Karl May
Der Schut
Karl May

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Unter der Erde

Nach einiger Zeit traten rechts die Felsen zurück, und es öffnete sich uns ein freier Blick nach Osten, während links die Berge uns weiter begleiteten. Dann sahen wir von fern einen Reiter kommen, zur Rechten von uns. Da das Terrain zwischen ihm und uns ein ebenes war, erblickte er auch uns; und wir bemerkten, daß er den Schritt seines Pferdes so richtete, daß er mit uns zusammentreffen mußte. Als wir ihn erreichten, grüßte er höflich, und wir dankten ihm ebenso. Er hatte eine behäbige Gestalt und ein offenes, ehrliches Gesicht, welches ganz geeignet war, eine gute Meinung über ihn zu erwecken.

»Wir wollen nach Rugova,« sagte ich ihm. »Ist es noch weit bis dorthin?«

»Noch eine halbe Stunde, Herr,« antwortete er. »Ihr werdet sogleich den vereinigten Drin erreichen, hart an dessen linkem Ufer die Straße hinführt. Ihr scheint fremd zu sein. Auch ich will nach Rugova; ich bin von dort. Erlaubt Ihr, daß ich Euch begleite?«

»Sehr gern. Du kannst uns, da wir fremd sind, mit Auskunft erfreuen.«

»Ich bin bereit dazu. Sagt nur, was Ihr wissen wollt.«

»Zunächst möchten wir erfahren, bei wem man dort einkehren kann.«

Ich hatte die Absicht, bei dem Wirth Kolami, von welchem der Alim gesprochen hatte, abzusteigen, sagte das aber nicht, um vorher über den Khan des Schut etwas Näheres zu erfahren.

»Rugova besitzt zwei Khans,« erklärte er. »Der eine, welcher der größere ist, gehört einem Perser, Namens Kara Nirwan, der außerhalb des Ortes wohnt; der Wirth des andern, der gleich am Fluß bei der Brücke liegt, heißt Kolami.«

»Zu welchem würdest Du uns rathen?«

»Zu keinem. Ich überlasse Euch selbst die Wahl.«

»Was für ein Mann ist dieser Perser?«

»Ein sehr angesehener. Man wohnt sehr gut und billig bei ihm. Kolami gibt sich aber auch Mühe, seine Gäste zufrieden zu stellen, und ist noch billiger als Kara Nirwan.«

»Sind diese beiden Wirthe einander freundlich gesinnt?«

»Nein, sie sind Feinde.«

»Warum?«

»Nur aus persönlicher Abneigung. Es ist keine Rache dabei; sie haben einander nichts gethan. Aber Kolami kann den Perser nicht leiden; er mißtraut ihm.«

»Warum?«

»Erlaßt mir die Antwort. Ihr seid fremd, und es kann Euch also gleichgültig sein.«

»So werden wir bei Kolami einkehren.«

»Es wird ihm lieb sein, solche Gäste zu empfangen; aber ich rathe Euch nicht von Kara Nirwan ab, denn das thue ich nie; man könnte mich für neidisch und böse halten. Ich bin nämlich dieser Kolami.«

»Ah so! Nun, da versteht es sich ganz von selbst, daß wir in Deinem Hause wohnen.«

»Ich danke Dir. Wie lange werdet Ihr in Rugova bleiben?«

»Das weiß ich noch nicht. Wir verfolgen einen Zweck, von welchem wir nicht wissen, ob und wann wir ihn erreichen werden.«

»Ist's ein Geschäft, ein Pferdeverkauf? Dann müßt Ihr Euch freilich an den Perser wenden, welcher Pferdehändler ist. Ich sehe, daß Ihr drei ledige Thiere habt.«

»Ja, wir wollen zwei davon verkaufen; aber das ist nicht der eigentliche Zweck unseres Kommens. Wir haben noch Anderes vor. Du scheinst ein Mann zu sein, dem man Vertrauen schenken darf. Darum will ich Dir mittheilen, daß wir beabsichtigen, Kara Nirwan zu verklagen.«

»Verklagen? O, da nehmt Ihr Euch Etwas vor, was nicht leicht zu erreichen ist. Die Leute, an welche Ihr Euch da wenden müßt, sind alle seine Freunde. Ist er Dir Geld schuldig?«

»Nein. Ich will ihn eines Verbrechens zeihen.«

Bei diesen Worten richtete er sich schnell im Sattel auf, hielt sein Pferd an und fragte:

»So hältst Du ihn für einen Verbrecher?«

»Ja.«

»Was soll er begangen haben?«

»Einen Mord, ja viele Morde, und Räubereien dazu.«

Da röthete sich sein Gesicht; seine Augen leuchteten auf. Er legte mir die Hand an den Arm und fragte wie athemlos:

»Herr, sage, sage mir schnell, ob Du vielleicht ein Muchbir des Großherrn bist?«

»Nein, der bin ich nicht. Ich bin aus einem fremden Land und stehe im Begriff, dorthin zurückzukehren. Vorher aber will ich einen Mann bestraft sehen, der uns in Verbindung mit seinen Anhängern wiederholt nach dem Leben getrachtet hat. Und dieser Mann ist eben der Perser.«

»Allah hakky! Höre ich recht? Ist's möglich! Fände ich endlich einmal einen Menschen, welcher ganz dieselbe Ansicht hat, wie ich?«

»So hältst auch Du ihn für einen Bösewicht?«

»Ja, aber man darf es nicht sagen. Ich habe einmal nur ein Wörtchen geäußert; das hätte mir beinahe das Leben gekostet.«

»Welchen Grund hast Du, diese Meinung über ihn zu hegen?«

»Er hat mich beraubt. Ich war in Perserin, um Geld zu holen. Dort traf ich mit ihm zusammen, und er erfuhr von mir, daß ich einen gefüllten Beutel bei mir trug. Unterwegs wurde ich überfallen und mußte das Geld hergeben. Es waren vier Männer, welche ihre Gesichter verhüllt hatten. Derjenige, welcher das Wort führte, hatte andere Kleider angezogen; dennoch aber erkannte ich ihn an seiner Stimme, an den Spitzen des Bartes, welche unter der Verhüllung hervorblickten, und an den Pistolen, die er mir entgegenhielt. Es war der Perser. Aber was wollte ich thun? Zwei Bewohner meines Ortes sagten mir am andern Tage freiwillig, daß sie ihn zu einer bestimmten Zeit in Perserin getroffen hätten, und das war genau die Stunde, an welcher ich überfallen worden. Er konnte beweisen, daß er sich nicht an der Stelle des Überfalles befunden haben könne. Ich mußte schweigen.«

»Die Beiden sind jedenfalls dabei betheiligt gewesen. Meinst Du das nicht auch?«

»Ich bin überzeugt davon. Seit jener Zeit habe ich ihm aufgepaßt. Ich sah und hörte Vieles, ohne jedoch den rechten Zusammenhang zu finden. Endlich bin ich gar auf die Idee gekommen, daß er kein Anderer ist, als – als – –«

Er getraute sich nicht, das Wort zu sagen; darum ergänzte ich herzhaft:

»Als der Schut!«

»Herr!« fuhr er auf.

»Was gibt's?«

»Du sagst ja ganz genau das, was ich denke!«

»So sind wir einer Meinung, und das ist gut.«

»Kannst Du es beweisen?«

»Ja. Ich bin nach Rugova gekommen, um hier das Beweismaterial zu vervollständigen. Er kann mir nicht entgehen.«

»O Allah, wenn das wäre! Dann würde das Land von seinem Schrecken befreit. Herr, ich habe vorhin gesagt, daß ich und der Perser einander nichts gethan hätten. Ich mußte so sagen, denn ich kannte Dich nicht. Jetzt aber gestehe ich Dir, daß ich ihn hasse, wie den Teufel, und daß ich sehr wünsche, Dir beistehen zu können, um ihn unschädlich zu machen, ihn, den ehrlichen, frommen, geachteten Menschen, welcher doch der größte Bösewicht der Erde ist!«

Man sah es ihm an, daß es ihm mit diesen Worten voller Ernst war. Das Zusammentreffen mit ihm konnte uns nur von Nutzen sein. Darum trug ich kein Bedenken, ihm mitzutheilen, was wir in Rugova thun wollten und was wir erlebt und über den Schut erfahren hatten. Besonders ausführlich war ich bei der Schilderung der Ereignisse am Teufelsfelsen und im Thal des Köhlers. Er unterbrach mich oft mit Ausdrücken des Staunens, der Angst und der Befriedigung. Er hielt im Eifer über das, was er hörte, sein Pferd so oft an, daß unser Ritt dadurch wesentlich verzögert wurde. Am schärfsten wurde seine Aufmerksamkeit, als ich ihm von dem Karaul, dem Schacht und Stollen erzählte. Als ich geendet hatte, rief er aus:

»Man sollte dies gar nicht für möglich halten; aber es stimmt ja Alles auf das Genaueste, und ich selbst bin bereits auf den Gedanken gekommen, daß dieser Perser Menschen bei sich zurück behält. Es sind schon Viele verschwunden, die vorher bei ihm eingekehrt waren. Und warum fährt er so oft auf dem Fluß spazieren? Er wohnt außerhalb des Ortes und hat doch einen Kahn auf dem Wasser. Kaum hat man ihn einsteigen und fortrudern sehen, so ist er verschwunden. Jetzt begreife ich es: er fährt in den Stollen ein!«

»Ist Dir nichts über die Mündung des alten Schachtes bekannt?«

»Nein, gar nichts. Was gedenkst Du zu thun, Herr, wenn Du angekommen bist. Willst Du etwa zum Stareschin gehen und Anzeige machen? Dieser Mann ist sein Busenfreund.«

»Fällt mir gar nicht ein. Noch habe ich keine direkten Beweise gegen den Perser; ich will sie mir erst holen und werde zu diesem Zweck den Stollen aufsuchen.«

»Da kannst Du Dich eines meiner Kähne bedienen. Wenn Du es mir erlaubst, so fahre ich mit.«

»Das ist mir lieb, da Du mir dann als Zeuge dienen kannst.«

Wir hatten den Fluß erreicht und ritten hart am Ufer desselben hin. Die Wasser schossen, eng eingezwängt, in heimtückischer Stille dahin. Diesseits war das Ufer eben, jenseits aber stieg eine Felswand hoch und senkrecht empor.

Diesen Felsen bedeckte ein mächtiger Nadelwald, zwischen dessen Grün alte Mauern hindurchschimmerten. Das war der Wachtthurm, über welchen vielleicht fast ein ganzes Jahrtausend dahingegangen war. Grad unter ihm machten Fels und Fluß eine Krümmung, hinter welcher das Dorf versteckt lag.

Als wir die Krümmung hinter uns hatten, sahen wir den Ort und auch die Brücke, über welche wir reiten mußten. Doch beeilten wir uns gar nicht, sie zu erreichen. Es galt, den Eingang des Stollens zu entdecken.

Er war sehr bald gefunden, obgleich wir das Loch nicht sehen konnten. Grad vor der Krümmung, wo die Strömung in voller Gewalt den Felsen traf, gab es eine Stelle, an welcher einige Ellen über dem Wasser ein Felsenvorsprung dem Flugsamen der Pflanzen Gelegenheit gegeben hatte, festen Halt zu fassen. Von dieser Stelle hingen dichte Ranken hernieder, die einen natürlichen Vorhang bildeten, hinter welchem der Eingang des Stollens verborgen lag.

Wegen der heftigen Strömung war es nicht ungefährlich, diese Stelle mit dem Kahn zu befahren. Es gehörten kräftige Hände dazu, den Druck des Wassers zu überwinden und nicht an den Felsen gedrückt zu werden. Nachdem wir hierüber Klarheit erhalten hatten, ritten wir schneller und kamen bald über die Brücke, die man zu Pferd nur mit großer Vorsicht benutzen durfte. Die Planken derselben waren durchfault und hatten zahlreiche Lücken, durch welche man das Wasser unten fließen sah.

Das Dorf lag ziemlich eng zwischen den Höhen eingeklemmt und machte keineswegs den Eindruck einer wohlhabenden Ortschaft. Links sah man eine Straße nach dem Berg hinan steigen. Es war diejenige, welcher wir später folgen mußten.

Die Brücke mündete auf ein freies Plätzchen, das von armseligen Häusern umgeben war, unter denen sich ein besseres Gebäude auszeichnete. Dieses war der Khan Kolami's. Ein Seiler war auf dem Platz mit seiner Arbeit beschäftigt. Ein Schuster saß vor seiner Thüre und flickte an einem Pantoffel herum. Daneben pickten Hühner und gruben Kinder mit ihren schmutzigen Patschen nach den Schätzen eines Düngerhaufens, und nicht weit davon standen einige Männer, welche ihr Gespräch unterbrochen hatten, um uns mit neugierigen Blicken zu betrachten.

Auf Einen unter ihnen paßte das Wort ›neugierig‹ freilich nicht. Nicht Neugierde, sondern etwas ganz Anderes, was ich lieber Entsetzen nennen möchte, war auf seinem Gesicht zu lesen.

Er trug die Tracht der muhamedanischen Skipetaren: kurze, glänzende Stiefel, schneeweiße Fustanella, rothe, mit Gold verbrämte Jacke, auf deren Brusttheilen silberne Patronenbehälter befestigt waren, einen blauen Gürtel, aus welchem die Griffe zweier Pistolen und eines krumm gebogenen Handschar hervorsahen, und auf dem Kopf einen rothen Fez mit goldener Quaste. Dieser Kleidung nach war er ein sehr wohlhabender Mann.

Sein hageres Gesicht mit außerordentlich kühn geschnittenen Zügen hatte eine intensiv gelbe Farbe – ›schut‹ nennt das der Serbe; ein dichter, schwarzer Bart ging ihm in zwei Spitzen fast bis auf die Brust herab, und tiefschwarz war auch die Farbe seiner Augen, welche weit offen und groß auf uns gerichtet waren.

Er hatte den Mund geöffnet, so daß seine weißen Zähne zwischen dem Bart hervorschimmerten, und seine Rechte hielt den Griff des Handschars umfaßt; dabei war sein Körper weit nach vorn gebeugt. Es hatte ganz das Aussehen, als ob er sich mit der Klinge uns entgegenstürzen wollte. Ich hatte ihn noch nie gesehen; aber ihn erblicken und erkennen, das war Eins. Ich raunte dem Wirth zu:

»Das ist der Schut, der Gelbe, nicht?«

»Ja,« antwortete er. »Wie unwillkommen, daß er uns gleich sehen muß!«

»Mir ist es aber ganz willkommen, denn dadurch wird sich die Angelegenheit beschleunigen. Er erkennt mich an meinem Rappen; er erkennt den Goldfuchs und die Pferde der Aladschy; er weiß also jetzt nicht nur, daß wir entkommen sind, sondern daß sich auch der Köhler und die Aladschy unter unsern Händen befunden haben. Er ist überzeugt, daß unser Kommen ihm gilt, und da er blind sein müßte, um den Engländer nicht zu erkennen, welchen er im Schacht gefangen gehalten hat, so kann er sich sagen, daß wir es zunächst auf diesen Schacht abgesehen haben werden. Paß auf! Der Tanz wird gleich beginnen.«

Wir Beide ritten voran. Osco und Omar folgten uns. Halef war mit dem Lord ein wenig zurückgeblieben, und der Engländer hatte, da er sich mit dem Hadschi im Gespräch befand, nicht auf die Gruppe der Männer geachtet. Jetzt aber bemerkte er sie. Er hielt sein Pferd an und fixirte den Perser.

Wir konnten den Vorgang gut beobachten, weil wir mittlerweile vor der Thüre des Khans angekommen und von den Pferden gestiegen waren. Nicht mehr als zwölf Schritte von uns entfernt standen die Männer. Ich sah, daß der Schut die Lippe an den Zähnen wetzte. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck des Grimmes und zugleich der Angst.

Da gab Lindsay seinem Pferd die Sporen, schoß herbei und parirte den Fuchs so nahe an dem Schut, daß er diesen fast umgerissen hätte. Dann begann er, eine Rede loszulassen, welche Alles enthielt, was er an englischen Kraftausdrücken wußte und an arabischen und türkischen Schimpfwörtern gesammelt hatte. Sie strömte ihm so schnell vom Mund, daß die einzelnen Ausdrücke gar nicht verstanden werden konnten. Dazu gestikulirte er mit Armen und Beinen vom Pferd herab, als wäre er von einem bösen Geist besessen.

»Was will dieser Mann?« fragte einer aus der Gruppe.

»Das ist der Stareschin,« erklärte mir der Wirth.

»Ich weiß es nicht; ich verstehe ihn nicht,« antwortete der Schut dem Frager. »Aber ich kenne ihn und wundere mich sehr, ihn wieder hier zu sehen.«

»Ist es nicht der Inglis, welcher mit seinem Dolmetscher und seinen Dienern bei Dir wohnte?«

»Ja. Ich habe Dir noch gar nicht gesagt, daß er mir diesen Goldfuchs gestohlen hat und mit demselben verschwunden ist. Du wirst die Güte haben, ihn zu arretiren.«

»Sogleich! Wir wollen diesen fremden Giaurs das Pferdestehlen verleiden.«

Er trat zu Lindsay heran und erklärte diesem, daß er arretirt sei. Der Lord verstand ihn aber nicht; er fuhr fort zu schreien und zu gestikuliren, und stieß, als der Stareschin ihn am Bein faßte, denselben kräftig mit dem Fuß von sich ab.

»Allah!« rief der Beamte. »Das hat noch Niemand gewagt! Herbei, Ihr Männer! Nehmt ihn vom Pferd, und schafft ihn fort!«

Die Männer gehorchten und traten zu dem Lord heran. Aber als sie nach ihm fassen wollten, ergriff er sein Gewehr, legte auf sie an und schrie in einem englisch-türkischen Wortgemisch:

»Away! I atmak! I atmak!«

Er hatte sich gemerkt, daß schießen ›atmak‹ heißt. Die Angreifenden traten eiligst zurück, und der Stareschin sagte:

»Der Mensch ist toll. Er versteht uns nicht. Wenn wir doch den Dolmetscher hier hätten, um ihm begreiflich machen zu können, daß Widerstand ihm nichts nützt und seine Lage nur verschlimmert!«

Da trat ich zu ihm hin und sagte:

»Verzeihe, Stareschin, daß ich Dich in der Ausführung der Obliegenheiten Deines Amtes störe. Wenn Du eines Dolmetschers bedarfst, so kann ich Dir dienen.«

»So sage diesem Pferdedieb, daß er mir in das Gefängniß folgen muß.«

»Pferdedieb? Du irrst Dich sehr. Dieser Effendi ist kein Pferdedieb.«

»Er ist einer, denn mein Freund Nirwan hat es gesagt.«

»Und ich sage Dir, daß dieser Inglis in seinem Lande eine Stellung hat, welche wenigstens ebenso hoch ist, wie hier diejenige eines Pascha mit drei Roßschweifen. Ein solcher Mann stiehlt nicht. Er hat in seinem Stall daheim mehr Pferde, als hier in Rugova vorhanden sind.«

Ich sprach zwar in bestimmtem, aber doch sehr höflichem Ton. Das schien in dem Stareschin die Ansicht zu erwecken, daß ich eine sehr hohe Achtung für sein Amt und seine Person hege und er mir in Folge dessen imponiren könne. Also schnauzte er mich an:

»Schweig'! Hier gilt nur das, was ich sage! Dieser Inglis hat hier ein Pferd gestohlen und ist ein Dieb, wofür ich ihn bestrafen lassen werde. Sage ihm das!«

»Das kann ich ihm nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil es eine Beleidigung sein würde, welche er mir nie verzeihen könnte. Ich will seine Freundschaft nicht verlieren.«

»Also bist Du der Freund eines Pferdediebes? Schäme Dich!«

Er spuckte vor mir aus.

»Unterlaß das, Stareschin!« warnte ich ihn. »Ich spreche in Höflichkeit mit Dir, und Du lässest mich dafür den Speichel Deines Mundes sehen! Wenn das noch einmal geschieht, so bediene ich mich einer anderen Sprache, welche Deinem Verhalten angemessen ist.«

Das war in bedeutend schärferer Tonart gesagt. Der Schut hatte mich vom Kopf bis zu den Füßen gemustert. Jetzt hustete er und machte eine Handbewegung, welche den Zweck hatte, den Zorn des Stareschin gegen mich zu entflammen. Es gelang ihm, denn das Oberhaupt der Stadt antwortete mir:

»Welche Sprache wolltest Du denn führen? Es ist gegen mich nur diejenige der Höflichkeit möglich; jede andere würde ich auf das Allerstrengste bestrafen. Ich habe vor Dir ausgespuckt, weil Du einen Dieb Deinen Freund nanntest. Und dazu habe ich ein so gutes Recht, daß ich gleich noch einmal ausspucke. Sieh, das gilt Dir wieder!«

Er spitzte den Mund, und ich trat rasch einen Schritt vor, holte aus und gab ihm eine so herzhafte Ohrfeige, daß er zu Boden taumelte. Dann zog ich den Revolver. Meine Begleiter griffen sofort zu ihren Waffen. Auch der Schut zog seine Pistole.

»Weg mit der Waffe!« herrschte ich ihn an. »Was geht Dich diese Ohrfeige an?«

Er gehorchte unwillkürlich. So wie ich hatte ihn wohl noch Niemand angeschrieen.

Der Stareschin erhob sich. Er hatte ein Messer im Gürtel stecken. Ich glaubte, er werde es ziehen, um Rache zu nehmen für meinen Schlag. Aber Großsprecher sind ja gewöhnlich, wenn es ernst wird, feige Menschen. Der Mann hatte keinen Muth und wendete sich an den Schut:

»Willst Du es dulden, daß ich mißhandelt werde, wenn ich mich Deiner Angelegenheit annehme? Ich hoffe, daß Du diese Beleidigung, welche eigentlich nur Dir gilt, augenblicklich rächen wirst!«

Der Blick des Persers wanderte einige Male zwischen dem Stareschin und mir hin und her. Dieser gewaltthätige und gewissenlose Mensch besaß jedenfalls einen hohen persönlichen Muth; aber das Erscheinen der Leute, welche er todt oder wenigstens unschädlich gemacht wähnte, und die nun plötzlich unversehrt vor ihm standen, lähmte seine Thatkraft. Dazu kam unsere selbstbewußte Haltung. Wir hatten die Waffen in den Händen, und es war uns wohl anzusehen, daß dies nicht geschah, um nur zu scherzen. Es kostete ihn sichtlich eine Anstrengung, dem Ortsvorsteher zu antworten:

»Diese Ohrfeige hat Dir gegolten und nicht mir. Du bist es, der sie erhalten hat, und wirst wissen, was Du zu thun hast. Ich bin aber bereit, den Befehlen, welche Du ertheilen wirst, Nachdruck geben zu helfen.«

Er legte die Hand wieder an den Griff der Pistole.

»Weg mit der Hand!« rief ich ihm zu. »Du bist nicht Polizist. Von Dir dulde ich keine Drohung. Habe ich diesem Stareschin gezeigt, wie ich Unhöflichkeiten beantworte, so werde ich wohl auch wissen, den Drohungen eines Privatmannes, der gar nichts zu befehlen hat, zu begegnen. Eine Pistole ist eine lebensgefährliche Waffe. Droht man mir mit derselben, so habe ich das Recht der Nothwehr. Sobald Du sie ziehst, wirst Du meine Kugel im Kopf haben. Das beachte wohl; ich scherze nicht!«

Er nahm die Hand vom Gürtel, rief mir aber zornig zu:

»Du scheinst nicht zu wissen, mit wem Du redest! Du hast den Gebieter dieses Ortes geschlagen. Ihr droht uns mit Euren Gewehren und werdet das selbstverständlich büßen müssen. Sämmtliche Bewohner von Rugova werden herbei eilen, Euch gefangen zu nehmen. Im Lande des Großherrn ist es nicht Sitte, daß Pferdediebe gerechte Männer mit dem Tode bedrohen!«

»Was Du sagst, ist lächerlich. Ich werde Euch sogleich beweisen, daß ich weiß, mit wem ich rede. Die Leute von Rugova habe ich nicht zu fürchten, da ich gekommen bin, sie von einem Teufel zu befreien, welcher in ihrer Mitte und weithin im Lande sein Wesen treibt. Wenn uns ein Räuber und Mörder Pferdediebe nennt, so lachen wir darüber, aber dieses Lachen wird ihm sehr gefährlich werden!«

»Seid Ihr es nicht?« fragte er. »Dieser Engländer reitet meinen Fuchs, und diese beiden Begleiter von Dir sitzen auf Schecken, welche ihnen nicht gehören; sie haben dieselben gestohlen.«

»Woher weißt Du, daß sie ihnen nicht gehören?«

»Weil diese Pferde das Eigenthum zweier meiner Freunde sind.«

»Dieses Geständniß ist eine große Unvorsichtigkeit von Dir. Wir haben die Schecken allerdings nicht gekauft, sondern sie den Aladschy abgenommen. Wenn Du zugibst, daß diese berüchtigten Räuber Deine Freunde sind, so hast Du Dir selbst Dein Urtheil gesprochen. Sage mir einmal,« fuhr ich fort, indem ich mich an den Stareschin wendete, »ob Du weißt, daß die Aladschy Schecken reiten?«

»Was gehen mich die Aladschy an?« antwortete er. »Ich habe es jetzt nicht mit ihnen, sondern mit Euch zu thun.«

»Das ist mir lieb, denn ich wünsche sehr, daß Du Dich ein wenig mit uns beschäftigest. Freilich muß dies in einer andern Weise geschehen, als es in Deiner Absicht zu liegen scheint.«

»Oho! Hast Du hier zu befehlen? Hast Du hier Ohrfeigen auszutheilen? Ich werde die Leute von Rugova versammeln, um Euch gefangen nehmen zu lassen. Jetzt sogleich werde ich den Befehl dazu geben!«

Er wollte fort.

»Halt! Noch einen Augenblick!« gebot ich ihm. »Du hast noch gar nicht gefragt, wer wir sind. Ich werde es Dir sagen. Wir – –«

»Das ist gar nicht nothwendig!« unterbrach mich der Schut. »Du bist ein Giaur aus Germanistan, den wir bald kleinmüthig machen werden.«

»Und Du bist ein Schiit aus Persien, welcher Hassan und Hosseïn verehrt. Nenne Dich also ja nicht einen Rechtgläubigen und bringe das Wort Giaur nicht noch einmal, sonst bekommst Du eine solche Ohrfeige wie der Stareschin!«

»Bietest Du mir eine solche Beleidigung?« brauste er auf.

»Ja; ich biete Dir überhaupt noch weit mehr. Woher weißt Du, daß ich ein Fremder aus Germanistan bin? Du hast Dich durch dieses Wort verrathen. Deine Rolle als Schut ist in diesem Augenblick ausgespielt!«

»Schut?« fragte er erbleichend.

»Schut?« riefen auch die Andern.

»Ja, dieser Schiit Nirwan ist der Schut. Ich werde es Euch beweisen. Hier, Stareschin, hast Du meine Legitimationen. Sie sind vom Großherrn und vom Großwessir ausgestellt, und ich hoffe, daß Du ihnen die gebührende Ehrerbietung erweisest. Thätest Du das Gegentheil, so würde ich es unverzüglich dem Wali in Prisrendi und auch dem Wessir nach Stambul melden. Wische Deine schmutzigen Hände ab und hüte Dich, meine Pässe zu beflecken!«

Ich öffnete die Dokumente und hielt sie ihm entgegen. Als er die großherrlichen Siegel erblickte, wischte er wirklich die Hände an seinen Hosen hin und her, griff dann an Stirn und Brust, verbeugte sich, nahm sie entgegen und legte sie unter einer abermaligen Verneigung an die Stirn, um sie dann zu lesen.

»Master,« sagte der Engländer, »Ihr könntet ihm auch meinen Paß zeigen; aber der Perser hat ihn mir mit den andern Sachen abgenommen.«

»Wenn er nicht vernichtet ist, werdet Ihr ihn wieder bekommen. Übrigens genügt es, wenn er nur meine Papiere liest. Ihr seid mein Freund, und ich legitimire Euch.«

Die Leute waren aus den umliegenden Häusern getreten und hielten die neugierigen Blicke auf uns gerichtet. Einige liefen fort, in die enge Gasse hinein, welche auf den Brückenkopf mündete, um Andere zu holen, und es hatte sich schnell ein Publikum gebildet, welches uns im Halbkreise umstand.

Das schien dem Schut willkommen zu sein. Er fühlte sich jetzt sicherer als vorher, da er glaubte, sich auf den Beistand dieses Volkes verlassen zu können. Sein Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an, und seine schon an sich hohe Gestalt richtete sich noch höher auf. Man sah es ihm an, daß er ebenso gewandt wie kräftig sei. Im Ringkampf war er jedenfalls mehr zu fürchten, als einer der Aladschy, welche nur über ihre rohe, ungeschulte Körperkraft zu verfügen gehabt hatten. Ich nahm mir vor, es nicht auf einen solchen Ringkampf ankommen zu lassen, sondern ihn gegebenen Falls mit einer Kugel so zu verwunden, daß er unfähig zur Vertheidigung würde.

Endlich hatte der Stareschin die Papiere gelesen. Er drückte sie wieder an die Stirn und auch an die Brust, faltete sie zusammen und machte Miene, sie einzustecken.

»Halt!« sagte ich. »Diese Dokumente sind mein Eigenthum, nicht aber das Deinige.«

»Aber Du willst hier bleiben?« fragte er.

»Ja.«

»So werde ich sie behalten, bis Euer Prozeß beendet ist.«

»Nein, das wirst Du nicht. Wie kannst Du, ein einfacher Kiaja, es wagen, die Papiere eines Mannes, welcher so hoch über Dir steht, an Dich zu nehmen! Schon die bloße Absicht dazu ist eine Beleidigung für mich. Und was fällt Dir ein, von einem Prozeß zu sprechen! Du weißt jetzt, mit wem Du sprichst, und ich werde Dir sagen, was ich von Dir fordere. Ich will Dir entgegen kommen und diese Legitimation nicht zu mir selbst nehmen. Da ich bei dem Khandschy Kolami wohnen werde, so mag er sie in Verwahrung nehmen. Gib sie ihm also! Er wird sie ohne meine ganz ausdrückliche Bewilligung nicht aus den Händen geben.«

Er gehorchte, wenn auch widerstrebend. Dann fuhr ich mit erhobener Stimme, so daß alle Umstehenden es hören konnten, fort:

»Und nun will ich mich ernstlich dagegen verwahren, daß Einer von uns ein Pferdedieb genannt werde. Wir sind ehrliche Leute und kommen vielmehr zu dem Zweck, Euch von dem größten Dieb dieses Landes zu befreien. Dieser Goldfuchs hat nicht dem Perser gehört, sondern einem Skipetaren, nämlich dem Barjactar Stojko Wites aus Slokuczie, welcher mit seinem Sohn nach Batera reiten wollte, um ihn dort zu vermählen. Sie kamen in das Teufelsthal zum Köhler Scharka, welcher ein Untergebener des Schut ist und den Barjactar überfiel und beraubte. Er selbst blieb leben, aber sein Sohn wurde ermordet und verbrannt. Ich kann Euch die Knochenreste zeigen. Dieser Panzer, welchen mein Begleiter einstweilen angelegt hat, dieses Schwert und dieser Dolch sind Theile des Raubes. Der Barjactar wurde zu Kara Nirwan geschleppt, um erst später ermordet zu werden, wenn es gelungen sein würde, ihm noch ein bedeutendes Lösegeld abzupressen.«

»Lüge, Lüge und tausendfache Lüge!« schrie der Perser. »Dieses Pferd gehört mir, und von einem Barjactar weiß ich nicht das Geringste!«

»Die Lüge ist auf Deiner Seite. Du hast den Barjactar im Schacht stecken, wo Du auch diesen Inglis gefangen hieltest. Du hast diesen Inglis zu dem Köhler schaffen lassen, um ihm ein Lösegeld abzuzwingen und ihn dann zu tödten. Es ist uns gelungen, ihn zu befreien, und nun kehrt er zurück, um Dich anzuklagen.«

»Allah, Allah! Das soll ich hören und dulden! Ich soll ein Räuber und Mörder sein! Frage die Leute, welche Deine Lügen hören! Sie werden Dir sagen, wer ich bin. Und wenn Du fortfährst, mich in einer so frechen Weise zu beschuldigen, so werden sie das nicht dulden, sondern mich beschützen. Nicht wahr, das werdet Ihr, Ihr Männer und Einwohner von Rugova? Könnt Ihr ruhig zusehen, daß ein Fremdling, ein Christ, es wagt, mich, der ich der Wohlthäter so Vieler bin, in dieser Weise zu beschuldigen und anzuklagen?«

»Nein, nein!« riefen mehrere Stimmen. »Fort, weg mit diesem Giaur! Er soll kein Wort mehr sagen dürfen!«

Ich ahnte, was nun kommen werde. Ich dachte mir, daß später große Eile nothwendig sei, und darum gebot ich Halef leise, einstweilen die Pferde unterzubringen. Dann wendete ich mich an die Leute:

»Ist es Schimpf, ein Christ zu sein? Wohnen nicht grad hier in Rugova Bekenner des Islam und der Bibel friedlich beisammen? Sehe ich nicht hier Leute stehen, welchen den Rosenkranz umhängen haben, die also Christen sind? An diese Leute wende ich mich, wenn Kara Nirwan sich auf die Muhamedaner stützt. Was ich ihm vorgeworfen habe, ist Alles wahr; ich werde es beweisen. Und nun hört noch das Letzte, das Ärgste! Der Perser ist der Schut, verstanden, der Schut! Auch das kann ich Euch beweisen, wenn Ihr es ruhig anhören wollt.«

Da donnerte mich der Pferdehändler an:

»Schweig! Sonst schieße ich Dich nieder wie einen Hund, den man nur durch die Kugel von seiner Räude befreien kann!«

Ich hätte ihn am liebsten niedergeschlagen; aber die Stimmung war, wie ich deutlich sah, gegen mich. Darum übersah ich es, daß er nach seinem Gürtel griff, und antwortete ihm:

»Vertheidige Dich nicht durch Worte, sondern durch die That! Führe uns in den Schacht hinab und beweise uns, daß Stojko nicht unten steckt!«

»Ich kenne keinen Schacht!«

»So kenne ich ihn und werde diese Leute hinabführen!«

Ein höhnisches Zucken ging über sein Gesicht, und ich wußte auch, weßhalb. Ich hütete mich wohl, von dem Stollen zu sprechen, durch welchen ich eindringen wollte; er sollte denken, daß der Eingang zu demselben von dem Lord vergessen worden sei. Ich wollte den Glauben in ihm erwecken, daß wir nach dem Karaul wollten, um durch den Schacht einzudringen. Darum fuhr ich fort:

»Und nicht nur diesen einen Gefangenen hat er in dem Schacht unter dem Karaul verborgen, sondern noch einen zweiten, einen Kaufmann aus Skutari, dessen Geld er genommen hat und dessen übriges Vermögen er auch noch haben will. Ihr werdet auch diesen Mann unten finden. Er und Stojko werden Euch erzählen, was mit ihnen geschehen ist, und dann werdet Ihr glauben, daß Kara Nirwan der Schut ist. Ich fordere Euch und den Stareschin hiermit auf, ihn gefangen zu nehmen und nach dem Thurm zu schaffen. Dort muß er Euch den Eingang des Schachtes zeigen.«

»Ich, ein Gefangener!« rief der Schut. »Ich will denjenigen sehen, der mich angreift. Ich kenne keinen Schacht. Ich bin bereit, freiwillig mitzugehen. Sucht Euch den Schacht; ich kann ihn Euch nicht zeigen, weil ich ihn selbst nicht weiß. Findet Ihr ihn, so steigt hinab! Bewährt sich dann die Aussage dieses Fremden, so werde ich mich ohne Weigerung und Widerstand binden lassen, damit man mich nach Prisrendi schaffe. Stellt es sich aber heraus, daß er gelogen hat, so werde ich die strengste Bestrafung verlangen.«

»Gut, ich gehe getrost darauf ein,« erwiederte ich.

»Auf, nach dem Karaul!« ertönte es von allen Seiten. »Der Perser soll der Schut sein! Wehe diesem Fremden, wenn er lügt!«

»Ich lüge nicht. Wir geben uns ganz in Eure Hände. Wir werden sogar alle unsere Waffen ablegen, damit Ihr überzeugt seid, daß wir friedliche Leute sind und es ehrlich meinen. Gebt Eure Flinten, Messer und Pistolen her, und geht mit diesen braven Leuten nach dem Thurm. Ich werde sie hier im Khan aufbewahren und Euch dann mit Kolami nachkommen.«

Diese Aufforderung war an meine Gefährten gerichtet. Halef hatte die Pferde in den Hof bringen helfen; er war wieder da und sagte, als ich ihm seine Waffen abforderte:

»Aber, Sihdi, da können wir uns ja nicht wehren!«

Ich durfte es ihm nicht sagen, aus welchem Grunde ich die Waffen ablegen ließ. Sie sollten unbewaffnet sein, um keine Unvorsichtigkeit begehen zu können. Der hitzköpfige Hadschi war im stand, durch eine Gewaltthätigkeit sich und die Gefährten in Gefahr zu bringen.

»Ihr braucht Euch nicht zu wehren,« antwortete ich ihm. »Man wird Euch nichts zu Leid thun. Seid nur still und vorsichtig!«

»Und Du kommst nach?«

»Nein. Ich sagte nur so, um den Schut zu täuschen. Er wird eine Strecke mit Euch gehen und dann sicher verschwinden. Hierauf steigt er in den Schacht ein, um die beiden Gefangenen zu verstecken. Vielleicht tödtet er sie. Indessen fahre ich mit dem Wirth nach dem Stollen und treffe unten mit dem Schut zusammen.«

»Du allein? Das ist zu gefährlich. Ich will mit Dir gehen.«

»Nein, das würde auffallen. Hütet Euch übrigens, in den Schacht einzusteigen, wenn Ihr ihn finden solltet. Man weiß nicht, in welcher Weise der Schut dafür sorgt, daß Ihr ihm nicht hinabfolgen könnt. Seid freundlich gegen die Leute, damit Ihr sie nicht gegen Euch aufbringt, und thut ja nichts, bevor ich wieder bei Euch bin.«

Es hatte sich eine ziemliche Menschenmenge angesammelt, und es war vorauszusehen, daß die Zahl noch anwachsen werde. Als der Wirth und ich die Waffen der Gefährten ergriffen hatten, wurden diese mit dem Schut in die Mitte genommen, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Nun traf ich mit dem Wirthe die nöthigen Vorkehrungen, ging dann voran an die Brücke und stieg in den Kahn. Der Wirth kam sehr bald mit zwei Knechten nach. Diese führten die Ruder; er setzte sich auf den Bugsitz, und ich steuerte.

Obgleich wir nach der linken Seite wollten, steuerte ich doch nach dem rechten Ufer hinüber, weil wir dort nicht so starke Strömung hatten. Als wir sodann der betreffenden Stelle gegenüber angekommen waren, legte ich nach links um.

Jetzt hatten die Knechte alle ihre Kräfte anzustrengen, um nicht durch die reißende Fluth abgetrieben zu werden. Ich mußte weit, weit über das Ziel aufwärts halten. Die Ruder bogen sich; sie drohten, zu zerbrechen; doch war meine größte Sorge, ob auch wirklich der Eingang des Stollens dort unter dem grünen Vorhang sein werde.

Wir befanden uns ein Stück oberhalb desselben. Jetzt ließ ich den Kahn abfallen und hielt grad auf das Loch zu. Befand sich keines dort und gab es nur Felsen, so mußte der Kahn zerschellen, mit so reißender Schnelligkeit wurden wir nach der Stelle getrieben.

»Die Ruder herein! Bückt Euch!« rief ich den Dreien zu.

Sie gehorchten augenblicklich. Ich selbst blieb aufrecht sitzen, da ich das Steuer sonst hätte loslassen müssen. Jetzt waren wir nahe; noch zwei Bootslängen, noch eine – ich schloß die Augen, damit sie nicht von den Zweigen verletzt würden – ein Schlag in's Gesicht wie von einem weichen Rutenbesen – ich öffnete die Augen – tiefe Dunkelheit um mich – ein Aufstoß vorn – der Kiel des Kahns knirschte – wir befanden uns in dem Stollen.

»Allah sei Dank!« seufzte der Wirth tief auf. »Mir war ein wenig bang.«

»Mir auch,« antwortete ich. »Wären wir hier auf Felsen getroffen, so hätten wir ein gefährliches Bad erhalten. Wer nicht ganz ausgezeichnet schwimmt, würde hier verloren sein. Fühlt einmal an die Wand, ob ein Pflock da ist. Es soll sich einer hier befinden, um den Kahn anzuhängen.«

Der Pflock war wirklich vorhanden. Wir befestigten das Fahrzeug an demselben und zündeten die mitgebrachten Laternen an. Ihr Licht reichte hin, den Gang zu erleuchten, da derselbe niedrig und schmal war. Die Knechte steckten die auf Vorrath mitgebrachten Talgkerzen zu sich.

Ich nahm die eine der Laternen in die Linke und den Revolver in die Rechte und schritt voran. Wir konnten, da wir Licht bei uns hatten, von Weitem gesehen werden, und es war ja immerhin möglich, daß sich einer der Knechte des Schut zur Bewachung der beiden Gefangenen hier unten befand.

Der Stollen war hoch genug, daß ich aufrecht gehen konnte. Seine Sohle war mit einem Pfad einzelner Bretter belegt. Wozu? Das konnte ich jetzt noch nicht begreifen. Wir gingen sehr langsam, weil ich zu unserer Sicherheit Schritt um Schritt untersuchen mußte. Vielleicht eine Viertelstunde war seit unserer Einfahrt verflossen, als wir uns von einer Luftschicht umgeben fühlten, welche um mehrere Grade kälter als die bisherige war.

»Wir nähern uns wahrscheinlich dem Spalt, von welchem der Alim gesprochen hat,« bemerkte ich. »Jetzt müssen wir doppelt vorsichtig sein.«

Nach nur wenigen Schritten gähnte uns eine breite Spalte an, welche quer über den Stollen schnitt. Ihre Tiefe war nicht zu erkennen und ihre Höhe ebenso wenig. Bretter führten hinüber, eins vor das andere gelegt, nur anderthalb Fuß breit.

»Das ist der Ort, an welchem das Verderben wartet,« meinte der Khandschy. »Herr, untersuche den Steg genau!«

»Gebt die Stricke her!«

Wir knoteten die vier Stricke, welche sie mitgebracht hatten, einzeln zusammen, nahmen sie dann doppelt und banden das eine Ende mir, unter den Armen hindurch, um die Brust fest, während das andere Ende von den Dreien gehalten wurde. Mich niederbückend, so daß die Laterne den Boden beschien, schritt ich nun, denselben genau untersuchend, vorwärts.

So breit, wie der Spalt war, gab es natürlich keinen festen Boden. Es waren drei starke Balken hinübergelegt, je einer zur rechten und linken Seite und der dritte in der Mitte. Auf dem mittleren Balken lag das Brett. Zwischen diesem und den beiden Seitenbalken blieb ein mehr als fußbreiter leerer Raum, aus welchem die kalte grausige Tiefe gähnte.

Warum das? Warum lagen die Balken nicht eng beisammen? So fragte ich mich. In dieser Construction des gefährlichen Steges mußte die Hinterlist liegen, welcher der Unberufene zum Opfer fallen sollte.

Nach sechs oder acht Schritten, während deren ich mich über dem Abgrund befand, erreichte ich eine Stelle, welche meine Aufmerksamkeit erregte. Die drei Längsbalken waren hier nämlich durch einen Querbalken verbunden. Als ich denselben genau untersuchte, sah ich, daß er eine Achse bildete, welche sich in den an den beiden Seitenbalken dazu angebrachten Löchern bewegte. Nun war mir die Construction klar. Wer einmal einen Zimmerplatz besucht hat und dort Kinder auf einem Balken, welcher quer auf einem andern lag, schaukeln sah, der kann sich leicht die Einrichtung dieses gefährlichen Steges erklären. Jetzt wußte ich auch, weßhalb die beiden Seitenbalken da lagen, deren Zweck ich vorher nicht eingesehen hatte. Sie verbanden die beiden Ufer der Spalte mit einander. In ihrer Mitte trugen sie einen Querbalken, welcher eine bewegliche Achse bildete, auf welcher der Mittelbalken mit dem Brett lag. Dieser Mittelbalken lag nach dem Eingang des Stollens hin fest auf der Kante der Spalte auf, an seinem anderen Ende aber jedenfalls nicht. In Folge dessen konnte man bis zur Mitte des Steges, bis zu der Achse, sicher gehen. Sobald man aber weiter schritt, neigte sich der vorwärts liegende Theil der Brücke nach dem Abgrund hinab, während der rückwärts liegende Theil emporstieg; dann mußten Alle, welche sich auf dem Steg befanden, in die grauenhafte Tiefe stürzen und dort jedenfalls zerschellen.

Daß dieses auch mir geschehen würde, darauf hatte der Alim gerechnet.

Ich wendete mich um und theilte den Dreien dieses Ergebniß meiner Untersuchung mit.

»So können wir also gar nicht hinüber?« fragte der Khandschy.

»O doch, denn der Schut betritt diesen Stollen ja auch. Es muß also eine Vorrichtung geben, mittelst deren dieser gefährliche Wagebalken an seinen beiden Enden befestigt werden kann, und wenn nicht an beiden, so doch wenigstens an dem drüben liegenden Ende. Wollen einmal nachschauen!«

Ich kehrte zurück, und wir forschten nach. Ja, dieser Mittelbalken lag lose auf der Steinkante auf. Wir hoben sein Ende empor, und die andere Hälfte senkte sich hinab. Wir suchten vergebens nach einem Loch, Pflock oder Riegel, mittels dessen der Balken hier hüben an den Boden befestigt werden konnte.

»So muß ich freilich hinüber,« erklärte ich.

»Um Allah's willen! Du stürzest ja!« rief der Khandschy.

»Nein. Ihr drückt hier den Balken so kräftig nieder, daß er nicht empor schnellen kann; dann kann er sich drüben nicht senken. Drei Männer von Eurer Stärke werden mich doch halten können. Übrigens hänge ich an dem Strick. Knieet nieder und legt die Hände fest auf dem Balken auf. Ich gehe jetzt.«

Es war mir nicht ganz wohl zu Muth, als ich nun abermals auf dem schmalen Brett über den Abgrund schritt; aber ich kam wohlbehalten drüben an. Dort sah ich auch sofort beim Licht der Laterne, auf welche Weise der Steg zu befestigen war. Das Ende des Balkens lag in der Luft – es erreichte die Kante der Spalte nicht; aber es waren zwei eiserne Ringe in demselben angebracht, und hüben und drüben hing je eine Kette mit einem Haken an der Wand des Stollens herab. Hakte man die Ketten in die Balkenringe, so wurde der Steg festgehalten und konnte nicht sinken.

»Nun, hast Du es gefunden?« fragte der Khandschy herüber.

»Ja. Ich mache den Balken fest. Ihr könnt ohne Gefahr herüber kommen.«

Durch kräftiges Zerren an den Ketten überzeugte ich mich, daß dieselben zuverlässig seien, und hakte sie dann ein. Die Drei kamen herüber, sahen sich die einfache Vorrichtung an, und dann schritten wir weiter.

Es versteht sich ganz von selbst, daß dies Alles sehr langsam gegangen war, da von unserer Sorgfalt unser Leben abhing. Nun aber schritten wir desto schneller vorwärts. Meine Uhr sagte mir, daß, seit wir den Kahn verlassen hatten, weit über eine halbe Stunde verronnen war.

Der stets aufwärts führende Stollen bot keine Schwierigkeit mehr dar. Nach ungefähr drei Minuten gelangten wir in den bewußten großen, runden Raum. Der Fels hatte aufgehört. Wir sahen rund um uns Mauern. Fünf Thüren befanden sich da, vier sehr niedrige und eine hohe, schmale. Letztere hatte keinen Riegel, konnte also von uns nur durch Aufsprengen geöffnet werden. Die übrigen Thüren waren mit Riegeln versehen.

»Hinter diesen niedrigen Thüren befinden sich die Gefangenen,« sagte ich, schob einen der Riegel zurück und öffnete. Wir sahen ein ungefähr sieben Fuß tiefes, vier oder fünf Fuß breites und ebenso hohes Loch, in welchem ohne jedwede Unterlage ein Mensch lag, und zwar, wie es der Engländer beschrieben hatte, mit den Füßen in eisernen Ringen steckend.

»Wer bist Du?« fragte ich.

Ein Fluch war die Antwort.

»Sage, wer Du bist! Wir kommen, Dich zu retten.«

»Lüge nicht!« klang es mir rauh entgegen.

»Es ist die Wahrheit. Wir sind Feinde des Schut und wollen Dich – –«

Ich kam nicht weiter. Zwei Rufe ertönten, einer aus dem Mund eines der Knechte und einer aus dem Mund des – – Schut.

Ich hatte mich vor das Loch gekniet und hielt die Laterne in dasselbe. Der Khandschy kauerte neben mir, und die Knechte standen gebückt hinter uns, um auch hinein zu sehen. Indessen war die vorhin erwähnte, schmale Thüre aufgegangen und der Perser eingetreten. Der Knecht hatte ihn gesehen. Beide stießen die Schreie aus.

Ich drehte mich nach dem Knecht um:

»Was gibt's?«

Die Thüre des Loches stand nämlich so von der Mauer ab, daß ich den Schut nicht sehen konnte.

»Dort, da – da ist er!« antwortete der Gefragte, auf den Perser deutend.

Ich sprang auf und sah über die Thüre hinweg.

»Drauf!« rief ich, als ich ihn erkannte.

Der Verbrecher war im höchsten Grad erschrocken, uns hier zu sehen, und stand ganz starr. In der Hand hielt er einen Meißel oder etwas Ähnliches. Mein Ruf gab ihm die Beweglichkeit zurück.

»O Hassan, o Hosseïn!« schrie er, indem er den Meißel nach meinem Kopf schleuderte. »Ihr sollt mich nicht haben, Ihr Hunde!«

Ich mußte mich blitzschnell hinter die Thüre bücken, um nicht getroffen zu werden. Als ich wieder emporfuhr, sah ich ihn in dem Stollen verschwinden. Er wollte auf demselben Weg entspringen, welcher uns hereingeführt hatte. Da wir hier waren, so mußte ein Kahn vorhanden sein, mit Hülfe dessen er entkommen konnte. Er war durch den Schacht von oben herabgekommen, durfte aber nicht durch denselben zurückkehren, weil inzwischen die Leute da oben angekommen waren, von denen er sich auf irgend eine Weise entfernt hatte. Sie hätten ihn sehen müssen, und das Mundloch des Schachtes wäre entdeckt gewesen.

»Er entspringt! Ihm nach!« rief ich, ließ die Laterne stehen und sprang in den Stollen hinein.

»Nimm die Laterne mit!« schrie der Khandschy hinter mir her.

Ich hütete mich wohl, dies zu thun; denn ich hatte das Licht nicht ohne Absicht zurückgelassen. Ich hatte gesehen, daß der Schut auch jetzt die Pistolen im Gürtel trug. Die Laterne in meiner Hand hätte ihm ein sicheres Zielen ermöglicht. Er brauchte nur ganz ruhig stehen zu bleiben und die Waffe auf mich zu richten, so mußte er mich treffen. Darum folgte ich ihm im Finstern.

Das war freilich keine leichte Sache. Ich streckte die Hände aus, um mit den Seitenwänden Fühlung zu nehmen, und rannte so, hüben und drüben anstreifend, so schnell wie möglich vorwärts. Von Zeit zu Zeit blieb ich einen Augenblick stehen, um auf seine Schritte zu lauschen. Aber das war vergeblich, denn der Khandschy kam mit den Knechten hinter mir her, und der Lärm, den sie verursachten, übertäubte den Fußschlag des Schut.

Übrigens war die Verfolgung gefährlich, obgleich ich keine Laterne trug. Er brauchte mich nicht zu sehen. Er durfte nur stehen bleiben und die Pistole ziehen. Das Geräusch meiner Schritte genügte, mich ihm zu überliefern. Ich an seiner Stelle hätte dieses Verfahren gewiß befolgt. Zwei geladene Doppelpistolen, also vier Kugeln, und außerdem noch das Messer, reichten hin, uns unschädlich zu machen. Ich rechnete aber auf seine Angst und darauf, daß er denken würde, selbst dann nicht entkommen zu können, wenn es ihm auch gelänge, Einen oder Zwei von uns zu tödten.

So ging es in möglichster Eile vorwärts. Ich hatte mich doch verrechnet, als ich glaubte, das Entsetzen werde ihn unaufhaltsam vorwärts treiben. Er war doch stehen geblieben, denn plötzlich krachte vor mir ein Schuß, zehnfach stark in diesem engen, niedrigen Gang. Beim Blitz des Pulvers sah ich, daß der Schütze sich kaum zwanzig Schritte vor mir befand. Die Kugel traf nicht. Ich hörte sie an die Wand schlagen, blieb stehen, zog den Revolver und drückte zwei-, dreimal ab.

Ich horchte. Einige Augenblicke später hörte ich sein höhnisches Gelächter. Er rannte weiter, ich ihm nach. Er schoß noch einmal; da stand er an dem über den Abgrund führenden Steg, wie ich beim Blitzen des Schusses sah. Langsamer folgte ich ihm und erreichte den Rand des Spaltes. Hier überzeugte ich mich mit den Händen, daß die Ketten noch eingehakt waren, und folgte ihm auf dem über den Abgrund führenden Brett.

Jetzt war der bedenkliche Augenblick gekommen. Wenn er drüben stehen blieb und mich, bevor ich den festen Boden erreichte, angriff, so war ich verloren. Um ihn davon abzuhalten, gab ich, auf der Mitte des Steges stehen bleibend, die noch übrigen drei Schüsse des Revolvers ab. Ein abermaliges Gelächter belehrte mich, daß ich ihn nicht getroffen hatte. Aber ich hörte auch dem Schall an, daß der Lachende nicht an dem Abgrund stand, sondern weiter eilte.

Natürlich zögerte ich nicht, ihm zu folgen. Drüben über der Spalte angekommen, warf ich einen Blick zurück. Ich sah den Schein der Laterne. Der Khandschy war nicht weit hinter mir. Weiter und weiter ging's. Ich keuchte vor Anstrengung; ich glitt auf den feuchten, schlüpfrigen Brettern oft aus. Und wieder krachte vor mir ein Schuß, welchen ich aus dem noch gefüllten andern Revolver erwiederte. In der Besorgniß, daß der Verbrecher doch noch stehen bleiben und mich endlich wirklich treffen könne, feuerte ich nach und nach, immer vorwärts eilend, alle sechs Schüsse des zweiten Revolvers ab. Dann griff ich zum Messer – nein, in den leeren Gürtel, denn es war nicht vorhanden. Hatte ich es mit einem der Revolver herausgerissen, oder war es mir entfallen, als ich vor dem Gefängnißloch kniete, das konnte ich jetzt nicht wissen.

Mir war so zu Muth, als ob die Hetzjagd bereits eine volle Stunde gedauert habe. Da ward es dämmerig vor mir: – ich hatte den Eingang des Stollens erreicht.

Kam man von draußen, aus dem hellen Tag herein, so schien es hier völlig dunkel zu sein. Hatte man sich aber eine Weile in der Finsterniß befunden, so erfaßte das Auge die wenigen, durch den Pflanzenvorhang dringenden Strahlen und konnte die im Innern des Stollens befindlichen Gegenstände wenigstens ihren Umrissen nach erkennen. Ich hielt an.

Vor mir lag der Kahn. Soeben hatte der Schut denselben vom Pflocke gelöst und sprang hinein. Er hörte, daß ich nahe war, und schrie mir zu:

»Hund, leb' wohl! Nur Du hast dieses Loch gewußt und sonst Niemand. Kein Mensch wird es entdecken und Euch hier suchen. Freßt Euch einander vor Hunger auf!«

Ich dachte in diesem verblüffenden Augenblick nicht daran, daß es im schlimmsten Fall möglich wäre, uns durch Schwimmen zu retten; ich glaubte seinen Worten. Der Kahn durfte also nicht fort. Ich holte aus und sprang hinein.

Der Schut stand aufrecht drin, mit beiden Händen an die Felswand gelehnt, um auf diese Weise den Kahn gegen das hereinpressende Wasser hinaus zu stoßen. Die Ruder konnten wegen der Enge des Stollens erst draußen eingelegt werden. Der Kahn schwankte unter der Wucht meines Sprunges. Ich verlor das Gleichgewicht, fiel nieder, und er auf mich.

»Bist Du da?« zischte er mir in das Gesicht. »Willkommen! Du bist mein!«

Er faßte mich mit der einen Hand bei der Gurgel, und ich packte seine beiden Arme. Mit der Linken fühlte ich, daß er mit der rechten Hand in den Gürtel griff. Schnell fuhr ich mit der Hand an seinem Arm nieder bis zum Handgelenk und preßte dieses so fest zusammen, daß er einen Schmerzensschrei ausstieß und die Waffe – ich weiß nicht, ob Messer oder Pistole – fallen ließ. Dann zog ich das Knie empor und stemmte ihn von mir ab. Im nächsten Augenblick hatte ich mich aufgerichtet, er sich aber auch. Wir standen nur einen Schritt aus einander. Wie durch einen dichten Nebel sah ich seine Hände aus dem Gürtel kommen und sich gegen mich richten; ich schlug sie mit den Fäusten aus einander – ein Schuß krachte. Oder waren es zwei? Ich weiß es nicht. Er aber brüllte:

»Nun denn, dann anders! Mich bekommt Ihr nicht!«

Er sprang in das Wasser – er hatte die Laterne des Khandschy erblickt, welcher sich uns näherte.

Der Mensch war wirklich tollkühn! In diesen Strudel zu springen, dazu gehörte mehr als gewöhnliche Beherztheit.

Ich versuchte, den Kahn fortzuschieben; aber die Strömung drang mit solcher Kraft herein, daß ich merkte, es gehöre eine geraume Zeit dazu, das Fahrzeug hinaus zu bringen. Indessen war der Schut fort, todt oder gerettet.

Daß er es gewagt hatte, in's Wasser zu springen, ließ errathen, daß er ein guter Schwimmer sei. Die reißende Strömung mußte ihn schnell davontragen. Entkam er, so konnte er der Familie Galingré's, welche wir warnen wollten, entgegenreiten, sich mit Hamd el Amasat vereinigen und – –

Ich dachte nicht weiter. Seit er in's Wasser gesprungen, waren noch kaum zwei Sekunden vergangen; so warf ich denn Jacke und Weste ab, saß auf die Ruderbank nieder, riß mir die hohen schweren Stiefel förmlich von den Beinen und rief in den Stollen zurück:

»Ich schwimme. Schnell in das Boot, und dann mir nach!«

»Um Allah's willen, nein! Es ist Dein Tod!« antwortete der Khandschy.

Aber schon war ich im Wasser. Ich sprang nicht hinein, sondern ich ließ mich leise hinab, denn bei den Strudeln, welche es hier gab, war es gerathen, auf der Oberfläche zu bleiben. Hauptsache ist da ein kräftiges Ausstreichen, nicht auf voller Brust, sondern halb auf der Seite liegend, so daß man mit dem abwärts gerichteten Arm nach unten schlägt und also durch den Gegendruck oben gehalten wird.

Kaum war ich mit dem Kopf durch den Pflanzenvorhang gekommen, so wollten mich die Strudel packen. Ich wurde an den Felsen gedrängt und kämpfte eine ganze Weile, um nur oben und auf derselben Stelle bleiben zu können. Dann schoß eine Welle heran, brach sich am Felsen – das war der richtige Augenblick; ich überließ mich ihr, half durch energisches Stoßen nach und schoß stromab davon, so schnell, daß ich unwillkürlich die Augen schloß.

Als ich wieder aufblickte, befand ich mich zwischen zwei Strömungen, welche sich eine Strecke von mir vorwärts trafen und einen gefährlichen Wirbel bildeten. Es war auf der Mitte des Flusses. Vor diesem Wirbel mußte ich mich hüten. Ich wendete sofort, hatte aber lange und angstvoll zu arbeiten, bevor es mir gelang, die eine Strömung zu durchkreuzen und in ruhiges, sicheres Wasser zu kommen.

Jetzt erst konnte ich mich um den Schut bekümmern. Durch das sogenannte Wassertreten gab ich mir eine aufrechte Haltung und sah mich um. Da – grad aus dem Wirbel, den ich so ängstlich vermieden hatte, tauchte er empor; er schoß fast bis zur Hälfte des Leibes aus dem Wasser, that einen wahren Delphinensprung und überwand den Strudel. Dann hielt er nach dem Ufer herüber, in dessen Nähe ich mich befand.

Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn bewundern. Er war ein viel, viel besserer Schwimmer als ich. Es war ihm gar nicht eingefallen, einen Wirbel zu vermeiden. Er wußte, daß dieser ihn zwar fassen, aber auch wieder ausstoßen würde. Jetzt befand er sich abwärts von mir und schwamm nach dem Ufer zu, ohne sich umzusehen; darum bemerkte er mich nicht.

Es verstand sich ganz von selbst, daß ich ihm folgte. Hände und Füße unter der Oberfläche haltend, so daß ich kein Geräusch verursachte, hielt ich mich hinter ihm. Im Schnellschwimmen war ich ihm wohl überlegen, denn ich war ihm bald so nahe, daß ich fast seinen Fuß ergreifen konnte. Aber auch das Ufer war schon da. Jetzt mußte der Schrecken mein Verbündeter sein. Er hatte keine Waffen mehr, und ich auch nicht. Es stand mir also das bevor, was ich hatte vermeiden wollen – ein Ringkampf.

Das hier herrüben platte Ufer war mit angespülten Kieseln bedeckt und lief nach und nach seicht aus. Als der Schut Grund fühlte, nahm er denselben schnell unter die Füße und watete hinaus, triefend von Wasser. Er hatte es dabei so eilig, daß er sich auch jetzt nicht umsah und das Wasser mit lautem Spritzen vor sich her schob. Darum hörte er es gar nicht, daß hinter ihm noch Einer kam. Da ich wohlweislich Schritt mit ihm hielt, so hielt er meine Schritte für die seinigen. Dabei raffte ich am Rande des Wassers einen faustgroßen, runden Kiesel auf, um mich desselben als Waffe zu bedienen.

Jetzt stand er am Lande, streckte die Arme empor, stieß einen frohlockenden Ruf aus und drehte sich halb um und blickte nach dem Eingang des Stollens. Dort kam eben der Kahn herausgeschossen; so lange hatten die drei Männer gebraucht, um den gewaltigen Wasserdruck zu überwinden.

»Ihr Hunde! Euch bekomme ich noch!« rief er und wandte sich dann wieder nach dem Lande, um davon zu eilen. Ich war zwei Schritte seitwärts getreten und stand nun grad vor ihm.

»Und ich bekomme Dich!« antwortete ich ihm.

Mein Anblick brachte eine noch größere Wirkung hervor, als ich erwartet hatte. Er brach vor Schrecken beinahe zusammen und erhielt, bevor er sich ermannen konnte, mit dem Stein einen Schlag an den Kopf, daß er niedersank.

Aber dieser Mann war ein übermächtiger Gegner; war die Betäubung nur eine augenblickliche, so konnte der Ausgang doch noch ein schlimmer für mich werden. Darum riß ich ihm, sobald er gestürzt war, die Schärpe vom Leib und band ihm die Arme bei den Ellbogen auf dem Rücken zusammen.

Kaum war das geschehen, so erholte er sich. Noch geschlossenen Auges machte er eine Bewegung, aufzuspringen; sie gelang natürlich nicht. Dann riß er die Augen auf, starrte mich an, blieb dann bewegungslos liegen, zog aber ganz plötzlich die Füße an sich, gab sich mit dem Oberkörper einen Schwung aufwärts und nach vorn, kam wirklich empor und zum Stehen und stemmte die Hände in die Seiten, um die Schärpe zu zersprengen. Zum Glück hielt sie fest.

Das war außerordentlich schnell geschehen; aber ebenso schnell hatte ich meinen Gürtel abgenommen und schlug ihm mit dem Bein die Füße nach hinten, so daß er nach vorn wieder niederstürzte. Sofort saß ich ihm auf den Knieen und band ihm auch die Füße zusammen. Er konnte sich gar nicht dagegen wehren, weil er ja die Arme auf dem Rücken hatte.

»So!« sagte ich, indem ich keuchend aufstand. »Jetzt wissen wir, wer den Andern hat. Da drüben im Stollen werden sich nicht die Leute auffressen, und Du wirst den guten Bewohnern von Rugova erklären, wie es Dir möglich gewesen ist, so schnell in einen Schacht zu kommen, den Du gar nicht kennst.«

»Teufel!« zischte er. »Hundertfacher Teufel!« Dann schloß er die Augen und blieb ruhig liegen.

Die Strömung hatte den Kahn ergriffen und trug ihn pfeilschnell abwärts. Die darin Sitzenden sahen mich und hielten auf mich zu.

»Herr, wir hielten Dich für verloren!« rief der Khandschy schon von Weitem. »Allah sei Dank, daß er Dich gerettet hat! Wer liegt bei Dir?«

»Der Schut.«

»O Himmel! So hast Du ihn?«

»Ja.«

»Dann schnell! Auf, auf, legt Euch in die Ruder!«

Die Knechte strichen so aus, daß das Boot mit halbem Körper auf das Ufer schoß. Die Drei sprangen heraus und eilten herbei.

»Er ist's, ja, er ist's!« jubelte der Khandschy. »Welch' ein Schwimmer mußt Du sein, Herr! Wie gelang es Dir denn, ihn zu überwinden?«

»Das kann ich Dir nachher sagen. Jetzt schafft ihn in den Kahn, mit welchem der Transport viel schneller geht, als wenn wir den Mann am Ufer hin und über die Brücke tragen. Wir müssen nun schnell hinaufsenden nach dem Karaul, damit die Leute erfahren, daß ich sie nicht belogen habe. Da ich ihnen nicht gefolgt bin, sind sie im Stande, sich an meinen Begleitern zu vergreifen.«

Sie führten diese Weisung aus, und nach einigen Minuten landeten wir an der Brücke. Einer der Knechte lief zu dem Karaul hinauf. Der Khandschy brachte mit den andern Knechten den Schut in das Haus. Ich nahm Jacke, Weste und Stiefel in die Hände und lief in türkischen Strümpfen hinterdrein. Den Fez abzulegen, daran hatte ich gar nicht gedacht; er war mir fest sitzen geblieben. Ich mußte nun die nassen Kleider ausziehen. Eine Hose zu borgen, war eine sehr heikle Sache, wenn ich an die zoologische Entdeckung dachte, welche der Lord in seinem Fez gemacht hatte. Zum Glück besaß der Wirth einen neuen Schalwar, den er noch nicht getragen hatte, und diesen zog ich an. Kaum war ich angekleidet, so erschien Halef nebst dem Engländer. Der Lord machte Schritte wie Peter mit den Siebenmeilenstiefeln, und Halef sprang neben ihm einher, wie ein kleiner Pony neben einem hochbeinigen Reitkameel.

»Ist's wahr? Habt Ihr ihn, Master?« rief Lindsay, die Thüre aufreißend.

»Da liegt er. Seht ihn Euch an!«

Der angenommenen Rolle treu, hielt der Schut die Augen geschlossen.

»Naß! Wohl ein Kampf im Wasser?« forschte Lindsay.

»Beinahe.«

»War er im Schacht?«

»Ja.«

»Well! So kann er nicht mehr leugnen!«

»O Sihdi, Du hast andere Hosen an?« sagte Halef. »Das muß entsetzlich gewesen sein, dort an der gefährlichen Stelle! Ich bin begierig, Alles zu erfahren.«

Aber zum Erzählen war jetzt keine Zeit; denn nun trafen auch die Andern ein. Die Andern? Nein, das ganze Dorf kam gelaufen und wollte sehen und hören. Wir stellten uns an die Thüre und ließen nur den Stareschin ein und die Köj pederleri. Der ausübende Polizist war auch dabei, ein Kerl – dick wie Falstaff und mit einem blechernen Schlauch bewaffnet, der vermuthlich ein Blasinstrument vorstellen sollte.

Als diese Leute den Liebling der Umgegend gebunden und ganz durchnäßt auf dem Boden liegen sahen, zeigten sie sich höchst aufgebracht darüber; der Stareschin rief zornig:

»Wie könnt Ihr es wagen, ihn ohne meine Erlaubniß wie einen Gefangenen zu behandeln?«

»Stimm' Deinen Ton ein wenig herab!« erwiederte ich ihm kühl. »Und sage mir zunächst, wie es dem Perser möglich gewesen ist, sich von Euch zu entfernen.«

»Ich habe es ihm erlaubt.«

»Warum und wozu gabst Du ihm diese Erlaubniß?«

»Er wollte seine Knechte holen, welche helfen sollten, den Schacht zu suchen.«

»Sie sollten vielmehr helfen, Euch das Finden desselben unmöglich zu machen.«

»Wir haben vergeblich auf Dich gewartet. Daß Du nicht kamst, ist ein Beweis Deines bösen Gewissens, und ich befehle, den Perser augenblicklich loszubinden!«

Dieser Befehl war an den dicken Polizisten gerichtet, welcher sich auch anschickte, denselben auszuführen. Da aber nahm ihn Halef beim Arm und sagte:

»Freundchen, greif' diesen Mann nicht an! Wer ihn ohne Erlaubniß dieses Emirs berührt, dem gebe ich hier diese Peitsche!«

»Was sagst Du?« schrie der Stareschin. »Hier hat kein Anderer zu befehlen, als ich allein, und ich sage, daß Kara Nirwan losgebunden wird!«

»Du irrst!« entgegnete ich. »Jetzt bin ich es, der zu befehlen hat. Und wenn Du mir widerstrebst, so lasse ich Dich gleichfalls binden und nach Perserin schaffen. Du bist der kleinste der Beamten des Großherrn und hast, wenn Höhere sich hier befinden, gar nichts zu befehlen, sondern nur zu gehorchen. Ich sage Dir, daß der Wali gar nichts dagegen hat, wenn ich Dir die Bastonnade zuerkenne. Ich werde mich aber herablassen, Dir zu erzählen, weßhalb wir nach Rugova gekommen sind, und Du wirst mich anhören und nur dann sprechen, wenn ich es Dir erlaube. Ich sehe, daß die Ehrwürdigen des Dorfes begierig sind, es zu erfahren.«

Da aber meinte Halef:

»Nein, Effendi! Wie könnte ein vornehmer Mann wie Du seinen Mund anstrengen, um einem niedrigen Kiaja zu erklären, warum Etwas geschehen ist oder geschehen soll! Ich bin Deine rechte Hand und Deine Zunge und werde diesen Vätern der Ortschaft die Augen öffnen über denjenigen, welchen sie bei sich gehabt haben, ohne zu ahnen, daß er in der Dschehennah geboren wurde und zur Dschehennah fahren wird.«

Und nun begann er in seiner Weise den Bericht, welcher, je länger desto mehr, das Erstaunen der Zuhörerschaft erweckte. Als er dann unser Zusammentreffen mit Kolami erwähnte, fiel dieser ein:

»Jetzt bitte ich Dich, mich fortfahren zu lassen, da Du nicht weißt, was in dem Stollen sich ereignet hat.«

Nun sprach der Wirth von seinem längst gehegten Verdacht und brachte viele in der Umgegend geschehene Ereignisse mit demselben in Verbindung. Er machte das so gut, daß die Zuhörer sich wundern mußten, daß sie nicht auch so wie er gedacht hatten. Und als er endlich unser Eindringen in den Stollen und die Gefangennahme des Persers erzählte, konnte er vor Ausrufungen, die ihn unterbrachen, kaum zu Ende kommen.

Nur der Stareschin hatte wortlos bis zum Ende zugehört. Dann sagte er:

»Das beweist noch gar nichts! Der Perser wird den Schacht gesucht und zufälliger Weise schnell gefunden haben. Er ist hinabgestiegen und auf Euch getroffen. Da Ihr ihm feindlich entgegen tratet, hat er fliehen müssen, um sich vor Euch zu retten. Also ist das, was Ihr als seine Schuld auslegt, die Eurige, und ich muß meinen Befehl – –«

»Schweig'!« donnerte Halef ihn an. »Hat der Effendi Dir jetzt erlaubt, zu sprechen? Es scheint mir ganz so, als ob Du des Persers Spießgeselle seist.«

Da trat ein Greis auf mich zu. Er verneigte sich höflich und sagte:

»Effendi, erzürne Dich nicht über den Stareschin. Er ist einer der Geringsten des Ortes und hat das Amt nur erhalten, weil kein Anderer es mochte, denn es ist viel Störung dabei. Die Zahl meiner Jahre ist die höchste im Dorf, und alle diese Männer werden es bestätigen, daß ich auch der Wohlhabendste bin. Ich wollte nicht Kiaja sein; aber jetzt, wo es sich um eine hochwichtige Angelegenheit handelt, werde ich die Stimme des Dorfes in meinen Mund nehmen und Dir sagen, daß ich Euch meinen Glauben und mein Vertrauen schenke. Ich werde jetzt hinausgehen, um der draußen stehenden Menge zu erzählen, was wir vernommen haben. Dann werden wir einige Männer wählen, welche Du in den Stollen führst, um die Gefangenen zu befreien. Diese werden Deine Aussagen bestätigen, und dann soll der Schut den Händen des Wali überliefert werden. Man hat Jahre hindurch getrachtet, ihn zu fangen. Nun er entdeckt ist, dürfen wir ihm nicht deßhalb beistehen, weil er ein Einwohner unsers Ortes ist, sondern wir müssen die schande, welche er über uns bringt, damit abwaschen, daß wir uns mit Abscheu von ihm wenden.«

Das war ein richtiges Wort zu rechter Zeit. Er ging hinaus. Wir hörten lange seine Stimme schallen; dann aber brach ein Lärm los, welcher mich zu der Befürchtung brachte, daß er gegen uns gerichtet sei. Aber ich hatte mich geirrt.

Als er dann zurückkehrte, wurden diejenigen gewählt, welche mitgehen sollten. Es gab im ganzen fünf Kähne, die alle benutzt werden sollten.

Ich hatte Sorge, daß man während unserer Abwesenheit einen Versuch machen könne, den Schut zu befreien, darum fragte ich meine Gefährten, ob sie ihn bewachen wollten. Halef, Osco und Omar wollten aber unbedingt in den Stollen, und nur der Lord erklärte sich gern bereit zur Wache. Schließlich sagte mir der Wirth, daß er seinem Gesinde befehlen werde, Niemand einzulassen. Das genügte. Der Schut wurde in eine Ecke gelegt, und der Engländer setzte sich bewaffnet zu ihm.

Draußen machte uns die Menge willig, ja beinahe ehrerbietig Platz. Da nur ein einziges Boot in dem Einfahrtsloch Platz hatte, ging das Ausschiffen sehr langsam vor sich. Jeder leere Kahn mußte zurückkehren, bevor ein besetzter ihm folgen konnte. Die zuerst Angekommenen mußten im Stollen auf die Letzten warten. Der Khandschy, welcher die Einfahrt kannte, stieg aus einem Nachen in den andern, um den Steuermann zu machen, bis wir endlich Alle beisammen waren, sechzehn Personen. Es gab eben sehr viele ›Väter des Dorfes‹.

Erwähnt muß werden, daß möglichst viele Laternen herbeigeschafft worden waren. Diese Leuchten der Nacht befanden sich ohne Ausnahmen in einem sehr traurigen Zustand. Die beste von ihnen hatte eine ganze und eine halbe Glasscheibe und war übrigens mit geöltem Papier verklebt. Lichter waren genug da, so daß Jeder, der keine Laterne hatte, eine Talgkerze anzündete und in der Hand trug.

Ich schritt voran. Bevor wir die Spalte erreichten, sah ich mein Messer liegen. Ich hatte es also mit dem Revolver herausgerissen und steckte es nun wieder zu mir. Der über die Spalte führende Steg wurde, bevor die Andern ihn betraten, noch einmal sorgfältig untersucht, und endlich gelangten wir in den runden Raum. Noch stand die Thüre offen, vor welcher ich gekniet hatte, als der Schut erschienen war. Jetzt rief uns die Stimme des Insassen entgegen:

»O Allah! Kommt Ihr endlich wieder? Ich bin fast verzweifelt!«

»Du glaubst also jetzt, daß wir kamen, um Dich zu retten?« fragte ich, mich wieder mit der Laterne zu ihm hineinbückend.

»Ja, denn ich vernahm es aus den Worten, welche von Euch gesprochen wurden, als Ihr dem Schut nachfolgtet. Dann verging eine so lange, lange Zeit, und ich mußte annehmen, daß Ihr ihm zum Opfer gefallen wäret.«

»Wir haben ihn gefangen, und Du wirst als Zeuge gegen ihn dienen.«

»Mein Zeugniß soll sein Verderben sein, auch das Verderben des Köhlers, welcher meinen Sohn ermordet hat.«

»So bist Du also Stojko, der Besitzer des Goldfuchses?«

»Stojko ist mein Name. Woher kennst Du mich?«

»Das wirst Du nachher erfahren; jetzt müssen wir vor Allem Deine Füße aus den Ringen nehmen.«

Die Ringe bestanden aus zwei Hälften, welche unten durch ein Gelenk beweglich und oben mittels einer Schraube geschlossen waren. Der Schut hatte einen Schraubschlüssel bei sich gehabt, welchen er fallen gelassen; wir suchten und fanden das Werkzeug. Als der Mann frei war und sich aufrichten wollte, vermochte er es nicht sogleich. Er hatte vierzehn Tage in derselben Lage zugebracht und mußte Zeit haben, die Glieder zu üben.

Er war eine hohe, ehrwürdige Gestalt. Jetzt freilich bot er keineswegs das Bild eines stolzen Skipetaren. Halef trat zu ihm, so daß die Lichter ihn beschienen, und fragte:

»Stojko, kennst Du dieses Panzerhemd?«

»Allah! Es ist das meinige.«

»Wir haben es dem Köhler abgenommen, auch den Säbel, den Handschar und das Geld. Es befand sich in zwei Beuteln.«

»Es war mein Eigenthum, wenn es nämlich achttausend sechshundert Piaster sind. Ich hatte dreißig silberne Medschidieh; das Übrige bestand aus goldenen Pfund- und Halb-Pfund-Stücken.«

»Es ist gerettet, und Du sollst Alles wieder haben.«

»Was nützt mir das Geld, da mein Sohn nicht lebendig gemacht werden kann! Er ging, um sich die Blume seines Herzens zu holen, und wurde ermordet, ohne ihr Angesicht gesehen zu haben. Das Geld hatten wir bei uns, um Schafe zu kaufen, da über die Heerden unserer Gegend ein großes Sterben gekommen war. Aber wie habt Ihr die Unthat des Köhlers entdecken und zugleich erfahren können, daß man mich zum Schut gebracht hat?«

»Wir werden es Dir nachher erzählen,« antwortete ich. »Sage mir zunächst, ob Du Dich allein hier befindest.«

»Hier neben mir liegt Einer, welcher türkisch sprechen kann, aber doch auch ein Fremder sein muß, denn – –«

Er wurde durch ein heftiges Pochen unterbrochen, und hinter der nächsten Thür erscholl eine Stimme:

»Macht auf, macht auf!«

Wir schoben den Thürriegel zurück und fanden den in derselben Weise wie Stojko in Ringe gelegten Gefangenen.

»Dem Himmel sei Dank!« rief er. »Endlich Rettung!«

»Warum waret Ihr bis jetzt still?«

»Ich habe Alles gehört; aber ich glaubte nicht daran und hielt es für einen neuen Streich des Schut. Wie habe ich nach Befreiung geseufzt und gefleht, aber vergeblich!«

Es war Galingré, französischer Getreidehändler in Skutari. Er war nicht so lange wie Stojko in den Ringen gesteckt und konnte nach seiner Befreiung stehen und bald auch langsam gehen. Die andern beiden Gefängnißlöcher waren leer.

Stojko und Galingré erzählten nun ihre Leidensgeschichte. Wer bisher noch gezweifelt hatte, daß Kara Nirwan der Schut sei, der mußte jetzt eine andere Meinung fassen. Der Anblick dieser beiden Mißhandelten empörte alle Anwesenden gegen den Verbrecher. Es wurden wilde Drohungen ausgestoßen, doch glaubte ich nicht an die Nachhaltigkeit dieser moralischen Entrüstung. Der Skipetar rächt nur das, was ihm selbst und den Gliedern seiner Familie oder seines Stammes geschehen ist. Hier aber handelte es sich um zwei fremde Menschen, an denen die Bewohner von Rugova kein wärmeres Interesse hatten. Auf ihre Hülfe durfte ich mich ja nicht allzufest verlassen.

Zunächst galt es, die Örtlichkeit weiter zu untersuchen. Die schmale Thüre, durch welche wir den Perser hatten kommen sehen, stand noch offen. Es handelte sich darum, zu sehen, wohin sie führte. Die abgebrannten Kerzen wurden durch neue ersetzt, und dann begannen wir die Untersuchung. Einige von den Dorfbewohnern blieben bei Galingré und Stojko zurück.

Durch die Thüre gelangten wir in einen ziemlich hohen, aber schmalen Gang, dessen Wände aus Steinen gemauert waren. Er führte uns nach kurzer Zeit in ein viereckiges Gelaß, in welches zwei weitere Gänge mündeten. Eine Decke war nicht vorhanden; es stieg vielmehr eine Leiter empor, welche ähnlich gebaut war, wie die hölzernen Fahrten in unseren Schachten. Neben derselben hing eine ziemlich neue Schnur herab.

Welchen Zweck hatte diese Schnur?

Ich betrachtete sie sorgfältig. Sie war sehr dünn und von dunkler Farbe. Als ich sie zwischen den Fingern rieb, bröckelte ein feines, staubiges Pulver ab.

»Weg mit dem Licht!« rief ich dem Alten neben mir zu. »Das ist eine Zündschnur, welche nach oben in eine – –«

Ich kam nicht weiter. Der Mann hatte sich gebückt, um ganz unnöthiger Weise nachzusehen, ob der Faden bis zum Boden reiche, und war dabei demselben mit dem Licht zu nahe gekommen. Augenblicklich zuckte ein bläuliches Flämmchen über meine Finger hinweg, in denen ich die Schnur noch hielt.

»Zurück! Schnell zurück!« schrie ich schreckensbleich. »Es gibt eine Explosion!«

Die Dorfleute standen wie erstarrt. Meine drei Gefährten besaßen mehr Geistesgegenwart; sie verschwanden augenblicklich in dem Gang, durch welchen wir gekommen waren. Ich folgte ihnen, und nun rannten auch die Andern nach. Da ging es auch schon los, hinter und über uns.

Zuerst hörten wir einen dumpfen Krach. Die Wände des Ganges, in welchem wir vorwärts eilten, schienen zu wanken, und von der Decke fielen Steine herab. Dann folgte ein donnerartiges Rollen, von mehreren Schlägen unterbrochen, und endlich ein Knall, hoch, hoch über uns, bei welchem aber doch der Boden unter unsern Füßen zitterte. Wie verhallender Paukenwirbel tönte es noch eine Weile über uns fort; dann war es still. Wir befanden uns wieder in dem runden Raum, und Keiner fehlte.

»Allah! Ne idi bu – Gott! Was war das?« fragte der Alte, welcher vor Schreck und Anstrengung keinen Athem fand.

»Ein Patlama,« antwortete ich. »Du hast die Zündschnur angebrannt, und in Folge dessen ist wohl der Schacht eingestürzt. Der Faden war mit Pulver eingerieben.«

»Das würde doch nicht brennen, da es feucht im Schacht ist. Sollte sich der Schut eines Fischek urumi bedient haben?«

»Das gibt es wohl nicht mehr.«

»Oh doch! Es sollen noch Leute das Geheimniß kennen, Feuer zu machen, welches selbst unter der Oberfläche des Wassers brennt. Allah sei Dank, daß wir mit dem Schreck davongekommen sind! Was thun wir nun?«

»Wir warten noch ein Weilchen und versuchen dann, ob es möglich ist, ohne Gefahr in den Schacht zu gelangen.«

Als einige Minuten verstrichen waren, ohne daß wir etwas Weiteres gehört hatten, kehrte ich mit Halef in den Gang zurück. Viele Steine lagen auf dem Boden, ihrer wurden desto mehr, je weiter wir kamen. Die Wände hatten bedrohliche Risse; dennoch drangen wir behutsam vor, bis wir nicht weiter konnten. Wir hatten eine Stelle erreicht, an welcher der Gang vollständig verschüttet war, und kehrten nun wieder um. Warum sollten wir uns unnütz in Gefahr stürzen. Die Gefangenen waren befreit, und das Übrige ging uns nichts an. Es blieb uns nur noch übrig, an die Oberwelt zurückzukehren.

Stojko mußte getragen werden, und auch Galingré beanspruchte unsere Unterstützung. Da sie der frischen Luft am meisten bedurften, sollten sie die Ersten sein, welche ausgeschifft würden. Am Wasser angekommen, hoben wir die Beiden in den Kahn. Ich stieg mit ein, um das Steuer zu nehmen, und der Khandschy folgte mit einem andern starken Mann, um zu rudern. Die Andern mußten warten, da ein zweites Boot erst Platz hatte, wenn wir hinausgefahren waren.

Als wir draußen anlangten und von den dort am Ufer stehenden Leuten gesehen wurden, erhoben dieselben ein lautes Geschrei. Viele von ihnen deuteten dabei nach der Felsenhöhe; Andere fragten, ob es uns gelungen sei, die Gesuchten zu finden, und als der Wirth diese Frage bejaht hatte, rannten sie in gleicher Richtung mit unserm Kahn am Ufer entlang, dem Dorf entgegen.

Die übrigen Kähne warteten im ruhigen Wasser auf uns. Der Wirth stieg mit dem andern Ruderer in ein anderes Boot über, um dasselbe nach dem Stollen zu bringen. Ich brauchte die Beiden nicht mehr, da der Kahn von dem Wasser getrieben wurde und es nur des Steuers bedurfte, ihn bei der Brücke landen zu lassen.

Dort wurden wir von den Leuten erwartet, welche sich so sehr beeilt hatten, daß sie uns zuvorgekommen waren.

Die beiden Befreiten wurden von ihnen aus dem Kahn genommen und im Triumph nach der Stube gebracht, in welcher der Engländer noch ebenso, wie wir ihn verlassen hatten, bei dem Schut saß.

»Da kommt Ihr, Master,« sagte er. »Hat sehr lange gedauert. Sind das die Beiden?«

»Ja, es sind Eure Schicksalsgenossen, mit denen Ihr im Schacht gesteckt habt.«

»Well! Sie mögen sich nun da den Kerl ansehen, dem sie das zu verdanken haben. Wahrscheinlich zahlen sie ihm eine Prämie dafür aus.«

Ich traute den Leuten trotz des Jubels nicht, mit welchem sie die Befreiten empfangen hatten. Damit sie sich nicht einmal durch Blicke mit dem Perser verständigen könnten, gestattete ich nur Einem von ihnen, welcher Stojko führen mußte, uns in die Stube zu folgen. Galingré konnte die wenigen Schritte jetzt allein thun.

Es läßt sich denken, mit welchen Blicken und Worten sie ihren Peiniger begrüßten. Die Blicke sah er nicht, denn er hielt die Augen geschlossen, und die Worte beachtete er nicht. Es war, als ob der Haß dem ergrimmten Stojko die Gelenkigkeit seiner Füße zurückgegeben habe. Er riß sich von dem ihn unterstützenden Skipetaren los, eilte auf den Schut zu, versetzte ihm einen Fußtritt und rief:

»Ujuslu köpek – Hund, räudiger! Allah hat mich aus Deiner Mördergrube entkommen lassen. Dafür aber ist nun Deine Stunde da. Du sollst heulen unter den Qualen, welche ich Dir bereiten werde!«

»Ja,« fiel Galingré ein, »er soll hundertfach büßen, was er an uns und an so vielen Andern begangen hat.«

Beide versetzten dem Regungslosen solche Fußtritte, daß ich ihnen Einhalt thun mußte:

»Laßt ihn! Er ist ja gar nicht werth, daß Ihr ihn auch nur mit den Füßen berührt. Es gibt Andere, welche das Amt des Henkers übernehmen werden.«

»Andere?« rief Stojko, indem sein Auge grimmig aufleuchtete. »Was brauche ich Andere! Mir ist er verfallen, mir! Also will ich es auch selbst sein, der die Rache übernimmt!«

»Davon sprechen wir später. Er ist nicht Dir allein, sondern ebenso Jedem von uns verfallen. Begnüge Dich jetzt daran, daß Du gerettet bist. Siehe zu, daß Du Dich erholst. Laß Dir Raki geben, um Deine Füße einzureiben, denn ich denke, Du wirst sie bald brauchen müssen.«

Und mich an den Mann wendend, welcher ihn geführt hatte, fügte ich bei:

»Warum zeigtet Ihr, als Ihr uns aus dem Stollen kommen sahet, nach der Felsenhöhe empor?«

»Weil da oben Etwas passirt ist,« antwortete er. »Der Karaul muß eingestürzt sein; er ist nicht mehr zu sehen. Als wir bereits eine lange Zeit auf Euch gewartet hatten, that es einen entsetzlichen Krach da oben. Wir sahen Staub, Steine und Feuer fliegen. Einige rannten fort, am Fluß entlang bis dahin, von wo aus man den Thurm sehen kann. Als sie zurückkehrten, sagten sie, daß er verschwunden sei.«

»Er ist wahrscheinlich zerstört, und mit ihm der Schacht. Der Schut hat eine Mine oder auch einige Minen angebracht, um den Zugang von oben nöthigenfalls unmöglich zu machen. Einer von uns kam unvorsichtiger Weise mit dem Licht der Zündschnur zu nahe, worauf die Explosion erfolgte.«

»So ist Alles zerstört, und man kann nichts mehr von dem Innern des Berges sehen?«

»Diesen Vortheil hat der Schut doch nicht davongetragen. Nur der Schacht ist verstopft. Durch den Stollen aber kann man hinein. Es ist sehr leicht, die Marterkammern zu erreichen, in denen er seine Opfer quälte.«

Jetzt kamen allmählich alle ›Ehrwürdigen des Ortes‹ wieder zusammen.

Wie mochte es dem Schut zu Muth sein! Dieser Mensch zuckte mit keiner Miene, nicht mit den Spitzen des Schnurrbartes. Er befolgte das Verhalten eines Käfers, welcher sich in der Nähe seiner Feinde todt stellt. Beim Käfer geschieht dies aus Todesangst; beim Menschen aber ist jedenfalls die Scham eine der Ursachen, und dies ließ mich von dem Schut nicht mehr gar so schlecht denken, wie vorher. Freilich war es nicht das richtige Scham- und Ehrgefühl, welches ihm die Augen schloß.

Die Männer umringten und betrachteten ihn. Der ehrwürdige Alte fragte:

»Was ist mit ihm? Er bewegt sich nicht, und seine Augen sind geschlossen. Ist Etwas mit ihm geschehen?«

»Jok, jok!« antwortete Halef schnell. »Utanmior – nein, nein! Er schämt sich.«

Selbst diese laut und höhnisch gesprochenen Worte brachten keine Bewegung in den Mienen des Schut hervor.

»Er schämt sich? Das ist unmöglich! Schämen kann sich nur Jemand, der etwas Lächerliches begangen hat. Die Thaten dieses Mannes sind nicht lächerlich, sondern grauenhaft. Ein Teufel kann keine Scham empfinden. Er hat sich hier bei uns eingeschlichen und uns während langer Jahre getäuscht. Die letzten Tage und Stunden seines Lebens müssen ihm den Vorhof der Hölle bieten. Herr, Du bist es, der ihm die Maskera abgerissen hat; Du sollst nun auch bestimmen, was mit ihm zu geschehen hat.«

Da drängte sich der Stareschin an uns heran und sagte:

»Du erlaubst wohl, daß ich Dir darauf die Antwort gebe. Freilich sagtest Du, ich hätte das Amt des Muchtahr erhalten, weil kein Anderer es haben wollte; wir wollen auch gar nicht darüber streiten, ob dies wahr ist; aber da ich es nun einmal habe, so muß ich auch die Pflichten desselben erfüllen. Darum hat darüber, was jetzt mit Kara Nirwan geschehen soll, kein Anderer zu bestimmen, als nur ich allein. Wer mir das abspricht, der handelt gegen das Gesetz.«

»Deine Worte klingen gut,« meinte der Alte. »Wir wollen aber sehen, ob der Effendi damit zufrieden ist.«

»Ich werde zufrieden sein, wenn der Muchtahr nach dem Gesetze handelt, auf welches er sich stützt,« antwortete ich.

»Ich werde ganz genau nach demselben handeln,« versicherte der Genannte.

»Nun, so laß hören, was Du beschlossen hast!«

»Zunächst müssen dem Perser die Fesseln abgenommen werden.«

»Ah! Warum?«

»Weil er als der Reichste und Vornehmste des Dorfes eine solche Behandlung nicht gewöhnt ist.«

»Diese Behandlung widerfährt ihm als Mörder und Räuber, nicht aber als dem angesehensten Mann von Rugova!«

»Es ist noch keineswegs erwiesen, daß er das gethan hat, wessen Du ihn beschuldigst.«

»Nicht? Wirklich nicht?«

»Nein, denn daß Ihr ihn in dem Schacht getroffen habt, das beweist gar nichts.«

»Aber hier stehen drei Zeugen, drei Männer, welche beschwören können, daß er sie eingekerkert hat!«

»So ist erst nach ihrem Schwur seine Schuld bewiesen; ich aber bin nur ein einfacher Muchtahr und darf ihnen diesen Schwur nicht abnehmen. Bis dahin hat der Perser als unschuldig zu gelten, und ich verlange, daß er von seinen Fesseln befreit wird.«

»Wann und vor wem das Zeugniß abgelegt werden muß, das ist mir ganz gleichgültig. Ich bin von seiner Schuld überzeugt. Übrigens bist Du als Muchtahr für Alles, was auf Deinem Gebiet geschieht, verantwortlich. Wenn Du nicht weißt, wen die Schuld trifft, so werde ich Dich selbst binden und zu dem Mutessarif nach Prisrendi schaffen lassen.«

»Herr!« rief er erschrocken.

»Ja, das werde ich thun! Ich will Sühne für die begangenen Verbrechen haben, und wenn Du Dich weigerst, Dich des Schuldigen zu bemächtigen, so bist Du mit ihm einverstanden und wirst als sein Genosse und Hehler behandelt werden. Du wirst bereits bemerkt haben, daß wir nicht mit uns spassen lassen. Hüte Dich also, meinen Verdacht zu erwecken!«

Er war verlegen geworden, denn ich hatte wohl das Richtige getroffen. Aber wenn er auch nicht ein Verbündeter des Schut war, so mußte er doch wohl der Ansicht sein, daß es ihm mehr Nutzen bringen werde, wenn er sich auf die Seite des reichen Persers lege. Von mir als Fremden hatte er gar nichts zu erwarten. Meine Drohung hatte aber doch ihre Wirkung nicht verfehlt, denn er fragte ziemlich kleinlaut:

»Nun, was forderst Du denn, was geschehen soll?«

»Ich fordere, daß sofort ein Bote nach Prisrendi abgeschickt werde, um zu melden, der Schut sei gefangen. Dort befinden sich die Dragoner des Großherrn. Der Mutessarif mag schleunigst einen Offizier mit der nöthigen Mannschaft senden, um den Gefangenen und dessen hiesige Mitschuldigen abholen zu lassen. Die Untersuchung muß in Prisrendi stattfinden.«

»Wie kommst Du auf den Gedanken, daß der Schut hier Mitschuldige hat?«

»Ich vermuthe es mit großer Bestimmtheit; ich vermuthe sogar, daß auch Du zu ihnen gehörst, und ich werde mich Dir gegenüber danach verhalten.«

»Herr, diese Beleidigung muß ich mir auf das Strengste verbitten! Wie sollen überhaupt diese Mitschuldigen entdeckt werden?«

»Das mußt Du wissen als Vertreter der obersten Polizeigewalt in Rugova. Daß Du eine solche Frage aussprechen kannst, ist ein sicherer Beweis, daß Dir die Fähigkeiten abgehen, Dein Amt richtig und gerecht zu verwalten. Auch das werde ich dem Mutessarif melden. Wenn der Muchtahr dieses Ortes seinen Pflichten nicht gewachsen ist; wenn er noch dazu, anstatt nach der Anklage zu handeln, den Beschuldigten vertheidigt und beschützt, so darf er sich nicht wundern, daß ich nicht gewillt bin, ihm zu gehorchen. Ich verlange also einen zuverlässigen Boten. Wenn er jetzt fortreitet, so ist er in fünf oder sechs Stunden in Prisrendi. Während der Nacht können die Dragoner also hier eintreffen.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Einen Boten zu senden, ist verboten. Ich werde unter den hiesigen Bürgern einige Begleiter auswählen, welche Kara Nirwan und meinen Bericht nach Prisrendi schaffen werden.«

»So! Das ist allerliebst. Sie werden Dir den Bericht sehr bald zurückbringen.«

»Wieso? Warum?«

»Weil ihnen der Schut entsprungen ist, oder vielmehr weil sie ihn frei gelassen haben. Nein, mein Lieber, so habe ich es nicht gemeint. Ich lese Dir Deine Gedanken von Deinem Gesicht ab. Es geht ein Bote fort, und bis die Dragoner kommen, wird der Schut sich in sehr guter Verwahrung befinden.«

»Wer soll ihn bewachen? Doch ich und mein Khawaß?«

»Nein. Dieser Mühe sollt Ihr überhoben sein. Wir selbst werden die Bewachung übernehmen. Du kannst ruhig heimkehren und Deinen Kef halten. Ich werde sehr bald einen Ort finden, an welchem der Gefangene sicher unterzubringen ist.«

»Das dulde ich nicht!« sagte er trotzig.

»Oho! Sprich höflicher, sonst lasse ich Dir die Bastonnade geben! Vergiß nicht, daß ich selbst mit dem Mutessarif sprechen und ihm erzählen werde, wie sehr Du Dich geweigert hast, der Gerechtigkeit zu dienen. Wir werden jetzt aufbrechen, um nach dem Khan des Kara Nirwan zu gehen. Sorge dafür, daß wir von dem draußen stehenden Volk nicht belästigt werden. Sollten mir diese Leute nicht die Hochachtung erweisen, welche ich zu fordern habe, so lasse ich Dich in Dein eigenes Gefängniß sperren und Dir dabei die Fußsohlen peitschen, daß Du Monate lang nicht zu stehen vermagst!«

Ich sprach diese Drohung aus, um mich in Respekt zu setzen. Die Bevölkerung war dem Perser hold. Gaben wir nur ein kleines Zeichen von Schwäche, so konnte dies die schwersten Folgen nach sich ziehen. Aber meine Worte brachten die beabsichtigte Wirkung nicht hervor. Der Kiaja antwortete:

»Solche Worte hast Du nicht zu sprechen! Ich habe nun genug von Dir angehört. Wenn Du noch eine solche Unhöflichkeit sagst, so bist Du es, welcher Schläge bekommt!«

Er hatte kaum ausgesprochen, so flog ihm meine Peitsche vier-, fünfmal so um die Beine, daß er, laut schreiend, ebenso viele Male in die Höhe sprang. Zugleich wurde er von Osco und Omar gepackt. Halef zog auch seine Peitsche aus dem Gürtel und fragte:

»Sihdi, soll ich?«

»Ja, zunächst zehn tüchtige Hiebe auf die Schalwars. Wer Euch daran hindern will, bekommt auch zehn.«

Bei diesen letzten Worten blickte ich drohend im Kreise umher. Keiner sagte ein Wort, obgleich sie einander fragend anblickten.

Osco und Omar hielten den Kiaja so fest auf dem Boden, daß sein Sträuben vergeblich war.

»Herr, Effendi, laß mich nicht schlagen!« rief er jetzt in bittendem Ton. »Ich weiß ja, daß ich Dir gehorchen muß!«

»Weißt Du das?«

»Ja, gewiß!«

»Und wirst Du von jetzt an gehorchen?«

»Ich werde Alles thun, was Du von mir verlangst.«

»So will ich Dir die zehn Hiebe erlassen, aber nicht etwa aus Rücksicht auf Dich, sondern aus Achtung für die Männer, welche zugegen sind. Sie sind die Ältesten des Ortes, und ihre Augen sollen nicht durch den Anblick der Peitsche beleidigt werden. Erhebe Dich und bitte mich um Verzeihung!«

Er wurde losgelassen, stand auf, verbeugte sich und sagte:

»Verzeihe mir, Effendi! Es wird nicht wieder geschehen.«

Dabei aber sah ich es seinem heimtückischen Blick an, daß er die erste Gelegenheit ergreifen würde, sich an mir zu rächen. Doch antwortete ich in mildem Ton:

»Ich hoffe es! Solltest Du dieses Versprechen vergessen, so würde es zu Deinem eigenen Nachtheil sein. Also sorge dafür, daß wir nicht belästigt werden. Wir müssen aufbrechen – erst nach dem Hause des Schut und sodann nach dem Karaul, um die Verwüstung anzusehen, welche dort angerichtet worden ist«

»Effendi, da muß ich natürlich auch dabei sein; aber ich kann noch nicht so weit gehen,« sagte Stojko.

»So setzest Du Dich auf Dein Pferd. Wir haben Dir ja Deinen Goldfuchs mitgebracht.«

»Ihr habt – –?«

Er sprach nicht weiter. Sein Blick war hinaus auf den Platz gefallen, und ich bemerkte, daß sein Gesicht den Ausdruck freudiger Überraschung annahm. Er eilte an das Fenster und rief hinaus:

»Ranko! Kommt Ihr, mich zu suchen? Hier bin ich! Herein, herein mit Euch!«

Draußen hielten sechs bis an die Zähne bewaffnete Reiter auf prächtigen Pferden. Auf den Ruf ihres Stammesanführers drängten sie ihre Thiere durch die Menge, stiegen ab und kamen herein. Ohne zunächst auf etwas Anderes zu achten, eilten sie auf Stojko zu, um denselben herzlichst zu begrüßen. Dann sagte der Jüngste von ihnen im Ton größter Überraschung:

»Du bist hier in Rugova? Seid Ihr nicht weiter gekommen? Was ist geschehen? Wo ist Ljubinko?«

»Frage nicht! Denn wenn ich Dir antworte, so wird die Rache Dir den Dolch in die Hand drücken.«

»Die Rache? Was sagst Du? Wäre er todt?«

»Ja, todt, ermordet!«

Da trat der junge Mann einen Schritt zurück, riß das Messer aus dem Gürtel und rief:

»Ljubinko, den ich liebte, Dein Sohn, der Sohn meines Vatersbruders, wurde ermordet? Sage mir, wo der Mörder ist, daß meine Klinge ihn augenblicklich treffe! Ah, jener Mann hat seinen Panzer an – er ist der Mörder!«

»Halt!« gebot Stojko, den Zornigen, welcher sich auf Halef werfen wollte, am Arm fassend. »Thue diesem Mann nichts Böses, denn er ist mein Retter. Der Mörder ist nicht hier!«

»Wo denn? Sage es schnell, damit ich hinreite und ihn niederstoße!«

Dieser noch nicht ganz dreißigjährige junge Mann bot das Bild eines ächten Skipetaren. Seine hohe, sehnige Gestalt war in rothen, mit goldenen Tressen und Schnüren verzierten Stoff gekleidet. Die Füße steckten in Opanken, welche aus einem einzigen Stück Leder bestanden und mit silbernen Ketten um den untern Saum der Hose festgehalten wurden. Sein farbloses Gesicht war scharf geschnitten. Die Oberlippe bedeckte ein starker Schnurrbart, dessen Spitzen er bis hinter die Ohren hätte ziehen können. Seine dunklen Augen hatten den Blick des Adlers. Wehe dem, über welchen der Racheruf dieses Mannes erschallte!

Stojko erzählte, was ihm geschehen war, hier und bei dem Köhler. Der junge Mann hörte schweigend zu. Wer nun einen Ausbruch seines Zornes erwartet hatte, der war im Irrthum. Er trat, als sein Oheim mit dem Bericht zu Ende war, zu mir, zu Halef, Osco, Omar und zu dem Engländer, reichte uns die Hand und sagte:

»Szluga pokoran – ich bin Euer ergebener Diener. Erst der Dank und dann die Rache. Ihr habt die Mörder unschädlich gemacht und dann meinen Oheim befreit. Verlangt Alles von mir, was mir möglich ist, ich werde es thun; aber verlangt nicht Gnade für diejenigen, welche unser Stahl treffen muß. Der Oheim war zwei volle Wochen fort und kehrte nicht wieder heim. Darum wurden wir besorgt um ihn und um Ljubinko. Wir brachen auf, um zu ihnen nach Batera zu reiten. Wir kamen über Prisrendi hierher und wollten über Fandina und Orossi weiter. Hier sollte ein Krug Milch getrunken werden. Da rief uns der Oheim herein. Wir werden nun nicht nach Batera reiten, sondern nach der Höhle des Köhlers. Er und seine Knechte, die Mörder, sollen mit uns heim nach Slokuczie, damit die Männer und Frauen unsers Stammes sehen, wie wir den Tod desjenigen rächen, den wir liebten und der einst unser Oberhaupt werden sollte.«

»Ja, wir werden nach dem Teufelsfelsen reiten,« stimmte sein Oheim bei. »Mein Sohn ist todt, und nun bist Du der Erbe und hast als solcher die Pflicht, mir bei der Bestrafung der Blutthat beizustehen. Vorher aber müssen wir hier unseren Obliegenheiten nachkommen. Es ist gut, daß Ihr bei uns eingetroffen seid; dadurch haben wir sechs tapfere Männer erhalten, welche den Wünschen des Effendi Nachdruck verleihen werden.«

Damit hatte er freilich vollkommen Recht. Die Beihülfe von sechs solchen Männern kam mir sehr willkommen. Wir zählten mit Galingré jetzt dreizehn Mann, ein kleines Häuflein zwar, aber doch immerhin genug, um den Bewohnern des Ortes Respekt einzuflößen.

Der Kiaja war beim Erscheinen der sechs Skipetaren hinaus gegangen. Wir hörten, daß er zu den draußen versammelten Leuten sprach; seine Worte aber konnten wir nicht verstehen, da er mit gedämpfter Stimme redete. Das kam mir verdächtig vor. Wenn er gerechte Sache hatte, konnte er laut sprechen. Ich theilte dieses Bedenken dem Alten mit, welcher sich so freiwillig auf unsere Seite gestellt hatte, und er ging hinaus, um eine etwaige Aufreizung der Leute zu verhindern.

Indessen unternahm es Halef, Stojko das diesem geraubte Geld zurück zu geben. Letzterer erkannte es als das seinige an. Dann schnallte der Kleine den Panzer und den Damaszener ab, um auch diese nebst dem Handschar zurückzugeben. Stojko zögerte, sie zu nehmen. Nach einigen Augenblicken der Überlegung wendete er sich an mich:

»Effendi, ich habe eine Bitte, welche Du mir, wie ich hoffe, erfüllen wirst.«

»Wenn mir die Erfüllung möglich ist, bin ich gern bereit dazu.«

»Sie ist Dir sehr leicht möglich. Ihr habt mich gerettet. Ich weiß, daß ich ohne Euch eines bösen Todes gestorben wäre. Mein Herz ist deßhalb voll von Dank gegen Euch, und ich wünsche, Euch dies beweisen zu dürfen. Die Waffen, welche Dein Hadschi mir jetzt zurückgeben will, sind ein altes Erbstück meiner Familie. Derjenige, welcher sie tragen sollte, ist nun todt; ihr Anblick würde mich und die Meinen an seine Ermordung erinnern, und so möchte ich sie gern Dir als ein Zeichen meiner Dankbarkeit schenken. Leider aber ist der Panzer Dir zu klein; dem Hadschi paßt er ausgezeichnet, und so bitte ich Dich um die Erlaubniß, denselben ihm schenken zu dürfen – –«

Der Hadschi unterbrach ihn mit einem Ausruf des Entzückens. Stojko fuhr fort:

»Den Säbel und den Handschar aber sollst Du bekommen, denn ich wünsche, daß Du Dich beim Anblick derselben meiner erinnern mögest.«

Halef's Augen waren mit dem Ausdruck der größten Spannung auf mich gerichtet. Auf meine Antwort kam es an, ob er das reiche Geschenk annehmen durfte oder nicht. Ihm zu Liebe sagte ich:

»Was den Panzer betrifft, kann ich weder Ja noch Nein sagen. Er soll Halef's Eigenthum sein, und so hat er allein zu bestimmen, ob er diese werthvolle Gabe annehmen will oder nicht.«

»Sofort, sofort!« rief der Kleine, indem er augenblicklich den Panzer wieder umschnallte. »Wie wird Hanneh, die Blume der lieblichsten Frauen, staunen und sich freuen, wenn ich so silberfunkelnd bei ihr ankomme! Wenn sie mir entgegenblickt, wird sie meinen, ein Held aus den Erzählungen von Scheherezade oder der berühmte Feldherr Salah ed din nahe sich ihr. Die tapfersten Krieger des Stammes werden mich beneiden; ich werde die Bewunderung der jungen Frauen und Töchter besitzen, und die Matronen werden in die Lobgesänge der Kühnheit einstimmen, sobald sie mich erblicken. Die Feinde aber werden bei meinem Anblick von dannen fliehen vor Angst und Entsetzen, denn sie werden an dem glänzenden Panzer erkennen – mich, den unbezwinglichen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah!«

Halef hatte sich eben bei allen seinen reichen Erlebnissen und Erfahrungen ein wahrhaft kindliches Gemüth bewahrt. Trotz des pathetischen Tones, in welchem er seine Worte vorbrachte, wagte es Keiner, ihm mit einem Lächeln zu antworten. Stojko sagte vielmehr sehr höflich und achtungsvoll:

»Es freut mich außerordentlich, daß der Panzer Dir gefällt. Möge er derjenigen, welche Du die Lieblichste nennst, sagen, wie viel ich Dir zu verdanken habe! Hoffentlich wird auch der Effendi meine Gabe nicht verschmähen?«

»Von einer Verschmähung kann keine Rede sein,« antwortete ich. »Es ist mir nur deßhalb unmöglich, sie anzunehmen, weil sie zu kostbar ist. Du darfst Dich nicht eines Schatzes berauben, welchen Deine Ahnen heilig gehalten haben.«

Seine Miene verdüsterte sich. Ich wußte gar wohl, daß es eine fast todeswürdige Beleidigung ist, das Geschenk eines Skipetaren zurückzuweisen, glaubte aber, daß Stojko hier eine Ausnahme machen und sich nicht erzürnt zeigen werde. Doch klang seine Stimme beinahe heftig, als er fragte:

»Effendi, weißt Du, was ein Skipetar thut, wenn sein Geschenk zurückgewiesen wird?«

»Ich bin noch nicht in der Lage gewesen, es zu erfahren.«

»So will ich es Dir sagen. Er rächt diese Beleidigung, oder, wenn er dem Beleidiger Dankbarkeit schuldet, so daß er sich nicht rächen kann, so vernichtet er die Gabe, welche verachtet wird. Auf keinen Fall aber nimmt er sie zurück. Es würde die größte Undankbarkeit gegen Dich sein, wenn ich Dir zürnen wollte; denn Du hast mir das Leben erhalten und meinst es auch jetzt gut mit mir. Darum darf mein Zorn sich nur auf die Gegenstände erstrecken, welche Dein Mißfallen erregt haben. Sie sollen vernichtet werden.«

Er zog den Säbel aus der Scheide und bog die Klinge zusammen, enger und immer enger, so daß sie schließlich zerspringen mußte. Ich ergriff seine Hand, um ihn daran zu hindern, und rief:

»Mann, bist Du des Teufels! Es kann doch Dein Ernst nicht sein, diese unvergleichliche Klinge zerbrechen zu wollen! Du drohst es nur!«

»Ich drohe nicht. Ich gebe Dir vielmehr mein Wort, daß sie in Stücke gehen wird, wenn Du nicht schnell versprichst, sie von mir anzunehmen.«

Er befreite sich von meiner Hand und begann wieder, energisch zu biegen. Ich sah, daß es ihm wirklich ernst sei, und sagte darum:

»Halt ein! Ich nehme sie.«

»Und auch den Handschar?«

»Auch ihn.«

»So ist es gut. Stecke beide in Deinen Gürtel! Mögen sie Dir Schutz in Gefahr und Sieg im Kampf bringen! Jetzt aber wollen wir aufbrechen, bevor die Angehörigen des Schut erfahren, was vorgegangen ist.«

»Wenn Du meinst, daß sie es nicht wissen, so irrst Du Dich. Rugova ist so klein, daß diese Leute alles Geschehene wissen würden, selbst wenn es einen Andern als just ihn betroffen hätte. Jedenfalls haben sie ihre Vorbereitungen gut getroffen. Löst dem Schut die Fesseln von den Füßen, damit er gehen kann. Osco und Omar mögen ihn in ihre Mitte nehmen, und augenblicklich einen Jeden niederschießen, der es wagen sollte, die Hand zu seiner Befreiung auszustrecken.«

Die Fesseln wurden dem Perser abgenommen. Er bewegte sich nicht.

»Steh auf!« gebot Halef.

Der Gefangene that, als hätte er es nicht vernommen. Aber als ihm der Hadschi einen derben Peitschenhieb verabreichte, sprang er augenblicklich auf, warf dem Kleinen einen wüthenden Blick zu und schrie:

»Hund, das darfst Du wagen, weil ich an den Händen gebunden bin! Wäre das nicht der Fall, so würde ich Dich augenblicklich zermalmen. Aber noch ist die Sache nicht zu Ende. Ihr Alle werdet bald und gewiß erfahren, was es heißt, den Sch – – wollte sagen, Kara Nirwan zu beleidigen!«

»Sprich das Wort Schut immer aus,« antwortete ich, um ihn zu einem Bekenntniß zu reizen. »Wir wissen doch Alle, daß Du der Anführer der Räuber bist. Aus der Ferne hast Du Deine Hunde auf die Opfer gehetzt, Du aber bist stets im sichern Dunkel geblieben. Der Köhler mußte Dir die Leute in das Garn treiben, und nur durch Tücke und Hinterlist hast Du sie in die Falle gelockt. Der Räuber, welcher kühn und offen den Menschen überfällt, kann noch bewundert werden; Du aber bist ein Feigling, welchen man verachten muß. Du besitzest nicht eine Spur von Muth. Du wagst nicht, es einzugestehen, wer Du bist. Tfu haif 'alaik! Ein Hund sollte sich hüten, Dich anzubellen, denn das ist viel zu viel Ehre für Dich!«

Bei diesen Worten spuckte ich vor ihm aus. Das brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Er brüllte grimmig:

»Schweig'! Wenn Du sehen willst, ob ich feig bin oder nicht, so nimm meine Fesseln ab und kämpfe mit mir! Dann sollst Du erfahren, welch ein Wurm Du gegen mich bist!«

»Ja, in Worten bist Du tapfer, aber nicht in der That. Bist Du nicht vor uns geflohen, als Du uns im Schacht erblicktest?«

»Ihr waret in der Überzahl.«

»Ich habe ganz allein Deine Verbündeten besiegt, obgleich sie auch in der Überzahl waren. Und bist Du mir nicht entflohen, als ich – ich ganz allein – im Kahn mit Dir kämpfte? War das Muth von Dir? Und als wir dann mit einander das Ufer erreichten, warst Du da gefesselt? Hast Du mir gezeigt, daß ich ein Wurm gegen Dich bin, oder habe nicht ich Dich niedergeschlagen, wie einen Knaben? Rede ja nicht von Muth! Alle Deine Spießgesellen, die beiden Aladschy, der Miridit, Manach el Barscha, Barud el Amasat, der alte Mübarek, haben mir offen gezeigt, daß sie meine Feinde waren, daß sie Räuber und Mörder seien; Du allein hast nicht das Herz dazu. Du kannst nur drohen, weiter nichts. Du besitzest das Herz eines Hasen, welcher davon eilt, wenn er die Meute hört. Du bist ein Adschemi, ein Perser aus Nirwan. Ich kenne diesen Ort, denn ich bin dort gewesen. Die Nirwani fressen Krötenfleisch und werden dann, wenn sie davon fett geworden sind, von den Läusen verzehrt. Kommt ein Nirwani nach einem andern persischen Ort, so rufen die Bewohner desselben: ›Tufu Nirwanost! Nirwanan dschabandaranend; ora bazad – pfui, Einer aus Nirwan! Die Nirwani sind Feiglinge; speit ihn an!‹ Grad so muß man auch von Dir und zu Dir sagen, denn Du hast nicht das Herz, zu gestehen, wer Du bist. Deine Eingeweide zittern vor Angst, und Deine Knie schlottern vor Schwäche, daß ein Wort des Zorns Dich umblasen könnte!«

Solche Beleidigungen waren ihm noch nicht in das Gesicht geschleudert worden. Er zitterte wirklich, aber nicht vor Angst, sondern vor Grimm. Dann that er einen Sprung auf mich zu, stieß mit dem Fuß nach mir und antwortete in demselben persischen Dialekt, dessen ich mich bedient hatte:

»Gur, dzabaz, bisaman, dihdschet efza, gatar biz, gar riz – Schurke, Bube, Dummkopf, Du bist zum Lachen! Du verbreitest Gestank und streust die Krätze umher! Kein Mensch sollte mit Dir sprechen. Deine Rede ist Tollheit, und Deine Worte sind Lügen. Du nennst mich feig? Wohlan, so will ich Dir zeigen, daß ich mich nicht fürchte.«

Und zu den Andern gewendet, fuhr er in türkischer Sprache fort:

»Ihr sollt mich nicht für einen Feigling halten. Ich will Euch sagen, daß ich der Schut bin. Ja, ich habe diese drei Männer in dem Schacht eingeschlossen, um mir viel Geld von ihnen geben zu lassen und sie dann zu tödten. Aber wehe und dreifach wehe über Jeden, der es wagt, mir ein Haar zu krümmen! Meine Leute zählen nach Hunderten und werden Alles, was mir geschieht, entsetzlich rächen. Dieser Hund aus Germanistan wird zuerst meiner Rache verfallen; er wird an der Räude verenden und noch demjenigen danken, der ihn mit einem Knüppel von seinen Qualen erlöst. Kommt herbei und bindet mir die Hände los! Ich werde es Euch reich lohnen, und dann soll – –«

Er kam nicht weiter, denn Halef trat an ihn heran, gab ihm eine Ohrfeige, daß er taumelte, und rief ihm zu:

»Das ist für den Hund und für die Räude, und wenn Du noch ein einziges Wort sagst, Sefil bodur, so haue ich Dich mit der Peitsche, daß Deine Knochen meilenweit umherfliegen! Schafft ihn fort, den Schurken! Ich werde mit der Peitsche hinter ihm hergehen, und für jeden Laut, welchen er ohne Erlaubniß des Effendi hören läßt, fährt ihm ein Hieb in's Fleisch!«

Das war sehr ernstlich gemeint, und ich hatte auch gar nichts dagegen. In der Lage, in welcher der Perser sich befand, war es eine unsägliche Frechheit, sich solcher Reden zu bedienen. Die Hauptsache war freilich, daß ich meinen Zweck erreicht hatte: – er hatte eingestanden, daß er der Schut sei. Nun durfte ihn Niemand mehr in Schutz nehmen, wenigstens nicht in offener Weise.

Er war vom Boden aufgetsenden, biß sich in die Lippen, wagte aber nicht, wieder zu sprechen. Der Goldfuchs wurde für Stojko geholt. Galingré erklärte, daß er versuchen wolle, mit uns zu gehen.


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