, sich aufzurichten, kniete Halef, der seine Waffe schnell in den Gürtel zurückgeschoben hatte, auf ihn und beohrfeigte ihn mit beiden Händen und mit solcher Geschwindigkeit, daß der Mann gar nicht dazu kam, ein Glied zu seiner Vertheidigung zu rühren.

Habulam war von seinem Sitz aufgefahren und brüllte vor Wuth. Humun gestikulirte wie ein Rasender, wagte es aber nicht, Suef zu Hülfe zu kommen. Die Knechte und Mägde zeterten mit, ohne sich jedoch vom Platze zu rühren. Es gab einen wahren Höllenlärm, bis Halef von seinem Gegner abließ und sich erhob.

Dieser huschte nach der Stelle hin, an welcher die ihm entfallene Pistole lag; der Hadschi aber war schneller und schleuderte sie mit dem Fuß fort, so daß sie an meinen Stuhl anprallte und da liegen blieb. Suef sprang herbei, um sie aufzuraffen, und kam also in den Bereich meiner Arme. Eben als er sich bückte, legte ich ihm die Hand um das Genick und zog ihn empor. Mein Griff hatte zur Folge, daß er die Arme schlaff herabhängen ließ und ängstlich nach Luft schnappte. Osco hob die Pistole auf und steckte sie zu sich. Ich gab dem Schneider mit der Linken einen Klapps auf den Kopf und setzte ihn zu meinen Füßen auf den Boden nieder.

»Hier bleibst Du sitzen, ohne Dich zu rühren,« gebot ich ihm. »Sobald Du Miene machst, ohne meine Erlaubniß aufzustehen, drücke ich Dir Deinen Schwachkopf wie ein Ei zusammen.«

Er ließ Kopf und Arme sinken und bewegte sich nicht. Die Andern tobten noch immer.

»Nimm die Peitsche, und schaffe Ruhe, Halef!«

Kaum hatte ich diese Worte gesagt, so sauste die Peitsche des Kleinen auch schon auf Habulam's Rücken nieder. Der Alte war sofort still, auch Humun schwieg, und die Andern folgten augenblicklich seinem Beispiel.

»Setze Dich nieder!« herrschte ich unserem Richter zu, und er gehorchte.

»Weg da von der Thüre!« gebot ich dem Gesinde. »Trollt Euch in jene Ecke! Dort bleibt Ihr, bis ich Euch erlaube, sie zu verlassen!«

Sie beeilten sich, diesem Befehl nachzukommen. Wir waren also nun rückenfrei und konnten Alles und Alle genau überblicken.

Es war Habulam anzusehen, daß er nicht wußte, was er sagen und wie er sich verhalten solle. Sein Blick flog zornig von Einem zum Andern. Er hatte die Hände geballt und den Mund zusammengepreßt. Endlich öffnete er denselben, um einen Ausbruch des Zornes an mich zu richten.

»Schweig', sonst bekommst Du abermals die Peitsche!« rief ich ihm zu. »Jetzt bin ich es, der zu sprechen hat. Meinst Du etwa, daß wir Dich hier aufgesucht haben, um uns die Fußsohlen wund schlagen zu lassen? Denkst Du, daß wir Leute sind, über welche Du zu Gericht sitzen kannst? Wir werden nun Euch Euer Urtheil verkünden und es auch vollziehen. Du hast die ›Maschine des Prügelns‹ herbei holen lassen, und wir werden uns ihrer bedienen.«

»Was fällt Dir ein!« entgegnete er. »Willst Du mir hier in meinem eigenen Hause – –«

»Ruhig!« unterbrach ich ihn. »Wenn ich spreche, hast Du zu schweigen. Dein Haus ist eine Mördergrube, und da denkst Du, daß – –«

Auch ich wurde unterbrochen. Osco stieß einen Schrei aus und warf sich auf den Pseudo-Schneider. Aber auch ich hatte, obgleich meine Augen auf Humun gerichtet gewesen, die Bewegung Suef's bemerkt. Dieser Bursche war wirklich ein höchst gefährliches Subjekt. Er war der Einzige, welcher es gewagt hatte, zur Waffe zu greifen. Jetzt mochte er denken, daß ich nicht Acht auf ihn habe. Er war mit der rechten Hand in die Innenseite seiner Jacke gefahren und hatte ein Messer hervorgebracht. Indem er sich dann blitzschnell zu mir emporbäumte, wollte er mir die blank geschliffene Klinge in die Brust stoßen; aber es gelang ihm nicht. Osco ergriff ihn noch im rechten Augenblick bei der bewaffneten Hand, und schon hatte auch ich ihn bei der Gurgel gefaßt.

Halef kam herbei und nahm dem abermals Überwältigten das Messer aus der Hand.

»Durchsuche seine Taschen, während wir ihn halten!« sagte ich.

Er that es und brachte ein altes Doppelterzerol, welches geladen war, verschiedene Kleinigkeiten und einen wohlgefüllten Geldbeutel hervor, den er öffnete und mir hinhielt, indem er fragte:

»Siehst Du die Goldstücke? Und dieser Kerl gab sich für einen armen Menschen aus, welcher sich kümmerlich von Dorf zu Dorf schneidert! Dieses Geld ist geraubt oder gestohlen. Was thun wir damit?«

»Stecke es ihm wieder in die Tasche. Es gehört nicht uns; die Waffe aber nehmen wir ihm, damit er nicht Unheil mit derselben anrichten kann.«

Ich setzte den Wicht dann wieder zu Boden. Er knirschte mit den Zähnen. Wer und was war er eigentlich? Wir würden vor Angst zittern, wenn wir es erführen, hatte er selbst gesagt. Ich mußte ihn für uns unschädlich machen, und um das zu erreichen, brauchte ich nicht Gleiches mit Gleichem, Mord mit Mord, zu vergelten. Eine empfindliche Strafe aber mußte er haben, eine Strafe, welche ihn zugleich unfähig machte, sich weiter um uns zu bekümmern.

»Halef, Osco, Omar, schnallt ihn dort auf die Bank!« lautete mein Bescheid.

Der Bursche hatte gethan, als ob mein Griff nach seiner Gurgel ihm alle Fähigkeit, sich zu bewegen, geraubt habe; kaum aber waren meine Worte gesprochen, so schnellte er empor, war mit zwei Sätzen bei Habulam, riß diesem mit beiden Händen das Messer und die Pistole aus dem Gürtel, drehte sich nach mir um und rief:

»Mich anschnallen? Das ist das letzte Wort, welches Du gesprochen hast!«

Er richtete die Waffe auf mich, der Hahn knackte und der Schuß krachte. Kaum fand ich Zeit, mich mit allen mir zu Gebot stehenden Kräften zur Seite zu werfen, so daß ich sammt dem Stuhl um- und zu Boden stürzte. Ich war nicht getroffen worden; aber wie es sich dann herausstellte, war die Kugel zwischen Janik und Anka, welche hinter mir standen, hindurch geflogen und in die Thüre gedrungen.

Wie ich es mit meinem im Gypsverband steckenden Fuß fertig gebracht habe, das weiß ich heute noch nicht; doch ich hatte kaum den Boden berührt, so schnellte ich mich in die Höhe und auf den Mörder zu, nicht mit einem Sprung, nein, ich schlug einen wahren Salto mortale, ein Rad, über meine beiden Hände hinweg. Just da, wo der Wicht stand, faßte ich nach dem weiten Schwung wieder Boden, packte den Verbrecher mit beiden Händen und riß ihn mit mir nieder.

Murad Habulam und seine Leute brachten vor Schreck kein Wort hervor; sie rührten sich nicht von der Stelle. Suef lag unter mir. Ich kniete ihm quer auf den beiden Oberschenkeln und drückte seinen Kopf nieder. Er hielt die abgeschossene Pistole, welche zum Glück nur einläufig war, noch in der Rechten, in der Linken das Messer. Dieses wäre mir jedenfalls gefährlich geworden, aber mein geistesgegenwärtiger Halef kniete bereits neben uns und hielt ihm die Hand.

»Osco, herbei!« rief er. »Auf die Bank mit ihm, damit er kein Glied rühren kann!«

In weniger als einer Minute war Suef in der Weise, wie die Bastonnade es erfordert, an die Bank gebunden. Janik brachte den Stuhl herbei, und ich setzte mich nieder.

»Siehst Du es nun ein, daß Dein Haus wirklich eine Mördergrube ist, wie Dir vorhin gesagt wurde?« herrschte Halef den Alten an. »Wäre unser Effendi nicht so kampfesgewohnt und geistesgegenwärtig, so läge er jetzt als Leiche hier. Aber dann würdest Du sehen, was geschähe! Jetzt aber ist unsere Geduld zu Ende. Jetzt sollt Ihr Alle erfahren, was es heißt, auf uns zu schießen und uns vergiftete Speisen vorzulegen!«

»Davon weiß ich nichts,« behauptete der Alte.

»Schweige! Du wirst nachher an die Reihe kommen. Wir beginnen jetzt mit diesem Elenden da. Er hat uns in dieses Haus des Mordes geführt. Er hat gewußt, daß wir ermordet werden sollten. Er hat jetzt nach Dir gestochen, Sihdi, und auf Dich geschossen. Bestimme, was mit ihm geschehen soll! Meinst Du nicht, daß er den Tod verdient hat?«

»Ja, er hat den Tod verdient. Aber wir wollen ihm das Leben lassen. Es ist ja möglich, daß er ein anderer Mensch wird. Als Anregung zur Besserung mag er die Bastonnade erhalten, welche Dir zugesprochen war.«

»Wie viel Hiebe?«

»Dreißig.«

»Das ist zu wenig; ich sollte fünfzig erhalten.«

»Dreißig genügen.«

»So müssen sie aber kräftig sein. Wer soll sie ihm geben?«

»Natürlich Du. Du hast Dich ja darauf gefreut, Halef!«

Obgleich er sich unter Umständen sehr gern der Peitsche bediente, erwartete ich doch, daß er dieses Mandat von sich weisen werde. Ich hatte mich in dem braven Menschen nicht getäuscht, denn er sagte unter einer stolzen, wegwerfenden Armbewegung:

»Ich danke Dir, Effendi! Wo es gilt, uns mit der Peitsche Achtung zu verschaffen, da bin ich bereit, aber ein Khawaß mag ich nicht sein. Die Peitsche ist ein Zeichen der Herrschaft; sie schwinge ich, aber nicht den Stock. Einen Rechtsspruch zu vollziehen, ist das Amt des Henkers; ich aber bin kein solcher.«

»Du hast Recht. So bestimme Du selbst, wer es thun soll.«

»Das werde ich gern thun. Es ist so lieblich anzusehen, wenn Freunde und Kameraden sich Ehren erweisen. Humun ist der Verbündete des Schneiders. Er mag ihm die dreißig Hiebe als Zeichen seiner Achtung und Bruderliebe geben.«

Das war eine Bestimmung, welche meinen vollen Beifall hatte. Ich gab das durch ein Nicken zu erkennen, in Folge dessen sich Halef an Humun wendete:

»Hast Du gehört, was gesprochen wurde? Tritt also her, und spende Deinem Genossen die Wohlthat der Gerechtigkeit!«

»Das thue ich nicht!« weigerte sich der Diener.

»Das kann Dein Ernst nicht sein. Ich rathe Dir, an Dich selbst zu denken. Die Dreißig werden ausgetheilt. Wenn Du sie ihm nicht gibst, so bekommst Du sie selbst. Das verspreche ich Dir beim Bart meines Vaters. Also vorwärts! Zaudere nicht, sonst helfe ich nach!«

Humun erkannte, daß er nicht auszuweichen vermöge. Er trat an die Bank und nahm einen der Stöcke auf. Dabei war es ihm leicht anzusehen, daß er seines Amtes nicht sehr kräftig walten werde. Darum warnte ihn Halef:

»Aber ich sage Dir: bei einem jeden Hieb, der mir zu schwach erscheint, bekommst Du selbst die Peitsche. Nimm Dich also wohl zusammen! Osco, laß Dir die Peitsche des Effendi geben und stelle Dich an die andere Seite dieses gutherzigen Mannes! Sobald ich ihn meine Kurbatsche fühlen lasse, thust Du es auch mit der Deinigen. Das wird ihn ermuntern, sich unsere Zufriedenheit zu erwerben. Omar mag zählen und kommandiren.«

Für Humun war die Situation höchst peinlich. Er hätte seinen Genossen gern geschont, aber rechts neben ihm stand Halef, links Osco mit der Peitsche in der Hand. Er war also selbst bedroht und sah ein, daß er gehorchen müsse. Jedenfalls war es nicht das erste Mal, daß er die Bastonnade ausführte; das ersah man aus der Weise, in welcher er den Stock leicht auf die Stelle legte, welche er treffen wollte.

Suef sagte kein Wort. Bewegen konnte er sich nicht. Aber wenn die Blicke, welche er auf uns warf, Messerklingen gewesen wären, so hätte er uns durch und durch gestochen.

Murad Habulam verwendete kein Auge von der Scene. Seine Lippen bebten. Von Augenblick zu Augenblick schien es, als ob er sprechen wollte, aber er bezwang sich. Doch als Humun zum ersten Hieb ausholte, vermochte er nicht länger zu schweigen; er rief:

»Halt ein! Ich befehle es!«

»Kein Wort!« rief ich ihm zu. »Ich will gnädiger mit Euch verfahren, als Ihr es mit uns vorhattet; aber sprichst Du noch ein Wort ohne meine Erlaubniß, so führe ich Dich nach Uskub und übergebe Dich dem Richter. Wir können beweisen, daß Du uns nach dem Leben getrachtet hast, und wenn Du meinst, daß nach unserer Entfernung Dich die Richter dieses Landes laufen lassen werden, so mache ich Dich darauf aufmerksam, daß sich in Uskub mehrere Balioslar des Abendlandes befinden, welche die Macht haben, die strengste Strafe für Dich zu erwirken. Bist Du also klug, so schweige!«

Er fiel in sich zusammen. Er kannte die Macht der erwähnten Beamten und fürchtete sie; darum sagte er von nun an kein Wort mehr.

Suef erhielt seine dreißig Hiebe. Er biß die Zähne zusammen und gab keinen Laut von sich, das Knirschen seines Gebisses abgerechnet. Sobald Humun den ersten blutigen Striemen sah, schien er gar nicht mehr daran zu denken, daß er hatte Rücksicht üben wollen. Er schlug so kräftig zu, daß ich ihm fast Einhalt gethan hätte. Es gibt eben Menschen, denen beim Anblick des Blutes erst die Blutgierde kommt. Wilde scheinen sogar berauscht davon zu werden.

Ich hatte gleich beim ersten Schlag die Augen geschlossen. Es ist nichts weniger als ein Vergnügen, einer solchen Execution beizuwohnen; aber ich bildete mir einmal ein, es der Gerechtigkeit, der Rücksicht auf uns und unsere Nebenmenschen schuldig zu sein, hier keine Gnade walten zu lassen, und die Folge zeigte, daß Suef diese Züchtigung viel, viel mehr als reichlich verdient hatte.

Er hatte keinen Laut hören lassen; aber als der letzte Hieb gefallen war, schrie er:

»Raki, raki tabanlar üzerinde dökyn, tschapuk, tschapuk – gießt Raki, Raki auf die Sohlen, schnell, schnell!«

Jetzt wagte Habulam zu sprechen. Er befahl Anka, Raki zu holen. Sie brachte eine ganze Flasche voll. Humun ergriff dieselbe und steckte zunächst dem Gezüchtigten den Hals derselben in den Mund. Suef that einige Züge, und dann wurde ihm die scharfe Flüssigkeit in die Wunden gegossen. Er ließ nichts als ein schmerzliches Zischen hören. Dieser Mensch mußte Nerven von Eisendraht besitzen. Oder hatte er die Bastonnade bereits früher so oft erhalten, daß seine Natur an den Genuß derselben gewöhnt war? –

Er wurde los gebunden und kroch zu Habulam. Dort zog er die Füße an sich und steckte den Kopf zwischen die Kniee, uns verächtlich den Rücken zukehrend.

»Effendi, der ist abgefertigt,« meldete Halef. »Wer kommt nun an die Reihe?«

»Humun,« antwortete ich kurz.

»Wie viel?«

»Zwanzig.«

»Von wem?«

»Das überlasse ich Dir, zu bestimmen.«

»Murad Habulam!«

Der Hadschi machte seine Sache vortrefflich. Dadurch, daß einer der Schurken den andern schlagen mußte, säete er Haß und Rache unter sie. Habulam weigerte sich:

»Humun ist stets ein treuer Diener gewesen; wie kann ich ihn schlagen!«

»Eben weil er Dir so treu gedient hat, sollst Du ihm diesen handgreiflichen Beweis Deiner Zufriedenheit geben,« erwiederte Halef.

»Ich lasse mich nicht zwingen!«

»Wenn er ihm nicht die Zwanzig geben will,« entschied ich, »so erhält er selbst vierzig.«

Das wirkte. Der Diener sträubte sich, als er auf die Bank gebunden wurde, aber es nützte ihm nichts. Sein Herr stand auf und griff zögernd zu dem Stock; doch die beiden Peitschen stärkten seinen Arm, so daß die Streiche ihr volles Gewicht bekamen.

Humun ertrug die Züchtigung nicht so männlich wie Suef. Er schrie bei jedem Hieb; aber ich bemerkte, daß die Dienstboten einander befriedigt zunickten und mich mit fast dankbaren Augen anschauten. Er war der Lieblingsdiener des Herrn und mochte die Andern wohl gequält haben.

Auch er ließ sich Branntwein in die Wunden träufeln und schob sich dann in die nächste Ecke, wo er sich eng zusammenkauerte.

»Und wer kommt nun?« fragte Halef.

»Murad Habulam,« lautete meine Antwort.

Der Genannte stand noch neben der Bank, mit dem Stock in der Hand. Er sprang vor Schreck einige Schritte zurück und schrie:

»Was? Wie? Auch ich soll die Bastonnade erhalten?«

»Natürlich!« nickte ich, obgleich ich es ganz anders mit ihm vorhatte.

»Dazu hat kein Mensch ein Recht!«

»Du irrst. Ich bin es, der dieses Recht hat. Ich weiß Alles. Hast Du nicht Dein Haus dazu geöffnet, daß wir in demselben ermordet werden sollten?«

»Das ist eine große Lüge!«

»Ist nicht Dein Bruder Manach el Barscha, welcher das Amt eines Steuereinnehmers in Uskub bekleidete, dann aber abgesetzt wurde, gestern früh bei Dir gewesen und hat Dir unsere Ankunft und auch diejenige seiner Gefährten gemeldet?«

»Das mußt Du geträumt haben; ich habe gar keinen Bruder!«

»So habe ich wohl auch geträumt, daß Du mit ihm besprochen hast, wir sollten in den Thurm zu dem Geist der alten Mutter einquartiert werden, und Dein Diener Humun hat den Geist spielen sollen?«

»Herr, Du erzählst mir da lauter unbekannte Dinge!«

»Aber Humun kennt diese Dinge, wie ich an dem erstaunten Blick sehe, den er mir soeben zuwirft. Er wundert sich darüber, daß ich dieses Geheimniß kenne. Der Plan mit dem Gespenst ist nicht ausführbar gewesen, und so seid Ihr auf den Gedanken gekommen, den Thurm zu besteigen und uns zu ermorden.«

»Allah, Allah! Bist Du bei Sinnen?«

»Die beiden Aladschy sollten mich tödten; Barud el Amasat wollte Osco ermorden, weil wegen der Entführung von Senitza eine Rache zwischen ihnen schwebt. Dein Bruder Manach nahm Halef auf sich, und Humun erklärte sich bereit, Omar umzubringen. Der Miridit trat zurück, weil er Friede mit mir geschlossen und mir den Czakan gegeben hatte, welchen Du hier in meinem Gürtel siehst.«

»Allah akbar! Er weiß Alles! Sein böser Blick hat es ihm gesagt!« murmelte Humun erschrocken.

»Nein, nein, er weiß nichts, gar nichts!« rief Habulam. »Ich kenne keinen von allen den Männern, deren Namen Du soeben genannt hast, Herr.«

»Sie waren mit Dir oben auf dem Thurm, und vorher befandet Ihr Euch Alle, neun Männer, im Innern der hohlen Feime, welche in der Nähe des Thurmes steht.«

»Bei mir gibt es keine hohle Feime!«

»So will ich sie Dir zeigen und Dir sagen, daß ich selbst zwischen die Getreidebündel gekrochen bin und Euch gesehen und belauscht habe. Ich habe jedes Wort gehört, jedes Wort!«

Er fuhr zurück und starrte mich ganz erschrocken an.

»Hat der Miridit nicht das Messer gegen den alten Mübarek gezückt, bevor er sich entfernte?«

»Ich – ich – – ich weiß von nichts!« stammelte er.

»Nun, so wollen wir einmal diesen Suef fragen; vielleicht weiß er es. Und wenn er nicht antwortet, so mögen ihm noch weitere Dreißig die Zunge lösen.«

Da drehte sich der Genannte nach mir um, fletschte die Zähne wie ein wildes Thier, schoß einen grimmigen Blick auf mich und zischte:

»Hund! Was mache ich mir aus Dir und aus der Bastonnade! Hast Du mich etwa wimmern hören? Meinst Du, daß ich mich so vor Dir fürchte, daß ich nur durch Prügel gezwungen werden kann, Dir die Wahrheit zu sagen?«

»So sage sie, wenn Du wirklich Muth hast!«

»Ja, ich habe Muth. Es ist genau so, wie Du sagst: wir haben Dich tödten wollen. Es ist uns nicht gelungen; aber – bei Allah! – Du wirst nicht weit kommen, so werden Eure Leichen von den Krähen gefressen!«

»Er redet irre; er redet irre!« schrie Habulam. »Der Schmerz der Bastonnade hat ihm den Verstand genommen!«

»Feigling!« knirschte Suef.

»Sihdi, frage doch auch Humun einmal,« sagte Halef. »Wenn er nicht sprechen will, geben wir ihm noch zwanzig auf die Sohlen.«

Er trat zu dem Diener und faßte ihn am Arme.

»Laß mich, Du Hadschi des Teufels! Ich gestehe Alles, Alles!« schrie Humun.

»Ist es so, wie der Effendi sagte?«

»Ja, ja, ganz genau!«

»Auch er ist vor Schmerzen unsinnig geworden!« rief Habulam.

»Nun,« sagte ich, »so will ich Dir zwei weitere Zeugen bringen. Janik, sage der Wahrheit gemäß, ob Habulam unschuldig ist?«

»Er wollte Euch ermorden,« antwortete der Knecht.

»Schurke!« schrie Habulam. »Du erwartest Strafe von mir für Deinen Ungehorsam; darum willst Du Dich rächen!«

»Anka,« fuhr ich fort, »sahst Du nicht, daß Dein Herr Rattenpulver in die Eierspeise that?«

»Ja«, antwortete sie, »ich habe es ganz genau gesehen.«

»O Allah, welche Lüge! Herr, ich schwöre beim Propheten und bei allen frommen Khalifen, daß ich vollständig unschuldig bin!«

»So hast Du jetzt einen gräßlichen Meineid geschworen, der Dich – –«

Ich wurde unterbrochen. Daß Habulam den Namen des Propheten und das Andenken der Khalifen durch einen solchen falschen Schwur entweihte, dies ergrimmte die anwesenden Muhamedaner auf das Höchste. Halef griff nach seiner Peitsche; ein zorniges Murmeln ging durch den Raum. Humun hatte sich auf seine wunden Füße erhoben, kam herbei gewankt, spuckte seinem Herrn in das Gesicht und sagte:

»Hajde – pfui! Sei verflucht in alle Ewigkeit! Deine Feigheit bringt Dich in die Dschehenna! Ich habe einem Herrn gedient, den Allah versenken wird in die tiefste Tiefe der Verdammniß. Ich verlasse Dich. Vorher aber rechnen wir ab!«

Und da stand auch bereits Suef neben dem Alten, spuckte ihn ebenso an und rief:

»Schande über Dich und über die Tage Deines Alters! Deine Seele sei verloren und Dein Gedächtniß ausgerottet bei allen Gläubigen! Ich habe keinen Theil mehr an Dir!«

Beide wankten wieder an ihre Plätze zurück. Sie nahmen einen Mord mit Leichtigkeit auf ihr Gewissen, aber eine Lästerung des Propheten und seiner Nachfolger empörte ihr ganzes Wesen.

Habulam stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt. Er hielt beide Hände an die Stirn. Dann warf er plötzlich die Arme in die Luft und rief:

»Allah, Allah, ich habe gefehlt! Aber ich mache den Fehler wieder gut. Ich gestehe ein, daß Ihr habt ermordet werden sollen und daß ich Gift in die Speise gethan!«

»Allah il Allah, Muhamed rassuhl Allah!« ertönte es rundum.

Und Halef trat zu ihm, legte ihm die Hand schwer auf die Achsel und sagte:

»Das ist Dein Glück, daß Du den Schwur widerrufst! Mein Effendi hätte es mir nicht erlaubt, aber ich schwöre es Dir beim Bart des Propheten, daß die Sonne Deines Lebens untergegangen wäre, bevor ich dieses Dein Haus verlassen hätte! Also Du bist Deiner Schuld geständig?«

»Ja.«

»So magst Du auch die Strafe erleiden, welche wir Dir auferlegen. Effendi, wie viel Streiche soll er empfangen?« fragte Halef.

»Hundert,« antwortete ich.

»Hundert!« kreischte der Alte. »Das überlebe ich nicht!«

»Das ist Deine Sache! Du bekommst hundert Streiche auf die Sohlen!«

Er brach fast zusammen. Ich sah seine Kniee schlottern. Er war ein großer Bösewicht und ein noch größerer Feigling.

»Sei barmherzig!« wimmerte er. »Allah wird es Dir vergelten!«

»Nein, Allah würde mir zürnen, wenn ich in solcher Weise gegen seine Gesetze handelte. Und was würden Suef und Humun sagen, wenn ich Dir die Strafe schenkte, während sie die ihrige erdulden mußten!«

»Zur Bastonnade mit ihm!« rief Suef.

»Er bekomme die Hundert!« stimmte Humun ein.

»Da hörst Du es!« meinte Halef. »Allah will es, und wir wollen es auch. Komm also her! Lege die Länge Deiner Glieder auf die Bank, damit wir Dich anbinden.«

Er faßte ihn beim Arme, um ihn nieder zu ziehen. Der schreckliche Alte krümmte sich wie ein Wurm und wimmerte wie ein Kind. Ich winkte Osco und Omar. Sie faßten mit an und drückten ihn auf die Bank.

»Haltet ein, haltet ein!« schrie er. »Ich muß ja daran zu Grunde gehen! Wenn ich sterbe, so wird Euch mein Geist erscheinen und Euch nimmermehr Ruhe lassen!«

»Sage Deinem Geist, daß er das unterlassen möge!« versetzte Halef. »Wenn er sich bei mir sehen ließe, würde er es bitter empfinden!«

Er wurde trotz seines Sträubens festgebunden. Seine nackten, knöchernen Füße krümmten sich, als ob sie jetzt schon die zu erwartenden Schmerzen fühlten.

»Wer nimmt den Stock?« fragte Halef.

»Du selbst,« antwortete ich.

Er wollte widersprechen, aber ich winkte ihm Schweigen zu, und er verstand mich.

»Freue Dich, Murad Habulam,« sagte er, indem er nach dem Stock griff; »freue Dich, daß ich es bin, welcher Dir die Wohlthat der Strafe reicht. Die Hundert werden so sein, als ob es tausend wären. Das wird einen großen Theil Deiner Sünden von Deiner Seele nehmen.«

»Barmherzigkeit! Gnade!« flehte der Alte. »Ich will die Streiche bezahlen.«

»Bezahlen?« lachte Halef. »Du scherzest! Der Geiz ist Dein Großvater, und die Habsucht ist die Mutter Deiner Vorfahren.«

»Nein, nein! Ich bin nicht geizig; ich bezahle Alles, Alles!«

»Das wird der Effendi nicht gestatten; aber ich möchte doch gern wissen, wie viel Du geben würdest, um den Hieben zu entkommen.«

»Ich gebe Euch gern für jeden Hieb einen ganzen Piaster.«

»Also hundert Piaster? Bist Du verrückt? Uns macht es für zehntausend Piaster Vergnügen und Dir für zwanzigtausend Piaster Schmerzen, wenn Du die Bastonnade bekommst; das sind zusammen dreißig Tausend. Und Du bietest uns hundert! Schäme Dich!«

»Ich gebe zweihundert!«

»Schweige! Ich habe keine Zeit, die Worte Deines Geizes anzuhören. Ich muß beginnen.«

Er stellte sich vor die nach oben gerichteten Füße des Alten, that, als ob er mit dem Stock auf die zu treffende Stelle ziele, und holte scheinbar zum Schlage aus.

»Allahy sewersin, döjme – um Gottes willen, schlage nicht!« stöhnte Habulam. »Ich gebe mehr! Ich gebe viel, viel mehr!«

Gewiß war die Situation, ja die ganze Prügelei kein ästhetischer Vorgang, und ich gestehe auch, daß ich ihr nicht etwa mit Erbauung beiwohnte; aber ich möchte doch die Leser bitten, nicht etwa von Unchristlichkeit oder gar von Roheit zu sprechen. Zugegeben, daß die Handlung nicht eine würdige genannt werden konnte; doch hatte sie ihre volle Berechtigung.

Wir befanden uns nicht in einem civilisirten Lande; wir hatten es mit Menschen zu thun, welche die beklagenswerthen Zustände Halbasien's gewohnt waren. Vor allen Dingen ist zu bedenken, daß diese Leute Mitglieder einer weit verbreiteten und höchst gefährlichen Verbrecherbande waren, deren Vorhandensein nur auf Verderbniß der dortigen Zustände fußte. In Konstantinopel sogar und von dort an bis hierher nach Kilissely hatten wir es mit Subjekten zu thun gehabt, denen weder Eigenthum, noch Leben ihrer Mitmenschen heilig war. Wir hatten in fortgesetzter Todesgefahr gestanden, und noch jetzt schwebte in jedem Augenblick das Verderben drohend über uns. Man hatte uns in wohlüberlegter und raffinirter Weise in dieses Haus gelockt, um uns umzubringen. Man hatte uns vergiften und – als das nicht gelungen war – erwürgen wollen; es war nach mir gestochen und geschossen worden. War es ein Wunder, daß sich unser Vier, die wir uns zu jeder Minute, des Tages und der Nacht, auf dem Qui vive befanden, eine ganz bedeutende Erbitterung bemächtigt hatte? Nach den gegebenen Umständen mußten wir auf die Hülfe der Behörde verzichten; wir waren ganz auf uns selbst angewiesen. Welche Strafe deckte sich mit den gegen uns gerichteten Anschlägen? War es etwa grausam oder gar blutdürstig, diesen gott- und gewissenlosen Schurken, welche sich in unserer Hand befanden, einige Hiebe geben zu lassen? Gewiß nicht! Ich bin vielmehr der Überzeugung, daß wir nur allzu mild und nachsichtig handelten.

Daß dem alten Habulam jetzt einige Minuten der Qual bereitet wurden, wer will uns darauf hin verdammen? Ich verfolgte einen guten Zweck dabei. Mag man von Nöthigung, von Erpressung oder von Anderem reden, mag man immerhin sagen, daß ich nach dem heimatlichen Gesetzbuch strafbar gewesen sei: – wir befanden uns eben nicht in Deutschland; wir hatten mit den gegebenen Verhältnissen zu rechnen, und ich bin bis heute noch nicht dazu gelangt, mir über mein damaliges Verhalten Vorwürfe zu machen.

»Mehr willst Du geben?« fragte Halef. »Wie viel denn?«

»Ich zahle dreihundert – –« und da der Hadschi abermals ausholte, fügte er schnell hinzu – – »vierhundert, fünfhundert Piaster! Ich habe nicht mehr als fünfhundert.«

»Nun,« meinte der Hadschi, »wenn Du nicht mehr hast, so mußt Du eben die Gabe des Zornes hinnehmen. Wir sind freilich reicher als Du. Wir haben so viel Hiebe übrig, daß wir ganz Kilissely damit beschenken könnten. Um Dir das zu beweisen, werden wir großmüthig sein und Dir noch fünfzig zulegen, so daß Du also hundertfünfzig erhalten wirst. Ich hoffe, daß Dein dankbares Herz diese unsere Freigebigkeit anerkennen wird.«

»Nein, nein, ich mag nicht hundertfünfzig! Ich mag ja nicht einmal die Hundert haben!«

»Sie sind Dir aber zugesprochen, und da Du als ein solcher armer Mann nur fünfhundert Piaster übrig hast, so ist an unserem Urtheil nichts zu ändern. Omar, komm her, und zähle wieder! Ich will endlich beginnen.«

Er holte aus und gab dem Alten den ersten Hieb auf den rechten Fuß.

»Allah kerihm!« schrie Habulam gellend. »Ich bezahle sechshundert Piaster!«

»Zwei!« kommandirte Omar.

Der Hieb fiel auf den linken Fuß des Alten.

»Halt ein, halt ein! Ich gebe achthundert, neunhundert, tausend Piaster!«

Halef warf mir einen fragenden Blick zu, und als ich nickte, senkte er den bereits wieder erhobenen Stock und sagte:

»Tausend? Herr, wie lautet Dein Befehl?«

»Das wird auf Habulam ankommen,« antwortete ich. »Es fragt sich, ob er die tausend Piaster baar daliegen hat.«

»Ich habe sie! Sie liegen da!« erklärte der Alte.

»So können wir uns die Sache überlegen.«

»Was gibt es da zu überlegen? Ihr bekommt das Geld und könnt davon dann in Freuden leben.«

»Du irrst. Wenn ich überhaupt die Gnade walten lasse, Dir die Strafe gegen die Summe zu erlassen, so sind die tausend Piaster für die Armen bestimmt.«

»Thut damit, was Ihr wollt; nur laßt mich los!«

»Um der Leute willen, für welche das Geld bestimmt ist, würde ich mich vielleicht bereit finden lassen; vorausgesetzt, daß Du noch auf eine andere Bedingung eingehst.«

»Noch eine Bedingung? O Allah, Allah, Allah! Wollt Ihr noch mehr Geld haben?«

»Nein. Ich verlange nur, daß Du Janik und Anka sofort aus Deinem Dienst entlässest.«

»Gern, gern! Sie mögen laufen!«

»Du wirst ihnen ihren Lohn sofort und ohne allen Abzug auszahlen!«

»Ja, sie sollen Alles erhalten.«

»Und sowohl ihm als auch ihr ein gutes, schriftliches Zeugniß geben!«

»Auch das.«

»Schön! Sie werden Dein Haus gleich mit mir verlassen. Zu Fuß zu gehen, ist für sie bis in die Gegend von Uskub zu weit. Sie werden sich zudem mit den Sachen, die ihnen gehören, zu belasten haben; darum wünsche ich, daß sie mit dem Wagen fahren, welcher unten im Schuppen steht.«

»Wai sana! Das fällt mir nicht ein!«

»Ganz nach Deinem Belieben. Halef, fahre fort! Es kommt der dritte Hieb.«

»Halt, halt!« kreischte der Alte, als er sah, daß Halef ausholte. »Es ist doch unmöglich, ihnen den Wagen zu geben!«

»Warum?«

»Sie würden mir ihn nicht zurückgeben.«

»Janik und Anka sind ehrliche Leute. Übrigens kannst Du sie ja durch die Behörde zur Zurückgabe zwingen lassen.«

»Aber Uskub ist zu weit von hier!«

»Sagtest Du nicht, daß sich Dein Weib jetzt dort befinde?«

Er sträubte sich zwar noch eine Weile, endlich aber willigte er ein, daß Janik und Anka auf seinem Wagen und mit seinem Pferd bis Uskub fahren dürften, wo das Gefährt seiner Frau übergeben werden sollte.

»Jetzt aber sind wir doch wohl fertig?« fragte er mit einem tiefen Seufzer.

»Noch nicht. Du wirst mir auch ein schriftliches Geständniß dessen, was Du mit uns vorhattest, unterschreiben.«

»Was willst Du mit dieser Schrift thun?«

»Ich übergebe sie Janik. Sobald Du Dich ihm feindlich zeigst, wird er sie dem Richter überreichen.«

»Das ist mir zu gefährlich!«

»Halef, nimm den Stock!«

»Warte noch!« rief der Alte. »Du mußt doch bedenken, daß er sich dieser Schrift gegen mich bedienen kann, auch wenn ich gar nichts gegen ihn unternehme!«

»Und Du mußt bedenken,« entgegnete ich, »daß sie eigentlich gar keine Steigerung der Gefahr für Dich enthält. Alle Deine Dienstboten, welche hier stehen, haben Euer Geständniß vernommen. Sie wissen, was geschehen ist, und bald werden alle Bewohner dieser Gegend erfahren, daß wir ermordet werden sollten, und daß Du ein Giftmischer bist. Du wirst von den Leuten verachtet und gemieden werden. Eben dieser Umstand hat mich zu meinem milden Verfahren veranlaßt. Du wirst bestraft sein, ohne daß ich die Vergeltung übe. Diese Strafe kann durch die Schrift, um welche es sich handelt, weder beschleunigt, noch erhöht werden. Also besinne Dich nicht lange, ich habe keine Zeit.«

Halef gab dieser Aufforderung Nachdruck, indem er die Sohle des Alten mit dem Stock berührte, als ob er zielen wolle. Das wirkte.

»Du sollst die Schrift haben,« erklärte Habulam. »Bindet mich los.«

Es geschah, und er ward nun in Begleitung Halef's und Osco's in seine Wohnung geschickt, um das Geld und die Schreibmaterialien zu holen.

Er humpelte langsam hinaus, und seine zwei Wächter gingen mit. Die an der Hinterwand stehenden Knechte und Mägde flüsterten mit einander. Dann kam einer der Burschen herbei und sagte:

»Effendi, wir wollen nicht mehr bei Habulam bleiben; er aber wird es nicht freiwillig zugeben, und so möchten wir Dich ersuchen, ihn dazu zu zwingen.«

»Das kann ich nicht.«

»Du hast es doch für Janik und Anka gethan!«

»Ihnen war ich Dank schuldig. Sie haben uns das Leben gerettet. Ihr aber seid mit den Mördern in gutem Einvernehmen gewesen.«

»Das ist nicht wahr, Effendi!«

»Habt Ihr nicht ihre Pferde bewacht?«

»Ja; aber wir haben den ganzen Abend und die ganze Nacht im strömenden Regen gestanden und erwarteten eine Belohnung; aber als diese Leute aufbrachen, waren sie sehr zornig und haben unsere Dienste mit Schlägen belohnt.«

»Wann sind sie fortgeritten?«

»Als kaum der Morgen graute.«

»Welche Richtung schlugen sie ein?«

»Sie ritten nach der Uskuber Straße.«

»Wo standen ihre Pferde?«

»Außerhalb des Dorfes, bei den Aiwa aghadschylar

»Wenn Du mich hinführst, werde ich versuchen, Eure Entlassung zu ermöglichen.«

»So thue ich es gern.«

Jetzt kehrte Habulam mit den beiden Wächtern zurück. Omar trug Papier, Tinte und Feder. Halef trat mit einem Beutel auf mich zu und sagte:

»Hier sind die tausend Piaster, Sihdi. Ich habe sie genau nachgezählt.«

Ich steckte den Beutel ein.

Habulam war zu Janik und Anka gehinkt. Er gab beiden ihr Geld und sagte dabei in grimmigem Ton:

»Hebt Euch von dannen und gebt den Wagen ehrlich in Uskub ab. Ich aber werde täglich beten, daß Allah Eure Ehe mit Unglück und Zwietracht schlagen möge.«

Diese Worte erregten den Zorn Janik's. Er steckte sein Geld ein und antwortete:

»Du beleidigst uns, und doch bist Du ein Bösewicht, wie es wohl keinen zweiten mehr gibt. Diesmal bist Du dem Henker entschlüpft, weil der Effendi ein Christ ist und Gnade walten ließ. Aber es wird bald die Stunde kommen, in welcher Eure ganze Räuberbande der verdienten Strafe verfallen wird. Eure Stunden sind gezählt, denn Euer Anführer wird der Tapferkeit des Effendi erliegen.«

»Er mag ihn suchen!« höhnte der Alte.

»O, er wird ihn finden; er weiß ja, wo er steckt!«

»Ah, weiß er das wirklich?«

»Denkst Du, es sei uns nicht bekannt? Ich selbst werde mit nach Karanorman-Khan gehen, um dem Effendi beizustehen.«

Da war das Wort heraus! Ich hatte dem Unvorsichtigen gewinkt – er sah es nicht. Ich wollte ihn unterbrechen, aber er sprach in seinem Eifer so schnell, daß ich meine Absicht nicht erreichte. Ich wollte doch nicht wissen lassen, daß mir der Ort bekannt sei.

Habulam horchte auf. Sein Gesicht nahm den Ausdruck der Spannung an.

»Kara – nor – man – Khan!« rief er, indem er die beiden Silben ›norman‹ besonders betonte. »Was ist das für ein Ort?«

»Ein Ort bei Weicza, an welchem sich Euer Führer aufhält.«

»Kara – norman – Khan! Ah, das ist sehr gut! Was sagst Du dazu, Suef?«

Dabei stieß er ein höhnisches Gelächter aus.

Der angebliche Schneider hatte sich umgedreht, als er den Namen hörte, und Janik forschend in das Gesicht gesehen. Auf die Frage Habulam's lachte auch er laut auf und antwortete:

»Ja, das ist herrlich! Sie mögen hingehen und ihn suchen. Ich möchte dabei sein, um zu sehen, was für Gesichter sie schneiden, wenn sie den Anführer dort finden.«

Dieses Verhalten überraschte mich. Ich hatte erwartet, daß sie erschrecken würden, und nun höhnten sie. Es war ihnen anzusehen und anzuhören, daß sie sich nicht verstellten. Ich wußte in diesem Augenblick mit Sicherheit, daß sich der Anführer nicht in Karanorman-Khan befand.

Aber ich hatte doch auf dem Zettel gelesen, daß Barud el Amasat an diesen Ort bestellt worden sei. Oder gab es einen Ort, dessen Namen ähnlich lautete?

Doch dieser Gedanke konnte jetzt nicht weiter verfolgt werden. Ich hatte zu schreiben. Das that ich in orientalischer Weise, nämlich auf dem Knie. Die Andern verhielten sich still, um mich nicht irre zu machen.

Murad Habulam hatte sich neben Suef niedergesetzt, und Beide flüsterten mit einander, und ich bemerkte, wenn ich zuweilen halb aufblickte, daß sie mit schadenfrohem Ausdruck auf uns sahen. Endlich kicherten sie gar mit einander. Diese Frechheit ärgerte mich.

»Gehe hinab, und spanne das Pferd an den Wagen,« gebot ich Janik. »Ladet Eure Sachen auf. Wir werden in kurzer Zeit aufbrechen.«

»Soll ich unsere Pferde vorführen?« fragte auch Halef.

»Noch nicht. Aber begib Dich noch einmal nach dem Thurm. Ich habe bemerkt, daß dort von der vergifteten Eierspeise noch Brocken liegen, welche wir den Sperlingen vorwarfen. Sammle sie behutsam; vielleicht brauchen wir sie noch.«

Der kleine, scharfsinnige Hadschi beeilte sich, mir sofort zu bemerken:

»Ich habe auch noch die Düte mit dem Rattengift in der Tasche, welche wir unserm guten Wirth Habulam abnahmen.«

»Das ist sehr gut. Habulam scheint sich über uns lustig zu machen; ich werde dafür sorgen, daß er ernster wird.«

Halef, Janik und Anka entfernten sich. Der Erstere kehrte zurück, als ich eben die Schreiberei beendet hatte. Er brachte eine Sammlung größerer und kleinerer Brocken, welche zu einer chemischen Untersuchung mehr als ausreichten.

»Effendi, was willst Du mit diesen Dingen thun?« fragte Habulam in besorgtem Ton.

»Ich werde sie in Uskub dem Apotheker der Polizei vorlegen, um bestimmen zu lassen, daß von dem Inhalt der Giftdüte in die Eierspeise gethan worden ist.«

»Das hat aber doch gar keinen Zweck?«

»Einen bedeutenden sogar; ich will Deiner Lustigkeit einen Dämpfer aufsetzen.«

»Wir haben nicht gelacht!«

»Lüge nicht! Du machst die Sache damit nur schlimmer.«

»Wir mußten über dieses Karanorman-Khan lachen.«

»Warum?«

»Weil wir es gar nicht kennen.«

»Ist das denn gar so lächerlich?«

»Nein; aber Janik sprach von einem Hauptmann, von welchem wir nicht das Mindeste wissen, und der Ort Karanorman-Khan kümmert uns noch weniger.«

»So? Ihr wißt wirklich nichts von dem Schut?«

»Nein,« antwortete er, obgleich ich wohl bemerkte, daß er erschrack, als ich den Namen nannte. »Ich kenne weder ihn, noch den Ort, von welchem Ihr redet.«

»Kennst Du auch keinen Ort, welcher ähnlich heißt?«

Ich blickte ihn scharf an. Er schluckte und schluckte, senkte den Blick zu Boden und antwortete:

»Nein, ich kenne keinen.«

»Sieh, ich merke es Dir wieder an, daß Du lügst. Du kannst Dich nicht so gut verstellen, wie es nöthig wäre, um mich zu täuschen. Wir wollen doch einmal sehen!«

Ich zog meine Brieftasche hervor. In einem Fach derselben steckte der Zettel, welchen Hamd el Amasat an seinen Bruder Barud el Amasat geschrieben hatte und der in meine Hände gefallen war. Ich nahm ihn heraus und betrachtete ihn auf das Genaueste.

Darauf hin, daß das Wort Karanorman-Khan undeutlich geschrieben sein könne, hatte ich ihn noch nicht angesehen und darum hatte ich stets geglaubt, es richtig gelesen zu haben. Jetzt war mein Blick kaum auf die betreffenden Silben gefallen, so wußte ich, woran ich war.

Die arabische Schrift hat nämlich keine Buchstaben für die Vokale; diese werden vielmehr durch die sogenannten Hareket bezeichnet. Das sind Striche oder Häkchen, welche über oder unter den betreffenden Consonanten gesetzt werden. So bedeutet zum Beispiel ein kleiner Strich (-), welcher Üstün oder Esre genannt wird, a oder e, wenn er über dem Buchstaben steht. Steht er aber unter demselben, so gilt er für y oder i. Das sogenannte Ötürü, ein Häkchen in folgender Gestalt ', steht über dem Buchstaben und bedeutet o und u oder ö und ü. Es kann also, zumal bei undeutlicher Schrift, leicht eine Verwechslung vorkommen. Das war auch mir beim Lesen des Zettels geschehen.

Ich hatte nämlich eine kleine schwarze Stelle in der Papiermasse für ein Ötürü gehalten und einen Strich unter dem Buchstaben ganz übersehen, weil er beim Schreiben so winzig ausgefallen war, daß er kaum bemerkt werden konnte. Es war also nicht o, sondern i zu lesen, nämlich in ›nir‹, der dritten Silbe des Wortes.

Und sodann hatte der Schreiber den Anfangsbuchstaben der vierten Silbe so undeutlich gesetzt, daß die Richtung der Schleife nicht genau zu bestimmen war. Aus diesem Grund hatte ich m für w gelesen. Es mußten diese beiden Silben also ›nirwan‹ anstatt norman lauten, und der Name hieß folglich Karanirwan-Khan.

Als ich von dem Zettel aufblickte, bemerkte ich zu meiner Überraschung, daß Habulam seine Augen mit gierigem Blick auf denselben gerichtet hielt.

»Was hast Du da, Herr?« fragte er.

»Einen Zettel, wie Du siehst.«

»Was steht darauf?«

»Eben der Name Karanorman-Khan.«

»Laß mich ihn einmal betrachten!«

Kannte er Hamd el Amasat? War er in das Geheimniß, welchem wir nachforschten, eingeweiht? Dann lag es wohl gar in seiner Absicht, den Zettel zu vernichten. Doch nein, das hätte ja gar nichts gefruchtet, da ich den Inhalt kannte.

Es schien mir vielmehr gerathen zu sein, ihm den Zettel zu geben. Wenn ich ihn dabei scharf beobachtete, wurde es vielleicht möglich, aus seinem Verhalten Schlüsse zu ziehen.

»Hier hast Du ihn,« sagte ich. »Aber verliere ihn nicht; ich brauche ihn noch.«

Er nahm das Papierstückchen und betrachtete es. Ich sah, daß er erbleichte. Zugleich hörte ich ein leises, aber sehr bezeichnendes Räuspern Halef's. Er wollte meine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Ich sah ihn schnell an, und er winkte mit den Augenlidern fast unmerklich nach Suef hin. Als ich nun den Blick rasch und verstohlen nach jenem richtete, sah ich, daß er sich halb auf das eine Knie erhoben hatte und den Hals ausstreckte. Seine Augen waren auf Habulam gerichtet, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck der gierigsten Spannung, sich keine Silbe von dem entgehen zu lassen, was gesprochen wurde.

Da ward es mir klar, daß diese beiden von diesem Zettel mehr wußten, als ich hatte ahnen können, und jetzt war es mir leid, daß ich von meiner schleunigen Abreise gesprochen hatte. Hätte ich noch bleiben können, so wäre es mir vielleicht möglich gewesen, sie auf irgend eine Weise auszuforschen. Leider aber war das nun nicht rückgängig zu machen.

Mittlerweile hatte Habulam sich gefaßt. Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Wer soll das lesen können? Ich nicht! Das ist ja gar keine Sprache.«

»O doch!« antwortete ich.

»Ja, Silben sind da, aber sie geben doch keine Worte!«

»Man muß sie anders zusammenstellen; dann kommt ein ganz deutlicher Satz zum Vorschein.«

»Kannst Du das?«

»Gewiß.«

»So thue es doch einmal!«

»Du scheinst Dich sehr für diese Zeilen zu interessiren?«

»Weil ich denke, sie können gar nicht gelesen werden, und Du behauptest doch das Gegentheil. Stelle die Silben richtig zusammen und lies sie mir vor.«

Den Blick verstohlen, aber scharf auf ihn und Suef richtend, erklärte ich:

»Die Worte lauten in ihrer richtigen Vereinigung: ›In pripeh beste la karanorman chan ali sa panajir menelikde.‹ Verstehest Du das?«

»Nur einige Worte.«

Ich hatte deutlich gesehen, daß es blitzschnell über sein Gesicht zuckte. Suef war wie erschrocken in seine vorige kauernde Stellung zurückgesunken. Ich wußte nun, woran ich war, und sagte:

»Es ist ein Gemisch von Türkisch, Serbisch und Rumänisch.«

»Aber zu welchem Zweck denn? Warum hat der Schreiber sich nicht einer einzigen Sprache bedient?«

»Weil der Inhalt dieses Zettels nicht für Jedermann bestimmt ist. Der Schut und seine Bekannten bedienen sich einer Geheimschrift unter sich. Sie entnehmen die Worte den genannten drei Sprachen und setzen die Silben zwar nach einer bestimmten Regel, aber doch scheinbar so wirr durch einander, daß ein Uneingeweihter sie nicht zu lesen vermag.«

»Scheïtan – Teufel!« erklang es leise aus Suef's Munde.

Er hatte seine Überraschung doch nicht ganz bemeistern können. Sein Ausruf sagte mir, daß ich das Richtige getroffen habe, obgleich ich nur eine Vermuthung ausgesprochen hatte.

»Aber Du hast es doch lesen können!« meinte Habulam, indem seine Stimme vor innerer Aufregung zitterte.

»Allerdings.«

»So bist Du also ein Verbündeter des Schut?«

»Du vergissest, daß ich ein Abendländer bin.«

»Du willst sagen, daß Ihr klüger seid, als wir?«

»Ja.«

»Herr, das klingt sehr stolz!«

»Es ist nur die Wahrheit. Für Euch ist diese Geheimschrift hinreichend; für uns aber ist sie, weil so tölpelhaft ersonnen, sehr leicht zu enträthseln.«

»Aber wie lautet denn eigentlich der Inhalt dieser mir unverständlichen Worte?«

Er wollte sich nur überzeugen, ob ich diesen Inhalt kenne; denn er selbst konnte die Schrift ja lesen.

»Er lautet: Sehr schnell Nachricht in Karanorman-Khan; aber nach dem Jahrmarkt in Menelik.«

»Also so ist es zu lesen!« sagte er im Ton kindischer Verwunderung. »Ist dieser Zettel denn für Dich so wichtig, daß Du mich bittest, ihn nicht zu verlieren?«

»Ja; denn ich suche den Schut und hoffe ihn mit Hülfe des Zettels zu finden.«

»So warst Du auf dem Jahrmarkt in Menelik und willst nun nach Karanorman-Khan?«

Ich bejahte bereitwillig und so unbefangen, als ob ich mich gern ausfragen ließe. Er ließ sich täuschen und erkundigte sich weiter:

»Wer hat denn diesen Zettel geschrieben?«

»Ein Bekannter von Dir, nämlich Hamd el Amasat. Er ist ja der Bruder von Barud el Amasat, welcher in dieser Nacht bei Dir gewesen ist.«

»Und dennoch habe ich noch niemals Etwas von ihm gehört. Wo ist er denn?«

»Er war in dem Geschäft des Kaufmannes Galingré in Skutari. Jetzt aber ist er von demselben fort, um zu dem Schut zu gehen, bei welchem er mit seinem Bruder Barud zusammentreffen will.«

»Woher weißt Du das?«

»Der Zettel sagt es mir.«

»Effendi, Du bist ein kluger Kopf. Was Du mir von dem bösen Blick erzählt hast, das war nur darauf berechnet, mich zu täuschen. Du besitzest den bösen Blick gar nicht. Alles hat Dein Scharfsinn Dir gesagt; das weiß ich jetzt genau. Vermuthlich wirst Du auch noch das richtige Karanorman-Khan finden, welches Du suchest.«

»Ich habe es bereits gefunden.«

»O nein! Dasjenige, von welchem Du sprachst, ist das falsche.«

»Habulam, Du hast soeben eine große Dummheit begangen.«

»Ich wüßte nicht, welche, Effendi!«

»Du hast Dich selbst Lügen gestraft. Vorhin behauptetest Du, den Schut nicht zu kennen, und jetzt hast Du zugegeben, daß Du weißt, wo er wohnt.«

»Ah! Kein Wort habe ich gesagt.«

»O doch! Du hast mir gesagt, daß das Karanorman-Khan bei Weicza nicht das richtige sei; das heißt doch, daß der Schut dort nicht gefunden werden könne. Also mußt Du seinen wirklichen Aufenthalt wissen.«

»Herr, das ist nur eine Vermuthung, ein falscher Schluß von Dir!«

»Ich bin überzeugt, sehr richtig geschlossen zu haben.«

»Nun, selbst wenn Du richtig vermuthet hättest, darfst Du doch nicht behaupten, daß Du das richtige Karanorman-Khan gefunden habest. Jetzt weißt Du doch nur, daß dasjenige, welches Du kennst, das falsche ist.«

Er machte eine wichtige und überlegene Miene. Er hatte einen sehr vertraulichen Ton angeschlagen, und da ich ihm scheinbar in der größten Harmlosigkeit antwortete, so hätte ein Uneingeweihter denken können, wir seien die besten Freunde und unterhielten uns über irgend einen sehr neutralen Gegenstand. Er legte bedächtig den Finger auf die Nase und fuhr dann fort:

»Du bist, wie ich jetzt einsehe, sehr nachsichtig mit uns gewesen. Ich wollte, ich könnte Dir von Nutzen sein für Deine Reise. Darum sage ich Dir: ich vermuthe, daß es mehrere Orte jenes Namens gibt, und will Dir einen sehr guten Rath ertheilen. Gehe in Uskub zur Behörde und laß Dir dort ein Fihristi mekian vorlegen und Du wirst dann gleich sehen, wie viele Karanorman-Khan es gibt und wo sie liegen.«

»Auch ich habe den gleichen Gedanken gehabt, doch bin ich jetzt entschlossen, es nicht zu thun, denn das Reich des Padischah wird sehr schlecht verwaltet. Ich bin überzeugt, daß es in einer so bedeutenden Stadt wie Uskub entweder gar kein Ortsverzeichniß gibt, oder daß es nichts taugt. Ich reite gar nicht nach Karanorman-Khan.«

»Wohin denn, Effendi?«

»Ich verwandle das o in ein i und das m in ein w und reite also nach Karanirwan-Khan.«

Ich sagte das langsam und mit besonderer Betonung. Da ich ihn dabei scharf anblickte, sah ich, daß er die Farbe wechselte und sich wie erschrocken mit der Hand an den Kopf fuhr.

»Scheïtan – Teufel!« erklang es abermals leise von Suef her.

Auch dieser Ausruf bewies mir, daß ich auf der richtigen Spur war.

»Gibt es denn einen Ort, welcher diesen Namen führt?« fragte Habulam langsam und mit gepreßter Stimme.

»Nirwan ist ein persisches Wort; also sollte man diesen Ort wohl eigentlich in der Nähe der persischen Grenze suchen. Aber weißt Du, was aLissan ramaki ist?«

»Nein, Effendi.«

»So kann ich Dir auch nicht erklären, warum ich aus der Zusammensetzung dieses Wortes vermuthe, daß der Ort den Namen von seinem Besitzer erhalten hat.«

»Vielleicht verstehe ich es doch!«

»Schwerlich. Der Mann ist ein Nirwani, ein Mann aus der persischen Stadt Nirwan. Er hat schwarzes Barthaar gehabt und wurde darum Kara, der Schwarze, genannt. Sein hiesiger Name lautet also Karanirwan. Er baute ein Einkehrhaus, einen Khan, und es ist also sehr leicht zu begreifen, daß dieses Haus nach seinem Besitzer Karanirwan-Khan genannt wurde und noch heute so genannt wird.«

»Scheïtan – Teufel!« hauchte es abermals von Suef her.

Murad Habulam wischte sich den Schweiß von der Stirn und meinte:

»Es ist wunderbar, wie Du Dir aus einem Namen gleich so eine ganze Geschichte machen kannst! Ich befürchte nur, daß Du Dich täuschest.«

»Und ich möchte darauf schwören, daß dieser Khan nicht in einer Stadt oder in einem Dorf liegt.«

»Warum?«

»Weil in diesem Fall der Name dieser Stadt oder dieses Dorfes auf dem Zettel genannt wäre. Das Haus liegt an einem einsamen Ort, und es würde also unnütz sein, in einem Ortsverzeichniß nachzuschlagen.«

»Wenn es so einsam liegt, wirst Du es niemals finden. Du bist ein Fremder und hast wohl auch keine Zeit, Dich so lange hier zu verweilen, als nöthig wäre, um so umfassende Nachforschungen anzustellen.«

»Du irrst; ich hoffe, den Khan sehr leicht zu finden. Kennst Du im weiten Umkreis von Kilissely einen Perser?«

»Nein.«

»Das glaube ich Dir gern. Im Land der Skipetaren sind die Perser so selten, daß, wenn es ja irgendwo einen gibt, Jedermann von ihm gehört hat, zumal die Perser Schiiten sind und die religiösen Gewohnheiten dieses Mannes ihn weithin bekannt machen müssen. Ich brauche mich also während unsers Rittes nur nach einem Perser zu erkundigen.«

»Aber er kann weit, sehr weit aus Deiner Richtung wohnen, so daß die Leute, welche Du triffst, gar nichts von ihm wissen.«

»Er wohnt aber ganz gewiß in dieser Richtung.«

»Wie willst Du das wissen?«

»Der Zettel sagt es mir.«

»Herr, das begreife ich nicht. Ich habe ihn doch auch gelesen, Wort für Wort, und doch nichts gefunden.«

»O, Murad Habulam, welch' eine riesige Dummheit hast Du eben jetzt wieder begangen!«

»Ich?« fragte er erschrocken.

»Ja, Du! Hast Du nicht vorhin gesagt, die Schrift des Zettels, die Geheimschrift, könntest Du nicht lesen? Und jetzt behauptest Du, den Zettel Wort für Wort gelesen zu haben. Wie stimmt Beides zusammen?«

»Herr,« erwiderte er verlegen, »ich habe es gelesen, aber nicht verstanden.«

»Du sagst doch, Du habest nichts gefunden! Und der Zettel enthält nur Silben, Du sprichst aber ›Wort für Wort‹. Murad Habulam, merke Dir, daß ein Lügner ein sehr gutes Gedächtniß haben muß, wenn er nicht mit sich in Widerspruch gerathen will. So höre also! Ich habe Dir bereits gesagt, daß der Zettel mir Alles verräth. Derselbe wurde von Hamd el Amasat in Skutari geschrieben, und zwar an seinen Bruder Barud el Amasat in Edreneh. Der Erstere schreibt dem Letzteren, daß er zu ihm kommen und über Menelik reisen solle. Hamd el Amasat will ihm bis Karanirwan-Khan entgegen kommen. Nun sage mir, ob zu erwarten ist, daß diese Beiden große und unnütze Umwege machen werden?«

»Nein, das thun sie nicht.«

»Sie werden also die kürzeste, also die geradeste Linie verfolgen?«

»Gewiß, Effendi.«

»Diese Linie geht also von Edreneh über Menelik nach Skutari, und auf ihr muß zwischen den beiden letztgenannten Orten Karanirwan-Khan liegen. Das ist für mich so sicher, als ob ich es bereits liegen sähe.«

»Scheïtan – Teufel!« erklang es nun zum vierten Male leise von Suef her. Der Pseudo-Schneider schien diesen Lieblingsausdruck sich angewöhnt zu haben. Ich that aber, als hätte ich es nicht gehört. Dieser abermalige Stoßseufzer war mir wiederum ein Beweis, daß ich mich nicht irrte.

»Effendi,« meinte Habulam, »was Du sagst, das klingt ganz gut, und ich wünsche auch, daß Du das Richtige getroffen habest; aber ich glaube es nicht. Sprechen wir lieber von etwas Anderem! Willst Du das Gift und die Brocken von der Eierspeise wirklich mit nach Uskub nehmen? Ich habe ja meine Strafe bezahlt und auch zwei Streiche bekommen, welche mich ganz entsetzlich schmerzen; dabei könntest Du es bewenden lassen.«

»Du hast Deine Strafe bezahlt, uns aber später ausgelacht. Jetzt aber wirst Du einsehen, daß Euer Hohnlächeln ein unnützes war. Ich werde den Khan ohne Euch finden. Aber daß Ihr es gewagt habt, Euch über uns lustig zu machen, das muß bestraft werden. Ich bin nicht der Mann, der mit sich Komödie spielen läßt. Ich gebe in Uskub das Gift und die Brocken in die Apotheke der Polizei.«

»Ich will den Armen noch hundert Piaster geben, Effendi.«

»Und wenn Du tausend bietest, so weise ich sie zurück.«

»Ich bitte Dich, nachzudenken, ob es wirklich nichts gibt, was Dich veranlassen könnte, von Deinem Vorhaben abzustehen.«

»Hm!« brummte ich nachdenklich.

Das gab ihm Hoffnung. Er sah, daß ich mich wenigstens noch besann.

»Denke nach!« wiederholte er dringlicher.

»Vielleicht – ja – vielleicht ließe sich ein Ausgleich finden. Sage mir vorher, ob es hier in dieser Gegend schwer ist, Dienstleute zu bekommen.«

»Leute, welche in Dienst treten wollen, gibt es genug,« antwortete er rasch.

»So fällt es Dir wohl auch nicht schwer, Knechte oder Mägde zu bekommen?«

»Gar nicht. Ich brauche nur zu wollen.«

»Nun, so wolle einmal!«

»Wie meinst Du das?«

»Siehe dort die Leute! Sie wünschen, von Dir entlassen zu werden.«

Das hatte er nicht erwartet. Er drehte sich um und warf den Knechten und Mägden einen drohenden Blick zu. Dann fragte er mich:

»Woher weißt Du es?«

»Sie haben es mir gesagt.«

»Allah! Ich werde ihnen die Peitsche geben lassen!«

»Das wirst Du nicht thun. Hast Du sie nicht selbst geschmeckt? Ich ermahne Dich, in Dich zu gehen und einen andern Wandel zu beginnen. Warum willst Du diese Leute nicht entlassen?«

»Weil es mir nicht gefällt.«

»Nun, so lasse es Dir desto besser gefallen, daß ich das Gift mit nach Uskub nehme. Halef, sind die Pferde bereit?«

»Ja, Effendi,« antwortete der Gefragte. »Wir brauchen sie nur vorzuführen. Janik wird auch schon angespannt haben.«

»So wollen wir aufbrechen. Fahrt mich hinab vor das Thor!«

»Halt!« rief Habulam. »Was bist Du doch für ein jähzorniger Mensch, Effendi!«

»So mache es kurz,« erwiederte ich. »Gib Deinen Leuten den Lohn, und sie mögen gehen!«

»Ich thäte es, aber ich kann doch nicht ohne passende Dienstboten sein!«

»So nimm einstweilen Taglöhner an. Ich habe keine Zeit, noch lange zu verhandeln. Hier sind die Schriften, welche ich verfaßt habe. Lies sie durch, um sie dann zu unterschreiben.«

Er nahm die Papiere entgegen und setzte sich nieder, um sie bedächtig durchzulesen. Der Inhalt behagte ihm nicht; es gab noch manches Für und Gegen, aber ich gestattete keine Änderung, und endlich unterschrieb er doch. Halef trug die beiden Zeugnisse und auch das Geständniß hinaus, um diese Dokumente Janik zu geben.

»Und nun, wie steht es mit den Leuten?« fragte ich.

Habulam antwortete nicht sofort. Da aber rief Suef ihm zornig zu:

»Lasse sie doch zum Scheïtan gehen! Du kannst Andere bekommen, welche nicht wissen, was gestern und heute geschehen ist. Jage sie fort! Und je weiter sie gehen, desto besser ist es!«

Das gab den Ausschlag. Humun ging, um das Geld zu holen, und ich blieb, bis er ausgezahlt hatte. Dann gab ich ihm das Gift nebst den Brocken und ließ die Pferde vorführen.

Man kann sich denken, daß es keinen zärtlichen Abschied zwischen uns und unserm Wirth gab. Er entschuldigte sich, daß er mich nicht bis vor die Thüre begleiten könne, da seine Füße wund seien.

»Du hast erfahren,« sagte ich, »daß Allah es vermag, selbst die größte Lüge zur Wahrheit zu machen. Du sagtest gestern, als wir kamen, daß Du nicht gehen könntest; das war eine Lüge. Heute ist sie zur Wahrheit geworden. Ich will Dich nicht ermahnen, Dir dieses zur Lehre dienen zu lassen. Ist Dein Herz vollständig verhärtet, so bin ich nicht im Stande, es zu erweichen. Was nun Deine Gastfreundschaft betrifft, so habe ich Dir nicht zu danken. Suef sollte mich in ein öffentliches Gasthaus bringen; er hat mich getäuscht und uns zu Dir geführt. Im Gasthause würde ich bezahlen; Dir aber biete ich nichts an. Alles in Allem genommen, sind wir heute quitt, und ich hoffe, daß nicht etwa eine neue Rechnung aufläuft.«

»Aber wir sind noch nicht quitt!« rief Suef mir grimmig zu. »Du wirst mir die heutige Rechnung zahlen.«

»Sehr gern! Jedenfalls wieder in Hieben!«

»O nein! Das nächste Mal werden Kugeln ausgetheilt!«

»Auch das ist mir recht. Ich bin vollständig überzeugt, daß wir uns wiedersehen werden. Ich habe Dich kennen gelernt und kann mich nicht mehr in Dir irren.«

»O, Du kennst mich noch lange nicht!« höhnte er.

»Das wird sich später zeigen. Ich weiß sehr genau, daß Du wenige Minuten nach mir dieses Haus verlassen wirst – –«

»Kann ich etwa gehen?«

»Nein; Du wirst reiten.«

»Mann, Du bist allwissend! Wenn Du wirklich so klug bist, wie Du thust, so sage mir doch, wohin ich reiten werde.«

»Den Andern nach.«

»Wozu?«

»Um ihnen zu melden, daß ich Karanirwan suche. Grüße sie von mir, und sage ihnen, daß sie beim nächsten Male nicht im Wasser, sondern vielleicht im Blute stehen werden aber freilich in ihrem eigenen.«

Osco schob mich hinaus. Draußen standen die Pferde, und wir stiegen auf. Auch der Wagen mit Janik und Anka hielt vor der Thüre. Ihre wenigen Sachen hatten sie hinter sich liegen, und ihre Gesichter glänzten vor Freude.

»Wir reiten erst zu dem Ort, an welchem die Pferde gestanden haben, und kommen Euch dann nach,« rief ich ihnen zu.

Der Knecht, welcher uns führen wollte, stand bereit. Wir kamen gar nicht in das Dorf, und in fünf Minuten hatte er uns an die Stelle gebracht und nahm dann Abschied. Als er mir die Hand reichte, fragte ich ihn noch, um die Hauptsache nicht zu vergessen, wie viele Männer von da fortgeritten seien. Es waren fünf, aber nur Manach el Barscha, den Bruder Habulam's, kannte er. Ich ließ mir die andern Vier beschreiben; Barud el Amasat, der alte Mübarek und die beiden Aladschy waren es gewesen. Der verwundete Mübarek hatte ganz stramm im Sattel gesessen: – der Alte mußte wirklich eine Nilpferd-Natur besitzen.

Ich wollte meines Fußes wegen nicht selbst absteigen und beauftragte also die Anderen, die zahlreichen Hufspuren genau zu untersuchen.

»Wozu soll das nützen?« fragte Osco.

»Die Pferde wieder zu erkennen. Vielleicht kommen wir in die unangenehme Lage, nicht genau zu wissen, wen wir vor uns haben. In diesem Falle wäre es von großem Vortheil, wenn eines der Pferde irgend eine Eigenthümlichkeit am Huf hätte, welche sich der Spur eindrückt. Wir würden das Pferd dann später an der Hufspur erkennen.«

Es war ein Rasenplatz, auf welchem wir uns befanden. Im Schatten mehrerer riesiger Platanen standen zahlreiche Sträucher und Bäumchen von Quitten, zwischen denen der Boden zertreten war. Spuren gab es also genug, aber keine einzige, welche etwas so Charakteristisches gehabt hätte, um sie später unter anderen heraus zu suchen. Wir brachen also unverrichteter Sache wieder auf.

Der Regen hatte den Boden so tief erweicht, daß es außerordentlich leicht war, den Spuren zu folgen. Sie führten nach der Straße, auf welcher man über Guriler und Kavadschinova nach Uskub kommt. Selbst auf dieser Straße war die Fährte deutlich zu erkennen, da der Schlamm hoch lag und es keinen Verkehr gegeben hatte.

Wir erreichten den Wagen des glücklichen Paares sehr bald, und nun, da keiner der Bewohner des Schlosses es sehen konnte, gab ich dem erstaunten Janik die tausend Piaster Habulam's als Hochzeitsgeschenk. Der brave Bursche sträubte sich zwar, auch dieses Geschenk noch zu nehmen, aber er mußte es doch endlich zu sich stecken. Beide flossen in Dankesworten über. Wir hatten eben zwei Menschen glücklich gemacht, und das wog die Widerwärtigkeiten der letzten Vorfälle reichlich auf.

Der Schmutz der Straße war so dick, daß wir nur langsam reiten konnten. Wo es irgend ein Wässerlein gab, da war es über die Ufer getreten. Glücklicher Weise lachte über uns ein freundlicher Himmel.

Halef trachtete, an meine Seite zu kommen, und begann:

»Du willst unsere Gegner überholen, Sihdi; wird uns das gelingen?«

»Nein, denn ich bin entschlossen, es nicht zu thun. So lange ich glaubte, daß das beiderseitige Ziel Karanorman bei Weicza sei, mußte ich es für einen Vortheil für uns halten, dort eher als unsere Feinde anzukommen. Seit es sich aber herausgestellt hat, daß ich mich irrte, ist uns unser Ziel vollständig unbekannt, und wir müssen, wie bisher, ihren Spuren folgen. Ich denke aber, daß es mir bald gelingen wird, zu erfahren, wo Karanirwan-Khan liegt.«

»Jedenfalls hinter Uskub. Meinst Du nicht?«

»Ja, denn sonst müßte es zwischen hier und dieser Stadt liegen, und das halte ich für ganz unwahrscheinlich.«

»Ist Uskub groß?«

»Ich schätze, daß es nicht viel unter dreißigtausend Einwohner hat.«

»Da werden wir die Spuren der Verfolgten verlieren.«

»Stambul ist noch viel, viel größer, und haben wir dort nicht gefunden, was wir suchten? Ich vermuthe übrigens, daß wir Uskub gar nicht betreten werden, weil unsere fünf Lieblinge die Stadt meiden werden. Es ist für sie zu gefährlich dort. Du mußt bedenken, Halef, daß Manach el Barscha dort Steuereinnehmer gewesen ist. Man hat ihn aus dem Amt gejagt; es ist also anzunehmen, daß er irgend eine Schuld auf sich geladen hatte, und so wird er sich jedenfalls scheuen, sich dort sehen zu lassen. Möglich wäre es freilich, daß sie wegen des alten Mübarek die Stadt besuchen würden, damit ein zuverlässiger Chirurg ihm die Wunden verbände. Wir müssen eben auf beide Fälle gefaßt sein. Das Wahrscheinlichste ist jedoch, daß sie in einem weiten Bogen um Uskub reiten und jenseits wieder nach der Straße von Kakandelen einlenken. Wenn ich richtig ahne, so ist Karanirwan-Khan hinter diesem letzteren Ort in den einsamen Thälern des Schar Dagh zu suchen.«

Wir hatten jetzt den Kriva Rjeka erreicht, dessen angeschwollene Fluthen weit über die Ufer schäumten. Wenn die Nebenflüsse des Wardar solche Wassermassen von den Bergen brachten, so mußte der Hauptfluß in wahrhaft gefährlicher Weise angeschwollen sein. Es war gar nicht ungefährlich, über die alte Brücke zu kommen, welche beinahe überspült wurde und deren Pfeiler unter der Gewalt der andrängenden Wogen zu wanken schienen. Das Wasser stand an ihren beiden Ausgängen über eine Elle hoch auf der Straße. Das gestrige Gewitter schien sich über das ganze Gebiet des Schar Dagh und Kurbecska Planina entladen zu haben.

Wir befanden uns jetzt in Mitten der wegen ihrer Fruchtbarkeit berühmten Ebene von Mustafa und erreichten nach einer guten halben Stunde das Dorf Guriler, welches am rechten Nebenarm des Kriva Rjeka liegt.

Auch dieser war über die Ufer getreten und schien ziemliches Unheil angerichtet zu haben. Die Bewohner standen außerhalb ihrer Häuser im Wasser, sie arbeiteten mit aller Anstrengung daran, dasselbe einzudämmen.

Um nach Uskub zu kommen, hätten wir unsere bisherige Richtung bis Karadschi Nova einhalten müssen. Die Straße führte in beinahe gerader Linie weiter.

Hier, wo so viele Leute gegangen, waren die Spuren verwischt, denen wir folgten. Dieselben konnten erst wieder Meines Wissens gab es keine zweite Straße, welche von hier irgend wohin abzweigte. Sollten die Gesuchten sich etwa noch in dem Dorf befinden? Es gab einen kleinen Konak darin. Wir hatten das Haus gesehen, waren aber an demselben vorüber geritten. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als zurückzureiten und mich zu erkundigen.

Das Haus stand so hart am Wasser, daß dieses beinahe die Thüre erreichte. Ein Mann war davor beschäftigt, einen Damm zu errichten. Als ich ihn grüßte, dankte er mir kaum und warf mir nur einen halben, höchst unfreundlichen Blick zu.

»Es ist da ein schlimmer Gast bei Euch eingekehrt,« sagte ich, auf das Wasser deutend.

»O, es gibt noch schlimmere Gäste,« antwortete er in anzüglichem Ton.

»Was kann schlimmer sein, als Feuer- und Wassersnoth?«

»Die Menschen.«

»Hoffentlich hast Du diese Erfahrung nicht selbst gemacht.«

»Sehr oft schon, und zwar heute wieder.«

»Heute? Bist Du der Wirth dieses Hauses?«

»Ja. Willst Du etwa bei mir einkehren? Ich habe Euch vorüber kommen sehen. Warum kehrst Du zurück? Reite getrost weiter!«

Er stützte sich auf seine Hacke und betrachtete mich mißtrauisch von der Seite her. Der Mann hatte ein offenes, ehrliches Gesicht und sah gar nicht wie ein Menschenfeind aus. Sein zurückweisendes Verhalten mußte einen besonderen Grund haben, den ich ahnte; darum sagte ich:

»Deine Seele scheint gegen mich eingenommen worden zu sein. Womit habe ich die Unhöflichkeit verdient, mit welcher Du mir antwortest?«

»Tschelebilik düzen kischünün dir, das ist wahr; aber es gibt Leute, denen gegenüber dieses Sprichwort nicht angewendet ist.«

»Zählst Du mich zu diesen Leuten?«

»Ja.«

»So sage ich Dir, daß Du Dich in einem großen Irrthum befindest. Man hat mich bei Dir verleumdet.«

»Woher weißt Du, daß man von Dir gesprochen hat?«

»Ich schließe es aus Deinem Verhalten.«

»Eben dieses Dein Mißtrauen sagt mir, daß man mich nicht belogen hat. Reite also weiter! Ich habe nichts mit Dir zu schaffen.«

»Aber ich mit Dir! Ich bin ein ganz Anderer, als man mich Dir beschrieben hat.«

»Gib Dir keine Mühe! Ich kenne Dich,« sagte er mit einer verächtlichen Handbewegung. »Wenn Du klug bist, so verläßt Du das Dorf. Du befindest Dich nicht in einem abgelegenen Ort, wo man Dich und die Deinen zu fürchten hat, weil man nicht auf Hülfe rechnen kann. Da, schau den Mann an! Du siehst, daß sich Männer des Padischah bei mir befinden.«

Es war ein halb und halb militärisch gekleideter Mann unter die Thüre getreten. Die Ähnlichkeit zwischen den Beiden ließ errathen, daß sie Brüder seien. Auch er sah mich an wie einen Menschen, dem man keine Freundlichkeit entgegen zu bringen braucht.

»Was gibt es? Was will dieser Fremde?« fragte er den Wirth.

»Ich weiß es nicht,« antwortete dieser. »Ich mag es auch gar nicht wissen. Ich habe ihm bereits gesagt, daß er weiter reiten soll.«

»Das werde ich auch thun,« antwortete ich. »Aber ich beabsichtige, eine Erkundigung einzuziehen, und ich hoffe, daß Ihr mir eine höfliche Frage beantworten werdet.«

»Das werden wir thun, wenn Deine Frage eine solche ist, die man beantworten kann,« meinte der Soldat. »Ich bin Hekim askeri in Uskub und befinde mich hier bei meinem Bruder auf Besuch. Das will ich Dir sagen, bevor Du fragst.«

Jetzt war mir Alles klar. Darum fragte ich:

»Es sind heute morgen fünf Reiter bei Euch eingekehrt?«

Er bejahte.

»Der Eine war verwundet, und Du hast ihn verbunden?«

»So ist es. Weißt Du vielleicht, wer ihn verwundet hat?«

»Ich selbst.«

»So ist es richtig, was diese Leute uns erzählt haben.«

»Was haben sie denn erzählt?«

»Das wirst Du viel genauer wissen, als wir. Wenn Du weiter nichts zu fragen hast, so sind wir mit Dir fertig.«

Er wendete sich ab.

»Halt, warte noch!« sagte ich. »Ich kann mir allerdings denken, daß man Euch belogen hat, aber in welcher Weise dies geschehen ist, weiß ich nicht. Da Du ein Arzt in Diensten des Sultans bist, so wirst Du lesen können. Sieh' Dir einmal dieses Papier an.«

Ich zog meinen Ferman hervor und überreichte ihm denselben. Kaum war sein Blick auf die Schrift und auf das Siegel gefallen, so machte er eine tiefe Verbeugung und sagte erstaunt:

»Das ist ja das Siegel und die Unterschrift des Großveziers! Ein solches Dokument wird nur mit der besonderen Erlaubniß des Padischah ausgefertigt.«

»Allerdings! Und ich freue mich, daß Du dies so genau weißt.«

»Und Du bist der rechtmäßige Besitzer dieses Fermans?«

»Ja; überzeuge Dich, indem Du das Signalement mit meiner Person vergleichst.«

Er that dies, schüttelte den Kopf und sagte zu seinem Bruder:

»Es scheint, wir haben diesem Effendi Unrecht gethan. Er ist nicht das, wofür man ihn ausgegeben hat.«

»Ich bin überzeugt, daß man Euch eine Unwahrheit über mich gesagt hat,« stimmte ich bei. »Vielleicht habt Ihr die Güte, mir mitzutheilen, was von mir gesprochen wurde.«

»Du bist also wirklich ein Effendi aus Alemanja, dem Lande, welches der ruhmreiche Kaiser Guillem beherrscht?«

Als ich bejahte, fuhr er fort:

»Hier hast Du Deinen Ferman zurück. Wir sind wirklich belogen worden; man hat uns glauben lassen, daß Ihr Räuber seid.«

»So etwas Ähnliches habe ich vermuthet. Aber dieselben Leute, welche bei Euch einkehrten, sind Räuber,« erwiederte ich.

»Sie verhielten sich aber ganz anders.«

»Ist das zu bewundern? Sie brauchten Deine Hülfe; da mußten sie höflich sein.«

»Und es war einer dabei, den ich kannte.«

»Manach el Barscha?«

»Ja. Er war früher Einnehmer der Kopfsteuer in Uskub.«

»Bist Du ihm etwa große Rücksicht schuldig? Er ist doch abgesetzt worden!«

»Ja, aber er braucht nicht ein Räuber geworden zu sein!«

»Er ist einer. Hast Du vielleicht einmal von den beiden Aladschy gehört?«

»Sehr oft. Es sind zwei Wegelagerer, welche das ganze Gebiet von den Kerubi- und Bastrikbergen bis zur Dovanitza Planina unsicher machen. Man hat sich vergebens Mühe gegeben, sie zu fangen. Warum fragst Du mich nach diesen Menschen?«

»Weil sie hier waren. Hast Du nicht die Pferde der fünf Reiter betrachtet?«

»Ja. Es waren zwei Schecken dabei, zwei prachtvolle Pferde, welche – –«

Er hielt inne und blickte mich verlegen an. Sein Mund stand offen. Es war ihm der richtige Gedanke gekommen.

»Nun, sprich doch weiter!« forderte ich ihn auf.

»Allah!« rief er aus. »Was fällt mir da ein! Diese beiden Räuber reiten scheckige Pferde, weßhalb sie eben Aladschy genannt werden.«

»Nun, was folgt daraus?«

»Daß sie es gewesen sind, die hier einkehrten!«

»Richtig! Ihr habt die beiden Aladschy bei Euch aufgenommen, und die anderen Drei sind die nämlichen Schurken.«

»Das hätte ich nicht gedacht! Sie selbst sind Räuber und Dich, Dich haben sie so schlecht gemacht. Sie gaben Euch für Kimesneler daghlarde aus und sagten, sie seien mit Euch im Konak von Kilissely zusammengetroffen. Infolge eines Zankes hättet Ihr ihnen aufgelauert und auf sie geschossen. Ich habe den Alten, welcher von zwei Kugeln in den Arm getroffen worden war, verbunden.«

In Kürze erzählte ich ihm den Vorfall und erfuhr dann von ihm, die fünf Genossen seien nach Uskub aufgebrochen.

»Aber ich sehe auf der Straße ihre Spuren nicht,« bemerkte ich.

»Sie schlugen den Weg ein, welcher nach Rumelia führt,« lautete die Antwort. »Sie meinten, infolge des Regens sei es auf der Straße zu schmutzig. Nach Rumelia zu können sie immer auf Grasflächen reiten.«

»Aber sie machen einen Umweg, welcher für einen Verwundeten ganz bedeutend ist. Ich sage Dir, daß sie gar nicht nach Uskub reiten wollen. Dort würden sie Gefahr laufen, festgenommen zu werden. Sie sind es, welche vor uns fliehen. Darum haben sie Euch belogen, damit Ihr uns nicht verrathen sollt, wohin sie geritten sind. Ist der Weg von hier nach Rumelia schwer zu finden?«

»Durchaus nicht. Er zieht sich noch kurze Zeit an dem Fluß hin und biegt dann rechts ab. Du wirst den Spuren der fünf Reiter leicht folgen können, denn der Boden ist weich.«

Nun verabschiedete ich mich und kehrte zu meinen wartenden Gefährten zurück.

»Unsere Gegner werden nicht nach Uskub gehen; sie sind nach Rumelia geritten.«

»Nach Rumelia?« fragte Janik. »So haben sie die Straße verlassen. Willst Du ihnen etwa folgen, Effendi?«

»Ja; wir werden uns also hier trennen müssen.«

Der Abschied von dem dankbaren Brautpaar war rührend.

Als wir nun anstatt nach Nordwest genau in westlicher Richtung ritten und das Dorf hinter uns hatten, konnten wir die Spuren der Fünf deutlich in dem grasigen Grund erkennen. Einen eigentlichen Weg gab es nicht.

»Kennst Du dieses Rumelia?« fragte mich Halef, welcher sich wieder an meiner Seite hielt.

»Nein. Ich weiß nur, daß es ein Dorf ist; ich bin ja hier noch niemals gewesen. Vermuthlich liegt dieser Ort an der Straße, welche von Köprili längs des Wardar nach Uskub führt. Jenseits ist die Eisenbahn.«

»Ah! Da könnten wir vielleicht einmal mit der Bahn fahren. Wenn ich zu Hanneh, der Schönsten der Töchter, zurückkehre, würde ich stolz sein, ihr sagen zu können, daß ich auch einmal in einem Wagen gesessen habe, welcher mit Rauch gezogen wird.«

»Nicht mit Rauch, sondern mit Dampf.«

»Das ist doch dasselbe?«

»Nein; den Rauch kannst Du sehen, während der Dampf unsichtbar ist.«

»Wenn der Dampf nicht gesehen werden kann, wie weißt Du da, daß es Dampf gibt?«

»Kannst Du Musik sehen?«

»Nein, Sihdi.«

»Also gibt es nach Deiner Meinung keine Musik. Es ist nicht gut möglich, Dir das Wesen und die Wirkungen des Dampfes zu erklären. Um mich zu verstehen, müßtest Du die nöthigen Vorkenntnisse besitzen.«

»Sihdi, willst Du mich beleidigen? Habe ich nicht oft bewiesen, daß ich Vorkenntnisse besitze?«

»Aber keine physikalischen.«

»Welche sind das?«

»Die sich auf die Kräfte und Gesetze der Natur beziehen.«

»O, ich kenne alle Kräfte und Gesetze der Natur. Wenn mich Einer beleidigt, so ist es doch ein sehr einfaches Naturgesetz, daß er dafür eine Ohrfeige bekommt. Und wenn ich sie ihm dann ertheile, so ist es meine Naturkraft, mit welcher ich sie ihm gebe. Oder habe ich etwa nicht Recht?«

»Du hast oft Recht, auch wenn Du Unrecht hast, mein lieber Halef. Übrigens thut es mir leid, daß Du Hanneh, der Blume der Frauen, nicht erzählen kannst, daß Du in einem Wagen der Eisenbahn gefahren bist.«

»Warum nicht?«

»Erstens weiß ich nicht, ob die Bahn jetzt in Betrieb steht, und zweitens müssen wir unseren Feinden folgen. Diese fahren nicht, also ist auch uns dieses Vergnügen versagt.«

Der Weg war jetzt leidlich, und so kamen wir ziemlich rasch vorwärts. Nach einer halben Stunde sahen wir das Dorf vor uns liegen. Links zog sich die Straße von Köprili über Kapetanli Han heran, und rechts führte sie nach Uskub weiter.

Indem ich meinen Blick längs dieser Straße hingleiten ließ, sah ich einen Reiter, welcher in gestrecktem Galopp von Kapetanli Han herzukommen schien. Wer in diesem tiefen Schmutz so scharf ritt, der mußte es sehr eilig haben. Ich nahm mein Fernrohr zur Hand. Kaum hatte ich den Mann gesehen, so hielt ich dem Hadschi das Rohr hin. Er setzte es an und ließ es dann gleich wieder sinken.

»Allah!« rief er aus. »Das ist Suef, der sich für einen Schneider ausgab!«

Ich hatte also Recht, als ich ihm sagte, daß er Kilissely sofort nach uns verlassen würde.

»Reiten wir Trab,« sagte ich nun. »Er will die Andern warnen; das darf aber nicht geschehen. Er weiß, wohin sie sind.«

»Aber wir können ihm nicht zuvorkommen,« meinte Halef, »er ist bereits zu nahe an dem Dorf. Aber jenseits des Dorfes können wir ihn einholen.«

»Nur wenn eine Brücke über den Fluß führt. Geschieht aber das Übersetzen mittels Kahn oder Fähre, so gewinnt er einen Vorsprung. Ich werde voranreiten.«

Die Weichen meines Rappen berührte ich nur leise mit den Sporen, und sofort schoß er mit der Schnelligkeit eines Eilzuges vorwärts. Suef hatte uns bisher noch nicht gesehen. Jetzt aber bemerkte ich, daß er stutzte; dann holte er mit der Peitsche aus und schlug mit allem Eifer auf sein Pferd ein. Er hatte mich erkannt und wollte mir zuvorkommen.

Freilich war er dem Dorf näher als ich; aber sein Gaul konnte es unmöglich mit meinem Araber aufnehmen. Ich ließ einen Pfiff hören, und der Rappe verdoppelte seine Schnelligkeit. In einer Minute erreichte ich die Straße, auf welcher Suef heranritt, und befand mich zwischen ihm und dem Dorf. Die Furcht vor mir verbot es ihm, an mir vorüber zu reiten. Einen Umweg gab es nicht, da links von uns der Fluß mit hochgehenden gelben Wogen dahinschoß.

Ich blieb mitten auf der Straße halten, um meine Begleiter zu erwarten. Suef hielt auch an, und zwar ungefähr vierhundert Schritte hinter mir.

»Das hat Dein Rih gut gemacht, Sihdi!« lachte Halef, als er herankam. »Man sollte es nicht für möglich halten, daß ein Pferd so schnell sein könne. Aber was thun wir nun? Wirst Du mit dem Manne dort reden?«

»Kein Wort, wenn ich nicht dazu gezwungen werde.«

»Er trachtet uns aber doch nach dem Leben!«

»Wir haben ihn bestraft. Um weiter gegen ihn einschreiten zu können, müßten wir warten, bis er uns wieder neue Feindseligkeiten zufügt. Wir werden jetzt so thun, als ob wir ihn gar nicht kennen.«

»Wir haben doch einen großen Fehler begangen.«

»Welchen?«

»Daß wir ihm die Bastonnade gegeben haben. Nun kann er wenigstens noch reiten. Hätten wir ihm die Peitsche nicht auf die Füße, sondern dorthin gegeben, wo der Padischah seinen Thron berührt, wenn er sich auf denselben setzt, so könnte er weder gehen, noch reiten.«

»Wir hätten nichts dadurch gewonnen, denn der alte Murad Habulam würde einen andern Boten gesendet haben. Also vorwärts!«

Wir ritten weiter, und Suef folgte uns langsam. Gewiß war er sehr ergrimmt über unsere Dazwischenkunft.

Rumelia schien größer als Guriler zu sein. Es zog sich von der Straße bis an die Ufer des Flusses hinab. Der Wardar bot einen gefährlichen Anblick. Seine schmutzigen Wogen gingen hoch. Sie waren weit über die Ufer getreten und überschwemmten die anliegenden, mit Weiden bestandenen Wiesen. Jenseits des Flusses sahen wir die Eisenbahn. Es schien an dem Körper derselben gebaut zu werden. Wir sahen einen Bau-Zug langsam daherkommen. Zahlreiche Arbeiter waren mit Hacken und Schaufeln beschäftigt, und in der Nähe des Bahn-Dammes standen lange Bretterhütten, welche jedenfalls den Arbeitern zur einstweiligen Wohnung dienten.

Eine Brücke gab es nicht, sondern eine Fähre. Es war das ein breiter, schwerer Prahm, welcher an Seilen hing, die auf dem Grunde des Flusses verankert waren, und wurde von den Fährleuten mittelst starker Stangen fortbewegt.

»Was nun thun?« fragte Halef, als wir bei den ersten Häusern des Dorfes anhielten. »Setzen wir gleich über?«

»Nein,« antwortete ich. »Wir reiten bei Seite und warten, was Suef thun wird; dann folgen wir ihm dahin, wohin er reitet. Wir wissen nicht, wo Karanirwan liegt; er wird also unfreiwillig unser Führer sein.«

»Nein, Effendi; er wird klug genug sein, uns in die Irre zu führen.«

»Und wir werden uns nicht von ihm betrügen lassen. Du mußt bedenken, daß ihn seine Füße entsetzlich schmerzen. Er hat sie zwar im Bügel und braucht sie nicht anzustrengen; aber das Reiten verursacht ihm dennoch Qual. Er wird also sein Ziel baldigst zu erreichen suchen, und wenn er auch beabsichtigt, uns irre zu leiten, so wird er doch nicht allzu weit von seiner Richtung abschweifen.«

»Aber er wird alles Mögliche versuchen, um uns aus den Augen zu kommen!«

»So werden wir Alles thun, um es zu verhindern. Also machen wir uns auf die Seite!«

Wir ritten noch ein Stück weiter, so daß Suef in erwünschter Entfernung an uns vorüber und zur Fähre kommen konnte. Da blieben wir halten, doch so, daß ich mich mit dem Gesicht nach ihm befand. Wir thaten übrigens, als ob wir ihn gar nicht beachteten; doch konnte er sich denken, daß dies Verstellung von uns sei.

Sonderbarer Weise ritt er nicht nach der Fähre. Er drängte sein Pferd einmal vor und dann wieder zurück und sah aufmerksam hinüber nach der Eisenbahn, wie wenn das dortige Treiben ihn sehr interessirte.

»Er will nicht,« lachte Halef. »Er ist gescheiter als wir.«

»Wollen sehen. Er thut so, als ob er nur Augen für die Bahnarbeit habe, aber ich bemerke doch, daß er oft seitwärts blickt – hinüber zu jenem weiß getünchten Hause. Es befindet sich dort eine Stange vor der Thüre, wahrscheinlich zum Anbinden der Pferde. Vielleicht ist dieses Gebäude ein Khan, und er hat die Absicht, dort einzukehren. Thun wir also, als ob wir überfahren wollten.«

Wir ritten nach der Fähre. Es war aus Brettern ein Pfad gebildet, um trockenen Fußes über den überschwemmten Theil des Ufers zu gelangen. Da dieser Pfad nur für Fußgänger bestimmt war, mußten wir ein Stück durch das Wasser reiten, welches den Pferden bis an den Leib ging.

Die Überfahrt war eine nicht ganz unbedenkliche Sache. Der alte Prahm schien halb verfault zu sein. Die Seile, an denen er hing, waren verdächtig, und die Bedienungsmannschaft, bestehend aus einem alten Mann und drei halbwüchsigen Burschen, konnte kein großes Vertrauen einflößen. Dazu war der Wogengang sehr schwer. Der Fluß brachte allerlei schwimmende Gegenstände mit, welche er von den Ufern losgerissen hatte. Es hatten sich Wirbel gebildet, in welche man leicht gerathen konnte. Kurz und gut, als wir uns jetzt auf der Fähre befanden, war es mir ziemlich unheimlich zu Muth.

Der alte Fährmeister saß auf dem Rand und rauchte. Er betrachtete uns aufmerksam und nickte dann seinen drei Gehülfen verständnißvoll zu.

Ich hatte mich so gestellt, daß ich Suef im Auge behielt. Kaum befanden wir uns auf dem Prahm, so trabte er fort, auf das beschriebene Haus zu, stieg ab, band sein Pferd an und humpelte mühsam durch die Thüre.

»Halef und Osco, rasch auch hinein! Ihr müßt unbedingt erfahren, was er dort thut und spricht. Laßt ihn nicht aus den Augen!«

Die Beiden trieben ihre Pferde hurtig an das Ufer und ritten dem Hause zu. Keine halbe Minute später, nachdem Suef in dasselbe getreten war, gingen auch sie hinein.

Jetzt wendete ich mich an den Alten:

»Was haben vier Reiter zu bezahlen, um hinüber zu kommen?«

»Zwanzig Piaster,« antwortete er, mir die Hand entgegen haltend. Ich gab ihm mit der Peitsche einen gelinden Hieb auf dieselbe und sagte:

»Ich werde Dir gar nichts geben.«

»So bleibst Du hüben!«

»Nein, Du fährst uns über. Du hast den fünffachen Preis verlangt. Das muß bestraft werden. Du wirst uns überfahren und dann drüben für jeden Piaster einen Streich auf die Sohlen erhalten. Hier blicke in diesen Ferman des Großherrn! Da wirst Du sehen, daß ich kein Mann bin, der sich betrügen läßt.«

Er warf einen Blick auf das Siegel, nahm seine Pfeife aus dem Mund, legte die Hände über der Brust zusammen, verbeugte sich und sagte in unterwürfigem Ton:

»Herr, was Allah sendet, ist gut. Ich werde Euch überfahren und dafür zwanzig Streiche erhalten. Allah segne den Padischah und seine Kindeskinder!«

So geht es zu ›da hinten in der Türkei‹! Ich aber war kein Türke, zog zwanzig Piaster hervor, gab sie ihm und sagte:

»Die Hiebe werde ich Dir erlassen, denn ich habe Mitleid mit den Tagen Deines Alters. Der Fluß ist geschwollen und die Überfahrt ist schwer und gefährlich; da magst Du wohl etwas mehr als gewöhnlich verlangen; nur solltest Du Deine Forderungen nicht gar zu hoch steigen lassen.«

Er zögerte, das Geld zu nehmen, und starrte mich stumm bei weit offenem Mund an.

»Nun, soll ich das Geld wieder einstecken?« fragte ich ihn.

Da kam ihm die Bewegung zurück. Er that einen Sprung auf mich zu, riß mir das Geld aus der Hand und rief:

»Wie? Was? Du zahlst dennoch, trotzdem Du im Schutz des Großherrn und seines obersten Veziers stehest?«

»Dürfen die Beschützten nicht gerecht und milde sein?«

»O Herr, o Agha, o Effendi, o Emir, sie sind es gewöhnlich nicht! Aus Deinen Augen aber leuchtet die Gnade, und aus Deinen Worten klingt die Barmherzigkeit eines freundlichen Herzens. Darum segne Dich Allah in Dir selbst, in Deinen Ahnen und Urahnen und auch in Deinen Kindern und in den Urenkeln Deiner letzten Nachkommenschaft! Ja, solche Gnade wird uns nur selten zu Theil, obgleich wir ein hartes und noch dazu spärliches Brod essen.«

»Aber da drüben ist eine Menge Menschen beschäftigt. Da verdienst Du doch wohl mehr, als wenn diese Arbeiter nicht anwesend wären.«

»Weniger verdiene ich, viel weniger, denn diese Leute haben oberhalb meines Prahms eine zweite Fähre angelegt, mittels eines großen Kahnes. Das macht mir natürlich starken Abbruch; mein Pacht aber bleibt derselbe.«

»Wagen sich die Leute denn auch jetzt während des Hochwassers über den Fluß?«

»Heute haben sie es noch nicht gewagt, denn es ist zu gefährlich; es wäre eine doppelte Zahl der Ruder nothwendig.«

»Aber Du hast heute doch schon viele Leute übergefahren. Waren auch fünf Reiter dabei, von denen zwei auf scheckigen Pferden saßen?«

»Ja, Herr. Einer schien verwundet zu sein. Sie kamen aus der Herberge da drüben, wo sie für kurze Zeit abgestiegen waren.«

Er deutete dabei auf das erwähnte weiß getünchte Haus.

»Wie lange ist es her, daß Du sie sahst?«

»Wohl über zwei Stunden. Besser wäre es, ich hätte sie nicht gesehen!«

»Warum?«

»Weil sie mich betrogen haben. Als wir drüben anlangten und ich mein Fährgeld verlangte, bekam ich Peitschenhiebe anstatt der Bezahlung. Und dabei hatten sie mir vorher einen Auftrag gegeben, welchen ich aber nicht ausführen werde. Wer mich nicht bezahlt, dem erweise ich auch keine Gefälligkeiten.«

»Darf ich erfahren, an wen dieser Auftrag gerichtet war?«

»Sehr gern. An den Mann, welcher vorhin in Eurer Nähe hielt und dann vor der Herberge abgestiegen ist.«

»So kennst Du ihn?«

»Ja; denn Jedermann kennt den Schneider.«

»Ist er wirklich ein Schneider?«

»Man sagt es, aber ich weiß keinen hiesigen Einwohner, dem er ein Kleidungsstück angefertigt hätte.«

»Hm! Wie lautet der Auftrag?«

»Er solle sich beeilen, da sie nur bis früh auf ihn warten würden.«

Wo? Das wußte er nicht, und von den fünf Reitern kannte er nur den früheren Steuereinnehmer in Uskub, welcher die Leute bis auf's Blut gepeinigt habe. »Allah segne ihn mit tausend Übeln des Leibes und mit zehntausend Krankheiten der Seele,« fügte er bei.

Er wollte weiter sprechen, wendete sich aber jetzt ab, da seine Aufmerksamkeit anderweit in Anspruch genommen wurde. Aus dem Herbergshause traten nämlich zwei Männer, welche je zwei Ruder trugen. Sie gingen an das Wasser und schritten dann stromaufwärts weiter.

»O Allah!« rief der Fährmann. »Sollten diese Unvorsichtigen es wirklich wagen, im Kahn überfahren zu wollen?«

»Wo befindet sich der Kahn?«

»Dort oben, wo das Weib am Ufer sitzt. Du kannst ihn nicht sehen, weil er hinter dem Weidengebüsch liegt.«

Die beiden Männer langten bei der erwähnten Stelle an, wechselten mit dem Weib einige Worte und verschwanden dann hinter dem Gesträuch.

»Ja,« sagte der Alte, »sie wagen es. Nun, wenn Allah sie beschützt, so mag es ihnen gelingen. Aber allein fahren sie jedenfalls nicht über, und ihr Fahrgast wird ihnen viel Geld zahlen müssen. Das könnte er bei mir billiger haben.«

»Das Weib wird es sein, welche zahlt.«

Ich sagte das, weil ich sah, daß die Frau auch hinter dem Gesträuch verschwand; sie war also in den Kahn gestiegen. Der Alte aber schüttelte den Kopf und meinte:

»Die gibt nicht einen einzigen Para. Sie gehört zu den Arbeitern dort drüben und fährt umsonst. Diese Frau hat schon seit dem frühen Morgen da oben gesessen, aber es wurde eben noch nicht hinübergefahren. Doch was ist das? Sollte dieser Schneider – –«

Während der Erklärung des Alten war nämlich Suef aus der Herberge getreten und in den Sattel gestiegen. Er hatte uns mit einem Seitenblick gestreift und war dann nach der Stelle geritten, an welcher sich der Kahn befand. Dort stieg er ab.

»Allah il Allah! Der Schneider will in den Kahn!« rief der Alte. »Er mag sich sehr in Acht nehmen, daß er nicht zu viel Wasser schlucken muß. Ich weiß, daß er arm ist und hätte ihn um einen Viertelpiaster oder gar umsonst mitgenommen. Warum kommt er nicht zu mir!«

Ich hielt es für unnöthig, den Alten über den Grund, welchen Suef hatte, aufzuklären. Er mochte unsere Absicht errathen haben und glaubte wohl, mit dem Kahn eher drüben anzulangen, als wir mit unserm schweren Prahm. Wenn er dann schnell in den Sattel stieg und im Galopp davonritt, konnte er uns aus den Augen kommen. An die Spuren, welche er zurücklassen mußte, dachte er nicht.

Unterdessen kamen auch Halef und Osco eiligst herbei.

»Sihdi, der Schurke fährt mit einem Kahn über,« meldete der Hadschi. »Er hat dreißig Piaster Lohn geboten, wenn sie ihn hinüberschaffen.«

»Habt Ihr noch Etwas erfahren?«

»Ja, aber nicht viel. Eben als wir eintraten, sprach er mit dem Wirth von den fünf Reitern. Er gab dem Wirth zwar einen Wink, zu schweigen, dieser aber war einmal mitten im Satz und beendete ihn, so daß wir es hörten.«

»Und was habt Ihr gehört?«

»Daß die Fünf den Schneider in Treska-Konak erwarten wollen.«

»Wo ist dieser Ort?«

»Das weiß ich nicht, und wir konnten es auch nicht von dem Wirth erfahren. Dieser hält es offenbar mit dem Schneider.«

»Weiter wurde nichts gesprochen?«

»Nur über die Fähre-Angelegenheit.«

»So, daß Ihr es hörtet?«

»Ja. Dieser Suef sah uns dabei recht schadenfroh an. Es schien ihm Spaß zu machen, uns ärgern zu können. Am liebsten hätte ich ihm die Peitsche gegeben. Er meint, eher drüben anzukommen, als wir.«

»Ihr habt ihm nichts gesagt?«

»Kein Wort.«

»Das ist gut. Sieh, da zieht er sein Pferd am Zügel hinter sich her – er steigt wirklich in den Kahn, und die Mähre soll hinter demselben herschwimmen. Das wird sie wohl kaum fertig bringen.«

»O, Sihdi, ich habe den Gaul während unsers vorgestrigen Rittes genau beobachtet: er ist viel, viel besser, als er aussieht. Dieses Pferd hat den Scheïtan im Leibe.«

»Nun, trotz Allem, was geschehen ist, sollte es mir leid thun, wenn ein Unglück passirte, besonders um der Frau willen, welche mit eingestiegen ist. Fahren wir über und zwar möglichst schnell. Vorwärts!«

Dieser Ruf galt den Fährleuten.

Der Alte hatte eben seine Pfeife ausgeklopft und zog den Beutel hervor, um sie wieder zu stopfen. Er fuhr trotz meines Befehles ganz gemächlich in dieser Arbeit fort.

»Hast Du gehört?« fragte ich ihn. »Lege die Pfeife weg! Es wird auch einmal ohne Rauchen gehen.«

»Nein, Herr,« antwortete er behaglich. »Zu meiner Arbeit gehört ein Tschibuk; davon kann ich nicht abgehen. Das ist Zeit meines Lebens so gewesen und wird auch so bleiben bis zu meiner letzten Überfahrt.«

»Aber ich will eher drüben ankommen, als der Kahn!«

»Mache Dir keine überflüssige Sorge, Herr. Der Kahn wird wahrscheinlich gar nicht drüben ankommen.«

Der Mann stopfte gemächlich weiter und nahm sich dann mit der bloßen Hand eine Kohle aus dem Feuerchen, welches nur zu dem Zweck, die Pfeife in Brand zu stecken, auf einigen zusammengeschobenen Steinen glimmte. Als er dann einige Züge gethan hatte, rief er im Ton eines General-Feldmarschalls:

»Auf! Greift zu, Ihr Braven! Wir müssen die Piaster verdienen, welche wir bekommen haben.«

In diesem Augenblick sahen wir oben den Kahn aus den Weidenbüschen hervorschießen. Vorn saß die Frau; in der Mitte strengten die beiden Ruderer alle ihre Kräfte an, und hinten hockte Suef, den Zügel in den Händen haltend. Der Kopf seines Pferdes ragte aus dem Wasser empor. Ein Steuer hatte das Fahrzeug nicht.

Als Suef uns bemerkte, erhob er den Arm und machte eine spöttische Gebärde. Wenn die Fahrt so schnell vor sich ging, wie sie begann, dann war er freilich drüben, bevor wir die Mitte des Flusses erreicht hatten, denn die drei dienstbaren Geister unsers würdigen Fährmeisters schienen gar keine Gelenke zu haben. Sie machten das Fahrzeug höchst bedächtig von der Kette los, griffen dann zu den Stangen und stocherten mit denselben im Wasser herum, als ob sie eine Stecknadel auf dem Grund desselben hätten entdecken wollen. Leider waren unsere Pferde eine solche Überfahrt nicht gewohnt. Wir mußten also im Sattel bleiben, um sie zu beruhigen; sonst hätte ich meinen Begleitern geboten, gleichfalls Hand anzulegen.

Halef kam auf das richtige Mittel, den Gang des Fahrzeuges zu beschleunigen. Er zog seine Peitsche aus dem Gürtel, wendete sich an den nächsten Fährknecht und sagte:

»Spute Dich besser!«

Zugleich gab er ihm einen Hieb über den Rücken, und kaum war dies geschehen, so rief der Alte:

»O Allah, o Wehmuth, o Verhängniß! Greift zu, Ihr Söhne! Schiebt, stoßt, Ihr Männer! Arbeitet, arbeitet, Ihr Starken! Je eher wir hinüber kommen, desto größer wird das Bakschisch sein, welches wir von diesen vier berühmten Scheiks und Emirs erhalten.«

Diese zarte Anspielung fuhr den drei Jungen so in die Glieder, daß sie sich mächtig anstrengten. Das Tempo wurde ein doppelt schnelles. Natürlich ließen wir den Kahn nicht aus den Augen. Um an dem grad gegenüber liegenden Punkt anzukommen, mußten die Ruderer das Fahrzeug aufwärts halten. Im Uferwasser war das nicht schwer gewesen; je mehr sie sich aber der Flußmitte näherten, desto größere Anstrengungen machten sie. Und dennoch fiel der Kahn so bedeutend ab, daß er sich uns näherte, anstatt sich von uns zu entfernen. Dies schien Suef bedenklich zu machen. Wir sahen aus seinen Gebärden, daß er die beiden Männer zu noch größerer Kraftanstrengung anfeuerte.

Auch unsere Leute mußten schwer arbeiten. Die Gewalt des Stromes war so stark, daß die Seile dumpfe Töne von sich gaben. Wenn eins derselben riß, so waren wir den Fluthen überlassen. Der alte Fährmann suchte seinen ganzen Wortschatz hervor, um seine Leute zur Anstrengung aller ihrer Kräfte zu veranlassen.

Was den Kahn betrifft, so hatten die beiden Ruderer desselben einen großen Fehler gemacht. Sie hätten zunächst hüben im ruhigeren Uferwasser aufwärts rudern sollen, bis sie den Punkt erreichten, wo es nur einer leichten dirigirenden Nachhülfe bedurfte, um sich von dem Strom wieder abwärts und hinüber an das jenseitige Ufer treiben zu lassen.

Schon war uns der Kahn auf die Hälfte näher gekommen, so daß wir die Gesichter der Insassen deutlich sehen konnten. Der Fährmann verfolgte das schwache Fahrzeug mit sachkundigem Blick.

»Sie kommen nicht hinüber,« sagte er. »Entweder brechen die Ruder oder – – ah, Allah, Allah, sie haben wirklich die Mitte! Beim Scheïtan, das sind kräftige Kerle! Es gelingt ihnen doch noch, denn – – – o Unheil, o Unglück, o Verderben! Jetzt ist's aus!«

Er hatte Recht. Dem einen der Männer war das rechte Ruder aus dem Dollen geschnappt und aus der Hand geprellt. Der Schmerz hatte ihn veranlaßt, auch das linke Ruder fahren zu lassen, so daß beide vom Wasser fortgerissen wurden. Jetzt konnte nur noch der Andere arbeiten; aber seine Kräfte reichten nicht aus.

Drüben am Ufer feierten Hacke und Schaufel. Die Arbeiter standen alle am Wasser und beobachteten den Vorgang mit größter Spannung. Auch wir hatten jetzt die Mitte erreicht. Die Macht des Wassers hob unsere Fähre auf der einen Seite empor: sie konnte sich leicht füllen, und dann war es auch um uns geschehen. Es waren Augenblicke der höchsten Gefahr.

Da gingen dem Mann in dem Kahn die Kräfte aus. Er zog die Ruder ein und legte die Hände in den Schooß. Die Fluth faßte das Fahrzeug und trieb es grad auf unseren Prahm zu. Es kam in rasender Eile herbeigeschossen. Vom jenseitigen Ufer erscholl der gellende Angstruf:

»Weib, Weib, halte Dich fest!«

Aber da war es auch schon geschehen. Ein lauter Krach – der Kahn prallte mit unserem Prahm zusammen. Ein einziger, entsetzlicher Schrei erscholl. Er war von den an beiden Ufern stehenden Leuten, von den vier Insassen des Kahnes und von uns, die wir uns auf der Fähre befanden, ausgestoßen worden. Er kam von so vielen Lippen und klang doch wie ein einziger Ausruf des allerhöchsten Schreckens.

In solchen Augenblicken handeln Viele nach einem geheimnißvollen Instinkt, welcher ihnen das Richtige eingibt, obwohl ihre Denkkraft vollständig versagt. Blitzschnell thun sie das Richtige und wissen später gar nicht zu sagen, warum sie just so und nicht anders gehandelt haben.

Andere handeln nach einer klaren, scharfen Überlegung. Man sage mir nicht, daß in einem solchen Augenblick der Gefahr gar keine Zeit für das Fassen eines Entschlusses vorhanden sei. Es ist geradezu wunderbar, mit welchen Kräften der allgütige Schöpfer den Geist des Menschen ausgestattet hat. Im Traum zum Beispiel faßt eine einzige Minute die Ereignisse ganzer Tage und noch viel längerer Zeit zusammen. Mir träumte einst, daß ich ein Examen zu bestehen habe. Ein ganzer Tag war uns zu schriftlichen Arbeiten gewährt. Ich war zuerst fertig, wurde aus der Clausur entlassen und machte einen mehrere Stunden langen Gang in die Berge. Das mündliche Examen erstreckte sich über die nächsten zwei Tage. Am Abend des letzten Tages, ganz kurz vor Beendigung der Prüfung, brach eine Bank zusammen, auf welcher eine Anzahl von Zuhörern saß, und – ich erwachte. Mein Schlafgenosse hatte das Fenster zugeworfen. Er sagte mir auf meine Erkundigung, daß ich ihm vor höchstens drei Minuten gesagt habe, er solle mich nicht mehr mit Fragen belästigen, da ich sehr ermüdet sei und gern schlafen wolle. Ich hatte also im Traum innerhalb dreier Minuten drei Examentage mit allen Einzelnheiten durchlebt. Ich kannte ganz genau den Inhalt meiner schriftlichen Arbeit, welche viele Seiten füllte, und konnte mich auf die meisten Fragen besinnen, welche mir vorgelegt worden waren. Ja, ich wußte sogar, welche Personen mir während des geträumten Spazierganges begegnet waren, und worüber ich mich mit ihnen unterhalten hatte. Freilich hatte ich am nächsten Morgen dieses Alles ganz gründlich vergessen.

Wenn also der Traum dreier Minuten drei volle Tage, also eine Minute des Traumes ein körperliches und geistiges Handeln umfaßt, zu welchem im wachen Zustand über vierzehnhundert Minuten nöthig sein würden, so ist das eine Fähigkeit des Geistes, welche ich ihm auch für den wachen Zustand nicht absprechen möchte.

Ich habe mich in Lagen befunden, in denen mein oder Anderer Leben an einer Sekunde hing, und als diese Zeit vorüber und die Gefahr abgewiesen war, habe ich ganz genau gewußt, daß ich in dieser einen Sekunde die Gefahr vollkommen durchschaut, mir alle Mittel zur Abwehr vergegenwärtigt und das beste und sicherste derselben ausgewählt und auch ausgeführt hatte. Das scheint unbegreiflich, ein Wunder zu sein; aber Tausende von ebenso großen und noch größeren Wundern geschehen im alltäglichen Leben, ohne daß man sich derselben bewußt wird. Wir sind eben nicht nur von lauter Wundern Gottes umgeben, sondern wir selbst sind das größte derselben. Der Gottesleugner mag mir das bestreiten: ich beklage ihn.

Ähnlich war es auch hier auf dem angeschwollenen Fluß. Die in dem spitzen Vordertheil des Kahnes sitzende Frau klammerte sich, vor Entsetzen schreiend, an den Rand des Fahrzeuges an; aber der Anprall war so stark, daß sie herausgeschleudert wurde. Sie verschwand in den schmutzig dicken Fluthen und – ich mit ihr.

Wie ich vom Pferd herunter gekommen bin, welche Zeit ich gebraucht habe, die Gewehre, den Inhalt meiner Taschen und Gürtel nebst Allem, was sich in demselben befand, von mir zu werfen, das kann ich nicht sagen. Halef behauptete später, ich hätte mich schon vor dem Zusammenstoß aus dem Sattel geschwungen, wohl in der sicheren Voraussicht, daß das Weib sich nicht werde halten können. Er will vergeblich versucht haben, mich zurück zu halten, doch weiß ich nichts davon. Mein ganzes Denken ist eben nur auf ein Einziges concentrirt gewesen.

Genau weiß ich nur, daß ich das Weib mit einer Hand packte und mit hinab in die Tiefe zog, um mit ihr unter Boot und Prahm hinwegzukommen. Die Fahrzeuge konnten uns gefährlich werden.

Als ich wieder emportauchte, sah ich, daß wir eine ziemliche Strecke abwärts gerissen worden waren. Ich hielt die Frau an dem Ärmel ihrer blautuchenen Zuava; sie war besinnungslos, ein Umstand, welcher mir nur lieb sein konnte. Ich befand mich jenseits der Stromesmitte und mußte trachten, das Ufer zu erreichen, ohne im Kampf mit den Wogen meine Kräfte aufzureiben. In solchen Lagen darf man nicht vorn, sondern muß auf dem Rücken schwimmen, obgleich dies den Nachtheil hat, daß man nicht nach vorwärts blicken kann. Es ist bequemer, und man kann weit mehr tragen. Ich legte mir die Frau quer über den Leib, so daß ihr Kopf nicht mit dem Wasser in Berührung kam, und ließ mich von den Fluthen treiben.

Da ich den Körper der Verunglückten zu tragen hatte, kam der meinige tief zu liegen. So hoch ich auch die Beine nahm, es gelang mir nur mit großer Anstrengung, Mund und Nase von Zeit zu Zeit aus dem Wasser zu bringen, um Athem holen zu können. Dabei gab ich mir die größte Mühe, mich nach und nach dem Ufer zu nähern.

Das war gar nicht so leicht, wie es dem Leser scheinen mag. Das Ufer brach die Fluth und warf sie in hohen, langen Wellenstrichen bis auf die Mitte des Stromes herüber; ich konnte nur aufwärts und wenig seit-, aber gar nicht vorwärts sehen, und doch mußte ich mich vor den vielen Gegenständen in Acht nehmen, welche in den Fluthen schwammen oder aus denselben emporragten. Die Leute am Ufer rannten stromabwärts, in gleicher Richtung mit mir und machten mich durch ihr Schreien irre. Sie konnten freilich kaum so schnell laufen, wie ich schwamm, denn ich schoß mit einer Schnelligkeit vorwärts, welche mich zu betäuben drohte. Da galt es, kaltblütig zu bleiben. Wenn ich in den vielen Strudeln und Wirbeln, durch welche ich kam, falsch ausstieß; wenn ich überhaupt nur für kurze Zeit das Selbstvertrauen verlor, so war ich verloren und die Frau mit mir. Im vollständigen Anzug zu schwimmen, ist schon bei ruhigem Wasser eine böse Sache; aber bei dieser Aufregung des Elementes, mit einer solchen Last auf mir und mit den mir vorher so willkommenen, jetzt aber fatalen Gichtstiefeln des Arztes von Radowitsch an den Füßen, das war denn doch etwas Anderes. Wie sich dann herausstellte, war ich gar nicht lange im Wasser gewesen, aber die Zeit dehnte sich mir doch zu einer kleinen Ewigkeit.

Endlich, endlich war es mir gelungen, von der mich gewaltig mit fortreißenden Mitte des Stromes zur Seite und über die an dem eigentlichen Ufer sich bildenden Drehen hinweg zu kommen. Ich befand mich in dem ruhigen Wasser des überschwemmten Landes, konnte aber zu meinem Erstaunen keinen Grund finden. Das machte mich irre; denn als ich versuchte, Boden zu fassen, fuhr ich tief, tief hinab. Da hörte ich eine Stimme mir zurufen:

»Allahy sewersin! Daha uzak, daha uzak jüz! Orada tschukurler. Schurada gel! – – Um Gottes willen! Schwimm weiter, weiter! Dort sind Gruben. Komm hierher!«

Man hatte beim Aufwerfen des Eisenbahndammes den nebenan liegenden Boden benutzt, wobei natürlich tiefe Gruben entstanden waren, über denen ich mich jetzt befand. Ich konnte den Rufenden nicht sehen, da mir das Wasser über die Augen fluthete; aber ich vermuthete, daß er auf dem Bahndamm stehe, und schwamm demselben zu. Der Damm ragte aus dem Wasser empor, welches bis zu ihm reichte.

Als ich dort ankam, langten zehn, zwanzig Hände nach mir und nach dem Weib. Die leblose Gestalt wurde mir abgenommen. Halb kroch ich auf den Damm hinauf, halb wurde ich gezogen. Erst jetzt fühlte ich, daß meine Kleider wie zentnerschwer an mir hingen.

Lauter Jubel herrschte um mich her; zwei Stimmen nur ergingen sich in Klagen. Die Betreffenden glaubten, die Frau sei todt. Ich aber sagte ihnen, daß sie unmöglich ertrunken sein könne; freilich sei es möglich, daß der Schlag sie getödtet habe. Sie wurde stromaufwärts nach den Bretterhütten der Arbeiter getragen.

Jetzt hörte ich den nahenden Hufschlag. Meine drei Gefährten kamen im Galopp auf dem Bahndamm herbeigeritten. Halef war der Vorderste von ihnen.

»Sihdi, Sihdi!« rief er schon von Weitem. »Bist Du todt oder lebst Du noch?«

»Ich lebe!« antwortete ich. »Ich befinde mich sogar pudelwohl.«

»Allah sei Lob, Preis und Dank gesagt!«

Er sprang vom Pferd, warf sich neben mir auf die Erde, ergriff meine beiden Hände und sagte:

»Wie kann man nur in solches Wasser springen! Hast Du davon trinken müssen?«

»Ja, und es schmeckte beinahe wie das Bier des Wirthes von Radowitsch.«

»Ich mag es lieber nicht kosten. Allah, Allah, wie war ich erschrocken, als Du in dem Fluß verschwandest! Ist denn ein Weib es werth, daß man das Leben wagt?«

»Natürlich! Würdest Du für Hanneh, die Lieblichste der Töchter und Frauen, nicht Dein Leben wagen?«

»Ja, das ist Hanneh! Aber wer war dieses Weib? War sie Deine Verlobte oder Schwester? Hatte sie Dich lieb gehabt und soll sie einst Deine Frau werden?«

»Sie war ein Menschenkind, welches sich in Todesnoth befand, und ich brauche mich ja vor dem Wasser nicht zu fürchten.«

»Aber dieser Fluß ist heute ergrimmt. Sieh' nur, wie wild er thut, daß ihm sein Opfer entrissen worden ist. Ich habe Dir Rih mitgebracht, da Du nicht gehen kannst. Steige auf! Wir müssen einen Ort aufsuchen, an welchem Du Deine Kleider trocknest.«

»Wo sind meine Gewehre und die übrigen Sachen?«

»Ich habe Alles. Die Gewehre hängen dort am Sattel.«

»Und wie ist es den anderen Insassen des Kahnes ergangen?«

»Die beiden Ruderer haben wir auf die Fähre gezogen; aber der Schneider war in's Wasser gestürzt.«

»So ist er ertrunken?«

»Nein. Der Scheïtan will noch nichts von ihm wissen. Ich habe ihn mit seiner Mähre schwimmen sehen; wollen ihn einmal suchen.«

Er richtete sich wieder auf und spähte nach Suef. Dann deutete er abwärts.

»Dort sind beide, er und sein Pferd.«

Ich schaute in die angegebene Richtung und erblickte weit abwärts von uns den Genannten, welcher den Schwanz seines Pferdes ergriffen hatte und sich von dem Thier ziehen ließ. Beide waren dem Ufer ganz nahe. Diese alte Mähre war also wirklich ein kostbares Thier.

»Soll ich hinabreiten und ihm Eins auf die Nase geben, wenn er aus dem Wasser kommt?« fragte der Hadschi.

»Nein, er wird genug Angst ausgestanden haben. Das ist hinreichend für ihn.«

»Aber er allein trägt die Schuld, daß Du in das Wasser springen mußtest!«

»Das ist kein Grund, ihn todtzuschlagen.«

»Aber er wird uns entkommen. In Deinem Zustand kannst Du ihm doch nicht folgen!«

»Laß ihn laufen! Wir holen ihn schon noch ein.«

Natürlich bezeugten auch Osco und Omar mir ihre große Freude über das Gelingen der Wassertour, welche gar nicht auf unserem Programm gestanden hatte. Wir waren umgeben von Bahnarbeitern, welche in die Freudenrufe einstimmten und mich aufforderten, nach einer der Hütten zu kommen, wo ein Soba vorhanden sei, an welchem ich meine Kleider schnell trocknen könne. Das war freilich das Nothwendigste, was ich zu thun hatte. Darum stieg ich auf und ritt zurück, grad in demselben Augenblick, als auch der Schneider das Ufer erreicht hatte. Was er jetzt that, konnte mir einstweilen gleichgültig sein.

Ich brauchte mein Pferd nicht zu lenken; dafür sorgten die Bahnarbeiter. Sie ergriffen die Zügel, ja sogar auch die Bügel. Die Andern schritten voran, neben- und auch hinterher, und so wurde ich fast wie im Triumph fortgeschafft – ein etwas nasser Triumph, da mir das Wasser durch die Kleider nach unten sickerte und dann von den ›Gichtstiefeln‹ tropfte. Als ich mich einmal umwandte, sah ich, daß Suef querfeldein galoppirte. Pferd und Reiter schienen also mit gänzlich heiler Haut davongekommen zu sein.

Halef hatte meinen Blick gesehen. Er machte ein sehr finsteres Gesicht, drohte mit der Faust nach dem Reiter hin und sagte:

»Kem lahana uzum ümri war; lakin Allah war eder, Allah jog eder – Unkraut hat langes Leben, aber Allah schafft, und Allah vernichtet.«

Er wollte in seinem Zorn sagen, daß der Schneider, dieses Unkraut, ausgerottet werden solle.

Da, wo die Fähre am rechten Ufer gelandet hatte, stand der Fährmann mit seinen drei Gehülfen. Als er mich kommen sah, erhob er seine Stimme und rief in pathetischem Ton:

»Tausendmal Dank den heiligen Khalifen, zehntausendmal Lob dem Propheten und hunderttausendmal Preis Allah, dem Allmächtigen, die Dich beschützt haben im Augenblick der Gefahr. Als ich Dich in die Fluthen stürzen sah, war mein Herz starr wie Stein, und meine Seele weinte blutige Thränen. Nun ich Dich aber wohlerhalten wiedersehe, ist mein Geist voll Jubel und Entzücken, denn Du wirst Dein Wort halten und uns das Bakschisch geben, welches Du uns versprochen hast.«

Also das war der langen Rede kurzer Sinn. Ich schüttelte den Kopf und antwortete:

»Ich weiß von keinem Versprechen.«

»So hat das Wasser Dich irre gemacht. Denke daran, was gesprochen wurde, als Dein Begleiter uns mit der Peitsche ermahnte, schneller zu sein.«

»Mein Gedächtniß hat nicht gelitten; ich besinne mich auf jedes Wort. Du hast ein Bakschisch verlangt, aber ich habe nichts dazu gesagt.«

»O Emir, wie beklage ich Dich! Deine Gedanken sind dennoch schwach geworden! Eben daß Du mir nichts entgegnet hast, muß als Einwilligung auf meinen Vorschlag gelten. Wolltest Du uns das Bakschisch verweigern, so hättest Du das deutlich erklären müssen. Weil Du dies jedoch unterlassen hast, so müssen wir es erhalten.«

»Und wenn ich es doch verweigere?«

»So sind wir gezwungen, Deine Seele zu strafen und Dich für einen Mann zu halten, dem sein Versprechen nichts gilt.«

Damit aber kam er schlimm an, nicht bei mir, sondern bei den Arbeitern. Daß er auf der Auszahlung eines Bakschisch bestand, welches ich ihm gar nicht versprochen hatte, und dies in Worten that, welche mich beleidigen mußten, ergrimmte die Leute. Er war im Nu ergriffen, und zehn, zwanzig Fäuste schlugen auf ihn ein.

»Halt! Laßt ihn los!« überschrie ich den Lärm, welchen die Leute erhoben. »Ich will ihm sein Bakschisch geben.«

»Das ist nicht nöthig!« rief mir Einer zu. »Er erhält es von uns; Du siehst es ja.«

»Haltet ein, haltet ein!« kreischte der Alte. »Ich mag es nicht, ich mag es nicht!«

Er riß sich los und rannte nach seiner Fähre, wohin sich seine drei Helden bereits in Sicherheit gebracht hatten. Dabei entwickelte er eine Schnelligkeit, welche ganz das Gegentheil von der Behaglichkeit war, welche ich vorher an ihm bemerkt hatte. Er vergaß sogar, daran zu denken, daß er sich vorgenommen hatte, nichts ohne seine Pfeife zu thun. Sie war ihm entfallen, und er ließ sie im Stich. Einer der Arbeiter hob sie auf und warf sie ihm lachend auf die Fähre nach. Er aber griff einstweilen nicht nach ihr, sondern nach der Kette, um die Fähre schleunigst vom Ufer zu lösen. Sobald sich aber ein Wasserstreifen zwischen ihm und uns befand, begann er zu schimpfen und nannte mich einen Knauser und wortbrüchigen Geizhals.

Halef trat an das Ufer, legte seine Flinte an und drohte:

»Sekiut dur, joksa atarim – schweig, sonst schieße ich!«

Aber der Alte schimpfte fort. Er mochte nicht glauben, daß der Hadschi seine Drohung wahr machen werde. Er hatte die Stange in der Hand, ohne sie zu gebrauchen. Da drückte Halef los. Er hatte auf die Stange gezielt – die Kugel schlug in der Nähe der Hände des Alten in die Stange ein, so daß die Splitter flogen. Da that der Fährmann einen Schrei, ließ die Stange über Bord in das Wasser fallen und warf sich platt auf den Boden der Fähre nieder, weil er wahrscheinlich meinte, in dieser Lage vor einer zweiten Kugel am sichersten zu sein.

Ein lautes Gelächter erscholl von seiten der Arbeiter, denen die plötzliche Behendigkeit des Alten ebenso komisch vorkam, wie uns.

Nun erreichten wir die größte der Bauhütten, vor deren Thüre wir hielten. Ich stieg ab und wurde in das Innere geführt.

Der Raum war groß. An den Wänden hingen die wenigen Habseligkeiten der Arbeiter. Rund herum waren Bretter als Sitze befestigt, welche zugleich als Lagerstätten dienten, und im hintersten Winkel stand ein mächtiger Kachelofen von einer Construction, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Er enthielt vier Kochkessel, und sein Herd bot gute Gelegenheit zum Trocknen nasser Kleider.

Ich war kaum eingetreten, so kam aus einer andern Hütte ein junger, kräftiger Mann herbei, welcher mir sofort zurief:

»Herr, Du hattest Recht. Sie ist nicht todt, sondern sie lebt; sie athmet bereits. Ich bin nur schnell einmal von ihr fortgelaufen, um Dir meinen Dank zu sagen.«

»Ist sie verwandt mit Dir?«

»Sie ist mein Weib. Ich bin der Baschi ischdschiji. Sie hat die Überfahrt gewagt, weil ich ihr befohlen hatte, bereits am frühen Morgen hier zu sein. Aber Du mußt Dich jetzt entkleiden. Ich werde sogleich mein Ziafet esbaby holen.«

Er entfernte sich und kehrte in kurzer Zeit mit Hose, Jacke, Weste und einem Paar Pantoffeln zurück, mit welchen Gegenständen ich mich in einen kleinen Verschlag begab, um mich umzukleiden. Halef half mir dabei. Als er mir die nassen Kleidungsstücke vom Leibe zog, jammerte er:

»Effendi, nun ist es aus mit der Würde Deines Standes und mit der Anmuth Deines Charakters. Dieser schöne Anzug hat Dich in Stambul über sechshundert Piaster gekostet, und nun ist ihm durch das Wasser der Glanz seines Aussehens geraubt worden. Sieh, Du hast bei der Anstrengung des Schwimmens einen entsetzlichen Riß in das Bein Deiner Hose gesprengt. Er muß geschlossen werden, damit die Lieblichkeit Deiner Glieder nicht beleidigt werde. Zwirn und Nadel habe ich zwar stets bei mir, aber ob sich hier ein Ütü finden läßt, um dem Anzug seine heitere Form zurückzugeben, das bezweifle ich.«

Man darf keineswegs aus den Worten des Kleinen auf meine Gestalt und Persönlichkeit schließen. Es war einmal seine Gewohnheit, sich so auszudrücken.

»Frage einmal nach. Vielleicht befindet sich ein Schneider unter den Arbeitern.«

Er entfernte sich mit meinen Kleidern, und ich hörte ihn draußen laut fragen:

»Hört, Ihr Söhne und Enkel der Eisenbahn, befindet sich ein Schneider unter Euch?«

»Hier!« rief eine Stimme.

»Allah segne Dich, mein Freund, daß Du in der Zeit Deiner Jugend auf den Gedanken gekommen bist, die Stoffe des Webers mit Zwirn zusammen zu heften, so daß die Männer Deines Volkes ihre Arme und Beine hineinstecken können! Aber – kannst Du auch Risse verschließen?«

»So fein, daß es noch hübscher aussieht, als vorher.«

»So bist Du ein großer Usta ijnenün. Aber hast Du auch ein Bügeleisen bei Dir?«

»Zwei sogar!«

»So überantworte ich Dir den Anzug meines Freundes und Gebieters. Du sollst ihn trocknen und ausbügeln, und diesen Riß sollst Du unsichtbar machen. Wenn Du das so thust, daß Niemand ihn sehen kann, wirst Du ein Bakschisch erhalten, und die Gläubigen aller Länder werden sich Deiner Kunstfertigkeit freuen und Deinen Ruhm verbreiten bis an die Grenzen, wo das Weltall ein Ende hat. Hier nimm den Anzug in Deine Arme, und der Geist des Propheten erleuchte Dich!«

Ich mußte lachen, denn ich stellte mir das ernsthafte Gesicht des Kleinen vor, mit welchem er diese Tirade zum Vorschein brachte. Als er zu mir zurückkehrte, fand er mich mit der Untersuchung meines Gypsverbandes beschäftigt.

»Dem sieht man es auch an, daß er im Wasser gewesen ist,« sagte er. »Ist er aufgeweicht?«

»Nein; aber ich möchte ihn doch entfernen. Es sind zwar nur wenige Tage vergangen, seit er angelegt wurde; doch meine ich, es wagen zu dürfen.«

Wir beseitigten mit unseren Messern den Verband, ohne daß ich den mindesten Schmerz dabei empfand. Das war sehr günstig. Als der Fuß von dem Gyps befreit war, versuchte ich, aufzutreten. Es ging über Erwarten gut. Ich schritt sogar einige Male in dem Verschlag hin und her, wobei ich ziemlich fest auftrat. Die Verstauchung war wohl geringer, als ich gedacht hatte.

»Nun wirst Du diese Stiefel der Gicht nicht wieder anlegen?« fragte der Hadschi und deutete auf die genannte Fußbekleidung, welche allerdings durch das Wasser ein höchst trauriges Aussehen angenommen hatte.

»Nein; ich lasse sie hier.«

»So wollen wir sie den Arbeitern schenken, welche sich derselben als Kaffeetrichter bedienen können, denn in dieser Gegend lassen die Leute den Kaffee durch einen Sack laufen, weil er ihnen sonst zu gut schmecken würde. Allah hat sehr verschiedene Geschöpfe in seinem Reich. Nun kannst Du wieder Deine hohen Lederstiefel tragen und wirst ein ganz anderes Aussehen haben. In den Gichtstiefeln kamst Du mir vor wie ein Ahne des Urgroßvaters, der seine Zähne bereits vor der großen Sündfluth verloren hat. Soll ich die Ledernen holen? Ich habe sie auf mein Pferd geschnallt.«

Ich gab meine Zustimmung und fand dann, daß der Fuß in diesen Stiefeln hinreichend Halt fand. Da ich die meiste Zeit des Tages im Sattel saß, so brauchte ich den Fuß ja nicht anzustrengen.

Der geliehene Anzug paßte nicht übel, da der Besitzer von meiner Gestalt war. Er freute sich darüber, als er mich erblickte, und bat uns, in seine Hütte zu kommen, damit sein Weib sich bei mir bedanken könne.

Die Arbeiter saßen beisammen und aßen. Ihr Mittagmahl bestand aus einem dicken Brei von Maismehl, das nur in Wasser aufgequollen war. Damit sind diese Leute Tag für Tag zufrieden.

Die Frau wollte, als wir zu ihr kamen, sich in großen Danksagungen ergehen; ich bat sie aber, zu schweigen. Ihr Mann saß dabei und war so glücklich über ihre Rettung, daß ich annehmen mußte, sie hätten sich ungewöhnlich lieb. Im Verlauf des Gesprächs erfuhr ich nun, daß Beide Christen waren.

»Ich freue mich sehr darüber, daß auch Du ein Christ bist,« sagte der Mann zu mir.

»Woher weißt Du das?« fragte ich ihn.

»Deine beiden Begleiter sagten es mir, während Du die Anzüge wechseltest. Ich habe auch gehört, daß Du kein Unterthan des Großherrn bist, sondern zu dem Volk gehörst, welches den großen, siegreichen Krieg gegen die Fransyzler geführt hat.«

»Bist Du aus der hiesigen Gegend?« fragte ich dagegen.

»O nein. Wir stammen fast alle aus dem Gebirg, wo es so viele arme Leute gibt. Die Bewohner dieser Ebene haben keine Lust, an der Bahn zu arbeiten. Als es hieß, daß hier bei diesem Bau Brod zu finden sei, machten sich viele Leute meiner Gegend auf, um herbei zu ziehen. Und da ich als Mimar gelernt habe, so übernahm ich die Führung und beaufsichtige sie noch heute.«

»So hast Du eine höhere Schule besucht?«

»Nein. Ich bin der zweite Sohn meines Vaters. Mein ältester Bruder wird das Haus bekommen, und so hatte ich stets Lust, mir selbst eins zu bauen. Da habe ich denn von selbst schreiben, lesen und auch zeichnen gelernt und bin zu einem Baumeister in Uskub in die Lehre gegangen. Mein Vater ist Tschoban, ungefähr acht Stunden von hier.«

»Wo?«

»Es ist kein Dorf, nicht einmal ein kleiner Ort. Es gibt da nur zwei Häuser, welche an einer Furt der Treska liegen, und da unser Nachbar einen Konak unterhält, so wird die kleine Siedelung Treska-Konak genannt.«

»Ah! Das ist gut! Das ist ausgezeichnet!« rief ich aus.

»Warum?«

»Weil ich dieses Treska-Konak suche.«

»Willst Du etwa hinreiten? Zu meinem Vater oder zu dem Konakdschi?«

»Zu dem Letzteren, wie es scheint.«

»Wie es scheint? So weißt Du es selbst noch nicht gewiß?« fragte er verwundert.

»Nein. Der Mann, welcher mit Deiner Frau im Kahn überfuhr, will dorthin, und ich muß ihm nach. Er sucht dort Leute auf, mit welchen auch ich ein Wörtchen zu reden habe.«

»Das klingt ja so, als ob Du ihnen feindlich gesinnet seiest.«

»Du hast es errathen. Es sind heute in der Frühe fünf Männer dahin geritten, welche eine böse That im Schild führen, und dies wollen wir verhüten. Sie müssen mit der Fähre über den Fluß gekommen sein.«

»Ah! War vielleicht ein gewisser Manach el Barscha dabei, welcher Einnehmer der Steuer in Uskub gewesen ist?«

»Allerdings.«

»So habe ich sie gesehen. Ich stand am Ufer, als sie kamen. Sie hatten einen Streit mit dem Fährmann, dem sie die Peitsche anstatt des Geldes gaben. Als Manach an mir vorüber ritt, warf er auch mir eine Drohung zu.«

»Warum?«

»Weil er mich haßt. Er nahm die Kopfsteuer der Christen ein und er hatte mir stets das Zehn- und Zwölffache abverlangt, und das wollte ich nicht mehr geben. Andern ging es ebenso, und so traten wir zusammen und zeigten ihn an. Er hatte die Christen um eine große Summe betrogen.«

»Welche Strafe hat er erlitten?«

»Keine. Er entfloh, und man sagt, daß er den ganzen Inhalt der Steuerkasse mitgenommen habe. Er darf sich in Uskub nicht mehr sehen lassen. Also diesen Menschen suchest Du? Er ist immer mit unserem Konakdschi befreundet gewesen und wird wohl auch jetzt bei ihm eingekehrt sein.«

»Kannst Du mir den Weg beschreiben, welchen ich nehmen muß, um nach Treska-Konak zu gelangen?«

»Man muß die Gegend gut kennen, um in gerader Richtung hinzukommen. Eine Beschreibung wäre zu verworren. Wenn es Dir aber lieb ist, werde ich Dir gern einen zuverlässigen Mann mitgeben, welcher die Gegend ebenso genau kennt, wie ich. Er wird es sich zur größten Ehre rechnen, Dich zu meinem Vater zu bringen, und da er diesem von Deiner guten That erzählen wird, so kannst Du des herzlichsten Willkomms sicher sein.«

Mit Freude nahm ich diesen Vorschlag an und fragte:

»Liegt Deine väterliche Wohnung weit von dem Konak entfernt?«

»Man hat kaum zwei Minuten zu gehen.«

»So werden die Bewohner des Konaks uns also kommen sehen?«

»Wenn Du vor ihnen verborgen bleiben willst, so mag Dich mein Schwager so führen, daß sie Euch nicht erblicken. Übrigens wird es finstere Nacht sein, wenn Ihr dort ankommt. Mein Schwager ist jetzt für kurze Zeit bei dem Bau beschäftigt. Wenn er zurückkehrt, werde ich ihm meinen Auftrag geben. Jetzt aber bitte ich Euch, meine Gäste zu sein. Es ist Mittag, und wir müssen essen. Ich kann Euch Etwas vorlegen, was Ihr im Lande der Muhamedaner wohl nur selten bekommen könnt.«

Er öffnete einen mit Heu gefüllten Kasten und zog – einen Schinken und mehrere schwarz geräucherte Würste hervor.

»O Allah, Allah! Meinst Du wirklich, daß wir das Hintertheil eines Schweines und das im Rauche gebratene Blut und Fleisch desselben essen?« rief Halef. »Der Prophet hat uns das verboten, und wir würden eine große Sünde begehen, wenn wir uns mit der Leiche eines Schweines für immer und ewig verunreinigten!«

»Das muthet Dir gar kein Mensch zu, Halef,« sagte ich. »Was aber mich betrifft, so werde ich mit dem größten Appetit davon essen.«

»Aber es sind ja Dschild kurtlar darinnen!«

»Vor denen fürchten wir uns nicht.«

»Ich darf eigentlich gar nicht zuschauen, denn schon der Anblick des Schweinefleisches soll uns Entsetzen einflößen; aber da Osco und Omar nicht anwesend sind, so brauche ich keine Vorwürfe zu fürchten, wenn ich aus Anhänglichkeit an Dich, Sihdi, hier sitzen bleibe. Wenn Du den Schinken in den Mund steckst, werde ich die Augen schließen oder wenigstens zur Seite blicken.«

Der Bewirthende legte vor: den Schinken, die Würste, Brod, Pfeffer und Salz. Er zog sein Messer aus dem Gürtel, und ich folgte diesem rühmlichen Beispiel. Nachdem er sich ein tüchtiges Stück von dem Schinken abgeschnitten hatte, that ich dasselbe, und der Schmaus begann. Nie hat mir ein Schinken besser geschmeckt, als damals in Rumelia.

Halef saß seitwärts hinter mir; ich konnte nicht sehen, ob er mich beobachtete, aber ich kannte den Kleinen und wußte, daß ihm der Appetit bis in die Zungenspitze ging. Er sah, wie es mir schmeckte, und daß ich mir ein zweites Stück abschnitt.

»Hajde scheïtani – pfui Teufel!« rief er aus. »Sihdi, willst Du denn, daß ich alle Achtung und Ehrfurcht vor Dir verlieren soll! Wenn ich nach dem Gebot des Propheten gehe, darf ich Dich nie wieder anrühren.«

»Das thut mir leid, mein lieber Halef, aber jetzt gehorche ich dem Wohlgeschmack und nicht dem Kuran.«

»Schmeckt es denn wirklich so ausgezeichnet?«

»Es gibt nichts Schmackhafteres.«

»Allah! Warum hat da der Prophet den Schinken verboten?«

»Weil er gewiß niemals ein Stück von dem geräucherten Hintertheil des Schweines gegessen hat; sonst hätte er den Gläubigen diese Speise auf das Wärmste anempfohlen.«

»Vielleicht hat er sie wegen der Bandwürmer verboten.«

»Es sind ja gar keine drin; das kann ich Dir zuschwören.«

»Also meinst Du, daß man es wagen könnte?«

»Ohne Zagen!«

Ich hörte es seinem Ton an, daß ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Die Sache machte auch unserm Wirthe Spaß, aber er ließ es sich nicht merken, sondern kaute behaglich weiter, gab sich jedoch Mühe, ein Gesicht zu schneiden, als ob seine Begeisterung mit jedem Bissen wachse.

Halef stand auf und trat vor die Thüre hinaus. Ich wußte wohl, daß er nach Osco und Omar sehen wollte. Als er wieder hereinkam, machte er ein sehr befriedigtes Gesicht. Er schien die Beiden nicht bemerkt zu haben. Sie standen auf dem Damm, um die Lokomotive anzustaunen, welche eben einen Bauzug vorüberschleppte. Sie hatten keine Zeit, sich um uns zu kümmern.

Der Hadschi setzte sich wieder nieder und sagte:

»Sihdi, ich weiß, daß Du nicht gern über den Glauben redest; aber meinst Du nicht, daß der Prophet zuweilen ein ganz klein wenig Unrecht hat?«

»Ich weiß es nicht. Aber er hat doch den ganzen Kuran vom Erzengel Gabriel dictirt erhalten.«

»Kann sich nicht auch der Engel irren?«

»Wohl nicht, lieber Halef.«

»Oder hat der Prophet den Engel nicht richtig verstanden? Wenn ich genau nachdenke, so scheint es mir, daß Allah die Schweine doch nicht erschaffen hätte, wenn wir sie nicht essen sollten.«

»Ich bin da in diesem Fall freilich ganz und gar Deiner Meinung.«

Er holte sehr tief Athem. Mein zweites Stück war verschwunden, und ich griff nun auch, dem Beispiel des Wirthes folgend, nach der Wurst. Halef mochte einsehen, daß wir fertig sein würden, bevor es ihm gelang, seine Bedenken zu überwinden.

»Sage einmal aufrichtig, Sihdi: schmeckt es denn wirklich gar so ausgezeichnet, wie ich aus Euren Gesichtern schließen muß?«

»Noch viel besser, als es in meinem Gesicht geschrieben steht.«

»So laß mich wenigstens einmal riechen.«

»Willst Du Deine Nase verunreinigen?«

»O nein. Ich halte sie dabei zu.«

Das war freilich drollig. Ich schnitt ein Stückchen Schinken ab, spießte es auf die Messerspitze und reichte es ihm hin, ohne ihn dabei anzusehen. Auch der Aufseher war so klug, ihn nicht anzublicken.

»Ah! Oh! Das ist ja beinahe ein Geruch des Paradieses!« rief der Kleine. »So kräftig, würzig und einladend! Schade, daß der Prophet es verboten hat! Hier hast Du Dein Messer wieder, Effendi.«

Er reichte es mir zurück – das Stückchen Fleisch war verschwunden.

»Na, wo ist denn das Schinkenstück?« fragte ich erstaunt.

»Na, am Messer!«

»Es ist weg.«

»So ist es heruntergefallen.«

»Das ist Jammerschade – aber, Halef, ich glaube, Du kaust.«

Ich sah ihm jetzt offen in's Gesicht. Er machte eine pfiffige Miene und antwortete:

»Ich muß ja kauen, da mir das Stück grad in den Mund gefallen ist. Oder meinst Du, daß ich es ganz verschlingen soll?«

»Nein. Wie schmeckt es?«

»So ausgezeichnet, daß ich eine Bitte aussprechen möchte.«

»So rede!«

»Erlaubst Du, daß ich die Thüre zuriegle?«

»Glaubst Du, wir könnten überfallen werden?«

»Nein. Aber Osco und Omar haben die Gesetze des Propheten nicht so tief studirt, wie ich. Sie könnten in Versuchung fallen, wenn sie jetzt hereinkämen; das möchte ich verhindern. Sie sollen ihre Seelen nicht mit dem Vorwurf beladen, sich verunreinigt zu haben mit dem Geruch des Fleisches und Blutes, welches in Därme gefüllt und dann geräuchert worden ist.«

Er stand auf, verriegelte die Thüre von innen, setzte sich dann zu uns, zog sein Messer und – schnitt sich ein halbpfündiges Stück von dem Schinken herunter, welches sehr schnell unter seinem dünnen Schnurrbart – rechts sechs und links sieben Haare – verschwand. Dann strich er sich mit beiden Händen behaglich den Bauch und sagte:

»Du siehst, Effendi, welch ein großes Vertrauen ich zu Dir habe.«

»Zunächst habe ich nur Deinen Appetit gesehen.«

»Der ist eine Folge meines Vertrauens. Was mein Effendi ißt, das kann mich nicht um den siebenten Himmel bringen, und ich hoffe von Deiner Verschwiegenheit, daß Du Osco und Omar nicht sagst, daß Deine Ansicht bei mir ebenso schwer wiegt, wie die Gesetze des heiligen Khalifen.«

»Ich habe keine Veranlassung, es auszuposaunen, daß Du auch gern etwas Gutes issest.«

»Gut, so werde ich auch noch ein Stück von diesem Sudschuk nehmen, da der Domuz pastyrmassy so ausgezeichnet war. Unser Wirth wird es mir erlauben, denn was die Gastfreundschaft spendet, das gibt Allah hundertfach zurück.«

Der Aufseher nickte aufmunternd, und Halef gab sich die größte Mühe, zu beweisen, daß er sich heute aus dem Gebot des Propheten gar nichts mache. Als er fertig war, wischte er das Messer an seiner Hose ab, steckte es in den Gürtel und sagte:

»Es gibt Geschöpfe, welche unter dem Undank der Menschen viel zu leiden haben. Das Schwein hat sicherlich nichts gethan, um die Verachtung zu verdienen, welche ihm von den Gläubigen gezollt wird. Wäre ich an Stelle des Propheten gewesen, ich hätte besser aufgepaßt, als mir der Kuran dictirt wurde. Dann wären die Thiere zu hohen Ehren gekommen, deren Wohlgeschmack das Herz des Menschen erfreut. Und nun, da wir zu Ende sind, kann ich auch wieder die Thüre öffnen, ohne befürchten zu müssen, daß meine Freunde an ihrer Seele Schaden leiden.«

Er erhob sich und schob den Riegel in dem Moment zurück, als ein junger, hübscher Bursche im Begriff stand, hereinzukommen.

»Israd,« rief der Aufseher demselben entgegen, »Du wirst heute nicht mehr arbeiten; ich gebe Dir Urlaub. Dieser Effendi will nach Treska-Konak reiten, und Du sollst ihn in der gradesten Richtung dorthin führen.«

Der junge Mann war der Bruder der Frau, von welchem vorhin die Rede war. Er nahm die Gelegenheit wahr, sich für die Rettung seiner Schwester auf's Herzlichste bei mir zu bedanken, und freute sich, mir einen Gegendienst leisten zu können.

»Aber hast Du denn ein Pferd?« fragte ich ihn. »Du kannst doch nicht gehen, wenn wir schnell reiten.«

»Ich borge mir drüben im Dorf eins,« sagte er. »Wann willst Du denn aufbrechen, Effendi?«

»So bald wie möglich.«

»Du wirst noch eine gute Weile warten müssen, denn Deine Kleider sind noch lange nicht trocken. Indessen will ich mir das Pferd besorgen.«

Er entfernte sich wieder.

»Du wirst an ihm einen guten Führer haben,« sagte sein Schwager, »und er kann Dir über Alles Auskunft ertheilen.«

»Das ist mir sehr lieb, denn ich werde ihn wohl Einiges zu fragen haben.«

»Das kannst Du doch auch mir sagen?«

»Vor allen Dingen also möchte ich gern wissen, wo ein Ort liegt, welcher Karanirwan-Khan heißt.«

»Karanirwan-Khan? Hm! Warum willst Du das wissen?«

»Weil die fünf Männer, welche wir verfolgen, dorthin reiten wollen.«

»Ich kenne leider keinen Ort dieses Namens. Ein Karanorman-Khan gibt es; das liegt oben bei Weicza im Schar Dagh.«

»Das weiß ich, aber es ist der Ort nicht, den ich suche. Karanirwan-Khan muß ein einzelnes Haus, ein Konak sein, dessen Besitzer ein Perser ist.«

»Perser sind hier selten.«

»Kennst Du keinen?«

»Einen einzigen allerdings.«

»Wie heißt er?«

»Seinen eigentlichen Namen kenne ich nicht. Er trägt einen mächtigen schwarzen Vollbart, und darum haben wir ihn stets Kara Adschemi, den schwarzen Perser, genannt.«

»Ah! Vielleicht ist dieser Mann der Gesuchte. Einen starken, schwarzen Bart muß er haben, da er eben Kara Nirwan heißt. Woher ist derjenige, welchen Du meinst?«

»Das weiß ich nicht genau. Er muß aber da oben in der Gegend von Jalicza oder Luma zu Hause sein. Ich erinnere mich, daß er einmal von einem Bären erzählte, welcher ihm oben am Zsalezs-Berg begegnet ist. Dieser Berg aber liegt bei den genannten Orten.«

»Gibt es im Schar Dagh auch Bären?«

»Nur noch höchst selten. Früher waren sie häufiger, wie mein Vater oft erzählt. Jetzt aber kommt es nur in Jahren einmal vor, daß sich so ein Thier von fern her verläuft.«

»Weißt Du nicht wenigstens, was dieser Perser ist?«

»Pferdehändler ist er, und zwar ein bedeutender. Er muß reich sein. Ich habe ihn oft mit mehr als zehn Knechten und mit einer ganzen Heerde von Pferden bei unserem Nachbar, dem Konakdschi, gesehen, bei dem er einzukehren pflegt.«

»Das ist mir höchst interessant, denn ich kann daraus Verschiedenes schließen. Dieser Pferdehändler ist ein Perser und heißt Kara. Er kehrt bei dem Konakdschi ein, bei welchem auch Manach el Barscha mit den andern Vier einkehren will. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Mann derjenige ist, den wir suchen.«

»Es sollte mich freuen, wenn ich Euch auf die rechte Spur gebracht hätte.«

»Wird Dein Schwager nichts näheres wissen?«

»Hierüber nicht. Er ist ebenso, wie ich, lange Zeit nicht oben in der Heimat gewesen. Aber wenn Du heute zu meinem Vater kommst, so magst Du ihn und meinen Bruder fragen. Diese Beiden können Dir vielleicht bessere Auskunft ertheilen.«

»Ist Dein Vater mit seinem Nachbar befreundet?«

»Sie sind weder Freunde, noch Feinde. Sie sind eben Nachbarn, welche gezwungen sind, neben einander auskommen zu müssen. Der Konakdschi hat etwas Falsches und Heimliches an sich.«

»Weißt Du nicht, ob er vielleicht mit anrüchigen Leuten verkehrt?«

»In einem so einsamen Konak kehren allerlei Menschen ein. Da läßt sich nichts sagen. Höchstens könnte ich erwähnen, daß er mit dem alten Scharka verkehrt. Das ist kein gutes Zeichen.«

»Wer ist dieser Scharka?«

»Ein Köhler, welcher mit einigen Gehilfen droben in den Bergen haust. Er soll eine tiefe, finstere Höhle bewohnen, und man raunt sich zu, in der Nähe derselben sei Mancher begraben, der keines natürlichen Todes gestorben ist. Der einsame Pfad, welcher über die Berge führt, geht durch sein Gebiet, und es ist eigenthümlich, daß gar mancher Wanderer dasselbe betritt, ohne es jemals wieder zu verlassen. Und immer sind es Leute, welche Geld oder sonstiges werthvolles Eigenthum bei sich getragen haben.«

»So ist dies ja eine wahre Mördergrube! Ist man denn den Missethaten dieses Mannes nicht auf die Spur gekommen?«

»Nein; denn es wagt sich nicht so leicht Jemand zu ihm. Seine Gehilfen sollen rohe und bärenstarke Leute sein, mit denen man es nicht aufzunehmen vermag. – Es wurde einmal eine Abtheilung von dreißig Mann Soldaten hinaufgeschickt, um die Aladschy zu fangen, welche sich bei ihm aufhielten. Die Soldaten sind unverrichteter Dinge zurückgekommen, nachdem ihnen sehr übel mitgespielt worden war.«

»Von wem?«

»Das wußten sie nicht. Sie wurden stets nur des Nachts von Leuten überfallen, die sie niemals recht zu Gesicht bekamen.«

»Also die Aladschy waren auch bei dem Köhler! Kennst Du sie?«

»Nein,« erwiederte er.

»Und doch hast Du sie heute gesehen, die beiden Kerle auf den scheckigen Pferden, welche mit Manach el Barscha ritten. Der Name dieser berüchtigten Brüder stimmt mit der Farbe ihrer Pferde.«

»Allerdings! Wer hätte das gedacht! Ich habe die Aladschy gesehen! Nun wundere ich mich auch nicht, daß diese Menschen den Fährmann mit Peitschenhieben bezahlten. Sie reiten nach Treska-Khan; dort bleiben sie jedenfalls nicht. Vielleicht wollen sie wieder den Köhler aufsuchen.«

»Das ist allerdings wahrscheinlich.«

»So bitte ich Dich um Gottes willen: reite ihnen nicht nach! Der Köhler und seine Leute sollen halbwilde Menschen sein, welche den stärksten Wolf mit der Hand erdrücken.«

»Ich kenne Menschen, die das auch vermögen, obgleich sie nicht halb oder ganz wild sind.«

»Aber es ist doch besser, solche Subjecte lieber zu vermeiden!«

»Das kann ich nicht. Ich habe Dir bereits gesagt, daß es gilt, ein Verbrechen zu verhüten. Und ebenso gilt es, ein grausiges Verbrechen zu rächen. Es gilt Leuten, welche Freunde von meinen Freunden sind.«

»Kannst Du nicht Andere damit beauftragen?«

»Nein, die würden sich fürchten.«

»So übergib die Sache der Polizei!«

»O wehe! Die würde sich noch viel mehr fürchten. Nein, ich muß diesen fünf Reitern folgen, und wenn ich dabei mit allen Kohlenbrennern der Welt in Conflict käme.«

»So ist mir angst und bange um Dich. Dieser Scharka ist ein wahrer Teufel. Seine Haut soll behaart sein, wie diejenige eines Affen, und er soll das Gebiß eines Panthers haben.«

»Das ist doch wohl übertrieben?«

»Nein. Ich erfuhr es von Leuten, welche ihn gesehen haben. Du kannst es wirklich nicht mit ihm aufnehmen.«

»List und Klugheit gehen über alle Körperkraft,« erwiederte ich. »Übrigens, wenn es Dich beruhigt, so will ich Dich bitten, mir dies hier nachzumachen.«

Es lag eine Eisenbahnschiene auf der Erde. Ich hob sie auf, nicht in der Mitte, und hielt sie ihm mit ausgestreckten Armen entgegen. Er trat zurück und rief:

»Effendi, bist Du – bist Du – – alle Wetter, ja, wenn es so ist, so erdrückst Du auch mit Leichtigkeit einen Wolf!«

»Pah! Wer sich auf seine rohe Kraft verläßt, der pflegt verlassen zu sein. Ein wenig Nachdenken ist besser als größte Körperstärke. Übrigens sind wir so gut bewaffnet, daß wir uns vor keinem Menschen zu fürchten brauchen.«

»Und« – fügte Halef in stolzem Ton hinzu, indem er auf sich selbst deutete – »mein Effendi ist nicht allein, sondern er hat mich, seinen bewährten Freund und Beschützer bei sich. Da sollen die Heerschaaren der Feinde es nur wagen, an uns zu kommen! Wir werden sie aufzehren, wie das Schwein des Busches die Heuschrecken frißt.«

Das klang gar zu possierlich. Seine Körperlänge paßte gar nicht zu dem hohen Selbstbewußtsein, mit welchem er diese Worte vorbrachte. Ich blieb ernst, weil ich den Kleinen kannte; der Aufseher aber konnte sich eines kleinen Lächelns nicht erwehren.

»Lachst Du etwa?« fragte Halef. »Ich dulde keine Beleidigung! Selbst von dem nicht, dessen Schinken und Wurst ich gegessen habe. Wenn Du mich näher kenntest, würdest Du vor meinem Zorn zittern und vor meinem Grimm beben!«

»Ich bebe beinahe,« meinte der Aufseher, indem er das ernsthafteste Gesicht zeigte.

»O, das ist noch lange nichts! Du mußt beben, daß Dir die Seele hörbar an die Wände Deines Leibes klappert. Du weißt nicht, mit welchen Thieren und Menschen wir gekämpft haben. Wir haben den Löwen, den Herrn der Wüste, getödtet und mit Feinden gekämpft, bei deren Anblick Du Dich da in den Kasten zu dem geräucherten Hintertheil des Schweines verkriechen würdest. Wir haben Thaten verrichtet, die uns unsterblich machen. Von uns wird geschrieben stehen in den Büchern der Helden und in den Schriften der Unüberwindlichen. Wir lassen nicht über uns lachen, das merke Dir! Kennst Du etwa meinen Namen?«

»Nein; aber ich habe vernommen, daß der Effendi Dich Halef nennt.«

»Halef!« meinte der Kleine in verächtlichem Ton. »Was ist Halef? Gar nichts. Halef heißen viele Leute. Aber sind diese Leute Hadschis? Haben sie Väter und Vätersväter, Ahnen und Großahnen der Urväter, welche alle auch Hadschi gewesen sind? Ich sage Dir, ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Meine Vorfahren gehörten zu den Helden, welche vor so langer Zeit lebten, daß kein Mensch mehr etwas von ihnen weiß; ich selbst auch nicht. Kannst Du das vielleicht von Deinen Ahnen sagen?«

»Ja.«

»Wie?«

»Ich weiß auch nichts von ihnen.«

Der Aufseher sagte das in ironischem Ernst. Halef blickte ihm schweigend und zornig in's Gesicht, machte dann eine sehr geringschätzige Handbewegung, drehte sich um und ging mit den Worten hinaus:

»So schweige! Wer von seinen Ahnen nichts weiß, der darf sich mit mir gar nicht vergleichen!«

»Aber,« rief der Andere ihm lachend nach, »Du hast ja eben jetzt gestanden, daß Du selbst auch von den Deinigen nichts weißt!«

»Das sind die meinigen, aber nicht die Deinigen. Von ihnen brauche ich nichts zu wissen, denn sie sind so berühmt, daß man gar nichts von ihnen zu wissen braucht!« schrie der Hadschi in höchstem Zorn zurück.

»Das ist ein sonderbares Kerlchen, Dein Begleiter,« lachte der Aufseher.

»Ein braver Mann, treu, gewandt und ohne Furcht,« antwortete ich. »Er fürchtet sich wirklich nicht vor dem Köhler. Das hat er Dir sagen wollen, aber freilich in seiner Weise. Er ist eigentlich ein Bewohner der Wüste, und diese Männer lieben es, sich in solcher Weise auszudrücken. Jetzt möchte ich einmal nach meinem Schneider sehen. Vielleicht ist er mit meinem Anzug fertig.«

»Und ich muß den Leuten ihre Arbeit anweisen. Du wirst mich entschuldigen, Effendi.«

Wir verließen die Hütte. Eben als ich die andere betreten wollte, hörte ich scheltende Stimmen hinter der Thüre. Diese wurde aufgestoßen, so daß sie mir fast in's Gesicht flog, und es kamen zwei Männer heraus, welche an mich anrannten, nämlich Halef, in der einen Hand meine Hose und in der andern den Schneider. Er zog denselben hinter sich her, so daß er mir den Rücken zukehrte und also nicht sah, an wen er rannte. Sich halb umdrehend, schrie er mich an:

»Dummkopf, hast Du keine Augen!«

»Freilich habe ich Augen, Halef,« antwortete ich.

Er fuhr herum, und als er mich sah, sagte er:

»Ah, Sihdi, soeben wollte ich zu Dir!«

Er befand sich in höchstem Zorn, riß den armen Teufel einen Schritt näher an mich heran, hielt mir die Hose hin und fragte mich:

»Sihdi, wie viel hast Du für diese Hose bezahlt?«

»Hundertdreißig Piaster.«

»So bist Du dumm gewesen, so dumm, daß es mich erbarmen möchte!«

»Warum?«

»Weil Du hundertdreißig Piaster bezahlt hast für Etwas, was eine Hose sein soll, aber keine ist!«

»Was ist es denn?«

»Ein Sack, ein ganz gewöhnlicher Sack, in welchen Du Alles thun kannst, was Dir beliebt: Erbsen, Mais, Kartoffeln, meinetwegen auch Eidechsen und Frösche. Glaubst Du das etwa nicht?«

Er blickte mich so grimmig an, daß ich mich hätte fürchten mögen. Ich antwortete ruhig:

»Wie kommst Du dazu, mein Beinkleid einen Sack zu nennen?«

»Wie ich dazu komme? Da sieh her!«

Er fuhr mit der Faust in das Hosenbein, welches zerrissen gewesen war, konnte aber mit dem Arm nicht unten heraus. Der brave Schneider hatte des Guten zu viel gethan und, indem er den Riß repariren wollte, das Bein zugeflickt.

»Siehst Du es? Siehst Du die Überraschung und das Herzeleid?« schrie Halef mich an.

»Allerdings.«

»Fahre einmal mit dem Bein hinein!«

»Das werde ich bleiben lassen.«

»Aber hinein willst Du doch, hinein mußt Du doch, dazu ist die Hose da, aus der nun ein armseliger, elender Sack geworden ist. Jetzt steht Dir nichts Anderes zu, als daß Du mit einem bekleideten und einem nackten Bein in der Welt herum reitest. Was werden die Leute sagen, wenn sie Dich sehen, Dich, den berühmten Effendi und Emir! Und wo sollst Du hier in dem elenden Dorf eine andere Hose hernehmen!«

»Brauche ich denn eine andere?«

»Freilich, natürlich! Du kannst diese doch nicht anziehen!«

»Freilich kann ich sie anziehen.«

»Wie denn? Doch nur mit einem Bein!«

»Nein, mit beiden Beinen. Dieser überfleißige Schneider braucht nur die Naht wieder aufzutrennen, und den Riß zu flicken.«

»Die – Naht – auf – – trennen!« rief Halef, mich starr anblickend. Dann brach er in ein lautes Lachen aus und fügte hinzu:

»Sihdi, da hast Du Recht. Daran habe ich in meinem Zorn gar nicht gedacht – – die Naht wieder auftrennen, das ist das Richtige!«

Das angstvolle und verlegene Gesicht des Schneiders heiterte sich wieder auf; aber er kam doch nicht so gut davon, wie er denken mochte, denn der Hadschi fuhr ihn an:

»Kerl, siehst Du denn endlich ein, welch' eine ungeheure Dummheit Du begangen hast! Erst flickst Du das Hosenbein zu, und dann weißt Du nicht einmal Hülfe zu schaffen!«

»O, ich habe es gewußt, aber Du hast mich nicht zu Worte kommen lassen,« vertheidigte sich der arme Schelm.

»O Allah, Allah, was gibt es doch für Menschen! Ich habe Dich in aller Ruhe gefragt, wie diesem Fehler abzuhelfen sei; ich habe mit der Geduld eines Marabuh auf Deine Antwort gewartet; Du aber standest da, als ob Du ein Kameel verschluckt habest, dessen Höcker Dir im Halse stecken geblieben sei, und da habe ich Dich bei Deinem eigenen Höcker genommen, um Dich zum Effendi zu führen. So ist die Sache gewesen. Kannst Du denn diese Naht wieder auftrennen?«

»Ja,« erwiederte der Schneider kleinlaut.

»Und wie lange wird dies dauern?«

»Zwei bis drei Stunden.«

»O Allah! So sollen wir also wegen Deiner Flickerei noch bis zum Abend warten? Das geht nicht, das können wir nicht zugeben.«

»Es wird nicht so lange dauern,« sagte ich, »denn ich werde ihm helfen.«

»Wie verträgt sich das mit der Würde Deines Berufes und mit der Macht Deiner persönlichen Erscheinung?«

»Sehr gut. Ich werde mich mit diesem guten Mann, der ein schlechter Schneider ist, hier hereinsetzen. Während er mir die andern Sachen ausbügelt und wahrscheinlich verbrennt, will ich das Hosenbein kuriren. Sage mir doch einmal, Du Künstler der Nähnadel, ob Du denn wirklich ein Schneider bist!«

Der Mann kratzte sich hinter dem Ohr, drückte und drückte und ließ endlich die Antwort hören:

»Effendi, eigentlich nicht.«

»So! Was bist Du denn eigentlich?«

»Ein Dürger doghramadschy

»Wie aber kommst Du auf den kühnen Gedanken, Dich für einen Schneider auszugeben?«

»Weil ich zwei Bügeleisen habe.«

»Von wem?«

»Von meinem Großvater, welcher ein wirklicher Schneider war. Es ist das Einzige, was ich von ihm geerbt habe. Nun habe ich mir noch Nadel und Zwirn gekauft, und wenn es Gelegenheit gibt, so bessere ich den Leuten die Kleider aus, weil ich jetzt als Tischler keine Arbeit habe. Darum bin ich auch hier bei dem Bau der Bahn beschäftigt.«

»So bist Du ja ein sehr vielseitiger Mann. Also Du besserst Kleider aus! Wohl auch in der Art und Weise, wie Du es bei dieser meiner Hose gethan hast?«

»Nein, Effendi! Das war nur ein Versehen.«

»Also zwei Bügeleisen hast Du wirklich? Kannst Du bügeln?«

»O, ausgezeichnet!«

»Nun, so wollen wir uns mit einander an die Arbeit machen. Aber sieh, was ist denn das?«

Ich zog die von ihm angefertigte Naht aus einander und zeigte sie ihm. Er wußte aber nicht, was ich meinte, und blickte mich fragend an.

»Wie sieht denn der Stoff aus?«

»Dunkelblau, Herr.«

»Und welche Farbe hat der Zwirn, den Du genommen hast?«

»Er ist weiß.«

»Das sieht ja schrecklich aus. Hast Du denn keinen dunklen Zwirn, vielleicht schwarzen?«

»Genug!«

»Warum hast Du keinen solchen genommen?«

»Der weiße ist noch einmal so stark als der schwarze; darum dachte ich, er werde besser halten, so daß der Riß nicht wieder aufgeht, wenn Du vielleicht wieder einmal in den Kleidern schwimmen mußt.«

»Du bist ein sehr vorsorglicher Mensch, wie ich sehe. Ich aber werde mir erlauben, schwarzen Zwirn zu nehmen. Also, komm herein!«

»Soll ich mithelfen, Sihdi?« fragte Halef.

»Ja, Du kannst die Hose halten, während ich die Stiche mache.«

Die Hütte war leer, da sich die Leute jetzt an der Arbeit befanden. Ich setzte mich mit Halef und dem Beinkleid auf ein Brett. Wir erhielten Nadel und Zwirn; anstatt der Scheere hatten wir unsere Messer, und so konnten wir die Arbeit beginnen. Ich hatte mir als Schüler manchen Knopf angesetzt und zuweilen auch einen kleinen Riß geheilt; ich wußte so leidlich den Unterschied zwischen Hinter- und andern Stichen; darum begann ich das große Werk mit vielem Selbstvertrauen. Unterdessen arbeitete der Tischler-Schneider am Ofen herum und warf Holzscheite hinein, als ob er einen Stier hätte braten wollen. Die Kacheln strömten eine Wärme aus, welche mich an die schönen Tage der Sahara gemahnte. Meine Kleider waren trocken; sie brauchten nur noch gebügelt zu werden.

Der Künstler nahm zunächst die Weste her, legte sie auf ein Brett und holte mit einer Zange das Bügeleisen aus der Feuerung. Es war hochroth; der Holzgriff war verbrannt. Der Mann sah vom Bügeleisen auf mich und von mir auf das Bügeleisen und kratzte sich dabei abermals sehr nachdrücklich den Hinterkopf.

»Was willst Du denn?« fragte ich ihn.

»Eine Frage, Herr. Was soll ich nun machen?«

»Bügeln!«

»Aber wie?«

»Wie immer. Du kannst es ja ausgezeichnet.«

»Hm! Das ist eine sehr verwickelte Geschichte.«

»Wie so?«

»Bügle ich jetzt, so ist das Eisen glühend, und ich verbrenne den Jelek. Warte ich, bis das Eisen kalt ist, so verbrenne ich ihn nicht, aber das Eisen bügelt auch nicht. Kannst Du mir vielleicht einen Rath geben? Ich habe gehört, daß Du ein weit gereister Effendi bist; vielleicht hast Du einmal bei einem Schneider zugesehen, wie er es macht.«

»Höre, ich habe Deinen Großvater in einem sehr schlimmen Verdacht.«

»Thue das nicht, ich bitte Dich! Mein Großvater – Allah schaue auf ihn im Paradiese – war ein frommer Moslem und ein braver Unterthan des Padischah.«

»Das mag sein; aber ein Schneider ist er nicht gewesen.«

Jetzt erhob der Künstler auch den andern Arm, um sich mit beiden Händen kratzen zu können. Er bot ein Bild komischster Verzweiflung, antwortete aber nicht.

»Nun, wie ist es? Habe ich Recht?«

»Effendi,« stieß er hervor, »woher weißt Du das denn?«

»Ich errathe es. Sage mir also, was er eigentlich war.«

»Nun, wenn Du es denn wirklich wissen willst, er war eigentlich ein Odundschu und schneiderte nebenbei auch für die andern Holzhacker. Die Bügeleisen aber hatte er, glaube ich, auch von seinem Großvater geerbt.«

»Der wohl auch wieder kein Schneider gewesen war?« lachte ich hellauf. »Bist Du verheirathet?«

»Nein; aber ich werde es bald sein.«

»So beeile Dich, damit Du diese berühmten Bügeleisen an Deine Enkel vererben kannst. Man muß dem Beispiel seiner Väter treu zu bleiben suchen, und ich hoffe, daß die Eisen niemals in eine andere Familie gerathen.«

»Nein, Herr, das werde ich nicht zugeben,« versicherte er ernsthaft. »Von diesem treuen Miras nazargiahi wird meine Familie sich nimmer trennen. Aber ich muß Dich doch bitten, mir zu befehlen, was ich thun soll.«

»Ich befehle Dir, dieses Erbstück gar nicht wieder anzurühren. Muß ich mir meine Hose selbst ausbessern, so kann ich mir nachher auch die Sachen selbst ausbügeln.«

Er nahm die Hände aus den Haaren, that einen tiefen Athemzug und war mit zwei großen Schritten zur Thüre hinaus. Halef wäre ihm am liebsten mit der Peitsche nachgeeilt, um ihn dafür zu züchtigen, daß er sich für einen Uruwadschi terziji oder – in modisches Deutsch wörtlich übersetzt – für einen Marchand tailleur ausgegeben hatte, ohne das Geringste von der Sache zu verstehen. Ich suchte ihn durch den guten Rath zu beruhigen, sich nicht immer durch Titel und Würden Anderer blenden zu lassen.

Gestehen will ich es aufrichtig, daß das Bügeln mir auch nicht schneidig von der Hand ging, zumal meines Wissens niemals ein Bügeleisen in meiner Familie vererbt worden war; aber als ich das Meisterstück schließlich zu Ende gebracht hatte, blieb mir nichts Anderes übrig, als möglichst stolz auf mein Werk zu sein, worin Halef mich aus allen Kräften bestärkte. Er behauptete, niemals so kräftige und haltbare Stiche wie die meinigen gesehen zu haben, und freute sich ganz besonders darüber, daß die gebügelten Stücke einen gewissen Glanz angenommen hatten, fast so, als ob sie mit Speckschwarte eingerieben worden seien. Meister des Handwerks haben mir später die Versicherung gegeben, daß ich mir auf diesen Umstand gar nichts einbilden dürfe.

Jetzt kam der Aufseher mit seinem Bruder, der meldete, er sei bereit, mit uns aufzubrechen. Der Schneider mochte berechnet haben, daß eine Inanspruchnahme seiner Kunst nicht mehr zu fürchten sei. Er steckte den Kopf zur Thüre herein und kam, als er mich in meinem eigenen Anzug dastehen sah, mit frohem Gesicht vollends heran.

»Herr,« sagte er, »wie ich sehe, bist Du fertig. Aber da Du meine zwei Bügeleisen dabei gebraucht hast, so hoffe ich, daß Du mich dafür mit einem tüchtigen Bakschisch beglückst.«

»Das sollst Du erhalten,« sagte Halef.

Er verschwand in dem Verschlage und kehrte mit den ›Stiefeln der Gicht‹ zurück. Sie sahen mehr Düten als Stiefeln ähnlich. Halef hielt sie dem Bittsteller hin und sagte in gütigem Ton:

»Wir verehren Dir diese Kablar fil ajaklari als ein ewiges Anerkennungszeichen Deiner Kunstfertigkeit. Thue sie zu Deinen Bügeleisen und vererbe sie an Deine Enkel und Enkelsenkel, damit diese Deine Nachkommen ein bleibendes Andenken daran haben, daß ihr Ahne die große Kunst verstanden hat, Hosenbeine zusammen zu nähen. Allah schuf Affen und Esel; Dich aber schickte er als die Krone dieser Schöpfung her nach Rumelia!«

Der Schneider griff nach den Stiefeln und betrachtete sie mit großen Augen. Ein solches Bakschisch hatte er nicht erwartet, noch dazu in Begleitung einer solchen Widmungsrede.

»Nun, was schaust Du hinein, als ob Du meintest, Dein Verstand müsse darinnen stecken?« fragte Halef. »Mache Dich mit ihnen von dannen, und preise unsere Großmuth, welche Dich mit einer solchen Gabe begnadigt hat!«

Ich unterstützte diese Aufforderung, indem ich einige Piaster in die Stiefel fallen ließ. Damit hatte ich den Bann von der Seele des Mannes genommen. Er konnte wieder sprechen, bedankte sich für das Geschenk und eilte mit demselben von dannen.

Jetzt kam der Abschied. Ich kürzte ihn so viel wie möglich ab, und dann ritten wir davon, meist über ungebahnte Wiesen dem Westen zu.


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