Karl May
Durch das Land der Skipetaren
Karl May

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In der Schluchthütte

Der Ort war nicht unansehnlich; lieber hätte ich ihn als einen Marktflecken bezeichnet, denn es gab auch einen kleinen Bazar hier. Mitten zwischen der Bregalnitza und der Sletowska gelegen, ist das Land gut bewässert und sehr fruchtbar. Und entgegen andern Orten, durch welche wir gekommen waren, deutete die Bauart der Häuser darauf, daß die Bewohner sich einer gewissen Wohlhabenheit erfreuten.

Natürlich ließen wir uns sofort einen Khan zeigen. Er bestand aus verschiedenen Gebäuden, welche einen sehr großen Hof umschlossen, und machte den Eindruck eines kleinen Rittergutes. Man sah es der Wirthschaft sogleich an, daß der Besitzer ein Bulgare sein müsse. Und so war es auch.

Er empfing uns überaus freundlich, gab mir die vornehmsten Titel, wohl weil er ein Pferdekenner war und meinen Rih bewunderte, und lud uns ein, in die Stube zu kommen.

Der Mann hatte sogar zwei Stuben, eine für den gewöhnlichen Verkehr und eine bessere für diejenigen Gäste, welchen er eine Auszeichnung erweisen wollte.

Zwei Knechte mußten mich vom Pferd nehmen und in die vornehmere Stube tragen, wo es zu meinem Erstaunen ein Ding gab, welches aus einem Lehngestell bestand, auf welchem ein langes, breites und weiches Polster lag. Man hätte dieses Möbel beinahe ein Kanapee nennen können.

Als er den Blick bemerkte, mit welchem ich dieses Möbel betrachtete, auf das ich niedergesetzt wurde, sagte er, indem er selbstgefällig lächelte:

»Du wunderst Dich, dieses Minder hier zu finden, Herr? Es ist in Sophia gebaut und auf einem Wagen hierher gekommen. Du wirst das Rahat otturmak gewöhnt sein, denn ich sehe, daß Du ein Muselmann und Hadschi bist; ich aber bin ein Christ und darf mit ausgestreckten Beinen sitzen. Da die Deinigen geschwollen sind, so wirst Du es sehr bequem finden.«

»Ich bin diese Art von Sitzen von Jugend auf gewöhnt,« lautete meine Antwort. »Ich bin kein Moslem.«

»Und trägst das Hamaïl der Mekkapilger!«

»Ist das verboten?«

»Ja, sehr streng.«

»Von wem?«

»Durch die Gesetze der Khalifen.«

»Die gehen mich als Christ nichts an. Ich habe auch nichts dawider, wenn ein Muhammedaner unsere Bibel bei sich trägt.«

»Wenn Du ein Christ und an das Sopha von Jugend auf gewöhnt bist, so bist Du wohl sehr weit her?«

»Ich bin aus Alemania.«

»O, das kenne ich genau!«

»Wirklich? Das freut mich.«

»Ja, es liegt neben Baweria, wo die Wolga fließt, und neben Iswitschera, wo die Tuna in den Ak deniz adalary mündet.«

»Mit Freuden höre ich, daß Du die Grenzen meines Vaterlandes kennst. Solche kenntnißreiche Leute gibt es hier sehr selten.«

»Weil sie nichts lernen wollen und nichts merken können,« antwortete er geschmeichelt. »Ich aber halte die Augen und die Ohren offen und lasse mir nie Etwas aus dem Gedächtniß schwinden. Ich weiß noch mehr, noch viel mehr von Deinem Vaterland.«

»Das merke ich bereits.«

»Euer Sultan heißt Gillem muzafer und doch auch Gillem baryschdyrydschy. Sein Großwessier ist Ismark bila satschly, und Eure Kanonen werden Jakma ijneleri genannt. Die Hauptstadt ist Münik, wo das beste Arpa suju gebraut wird, von welchem Du bei mir trinken kannst, so viel Du willst, und in – –«

»Arpa suju hast Du?« unterbrach ich ihn. »Das brauest Du wohl selbst?«

Ich dachte, ob wohl auch hier der brave Bayer eingekehrt sei, um gegen sein Bier-Rezept freie Zeche zu bekommen.

»Ja,« antwortete er, »ich mache es selbst, und es wird sehr gern getrunken, besonders im Sommer.«

»Was nimmst Du dazu?«

»Herr, das kann ich nicht verrathen.«

»Warum nicht?«

»Es ist ein großes Geheimniß.«

»O, in Baweria kennt jedes Kind dieses Geheimniß. Ich kenne sogar mehrere Geheimnisse der Biere und weiß, wie man dunkle und lichte macht, schwere und leichte, auch ganz helle, welche man Ak arpa suju nennt.«

»Herr, so bist Du noch ein viel geschickterer Arpa suju japmakdschi, als derjenige, welcher bei mir war und von welchem ich es gelernt habe.«

»Woher kam der Mann?«

»Aus Stambul.«

Aha! Er war es ganz gewiß.

»Und wo wollte er hin?«

»In seine Heimat.«

»Aber von hier aus auf welchem Wege?«

»Nach der Tuna.«

Nach der Donau, also nach Norden. Und ich wollte nach Westen. Da konnte ich den eifrigen Sendling des Gambrinus freilich nicht einholen. Ich wäre gern noch eine kleine Weile ›erröthend seinen Spuren‹ gefolgt, erröthend wegen der Leistung desjenigen seiner Schüler, bei welchem ich kürzlich ein türkisches Erzeugniß seines deutschen Receptes getrunken hatte.

»Ich habe bereits von ihm gehört und auch von seinem Bier getrunken,« bemerkte ich.

»Wie war es, Herr?«

»Sehr – warm!«

»So muß man sehr kaltes Brunnenwasser dazuschütten. Willst Du ein Kanata voll davon haben?«

»Allerdings.«

»Ein großes Kanata?«

»Gib mir erst ein kleines, damit ich es probiren kann.«

Er entfernte sich in dem Augenblick, als meine drei Gefährten hereinkamen. Sie hatten die Pferde auf eine hinter dem Hause liegende Weide geführt und der Obhut eines Hüters übergeben. Als ich ihnen sagte, daß sie Bier zu trinken bekämen, äußerten sie eine lebhafte Freude darüber. Es schien mir aber, als ob sie das mehr mir zu Gefallen als aus ›innerem‹ Antrieb thäten. Sie mußten sich natürlich über den Haupt- und Krafttrank meines Heimatlandes freuen.

Der Wirth brachte einen Krug, welcher vielleicht anderthalb Liter faßte. Ich öffnete kühn die Säume meines Mundes und setzte den Krug an. Wahrhaftig, es stieg mir so eine Ahnung von Kohlensäure in die Nase.

»Wo bewahrst Du dieses Arpa suju auf?« fragte ich.

»In großen Krügen, deren Öffnungen ich fest verstopft habe.«

»Wozu verstopfest Du sie?«

»Weil dann in dem Arpa suju ein Jel entsteht, wodurch es besser schmeckend wird. Es steigen Kalaputschlar und Indschülar auf.«

»Wer hat Dir das gezeigt?«

»Der Bawerialy, der mir das Kochen des Arpa suju gelehrt hat. Koste es nur einmal!«

Ich kostete nicht, sondern ich trank, denn das Gebräu war gar nicht so übel. Meinen Gefährten ging es ebenso. Darum bestellte ich mir nun eine viel größere Kanata, womit ich mir, wie ich erkannte, das Herz des Bulgaren im Flug eroberte.

Er brachte einen Krug, an welchem wir bis zum späten Abend genug haben konnten, und fragte, ob wir auch einen Imbiß dazu wünschten.

»Später, jetzt noch nicht,« antwortete ich. »Wir haben vorher noch eine kleine Besprechung mit einem Bewohner dieses Ortes. Kennst Du die Leute hier alle?«

»Alle mit einander.«

»Auch den Fleischer Tschurak?«

»Auch diesen. Er war Fleischer, ist aber jetzt Viehhändler und reist überall herum.«

Am liebsten wäre ich zu Tschurak gegangen, um ihn in seinem Heim aufzusuchen. Da lernt man die Leute am besten kennen und am sichersten beurtheilen. Leider aber konnte ich nicht gehen. Und hinreiten und mich zu ihm in das Haus tragen lassen, das wäre ebenso unbequem wie lächerlich gewesen.

»In welchen Verhältnissen befindet sich dieser Mann?« erkundigte ich mich.

»In sehr guten. Er war früher arm; aber der Handel scheint viel Geld einzubringen, denn Tschurak gehört jetzt zu den reichsten Leuten der Umgegend.«

»So genießt er jetzt einen recht guten Ruf?«

»O freilich! Er ist ein sehr braver Mann, fromm, wohlthätig und sehr angesehen. Wenn Du ein Geschäft mit ihm zu machen hast, so wirst Du ihn als ehrlichen Mann kennen lernen.«

»Das freut mich sehr, denn ich habe allerdings so eine Art von Geschäft mit ihm abzuschließen.«

»Ist es bedeutend?«

»Ja.«

»So bist Du wohl nur einstweilen bei mir abgestiegen und wirst bei ihm wohnen?«

»Nein, ich bleibe bei Dir. Ich habe mich auf Sbiganzy gefreut, denn die Gegend ist mir als eine sehr schöne geschildert worden – –«

»Das ist sie auch, ja, das ist sie, Herr. Die Lage zwischen zwei Flüssen, schon das ist ein Vortheil. Dann kommen die prachtvollen Berge, die sich hinauf nach Sletowo und noch weiter ziehen. Das ist überall so einladend zum Spazierengehen.«

»Das sagte man mir. Besonders romantisch soll der Weg nach der Derekulibe sein.«

Ich hatte mit Absicht das Gespräch auf die Schluchthütte gelenkt. Ich wollte aus dem Munde dieses unbetheiligten Mannes erfahren, was für ein Ort sie sei.

»Nach der Derekulibe?« fragte er. »Die kenne ich noch gar nicht.«

»So ist sie kein allgemein bekannter Ort?«

»Ich habe noch nie von ihr gehört.«

»Aber es muß doch unbedingt in dieser Gegend ein Bauwerk geben, welches diesen Namen trägt.«

»Wohl schwerlich. Ich bin hier geboren und habe stets in Sbiganzy gelebt. Ich müßte doch die Hütte kennen.«

»Hm! So hat ihr jedenfalls nur derjenige, welcher mit mir von ihr sprach, diesen Namen gegeben.«

»Das ist wahrscheinlich.«

»Aber selbst in diesem Fall muß sie vorhanden sein. Dem Namen nach ist es eine Hütte, welche in einer Schlucht liegt. Ist Dir vielleicht so Etwas bekannt?«

»Soll sie bewohnt sein?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wenn sie keinen Bewohner hat, so kenne ich sie. Es gibt allerdings draußen im Wald eine Hütte, die ganz im finstersten Winkel der Schlucht liegt. Mein Vater hat sie aus Holz gebaut, denn das Gehölz gehörte ihm. Vor ungefähr acht Jahren aber hat es mir der Fleischer abgekauft.«

Diese Thatsache diente mir als Beweis, daß diese Hütte gemeint sei. Darum fragte ich weiter:

»Wozu hat sie Dein Vater gebaut?«

»Um die Werkzeuge darin aufzubewahren: Hacken, Schaufeln, Spaten und Anderes.«

»Und wozu braucht sie der Fleischer?«

»Das weiß ich nicht. Ich glaube gar nicht, daß er sie benutzt, obgleich er Sitze hineingebaut hat, welche früher nicht darin waren.«

»Ist sie verschlossen?«

»Ja. Sie besteht aus zwei Abtheilungen. Ganz hinten in der Schlucht läuft eine schmale Rinne im Felsen herab; an diese Rinne ist die Hütte angebaut. Warum fragst Du so angelegentlich darnach?«

»Weil man sie mir genannt und dabei gesagt hat, daß der Weg dorthin ein sehr romantischer sei.«

»Da hat man Dich getäuscht. Du kommst erst durch offene Felder und dann in den dunklen Wald, wo Du gar keine Aussicht hast. Die Wände des Thales rücken immer näher zusammen, und wo sie sich vereinigen, da ist der Wald am wildesten, und dort steht die Hütte neben einer Quelle, welche aus dem Gestein entspringt. Eine schöne Gegend ist dort nicht.«

Da meinte Halef:

»Sihdi, wir suchen einen Ort, den wir nicht finden können, und heute Morgen hast Du einen ähnlich lautenden Namen genannt. Sprachst Du nicht von einem Ort, der ebenso heißt, wie derjenige, welcher auf dem Zettel Hamd el Amasat's steht? Du sagtest, unser heutiger Weg könnte durch denselben führen.«

»Meinst Du Karaorman?«

»Ja, so lautete es.«

»Da fehlt ein Buchstabe. Wir suchen Karanorman.«

»Vielleicht ist das nur ein Schreibfehler.«

»Dies ist möglich. Bist Du in Karaorman bekannt?« fragte ich nun den Wirth.

»Ja,« antwortete er. »Ich bin oft in dem Dorf gewesen, denn unser Weg nach Istib führt hindurch.«

»Gibt es dort vielleicht einen großen Khan?«

»Nein, der Ort hat gar keinen Gasthof. Er liegt so nahe an Istib, daß die Leute lieber in der Stadt einkehren als in dem Dorf.«

»Es handelt sich nämlich um einen Ort oder um ein Gebäude Namens Karanorman-Khan.«

»Ist mir völlig unbekannt. Hier in der Umgegend kann es nicht sein.«

»Das habe ich mir auch gedacht.«

»Wer ist aber dann der Kiaja von Sbiganzy?«

»Der bin ich. Schon mein Vater war es.«

»So hast Du die Ausübung der Gerichtsbarkeit?«

»Ja, Effendi. Ich werde jedoch in dieser Beziehung nur sehr wenig belästigt. Es wohnen lauter gute Leute hier. Fällt einmal Etwas vor, so sind es stets Fremde, die uns zu schaffen machen. Leider ist die Macht eines Kiaja nicht bedeutend. Es kommt vor, daß man von Halunken geradezu ausgelacht wird, weil sie wissen, daß sie eher unterstützt werden als ich selbst.«

»Das ist schlimm. In solchen Fällen mußt Du streng sein, um Dein Ansehen zu wahren.«

»Das thue ich auch, doch verlasse ich mich dabei weniger auf meine Vorgesetzten als vielmehr auf mich selbst. Diese Strolche, die sonst gar nichts respektiren, haben doch eine gewisse Achtung vor einem Paar kräftiger Fäuste, und diese besitze ich. Ich verfahre da summarisch. Es geschieht zuweilen, daß ich beide Parteien durchprügele; aber das ist nicht immer ungefährlich. Vor einigen Wochen hätte es mir das Leben kosten können.«

»Wie so?«

»Hast Du vielleicht schon einmal von den beiden Aladschy gehört?«

»Allerdings.«

»Das sind die frechsten und gefährlichsten Strolche, welche es nur geben kann, echte Skipetaren, kühn bis zur Verwegenheit, schlau wie eine Wildkatze, grausam und brutal. Denke Dir, der Eine, welcher Bybar heißt, während sein Bruder sich Sandar nennt, kommt eines Abends auf meinen Hof geritten, steigt ab, spaziert in der Stube herum, trotz der anwesenden Leute, und verlangt Blei und Pulver von mir.«

»Vom Kiaja? Das ist stark!«

»Allerdings. Hätte ich ihm den Schießbedarf gegeben, so wäre es mit meiner Reputation vorbei gewesen. Ich schlug ihm also sein Verlangen ab. Da fiel er über mich her, und es kam zu einem bösen Kampf.«

»Natürlich bliebst Du Sieger, denn es waren ja Leute da, welche Dir beistehen mußten.«

»O, da rührte kein Einziger auch nur einen Finger, denn sie fürchteten die Rache des Aladschy. Ich bin zwar auch kein Schwächling, aber dem baumstarken Kerl war ich nicht gewachsen. Er überwältigte mich und schlug so auf mich ein, daß er mich wohl übel zugerichtet hätte, wenn mir nicht zwei meiner Knechte beigesprungen wären. Wir packten ihn nun gemeinschaftlich beim Kragen und warfen ihn hinaus.«

»Nicht übel! Der Polizeiverwalter eines Ortes wirft den Räuber, den er festnehmen sollte, gemüthlich zur Thüre hinaus!«

»Lache nur! Ich war froh, daß ich ihn los wurde. Was sollte ich mit ihm machen?«

»Ihn einsperren und dann nach Uskub schaffen, welches ja die Hauptstadt Deines Vilajets ist.«

»Ja, das wäre meine Pflicht gewesen; aber wie das anfangen? Wohin sollte ich ihn sperren?«

»In das Ortsgefängniß.«

»Es ist keines da.«

»So hast Du doch wohl hier in Deinem Hause einen festen Ort.«

»Den habe ich auch, und es haben schon verschiedene Leute darin gesteckt. Aber bei dem Aladschy war es doch etwas Anderes. Um ihn in den Keller hinab zu bringen, dazu hätten mehr als zehn Mann gehört. Er hätte sich ganz gewiß seiner Waffen bedient, um sich zu wehren, und sicher hätte es Einigen von uns das Leben gekostet. Und selbst wenn es mir gelungen wäre, ihn zu entwaffnen und einzusperren, wie ihn dann nach Uskub bringen?«

»Ihn binden und auf einen Wagen laden.«

»Und mich unterwegs von seinen Kameraden überfallen und ermorden lassen!«

»So hätte ich an Deiner Stelle nach Uskub geschickt und Militär kommen lassen.«

»Das wäre gegangen, ja; aber heute lebte ich nicht mehr. Als er fortritt, stieß er die schrecklichsten Drohungen aus. Am andern Tag ging ich auf das Feld. Da fiel aus einem Gebüsch, an welchem ich vorüber kam, ein Schuß. Er war nicht genau gezielt, denn die Kugel ging mir zwischen Leib und Arm hindurch. Zwei Zoll weiter nach rechts, so hätte sie mir im Herzen gesessen.«

»Was thatest Du dann?«

»Ich sprang schnell hinter einen dicken Baum und zog die Pistole. Da kam dieser Bybar aus dem Busch heraus. Er saß auf seinem Schecken, lachte mir höhnisch zu und rief, daß er mir heute nur gezeigt habe, was mich erwarte; später werde er besser treffen. Dann ritt er davon.«

»Bist Du ihm wieder begegnet?«

»Nein. Aber ich gehe nun nicht mehr ohne meine Flinte aus dem Hause, denn wenn wir uns das nächste Mal sehen, so stirbt Einer von uns: er oder ich.«

»So halte Dich bereit! Diese Begegnung kann vielleicht noch heute Statt finden.«

»Wie? Noch heute?«

»Ich weiß, daß beide Aladschy heute oder spätestens morgen nach Sbiganzy kommen werden.«

»Heilige Mutter Gottes! Da kann ich mich gefaßt machen! Woher weißt Du es?«

Ich erzählte ihm mein Zusammentreffen und meinen Kampf.

»Und Du lebst noch!« rief er, fast starr vor Staunen. »Das ist ein Wunder, ein großes Wunder!«

»Nun, ich bin freilich nicht so billig davon gekommen wie Du. Ich habe während des Kampfes den Fuß verrenkt; darum siehst Du mich in diesen Stiefeln vor Dir sitzen.«

»Den Fuß hast Du Dir verrenkt! Und bist ihnen dennoch entkommen?«

»In der That. Sie haben dann erfahren, daß ich nach Sbiganzy reiten will, und nun sind sie unterwegs, um sich zu rächen.«

»O wehe! Da bringst Du uns also diese Räuber auf den Hals!«

»Willst Du mich darüber zur Rede stellen?«

»O nein! Ich muß Dich vielmehr beschützen. Aber wie soll ich dies anfangen? Es kann mir vielleicht selbst mein Leben kosten.«

»Ich bedarf Deines Schutzes nicht; aber unbequem werde ich Dir dennoch sein, denn Du mußt einen hiesigen Einwohner verhaften.«

»Wer könnte das sein?«

»Der Fleischer Tschurak.«

»Herr, das ist nicht möglich!«

»Vielleicht doch. Zunächst schaue Dir einmal diese Pässe an. Du wirst aus ihnen ersehen, daß ich Deine Hülfe wohl begehren darf, wenn sie mir nothwendig zu sein scheint.«

Als er die Legitimationen durchgesehen hatte, gab er sie mir unter einer tiefen Verneigung zurück und sagte:

»Effendim, ich habe recht vermuthet: Du mußt ein vornehmer Mann sein, denn Du stehst unter dem Schutz des Großherrn. Das aber ist schlimm für mich, weil ich Dir in Allem zu Willen sein muß und doch von oben herab keine Unterstützung erwarten darf. Versage ich Dir meinen Beistand, so beklagst Du Dich über mich, und es wird mir schlecht ergehen. Versage ich ihn Dir aber nicht und es werden meinen Vorgesetzten dadurch Unbequemlichkeiten verursacht, so geht es mir ebenso schlimm. Also ich kann thun oder lassen, was ich will, so habe ich den Schaden.«

»Sei unbesorgt. Ich werde so zu handeln suchen, daß Dir kein Schaden erwächst. Hast Du von dem Schut gehört?«

»Gewiß. Er ist der Anführer einer über diese ganze Gegend verbreiteten Verbindung von Verbrechern. Man kennt ihn nicht; man weiß nicht, wer er ist und wo er wohnt; aber er und seine Leute sind überall.«

»Ich suche ihn.«

»Du? Ah, so bist Du wohl ein oberer Herr der Polizei und reisest als Gizli aramdschi in dieser Gegend?«

»Nein, ich bin kein Beamter. Ich habe in eigner Angelegenheit einige Worte mit dem Schut zu sprechen.«

»Du wirst ihn niemals finden.«

»Ich bin ihm bereits auf der Spur. Es lebt hier bei Euch in Sbiganzy ein Vertrauter von ihm.«

»Das ist unmöglich, Herr!«

»Es ist gewiß!«

»Wir haben lauter ehrliche Leute hier.«

»Wahrscheinlich irrst Du Dich.«

»Wen meinst Du?«

»Wieder diesen Tschurak.«

»Herr, ich will Dir Alles glauben, nur das nicht!«

»So scheint also der Fleischer ein gewandter Heuchler zu sein.«

»Nein, er ist ein braver Mann, er ist sogar mein Freund.«

»Dann bist Du in der Wahl Deiner Freunde nicht sehr vorsichtig gewesen.«

»Bringe Beweise, Effendi!«

»Das werde ich thun. Vorher aber muß ich von Dir strengste Verschwiegenheit fordern. Tschurak darf nicht ahnen, daß ich mit Dir über ihn gesprochen habe.«

»Ich werde schweigen.«

»So will ich Dir einstweilen Einiges sagen. Hast Du vielleicht einmal von dem alten Mübarek in Ostromdscha gehört?«

»Ja. Er gilt für einen großen Heiligen und soll sogar Wunder verrichten können.«

»Glaubst Du das?«

»Nein, denn ich bin kein Moslem.«

»Dieser Mensch ist ein höchst gefährlicher Bösewicht. Er scheint ein Unteranführer des Schut zu sein.«

»Herr, Du sagst mir lauter Dinge, die mich in Erstaunen versetzen.«

»O, ich habe diesen Mübarek überführt, und die Kasa in Ostromdscha hat auf Grund meiner Beweise ihn gefangen genommen. Er aber entfloh und ist nun mit drei anderen Verbrechern und den beiden Aladschy, welche seine Verbündeten sind, unterwegs hierher.«

»So schütze uns Gott!«

»Sie wollen den Fleischer Tschurak aufsuchen.«

»Also bleibst Du dabei, daß derselbe ein Verbrecher ist?«

»Ja. Ich verlange aber jetzt gar nichts von Dir und erwarte nur, daß Du mir kein Hinderniß in den Weg legest.«

»Das fällt mir nicht ein. Gebiete über mich.«

Nun forschte ich weiter:

»Es ist möglich, daß die genannten Personen bereits hier angekommen sind. Ich möchte es aber bestimmt wissen.«

»Sie sind noch nicht da. Wären sie gekommen, so hätte ich sie sehen müssen. Der Fleischer wohnt mir gegenüber, da drüben in dem Hause, welches Du durch den Laden siehst. Er war auch gar nicht daheim, sondern er ist erst vor kaum einer Stunde nach Hause gekommen.«

»Willst Du ihm nicht sagen lassen, er möge sich zu mir bemühen, denn ich hätte mit ihm zu reden?«

»Wie Du befiehlst. Soll ich bei Eurem Gespräch zugegen sein?«

»Nein. Ich verlange nur, daß Du nicht das Geringste gegen ihn merken lässest; sei so freundlich mit ihm wie immer.«

Er ging hinaus, um den Boten zu schicken, den ich dann im Hause des Fleischers verschwinden sah. Auf das Erscheinen desselben war ich ungemein neugierig. Ich bereitete mich vor, einen kriechenden, höflichen, von Schmeicheleien überfließenden Menschen zu sehen. Ich war der Ansicht, daß er Hehler und nicht ein thätiges Mitglied der Bande sei.

Ich nahm die Koptscha heraus, welche ich dem Ismilaner Wirth Deselim abgenommen hatte, und steckte sie vorn an meinen Fez. Halef that mit der seinigen dasselbe. Zu bemerken ist, daß ich das grüne Turbantuch nicht mehr trug.

Diese Koptscha als das Zeichen der Mitgliedschaft der Bande mußte uns vor dem Fleischer legitimiren. War der Mübarek mit seinen Begleitern nicht angekommen, so durfte ich hoffen, heute hinter das so lange vergeblich gesuchte Geheimniß zu kommen. Natürlich schärfte ich meinen Gefährten streng ein, freundlich mit dem Mann zu sein und ja Alles zu unterlassen, was sein Mißtrauen erwecken könnte.

Dann sah ich ihn mit dem Boten drüben aus dem Hause kommen. Ich hatte mich geirrt. Er war ein ganz Anderer, als ich ihn mir vorgestellt hatte.

Seine Gestalt war hoch und kräftig, schlank und sehnig, wie diejenige eines echten Bergbewohners. Er trug einen Fez, rothe Pumphosen, eine blaue Weste, mit Silberschnüren verziert, und eine rothe, goldgestickte, weitärmelige kurze Jacke. Ein gelbseidener Shawl, welcher um seine Hüften geschlungen war, enthielt den Handschar und zwei Pistolen. An den Füßen trug er glänzende Stiefel, welche bis zum Knie reichten, wo die Hose sich in ihnen verlief.

Draußen im Hof wechselte er einige kurze Worte mit dem Wirth, dann kam er herein. Seine dunklen Augen überflogen uns mit einem scharfen Blick, welcher eine längere Weile auf mir haften blieb. Diese Augen machten einen eigenartigen Eindruck auf mich. Sie waren kalt, herzlos, grausam. Es schien, als ob sie niemals mild blicken könnten. Einen Moment lang zogen sie sich zusammen, so daß zu beiden Seiten an den Winkeln kleine Fältchen entstanden. Dann sahen sie gleichgültig unter den Lidern hervor.

Er grüßte und verbeugte sich wie ein Mann, welcher höflich sein will, ohne seiner Selbstachtung etwas zu vergeben, und fragte:

»Bist Du der Effendi, welcher mit mir sprechen will?«

»Ja. Verzeihe, daß ich Dich störe, und setze Dich.«

»Gestatte, daß ich stehen bleibe. Meine Zeit ist kurz.«

»Vielleicht werde ich Dich länger in Anspruch nehmen, als Du meinst. Oder ist Deine Zeit vielleicht deßhalb so kurz bemessen, weil Du Gäste hast?«

»Ich habe keine Gäste.«

»Und erwartest Du auch keine?«

»Nein,« erwiederte er kurz.

»So bitte ich Dich, Platz zu nehmen. Ich habe einen kranken Fuß – ich kann nicht stehen, und es würde mich beschämen, sitzen zu müssen, während Du höflich bist.«

Jetzt ließ er sich nieder. So scharf ich ihn betrachtete, ich konnte doch nichts entdecken, was geeignet gewesen wäre, Argwohn zu erregen. Er war ganz der selbstbewußte Skipetar, welcher zu einem Fremden geladen ist und nun erwartet, den Grund davon zu hören. Den Eindruck eines Heuchlers, eines hinterlistigen Menschen, eines versteckten Hehlers machte er gar nicht.

»Kennst Du das?« fragte ich, auf die Koptscha deutend.

»Nein,« antwortete er.

Das hatte ich erwartet. Er konnte sich mir, dem ihm ganz Fremden, doch nicht gleich auf die erste Frage preisgeben.

»Siehe Dir diesen Knopf genau an!«

Er betrachtete ihn mit einem gleichgültigen Blick und sagte dann:

»Pah, ein Knopf! Hast Du mich seinetwegen holen lassen?«

»Ja,« erwiederte ich ohne Umschweife.

»Ich handle mit Pferden und Rindern, nicht aber mit Knöpfen,« lautete seine Antwort.

»Das weiß ich wohl. Mit dieser Art von Knöpfen wird überhaupt kein Handel getrieben. Ich bin gekommen, um Dir einen Gruß zu bringen.«

»Von wem?« fragte er kühl.

»Von Deselim, dem Wirth in Ismilan, und von seinem Bruder.«

Da nahmen seine Augen einen freundlicheren Blick an, und sein Gesicht wurde weniger ernst.

»Kennst Du die Beiden?« fragte er nun.

»Sehr gut. Natürlich muß ich sie kennen.«

»Natürlich? Wie so?«

»Weil wir Brüder sind.«

»Woher kommst Du?«

»Aus Stambul. Ich bin ein Abgesandter des Usta, von welchem Du gehört haben wirst.«

»Ich weiß. An wen hat er Dich gesandt?«

»An den Schut.«

»Wirst Du diesen finden?«

»Ich denke es.«

»Hm! Das ist schwer.«

»Mir aber wird es leicht sein, denn Du wirst mir Auskunft ertheilen.«

»Ich? Was weiß ich von dem Schut! Hältst Du mich für einen Räuber?«

»Nein, sondern für einen tapferen Skipetaren, welcher die Bedeutung dieser Koptscha kennt und danach handeln wird.«

»Herr, ich weiß genau, was ich zu thun habe. Die Koptscha, welche Du trägst, ist diejenige eines Anführers; aber wir haben dieses Zeichen abgeschafft. Es gilt nichts mehr, denn es ist zu viel Mißbrauch mit demselben getrieben worden. Es gibt jetzt ganz andere Zeichen.«

»Welche?« fragte ich gelassen.

»Du siehst ein, daß ich sie Dir nicht sagen kann, denn Du selbst sollst Dich ja durch dieselben legitimiren.«

»Es sind Worte?«

»Ja. Das erste Wort bedeutet einen Ort. Wo suchst Du den Schut?«

»In der Derekulibe.«

»Herr, das stimmt. Ich höre, daß Du wirklich zu uns gehörst. Aber das Erkennungszeichen? Kennst Du es?«

Leider hatte ich keine Ahnung, welches Wort es sein sollte. Da dachte ich an den Fährmann von Ostromdscha und an die Art und Weise, wie er sich bei dem alten Mübarek legitimiren mußte. »Bir Syrdasch – ein Vertrauter«, hatte er vor der Thüre rufen müssen. Sollte dies auch hier das Zeichen sein? Ich wagte es, mich desselben zu bedienen, und antwortete:

»Natürlich muß ich es kennen, denn ich bin ja bir Syrdasch – ein Vertrauter.«

Jetzt nickte er zufrieden, reichte mir die Hand und sagte in fast herzlichem Ton:

»Auch das stimmt. Du bist einer der Unserigen. Ich darf Vertrauen zu Dir haben und heiße Dich willkommen. Willst Du nicht dieses Haus verlassen und lieber mein Gast sein?«

»Ich danke Dir. Du siehst ein, daß es besser ist, wenn ich hier bleibe.«

»Du bist ein kluger und vorsichtiger Mann; das freut mich und erhöht mein Vertrauen. Welche Botschaft hast Du zu bringen?«

»Das darf ich nur dem Schut sagen.«

»Also auch zu schweigen weißt Du. Hm! Was werde ich thun?«

Er stand auf und schritt nachdenklich in der Stube auf und ab. Dann fragte er:

»Ist es etwas Persönliches oder Geschäftliches?«

»Es handelt sich um ein Geschäft, welches gar sehr viel einbringen kann.«

Seine Augen funkelten gierig.

»Und was erwartest Du von mir?«

»Daß Du mich zur Derekulibe führst.«

»Denkst Du, den Schut dort zu finden?«

»Hoffentlich.«

»Nun, ich kann Dir im Vertrauen sagen, daß er Dich dort erwarten wird, wenn ich ihn benachrichtige. Das wird nur ein kleines Stündchen in Anspruch nehmen. Hast Du so lange Geduld?«

»Wenn es sein muß, werde ich warten, obgleich ich Eile habe.«

Es lag mir natürlich daran, dem Mübarek zuvorzukommen. Traf dieser unterdessen ein, so war es um mich geschehen.

»Ich werde mich beeilen,« versicherte er. Und nun einen forschenden Blick auf meine Begleiter werfend, fuhr er fort:

»Wer sind diese Männer?«

»Meine Freunde und Begleiter.«

»Kommen sie in derselben Angelegenheit?«

Ich bejahte, und er fragte weiter:

»Und auch sie wollen den Schut sehen?«

»Das ist nicht unbedingt nothwendig. Es genügt wohl auch, wenn ich allein mit ihm spreche.«

Es glitt ein leises undefinirbares Lächeln über sein Gesicht. Er drehte die Spitzen seines langen Schnurrbartes aus, überflog die Drei nochmals mit prüfendem Blick und antwortete:

»Sie müssen auch mitkommen. Der Schut wird sie gewiß ebenfalls sehen wollen, da sie mit Dir gekommen sind.«

»Auch das ist mir recht.«

»Aber, Herr, ich sehe, daß Du die Stiefel eines Kranken trägst. Was hast Du an Deinen Beinen?«

»Während des Rittes ist mir ein Fuß verletzt worden; ich kann also nicht gehen.«

»Wie willst Du mir denn nach der Derekulibe folgen?«

»Zu Pferd.«

»O, man hört, daß Du den Weg nicht kennst. Zu Roß könntest Du gar nicht durch das Dickicht kommen.«

»Ist es nicht möglich, daß der Schut sich zu mir bemühe?«

»Was denkst Du! Er würde es nicht thun, selbst wenn der Padischah ihn darum ersuchte.«

»Das glaube ich gern!«

»Übrigens läßt er sein Gesicht nie sehen. Er schwärzt es stets. Könnte er aber mit einem solchen Antlitz hierher kommen?«

»Nein; das sehe ich gar wohl ein. Wie aber soll ich denn in die Hütte kommen?«

»Es gibt nur ein Mittel: Du mußt Dich tragen lassen.«

»Das ist zu unbequem. Die Träger würden ermüden.«

»O nein. Sie sollen Dich doch nicht auf den Armen tragen; man nimmt einfach einen Tachterewan dazu. Du wirst ihn von mir bekommen. Meine Mutter ist so alt und schwach, daß sie nicht gehen kann. Ich habe ihr daher einen Tachterewan anfertigen lassen, damit sie ihre Besuche machen kann, ohne ihre Füße anzustrengen.«

»Ich werde Dir Dank wissen. Wirst Du auch die Träger bestellen?«

»Wo denkst Du hin? Träger! Können wir fremde Leute bei uns brauchen? Es wäre ja sofort um unser Geheimniß geschehen. Du wirst Dich von Deinen Leuten tragen lassen müssen.«

»Gut; so mögen sie die Sänfte holen.«

»Aber nicht sogleich. Ich muß erst den Schut benachrichtigen. Und sodann mußt Du dem Wirth sagen, daß Du mein Freund bist, und daß er Alles zu thun hat, was ich ihm sage.«

»Warum?«

»Weil ich nicht weiß, was Du dem Schut zu melden hast und was das Ergebniß Eurer Unterredung sein wird. Es ist ja möglich, daß ich als Bote zurück in das Dorf gehen muß. Vielleicht ladet der Schut Dich ein, sein Gast zu sein, oder wer weiß, was sonst beschlossen wird. Da muß ich mich doch vor dem Wirth als Deinen Beauftragten ausweisen können.«

»Auch dazu bin ich bereit,« erklärte ich.

»Wohlan denn: von jetzt an in einer Stunde holt Ihr den Tachterewan und kommt vor das Dorf hinaus, da rechts von dem Thor aus. Ich warte draußen, denn man soll uns hier nicht beisammen sehen.«

Er trat an den in den Hof führenden Laden und rief den Wirth herein, zu dem er sagte:

»Ich habe mit diesem Effendi ein Geschäft. Er wird sich in einer Stunde entfernen und Dir vielleicht später durch mich eine Botschaft senden. Darum läßt er Dir jetzt sagen, daß Du Alles thun sollst, was ich Dir in seinem Auftrage mittheile. Frage ihn selbst.«

Der Wirth sah mich fragend an, und ich bestätigte es. Dann entfernte sich der Fleischer. Ich sah ihn in sein Haus treten, das er bald darauf wieder verließ.

»Herr, ich begreife Dich nicht,« begann nun der Wirth, welcher stehen geblieben war. »Ich denke, Du hältst den Fleischer für einen Verbrecher, und doch gibst Du ihm eine solche Vollmacht. Wenn er kommt, muß ich nun gehorchen.«

»Durchaus nicht. Ich that es nur zum Schein und nehme jetzt diese Vollmacht wieder zurück. Es ist möglich, daß ich ihn sende, aber dann werde ich ihm hier aus meinem Notizbuch ein Blatt mitgeben, auf welches ich nur das eine Wort ›Allah‹ schreibe. Zeigt er es Dir vor, so thust Du, was er will; hat er aber kein solches Blatt mit dem Wort, so weigerst Du Dich.«

»Er wird mir zürnen.«

»Das ist für Dich nicht so schlimm, als wenn ich Dir zürne. Er könnte es vielleicht auf unsere Waffen und auf mein Pferd abgesehen haben. Hast Du einen verschließbaren Stall?«

»Ja, Herr.«

»So laß unsere Pferde in denselben bringen, und zwei Knechte sollen dabei wachen; ich bezahle sie. Du wirst die Pferde nur uns selbst übergeben. Verstanden?«

»Sehr wohl. Du bringst mich aber in eine Lage, welche nicht sehr angenehm ist.«

»Ich finde gar nichts Unangenehmes dabei. Du hast uns die Thiere aufzubewahren und dafür zu sorgen, daß sie nicht gestohlen werden. Das ist Alles. Du würdest uns freilich für den Schaden haften müssen.«

»Um des Himmels willen! Wenn ich Dir den Rappen ersetzen müßte, könnte ich nur gleich mein Haus verkaufen! Ich werde selbst auch Wache halten.«

»Thue das und bringe uns nun ein Essen.«

Wir aßen, und nach einer Stunde holten Osco und Omar aus dem Hause des Fleischers die Sänfte. Ich stieg ein, schärfte dem Wirth noch einmal ein, wie er sich zu verhalten habe, und dann brachen wir auf.

Die beiden Genannten trugen die Sänfte. Ihre Flinten hatten sie über den Achseln hangen. Halef schritt voran und trug drei Gewehre: das seinige und meine beiden, für welche es in der Sänfte keinen Raum gab. Als wir das Dorf hinter uns hatten, bemerkten wir den Fleischer. Er sah uns kommen und schritt uns nun ein großes Stück voraus. Erst als der wald begann, wo man nicht von Weitem beobachtet werden konnte, blieb er stehen und erwartete uns.

Mit verwundertem, beinahe zornigem Blick betrachtete er uns und sagte:

»Ihr seid ja bewaffnet, als ob wir in die Schlacht ziehen wollten!«

»Die Waffe ist das Zeichen des freien Mannes,« antwortete ich.

»Aber hier habt Ihr sie nicht nöthig!«

»Wir sind gewöhnt, uns niemals von ihnen zu trennen.«

»Jetzt müßt Ihr es aber doch thun, sonst könnt Ihr nicht mit dem Schut sprechen. Er duldet nicht, wenn man sich ihm bewaffnet naht. Wenn Ihr Eure Waffen vor der Hütte ablegt, so sind sie ja gut aufgehoben, denn ich werde bei ihnen bleiben.«

»Ich gebe meine Waffen nicht ab,« erwiederte ich, »und wenn der Schut nicht mit uns sprechen will, so werde ich Dich gar nicht weiter belästigen.«

Sogleich gab ich den Befehl zum Umkehren. Der Zug wandte sich dem Dorfe wieder zu. Der Fleischer aber stieß einen nicht ganz unterdrückten Fluch aus und sagte:

»Halt! Das geht doch nicht! Ich habe den Schut bestellt, und es würde mir sehr übel bekommen, wenn ich Euch nicht zu ihm brächte.«

»So sorge dafür, daß er kein so unsinniges Verlangen an uns stellt!«

»Etwas Unsinniges thut der Schut niemals. Ich will aber versuchen, ob ich Euch die Erlaubniß erwirken kann, die Waffen zu behalten. Es sollte mich wundern, wenn er eine Ausnahme machen würde.«

Er schritt zornig weiter, und wir folgten ihm wieder.

Es wollte mir gar nicht gefallen, daß er so darauf versessen war, uns waffenlos zu machen. Sollte der Mübarek doch bereits angekommen sein? Wurden wir jetzt in eine Falle geführt, aus welcher es kein Entrinnen gab? Nun, so lange wir bewaffnet waren, brauchten wir uns nicht zu fürchten. Aber wenn wir jetzt unterwegs überfallen wurden! Ich war wehrlos. Die Sänfte bestand aus einer Tragbahre mit einem Häuschen aus hölzernem Gitterwerk. Ich mußte mit untergeschlagenen Beinen sitzen, was mich wegen meines kranken Fußes sehr belästigte, und konnte mich fast gar nicht bewegen. Ehe ich die Thüre aufstieß und hinaussprang, hatte ich im Falle eines Angriffes die Kugel im Leib. Und hinausspringen konnte ich überhaupt wegen des Fußes nicht. Ein Schuß hinter einem Busch hervor mußte Halef trotz der drei Gewehre hilflos machen. Osco und Omar trugen die Sänfte; es war ihnen deßhalb eine augenblickliche Gegenwehr gar nicht möglich. Wir befanden uns also in einer ziemlich fatalen Lage.

Der Wald war gar nicht so dicht, wie der Fleischer ihn beschrieben hatte. Wir hätten recht gut zwischen und unter den Bäumen hin reiten können. Auch diese Unwahrheit wirkte keineswegs mildernd auf mein Mißtrauen. Ich schob die Thüre des Häuschens ein wenig auf und hielt den Revolver bereit.

Wir befanden uns in einem Thal, dessen Wände, wie ich bemerkte, sich einander mehr und mehr näherten. Da, wo sie zusammentrafen, wurde Halt gemacht. Wir hatten ungefähr eine halbe Stunde gebraucht, dieses Ziel zu erreichen.

»Da ist die Hütte,« sagte der Fleischer, als die beiden Träger die Sänfte niedersetzten. »Steige aus, Herr!«

Ich schob die Thüre vollends auf und blickte hinaus. Die Felswände stiegen ganz lothrecht empor und hatten da, wo sie sich trafen, einen nicht sehr tiefen Einschnitt, eine Spalte, welche vollständig kahl war; denn es gab keinen Vorsprung und keine Ritze in dem Syenit, wo eine Pflanze hätte Wurzeln zu fassen vermocht.

Hart an diese Spalte stieß die aus Holzknüppeln errichtete Hütte. Das Dach derselben bestand aus demselben Material und war dann mit Baumrinden gedeckt. Die Thüre schien nur anzulehnen.

»Melde mich an, bevor ich aussteige,« antwortete ich.

Er trat in die Hütte und ließ ihre Thüre offen. Ich sah, daß an den Wänden Bänke urwüchsigster Art angebracht waren.

Dem Eingang gegenüber befand sich eine zweite Thüre, welche offen stand. Sie war sehr schmal und niedrig, ging nach innen und war mit einer eisernen Krampe versehen, durch welche ein langer Riegel geschoben werden konnte, der jetzt in der Hütte lag.

Das war jedenfalls die hintere, dunkle Abtheilung, von welcher der Wirth gesprochen hatte. Jetzt aber däuchte es mir, als ob ein Licht darin brenne.

Auffällig war es mir, daß von dem Dach der Hütte eine zaunartige Knüppelreihe den untern Theil der Spalte fast unsichtbar machte. Man konnte nicht hindurchsehen. Dort oben konnten leicht mehrere Personen versteckt sein.

Jetzt kam der Fleischer wieder zurück.

»Herr,« sagte er, »der Schut verlangt, daß Ihr die Waffen ablegt.«

»Das thun wir nicht.«

»Aber warum denn nicht? Der Schut ist ja allein!«

»Wir fürchten uns auch gar nicht; wir behalten unsere Waffen nur aus Gewohnheit.«

»Der Schut duldet es aber nicht, daß ein Mensch mit Waffen vor ihm stehe.«

»Ah! Wirklich nicht?«

»Nein, niemals!«

»Und dennoch bist Du soeben bei ihm gewesen, obgleich Du ein Messer und zwei Pistolen bei Dir trägst!«

Er wurde verlegen, antwortete aber:

»Bei mir ist es etwas ganz Anderes. Ich bin sein innigster Vertrauter.«

»Dann sind wir fertig,« erwiderte ich entschlossen. »Halef, wir kehren zurück.«

Schon griffen Osco und Omar wieder zu, da sagte der Fleischer:

»Herr, Du hast einen harten Schädel! Ich will noch einmal fragen.«

Er trat abermals ein und kehrte mit der Meldung zurück, daß wir kommen dürften. Ich stieg nicht aus, sondern ließ mich in die Hütte tragen. Halef mußte durch die zweite Thür blicken und meldete mir leise:

»Es ist nur ein einziger, unbewaffneter Mann drin, ganz schwarz im Gesicht.«

»Gibt es Thüren drinnen?«

»Keine einzige.«

So eng und niedrig diese zweite Thüröffnung war, die beiden Träger brachten die Sänfte doch hindurch. Beim Schein einer Laterne sah ich, daß dieser höhlenartige Raum dreieckig war. Die Grundlinie dieses spitzwinkeligen Dreieckes wurde durch die Vorderseite mit der Thüre gebildet. Länger waren die beiden Seiten, welche aus dem glatten Felsen bestanden. Ganz hinten im Winkel stand die Blendlaterne, neben welcher der Schut saß. Er trug ein schwarzes, talarähnliches Gewand und hatte sich das Gesicht mit Ruß geschwärzt. Deßhalb und wegen des spärlichen Lichtes waren seine Gesichtszüge nicht zu erkennen. Auch konnte ich nicht recht sehen, woraus die Decke dieses Felsenraumes bestand. Wir befanden uns in dem Spalt. Eine Decke gab es über uns, das war gewiß; denn sonst wäre das Tageslicht von oben herein gefallen.

Osco und Omar hatten die Sänfte so gesetzt, daß die Thüre derselben nach dem Schut gerichtet war. Dieser gab der Laterne eine solche Stellung, daß das Licht derselben grad auf mich fiel. Am Eingang stand der Fleischer. Das Alles hatte einen abenteuerlichen, aber keinen gefährlichen Anstrich.

Da begann der Schut:

»Du hast mich rufen lassen. Was willst Du von mir?«

Seine Stimme klang dumpf und hohl, gar nicht natürlich. War das eine Folge der schlechten Akustik des Raumes, oder verstellte er die Stimme, um später an derselben nicht wieder erkannt zu werden? –

Er hatte nur diese wenigen Worte gesprochen, und doch war es mir, als ob ich diese Stimme schon einmal gehört habe. Es war nicht der Ton, die Klangfarbe derselben, sondern es war die Aussprache der einzelnen Wörter, welche mich auf diesen Gedanken brachte.

»Bist Du der Schut?« fragte ich.

»Ja,« antwortete er langsam.

»So habe ich Dich zu grüßen.«

»Von wem?«

»Zunächst vom Usta in Stambul.«

»Der lebt ja nicht mehr!«

»Was sagst Du?«

»Er ist todt. Er ist von der Galerie des Thurmes von Galata gestürzt worden.«

»Scheïtan!« entfuhr es Omar, welcher ihn ja herabgestürzt hatte.

Wie konnte der Schut das wissen? Kein Bote hätte so schnell kommen können, wie wir.

»Weißt Du das noch nicht?« fragte er.

»Ich weiß es,« erwiederte ich.

»Und doch bringst Du mir seinen Gruß, den Gruß eines Todten?«

»Meinst Du nicht, daß er mir denselben vor seinem Tod aufgetragen haben kann?«

»Das ist möglich. Aber die Strafe wird seinen Mörder treffen, denn dieser wird langsam und elendiglich verhungern und verschmachten. Hast Du auch noch andere Grüße?«

»Ja, von Deselim aus Ismilan.«

»Auch dieser ist todt. Er hat das Genick gebrochen und ist seiner Koptscha beraubt worden. Auch seinem Mörder wird es ergehen, wie jenem des Usta. Weiter!«

»Ferner bringe ich Grüße von dem alten Mübarek und von den beiden Aladschy.«

»Diese Drei haben mich bereits selbst begrüßt. Dein Gruß ist also unnöthig.«

»Ah! Sie sind da?«

»Ja, sie sind da. Und weißt Du, wer ich bin?«

»Der Schut?«

»Nein, der Schut bin ich nicht; den wirst Du niemals zu sehen bekommen. Du wirst überhaupt niemals wieder Etwas sehen. Ich bin – –«

Es that hinter uns einen gewaltigen Schlag. Der Fleischer war verschwunden – er hatte die Thüre hinter sich zugezogen. Wir hörten, daß er draußen den starken Riegel vorschob.

Die Laterne war verlöscht.

»Ich bin – – der alte Mübarek selbst,« ertönte es über uns. »Ihr bleibt hier, um zu verschmachten und Euch selbst bei lebendigem Leib aufzufressen!«

Ein höhnisches Gelächter begleitete diese Worte; dann wurde über uns eine helle Öffnung sichtbar. Wir sahen einen doppelten Strick, an welchem die Gestalt des Schwarzen hing und durch die Öffnung hinausgezogen wurde. Dann fiel oben die Klappe zu, welche die Öffnung verdeckte, und wir befanden uns in undurchdringlicher Finsterniß.

Das Alles war so schnell geschehen, daß es unmöglich verhindert werden konnte. Hätte ich nicht in der Sänfte gesessen und hätte ich nicht einen kranken Fuß gehabt, so wäre es diesen Halunken vielleicht nicht so leicht geworden, uns in dieser Falle einzusperren.

»Allah!« rief Halef. »Da ist der Schwarze durch das Loch hinauf gefahren, und wir haben es ruhig geschehen lassen, ohne ihm eine Kugel mitzugeben. Es war doch Zeit genug dazu.«

»Das ist wahr. Herr, sind wir dumm gewesen!« meinte Osco.

»Ja,« lachte Halef. »Bisher waren wir stets nur einzeln dumm, jetzt aber waren wir es gemeinschaftlich, der Sihdi auch mit uns.«

»Freilich, Halef, hast Du Recht,« bestätigte ich. »Doch horch!«

Draußen vor der Thüre erhob sich ein wüstes Geheul. Man donnerte mit Fäusten gegen dieselbe, und dann nannte jeder Einzelne seinen Namen und knüpfte daran die schaurigsten Verwünschungen. Man malte uns unser Schicksal in allen Farben aus. Es war kein Zweifel, daß wir hier eingesperrt bleiben sollten, um zu verschmachten.

»Sihdi, es fehlt Keiner; sie sind Alle da,« sagte Halef. »Allah! Wenn ich hinaus könnte, wie wollte ich ihnen meine Peitsche zeigen!«

»Sprich nicht von ihr! Sie kann uns nicht retten.«

»Also verhungern sollen wir! Meinst Du, daß wir das thun werden?«

»Hoffentlich nicht. Wir wollen zunächst diesen Raum untersuchen. An den beiden Seiten gibt es keinen Ausweg, sondern nur vorn durch die Thüre oder nach oben.«

»Herr, hast Du nicht Dein Laternchen bei Dir, das kleine Fläschchen, in welchem Öl und Phosphor ist?« fragte mich Halef.

»Ja, das habe ich stets bei mir. Da, nimm es!«

Wenn man ein Stück Phosphor in ein kleines Fläschchen mit Öl thut, so leuchtet der Phosphor, sobald man den Stöpsel öffnet, weil dadurch Sauerstoff hinzutreten kann. Das gibt je nach der Größe des Fläschchens und nach der Reinheit des Glases einen mehr oder weniger hellen Glanz.

Ich trage stets ein solches Fläschlein bei mir, auch wenn ich nicht auf Reisen bin. Es leistet beim Steigen fremder Treppen und beim Passiren dunkler, unbekannter Orte ganz vortreffliche Dienste. Geschliffenes Glas ist natürlich am geeignetsten dazu.

Halef nahm dieses winzige Laternchen, ließ Luft zu dem Öl und konnte nun die Thüre hinreichend beleuchten. Dieselbe war innen mit starkem Eisenblech beschlagen, an eisernen Angeln befestigt, und die Haken derselben steckten im Gestein, mit Blei eingegossen. Vielleicht konnten wir die Angelhaken locker machen und dann die Thüre hinausschieben. Aber vorher mußten wir sehen, ob es nicht etwas Anderes gab.

Nun durchsuchten wir genau den Raum. Der Boden bestand aus hartem Fels, wie die beiden Winkelwände. Die Mauer war aus spröden Syenitsteinen errichtet und so gut vermörtelt, daß es unmöglich war, ein Loch zu machen. Das starke Eisenblech der Thüre war überdies mit dickknöpfigen Nägeln versehen; da war mit den Messern nichts auszurichten. Und oben durch die Decke? Omar stieg auf Osco's Schultern und konnte sie doch nicht mit der ausgestreckten Hand erreichen. Wir mußten einstweilen auch auf diesen Ausweg verzichten.

Das Nächste blieb also, die Angelhaken zu entfernen, und meine drei Gefährten machten sich rüstig an die Arbeit. Die Messer kreischten und knirschten im Gestein; draußen aber erhob sich darob ein schallendes Gelächter.

Freilich war der Rettungsgedanke nicht gar zu verlockend. Selbst wenn es uns gelang, die Thüre zu öffnen, mußten wir von Schüssen empfangen werden, noch ehe wir einen einzigen abfeuern konnten.

So vergingen fast mehrere Stunden. Die Arbeit machte keine Fortschritte. Osco's Messer zerbrach, und ich gab ihm mein gutes amerikanisches Bowiemesser.

Ich sollte nicht mitarbeiten. Die Zeit wurde mir lang, und ich kroch auf den Knieen nach der Thüre und untersuchte, wie tief man gebohrt hatte. Leider keinen halben Zoll! Ich ergriff nun selbst das Messer und begann zu bohren, aber mit solchem Mißerfolg, daß ich schon nach einer Viertelstunde wieder aufhörte. Es war Schade um die Kräfte, welche so erfolglos verschwendet wurden, und nun zerbrach auch noch Omar's Messer.

»Lassen wir das,« sagte ich. »Wir wollen unsere Kräfte schonen, denn wir werden sie wohl noch brauchen. Vielleicht kommt auch der Wirth, wenn wir nicht zurückkehren. Ich habe ihm gesagt, daß der Fleischer ein Mitglied der Bande ist. Wenn wir nicht zurückkehren, muß er besorgt um uns werden und nach uns suchen. Er weiß, daß wir mit dem Fleischer fort sind.«

»Aber nicht, wohin!« warf Halef ein.

»Ich habe freilich leider vergessen, es ihm genau zu sagen; aber wir haben von dieser Hütte gesprochen, und er wird gewiß hier suchen.«

»Das glaube ich nicht, denn er fürchtet die Aladschy zu sehr. Wenn er diese hier sieht, reißt er aus.«

»Es fragt sich, ob sie hier sind.«

»Jedenfalls, denn man wird die Hütte nicht ohne Bewachung lassen.«

»Jetzt ruhen wir aus und warten. Wächter sind allerdings draußen; das versteht sich ganz von selbst. Wenn wir eine Zeitlang nicht arbeiten, so hören sie nichts und meinen, wir hätten uns in unser Schicksal ergeben. Da wird ihre Wachsamkeit einschlafen.«

So blieben wir denn ruhig und waren getrosten Muthes. Aber das Warten wurde den braven Gefährten doch sehr schwer, und endlich konnte ich ihrem Drängen nicht länger widerstehen.

»Wir wollen die Decke untersuchen,« sagte ich. »Es ist eine Klappe da, und es fragt sich nur, wie sie zu öffnen ist.«

»Omar hat sie vorhin nicht erreichen können, als er auf meinen Schultern stand,« meinte Osco.

»So machen wir die Pyramide noch höher. Halef mag sich auf Omar's Achseln setzen. Vielleicht reicht das aus. Du bist stark genug, alle Beide zu tragen.«

Halef nahm das Laternchen in die Tasche und stieg auf Omar's Schultern, auf welche er sich setzte. Omar aber stieg auf den Rücken Osco's, welcher wie ein vierbeiniges Thier mit Füßen und Händen auf dem Boden stand. Osco erhob sich langsam, und Omar trat ihm auf die Achseln. Dabei hielten sich die Drei, um nicht zu fallen, so fest als möglich an dem Gestein der engen Felsenritze an. Jetzt streckte Halef die Arme empor und meldete mir:

»Sihdi, ich fühle die Decke!«

»Sprich leiser! Es könnte Jemand draußen sein. Nun nimm die Laterne.«

Ich sah oben in der Ecke, wo wir die Öffnung bemerkt hatten, das Lichtchen schimmern. Halef hielt es mit der Linken, während er mit der Rechten die Decke betastete.

»Sie besteht aus starken Stämmen,« flüsterte er. »Die kleine Fallthüre aber ist aus Brettern gemacht.«

»Das ist gut, denn da ist sie dünn. Klopfe doch einmal an, um aus dem Klang zu schließen, wie stark sie ist.«

»Da hört man mich aber!«

»Besser wäre es freilich, man merkte gar nichts; aber es ist auch für uns gut, zu wissen, ob sich Wächter über uns befinden.«

Er klopfte, und gleich darauf hörten wir ein lautes Gelächter und den Ruf:

»Hört, sie sind hier unter uns an der Fallthüre!«

Draußen vor der Hütte ertönte die Frage:

»Steckt der Riegel?«

»Natürlich!«

»So kommen sie nicht durch. Es wird Einer auf den Andern gestiegen sein.«

»Ja, sie machen Kunststücke. Nun, wenn erst der Hunger kommt, so werden sie noch ganz anders turnen. Ich möchte lieber die Thüre aufmachen.«

»Auf keinen Fall!«

»Dann könnte ich ihnen aber Eins mit dem Kolben auf den Kopf geben!«

»Dazu ist es immer noch Zeit. Mögen sie klopfen.«

»Hast Du es gehört, Effendi?« fragte Halef. »Sollen wir uns mit den Kolben erschlagen lassen?«

»Nein. Wir werden diese Herren bitten, dort oben von der Klappe wegzugehen.«

»Sie werden sich hüten, es zu thun.«

»Meine Bitte wird eine unwiderstehliche sein. Komm herab, Halef! Ich werde Deinen Platz einnehmen.«

Osco bückte sich wieder langsam nieder. Omar stieg ihm vom Rücken, und dann sprang Halef von Omar's Schultern herab.

»Nun ruht Euch erst ein wenig aus,« sagte ich, »denn eine Anstrengung ist es doch immerhin gewesen. Ich bin schwerer als Halef und werde länger oben bleiben müssen, als er.«

Wir warteten einige Minuten; dann nahm Omar mich auf seine Achseln.

»Aber nehmt Euch jetzt doppelt in Acht, daß wir nicht stürzen,« mahnte ich. »Mit meinem kranken Fuße könnte mir der Fall doppelt gefährlich werden.«

»Keine Angst, Herr!« antwortete Osco. »Ich werde stehen, wie ein Baum. Die Felsenrinne ist ja auch so eng, daß man sich mit den Ellbogen zu beiden Seiten anstemmen kann. Das gibt sicheren Halt.«

Nun stieg Omar in der bereits erwähnten Weise auf die Schultern Osco's. Ich war länger als der kleine Hadschi und brauchte die Arme gar nicht sehr auszustrecken, um die Klappe zu erreichen. Ich stieß fast mit dem Kopf an. Das Fläschchen hatte ich bei mir und ich beleuchtete die Bretter. An der einen Kante der Klappe war ein eiserner Haspen eingeschlagen, durch welchen jedenfalls der Riegel gesteckt worden. Die beiden Spitzen dieses Haspens waren durch das Holz gedrungen und dann umgeschlagen worden, so daß sie in das Holz zurückgriffen.

Ich klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers an. Dem Klang nach konnten die Bretter nicht über anderthalb Zoll dick sein. Dem Klopfen folgte auch jetzt eine Antwort:

»Hörst Du es? Sie sind wieder da. Na, sie müßten mich mit emporheben, wenn sie auch die Klappe aufbrächten.«

Da ich mich dem Sprechenden jetzt näher befand, so erkannte ich deutlich die Stimme des Fleischers. Aus seinen Worten und aus dem Schall war zu schließen, daß er auf der Klappe saß. Das war eine Unvorsichtigkeit, die man einem Räuber nicht hätte zutrauen sollen.

Er lachte höhnisch. Ein zweites Lachen antwortete, und dann vernahm ich die Worte:

»Diesen Mäusen soll es nicht so wohl werden, zu entwischen, denn die Katzen sitzen vor dem Loch.«

Diese Stimme erkannte ich nicht; ich hörte aber, daß der Mann neben der Klappe saß, ungefähr da, wo ich unter ihm den Kopf hatte.

»Hörst Du es?« fragte Halef. »Sie sind noch da; nun kannst Du sie bitten, fortzugehen. Ich möchte wissen, wie Du das anfangen willst.«

»Du sollst es gleich hören. Gib einmal mein Gewehr herauf; die Beiden mögen es mir reichen.«

»Ah, jetzt verstehe ich. Welches denn?«

»Den Bärentödter.«

Ich hatte das selbstverständlich nur leise gesagt, damit es von den Wächtern über mir nicht gehört werden konnte. Halef gab das Gewehr an Osco, welcher es Omar reichte.

»Nun passe auf, Omar!« flüsterte ich. »Ich habe hier oben unter der Decke keinen Raum, die Büchse anzulegen; ich kann nur die Läufe halten, und zwar dahin, wohin die Kugeln treffen sollen. Ich sage ›eins‹ und ›zwei‹. Du nimmst den Kolben in beide Hände. Bei ›eins‹ feuerst Du den rechten und sodann, wenn ich wieder gezielt habe, also bei ›zwei‹, den linken Lauf ab. Verstanden?«

»Ja, Herr!«

Ich hatte den Doppellauf in der Hand und richtete ihn auf die Mitte der Klappe, da, wo der Fleischer saß.

»Jetzt! – Eins!«

Der Schuß krachte. Über uns erscholl ein Schreckens- und ein Wehruf.

»Allah! Sie schießen!«

Das war nicht die Stimme des Fleischers, sondern diejenige des Andern. Dieser saß auf jenem Theil der Decke, welcher aus runden Stammhölzern bestand. Ich richtete den linken Lauf auf eine Stelle, wo zwei dieser Hölzer zusammenstießen und die Kugel also nicht durch das starke Holz, sondern nur durch die an einander liegenden Ränder zu dringen hatte.

»Zwei!«

Der zweite Schuß des Bärentödters dröhnte – in dem engen Raum fast wie ein Kanonenschlag.

»O Allah, Allah!« schrie der Getroffene. »Ich bin verwundet! Ich bin todt!«

Der Fleischer hatte gar nichts gesagt. Ich hatte seinen Weheschrei gehört, aber sonst kein Wort. Lautes Wimmern erscholl.

»Osco, wird es Dir zu schwer?« fragte ich.

»Mit der Zeit, ja.«

»So wollen wir ausruhen; wir haben Zeit.«

Als ich wieder unten auf dem Boden saß und die Andern bei mir standen, meinte Halef:

»Ja, Sihdi, das ist freilich eine Bitte, welcher man nicht zu widerstehen vermag. Hast Du getroffen?«

»Zweimal. Der Fleischer scheint todt zu sein. Die Kugel ist ihm wahrscheinlich durch die Muskeln des ›ruhmwürdigen Sitzens‹ in den Leib gedrungen. Der Andere ist nur verwundet.«

»Wer kann es sein?«

»Wahrscheinlich der Gefängnißwärter. Wäre es ein Anderer, so hätte ich ihn an der Stimme erkannt. Dieser aber hat überhaupt so wenig gesprochen, daß ich mich an seine Stimme nicht erinnern kann.«

»Du meinst also, daß sich kein Anderer wieder hinaufstellt?«

»Diese Dummheit wird ein Dritter nicht begehen, denn sie könnte ihm das Leben kosten.«

»Wie aber bringen wir die Klappe auf? Das ist die Hauptsache.«

»Ich werde die eiserne Krampe aus dem Deckel schießen. Einige gute Schüsse auf jede ihrer Spitzen, mit denen sie im Holz steckt, werden genügen. Ich lade zwei Kugeln; da kann sie nicht widerstehen.«

»Ah, wenn es gelänge!«

»Es gelingt gewiß.«

»Dann schnell hinaus und hinab!« meinte Halef.

»Oho! Das geht nicht so schnell. Wie willst Du hinauf?« fragte ich.

»Von Omar's Schultern, und Du auch.«

»Und wie kommen Omar und Osco hinauf?«

»Hm! Wir ziehen sie hinauf?«

»Den Einen vielleicht, Omar. Aber zu Osco können wir nicht herablangen.«

»Schadet nichts; wir steigen ja draußen hinab und öffnen ihm die Thüre.«

»Wenn man uns so gemüthlich hinabklettern läßt, was ich bezweifle und was auch meinerseits wegen des Fußes seine Schwierigkeiten hat.«

»Nun, auf irgend eine Weise muß es doch möglich zu machen sein.«

»Versteht sich! Hoffentlich liegt der Strick noch oben, mit welchem sie den Mübarek emporgezogen haben. Dann könnten wir uns draußen an demselben hinablassen; aber es gibt noch Vieles zu bedenken. Wir werden natürlich, sobald wir aus der Luke steigen, mit Kugeln empfangen werden.«

»Ich denke, es wird Niemand oben sein,« bemerkte Halef.

»Unmittelbar über uns wohl nicht, aber auf dem Hüttendache werden wohl Etliche stehen. Diese können durch die Zwischenräume des Zaunes auf uns schießen.«

»O wehe! So können wir also doch nicht hinaus?«

»Werden es dennoch versuchen. Ich steige voran.«

»Nein, Sihdi, sondern ich! Sollst Du uns erschossen werden?«

»Oder Du uns?«

»Was liegt an mir!« erwiederte der Hadschi treuherzig.

»Sehr viel! Denke an Deine Hanneh, die Lieblichste der Frauen und Mädchen! Ich aber habe keine Hanneh, die auf mich wartet.«

»Aber Du bist ohne Hanneh mehr werth als ich mit zehn Blumen der Töchter der Schönheit.«

»Streiten wir uns nicht! Die Hauptsache ist, wie ich Dir aufrichtig sagen will, die, daß ich mir mehr zutraue, als Dir. Ich bin der Erste, und Du magst der Zweite sein. Aber Du darfst nicht eher kommen, als bis ich es Dir erlaube.«

Ich zog mein grünseidenes Turbantuch aus der Tasche und wand es mir um den Fez. Halef sah das beim Scheine des Fläschchens und fragte:

»Warum thust Du das? Willst Du Dich zum Tod schmücken?«

»Nein, ich werde diesen Turban auf den Lauf der Flinte stecken und durch die Luke emporhalten. Sie werden vermuthlich denken, es komme Einer gestiegen, und nach dem Turban schießen. Dann haben sie keine Kugeln mehr in den Läufen, denn sie besitzen keine Doppelflinten, und ich komme mit dem Henrystutzen über sie.«

»Recht so, recht so! Ziele nur gut und laß Keinen entkommen!«

»Hat sich ein sicheres Zielen, wenn es dunkel ist!«

»Dunkel?«

»Jawohl! Bedenke, wie lange wir uns bereits hier befinden. Es ist Nacht geworden draußen. Doch nun habt Ihr Euch ausgeruht – wir wollen beginnen. Merkt es Euch: wenn ich hinausgestiegen bin, so kommt Halef bis zur Luke empor; aber er darf erst dann hinausklettern, wenn ich es ihm sage.«

Ich hing mir den Stutzen um die Schulter und nahm die Büchse, deren Läufe mit je zwei Kugeln geladen waren, in die Hand. Dann nahm Omar mich wieder auf die Achseln und stieg auf diejenigen Osco's. Ich mußte mich sputen, um die beiden Genannten nicht zu ermüden.

»Wir schießen wieder so, wie vorhin, Omar,« flüsterte ich diesem zu. »Zuerst feuerst Du den rechten, dann den linken Lauf ab. Ich ziele auf die Krampenspitzen. Also – eins! – – zwei!«

Die Kugeln waren hindurchgedrungen, denn ich konnte durch beide Löcher blicken. Es mußte draußen hell erleuchtet sein.

»Sie haben ein Feuer vor der Hütte,« meldete ich. »Das ist gut und doch auch wieder unvortheilhaft für uns. Denn wie wir sie sehen können, so werden sie auch uns bemerken.«

»Wie steht es mit den Krampen?« fragte Halef.

»Will's versuchen.«

Ich stieß an die Klappe, und sie gab nach. Der schwere Bärentödter hatte seine Schuldigkeit gethan.

»Gib nun die Büchse hinab, Omar,« befahl ich. »Die Klappe geht auf. – Jetzt steht fest auf den Füßen! Ich muß auf Omar's Achseln knieen.«

Ich nahm mit einiger Mühe diese Stellung ein, mußte mich aber dabei bücken, denn ich stieß mit dem Kopfe an. Nun warf ich die Klappe empor – sie überschlug sich draußen. Mit dem Stutzen in den Händen, schußbereit, wartete ich einige Augenblicke. Es war nichts zu hören. Aber hell war es draußen, und die Schatten des flackernden Feuers huschten am Felsen auf und nieder.

Nun steckte ich den Turban auf den Lauf und schob ihn langsam empor, indem ich ein Ächzen ausstieß, als ob Jemand sich mühsam hinausarbeiten wollte. Die List hatte Erfolg: zwei Schüsse fielen. Eine Kugel hatte den Lauf gestreift, so daß mir der Stutzen beinahe aus der Hand gerissen ward.

Im Nu war ich mit dem Oberleib aus der Öffnung. Ich sah das Feuer. Draußen auf der Decke der Höhle lag ein Mensch – die Leiche des Fleischers, wie ich auf den ersten Blick bemerkte. Auf dem Dach der Hütte standen zwei Männer, die nach dem Turban geschossen hatten. Sie waren von mir und der Plattform, welche die Decke bildete, durch das bereits erwähnte Zaunwerk getrennt, durch dessen Lücken sie gezielt hatten.

Diese unvorsichtigen Leute hatten die Hauptsache vergessen, nämlich, daß ich sie gegen die Flamme viel besser bemerken konnte, als sie mich. Der Eine war im Wiederladen begriffen, und der Andere hob sein Gewehr auf, um es auf mich zu richten.

Rasch legte ich auf ihn an. Ich wollte ihn nicht tödten und zielte auf seinen linken Ellbogen, den er mir sehr zielgerecht in die Höhe hielt. Ich drückte ab. Er ließ sein Gewehr fallen, schrie laut auf und stürzte von der Hütte hinab. Der Andere wandte sich schleunigst um, sprang gleichfalls hinunter und rannte nach dem Feuer hin. Es war Bybar, der Skipetar. Am Feuer saßen: sein Bruder, Manach el Barscha und Barud el Amasat.

»Sie kommen, sie kommen! Geht vom Feuer weg!« brüllte er. »Sie sehen Euch und können auf Euch zielen.«

Die Drei sprangen auf und alle Vier rannten in den Wald hinein. Derjenige, auf welchen ich zuletzt geschossen hatte, war also wahrscheinlich der alte Mübarek. Und nun erinnerte ich mich, daß sein Arm ungewöhnlich dick gewesen war. Er hatte ihn unter dem Ärmel verbunden, infolge des Schusses, der ihn bei der Ruine von Ostromdscha getroffen hatte.

Ich kroch vor bis zu dem Rand der Plattform. Richtig! Da unten auf der Erde, sechs Ellen oder etwas tiefer unter mir, lag die lange, hagere Gestalt regungslos. Oben hatte ich die Beiden nicht erkannt, da zwischen dem Zaun hindurch nur ihre Umrisse zu erkennen gewesen waren.

Hierher, an die Seite der Hütte, wo ich hinabblickte, konnte der Schein des Feuers nicht dringen. Es war leidlich dunkel da. War es mir möglich, an dieser Stelle hinab zu kommen, so konnte ich von den hinter den Bäumen Versteckten nicht gesehen werden.

Da hörte ich hinter mir:

»Sihdi, ich bin da. Darf ich heraus?«

»Ja, Halef; doch stelle Dich nicht aufrecht, sonst sehen sie Dich und schießen auf Dich.«

»O, wir sind ja kugelfest!«

»Scherze nicht. Komm!«

Er kroch heraus.

»Ah, wer liegt hier?«

»Der Fleischer. Die Kugel hat ihn getödtet, wie ich es dachte.«

»So hat ihn die Strafe sehr schnell ereilt. Allah sei ihm gnädig!«

Als ich mich genauer umschaute, sah ich einen eisernen Ring, welcher an dem Felsen befestigt war. Von diesem Ring hing der Doppelstrick, welchen wir schon gesehen hatten, als der Mübarek emporgezogen wurde, über die Plattform nach außen hinab.

»Daran hat der Gefängnißwärter sich hinabgelassen,« meinte Halef.

»Wahrscheinlich. Diese Vorrichtung ist mit Berechnung hier angebracht. Sollte das heutige Spiel bereits schon mit Anderen vorgenommen worden sein?«

»Ah, Effendi, vielleicht sind schon Menschen da unten verhungert und verschmachtet!«

»Diesen Schurken ist so Etwas schon zuzutrauen; wenigstens mit uns hatten sie es ernstlich vor. Lassen wir dieses Seil nach innen hinab, so können Osco und Omar emporkommen.«

Dies geschah. Bald kauerten die Beiden neben uns. Wir strengten unsere Augen an, versuchten aber vergeblich, einen der in den Wald Geflohenen zu entdecken.

Ich zog das Seil nun wieder herauf und machte die Klappe zu.

»Meinst Du, daß wir nun das Seil da außen hinunterlassen und an demselben unbemerkt hinabklettern können?« fragte Halef.

»Ja,« erwiderte ich, »denn es ist dunkel hier. Übrigens wollen wir die Probe machen. Lassen wir erst die Leiche hinab. Auf diese mögen sie feuern. Ich halte den Stutzen bereit. Wenn ihre Schüsse aufblitzen, habe ich ein Ziel.«

Man zog der Leiche den Strick unter den Armen hindurch und ließ sie hinab, recht langsam, um die Gegner zum Schießen zu verführen; aber es regte sich nichts.

»So will ich nun zuerst hinab,« sagte ich. »Ich krieche sofort in das Gebüsch und von da aus weiter in den Wald hinein. Da muß ich sie sehen, wenn sie noch hier sind. Es ist ein Quell da; folglich kann es Unken und Frösche hier geben. Ein solcher Ruf fällt also nicht auf. Ihr bleibt so lange hier oben, bis Ihr mein Zeichen hört. Vernehmt Ihr den Ruf einer Unke, so bleibt Ihr, bis das Feuer dort erloschen ist. Quakt aber ein Frosch, nur einmal und recht tief, so steigt Ihr herab. Dann bleibt Ihr unten stehen, bis ich komme.«

»Das ist zu gefährlich für Dich, Sihdi!«

»Pah! Wenn nur dieser alte Mübarek, welcher da unten liegt, nicht etwa Schlimmes im Schild führt und sich nur verstellt. Auch der Gefängnißwärter muß irgendwo stecken. Nehmt Euch immerhin in Acht. Ich gehe.«

Die Büchse lag unten in der Hütte. Den Stutzen hing ich über, ergriff das Seil und ließ mich schnell hinab. Da lag die Leiche und neben ihr der Mübarek, bewegungslos, wie todt.

Der Strick war mehr als lang genug. Ich schnitt ein tüchtiges Ende ab und fesselte den alten Schurken. Er blutete am Arm, und ich fand, daß ihm der Ellbogen zerschmettert war. Vielleicht war er auf den Kopf gestürzt und ohnmächtig geworden.

Nun kroch ich weiter, immer am Felsen hin, durch Farn- und andere Gestrüpp-Flanzen gut verdeckt. Dabei hatte ich natürlich den Blick immer nach der Gegend gerichtet, in welcher das Feuer brannte. Also mußte ich Alles bemerken, was sich zwischen demselben und mir befand.

Ich fühlte mich ganz sicher. Was wußten diese Leute von dem indianerhaften Beschleichen eines Feindes! Sie vermutheten uns noch auf dem Dach der Höhle und hielten, wenn sie noch da waren, ihre Blicke jedenfalls dorthin und nicht hinter sich gerichtet. Selbst wenn sie mich bemerkt hätten, brauchte ich mich nicht zu fürchten. Mit meinem so vielschüssigen Stutzen war ich ihnen überlegen. Ich konnte gemächlich auf der Erde sitzen bleiben und sie niederschießen.

So war ich wohl an die fünfzig Schritte weit fortgekommen, da roch ich Pferde. Ich schlüpfte weiter und hörte Stimmen. Bald sah ich Thiere und Menschen. Die Ersteren waren an Bäume gebunden, und die Letzteren standen bei einander, halblaut sprechend.

Die Pferde standen nicht unbeweglich. Sie hatten sich nächtlicher Insekten zu erwehren, stampften mit den Hufen und schlugen mit den Schweifen um sich. Das gab ein solches Geräusch, daß selbst der Ungeübteste heimlich an sie gelangen konnte.

Endlich hatte ich sie erreicht. Ich kroch zwischen zwei Pferde und lag da im tiefen, schilfigen Gras. Die Männer standen nicht weiter als etwa drei Schritte von mir.

»Der Mübarek ist ausgeblasen,« sagte soeben Manach el Barscha. »Der Alte war ein Esel, sich dort hinauf zu stellen.«

»So war auch ich einer?« fragte der Aladschy.

»Du warst vorsichtiger und hast Dich nicht treffen lassen.«

»Er hätte auch mich erschossen, wenn ich nicht fortgerannt wäre.«

»Welcher war es denn?«

»Welcher? Das fragst Du auch noch! Natürlich derjenige, den sie Effendi heißen.«

»Der mit seinem kranken Fuß soll emporgestiegen sein?«

»Gewiß. Hätte er doch den Hals gebrochen, anstatt des Fußes! Ich wollte Allah dafür danken. Aber man sieht doch wenigstens, daß er auch verwundbar ist.«

»Pah! Daran, daß er kugelfest wäre, habe ich nicht geglaubt. Das ist Schwindel.«

»Schwindel? Höre, ich glaube es jetzt mehr als vordem. Der Mübarek hat ihn auf's Korn genommen und ich auch, als er mit dem Kopf aus der Luke kam. Ich schwöre tausend schwere Eide, daß ich ihn getroffen habe. Die Mündung meiner Flinte, welche ich durch den Zaun gesteckt hatte, war nicht zwei Armslängen von dem Kopf entfernt, den wir ganz deutlich sahen. Wir trafen beide. Ich sah, daß der Kopf zurückwankte, denn so eine Kugel hat eine fürchterliche Kraft, wenn sie anprallt; aber in demselben Augenblick hörte ich die Kugeln an den Felsen schlagen: sie sind von dem Kopf abgesprungen und würden uns sicher getroffen haben, wenn nicht der Zaun uns beschützt hätte. Und gleich im nächsten Augenblick lag der Kerl im Anschlag und erschoß den Mübarek. Er muß ihn durch den Kopf getroffen haben, denn der Alte stieß seinen letzten Schrei aus und stürzte todt hinab. Mir wäre es ebenso ergangen, wenn ich nicht schleunigst die Flucht ergriffen hätte.«

»Wunderbar, höchst wunderbar!«

»Ja. Ihr wißt, daß ich mich selbst vor dem Scheïtan nicht fürchte; aber vor diesem Kerl habe ich Angst. Ihm ist nur mit dem Messer oder mit dem Haiduckenbeile beizukommen, und das soll er heute erhalten.«

»Und Du weißt genau, daß Du geladen hattest?« fragte Manach el Barscha.

»Ganz genau. Ich hatte die Kugel doppelt gepflastert. Denkt Euch, vier Fuß vom Kopf entfernt drückte ich ab!«

»Hm! Wenn ich ihm nur einmal einen Schuß geben könnte! Ich möchte gern eine Probe machen.«

»Wage es nicht! Du bist verloren, denn die Kugel prallt auf Dich zurück. Hättet Ihr doch meinen Rath befolgt und die Halunken überfallen, als sie ihn nach der Hütte trugen! Da waren sie uns sicher.«

»Der Mübarek verbot es uns.«

»Das war eine Dummheit von ihm!«

»Ja, wer konnte ahnen, daß es so kommen würde! Es war ja ein prachtvoller Gedanke, die Hunde da drinnen vor Hunger heulen zu lassen. Aber der Teufel hat sie unter seinen ganz besonderen Schutz genommen. Hoffentlich wird er sie uns nun überlassen.«

»Es ist zu toll, den Fleischer durch die Decke hindurch zu erschießen und dem Andern das Bein zu zerschmettern! Der arme Bursche hat einen elenden Tod gehabt.«

»Es ist nicht Schade um ihn,« meinte Barud el Amasat. »Er war mir schon längst im Wege, und verursachte uns nur Störung. Man konnte kein vertrauliches Wort sprechen. Darum habe ich ihm, als Ihr ihn in die Hütte brachtet, gleich noch einen guten Kolbenhieb gegeben.«

Schrecklich! Der Gefangenwärter war von demjenigen, den er befreit hatte, ermordet worden! So rächte sich seine That von selbst. Aber diese vier Schurken waren doch wahre Hölleninsassen.

»Also entschließen wir uns, ehe die Zeit vergeht!« sagte Sandar. »Greifen wir sie bei der Hütte an?«

»Nein,« antwortete Manach el Barscha. »Da ist es zu hell. Sie sehen uns, und dann sind wir verloren, weil sie schießen können, während unsere Kugeln ihnen nichts schaden. Wir müssen im Dunkel über sie herfallen, ohne daß sie es ahnen. Vier Hiebe oder Stiche, und sie sind abgethan.«

»Ich stimme bei; aber wo soll es geschehen?«

»Natürlich im Wald.«

»Nein, das gibt einen unsicheren Angriff. Lieber am Ende des Waldes, zwischen den Büschen. Wenn es auch nicht hell ist, so geben die Sterne doch so viel Licht, daß wir sehen können, wohin wir schlagen. Sie werden denselben Weg gehen, auf welchem sie gekommen sind, denn einen andern kennen sie nicht. Wir können sie also gar nicht verfehlen. Am besten ist es, wenn wir sie am Ende des Gebüsches erwarten, wo das freie Feld beginnt.«

»Gut so!« stimmte Bybar bei, dessen Stimme man anhörte, daß ihm der Mund und die Nase verwundet waren. »Wir sind vier, und sie sind vier. Jeder nimmt also Einen. Nehmt Ihr die Träger und den Kleinen; mir aber gebührt der Effendi. Er hat mir das Gesicht zerschlagen, und so muß ich ihn haben.«

»Er wird in der Sänfte sitzen, denn er kann nicht gehen. Wie kommst Du also an ihn? Bevor Du die Thüre öffnest, hast Du die Kugel seiner Pistole schon im Leibe.«

»Meinst Du, daß ich mich so lange bei der Sänfte aufhalte? Das Häuschen besteht aus leichten dünnen Holzstäben. Ich mache rasche Arbeit, schlage mit meinem Czakan gleich die Sänfte in Trümmer, und dieser Hieb trifft den Kerl sicherlich so, daß er keines zweiten bedarf.«

»Und wenn es nicht gelingt?«

»Es muß gelingen, es muß!«

»Denke an das Geschehene! Überall und jedesmal haben wir gedacht, daß es gelingen muß, und doch sind diese Schützlinge des Scheïtan stets glücklich davongekommen. Man muß stets an Alles denken. Wir können gestört werden; was dann?«

»Hm! Wenn man wüßte, wann sie von Sbiganzy aufbrechen!«

»Jedenfalls morgen. Sie werden meinen, daß wir Eile haben, und uns folgen.«

»Nun, dann führen wir den Plan aus, von welchem ich schon am Nachmittag sprach: wir schicken ihnen unsern Suef auf den Hals, der sie uns an das Messer liefert. Er ist der schlaueste Bursche, den ich kenne, und kennt die Gegend zwischen hier und Prisrendi so genau, wie ich meine Tasche. Ihm können wir die Sache überlassen.«

»So schlage ich vor, jetzt aufzubrechen. Wir wissen nicht, wann die Kerle die Hütte verlassen. Es wäre verdrießlich, wenn sie eher fortgingen, als wir.«

Länger konnte ich nicht warten und kroch rückwärts bis an den Felsen zurück, von wo ich weiter nach der Hütte hin schlich. Doch blieb ich in angemessener Entfernung versteckt, um mich genau zu überzeugen, daß sie auch wirklich aufbrachen.

Nur wenige Schritte kroch ich noch, dann aber erhob ich mich und ging, mich mit der Hand am Felsen haltend, humpelnd weiter. Das Zusammenbiegen des linken Beines war doch zu anstrengend gewesen. So aber konnte ich mit dem rechten Fuß allein weiter kommen. Ich verzichtete darauf, die Stimme des Frosches nachzuahmen, denn bald befand ich mich wieder in dem Schein des Feuers, und da ich aufrecht stand, sahen mich die Gefährten.

»Kommt herab!« sagte ich.

Sie ließen sich nieder, und nun war ich so ermüdet, daß ich mich setzen mußte.

»Wir wollen die beiden Burschen untersuchen,« meinte der Hadschi. »Vielleicht haben sie etwas Nützliches in den Taschen.«

»Dem Fleischer laßt Ihr Alles,« gebot ich. »Er gehört uns nicht. Mit ihm mag der Kiaja thun, was ihm beliebt. Aber was der Mübarek bei sich trägt, das nehmen wir.«

Er hatte ein Messer und ein Paar alte Pistolen bei sich. Sein Gewehr lag auf dem Hüttendach; wir brauchten es nicht. Aber zwei Beutel – zwei große, volle Beutel – zog ihm der Kleine aus den Taschen.

»Hamdulillah!« rief er aus. »Hier stecken die Kalifen und Gelehrten des Kuran! Sihdi, das ist auch Gold, Gold, Gold!«

»Ja, wer dem Kodscha Bascha eine solche Summe für die Freilassung geben kann, der muß Gold haben. Wir können es ihm nehmen, ohne befürchten zu müssen, ein Unrecht zu begehen.«

»Natürlich nehmen wir es!«

»Aber für wen? Theilen wir, Halef?«

»Effendi, willst Du mir eine Schande anthun? Hältst Du Deinen Halef für einen Dieb? Ich nehme es ihm für die Armen ab. Denke, wie glücklich die Nebatja gewesen ist und wie froh der Wirth des Weilers und der Korbflechter waren! Mit diesem Gold können wir viele Sorgen lindern und uns den Himmel Allah's öffnen.«

»Das hatte ich von Dir erwartet!«

»So stecke das Gold ein!«

»Nein, behalte Du es. Du sollst unser Schatzmeister der Almosen sein, lieber Halef.«

»So danke ich Dir! Ich werde meines Amtes treu und ehrlich walten. Wir wollen zählen.«

»Zum Zählen gibt es jetzt keine Zeit; wir müssen fort. Jetzt schafft diese beiden Menschen in die Hütte. Der todte Gefängnißwärter liegt auch bereits darin.«

»So hast Du auch ihn erschossen?«

»Nein, nur verwundet, und Barud el Amasat hat ihn dann mit dem Kolben erschlagen, weil er ihm unbequem geworden.«

»Ein solcher Schurke! Ah, wenn ich ihn unter die Hände bekomme! – Faßt an, Ihr Beiden! Erst tragen wir den Effendi hinein.«

Als sie mich in der Hütte niedergesetzt hatten und sich entfernten, um die Leiche des Fleischers und den Mübarek zu holen, hörte ich ein gräßliches Stöhnen. Der Wärter war also noch nicht todt. Halef mußte, als er zurückkehrte, einen Feuerbrand holen, bei dessen Schein wir die Laterne des Alten sahen, welche auf der Bank stand und angezündet ward.

Nun konnten wir den Stöhnenden genau betrachten. Er sah schrecklich aus. Meine Kugel hatte ihm den Oberschenkel zerschmettert, und infolge des Kolbenschlages klaffte die Hirnschale. Er war rettungslos verloren und blickte uns mit stieren Augen an.

»Hier hast Du meinen Fez, Halef; hole Wasser herbei!«

Diese Kopfbedeckungen sind so dicht gearbeitet, daß sie das Wasser halten. Wir gaben dem Sterbenden etwas Wasser in den Mund und gossen ihm solches wiederholt auf den Kopf. Dies schien ihm wohlzuthun. Seine Augen wurden klarer. Er betrachtete uns mit Blicken, denen man es ansah, daß er zu denken begann.

»Kennst Du uns?« fragte ich.

Er nickte.

»Du wirst in wenigen Minuten vor dem ewigen Richter stehen. Weißt Du, wer Dir den Schädel zertrümmert hat?«

»Barud el Amasat,« flüsterte er.

»Dem Du Wohlthat zu erweisen glaubtest. Du bist ein Verführter, und Allah wird Dir verzeihen, wenn Du mit reuiger Seele aus dem Leben scheidest. Sage mir: ist der alte Mübarek der Schut?«

»Nein.«

»Wer ist denn der Schut?«

»Ich weiß es nicht.«

»Weißt Du auch nicht, wo er ist?«

»Sie wollen ihn in Karanorman-Khan treffen.«

»Und wo liegt dieser Ort?«

»Im Schar Dagh, nicht weit von einem Dorf, welches Weicza heißt.«

»Hinter Kakandelen?«

Er nickte wieder, denn er konnte nicht mehr sprechen. Seine Antworten hatte er nur abgebrochen und so leise gegeben, daß ich mein Ohr seinem Mund nähern mußte, um ihn zu verstehen.

»Sihdi, er stirbt!« sagte Halef mitleidig.

»Hole Wasser!«

Er ging; aber seine Hülfeleistung war nicht mehr nöthig. Der Mann starb uns unter den Händen, ohne noch ein Wort zu sagen.

»Wir schaffen die Leichen und auch den Mübarek in die Höhle hinein,« sagte ich. »Der Kiaja mag sie holen.«

»Herr, der Alte hat die Augen auf. Er ist wieder bei sich,« erklärte Osco, indem er dem Mübarek mit der Laterne in das Gesicht leuchtete.

Sofort bückte sich Halef, um sich zu überzeugen, ob es wahr sei. Der alte Sünder hatte wirklich die Besinnung wieder erlangt. Er hütete sich zwar, zu sprechen, aber seine Blicke bewiesen sein Bewußtsein. Es blitzte eine Wuth aus ihnen, wie ich sie noch niemals in irgend einem Auge gesehen hatte.

»Lebst Du noch, altes Skelett?« fragte ihn Halef. »Es wäre auch Jammerschade, wenn die Kugel Dich zu Tod getroffen hätte; denn so ein Ende hast Du nicht verdient. Du sollst qualvoll sterben, damit Du einen Vorgeschmack der Freuden bekommst, welche Dich in der Hölle erwarten.«

»Hund!« zischte der alte Bösewicht.

»Scheusal! Verhungern sollten wir und verschmachten? Meinst denn Du, Dummkopf, daß Du solche berühmte und glorreiche Helden festhalten könntest? Wir dringen durch Stein und springen durch Eisen und Erz. Du aber sollst in Deiner eigenen Falle vergebens nach Hülfe und Labsal schreien.«

Selbstverständlich war dies nur eine Drohung. Er wurde in die Höhle geschafft und zwischen die Leichen gelegt. Ein wenig Todesangst konnte dem Unhold gar nicht schaden.

Als ich nun die Sänfte genauer betrachtete, ergab es sich, daß das Häuschen abgenommen werden konnte. Ich ließ es entfernen, denn dadurch bekam ich unterwegs freie Bewegung der Arme. Jetzt nahm ich die Büchse und den Stutzen auf, und wir traten den Rückweg an, nachdem wir das Feuer ausgelöscht hatten.

Dem Mübarek hatten wir vorher den Strick gelöst. Er konnte also aufstehen und auf und ab gehen. Die eisenbeschlagene Thüre aber war mit dem großen Riegel versperrt worden. Wir ließen ihn bei der Furcht, daß er hier stecken bleiben müsse, ohne Hülfe zu finden.

Des Nachts ist im Wald, wenn es keine gebahnten Wege gibt, nicht gut wandern, zumal mit einer Sänfte. Dennoch blieben wir in der ordentlichen Richtung. Die Gefährten traten so leise wie möglich auf. Halef hielt seine Pistolen und ich die Revolver schußbereit – für alle Fälle.

Als der Wald hinter uns lag, bogen wir rechts ab, nach den Wiesen der Sletowska zu, wo es freies Terrain gab. Es war dies ein Umweg, auf welchem wir dem Kampf entgingen, der uns, wenn auch nicht den Tod, doch Wunden bringen konnte.

Wir langten glücklich in unserm Gasthof an, wo ich durch die vordere Stube, in welcher mehrere Gäste saßen, nach dem ›guten Zimmer‹ getragen wurde.

Da saß der Wirth. Als er uns erblickte, sprang er von seinem Sitz auf.

»Du, Herr?« rief er aus. »Du bist ja fort!«

»Wohin denn?«

»Nach Karatowa.«

»Wer sagte das?«

»Der Fleischer.«

»So ist er also da gewesen?«

»Ja, und er verlangte Deine Pferde und war sehr ergrimmt, als ich ihm erklärte, daß ich sie ihm nicht geben könne, weil Du die Vollmacht wieder zurückgezogen hättest. Er aber drohte mir mit Deinem Zorn. Du müßtest nach Karatowa getragen werden und bei Deiner Ankunft die Pferde dort finden.«

»Hatte ich es doch geahnt! Er wollte mich um meinen Rappen betrügen, und nicht nur um das Pferd, sondern auch um das Leben.«

»Um das Leben, sagst Du?«

»Ja, wir haben Dir viel zu erzählen. Der Fleischer ist todt.«

»Ist ihm ein Unglück passirt?«

»Ja, wenn Du es nämlich ein Unglück nennst, daß ich ihn erschossen habe.«

»Erschossen!« rief er erschrocken. »Du? Freilich ist das ein Unglück, und zwar für ihn, für seine Familie und auch für Dich.«

»In wie fern für mich?«

»Hast Du es mit Absicht gethan?«

»Nun, erschießen wollte ich ihn nicht, aber treffen sollte ihn meine Kugel.«

»So hast Du also mit Vorbedacht geschossen, und ich muß Dich als Mörder festnehmen.«

»Dagegen protestire ich ernstlich.«

»Das wird Dir nicht viel helfen!«

»O doch, denn ich muß Dir dabei erzählen, wie es gekommen ist. Und selbst, wenn ich ihn aus freier Hand und ohne zwingenden Grund getödtet hätte, so würde ich mich nicht so ohne Weiteres festnehmen lassen. Hast Du nicht am Nachmittag zugestanden, daß die Aladschy allbekannte Räuber und Mörder sind?«

»Ja, denn das weiß doch Jedermann.«

»Und dennoch hast Du Bybar nicht festgehalten, als er sich in Deinen Händen befand! Mich aber, einen Mann, von dessen Vergangenheit Du nicht das mindest Ungesetzliche kennst, willst Du ergreifen lassen? Wie stimmt das zusammen?«

»Herr, es ist meine Pflicht,« antwortete er verlegen.

»Ja, ich weiß wohl. Den Aladschy ließest Du laufen, weil Du die Rache seines Bruders und seiner Sippe und auch seine eigene Gewaltthätigkeit zu fürchten hattest. Von mir aber denkst Du, daß ich mich ohne Widerstand füge und auch als Fremder Niemanden habe, der Dich mit dem Gewehr darüber zur Rede stellt.«

»Oho!« rief Halef. »Wer meinen Effendi anrührt, dem jage ich sofort eine Kugel durch den Kopf! Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah und pflege stets mein Wort zu halten. Nun versuche es einmal, Deine Hand an ihn zu legen!«

So klein er war, seine Haltung war eine überaus energische und bedrohliche. Man sah es ihm an, daß er bereit war, sein Wort zur Wahrheit zu machen. Der Wirth und Kiaja des Dorfes bekam sichtlich Respekt vor ihm.

»Ich danke Dir, Halef,« sagte ich. »Hoffentlich bedarf es Deines Einschreitens gar nicht. Dieser gute Kiaja wird einsehen, daß ich zur Tödtung des Fleischers gezwungen wurde.«

Und zu dem Wirth gewendet, fuhr ich fort:

»Hast Du mir nicht gesagt, daß der Fleischer ein Skipetar sei?«

»Ja. Er ist sogar ein Miridit.«

»So stammt er gar nicht von hier?«

»Nein. Sein Vater kam, als er nach Sbiganzy zog, aus Oroschi, dem Hauptort der Miriditen.«

»Nun, was geht Dich dann sein Tod an? Stehen die Miriditen unter den Gesetzen des Padischah?«

»Nein, sie sind freie Arnauten.«

»Weißt Du auch, daß sie nur unter sich richten, und zwar nach den alten Gesetzen Lek Dukadschinits?«

»Das weiß ich freilich.«

»So hast Du Dich um den Tod des Fleischers gar nicht zu bekümmern. Ich habe ihn getödtet, ob mit Recht oder Unrecht, das ist bei diesen Leuten freilich sehr gleichgültig; ich bin dem Gesetz der Blutrache verfallen, und die Verwandten des Todten müssen dieselbe an mir ausüben. Du aber hast mit der Sache gar nichts zu thun.«

»Ah!« holte er tief Athem. »Das ist mir außerordentlich lieb!«

»So sind wir also einig. Aber es gibt noch einen andern Todten.«

»Wer ist das?«

»Ein Gefängnißwärter aus Edreneh, welcher einen Gefangenen befreit hat und mit ihm geflohen ist. Dieser hat ihn erschlagen. Bei diesen beiden Todten wirst Du auch den alten Mübarek finden, dem ich mit einer Kugel den Ellbogen zerschmettert habe.«

»Auch ihn? Herr, Du bist doch ein ganz entsetzlicher Mensch!«

»Ich bin im Gegentheil ein sehr guter Mensch; aber wie hier die Sache liegt, konnte ich gar nicht anders handeln.«

»Wie ist es denn gekommen?«

»Setze Dich zu uns; ich muß es Dir erzählen.«

Er nahm Platz, und ich begann meinen Bericht. Wir hatten Zeit. Darum war ich so ausführlich wie möglich. Ich erzählte ihm auch, warum wir Barud el Amasat verfolgten. Er gewann also einen klaren Einblick in unsere Absichten, und das erleichterte ihm die Erkenntniß, mit welchen Schurken wir es zu thun hatten. Als ich endlich schwieg, saß er ganz bestürzt da.

»Sollte man so Etwas für möglich halten!« sagte er. »Ihr seid ja Leute wie die Gepanzerten des Kalifen Harun al Raschid, die im ganzen Reich umherritten, um die Bösen zu bestrafen und die Guten zu belohnen.«

»O, wir sind keineswegs so hohe und herrliche Leute. Diejenigen, von denen ich Dir erzählte, haben unseren Freunden oder auch uns selbst Übles zugefügt; sie haben jetzt noch gewisse Verbrechen vor, und wir folgen ihnen, um dieselben zu verhindern. Was wirst Du nun thun?«

Er kratzte sich mit beiden Händen am Kopf und antwortete endlich:

»Gib mir einen guten Rath.«

»Du bist Beamter und mußt ganz genau wissen, was Deine Pflicht Dir vorschreibt. Meines Rathes bedarfst Du nicht.«

»Ich wüßte, was ich thun würde, wenn Du nicht eine große Dummheit begangen hättest. Warum hast Du den alten Mübarek nur in den Ellbogen geschossen? Konntest Du denn nicht nach seinem Kopfe oder seiner Brust zielen? Da wäre er aus der Welt gewesen.«

»Das sagst Du, Du als Kiaja!«

»Nein, der Kiaja spricht jetzt nicht zu Dir. Wäre der Alte auch todt, so ließe ich die Drei begraben, und es würde kein Wort weiter gesprochen. Nun aber muß ich mich des Alten bemächtigen und ihn dem Gericht überliefern. Das ist ein böser Fall.«

»Ich sehe gar nichts Böses dabei. Du wirst Dich sogar verdienstlich machen. Er ist aus dem Gefängniß zu Ostromdscha entsprungen. Du ergreifst ihn und schickst ihn nach Uskub, dann bist Du fertig.«

»Ich muß aber auch dahin kommen, um Bericht zu erstatten. Und Ihr müßt auch mit – als Zeugen oder Ankläger.«

»Das thun wir gern.«

»Ja, Ihr verlaßt dann diese Gegend; mich aber werden die Freunde des Alten kalt machen.«

»So wird es Dir vielleicht warm dabei, und das ist auch nicht zu verwerfen.«

»Spotte nur! Du weißt nicht, wie schlimm es mir ergehen kann. Wie gesagt, hättest Du den Halunken erschossen, so wäre ich all der Plage und Verantwortung los. Denn wenn Du als Zeuge in Uskub verweilen mußt, so wirst Du diesen Ort wohl gar nicht lebendig verlassen, sondern der Blutrache verfallen.«

»Hat der Fleischer mannbare Verwandte hier?«

»Ja, einen Bruder.«

»Weißt Du nicht, ob er heute daheim ist?«

»Er ist da, denn mein Knecht hat meine Botschaft an ihn und nicht an Tschurak selbst ausgerichtet.«

»Hm! Das ist freilich bedenklich. Wenn er wie sein Bruder ist, so habe ich mich vor ihm zu hüten.«

»Er ist zum Mindesten so. Ich habe ihn nicht für so brav wie Tschurak selbst gehalten. Da nun derselbe dennoch ein Schurke war, so wird sein Bruder wohl ein noch größerer sein. Du bist Deines Lebens nicht sicher, so lange Du Dich hier befindest. Darum will ich Dir einen sehr guten Rath ertheilen: steigt ohne Verzug in den Sattel und reitet nach Karatowa. Ich gebe Euch einen guten Führer mit.«

»Dorthin wollen wir gar nicht.«

»Der Fleischer sagte es doch!«

»Das war eine Lüge. Wir wollen von hier nach Uskub, und das paßt also sehr gut, denn wir werden Deine wehrhafte Bedeckung bilden, wenn Du den alten Mübarek dorthin transportirst.«

»Gott behüte mich! Man wird uns unterwegs todt schießen!«

»Da müßten wir die Sache sehr dumm anfangen.«

»Ich höre, daß Du keinen Begriff von den hiesigen Verhältnissen hast. Du schwebst mit Deinen Freunden hier fortwährend in Lebensgefahr, und kein Haar Eures Hauptes ist mehr sicher. Reitet lieber fort! Das ist wirklich das Allerbeste für Euch.«

»Und auch das Allerbeste für Dich! Nicht wahr?«

Diese Frage machte ihn äußerst verlegen. Er hatte so dringlich zu mir geredet, wie nur die Sorge um sich selbst sprechen konnte. Der Mann war ganz brav; aber als Sohn seines Landes hatte er allerdings mit der Unsicherheit der dortigen Rechtsverhältnisse zu rechnen.

»In wie fern für mich?« fragte er.

»Du würdest, wenn wir fort wären, den alten Mübarek einfach laufen lassen; dann hättest Du keine Rache zu fürchten, sondern seinen Dank zu erwarten.«

Er erröthete: ich hatte das Richtige getroffen. Dennoch sagte er:

»Denke das ja nicht von mir! Ich werde sehr streng nach meiner Pflicht verfahren; aber es liegt mir daran, Euch in Sicherheit zu wissen.«

»Um diese brauchst Du Dich nicht zu sorgen. Wir haben Dir bereits bewiesen, daß wir keiner fremden Hülfe bedürfen. Eigentlich hätte ich mich heute an Dich um Schutz gegen unsere Feinde wenden sollen; ich habe es nicht gethan, um Dich nicht zu belästigen, und weil ich wußte, daß wir uns selbst genügen. So werden wir auch fernerhin weder eines Rathes, noch einer Unterstützung bedürfen. Bist doch Du es eigentlich, dem wir es zu verdanken haben, daß wir in eine solche Gefahr kamen.«

»Wie so denn?« fragte er.

»Weil Du uns versichert hast, daß kein Fremder bei dem Fleischer angekommen sein könne, und doch sind sie bereits vor uns hier gewesen.«

»Das wußte ich nicht, denn in das Dorf sind sie nicht gekommen. Tschurak wird sie draußen getroffen haben. Ich sagte Dir doch, daß er zu Pferd nach Hause gekommen sei. Jedenfalls ist er ihnen da begegnet und hat sich mit ihnen verabredet.«

»Das ist wahrscheinlich. Also, ich verlasse Sbiganzy heute nicht und werde bei Dir schlafen. Was gedenkst Du nun mit den Dreien zu thun, welche wir in der Hütte eingeschlossen haben?«

Wieder kratzte er sich hinter den Ohren.

»Herr, laß mich mit dieser Geschichte in Ruhe!«

»Leider kann ich es nicht. Sie dürfen doch nicht draußen stecken bleiben. Ich verlange, daß Du Dich noch am Abend des alten Mübarek bemächtigest. Die beiden Leichen mögen meinetwegen liegen bleiben.«

»Aber was soll ich mit ihm anfangen?«

»Ihn hier einsperren, bis wir ihn morgen nach Uskub transportiren.«

»Alle guten Geister! Die Aladschy stürmen mir das Haus!«

»Wir helfen Dir, es zu vertheidigen.«

»Später trifft mich ihre Rache!«

»Welch eine Feigheit!«

»Ja, Ihr braucht Euch freilich nicht zu sorgen. Ihr reitet fort und kommt nie wieder. Über mich aber bricht dann das Gewitter herein.«

»Die Aladschy können Dir nichts zu Leid thun, denn wir liefern sie morgen gleichfalls nach Uskub ab, und Manach el Barscha und Hamd el Amasat dazu.«

»Hast Du sie denn?«

»Nein, aber wir holen sie uns jetzt gleich.«

»Und wie?«

»Mit den Bewohnern von Sbiganzy, welche wir jetzt aufbieten, um gegen sie auszuziehen.«

»Die werden sich bedanken!«

»Sie müssen! Hast Du nicht gelesen, daß ich ein Schützling des Großherrn bin?«

»Ja, leider bist Du es.«

»So hast Du meiner Forderung zu gehorchen. Weigerst Du Dich dessen, so werde ich in Uskub Beschwerde gegen Dich erheben.«

»Herr, willst Du mich unglücklich machen?«

»Nein, ich will Dich nur veranlassen, Deine Pflicht zu erfüllen. Diese vier Räuber stehen draußen am Rande des Gebüsches. Nichts ist leichter, als sie einzuschließen und gefangen zu nehmen.«

»O, da irrst Du Dich. Sie werden sich sehr dagegen wehren.«

»Was schadet das?«

Er machte so große, starre Augen, daß Halef laut auflachte.

»Was das schade, fragst Du? Etwa nichts?« rief der Kiaja. »Wenn sie uns todt schießen, das soll nichts schaden? Ich bin im Gegentheil der Ansicht, daß es gar keinen größeren Schaden geben kann, als das Leben zu verlieren.«

»Das denke ich so ziemlich auch. Aber Ihr müßt es eben so anfangen, daß sie gar nicht dazu kommen, sich zu vertheidigen.«

»Wie sollen wir das anfangen?«

»Das werde ich den Leuten sagen, wenn sie hier versammelt sind.«

»O, Keiner wird kommen, wenn ich sagen lasse, um was es sich handelt.«

»Das darfst Du eben nicht. Du gibst doch zu, daß Du nach dem Gesetz das Recht und auch die Pflicht hast, in einem solchen Fall die Hülfe der ganzen streitbaren Einwohnerschaft anzurufen?«

»Ja, das Recht habe ich.«

»Und sie müssen Dir gehorchen?«

»Unbedingt.«

»Nun, so rufst Du sie jetzt auf mit dem Befehl, sie sollen sich schleunigst hier in Deiner vorderen Stube mit ihren Waffen einfinden. Wenn sie Alle versammelt sind, werde ich ihnen selbst sagen, was wir von ihnen verlangen. Ich werde so zu ihnen reden, daß sie stolz darauf sein werden, gegen diese Missethäter auszuziehen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Gewiß.«

Er äußerte noch eine Menge Bedenken, aber ich blieb bei meinem Verlangen, so daß er endlich sagte:

»Nun, da Du so streng befiehlst, werde ich meinen Zabtie kollukdschiji holen und in Deiner Gegenwart instruiren.«

Als er sich entfernt hatte, sagte Halef:

»Ich begreife Dich nicht, Sihdi. Denkst Du denn wirklich, daß diese lieben Unterthanen des Sultans nur eine Fliege fangen werden?«

»Nein; ich will uns nur einen Spaß machen. Ich reise doch, um Länder und Völker kennen zu lernen. Ich möchte einmal die Bewohner eines hiesigen Ortes beisammen sehen, um zu beobachten, wie sie sich unterhalten und belustigen. Wir haben uns heute in Gefahr befunden und dürfen uns nun eine frohe Stunde gewähren.«

Die Gefährten stimmten bei: sie waren neugierig auf den bewaffneten Landsturm, welcher sich einfinden sollte.

Nach einiger Zeit kam der Wirth zurück und brachte den Polizeiwächter mit. Dieser machte einen nicht sehr imponirenden Eindruck. Zwar war sein Gesicht ungeheuer bärtig, aber das Übrige harmonirte nicht damit. Er sah recht hungerleidend aus, und sein Anzug bestand nur aus einer bis zum Knie reichenden Hose und aus einer alten, zerrissenen, vorn zugeheftelten Jacke. Seine Unterschenkel waren unbekleidet. Um den Kopf hatte er ein Baumwollentuch gewickelt von der Sorte, wie sie bei uns auf Jahrmärkten um zwei Mark das Dutzend verschleudert werden. In der Hand aber hielt er einen Olivenstock von der Dicke eines Kinderbeines. Anstatt des Griffes war derselbe mit einer Sichel versehen – wozu? Als Waffe? Dann war sie freilich ein höchst gefährliches Ding.

»Herr, hier ist mein Zabtie kollukdschiji,« sagte der Kiaja. »Willst Du ihn selbst instruiren?«

»Nein, thue Du es! Du bist der Vorgesetzte und hast diese Befehle zu ertheilen.«

Er gab dem Diener den Auftrag so, wie es in meiner Meinung lag. Dann fragte ich nach seinem Biervorrath.

»Ich habe erst gestern einen neuen Vorrath gekocht,« antwortete er. »Du könntest mit Deinen Gefährten eine ganze Woche davon trinken.«

»Verkaufst Du es mir?«

»Ja. Aber wozu könntest Du so viel brauchen?«

»Dein Zabtie kollukdschiji mag den Männern sagen, daß sie alles vorhandene Arpa suju und auch noch Raki erhalten, wenn sie das richtig thun, was von ihnen verlangt wird.«

Da hob der Polizeiwächter seinen Stock wie zum Schwur empor und sagte:

»Effendi, Deine Güte ist groß; aber bei Allah und dem Propheten, wir werden fechten und streiten, als ob wir gegen die Ungläubigen zu Felde zögen!«

»So weißt Du, um was es sich handelt?«

»Ja, der Kiaja, mein Herr und Gebieter, hat mich des Vertrauens gewürdigt, es mir zu sagen.«

»Aber Du wirst nicht davon sprechen?«

»Kein Wort! Mein Mund wird sein ein Buch mit sieben Siegeln, in welchem nicht geblättert werden kann, und wie eine eiserne Truhe, zu welcher der Schlüssel abhanden gekommen ist.«

»Das rathe ich Dir auch an. Und nun beeile Dich!«

»Ich werde fliegen, wie der Gedanke des Gehirns, welcher in einer Sekunde um die Erde läuft!«

Er wendete sich um und schritt würdevoll und gemessenen Schrittes zur Thüre hinaus.

»Das ist noch niemals dagewesen,« sagte der Wirth. »Kein Mensch wird allen Männern des Dorfes zu trinken geben, ein Fremder aber gar nicht. Herr, man wird Euch rühmen lange Jahre hindurch und Eurer Namen gedenken lebenslang!«

»Wie viel wird das Bier kosten?«

»Fünfzig Piaster.«

Das waren zehn Mark.

»Und wie viele Männer werden kommen?«

»Vielleicht gegen zwanzig.«

»Und was kostet hier ein fetter Hammel?«

»O, der ist hier weit billiger als in Stambul oder Edreneh, woher Du kommst. Du hast nur fünfzehn Piaster zu zahlen.«

»So kannst Du den Leuten sagen, daß sie sich, wenn sie tapfer sind, zwei Hämmel draußen in Deinem Hof am Spieße braten dürfen.«

»Herr, Du rufest den Segen des Dorfes auf Dein Haupt herab! Die Leute werden – –«

»Schon gut!« unterbrach ich ihn. »Du selbst hast fette Hämmel; so suche zwei aus und sorge dafür, daß auch wir eine tüchtige Abendmahlzeit erhalten.«

»Du sollst mit mir zufrieden sein. Ich werde für Euch sorgen, als ob der Khalif selbst bei mir zu Gast sei!«

Er eilte hinaus.

»Jetzt hat er gute Laune!« lachte Osco.

»Ja, aber dieser Frohsinn gefällt mir nicht. Er scheint nicht im Mindesten mehr um das Leben und um das Wohl seiner streitbaren Männer besorgt zu sein. Das kommt mir verdächtig vor. Er wird irgend eine Vorkehrung getroffen haben, welche ihm Sicherheit gewährt, daß ihnen nichts geschehen kann.«

»Er wird uns doch keinen Schaden machen!«

»Das ist unmöglich. Er vertreibt unsere Feinde. Das ist das Einzige, was er fertig bringen wird.«

Es dauerte lange, sehr lange, bis der erste der streitbaren Helden anlangte. Als dieser endlich ankam, machte der Wirth die Thüre zu der Vorderstube auf und meldete:

»Effendi, sie beginnen bereits zu kommen. Soll ich schon Arpa suju geben?«

»Nein. Erst mögen sie zeigen, daß sie tapfer sind.«

Nach und nach kamen noch Andere. Jeder trat an die Verbindungsthüre, welche offen war, machte uns eine Verneigung und betrachtete uns mit neugierigem Blick.

Aber in diesen Blicken spiegelte sich noch etwas Anderes als bloße Neugierde oder die Freude über den Schmaus, der ihrer wartete. Es waren so pfiffige Augen! Diese Leute hatten irgend ein Geheimniß, welches ihnen Vergnügen machte. Bewaffnet waren sie Alle: mit Flinten, Pistolen, Säbeln, Beilen, Messern, Sicheln und sonstigen Werkzeugen.

Später hörten wir ein lautes Hallo dieser Kriegerschaar. Wir sahen den Zabtie kollukdschiji eintreten und hinter ihm mehrere Männer. Auch sie waren bewaffnet, doch trug Jeder außerdem noch ein musikalisches Instrument bei sich.

Er kam stramm und in würdevoller Haltung zu uns hereingeschritten; die Andern folgten ihm.

»Herr,« meldete er, »die Krieger sind versammelt und harren Eurer Befehle.«

»Gut! Was bringst Du denn da für Leute?«

»Das sind die Tschalgydschylar, welche erst die Tschenk makami und dann die Makam er raks en nagmeh machen werden. Dadurch werden die Truppen zur höchsten Tapferkeit begeistert werden.«

»Ah, Ihr wollt mit Musik gegen die Feinde ziehen?«

»Natürlich! Es ist das so Gebrauch in jedem Heer. Beim Sturm wird trompetet.«

Das war wunderbar lustig. Die vier Räuber sollten still umzingelt und gefangen werden, und dieser Wächter der Polizei wollte mit Musik gegen sie ziehen. Da er aber vom Sturm, von Kriegsmusik sprach, mußte er den Kriegern bereits gesagt haben, um was es sich handle. Er hatte also mein Gebot übertreten, doch sagte ich jetzt nichts dazu. Er ließ mich auch gar nicht zu Wort kommen, denn er faßte den Einen, der ein trommelähnliches Ding vorgeschnallt und zwei Stöcke in den Händen hatte, bei der Brust, schwenkte ihn vor mich hin und erklärte:

»Dieser schlägt die Dawul. Er ist Meister dieses Instrumentes.«

Ihn fortschiebend, zog er einen Zweiten herbei, welcher einen Reifen trug, über welchen ein Fell gespannt war.

»Dieser klappert den Dawuldschuk, und dieser bläst die Düdük

Bei diesen Worten stieß er Einen, der eine lange Holzpfeife hatte, an die Stelle des Vorigen, schleuderte aber auch diesen wieder zur Seite und raffte zwei Andere herbei, welche sich mit Saiteninstrumenten zu befassen schienen.

»Dieser pimpelt die Kytara, und dieser sägt den Keman,« erläuterte er uns. »Aber nun kommt die Hauptsache, Effendi. Hier der Letzte hat das eigentliche Instrument des Krieges. Er ist der Held der Töne, denn er macht den Takt und bläst die Feinde um, wenn er will. Er pfeift die Zurna, der Niemand widerstehen kann. Du wirst mit unserer Musik außerordentlich zufrieden sein.«

Ich zweifelte sehr daran. Die sogenannte Guitarre, welcher sich der Eine befleißigte, bestand aus einem Brettstück, an welches ein Hals geleimt war. Zwei Saiten hätten sich im Abendwind geschwungen, wenn er hier in der Stube geweht hätte.

Die Violine bestand aus einem Hals, an welchem eine kropfähnliche Anschwellung befestigt war. Über den Steg derselben liefen drei Saiten, so dick, daß sie ein Violonbassist hätte benutzen können. Der Bogen bestand aus einer krummen Rute, an welche eine starke Schnur gespannt war. Ein großes Stück Pech, welches der Mann in der Hand hielt, war wohl anstatt des Kolophoniums bestimmt, dieser Schnur die nöthige Rauheit zu geben.

Und nun erst die Posaune! Ja, es war eine wirkliche, leibhaftige Zugposaune. Woher der Mann sie nur haben mochte? Aber wie sah sie aus! Sie war so voller Schrullen, Drücke und Kniffe, als ob Simson sie benutzt hätte, die etlichen Hundert Philister zu erschlagen. Ihre ursprüngliche Gestalt hatte sich im Laufe der Zeit verändert. Sie schien es für geboten gehalten zu haben, sich mehr und mehr einer sehr unregelmäßigen Spirallinie zu nähern, und als ich daher dem Posaunisten das kapriciöse Ding aus der Hand nahm, um zu versuchen, ob es ausgezogen werden könne, fand ich, daß ihre jetzige Gestalt sich dagegen sträubte und daß sie außerdem vollständig eingerostet war.

Ihr glücklicher Besitzer schien dem Ausdruck meines Gesichtes zu entnehmen, daß die Posaune nicht mein völliges Vertrauen besitze, denn er beeilte sich, mir zu versichern:

»Herr, habe keine Sorge! Diese Zurna thut ihre Schuldigkeit.«

»Ich will es hoffen.«

»Da Du zu dem Arpa suju noch einen Raki gibst, so schlage ich mit dieser meiner Zurna alle beiden Aladschy todt!«

»Esel!« raunte ihm der Polizeiwächter zu. »Ihr dürft das noch gar nicht wissen!«

»Ah so!« meinte der Heldenposaunist. »Da nehme ich meine Worte zurück!«

»Sie sind nun heraus,« lachte ich. »Also Ihr wißt es bereits, um was es sich handelt?«

»Herr, sie ließen mir nicht Ruhe, bis ich es ihnen sagte,« entschuldigte sich der Wächter. »Ihre Tapferkeit entbrannte so schnell, daß es mein Leben gefährdet hätte, wenn ich schweigsam geblieben wäre.«

»Es ist recht, daß Du Dein Leben geschont hast. Nun brauche ich diesen wackern Leuten gar nicht erst zu erklären, was von ihnen verlangt wird.«

»O, eine kleine Rede möchtest Du doch thun, um sie noch mehr anzufeuern, denn dann werden sie unüberwindlich sein!«

»Die Rede werde ich halten. Nicht, Sihdi?« meinte Halef.

Da ich seine Rednergabe kannte, nickte ich ihm Gewährung zu und fragte dann:

»Wer wird die Krieger anführen?«

Der Polizist antwortete:

»Natürlich bin ich als Zabtie kollukdschiji der Muschir dieser Heeresmacht. Ich werde sehr strategisch verfahren. Ich theile das Heer in zwei Hälften, welche von Ferik Paschas befehligt werden. Mit ihnen werden wir den Feind heimlich umzingeln und gefangen nehmen. Er kann gar nicht entwischen, da wir von zwei Seiten kommen.«

»Sehr gut! Und dazu macht Ihr Musik?«

»Ja, denn damit jagen wir dem Feind bereits beim Nahen Schrecken ein. Wir legen Dir die Missethäter gebunden vor die Füße. Aber da Du nun einsehen mußt, wie tapfer und verwegen wir sein werden, so brauchst Du mit den beiden Hämmeln nicht zu warten, bis wir uns siegreich nahen. Du kannst sie jetzt schon braten lassen. Ich habe einige Frauen mitgebracht, welche dies Geschäft sehr gut verstehen; sie befinden sich bereits draußen im Hof und treffen ihre Vorbereitungen. Die Stücke oberhalb des Schwanzes, welche die besten und zartesten sind, werdet Ihr erhalten, denn wir wissen sehr genau, was die Höflichkeit erfordert.«

»Also auch Frauen werden da sein?«

»O, noch Andere! Schau hinaus in den Hof, so wirst Du auch die Söhne und Töchter der Frauen sehen.«

»Nun, so mag der Kiaja seinem Knecht befehlen, nicht zwei, sondern vier Hämmel zu schlachten und sie den Frauen zu übergeben.«

»Herr, Du fließest über vom Wohlthun! Aber daß wir die Hauptsache nicht vergessen: wer bekommt die vier Felle?«

»Sie sollen unter die vier Tapfersten vertheilt werden.«

»Da bin ich sicher, wenigstens eins zu erhalten. Nun aber möchte Dein Gefährte seine Rede beginnen, denn der Eifer meines Kriegsvolkes wird kaum länger zu zügeln sein.«

Er zog sich mit seinen Musikanten in die vordere Stube zurück. Halef stellte sich unter die Verbindungsthüre und hielt seine Rede. Diese war ein kleines rhetorisches Meisterstück. Er war überaus freigebig mit der Bezeichnung der Zuhörer als Helden, Unüberwindliche, Vortreffliche und warf dazwischen eine Fülle von sarkastischen Brocken, welche nur wir verstanden.

Als er geendet hatte, erklang ein Ton, über den ich so erschrack, daß ich von meinem Stuhl auffuhr. Das war, als ob ein halbes Dutzend amerikanische Büffel lebendig am Spieß steckten, um gebraten zu werden, und dabei ihr Schmerzgebrüll ausstießen. Auf meine Erkundigung antwortete der Wirth:

»Das war die Posaune. Sie blies zum Aufbruch.«

Die Stube leerte sich nun. Draußen vor dem Thor erklang die Stimme des Marschalls. Er theilte sein Heer in zwei Schaaren, und dann setzten sich die Helden alle in Bewegung.

Einige kräftige Donnerstöße der Posaune leiteten den Sturmmarsch ein. Die Flöte that, als ob sie einen Triller hervorbringen wollte, blieb aber stecken und verlief in ein wüthendes Pfeifen. Die Trommel begann zu quirlen, dann fiel das Tamburin ein, von Geige und Guitarre aber war nichts zu hören. Ihre sanften, zarten Töne erstarben unter der Tonmacht der anderen kriegsgewohnteren Instrumente.

Nach und nach wurden die Harmonien schwächer, je weiter das Heer sich entfernte. Es klang nur noch so, wie wenn der Sturm um eine Ecke heult, und dann verging es in einem hinsterbenden Piepen, wie wenn einem Leierkasten die Luft ausgeht.

Wir überließen die Tapfern ihrem Heldenthum und zogen unsere Tschibuks hervor. Draußen im Hof loderten einige Feuer, an denen die Hämmel gebraten werden sollten. Nicht ganz einen Thaler das Stück. Eine solche Freigebigkeit konnte man schon einmal wagen.

Der Wirth hatte nichts zu thun. Er setzte sich zu uns, zündete sich auch eine Pfeife an und verlor sich in Vermuthungen, ob einer der Vier, auf die wir es abgesehen hatten, gefangen genommen würde – oder alle Vier – oder gar Keiner.

Es lag dabei ein Zug in seinem Gesicht, der mich auf eine kleine Verstecktheit schließen ließ. Er war ein ehrlicher Mann, das glaubte ich gern; jetzt aber verbarg er uns irgend Etwas, was zu dem im schönsten Gang befindlichen Feldzug in Beziehung stand.

»Aber wenn sie nun Unglück haben,« sagte er. »Was dann?«

»So bekommen wir die Halunken nicht.«

»Ich meine in Betreff des Bieres.«

»Das wird doch getrunken.«

»Und die Hämmel?«

»Werden doch gespeist.«

»Du sprichst wie ein Weiser, Herr, denn wenn die Aladschy fort sind, hilft auch die größte Kühnheit nichts.«

»Der Marschall wird schon dafür sorgen, daß sie fortgehen. Seine Musik fordert sie dazu auf. Oder sollte er sie schon vorher gewarnt haben?«

»Gewarnt? Wie meinst Du das?«

»Nun, er kann ja zu ihnen hinaus gelaufen sein, um ihnen in aller Gemüthlichkeit mitzutheilen, daß sie uns vergeblich auflauern, weil wir uns bereits bei Dir befinden.«

Er sah mich forschend an, ob ich das wohl im Ernst meine.

»Effendi, was denkst Du nur!«

»Etwas, was sehr leicht möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich ist. Und bei dieser Gelegenheit hat er ihnen auch gesagt, daß sie ein wenig bei Seite gehen sollen, weil er jetzt die Tapferen zu einem Angriff gegen sie zusammenrufen müsse.«

»Das wird er doch nicht gethan haben. Das wäre ganz gegen seine Pflicht.«

»Wenn es ihm aber von Dir befohlen worden wäre?«

Er erröthete, blickte zur Seite und antwortete in unsicherem Ton:

»So Etwas traust Du mir zu!«

»Du siehst mir so ungemein pfiffig aus. Die große Sorge um Deine Helden ist ganz und gar verschwunden, und der Erste dieser Helden kam so spät, daß ich wirklich glaube, Dein Zaptie hat einen kleinen Spaziergang hinaus nach den Büschen gemacht. Aber ich will Dir Deine Sorge für die Bewohner dieses Ortes nicht zum Vorwurf machen. Hoffentlich werden ihrer nur Wenige getödtet werden.«

Ich sagte das in scherzhaftem Ton. Er antwortete, halb auf denselben eingehend:

»Sie werden kämpfen, wie die Löwen. Solche Waffen, wie Ihr, haben sie freilich nicht, aber sie wissen die ihrigen zu gebrauchen. Mit einer hiesigen Flinte könnte man nicht eine eiserne Krampe aus dem Holz schießen. Ich habe noch niemals ein solch schweres Gewehr gesehen.«

Er nahm meine Büchse von der Wand, an welcher sie lehnte, und wog sie mit den Händen.

»Wirst Du nicht müde, sie zu tragen?«

»Nein, ich bin es gewöhnt.«

»Warum aber fertigt man bei Euch gar so schwere Gewehre? Der Arm schmerzt ja beim Zielen.«

»Man fertigt jetzt keine solche Büchse mehr. Dieses Gewehr ist sehr alt. Es gehört zu einer Gattung, welche man Bärentödter nannte, weil man sich ihrer bei der Bärenjagd bediente. Es gibt drüben in Jeni dünja eine Bärenart, welche ein graues Fell hat. Dieser graue Bär ist so stark, daß er einen Ochsen fortschleppt. Keine der früheren Kugeln tödtete ihn sicher, und nur aus schweren Gewehren, wie dieses hier ist, konnte man einen sicheren Schuß abgeben.«

»Hast Du auch solche Bären getödtet?«

»Ja. Wozu hätte ich sonst die Büchse?«

»Aber warum schleppst Du sie mit Dir hier herum, wo es keine Bären gibt?«

»Weil ich während meiner Reise in Gegenden kam, wo es zwar keine Bären, aber anderes starkes Wild gab. Ich habe mit ihr den Löwen und den schwarzen Panther geschossen. Übrigens gewährt sie wegen ihrer Schwere ein sicheres Ziel aus freier Hand. Und daß sie auch sonst mir gute Dienste leistet, das hast Du heute erfahren.«

»Ist sie geladen?«

»Ja. Sobald ich einen Schuß abgegeben habe, lade ich sofort wieder. Das ist so Jägerart.«

»Dann will ich sie lieber aus der Hand thun. Und welch' sonderbare Waffe ist das andere Gewehr?«

Ich muß bemerken, daß wir an einem Tische saßen, welcher an dem offenen Fensterladen stand. Ich saß mit dem Gesicht und Halef mit dem Rücken gegen die Fensteröffnung. Rechts von mir saß der Wirth, links Omar, und hinter mir stand Osco, welcher sich soeben seine Pfeife gestopft hatte und von seinem Platze aufgestanden war, um sie sich an der Lampe anzuzünden. Er war hinter mir stehen geblieben, um dem Wirth zuzuschauen, welcher den Bärentödter so auf den Tisch gelegt hatte, daß er mir zufälliger und auch glücklicher Weise ganz handgerecht lag, und nun nach dem Henrystutzen griff.

Der Wirth fragte mich nach der Construction desselben, und ich erklärte ihm, wie ich fünfundzwanzig Schüsse abfeuern könne, ohne zu laden. In dieser Erklärung wurde ich durch einen Ruf Osco's aufgeschreckt.

»Effendi! Um Allah's willen! Hülfe!« schrie er laut.

Ich sah mich nach ihm um. Er deutete auf das Fenster. Seine Augen waren weit geöffnet, und auf seinem Gesicht lag die Blässe des Todes. Er war ein Bild starren Schreckens.

Als ich der Richtung seines Armes folgte, sah ich mich der Mündung eines Gewehres gegenüber. Der Lauf desselben war auf die untere Fensterkante gelegt. Der Schütze stand draußen auf der Straße und hatte das Gewehr hier aufgelegt, um ein ganz sicheres Ziel auf mich zu haben. Daß es auf mich abgesehen sei, erkannte ich sofort.

Es gibt Situationen, in denen der Geist in einem halben Augenblick Gedanken und Folgerungen bildet, zu denen er sonst Minuten braucht. Das Handeln scheint dann nur ein instinctives zu sein; aber in Wahrheit hat der Geist wirklich seine ordentlichen Schlüsse gebildet, nur daß die Association der Ideen eine blitzartige gewesen ist.

Das Gewehr war so grad auf meine Stirn gerichtet, daß ich nicht den Lauf, sondern nur die Mündung wie einen Ring sehen konnte. Ein Moment des Schreckens hätte mich unbedingt dem Tod überliefert. Es mußte eben gedankenschnell gehandelt werden. Aber wie? Bog ich den Kopf rasch zur Seite, und der Schuß ging los, so wurde zwar nicht ich, sondern der hinter mir stehende Osco getroffen. Um diesen zu retten, durfte ich dem Mörder sein Ziel, nämlich meinen Kopf, nicht entziehen; aber ich bewegte ihn so rasch hin und her, daß das Ziel ein ganz unsicheres wurde, und ergriff den Bärentödter.

Natürlich kann das unmöglich so schnell erzählt oder gelesen werden, wie es geschah. Der im Anschlag liegende Mörder konnte nicht sehen, daß ich das Gewehr vom Tisch aufriß. Ohne es anzulegen – denn das hätte er bemerkt –, streckte ich es aus, hielt die beiden Mündungen desselben an die mich bedrohende Mündung und drückte ab, beide Schüsse hinter einander, fast zugleich.

Von Osco's Schrei bis zu diesen beiden Schüssen war eine so kurze Zeit vergangen, daß sie sich gar nicht messen läßt. Kaum war der Schrei erklungen, so krachten auch schon die zwei – oder vielmehr die drei Schüsse, denn derjenige, welcher draußen stand, hatte auch losgedrückt, glücklicher Weise nicht eher, sondern vielleicht den zehnten Theil einer Sekunde später als ich.

Auf den Krach der Schüsse folgte draußen ein schriller Schrei.

Halef hatte Osco's Warnungsruf gehört und sich nach dem Fenster umgedreht, aber meine Büchse war ebenso rasch wie sein Blick gewesen. Er hatte den fremden Gewehrlauf gar nicht gesehen. Darum fuhr er jetzt vom Stuhl auf und rief:

»Was gibt es, Sihdi? Du schießest!«

»Ein Mörder, ein Mörder!« antwortete Osco, noch immer starr und mit ausgestrecktem Arm dastehend, während ich aufgesprungen war, den Bärentödter auf den Tisch warf und den Stutzen aus den Händen des Wirthes riß.

Ich konnte nicht sehen, wer draußen stand; befand sich der Schurke noch da, so war er verloren, denn nun, seitwärts vom Fenster stehend, wo ich kein grades Ziel mehr bot, feuerte ich sechs bis acht Schüsse so schnell hinter einander hinaus, daß es nur ein einziger Schuß zu sein schien.

Halef hatte sofort begriffen, um was es sich handelte.

»Schieß nicht weiter!« rief er mir zu.

Im nächsten Augenblick war er in der Fensteröffnung und wollte hinaus.

»Halef, bist Du toll!« rief ich, ihn bei den Beinen fassend, um ihn zurückzuziehen.

»Ich muß hinaus!« schrie er, riß sich los und sprang auf die Straße hinab.

Ich hatte mit dem gesunden Fuße einen raschen, weiten Schritt gemacht, der mich an das Fenster brachte. Die Wand war nicht stark. Schnell schob ich erst den Stutzen und dann den Kopf mit dem linken Arm durch das Fenster. Mehr brachte ich von meinem Körper nicht hinaus. Das Fenster war zu schmal für mich. Ich sah Halef laufen, nach rechts hin, wo das breite Hofthor offen stand und der Schein der lodernden Feuer hell auf die Straße fiel.

Zu gleicher Zeit aber löste sich von der dunklen Thüre des gegenüber liegenden Hauses des Fleischers eine Gestalt ab und rannte hinter Halef her.

War das ein Feind? Ich legte den Stutzen an. Da sah ich einen Menschen am Thor vorübereilen. Er war beim Flammenscheine deutlich zu erkennen.

»Manach el Barscha!« brüllte Halef hinter ihm her. Auch ich hatte ihn erkannt und sah nun Halef an dem Thore vorbeirasen. Ich zielte auf die schmale Stelle, welche erleuchtet war und an welcher nun der Dritte vorüber mußte, welcher dem kleinen Hadschi folgte.

Jetzt erschien die Gestalt desselben im Licht. Er war genau so gekleidet, wie der Fleischer es gewesen war. Jetzt kam er mir vor das Visir, und ich schoß. Aber ich sah, daß ich ihn fehlte. Da ich nur den linken Arm draußen hatte, mußte ich links zielen und schießen. Nun soll mir Einer des Nachts, dazu in so unbequemer, eingeengter Haltung und vom Flackern der Feuer beirrt, das Gewehr an die linke Backe legen, das rechte Auge schließen und dann einen sicheren Schuß abgeben! Es war fast unmöglich.

Natürlich zog ich mich sofort wieder in die Stube herein und befahl Osco und Omar:

»Schnell nach! Durch die Stube und den Hof, rechts die Straße hinauf! Halef befindet sich zwischen zwei Gegnern.«

In diesem Augenblick fielen mehrere Schüsse. Es waren Pistolenschüsse. Die Beiden griffen nach ihren Flinten.

»Nicht die Gewehre! Da ist nur mit Messern und Pistolen zu thun. Fort, fort, schnell!«

Darauf rannten sie zur Thüre hinaus. Ich konnte ihnen leider nicht folgen. In meinem hilflosen Zustand war ich zum Bleiben genöthigt.

Der Wirth saß noch immer gleichsam erstarrt auf seinem Stuhl. Wie ich ihm den Stutzen aus den Händen gerissen hatte, so hielt er sie noch. Er hatte seit dem Warnungsruf Osco's noch keine Bewegung gemacht und noch kein Wort gesprochen.

»Ef – ef – effen – fendi!« stammelte er jetzt. »Was war es denn?«

»Das hast Du doch gesehen und gehört!«

»Man hat ge – ge – geschossen!«

Ich faßte ihn bei der Schulter und schüttelte ihn.

»Mann, komm doch zu Dir!, Du bist ja ganz steif vor Angst!«

»Galt es mir?«

»Nein, mir.«

»Ich dachte, weil – weil ich Euch geholfen habe, wollten sie mich erschießen.«

»Nein, Dein theures Leben war nicht bedroht, sondern das meinige. Aber mache den Laden zu; wir wollen Niemand Gelegenheit geben, abermals auf uns zu zielen.«

Er wankte, als er dieser Weisung folgte. Ganz gewiß war er kein Feigling; aber die Schnelligkeit, mit welcher das Alles auf einander gefolgt war, hatte ihn ganz wirr gemacht. Nachdem er den Laden geschlossen hatte, sank er wieder auf den Stuhl, und ich zündete mir die Pfeife neuerdings an.

»Du rauchst, Effendi?« fragte er erstaunt. »Und die draußen kämpfen!«

»Kann ich ihnen helfen? Wärst Du ein tüchtiger Kerl, so eiltest Du ihnen nach!«

»Danke! Mich geht das nichts an.«

»So rauche auch!«

»Mir zittern noch alle Glieder. Deine alte Büchse knallte doch wie eine Kanone.«

»Ja, sie hat einen etwas kräftigen Baß, die gute Matrone. Wollen gleich wieder laden. Du hast gesehen, wie gut das ist. Wäre sie ungeladen gewesen, so stand es nicht sehr einladend um mich.«

»Du hättest ja diesen Stutzen gehabt!«

»Den hattest Du in der Hand, während die Büchse mir griffgerecht lag. Übrigens weiß ich nicht, ob eine Stutzenkugel dieselbe kräftige Wirkung gehabt hätte.«

»Du hast doch auf den Mörder geschossen!«

»Nein. Ich konnte nicht das Geringste von ihm sehen. Ich sah nur die Mündung seines Gewehres. Er zielte grad nach meiner Stirn. Ich konnte nichts weiter thun, als schießen, um mit meiner Kugel den auf mich gerichteten Lauf empor zu schleudern, und das ist mir gelungen.«

Draußen unter den Frauen und Kindern im Hof war eine große Unruhe ausgebrochen. Sie hatten natürlich die Schüsse auch gehört und dann die Männer laufen sehen. Alle wußten, daß die Aladschy in der Nähe seien; darum waren die Personen alle, welche sich draußen befanden, in höchster Aufregung.

Jetzt trat aber eine Stille ein, und nun wurde die Thüre zur vordern Stube geöffnet. Osco, Omar und Halef kamen zurück. Der Letztere sah übel aus. Seine Kleider waren beschmutzt und theilweise zerrissen, und von der Stirn lief ihm das Blut über das Gesicht.

»Du bist verwundet?« fragte ich erschrocken. »Ist's gefährlich?«

»Ich weiß es nicht. Untersuche es, Sihdi!«

»Wasser her!«

Da nicht gleich Wasser zur Hand war, tauchte ich mein Taschentuch in den Bierkrug und wischte dem wackeren Kleinen das Gesicht ab.

»Gott sei Dank! Ein ganz leichter Streifschuß,« tröstete ich. »In zwei Wochen ist die Schramme heil.«

»Das läßt sich hören!« lachte Halef. »Aber es war nicht so gut gemeint; es sollte mir an's Leben gehen.«

»Wer schoß nach Dir? Manach el Barscha?«

»Nein, der Andere.«

»Kanntest Du ihn?«

»Nein. Es war so dunkel, daß ich sein Gesicht nicht erkennen konnte, obgleich unsere Bärte einander so nahe waren, daß wir uns hätten küssen können.«

»Ich vermuthe, daß es der Bruder des Fleischers war.«

»Sehr möglich, denn grad wie ein Fleischer griff er zu.«

»Erzähle doch! Omar mag inzwischen das Verbandzeug aus meiner Satteltasche holen.«

»Nun, die Sache ging sehr schnell vor sich. Als ich den Kopf durch das Fenster steckte, sah ich einen Mann unter demselben liegen. Ich wollte auf ihn springen, da aber nahmst Du mich von hinten fest. Ich zappelte mich los; aber als ich die Beine herausbrachte, sprang er auf und lief davon.«

»Manach el Barscha war es. Er sagte heute zu den drei Andern, als ich sie belauschte, daß er gern einmal nach mir schießen möchte. Das hat er gethan. Es ist also sehr gefährlich, sich für kugelfest auszugeben.«

»O, es war im Ernst auf uns abgesehen. Du saßest so schußgerecht. Die Schurken sahen es und beschlossen, Dich wegzublasen. Da nun Manach gern sehen wollte, ob Dein Kopf wirklich härter sei, als sein Geschoß, so erhielt er den Auftrag, Dich zu erschießen. Der Mordversuch wäre auf alle Fälle unternommen worden; darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Wahrscheinlich ist es allerdings.«

»Also weiter! Ich sprang rasch hinab und kam auf ein langes, schmales Ding, so daß ich niederstürzte. Es muß eine Flinte sein, die noch draußen liegt.«

»Sie wird ihm durch meinen Schuß aus der Hand geprellt worden sein. Er hat einen Stoß oder Schlag erhalten, der ihn niederwarf.«

»Jedenfalls sind ihm die Sinne für kurze Zeit vergangen, sonst wäre er nicht liegen geblieben, bis ich kam. Ich raffte mich augenblicklich auf und sprang ihm nach. Als er an dem Thor vorüberlief, erkannte ich ihn und rief es Euch zu.«

»Auch ich habe ihn erkannt.«

»Er lief wie Feuer; ich aber blieb ihm auf den Fersen. Da stolperte er und stürzte. Ich war ihm so nahe, daß ich nicht schnell genug anhalten konnte, und stürzte über ihn hinweg. Das benutzte er, aufzuspringen und weiter zu rennen.«

»Das war dumm. Er hätte sich auf Dich werfen können.«

»Freilich. Die Schurken haben kein Geschick.«

»Wer schoß denn?«

»Ich. Noch im Wiederaufstehen zog ich die Pistolen aus dem Gürtel und feuerte auf ihn. Aber auch ich war dumm und schoß im Laufen. Wäre ich stehen geblieben, um ruhig zu zielen, so hätte ich ihn sicher getroffen, denn meine Pistolen tragen weit. Es soll mir auch nicht wieder passiren.«

Jetzt kam Omar mit dem Verbandzeug.

»Draußen vor dem Fenster liegt Manach's Gewehr,« sagte ihm Halef; »hole es herein.«

»Ich will aber Deine Erzählung auch hören.«

»Ich warte.«

Als Omar die Flinte brachte, zeigte es sich, daß Manach eine gewaltige Ohrfeige erhalten haben müsse, denn der Kolben hatte einen Sprung. Man sah an der Mündung ganz deutlich, wo meine Kugeln aufgetroffen waren.

»Aber sie ist doch nicht geladen,« meinte Halef, der sich fleißig das Blut aus dem Gesicht wischte. »Also muß er doch geschossen haben.«

»Natürlich! Fast zugleich mit mir.«

»So haben Deine Kugeln seinen Flintenlauf nach oben geschlagen, und seine Kugel muß da drüben in der Wand, oben in der Nähe der Decke sitzen.«

Osco nahm die Lampe und fand sehr bald das Loch, in welchem die Kugel steckte.

»Da ist sie,« sagte er. »Die säße Dir jetzt im Kopf, Sihdi, wenn ich das auf Dich gerichtete Gewehr nicht noch rechtzeitig bemerkt hätte.«

»Ja, Dir verdanke ich mein Leben.«

»Darauf bin ich stolz. Wir verdanken Dir so viel, besonders ich, denn Du hast meine Tochter aus der Hand dieses Abrahim Mamur befreit. Nun habe ich Dir doch auch einmal einen kleinen Dienst zu erweisen vermocht.«

»Klein kann ich diesen Dienst nicht nennen. Hab' herzlichsten Dank dafür!«

»Du brauchst mir keinen Dank zu sagen. Ein Anderer wäre trotz meiner Warnung erschossen worden. Wie kamst Du nur auf den Gedanken, ihm den Lauf wegzuschießen? Du durftest Dich ja nur bücken.«

»Er hätte doch abgedrückt und dann Dich getroffen. Er lag im Anschlag.«

»Also um auch mich zu retten?«

»So dachte ich. Und da wir seine Kugel gefunden haben, können wir auch nach den meinigen suchen. Sie sind durch seinen Lauf ab- und nach oben und zur Seite gelenkt worden. Seht Euch einmal den Rand des Fensters an.«

Richtig, sie steckten in dem weichen Luftziegel, ganz nahe neben einander. Osco grub sie heraus.

»Und die da oben hole ich mir auch,« sagte er. »Ich muß mir die drei Kugeln aufheben zum Andenken an diese Stunde. Nun aber weiter, Halef!«

Dieser erzählte:

»Das Übrige weißt Du fast ebenso genau wie ich. Ich ereilte Manach und faßte ihn von hinten. Er that einen gewaltigen Sprung zur Seite, riß sich darauf wieder los – ich stürzte. Diesmal war er klüger als vorher. Er warf sich auf mich nieder und packte mich bei der Gurgel. Eben zog ich das Messer, um es ihm von unten zwischen die Rippen zu stoßen, da griff noch ein Anderer zu. Wer er war, weiß ich nicht; aber morgen würde ich ihn kennen, denn ich zog ihm das Messer so über das Gesicht herüber, daß er die Hand von mir lassen mußte. Dafür aber hielt er mir den Lauf der Pistole vor den Kopf. Das Blut mochte ihn blenden, denn er sagte: ›Halte ihn fest, Manach.‹ Und dieser that es redlich. Ich lag mit dem Gesicht zur Seite. Die Mündung der Waffe stieß mir an die Schläfe. Ich warf den Kopf zurück, und er drückte los. Es war mir, als hätte Jemand mit einem glühenden Draht über meine Stirn gestreift; dann aber nahm ich alle Kräfte zusammen, um mich loszumachen. Das Messer war mir entfallen. Die Beiden aber hielten fest, beim Hals und bei den Armen. Da bekam ich plötzlich Luft. Der Eine stieß einen Fluch aus, denn er war von hinten gepackt worden.«

»Von mir,« sagte Osco. »Ich nahm ihn bei der Gurgel, doch ich war zu eilig gewesen – es war nicht der richtige Griff. Er riß sich los und entfloh.«

»Ja, und indessen war Manach auch entwischt,« setzte Halef hinzu. »Der Athem war mir fast ausgegangen, und bis ich Luft bekam, hatte sich Manach ohne Abschied empfohlen.«

Es ist ein eigenthümliches und ganz unbeschreibliches Gefühl, sich so plötzlich im Angesicht des Todes zu befinden und sich ebenso schnell gerettet zu sehen. Millionen haben glücklicher Weise keine Ahnung von diesem Gefühl.

Die Wunde Halef's war sehr leicht zu verbinden und konnte nur eine kleine Schmarre hinterlassen.

»Wieder ein Zeichen der Tapferkeit, mein guter Bursche!« sagte ich zu ihm. »Was wird Hanneh, die Perle ihres Geschlechtes, sagen, wenn sie diese Denkmäler Deiner Kühnheit bemerkt?«

»Sie wird denken, daß ich es für meinen Sihdi gethan habe, den sie auch lieb hat. O, was werde ich von uns erzählen können! Es wird Wenige unter den Beni el Arab geben, welche solche Reisen gemacht haben wie wir! Und dann, wenn ich – – horch!«

Wir hörten einen fernen Ton, ein Klingen, wie das spitze Singen einer Mücke. Es wurde immer stärker, und bald erkannten wir den Schlachtmarsch des streitbaren Heeres, welches jetzt zurückkehrte.

»Sie kommen!« sagte der Wirth, indem er erst jetzt von seinem Stuhl aufstand. »Sie werden die Gefangenen bringen.«

»Die indessen im Dorf gewesen sind, um auf mich zu schießen, während die tapfern Bewohner spazieren gingen,« erwiederte ich.

»Herr, es war doch nur Einer da! Die andern Drei sind sicher ergriffen worden.«

»So zahle ich tausend Piaster für Jeden!«

»Noch wissen wir nicht, ob sie keinen Erfolg gehabt haben. Ich als der Oberste der Polizei muß sie empfangen.«

Er ging, jedenfalls um den Polizisten zu warnen, mir ein Geständniß zu machen. Er ließ die Thüren offen, so daß wir den Einzug des siegreichen Heeres sehen konnten.

Zuerst erschien der Muschir, seinen Sichelknüttel schwingend, wie ein Tambourmajor seinen Stock. Ihm folgte die Musikbande, aus Leibeskräften musizirend, aber nicht nach Noten und nicht in Harmonie und Taktgleichheit, sondern ein Jeder ganz nach seinem Geschmack.

Hinter diesen kamen die Helden geschritten, jeder Einzelne in einer Haltung, als ob er die Thaten eines Roland oder Bayard auf dem Gewissen habe. Vier von ihnen trugen Bahren, aus jungen Stämmen und Laubholz gefertigt, auf denen die beiden Todten lagen – der Fleischer und der einstige Gefängnißschließer.

In der vorderen Stube wurde angehalten. Die Musik machte einen Tusch, dann trat tiefe Stille ein.

Der Duft der bratenden Hämmel drang von draußen herein. Der Feldmarschall öffnete seine Nüstern weit, sog den Wohlgeruch behaglich ein und kam dann würdevoll zu uns.

»Effendi,« sagte er, »der Feldzug ist beendet. Die beiden Aladschy habe ich allein erlegt. Mir gebühren also zwei Hammelfelle.«

»Wo hast Du ihre Leichen?«

»In den Fluß geworfen.«

»Und wo sind die beiden andern Missethäter?«

»Auch in der Sletowska. Wir haben sie elend ersäuft.«

»Und wer hat sie erlegt?«

»Das weiß man nicht genau. Wir werden losen müssen, wer die beiden andern Felle bekommt.«

»Sonderbar, daß Ihr sie grad ersäuft habt, so daß man nicht zu ihren Leichen zu kommen vermag.«

»Es ist das kürzeste Verfahren bei solchen Burschen.«

»Ja, und man kann nicht gut nachweisen, daß der Feldmarschall Lügen macht.«

»Herr, beleidige mich nicht!«

»Seit wann kommen denn die Todten herein in das Dorf, um hier durch das Fenster auf meinen Kopf zu schießen?«

Er erschrack.

»Herr, was willst Du sagen?«

»Daß diese vier Männer, gegen die Ihr ausgezogen seid, unterdessen hier herein geschossen haben.«

»So waren es ihre Geister!«

»Du selbst bist ein Gespenst. Glaubst Du denn an Gespenster?«

»Jawohl, es gibt Gespenster.«

»So empfehle ich Dir, mit Deinem tapfern Heer die Geister der vier Hämmel zu verspeisen, denn die Leiber derselben werdet Ihr nicht bekommen.«

»Effendi, Du hast sie uns versprochen! Wir halten Dich beim Wort!«

»Ich versprach sie Euch unter Bedingungen, die Ihr nicht erfüllt habt. Wenn Du mich für einen Mann hältst, den man so anlügen darf, wie Du es thust, so lasse ich Dir die Peitsche geben. Ich habe die Macht dazu; frage den Kiaja, er wird es bestätigen.«

Ich hatte in erhobenem Ton gesprochen, so daß Alle, auch die draußen Stehenden, es hörten. Sie wurden sehr ernst und steckten besorgt die Köpfe zusammen. Der Polizist stand da, wie ein armer Sünder. Der Kiaja, welcher sich in meiner unmittelbaren Nähe befand, glaubte sich seines Untergebenen annehmen zu müssen, aber ohne mir ein Zugeständniß zu machen. Er sagte also:

»Effendi, Du denkst grundfalsch. Es ist Dir keine Unwahrheit gesagt worden. Wie könnten wir so Etwas wagen!«

»Ja, wie könnt Ihr es wagen, mich zu belügen, zu täuschen und für einen Narren zu halten? Du weißt, daß ich mich des Schutzes des Großherrn und der Empfehlungen seiner obersten Behörden erfreue. Was ist ein Kiaja, was ist ein Zabtie kollukdschiji gegen mich! Und ich bin aus einem Lande, in welchem ein Knabe klüger und unterrichteter ist als hier bei Euch ein Mann, den Ihr für klug und weise haltet. Dennoch habt Ihr geglaubt, mich täuschen zu können. Nur aus Dummheit konntet Ihr diesen Gedanken hegen. Sogar die Kinder draußen im Hof wissen es, daß ich getäuscht worden bin, und wir, die wir Ilm ajdynlyklari sind, sollen nicht klüger sein, als sie? Das kann und darf ich nicht dulden. Ich will den Leuten Arpa suju, Raki und vier gebratene Hämmel geben, und zum Danke dafür werft Ihr mir solche Lügen an den Hals! Da behalte Dein Getränk! Die Hämmel aber werde ich morgen mitnehmen, um sie an würdigere Leute zu verschenken.«

Hatte keins meiner Worte den gewünschten Eindruck gemacht, diese letztere Drohung erzielte die beabsichtigte Wirkung. Der Wirth trat verlegen zurück. Der ›Feldherr‹ sog den hereinströmenden Bratenduft ein, kniff die Lippen zusammen und rieb sich verlegen die Hose am Bein. Der Posaunenvirtuos aber war der Mann der Situation. Er kam mit langen Schritten auf uns zu, pflanzte sich vor mir auf und sagte:

»Effendi, die Hämmel wollen wir ja nicht einbüßen. Es würde Dein Gewissen schwer belasten, sie uns entzogen zu haben. Darum will ich Dich von stillen Selbstvorwürfen befreien, indem ich Dir die Wahrheit sage.«

»Ich sehe, daß es wenigstens diesen einen ehrlichen Mann hier gibt,« erwiederte ich.

»O, wir sind Alle ehrlich; aber es kann doch nur Einer sprechen. Ich blase den Takt und habe den stärksten Ton in meiner Zurna, darum will ich auch hier das Wort ergreifen. Wir haben nicht gekämpft, sondern sind nach der Hütte gezogen, um die Todten zu holen. Das Wasser der Sletowska hat keine Leiche gesehen. Wenn Du befiehlst, werde ich Dir offen sagen, wie das gekommen ist.«

»So sprich!«

»Ich saß daheim und kniff grad eine tiefe Schrulle aus, welche meine Zurna erhalten hatte, als ich gestern einen Beleidiger mit ihr zu Boden schlug; da kam dieser Wächter der Polizei zu mir, der mein Schwager ist, weil er die Schwester meines Weibes geheirathet hat. Er erzählte mir von Dir, von den Aladschy und was Du von dem Kiaja verlangt habest. Dieser Letztere aber hatte ihm den heimlichen Auftrag ertheilt, hinaus an die Büsche zu gehen und den Aladschy zu sagen, daß Ihr ihnen entgangen seid, und daß sie sich aus dem Staub machen sollten, weil in kurzer Zeit das Heer unserer Streiter gegen sie anrücken würde, um sie zu fangen.«

»Ich dachte es mir!«

»Der Wächter des öffentlichen Wohlbefindens wollte aus Freundschaft und Schwagerschaft mich Theil nehmen lassen an dem Ruhm, mit den Aladschy gesprochen zu haben; darum forderte er mich auf, ihn zu begleiten.«

»Oder vielmehr, er fürchtete sich, allein zu gehen; deßhalb nahm er Dich mit.«

»Da irrst Du Dich. In seinem, wie auch in meinem Herzen wohnt keine Furcht. Ich scheue auch den stärksten Feind nicht, denn ich besitze in meiner Zurna hier eine gewaltige Waffe, mit welcher ich schon manchen Kopf mit Beulen bedeckt habe. Also wir brachen auf und gingen.«

»Aber sehr langsam?«

»Ja, denn wir hatten uns zu berathen, wie wir uns unsers heiklen Auftrages am besten entledigen könnten. Darum gingen wir langsam unsers Wegs und riefen den Aladschy von Zeit zu Zeit zu, daß wir nicht gekommen seien, sie zu tödten.«

»Das war freilich eine sehr weise Vorsicht von Euch, denn sonst hätten sie über Euch herfallen können.«

»O nein! Wir thaten es, um sie nicht allzu sehr zu erschrecken; aber sie vergalten unser Zartgefühl mit Undank.«

»Das heißt,« schaltete ich ein, »sie lachten Euch weidlich aus!«

»O nein. Das thaten sie nicht; aber daß sie sich so undankbar zeigten, ist auch ein Grund, Dir die Wahrheit zu berichten.«

»Worin bestand denn ihre Undankbarkeit?«

»In Peitschenhieben, welche sie meinem lieben Schwager reichlich versetzten, während sie dies natürlich bei mir nicht wagten.«

»Oho!« fiel ihm der Polizist ins Wort. »Hat Dir der eine Aladschy nicht eine Ohrfeige gegeben, daß Du Dich auf den Boden setztest?«

»Du hast Dich getäuscht, denn es war dunkel, und die Hiebe fielen so hageldick auf Dich, daß Du überhaupt gar nicht um Dich schauen und auf mich Acht haben konntest. Deine Worte haben also nicht die Kraft eines Zeugnisses von Gewichtigkeit.«

»Streitet Euch nicht!« befahl ich. »Was thaten dann die Aladschy?«

»Sie fragten, welche Aufgabe unsere Schaar zu lösen habe, und wir erklärten ihnen, daß wir zunächst sie fangen und dann den alten Mübarek und die Leichen aus der Hütte holen sollten. Sie hatten den Mübarek für todt gehalten. Als sie erfuhren, daß er lebe, waren sie froh und beschlossen, sich schnell zu ihm zu begeben, um ihn nicht in Deine Hände fallen zu lassen. Mein Schwager erhielt noch einen Fußtritt von –«

»Nein, Du hast ihn erhalten!« rief der Wächter.

»Schweige! Ob Du ihn erhieltest oder ich, das ist gleichgültig, denn wir sind ja ganz nahe Verwandte. Also sie gaben einem von uns noch einige Fußtritte und retirirten dann ängstlich in die Falten des nächtlichen Gewandes der Erde.«

»Dann seid Ihr zurückgekehrt, um die Helden zusammen zu rufen?«

»Ja. Wir hatten längere Zeit gebraucht, und damit Du nicht Verdacht schöpfen solltest, mußten wir uns beeilen!«

»Ihr sagtet dabei einem Jeden, daß er nichts zu befürchten habe, weil die Feinde stolz entwichen seien?«

»Ja, Herr.«

»Daß die einzige Gefahr, welche ihrer wartete, nur darin bestehe, Arpa suju zu trinken und Hammelbraten zu essen?«

»Das haben wir ihnen natürlich zum Ruhm Deiner Güte anvertraut.«

»Habt Ihr dann auf Eurem Kriegszug eine Spur der Aladschy gefunden?«

»Nicht eine Spur von ihnen, sondern sie selbst.«

»Ah! Wo denn?«

»Am Ende des Dorfes. Dort hielten sie zu Pferd – zwei links und zwei rechts von dem Wege – und der Mübarek stand bei ihnen.«

»Sie lachten?«

»Das weiß ich nicht. Wir konnten es weder sehen noch hören, denn wir zogen mit Janitscharenmusik zwischen ihnen hindurch. Es ist kein Spaß, zwei Leichname aus einem nächtlich dunklen Wald zu holen; sie liegen nun im vordern Zimmer.«

Er deutete mit einer Handbewegung durch die Thüre. Ich antwortete:

»Alles, was Du mir jetzt erzählt hast, habe ich vorher gewußt. Aber weil Du mir endlich die Wahrheit eingestanden hast, will ich Euch den Schmaus nicht entziehen.«

»Und wer erhält die Felle?«

»Wer ist der ärmste Mann im Dorf?«

»Chasna, der Holzhacker, welcher dahinten mit seiner Axt steht.«

»So soll er sie haben. Schafft nun die Todten fort, und laßt das Arpa suju bringen!«

Dieser Befehl ward mit Jubel beantwortet. Große, dickbauchige Krüge wurden gebracht, welche mit Bier gefüllt waren. Da der Türke früher das Bier nicht kannte, so hat er kein eigenes Wort dafür. Er bedient sich entweder des czechischen Ausdruckes Piwa oder der schon öfter erwähnten Umschreibung. Arpa heißt Gerste, Su ist Wasser, und ju bedeutet den Genitiv des Wortes Su. Arpa suju heißt also wörtlich Gerstenwasser, eine Bezeichnung, welche keineswegs empfehlend klingt.

Während sich nun Jeder ein kleines Gefäß zum Trinken zu verschaffen suchte, nahm ich den Wächter der Polizei zur Seite und fragte:

»Wohin werdet Ihr den Leichnam des Fleischers schaffen?«

»Hinüber nach seiner Wohnung.«

»Du wirst natürlich den Transport begleiten?«

»Nicht nur begleiten, sondern sogar anführen, denn ich bin die rechte Hand des Gesetzes.«

»So will ich Dir einen Auftrag geben. Ich habe mich überzeugt, daß Du ein kluger und gewissenhafter Diplomat bist und jede Sache beim richtigen Ende anzufassen weißt. Also höre! Ich möchte gern haben, daß Du den Bruder des Fleischers zu Gesicht bekommst.«

»Das ist doch sehr leicht.«

»Vielleicht nicht. Er kann Veranlassung haben, sich nicht sehen zu lassen.«

»O, ich bin die Polizei! Mir muß er kommen.«

»So nicht! Ich wünsche, daß Du nicht barsch auftrittst, sondern klug und listig handelst.«

»Dazu bin ich der richtige Mann.«

»So suche also, ihn zu Gesicht zu bekommen. Ich gebe Dir fünf Piaster, wenn es Dir gelingt.«

»Das gelingt mir so gewiß, daß ich Dich bitte, sie mir lieber sofort zu geben.«

»Nein, mein Lieber. Du hast mich so sehr belogen, daß ich fortan vorsichtig sein muß. Glaube also nicht, daß Du etwa zu mir sagen könntest, Du habest ihn gesehen, ohne daß dies wahr ist. Ich werde ganz genau wissen, ob Du mich täuschest.«

»Herr, es wird kein unlauteres Wort über meine Lippen kommen. Was willst Du denn eigentlich wissen?«

»Davon später! Du sollst ihn Dir ansehen; wenn Du das gethan hast, so ist's genug.«

»Aber bedenke, daß Du ein großes Opfer von mir forderst. Während ich mich entferne, trinken mir die Andern das kostbare Arpa suju weg.«

»Du wirst Deinen Antheil erhalten.«

Er ging. Ich sah, daß er zwei Männer beauftragte, die Leiche des Fleischers zu tragen. Diejenige des Schließers wurde einstweilen in einen verborgenen Winkel geschafft.

Jetzt war Alles in Ordnung. Theils mit untergeschlagenen Beinen am Boden und theils nach unserer Art an den Tischen sitzend, hielten die Helden alle möglichen und unmöglichen Gefäße in den Händen, um sich derselben zum Trinken zu bedienen. Draußen im Hofe lungerten die Frauen und Kinder um die Feuer. Auch ihnen waren einige Krüge mit Bier zugestellt worden. Die Knaben und Mädchen waren besonders emsig bemüht, das Fett aufzufangen, welches von den über dem Feuer bratenden Hämmeln tropfte. Der Eine hatte zu diesem Zweck einen Stein, der Andere ein Stück Holz, auf welches er den Tropfen fallen ließ, um ihn dann schnell aufzulecken.

Ein kleiner, vielleicht achtjähriger Bube fing es ganz allerliebst an, sich diesen heißersehnten Genuß zu verschaffen. Er hielt nämlich seinen winzigen Fez unter, bis er einige Tropfen aufgefangen hatte, stülpte ihn dann um, so daß die innere Seite nach außen kam, und wischte nun die betreffende Stelle so lange über die Zunge, bis er glaubte, den gewünschten Genuß gehabt zu haben. War das Fett zu tief in das Zeug gedrungen oder klebte es zu fest daran, so bediente er sich wacker seiner Zähne. Ich ließ ihn mir später vorführen und untersuchte den Fez. Der Kleine hatte verschiedene Löcher hinein – ›gefressen‹ und freute sich königlich, als ich ihn mit einem Piaster für diesen ausdauernden Fleiß belohnte.

Eines der Feuer wurde von einer kleinen, verschworenen Schaar förmlich belagert. Zwei Weiber saßen an demselben, abwechselnd den Bratspieß zu drehen. So oft nun Eine es einen Augenblick an Aufmerksamkeit fehlen ließ, sprang ein Mitglied der verwegenen Bande herbei, um irgend eine appetitliche Stelle des Hammels zu belecken und dann schleunigst davon zu laufen.

Das war kein leichtes Unternehmen, da das Feuer die Kleidung ergreifen konnte. Glücklicherweise erfreuten sich die Meisten keines Überflusses an seidenen Falbeln und Brüsseler Spitzen. War Einem das Wagniß gelungen, so wurde er von seinen Mitverschworenen mit einem Ehrengeheul ausgezeichnet. Erhielt er aber von einer der Frauen einen nachdrücklichen Klapps oder gar eine gewichtigere Ohrfeige, was unter zehn Angriffen auf den Braten neunmal der Fall war, so wurde er gewaltig ausgelacht. Jedesmal aber, ob die That gelungen war oder nicht, folgte ihr ein höchst energisches Mienenspiel, entweder wegen der Ohrfeige oder weil der glückliche Hammellecker sich die Zunge verbrannt hatte.

Es gab eine Menge von Genrebildchen, die sich zu einem interessanten Ganzen vereinigten. Die Leute – Jung sowohl wie Alt – thaten sich keinen Zwang mehr an; die äußere ceremonielle Hülle, in welcher der Orientale sich Fremden gegenüber stets zeigt, wurde von dem Arpa suju hinweggespült. Nach und nach getraute man sich an uns, und endlich waren wir stets von einem Kreis lebhafter Gesellen umringt, an denen ich die köstlichsten Studien machen konnte.

Als der Polizeiwächter von seinem Gang zurückkehrte, meldete er mir:

»Herr, es ist gelungen! Ich habe ihn gesehen; aber es hat Mühe gekostet. Du wirst wohl zehn Piaster geben müssen, anstatt nur fünf.«

»Warum?«

»Weil eine zehnfache Anstrengung meines Scharfsinnes erforderlich war. Als ich nach ihm frug, erhielt ich die Antwort, daß er abwesend sei. Ich aber war klug und sagte, ich müsse mit ihm sprechen, da ich ihm eine wichtige Mittheilung über die letzten Augenblicke des Todten zu machen habe. Da ließ er mich kommen, denn er saß in einem Gemach allein. Als ich ihn sah, mußte ich erschrecken, denn er hatte eine lange, tiefe Wunde von der Stirne aus über die Nasenwurzel und über die Wangen herab. Neben ihm stand ein Wassergefäß, um die Wunde zu kühlen.«

»Fragtest Du ihn, wie er zu ihr gekommen sei?«

»Freilich. Das Beil sei von dem Nagel an der Wand herunter und ihm in das Gesicht gefallen,« sagte er.

»Nun wollte er Deine wichtige Mittheilung hören?«

»Ich sagte ihm, daß sein Bruder noch nicht ganz todt gewesen sei, sondern, als ich ihn aufhob, noch einmal geseufzt habe.«

»Das war Alles?«

»War es nicht genug? Sollte ich mein zartes Gewissen mit einer noch größeren Lüge beschweren? Einen kleinen Seufzer werde ich vor dem Engel der Entscheidung verantworten können. Hätte ich aber gesagt, der Todte habe noch eine lange Rede gehalten, so wäre dadurch meine Seele auf das Schwerste belastet worden.«

»Nun, was das betrifft, so habe ich Dir nicht befohlen, eine Unwahrheit zu sagen. Und zehn Piaster sind mir für einen Seufzer zu viel.«

»Dir? Einem Manne von so glänzendem Einfluß und natürlichen Begabungen? Wenn ich die Vorzüge Deines Charakters, die Innigkeit Deiner Gefühle, den Reichthum Deines Herzens und die Zierlichkeit Deiner Denkungsart besäße, würde ich mir fünfzig Piaster weihen!«

»Die weihe ich mir auch.«

»Ich meine mich und nicht Dich, zumal die Sache nicht so ruhig abgelaufen ist, wie ich es wünschte.«

»Wie denn?«

»Er wurde zornig, sprang auf und stieß einen gräulichen Fluch aus. Er sagte, er wolle dafür sorgen, daß auch ich jetzt einmal seufze, und zwar ordentlich. Das Übrige kannst Du Dir denken.«

»Nein. So deutlich, wie Du meinst, vermag ich mir die Situation nicht auszumalen.«

»Nun, ich nahm das in Empfang, was man gewöhnlich Prügel zu nennen pflegt, was ich aber als die Folgen meiner innigen Ergebenheit für Dich bezeichne.«

»Waren die Hiebe kräftig?«

»Ungemein!«

»Das ist mir lieb!«

»Mir nicht, denn ich werde reichlich Medizin gebrauchen, um mich zu heilen, äußerlich eine Einreibung mit Raki, innerlich aber Arpa suju zur Kühlung und Hammelbraten zur Kräftigung der angegriffenen körperlichen Behendigkeit.«

»Ich denke mir, Du wirst auch den Raki innerlich gebrauchen. Und was die Behendigkeit betrifft, so beweise sie jetzt, indem Du Dich schleunigst von dannen machst. Hier hast Du zehn Piaster!«

»Herr, Deine Worte sind Beleidigungen, aber Deine Thaten lindern dieselben. Du hast meine ganze Seele und mein Herz gewonnen, und meine Nieren athmen nur die Wonne der Zuneigung und Hingebung für Dein theures, beispielloses Wesen.«

»Hebe Dich hinweg, Zabtie kollukdschiji, sonst lehre ich Dich springen!«

Ich langte nach dem Griff meiner Peitsche, und sofort machte er sich unsichtbar.

Bald ergab die fleißig wiederholte Untersuchung der Hämmel, daß der Braten fertig sei, und die Vertheilung begann. Damit kein Streit entstehen könne, übernahm Halef das Tranchiren, was er ausgezeichnet verstand. Die einzelnen Stücke wurden verloost. Wir erhielten die Schwanzstücke; ich aber verzichtete auf den Genuß dieses Leckerbissens, weil grad diese Stellen in Folge ihrer Lage am Spieß am öftesten mit den Zungen der kleinen Feinschmecker in Berührung gekommen waren.

Übrigens war der Wirth sehr besorgt gewesen, uns extra ein reichliches und nach den hiesigen Verhältnissen auch gutes Abendessen vorzusetzen. Wir konnten in dieser Beziehung zufrieden mit ihm sein.

Nach fast spurloser Vertilgung der vier fetten Hämmel stellte sich die Kriegskapelle in einer Ecke des Hofes auf. Sie verwandelte sich jetzt in ein ›Orchester des Tanzes und Gesanges‹.

Was wir nun zu hören bekamen, spottet jeder Beschreibung. Es sei nur gesagt, daß getanzt wurde, zunächst nur von Männern; später ließen sich auch einige Frauen sehen. Der Tanz bestand entweder in wilden, regellosen Sprüngen oder in mehr oder weniger unschönen Verrenkungen der Glieder. Ein einziges Paar, Mann und Weib, produzirte ein leidliches, pantomimisches Spiel, welches auch nur von der Guitarre und Geige begleitet ward.

Zwischen den einzelnen Tänzen ließen sich Sänger hören, theils einzeln, theils im Chor. Die Sololieder hatten wehmüthiges Gepräge, und es gab da wenigstens Melodie und auch eine Spur von Harmonie der Begleitung. Die Chorgesänge aber, fast ausnahmslos Kriegslieder, wurden einstimmig gesungen oder vielmehr gebrüllt und von Schreien unterbrochen, welche das Trommelfell zu zerreißen drohten. Die Begleitung war eine angemessene. Posaune, Trommel und Pfeife spielten die Hauptrolle.

Spät – es war wohl kurz vor Mitternacht – sah ich einen Reiter ankommen, welcher hier herbergen wollte. Er war ein kleiner Mann und stieg von einem alten knochigen Klepper, der sehr abgetrieben und schlecht gepflegt zu sein schien.

Er sprach einige Worte mit dem Wirth, und dieser theilte mir mit, daß ich vielleicht für morgen einen sehr brauchbaren Reisebegleiter erhalten könne.

Ich dachte sofort an jenen Menschen, von welchem die zwei Aladschy gesprochen hatten, denen er mich in die Hände liefern sollte. Suef hatten sie ihn genannt, ein echt arabischer Name.

Er sollte im Falle des Mißlingens des heutigen Überfalles seine Thätigkeit beginnen. Nun, zu dem beabsichtigten Überfalle war es gar nicht gekommen; also stand fast mit Gewißheit zu erwarten, daß er seine Aufgabe beginnen würde.

Es war möglich, daß er schon an diesem Abend versuchte, sich uns zu nähern, und in diesem Fall konnte es der eben jetzt Angekommene sein. Ich mußte vorsichtig verfahren und mich genau erkundigen.

»Wie kommst Du dazu, von einem Begleiter zu sprechen?« fragte ich den Wirth. »Wir brauchen Niemand.«

»Vielleicht doch! Kennt Ihr die Wege?«

»Wir haben niemals einen Weg, den wir in diesem Lande betraten, vorher gekannt und sind dennoch stets zurecht gekommen.«

»So wünschest Du keinen Wegweiser?«

»Nein.«

»Ganz wie Du willst. Ich glaubte, Dir einen Gefallen zu erweisen.«

Er wollte sich abwenden. Das sah nicht so aus, als ob der Fremde ihm einen dringenden Auftrag ertheilt habe; darum forschte ich:

»Wer ist denn derjenige, von dem Du sprichst?«

»Nun, er ist freilich kein passender Gesellschafter für Euch. Er ist ein armer Sergi, der nicht einmal einen festen Wohnsitz hat.«

»Wie heißt er?«

»Afrit ist sein Name.«

»Der paßt freilich nicht zu seiner Gestalt. Er heißt also ›Riese‹ und ist doch fast ein Zwerg zu nennen.«

»Für seinen Namen kann er nicht, den hat er seinem Vater zu verdanken. Vielleicht war dieser auch so ein kleiner Kerl und hat gewünscht, daß sein Sohn größer werde.«

»Stammt er von hier?«

»Wo er geboren wurde, das weiß Niemand. Er ist überall nur als der reisende Schneider bekannt. Wo er Arbeit findet, da kehrt er ein und bleibt so lange, bis er fertig ist. Mit der Kost und mit einer kleinen Bezahlung ist er zufrieden.«

»Ist er ehrlich?«

»In hohem Grad. Er ist sogar wegen seiner Uneigennützigkeit zum Sprichwort geworden. Ehrlich wie der reisende Schneider, pflegt man zu sagen.«

»Woher kommt er heute?«

»Aus Sletowo, welches im Norden von uns liegt.«

»Und wohin will er?«

»Nach Uskub und noch weiter. Da Du auch dorthin willst, glaubte ich, ihn Dir empfehlen zu müssen. Auf der Straße reitest Du um, und der direkte Weg ist nur sehr schwer zu finden.«

»Hast Du mit ihm schon von uns gesprochen?«

»Nein, Herr. Er weiß gar nicht, daß Fremde hier sind. Er frug nur, ob er hier bleiben könne bis morgen früh. Ich wollte ihm Arbeit geben, aber er konnte sie nicht annehmen, denn er wird wegen eines Krankheitsfalles erwartet.«

»Wo ist er jetzt?«

»Hinter dem Hause, wo er sein Pferd zur Weide thut. Diesem Thier kannst Du ansehen, wie arm er selbst ist.«

»So erlaube ihm nachher, zu uns herein zu kommen. Er mag unser Gast sein.«

Bald kam denn auch der Mann. Er war sehr klein und schwach gebaut und auch gar ärmlich gekleidet. Sein Wesen schien sehr gedrückt zu sein, und er nahm bescheiden in der Ecke Platz. Waffen trug er außer einem Messer gar nicht bei sich und bald zog er ein Stück harten Maiskuchen aus der Tasche, um ihn zu verzehren. Dieser Arme war sicher kein Verbündeter von Räubern. Ich lud ihn ein, bei uns Platz zu nehmen und von den Resten unseres Mahles zu essen, welche noch auf dem Tisch standen.

»Herr, Du bist freundlich,« sagte er höflich, »und ich habe wirklich Hunger und Durst. Aber ich bin ein armer Schneider und darf mich nicht zu solchen Herren setzen. Wenn Du mir Etwas geben willst, so nehme ich es dankbar an, aber ich bitte Dich um die Erlaubniß, es hier verzehren zu können.«

»Wie Du willst. Halef, setze ihm vor!«

Der Hadschi legte ihm so viel vor, daß mehrere Personen hätten satt werden können, und stellte ihm auch Bier und Raki hin.

Als der Mann sich gelabt hatte, kam er herbei, reichte mir die Hand und bedankte sich in ehrerbietigen Ausdrücken. Er hatte ein so verkümmertes, ehrliches Gesicht, und sein Blick war so aufrichtig, daß ich mich sehr für ihn eingenommen fühlte.

»Hast Du Verwandte?« fragte ich ihn.

»Keinen Menschen. Weib und Kinder sind mir vor zwei Jahren an den Pocken gestorben. Nun bin ich allein.«

»Wie heißest Du?«

»Man nennt mich allgemein den reisenden Sergi, aber mein Name ist Afrit.«

»Kannst Du mir sagen, wo Deine Heimat ist?«

»Warum nicht? Ich muß doch wissen, wo ich geboren bin! Ich stamme aus einem kleinen Gebirgsdorf im Schar Dagh; Weicza heißt es.«

Ah, das war ja der Ort, von welchem mir der sterbende Gefängnißschließer gesagt hatte, daß dort das gesuchte Karanorman-Khan sei. Das Zusammentreffen mit diesem armen Mann konnte von großem Vortheil für mich sein.

»Bist Du dort bekannt?« fragte ich.

»Sehr gut; ich bin ja oft dort.«

»Wann wirst Du wieder hinkommen?«

»Eben jetzt. Ich will über Uskub und Kakandelen heimreiten.«

»Um einen Besuch zu machen?«

»Nein. Es wohnt ein Wundermann dort, dessen Hülfe ich brauche, denn ich bin krank.«

»Willst Du nicht lieber einen richtigen Arzt fragen?«

»Das habe ich gethan, aber vergeblich. Der Wundermann hat mir schon große Linderung verschafft.«

»Woran leidest Du?«

»Ich soll Steine in der Leber haben.«

Er sah ganz so aus, als ob er innerliche Schmerzen zu ertragen habe. Er dauerte mich wirklich sehr.

»Wann brichst Du von hier auf?«

»Morgen früh.«

»Nach Uskub?«

»Nicht ganz. Es ist zu weit, um in einem Tag dorthin zu gelangen.«

»Gibt es unterwegs eine gute Herberge?«

»O, mehrere.«

»Willst Du uns mitnehmen?«

»Wie könnte ich mit Euch reiten! Ich verstehe es gar nicht, mit solchen Herren zu sprechen.«

»Nun, Du sprichst aber jetzt so mit mir, daß Du mir sehr gefällst. Wenn es Dir also recht ist, so reiten wir zusammen, und ich werde Dich für Deine Führerdienste belohnen.«

»Sprich nicht so! Es ist eine Ehre für mich, bei Euch sein zu dürfen, und zu Mehreren reitet es sich besser, als allein. Wenn Du es also befiehlst, so werde ich mich Euch anschließen.«

Damit war die Sache abgemacht, und er setzte sich wieder an seinen Platz. Später wünschte er gute Ruhe und entfernte sich, um sich niederzulegen. Die Gefährten sprachen sich auch alle dahin aus, daß der Mann jedenfalls ehrlich sei, und der Wirth bestätigte es nochmals.

Nach und nach leerte sich der Hof und die vordere Stube, und es wurde auch für uns Zeit, zu schlafen. Der Wirth machte mir ein weiches Lager auf dem ›Sopha‹ zurecht, die Andern aber mußten bei den Pferden schlafen, die ich am allerwenigsten hier ohne Aufsicht lassen wollte.

Als ich mich allein befand, verschloß ich die Thüre von innen. Die Läden waren auch fest zu, und da ich mich auf mein gutes Gehör verlassen konnte, so schlief ich ohne Sorgen ein.


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