Karl May
Der Schut
Karl May

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In der Teufelsschlucht

Ein wunderbar schöner Herbstmorgen war es, frisch und duftig, und wir ritten zunächst zwischen sanften Höhen dahin, daß man denken konnte, man befände sich im Thüringer Wald. Aber hinter diesen Bergen ragten schroffe Felsenmassen empor, finster wie drohende Giganten, und nach Verlauf einer Stunde war es ganz so, als ob wir uns durch die Schluchten der Pyrenäen bewegten.

Einen freien Ausblick gab es gar nicht. Der dunkle Wald hatte uns umfangen; er war fast als Urwald zu betrachten, aber was für ein Urwald!

Es gibt mehrere Arten des Urwaldes. Der unberührte Wald der Tropen, der dichte, nach Moder duftende Wald Litauen's, der hehre, lichte Urwald des amerikanischen Westens, die natürlichen, gradlinigen und wie vom Gärtner angelegten Parks von Texas, sie sind alle sehr verschieden von einander. Dieser Wald des Schar Dagh war mit keinem der genannten Urwälder zu vergleichen. Man dachte unwillkürlich an untergangene Culturen, über welche nun der Tod seine Waldesschatten wirft.

Nach vielleicht drei Stunden senkte sich der Boden steil abwärts, und wir hatten ein breites Querthal zu durchschneiden, dessen anderer Rand fast senkrecht emporstieg.

Das war eine wahre Felsenmauer, scheinbar ununterbrochen sich stundenweit von Nord nach Süd ziehend. In Rissen und auf Vorsprüngen hatten gewaltige Fichten und Tannen Raum für ihre Wurzeln gefunden, und ganz hoch oben auf der Zinne dieser Mauer lag der dunkle Forst wie eine nur handbreit hohe schwarze Leiste.

Die Sohle dieses Thales aber war mit dem herrlichsten Gras bewachsen, so daß ich vorschlug, wenigstens eine Viertelstunde hier zu rasten, damit die Pferde in diesem Grün ein Weilchen schwelgen könnten.

Unser Führer erklärte sich schnell einverstanden und sprang sogleich vom Pferd. Durch diesen Aufenthalt mußte sich ja der Vorsprung, welchen der Kohlenhändler haben wollte, vergrößern. Der gute Mann dachte nicht, daß ich mehr noch um dieses Junak als um des Grases willen hier aus dem Sattel stieg.

Es gab da einen ziemlich bedeutenden Bach. Nur einzelnes dünnes Gesträuch stand an seinem Ufer. Gleich als wir unter den Bäumen des diesseitigen Thalrandes hervorgekommen waren und nun die freie Thalsohle vor uns hatten, sah ich eine Linie, welche grad von dem Punkt, an welchem wir uns befanden, quer durch das Gras nach dem Ufer führte.

Diese Linie war jedenfalls die Fährte des Kohlenhändlers. Er hatte uns also doch für so dumm gehalten, daß diese Spur nicht unsern Verdacht zu erregen vermöchte.

Das Wasser stand von gestern her noch ziemlich hoch in dem Bett, welches eine muldenförmige Gestalt haben mußte, da die Ufer nicht tief zu sein, sondern flach zu verlaufen schienen. Der Rasen war weich, und darum vermuthete ich, wenigstens dort am Wasser einen deutlichen Fußabdruck zu finden.

Der Konakdschi beachtete diese Fährte gar nicht. Er setzte sich nieder, zog seinen alten, weithin stinkenden Tschibuk hervor, stopfte ihn und setzte den Tabak in Brand. Aber was für Tabak! Dieses Kraut war nichts weniger als das schnell verduftende Kraut von Latakia. Dem Geruch nach schien es aus Kartoffel- und Gurkenschalen und abgeschnittenen Fingernägeln zu bestehen. Denke man sich dazu einen Menschen, der sich durch das Waschen zu erkälten fürchtet, und eine Nacht in der durchräucherten Bude Junak's und auf dem verpesteten Sterbelager des Mübarek zugebracht hat, so wird man es sehr erklärlich finden, daß ich mich nicht an seiner Seite niederließ.

»Halef,« – fragte ich so laut, daß der Konakdschi es hörte, – »was ist das wohl für ein Strich, welcher hier durch das Gras geht?«

»Das ist eine Fährte, Sihdi,« antwortete der Gefragte, stolz darauf, die von mir erworbenen Kenntnisse auskramen zu dürfen.

»Von einem Thier oder von einem Menschen?«

»Um das entscheiden zu können, muß ich sie mir genau betrachten.«

Er ging, die Augen scharf auf die Fährte gerichtet, mehrere Schritte auf derselben fort und sagte dann kopfschüttelnd:

»Effendi, das kann ein Mensch, aber auch ein Thier gewesen sein.«

»So! Um das zu wissen, braucht man sie gar nicht anzusehen. Natürlich ist es ein Mensch oder ein Thier gewesen. Oder ist es etwa möglich, daß zum Beispiel der Palast des Großherrn in Konstantinopel hier spazieren gegangen ist?«

»Willst Du meiner spotten? Ich wette, daß es auch Dir unmöglich ist, zu bestimmen, wer es gewesen ist. Komm selbst her!«

»Um das zu bestimmen, brauche ich gar nicht hinzukommen. Hier ist ein Mensch barfuß gegangen.«

»Wie willst Du das beweisen?«

»Sehr leicht. Kann diese Fährte von einem vierbeinigen Geschöpf getreten sein?«

»Allerdings nicht.«

»Also ist's ein Mensch oder ein zweibeiniges Thier, ein Vogel gewesen. War dieser Vogel groß oder klein?«

»Groß natürlich.«

»Welches ist der größte Vogel, welcher hier gegangen sein könnte?«

»Das würde der Lejlek sein.«

»Richtig! Der Lejlek aber geht langsam und bedächtig. Er hebt ein Bein nach dem andern hoch auf und macht gravitätische Schritte. Man müßte die einzelnen Schritte erkennen. Ist dies hier der Fall?«

»Nein. Derjenige, welcher hier ging, hat keine Stapfen gemacht, sondern mit jedem Bein eine immerwährende Linie durch das Gras gezogen.«

»Ganz recht. Die Fährte besteht nicht aus einzelnen Fußeindrücken, sondern aus einer ununterbrochenen Doppellinie. Die Beine des Storches sind höchstens fingerdick; diese Linien aber sind breiter als die Spanne einer Menschenhand. Ist es also möglich, daß selbst der größte hiesige Vogel, der Storch, hier gegangen sein kann?«

»Nein, Sihdi, es ist gewiß ein Mensch gewesen.«

»Nun weiter! Du selbst behauptest, keine Fußeindrücke gesehen zu haben. Je älter die Fährte ist, desto vertrockneter muß das abgeknickte und niedergetretene Gras sein. Es ist aber kein einzelner Halm auch nur welk geworden. Was ist daraus zu schließen?«

»Daß die Fährte noch sehr jung ist.«

»Gewiß. Man müßte also unbedingt die Fußeindrücke sehen. Woran liegt es wohl, daß man sie dennoch nicht sieht?«

»Das kann ich leider nicht sagen.«

»Nun, das liegt theils an der Schnelligkeit, mit welcher dieser Mann gegangen ist, und anderntheils an der Weichheit seines Fußes. Er hat Eile gehabt und ist mehr mit den Zehen als mit der Ferse aufgetreten. Stiefel und Schuhe haben harte Sohlen, welche eine scharfe Fährte machen. Da diese Schärfe fehlt, so hat der Mann keine Fußbekleidung getragen; er ist barfuß gewesen. Willst Du das nun einsehen?«

»Wenn Du es in dieser Weise erklärst, muß ich Dir Recht geben.«

»Jawohl habe ich Recht. Wer mag nun wohl dieser eilige und barfüßige Mann gewesen sein? Konakdschi, ist dieser Wald bewohnt?«

»Nein, kein Mensch wohnt da,« antwortete der Gefragte.

»So vermuthe ich, daß der Kohlenhändler Junak eine ganz falsche Richtung eingeschlagen hat. Er wird aus Versehen nicht nach Glogovik, sondern nach dem Scheïtan kajaji, nach dem Teufelsfelsen kommen.«

»Herr, was denkst Du! Ein solcher Irrthum kann bei ihm gar nicht vorkommen.«

»Nun, so that er es mit Absicht. Er hat unterwegs geglaubt, sein Salz an einem andern Ort kaufen zu können.«

»Ganz gewiß nicht. Wäret Ihr nicht im Schlaf gewesen, so hättet Ihr ihn fortgehen sehen.«

»Nun, Hadschi Halef Omar hat mir gesagt, daß während der Nacht ein Mann aus dem Hause getreten und hinter demselben verschwunden sei. Nach welcher Richtung er sich aber gewendet habe, das hat Halef nicht unterscheiden können.«

»Das wird freilich Junak gewesen sein, denn er ging, als es noch dunkel war, um nicht spät am Tage zurück zu kehren.«

»So hat er in der Dunkelheit sich geirrt und ist anstatt nach links nach rechts gegangen. Vielleicht ist das mit Absicht geschehen, und da ich aus der Spur erkenne, daß er große Eile gehabt hat, so mag er wohl den Wunsch hegen, unser Kommen bei dem Köhler sobald wie möglich anzumelden.«

»Du machst Dir da ganz sonderbare Gedanken, Effendi,« sagte der Konakdschi in großer Verlegenheit. »Was geht es Junak an, daß wir bei dem Köhler ausruhen wollen?«

»Ich begreife es freilich auch nicht.«

»So wirst Du zugestehen, daß er es unmöglich gewesen sein kann.«

»Ich behaupte ganz im Gegentheil, daß er es war. Ich werde es Dir sogar beweisen.«

»Das ist unmöglich. Etwa aus den Spuren?«

»Ja.«

»Die können Dir, wie ich zu meinem Erstaunen gesehen habe, wohl sagen, daß ein Mensch hier gegangen sei, nicht aber, wer dieser Mensch gewesen ist.«

»Sie sagen es mir sogar sehr deutlich. Erhebe Dich und komm einmal mit.«

Ich schritt nach dem Ufer des Flüßchens, und die Andern folgten. Da, wo der Mann in das Wasser gegangen war, hatte er langsam und vorsichtig mit den Füßen getastet. Der Grund des Wassers war am Ufer weich; man sah weder Sand noch Steine auf demselben. Desto deutlicher aber erkannte man die Spuren der Füße in dem klaren, hier kaum anderthalb Fuß tiefen Wasser.

»Sieh her, Konakdschi!« sagte ich. »Erblickst Du die deutlichen Fußtapfen unter dem Wasser?«

»Ja, Effendi. Und ich sehe auch, daß Du ganz richtig vermuthet hast: der Mann ist barfuß gewesen.«

»Vergleiche doch einmal die Spuren der beiden Füße mit einander. Findest Du keinen Unterschied?«

»Nein.«

»Nun, glücklicher Weise haben sich die Zehen scharf eingetreten. Vergleiche nochmals! Zähle sie!«

Er bückte sich nieder, wohl aber nicht, um zu zählen, sondern um sein Gesicht nicht sehen zu lassen. Er befand sich in bedeutender Verlegenheit.

»Was sehe ich!« rief der Hadschi. »Dieser Mann hat am linken Fuße nur vier Zehen gehabt! Sihdi, es ist Junak gewesen und kein Anderer.«

Der Führer hatte seine Verlegenheit bemeistert und erhob sich wieder, indem er sagte:

»Kann nicht auch ein Anderer eine Zehe verloren haben?«

»Gewiß,« antwortete ich, »aber ein sehr eigenthümlicher Zufall müßte es doch genannt werden. Welche Absicht verfolgt dieser Junak damit, daß er uns täuscht?«

»Er ist es ja gar nicht!«

»Nun, um seinetwillen will ich das hoffen. Wenn er etwa irgend eine Hinterlist plant, so wird er Salpeter anstatt des Salzes bekommen, vielleicht auch noch Schwefel und Holzkohle dazu. Weißt Du, was das bedeutet?«

»Ja, aber ich verstehe Dich dennoch nicht. Aus diesen drei Stoffen wird Barut gemacht. Meinst Du das?«

»Gewiß, und wenn sich dabei ganz zufälliger Weise noch ein rundes Stück Blei befindet, so kann es sich sehr leicht ereignen, daß er, der jedenfalls nach dem Teufelsfelsen will, auch wirklich in die Hölle fährt. Ist dieses Wasser tief?«

»Nein. Die Pferde brauchen nicht zu schwimmen. Man kann ganz gut mit aufgestreiften Hosen hindurch. Wollen wir wieder aufbrechen?«

»Ja; es ist bereits mehr als eine Viertelstunde vergangen. Wohin führt dann jenseits des Wassers der Weg?«

»Siehst Du den dunklen, senkrechten Strich, welcher sich da drüben in der Felswand befindet?«

»Ja.«

»Das ist die Öffnung einer schmalen Schlucht. Sie wird die Teufelsschlucht genannt, weil sie zum Teufelsfelsen führt. Da hinein reiten wir.«

»Und wie lange dauert es, bevor wir zu dem Felsen kommen?«

»Mehr als eine halbe Stunde. Du wirst staunen über die Felsenmassen, welche sich zu beiden Seiten der Schlucht befinden. In dieser engen Spalte kommt man sich vor, wie ein kleiner Wurm zwischen himmelhohen Mauern.«

»Und führt denn kein anderer Weg nach West?«

»Nein, es gibt nur diesen einen.«

»So sind wir gezwungen, ihm zu folgen. Vorher aber will ich doch einmal versuchen, die Spuren derjenigen zu finden, welchen wir nachreiten. Im Gras sind sie nicht mehr vorhanden, weil es sich seit gestern wieder aufgerichtet hat; aber im seichten Flußwasser sind sie vielleicht noch zu erkennen.«

Meine Vermuthung hatte mich nicht getäuscht. Nur wenig weiter aufwärts waren die fünf Pferde in das Wasser gegangen. Ein weiteres Suchen hatte keinen Zweck, und so durchkreuzten wir denn das Flüßchen und hielten dann auf den Eingang der Schlucht zu.

Er hatte nur diejenige Breite, welche zwei Reitern gestattete, sich neben einander zu halten. Später traten die Felswände weiter zurück.

Das war eine erschreckliche compacte Felsenmasse, ein ungeheurer, mehrere hundert Fuß hoher Würfel plutonischen Gesteines, in welchen eine unterirdische Gewalt diesen Spalt mitten hindurch gerissen hatte. Wenn man emporblickte, schien es, als ob die Wände sich mit ihren oberen Rändern vereinigten. Es war weder rechts, noch links unmöglich, an ihnen empor zu kommen. Sie waren nakt, und nur hier und da gab es eine Stelle, an welcher ein Strauch oder ein einzelner Baum ein Plätzchen für die Bedürfnisse seines Fortkommens gefunden hatte.

»Glaubst Du nun, daß der Scheïtan diesen Riß mit seiner Faust geschlagen hat?« fragte unser Führer.

»Ja, es ist ein höllischer Weg. Man möchte sich zusammenducken, wie ein kleines Insekt, über welchem der hungrige Vogel schwebt. Rasch vorwärts!«

Der Konakdschi hatte sich bisher in unserer Mitte gehalten. Jetzt strebte er, voran zu kommen. Um diesen Zweck zu erreichen, drängte er sich an Halef und Osco vorüber, welche vor uns ritten.

Dies ließ mich vermuthen, daß wir uns der Stelle näherten, welche für uns verhängnißvoll werden sollte. Er wollte der Vorderste sein, um sein beabsichtigtes Manöver mit dem Pferd ausführen zu können.

Und plötzlich kam uns ein helles Wasser entgegen, ganz seicht und schmal, welches hart an der Seite des Weges floß und in einem Loch der Felsenwand verschwand. Und zugleich bemerkten wir, daß oben die Wände noch weiter aus einander rückten. Uns zur Linken wich der Fels um eine ziemlich breite Stufe zurück, welche mit Busch und Baum bewachsen war; aber hinaufkommen konnte man hier unmöglich. Diese Stufe hatte ungefähr die Höhe von fünfzig Fuß, und der Kohlenhändler hatte gesagt, daß man fünfzig bis sechzig Schritt im Wasser hinaufzusteigen habe. Dieser Felsenabsatz war also jedenfalls gemeint gewesen.

Ich hatte bereits vor unserm Aufbruch, als wir die Pferde sattelten, den Gefährten gesagt, wie sie sich verhalten sollten. Auch sie merkten dem Terrain an, daß wir uns in der Nähe der betreffenden Stelle befanden. Sie warfen mir heimlich fragende Blicke zu, und ich nickte zustimmend.

Das kleine Bergwässerchen floß uns still entgegen; bald aber hörten wir lautes Plätschern. Wir erreichten die Stelle, an welcher es aus der Höhe kam. Es hatte eine Ader weicheren Gesteines tief ausgefressen und einen Ritz gebildet, in welchem es von Stufe zu Stufe herunter rieselte.

Das war die richtige Stelle. Der aus- und herabgespülte feine Steingrus hatte sich zu beiden Seiten angehäuft und mit der Zeit die Eigenschaft erhalten, Pflanzen zu ernähren. Da gab es allerlei Kräuter und Stauden, welche die Kühle und das Wasser lieben, auch Farn, an welchen diese Gegend überhaupt sehr reich zu sein schien. Ungefähr in doppelter Reiterhöhe war eine dieser Farnstauden halb ausgerissen worden. Ich hielt mein Pferd an und blickte hinauf.

»Kommt doch!« forderte uns der Konakdschi auf, da auch die Gefährten gehalten hatten.

»Warte einen Augenblick!« sagte ich. »Komm einmal zurück! Ich möchte Dir etwas Überraschendes zeigen.«

Er kam herbei.

»Du mußt absteigen,« forderte ich ihn auf, indem ich den Sattel verließ.

»Warum?«

»Du kannst es dann besser sehen.«

»Aber wir versäumen unsere Zeit!«

»Du hast es ja heute noch niemals so nothwendig gehabt. Das scheint ein sehr geheimnißvolles Wasser zu sein.«

»Wie so?« fragte er neugierig und ahnungslos.

Ich stand am Fuß der kleinen Cascade und betrachtete die unteren Stufen derselben. Er sprang ab und trat zu mir. Auch die Andern stiegen von den Pferden.

»Sieh Dir da oben dieses Farnkraut an! Fällt es Dir nicht auf, daß es ausgerissen ist?«

»Nein, gar nicht.«

»Ich meine, es ist Jemand da hinauf gestiegen, hat sich dabei an der Pflanze festhalten wollen und sie aus der Erde gezogen.«

»Der Sturm wird es gewesen sein.«

»Der Sturm? Hier, wo wir uns wie im Innern der Erde befinden, hat es niemals Sturm oder auch nur Wind gegeben. Nein, es ist ein Mensch gewesen.«

»Was geht uns das an?«

»Sehr viel sogar, denn es war ein Bekannter von uns.«

»Unmöglich! Wer denn?«

»Junak.«

Er verfärbte sich, als ich diesen Namen nannte.

»Effendi, was hast Du nur mit Junak? Er ist ja nach Glogovik!«

»Nein, er ist da oben. Hier unten, wo das Wasser den Weg erreicht, hat sich der Spülsand angehäuft. Dieser Junak ist ein sehr unvorsichtiger Bursche. Wenn er uns wissen läßt, daß er nach Glogovik gegangen sei, darf er doch nicht so dumm sein, mit seinen nackten Füßen diesen Sand zu berühren. Er weiß ja, daß ich heute Nacht die fehlende Zehe vermißt habe, und hier siehst Du ganz den nämlichen vierzehigen Fußtapfen wie vorhin da unten am Ufer des Baches. Er ist da hinauf. Was will er oben?«

»Effendi, er ist es nicht!« versicherte der Führer in ängstlichem Ton. »Reiten wir weiter!«

»Erst muß ich mich überzeugen, wer Recht hat, Du oder ich. Ich werde da hinaufsteigen, um mir den Mann einmal zu betrachten.«

»Herr, Du kannst stürzen und dabei Hals und Beine brechen.«

»Ich klettere sehr gut, und der Hadschi wird mich begleiten. Ich hoffe, es glücklich zu überstehen. Viel gefährlicher erscheint es mir, weiter zu reiten.«

»Warum?«

»Nun, ich vermuthe, daß da oben sich Leute befinden, Leute mit Czakans und Schleudern. Das ist gefährlich.«

»Allah!« rief er erschrocken.

»Und da vor uns krümmt sich der Weg und – –«

»Wie kannst Du das wissen? Man sieht es doch noch gar nicht!«

»Ich vermuthe es. Eine solche Stelle ist für Jeden gefährlich, welcher unten daherreitet, während man oben auf ihn lauert. Daher werde ich jetzt hinaufsteigen, um Umschau zu halten.«

Er war aschfahl geworden und sprach beinahe stammelnd:

»Ich kann Deine Gedanken wirklich nicht begreifen!«

»Sie sind sehr leicht zu erklären. Und damit Du mir keinen Strich durch meine Rechnung machst, ersuche ich Dich, von diesem Augenblick an nur ganz leise zu sprechen.«

»Herr!« fuhr er auf, seiner Angst den Ausdruck des Zornes gebend.

»Bemühe Dich nicht! Wir haben vor Dir keine Angst, denn Du hast keine Waffen mehr.«

Mit einem raschen Griff hatte ich ihm Pistole und Messer aus dem Gürtel gezogen. Sein Gewehr hing am Sattel. Und zugleich packten Osco und Omar ihn so fest von hinten, daß er sich nicht rühren konnte. Er wollte schreien, unterließ es aber, denn ich setzte ihm sein eigenes Messer auf die Brust und drohte:

»Sage ein einziges lautes Wort, so ersteche ich Dich! Dir soll nicht das Mindeste geschehen, wenn Du Dich still verhältst. Du weißt, daß ich Dir nicht traue. Fügst Du Dich jetzt in unseren Willen, so wird vielleicht unser Mißtrauen schwinden. Wir werden Dich binden, und Osco und Omar halten Wache bei Dir, bis ich mit Halef zurückkehre. Dann wird sich finden, was mit Dir geschieht. Wirst Du laut, so erstechen sie Dich; gehorchst Du aber, so erhältst Du Deine Waffen zurück und wirst unser Begleiter sein, wie vorher.«

Er wollte Einspruch erheben, aber sogleich saß ihm Osco's Messerspitze wieder auf der Brust. Das brachte ihn zum Schweigen. Er wurde gebunden und mußte sich niedersetzen.

»Ihr wißt, was Ihr zu thun habt,« sagte ich zu den beiden Zurückbleibenden. »Achtet darauf, daß die Pferde sich ruhig verhalten. Der Weg ist so eng, daß Ihr ihn gut vertheidigen könnt. Kein Mensch darf ohne Euern Willen vorüber. Und sollte ja etwas Unvorhergesehenes geschehen, so werden wir beim ersten Eurer Schüsse herbei eilen. Wenn aber Ihr uns schießen hört, so bleibt Ihr ruhig unten, denn Ihr habt für uns nichts zu befürchten.«

Es war ein unendlich grimmiger Blick, den der Konakdschi mir zuwarf, als ich jetzt mich anschickte, emporzusteigen. Halef folgte.

Etwas anstrengend war der Weg, aber gar nicht gefährlich. Das Wässerchen war ganz seicht, und die ausgewaschenen Stufen hatten eine so geringe Höhe und folgten einander so schnell, daß man wie auf einer nur ein wenig schlüpfrigen Treppe emporstieg.

Junak hatte Recht: fünfzig bis sechzig Schritte hatten wir gethan, als wir oben anlangten. Die Felsenstufe, auf welcher wir uns jetzt befanden, hatte hier eine Breite von wenig über hundert Schritte. Die Fläche war verwittert und trug einen nach und nach angesammelten Humusboden von beträchtlicher Tiefe. Da standen Laub- und Nadelbäume und dazwischen allerlei Buschwerk so dicht, wie wir es uns nur wünschen konnten. Es wurde dadurch möglich, anzuschleichen, ohne daß wir bemerkt werden konnten.

»Was nun?« flüsterte Halef.

»Wir schleichen vorwärts. Junak sagte, daß man auf dieser Felsenstufe ungefähr hundertfünfzig Schritte zu gehen habe, um an die Krümmung zu gelangen. Dort befinden sie sich ganz sicher. Dennoch wollen wir schon hier jede mögliche Vorsicht anwenden. Halte Du Dich stets hinter mir!«

»Es ist möglich, daß Einer hier vorn postirt ist, um unser Nahen zu beobachten.«

»In diesem Fall säße er sicher ganz vorn an der Felsenkante. Wenn wir uns weiter links, also rückwärts von ihm halten, kann er uns weder sehen, noch hören. Sollte dennoch zufällig Einer auf uns treffen, so machen wir ihn mit den Händen unschädlich, indem wir möglichst jedes Geräusch vermeiden. Ich habe zu diesem Zweck einige Riemen eingesteckt.«

»Du weißt, daß auch ich stets solche bei mir habe; sie sind oft schnell von Nöthen.«

»Nur wenn wir es mit Mehreren zu thun bekommen, greifen wir nach den Gewehren. Ich werde nur nothgedrungen schießen, und selbst dann wollen wir nicht tödten. Ein Schuß in das Knie wirft den grimmigsten Feind zu Boden. Also vorwärts!«

Wir huschten voran und gaben uns Mühe, wenig Zweige zu berühren. Es war unsere Absicht, uns mehr links zu halten, aber wir waren noch nicht sehr weit gekommen, so hörten wir rechts von uns ein Geräusch, welches uns zum Stehen brachte.

»Was mag das sein?« flüsterte Halef.

»Da wetzt Einer sein Messer auf dem Stein. Welch eine Unvorsichtigkeit von ihm!«

»Er ahnt ja nicht, daß wir auf den Gedanken kommen können, hier herauf zu steigen. Gehen wir vorüber?«

»Nein. Wir müssen wissen, wer es ist. Lege Dich auf die Erde. Wir dürfen jetzt nur kriechen.«

Wir schoben uns der Stelle entgegen, von welcher wir das Wetzen vernommen hatten, und gelangten bald in die Nähe der Felsenkante. Dort saß – – Suef, der Spion, auf Posten und wetzte sein Messer mit einem Eifer an dem scharfen Gestein, als würde ihm diese Arbeit mit silbernen Piastern bezahlt. Er hatte uns den Rücken zugekehrt.

Jedenfalls sollte er nach uns ausschauen; aber er hatte just diejenige Stelle gewählt, von welcher aus er uns erst dann bemerken konnte, wenn wir uns fast unter ihm befanden. Freilich, wären wir nur wenige Schritte weiter geritten, so hätte er uns gesehen.

»Was thun?« fragte Halef. »Lassen wir ihn ruhig sitzen?«

»O nein! Hier steht Moos am Boden. Nimm eine gute Handvoll! Ich werde ihn hinten so beim Genick fassen, daß er den Mund aufsperren muß, ohne schreien zu können. Dann steckst Du ihm das Moos hinein. Ich krieche voran. Sobald ich bis auf Manneslänge zu ihm gekommen bin, kannst Du Dich erheben und auf ihn losspringen.«

Langsam und leise krochen wir unter den Büschen auf Suef zu. Gar nicht weit hinter ihm stand ein Baum, welchen ich als Deckung nahm, so daß der Stamm desselben sich genau zwischen mir und ihm befand.

Jetzt erreichte ich den Baum. Noch zwei Sekunden, und ich war dem Späher so weit, wie erwähnt, nahe gekommen. Hinter mir richtete sich Halef auf, zum Sprung bereit. Aber der Kleine war ein Wüstensohn, nicht ein Indianer: er trat auf einen herab gefallenen, dürren Zweig – dieser knackte, und Suef fuhr mit dem Gesicht nach uns herum.

Kein Maler vermag es, den Ausdruck des starren Entsetzens wiederzugeben, welchen die Züge des Spiones annahmen, als er uns erblickte. Er wollte schreien, aber er hätte wohl keinen Ton hervorgebracht, auch wenn ihm von mir die Zeit dazu gelassen worden. Ich hatte mich augenblicklich zu ihm hingeschnellt und ihm die beiden Hände um den Hals gelegt. Er strampelte mit den Armen und Beinen und öffnete den Mund weit, um nach Luft zu schnappen. Im Nu war Halef da und steckte ihm das Moos zwischen die Zähne. Ich hielt noch eine Weile fest. Die Bewegungen ließen nach, und als ich nun die Hände von ihm nahm, war er besinnungslos.

Ich hob ihn auf und trug ihn fort, zwischen die Büsche hinein. Sein Messer war ihm entfallen, die Flinte hatte neben ihm gelegen. Wo er sie her hatte, wußte ich nicht. Halef brachte Beides nach.

Wir lehnten ihn sitzend an einen Baumstamm und banden ihn so an denselben, daß dieser von seinen nach rückwärts gebogenen Armen umfangen wurde. Dann banden wir ihm noch den mehrfach zusammengelegten Zipfel seines Gewandes auf den Mund, damit es ihm unmöglich wäre, das Moos mit der Zunge heraus zu stoßen. Wir mußten ihm das Schreien verleiden.

»So!« kicherte Halef leise. »Der ist sehr gut versorgt. Was nun weiter, Sihdi?«

»Wir setzen unsern bisherigen Weg fort. Horch!«

Es klang wie Schritte. Und wirklich, wir hörten Jemand kommen. Der Betreffende schien sich der Stelle zu nähern, an welcher Suef gesessen hatte.

»Wer mag es sein?« raunte mir der Hadschi zu. Seine Augen funkelten vor Kampfeslust.

»Keine Übereilung!« gebot ich.

Ich wand mich zwischen den Büschen hindurch und erblickte Bybar. Seine Riesengestalt stand neben dem Baum, welchen ich vorhin als Deckung benutzt hatte. Ich konnte sein Gesicht deutlich sehen. Er schien erstaunt zu sein, Suef nicht zu finden, und schritt langsam weiter.

»Wetter noch einmal!« flüsterte ich. »Noch zehn oder zwölf Schritte, so sieht er unsere Gefährten, falls er hinabblickt, und das wird er ganz sicher thun. Komm ganz leise nach!«

Es galt, mich schnell von hinten an den Aladschy zu machen, und es gelang mir zur rechten Zeit. Sein Blick fiel hinunter auf den Weg. Er sah die Drei, welche unten auf uns warteten, und er trat schnell mehrere Schritte zurück, um ja nicht von ihnen gesehen zu werden.

Er hatte sich dabei nicht umgedreht und durch dieses Zurückweichen die Entfernung zwischen sich und mir auf eine für mich so günstige Weise verringert, daß ich nach ihm fassen konnte. Ihn mit der Linken beim Genick nehmen und ihm zugleich mit der geballten Rechten einen Hieb gegen die Schläfe versetzen, das war das Werk eines Augenblicks. Er brach zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Und da stand auch bereits Halef bei mir.

»Auch binden?« fragte er.

»Ja, aber jetzt noch nicht. Faß an, er ist schwer.«

Wir trugen den Riesen in die Nähe des Schneiders und banden ihn ebenso wie jenen an einen Baum. Sein Mund war nicht ganz geschlossen. Ich öffnete ihn erst mit der Klinge, dann mit dem Heft meines Messers. Wir banden ihm den Gürtel ab und befestigten ihm denselben als Knebel in den Mund. Weil er sehr stark war, bedurfte er doppelter Bande, so daß unsere Riemen nun alle verbraucht waren. Das Lasso durfte ich nicht verwenden, falls uns noch Einer in die Hände lief, der gebunden werden mußte; er konnte mir dann sehr leicht in Verlust gerathen. Die Pistolen und das Messer, welche sich in Bybar's Gürtel befunden hatten, legten wir zu Suef's Waffen.

»Nun sind nur noch Drei übrig,« sagte Halef, »der andre Aladschy, Manach el Barscha und Barud el Amasat.«

»Vergiß den Kohlenhändler nicht, der auch hier oben ist.«

»Den Halunken rechne ich nicht. Was sind diese Vier gegen uns Zwei! Wollen wir nicht ganz offen zu ihnen gehen und ihnen die Gewehre abnehmen, Sihdi?«

»Das wäre zu verwegen.«

»Nun, weßhalb sind wir denn herauf gestiegen?«

»Einen bestimmten Plan hatte ich dabei nicht. Ich wollte sie beschleichen. Was dann zu thun war, mußte sich finden.«

»Nun, es hat sich gefunden. Zwei sind bereits unschädlich. Aus den Andern machen wir uns ja nichts.«

»Ich mache mir sehr viel aus ihnen. Ja, wenn wir den Bruder des Aladschy noch hätten, dann wollten wir mit den übrigen Drei schnell fertig werden.«

»Hm! Wenn er auch käme!«

»Das wäre Zufall.«

»Oder – Sihdi, ich habe einen Gedanken. Ist es nicht möglich, ihn herbei zu locken?«

»Auf welche Weise?«

»Könnte nicht dieser Bybar ihn rufen?«

»Dieser Gedanke ist nicht ganz übel. Ich habe mehrere Stunden lang mit den Aladschy gesprochen und kenne ihre Stimmen. Bybar's Stimme ist etwas heiser, und ich getraue mir, sie leidlich nachzuahmen.«

»So thue es, Sihdi!«

»Dann müßten wir einen Platz haben, auf welchem er vorüber muß, ohne uns zu sehen.«

»Ein solcher Platz wird sich leicht finden lassen, irgend ein Busch oder Baum.«

»Ja, aber ob es mir auch dieses Mal so gut gelingt, ihn zu betäuben?«

»So haue doch mit dem Kolben zu!«

»Hm! Das läßt sich nicht so abmessen. Ich könnte ihn erschlagen.«

»Schade wäre es nicht um ihn. Übrigens haben diese Kerls wohl feste Schädel.«

»Freilich! Nun, wir wollen es versuchen!«

»Versuchen wir es! Sihdi, in dieser Weise höre ich Dich außerordentlich gern sprechen.«

Er war ganz Feuer und Flamme. Das Kerlchen hätte einen ausgezeichneten Soldaten abgegeben; es steckte ein Held in ihm.

Wir schritten leise und vorsichtig weiter, bis wir eine Stelle erreichten, an welcher drei hohe Büsche eng beisammen standen, so daß man zwischen ihnen unbemerkt von außen stehen konnte. Wir traten hinein, und nun rief ich, nicht allzu laut und möglichst Bybar's Stimme nachahmend:

»Sandar! Sandar! Bana gel – komm her zu mir!«

»Schimdi gelirim – ich werde gleich kommen!« antwortete es von daher, wo ich die Männer vermuthete.

Die List schien also zu gelingen. Ich stand bereit, den Lauf der Büchse in der Hand. Nach kurzer Zeit hörte ich den nahenden Aladschy fragen:

»Nerede sen – wo bist Du?«

»Burada 'm – hier bin ich!«

Meine Antwort gab seinen Schritten die von mir gewünschte Richtung. Ich hörte ihn kommen, grad auf die Büsche zu. Jetzt sah ich ihn sogar, indem ich zwischen den Zweigen hindurchblickte. Er wollte, erwartungsvoll gradaus schauend, an uns vorüber, leider nicht so nahe, wie es mir lieb gewesen wäre. Da gab es weder Zaudern, noch Bedenken. Ich sprang zwischen den Büschen hervor.

Er sah mich. Nur eine Sekunde hielt der Schrecken ihn fest auf der Stelle; dann wollte er zurückspringen, aber es war schon zu spät für ihn. Mein Kolben traf ihn so, daß er zusammenbrach.

Auch er hatte weder Flinte noch Czakan bei sich, sondern nur Pistolen und das Messer.

»Hamdullillah!« jubelte Halef fast zu laut. »Es ist gelungen! Wie lange denkst Du, daß er brauchen wird, um wieder in's Leben zurückzukehren?«

»Laß erst sehen, wie es mit ihm steht. Der Schlag hätte einen Andern wohl getödtet.«

Der Puls des Aladschy war kaum wahrzunehmen. Für wenigstens eine Viertelstunde hatten wir sein Erwachen nicht zu befürchten.

»So brauchen wir ihn nicht zu knebeln,« meinte Halef. »Aber anbinden werden wir ihn doch!«

Wir benützten dazu den Schal, welcher dem Aladschy als Gürtel diente. Und nun hatten wir wirklich nicht nöthig, übermäßige Vorsicht walten zu lassen. Wir schlichen nicht mehr, sondern wir gingen vorwärts, wenn auch recht leise.

So gelangten wir an die Stelle, an welcher der Weg unten die erwähnte Krümmung machte. Auch das Terrain hier oben folgte dieser Biegung, und so entstand ein Felsenvorstoß, eine Art Bastei, auf welcher die Kerls Posto gefaßt hatten. Es standen nicht Bäume, sondern nur einige Sträucher auf derselben. Hinter einem der Sträucher angekommen, sahen wir Manach el Barscha, Barud el Amasat und Junak sitzen. Sie sprachen mit einander, doch nicht so laut, daß wir sie verstehen konnten, obgleich wir uns ihnen sehr nahe befanden.

Dieser Ort war für ihre Zwecke sehr gut gewählt. Sie mußten uns kommen sehen, und eine aus diesem Hinterhalt gut geworfene Axt hätte jedenfalls den Getroffenen zerschmettert.

Etwas rückwärts von ihnen, nach uns zu, standen fünf in eine Pyramide aufgestellte Gewehre. Also hatte auch Junak seine Flinte mitgebracht. Dabei lagen die Czakans der Aladschy und die ledernen Schleudern, welche Junak hergeliehen hatte. Neben den Schleudern war ein kleiner Haufen glatter, schwerer Bachkiesel. Ein solcher Stein konnte, wenn aus sicherer Hand geschleudert, gar wohl den Tod bringen.

Die Drei waren uns sicher. Sie saßen ganz an der Kante der Bastei. Manach el Barscha war kaum drei Schritte von derselben entfernt. Wollten sie fliehen, so mußten sie an uns vorüber. Der Gedanke, hinab zu springen, wäre der reine Wahnsinn gewesen. Man sah es ihnen an, daß sie sich in gespannter Erwartung befanden. Ihre Blicke flogen immer nach der Richtung, aus welcher wir kommen mußten.

Junak sprach am meisten. Aus seinen Gesticulationen war zu schließen, daß er das Bärenabenteuer erzählte. Wir standen eine ganze Weile, ehe er ein Wort sprach, welches wir verstehen konnten:

»Ich will hoffen, daß Alles so kommt, wie Ihr es wünschet. Diese vier Kerle sind zu Allem fähig. Sie sind gleich bei ihrer Ankunft wie die Herren meines Hauses aufgetreten. Und der Konakdschi wird Euch dann erzählen, wie sie ihn behandelt haben. Sie schlossen ihn für die ganze Nacht mit all den Seinen im Keller ein – –«

»Und er hat es sich gefallen lassen?« rief Manach el Barscha.

»Mußte er nicht?«

»Mit all den Seinen! Konnten sie sich nicht wehren?«

»Habt Ihr Euch denn gewehrt? Nein, Ihr seid schleunigst fortgeritten!«

»Der Soldaten wegen, welche sie bei sich hatten.«

»O, nicht einen Einzigen hatten sie bei sich; das hat der Konakdschi später gar wohl gemerkt.«

»Tausend Teufel! Wenn das wahr wäre!«

»Es ist so! Sie haben Euch durch eine List getäuscht. Diese Kerle sind nicht nur verwegen wie die Jabani kediler, sondern auch verschlagen wie die Gelindschikler. Nehmt Euch nur in Acht, daß sie nicht die heutige Falle wittern! Der widerwärtige Effendi hat Verdacht gegen den Konakdschi und auch gegen mich geäußert. Es dauert so lange, bis sie kommen; sie müßten schon da sein. Ich will nicht befürchten, daß sie errathen, was ihrer hier wartet.«

»Das können sie unmöglich wissen. Sie kommen gewiß, und dann sind sie verloren. Die Aladschy haben geschworen, den Deutschen bei lebendigem Leibe langsam in Stücke zu zerschneiden. Barud hier nimmt den Montenegriner Osco, und mir muß diese kleine, giftige Kröte, der Hadschi, in die Hände laufen. Er ist so flink mit der Peitsche, und er soll erfahren, was Schläge bedeuten. Kein Messer und keine Kugel darf ihn berühren; er wird an der Peitsche sterben. Darum soll Keiner von ihnen sogleich getödtet werden. Die Aladschy zielen nicht nach dem Kopf, und auch ich werde den Hadschi nur betäuben. Ich will mich nicht selbst um die Seligkeit bringen, ihn todtschlagen zu können. Warum sie nur so lange bleiben! Ich kann es kaum erwarten.«

Ich hätte gar zu gern noch mehr gehört; ich hoffte, sie sollten von Karanirwan-Khan sprechen. Aber Halef konnte es nicht länger aushalten. Daß Manach el Barscha so große Sehnsucht hatte, ihn todt zu peitschen, das erregte seinen Zorn in ungewöhnlicher Weise. Er trat plötzlich vor, hart an sie heran und rief:

»Nun, hier hast Du mich, wenn Du es denn gar nicht erwarten kannst!«

Der Schreck, welchen sein Erscheinen erregte, war ungeheuer. Junak schrie auf und streckte die Hände abwehrend vor, als hätte er ein Gespenst erblickt. Barud el Amasat sprang vom Boden auf und starrte den Hadschi wie geistesabwesend an. Auch Manach el Barscha war empor geschnellt, gleichsam von einer Spannfeder getrieben; aber er faßte sich schneller als die Andern. Seine Züge verzerrten sich vor Wuth.

»Hund!« brüllte er. »Hier bist Du! Aber dieses Mal soll es Euch nicht gelingen! Du gehörst mir, und jetzt habe ich Dich!«

Er wollte die Pistole aus dem Gürtel reißen, aber eine hervorstehende Schraube oder der Drücker mochte sich fest gehakt haben. Er brachte die Waffe nicht so schnell heraus, wie er wünschte. Und da legte Halef auch schon auf ihn an und gebot:

»Weg mit der Hand vom Gürtel, sonst schieße ich Dich nieder!«

»Schieße Einen von uns!« antwortete jetzt Barud el Amasat. »Aber auch nur Einen! Der Zweite trifft dann Dich!«

Er zog sein Messer. Da trat auch ich hervor, langsam und ohne ein Wort zu sprechen; aber ich hielt den angelegten Stutzen auf Barud gerichtet.

»Der Effendi! Auch er ist da!« rief Barud.

Er ließ die Hand, welche das Messer hielt, sinken und that vor Schreck einen Sprung rückwärts. Er traf an Manach el Barscha, und zwar so kräftig, daß dieser einen Stoß bekam, der ihn an den Rand des Felsens brachte. Er schlug mit den Armen in die Luft, hob den einen Fuß empor, um festen Halt zu suchen, und verlor dadurch nun vollends das Gleichgewicht.

»Allah, Allah, All- –!« brüllte er, dann war er von der Kante der Bastei verschwunden. Man hörte seinen Körper unten aufschlagen.

Keiner brachte zunächst ein Wort hervor, auch ich nicht. Es war ein Augenblick des Entsetzens. Über fünfzig Fuß hoch hinab – der Körper mußte zerschmettert sein!

»Allah onu kurdi – Allah hat ihn gerichtet!« rief dann Halef, dessen Gesicht todesbleich geworden war. »Und Du, Barud el Amasat, bist der Henker, der ihn zur Tiefe warf. Lege das Messer weg, sonst fliegst Du ihm nach!«

»Nein, ich lege es nicht weg. Schieß, aber kosten sollst Du dennoch meine Klinge!« antwortete Barud.

Er duckte sich zum Sprung und holte dabei zum Stoß mit dem Messer aus. Das war für Halef Grund genug, zu schießen. Er that es aber nicht. Er trat schnell zurück, drehte seine Flinte um und empfing den Gegner mit einem Kolbenschlag, welcher diesen zu Boden streckte. Barud wurde entwaffnet und mit seinem eigenen Gürtel gebunden.

Jetzt hatten wir es nur noch mit Junak, dem Kohlenhändler, zu thun. Dieser Tapfere saß noch ganz so da, wie vorher. Hatte ihn schon das Erscheinen Halef's auf das Höchste erschreckt, so war durch das, was nun geschah, seine Angst verzehnfacht worden. Er streckte die Hände nach mir aus und flehte:

»Effendi, schone mich! Ich habe Euch nichts gethan. Du weißt, daß ich Euer Freund bin!«

»Du, unser Freund? Wie sollte ich das wissen?«

»Du kennst mich ja!«

»Woher?«

»Nun, Ihr seid ja in dieser Nacht bei mir geblieben. Ich bin Junak, der Kohlenhändler.«

»Das glaube ich nicht. Du bist ihm zwar sehr ähnlich, besonders was die Reinlichkeit betrifft; Du bist genau so ein Bock tawuki, wie er: aber er selbst bist Du doch nicht.«

»Ich bin es, Effendi, ich bin es! Du mußt es doch sehen! Und wenn Du es nicht glaubst, so frage Deinen Hadschi!«

»Ich brauche ihn nicht zu fragen. Er hat keine besseren Augen als ich. Der Kohlenhändler Junak kann nicht hier sein, denn er ist nach Glogovik gegangen, um Salz zu kaufen.«

»Das war nicht wahr, Herr.«

»Seine Frau hat es mir gesagt, und ihr glaube ich mehr als Dir. Wenn Du wirklich Junak, unser Wirth, wärst, so dächte ich, Dir Dankbarkeit schuldig zu sein, und würde Dich allerdings glimpflicher behandeln, als jeden Andern. Aber da es bewiesen ist, daß Du dieser Mann gar nicht sein kannst, so hast Du dieselbe Strenge zu erwarten, wie Deine sauberen Genossen, welche uns tödten wollten und deßhalb ihr Leben verwirkt haben. Du wirst also mit ihnen an den schönen Bäumen hier baumeln müssen.«

Das zog ihn vom Boden empor. Er sprang auf und schrie voller Angst:

»Effendi, es ist nichts, gar nichts bewiesen. Ich bin wirklich Junak; ich will Dir Alles erzählen, was in und bei meinem Hause geschehen ist, und was wir gesprochen haben. Du wirst doch nicht den Mann hängen, der Euch so freundlich bei sich aufgenommen hat!«

»Nun, von einer freundlichen Aufnahme war nicht das Mindeste zu bemerken. Aber wenn Du wirklich Junak bist, wie kommt es denn, daß Du Dich jetzt hier und nicht in Glogovik befindest?«

»Ich – ich wollte – – wollte mein Salz hier holen!«

»Ah! Und warum ließest Du uns die Lüge sagen, daß Du nach einer andern Richtung gingest?«

»Weil – weil« – stotterte er – »es fiel mir erst unterwegs ein, hierher zu gehen.«

»Belüge mich nicht abermals! Du bist hierher gegangen, um nicht um Deinen Beuteantheil betrogen zu werden. Du hast sogar bedauert, daß Dein Pferd todt ist, so daß Du laufen mußtest.«

»Effendi, das kann Dir nur der Konakdschi gesagt haben! Der Mensch hat uns wohl betrogen und Dir Alles erzählt?«

»Sieh, welch' ein Geständniß Du mit Deiner Frage machst! Ich weiß Alles. Ich sollte hier gegen Deinen Rath überfallen werden. Dazu hast Du unsern Feinden diese Schleuder geborgt. Falls dieser Angriff mißlang, wollte man uns in die Höhle der Diamanten locken und uns in derselben morden.«

Er senkte den Kopf, meinte, ich wisse dies von dem Konakdschi, und es fiel mir gar nicht ein, ihm diese Meinung zu benehmen.

»Nun rede, antworte!« fuhr ich fort. »Auf Dich selbst wird es ankommen, ob ich Dich für ebenso schlimm halten muß wie die Andern. Dein Schicksal liegt jetzt in Deinen eigenen Händen.«

Er sagte erst nach einer Pause des Nachdenkens, des innern Kampfes:

»Du darfst nicht glauben, daß der Plan, Euch zu tödten, von mir ausgegangen ist. Diese Leute hatten ihn schon längst gefaßt.«

»Das weiß ich allerdings. Aber Du hast aus gemeiner Gewinnsucht Theil an demselben genommen. Das kannst Du gar nicht leugnen.«

»Vielleicht hat der Konakdschi mich gegen Dich schlechter gemacht, als ich bin?«

»Ich pflege mein Urtheil nicht nach der Meinung anderer Leute einzurichten. Ich habe meine eigenen Augen und Ohren. Und diese sagen mir, daß Du zwar nicht der Urheber des gegen uns gerichteten Mordplanes, aber doch ein Mitglied dieser sauberen Gesellschaft bist. Übrigens habe ich nicht Zeit, mich mit Dir zu befassen. Lege Dein Messer zur Erde! Der Hadschi wird Dich binden.«

»O nein, nein!« schrie er ängstlich. »Ich will Dir Alles zu Gefallen thun, nur aufhängen darfst Du mich nicht.«

»Ich wüßte nicht, welchen Gefallen Du mir erweisen könntest. Es kann mir gar nichts nützen, Dich leben zu lassen!«

Der kalte Ton, in welchem ich diese Worte sagte, erhöhte seine Angst, und als nun Halef ihm das Messer aus dem zerfetzten Gürtel zog, rief er:

»Ich kann Euch nützlich sein, Effendi, ich kann!«

»Wie so?«

»Ich will Dir Alles sagen, was ich weiß.«

»Das ist unnöthig, da ich bereits ganz genau unterrichtet bin. Ich werde kurzen Prozeß mit Euch machen. Die beiden Aladschy und Suef befinden sich auch schon in unsern Händen. Ich sehe nicht ein, warum ich grad mit Dir Nachsicht haben soll. Du hast sogar den Wunsch gehabt, daß der Bär uns sämmtlich fressen möge.«

»Welch ein schlechter Mensch ist dieser Konakdschi! Er hat Alles verrathen, jedes Wort! Und ohne ihn hättest Du den Weg zu diesem Versteck unmöglich finden und uns überfallen können. Aber dennoch kann mein Rath Dir noch von Nutzen sein.«

»Welcher Rath?«

Er sah wieder nachdenklich zu Boden. In seinen Zügen malte sich der Kampf zwischen Angst und Hinterlist. Wollte er mir wirklich nützen, so mußte er den Verräther gegen den Köhler, seinen eigenen Schwager, spielen. Vielleicht sann er über eine Lüge nach, welche ihn aus seiner gegenwärtigen, bedrängten Lage befreien könnte. Nach einer Weile richtete er das Auge mit einem überaus zutraulichen Blick auf mich und sagte:

»Du befindest Dich in allergrößter Lebensgefahr, ohne daß Du eine Ahnung davon hast, Effendi. Diejenige, welche Dir hier drohte, war gering gegen das, was Dich noch erwartet.«

»Ah! Wie so?«

»Wirst Du mir auch wirklich das Leben schenken, wenn ich es Dir sage?«

»Ja; doch glaube ich nicht, daß Du mir etwas Neues sagen kannst.«

»O doch! Ich bin überzeugt, daß Du keine Ahnung von der Gefahr hast, welche Dir droht. Und zwar der Konakdschi ist es, welcher Euch derselben in den Rachen führen will.«

»Du willst Dich an ihm rächen, indem Du ihn verleumdest?«

»Nein. Er weiß nicht, was ich weiß, und die Andern haben es auch nicht gewußt. Sie ahnen nur, daß es noch Andere gibt, welche Euch nach dem Leben trachten. Nur der Mübarek wußte es auch; der ist nun aber todt.«

»So sprich und beeile Dich, da ich keine Zeit habe.«

»Um sein Leben zu retten, muß man immer Zeit haben, Effendi. Nicht wahr, Du willst den Schut finden?«

Ich nickte bloß.

»Du bist sein grimmigster Feind. Der alte Mübarek hat ihm einen Eilboten gesandt, um ihn vor Dir zu warnen. Er hat ihm auch kund gethan, daß Ihr ihn verfolgt, und daß er Euch hinter sich her locken wolle, bis Ihr in die Hände des Schut fallt. Die Andern aber, deren Ihr Euch hier bemächtigt habt, wollten Euer Eigenthum für sich haben. Sie legten Euch hier diesen Hinterhalt, welchem Ihr glücklich entgangen seid. Der Schut aber hat sich aufgemacht, um Euch entgegen zu reiten. Er muß bereits in der Nähe sein, und Ihr seid verloren, wenn ich und mein Schwager, der Köhler, Euch nicht retten.«

»Aber Dein Schwager trachtet mir ja auch nach dem Leben!«

»Bis zu diesem Augenblick, ja, denn er ist auch ein Anhänger des Schut. Aber wenn ich ihm sage, daß Ihr mein Leben geschont habt, obgleich ich mich in Euren Händen befand, wird sich seine Feindschaft in Freundschaft verwandeln, und er wird Alles aufbieten, Euch zu retten. Ich selbst werde Euch auf einem Weg aus den Bergen führen, auf welchem Ihr der Gefahr ganz sicher entgehen werdet.«

Dieser ebenso feige wie plumpschlaue Mensch hatte da einen ganz allerliebsten Plan ausgeheckt. Er wollte mich zu dem Köhler locken, bei welchem wir gewiß verloren waren, wenn wir ihm vertrauten. Ich that, als ob ich ihm glaubte, und fragte:

»Kennst Du denn den Schut?«

»Gewiß; er war oft bei mir.«

»Und Du auch bei ihm?«

»Einige Male.«

»Wo wohnt er denn?«

»Drüben in Orossi. Er ist ein Häuptling der Miriditen und besitzt eine große Macht.«

»In Orossi? Mir wurde gesagt, daß er in Karanirwan-Khan wohne?«

Junak erschrack sichtlich darüber, daß ich diesen Namen sagte; aber er schüttelte den Kopf und antwortete lächelnd:

»Man hat Dir das gesagt, um Dich irre zu führen.«

»Aber einen Ort dieses Namens gibt es doch?«

»Ich kenne keinen und bin doch weit und breit ortskundig. Glaube mir, denn ich meine es gut und aufrichtig mit Dir.«

»Wirklich? Nun, wir werden ja sehen. Wie weit ist es denn von hier bis zu Deinem Schwager?«

»Man reitet nur eine Viertelstunde. Du kommst in ein großes, rundes Thal, welches das Thal der Trümmer genannt wird. Wendest Du Dich von da, wo der Weg in dasselbe mündet, nach rechts, so wirst Du bald den Rauch sehen, welcher seinen Meilern entsteigt.«

»Und zu ihm würdest Du uns führen?«

»Ja, und von ihm würdest Du noch viel mehr erfahren, als ich im Stande bin, Dir zu sagen. Euer Leben hängt davon ab, daß Ihr mir Glauben schenkt. Nun thue, was Du willst!«

Halef nagte an seiner Unterlippe. Er konnte seine Wuth, für so leichtgläubig gehalten zu werden, nur schwer verbergen. Ich aber machte ein sehr freundliches Gesicht, nickte dem Schurken vertraulich zu und antwortete:

»Die Wahrscheinlichkeit spricht allerdings dafür, daß Du uns die Wahrheit sagest. Soll ich denn einmal versuchen, ob Du es ehrlich meinst?«

»Versuche es, Effendi!« rief er erfreut aus. »Du wirst sehen, daß ich Dich nicht täusche.«

»Nun gut, so soll Dir das Leben geschenkt sein. Aber binden müssen wir Dich doch für einige Zeit.«

»Warum?«

»Weil die Andern nicht ahnen sollen, daß Du mit uns einverstanden bist. Es muß ganz so scheinen, als ob auch Du ihr Schicksal theilen müssest.«

»Aber Du gibst mir Dein Wort, daß Ihr mich wieder losbindet?«

»Ich verspreche Dir, daß Du sehr bald wieder frei sein und nicht das Mindeste von uns zu befürchten haben wirst.«

»So binde mich!«

Er streckte mir seine Hände hin. Halef nahm ihm seinen Gürtel ab und band ihm damit die Hände auf den Rücken.

»Nun warte hier bei diesen Beiden,« sagte ich zu dem Hadschi. »Ich gehe, um die Gefährten zu holen.«

Barud el Amasat lag noch besinnungslos. Halef's Hieb war ein sehr kräftiger gewesen.

Ich ging auf demselben Weg zurück, welchen wir gekommen waren. Einen Grund, das Terrain hier noch weiter zu untersuchen, gab es nicht. Mein Verfahren mit Junak hatte nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Es war meine Absicht gewesen, etwas Sicheres über den Schut und über Karanirwan-Khan zu erfahren. Zwar stand es mir noch jetzt frei, mit der Peitsche dieses Geständniß zu erzwingen, aber ich hatte doch keine Lust, dieses Mittel anzuwenden, und hoffte, auch ohne dasselbe meinen Zweck zu erreichen.

Ich suchte Sandar auf. Er lag noch still da; sein Puls war jedoch kräftiger geworden. Er mußte sich bald wieder erholen. Dann ging ich nach der Stelle, an welcher Bybar und Suef angebunden waren. Diese beiden befanden sich bei Bewußtsein. Als der Aladschy mich erblickte, schnaufte er grimmig durch die Nase, stierte mich mit blutunterlaufenen Augen an und machte eine gewaltige Anstrengung, von seinen Fesseln loszukommen – vergeblich.

»Gib Dir keine Mühe!« sagte ich zu ihm. »Ihr könnt Eurem Schicksal nicht entgehen. Es ist lächerlich, daß Menschen wie Ihr, die kein Hirn im Kopf haben, sich einbilden, es mit einem fränkischen Effendi aufnehmen zu können. Ich habe Euch bewiesen, daß Eure Unternehmungen stets nur alberne Knabenstreiche waren. Ich glaubte, Ihr würdet endlich einmal einsehen, wie dumm Ihr seid; aber meine Nachsicht war vergeblich. Jetzt ist endlich unsere Langmuth zu Ende, und Ihr sollt das bekommen, was Ihr für uns bestimmt hattet, den Tod. Ihr habt es nicht anders gewollt.«

Ich wußte, daß ich den Aladschy nicht schwerer kränken konnte als dadurch, daß ich ihn dumm nannte. Ein wenig Todesangst mochte ihm übrigens gar nichts schaden. Dann ging ich weiter, bis an den Felsenrand, von wo aus ich die Gefährten sehen konnte.

Osco bemerkte mich und rief herauf:

»Du bist's, Sihdi! Allah sei Dank! Da steht Alles gut!«

»Ja. Binde den Konakdschi los, damit er heraufklettern kann. Du steigst hinter ihm her und bringst Alles mit, was Ihr an Riemen oder Schnüren bei Euch habt. Omar mag bei den Pferden bleiben.«

Nach kurzer Zeit kamen Beide herauf, der Konakdschi voran. Ich nahm ihn in Empfang, indem ich ihm den Revolver zeigte:

»Ich warne Dich, einen Schritt ohne meine Erlaubniß zu thun. Du hast mir in Allem augenblicklich zu gehorchen, sonst schieße ich Dich nieder.«

»Warum, Effendi?« fragte er erschrocken. »Ich bin wirklich Dein Feind nicht. Ich weiß von nichts und habe mich da unten ganz ruhig verhalten.«

»Keine unnützen Worte! Ich habe bereits in Deinem Hause ganz genau gewußt, woran ich mit Dir bin. Es ist Dir nicht für einen einzigen Augenblick gelungen, mich zu täuschen. Jetzt hat das Spiel ein Ende. Vorwärts!«

Wir gingen bis zu der Bastei, wo Halef bei den beiden Gefangenen stand. Barud el Amasat befand sich bei Besinnung. Als der Konakdschi die Zwei erblickte, stieß er einen Ruf des Schreckens aus.

»Nun, ist das Junak oder nicht?« fragte ich ihn.

»Allah! Er ist es!« antwortete er. »Wie ist er hierher gekommen?«

»Ganz so wie Du; er ist da vorn heraufgestiegen. Nimm Barud el Amasat auf, und trage ihn. Junak ist nicht an den Füßen gefesselt, er kann uns folgen. Vorwärts!«

Die Schurken mußten uns zu Bybar und Suef folgen. Die Blicke, welche da gewechselt wurden, waren mehr als sprechend; ein Wort aber ließ Keiner fallen.

Osco hatte einige Riemen mitgebracht. Außerdem entledigten wir Barud el Amasat seines Kaftans und schnitten denselben mit dem Messer in lange Streifen, welche wir zu Stricken drehten, mit denen Barud und Junak angebunden wurden. Sodann verfügten wir uns zu Sandar, welcher soeben die Augen geöffnet zu haben schien. Er schnaufte wie ein wildes Thier und bäumte sich mit den Windungen einer Schlange gegen seine Fesseln auf.

»Sei ruhig, mein Liebling!« lachte Halef. »Wen wir einmal haben, den haben wir fest.«

Auch dieser Aladschy wurde dahin geschafft, wo sich die Andern befanden. Die betreffenden Bäume standen nahe bei einander, und die Gefangenen wurden so an die Stämme derselben befestigt, daß sie sich unmöglich losmachen konnten. Der Konakdschi, welcher bis dahin ohne Fesseln gewesen war, um die Andern tragen zu können, kam zuletzt an die Reihe.

Nun nahmen wir ihnen die Knebel ab, damit sie reden könnten; aber sie zogen es vor, sich stumm zu verhalten. Ich sah, daß Halef sich in Positur stellte, um ihnen eine Strafpredigt zu halten; ich unterbrach ihn aber mit der Weisung, alle Waffen der Gefangenen herbeizuholen.

Als dieselben beisammen lagen, bildeten sie ein ganz hübsches, kleines Arsenal.

»Diese Waffen sollten benutzt werden, uns zu tödten,« sagte ich. »Jetzt sind sie unsere rechtmäßige Beute, mit der wir nach Belieben schalten dürfen. Wir werden sie vernichten. Schlagt die Kolben von den Flinten und Pistolen, und haut mit den Czakans die Läufe krumm!«

Niemand war schneller hiezu bereit, als Halef. Die Messer wurden zerbrochen, und endlich machte ich mit meinem Heiduckenbeil die Czakans der beiden Aladschy unbrauchbar. Es waren ganz unbeschreibliche Gesichter, mit denen die bisherigen Besitzer dieser Waffen der Zerstörung derselben zusahen. Sie schwiegen aber auch da, und nur Junak rief, als auch seine Flinte zerbrochen wurde:

»Halt! Die gehört ja mir!«

»Jetzt nicht mehr,« antwortete Halef.

»Aber ich bin ja Euer Freund!«

»Und zwar der beste, den wir haben. Sei nur ohne Sorgen! Das Versprechen, welches der Effendi Dir gab, wird gehalten.«

Und nun wendete er sich mit einer Miene an die Andern, welche mich abermals vermuthen ließ, daß er im Begriff stehe, eine seiner berühmten Reden zu halten. Ich winkte ihm, mir zu folgen, und entfernte mich aus dem Gesichtskreise der Gefangenen.

»Herr, warum soll ich nicht zu ihnen sprechen?« fragte er.

»Weil es keinen Zweck hat. Wenn wir gehen, ohne ein Wort zu sagen, so lassen wir sie in größerer Angst zurück, als wenn wir eine große Rede halten.«

»Ah so! Wir gehen?«

»Und kehren nicht zurück.«

»Allah! Das ist stark! Soll ich mir nicht einmal das Vergnügen machen, ihnen zu sagen, für welche Menschen ich sie halte?«

»Das wissen sie bereits.«

»Aber sollen sie hier oben verhungern oder verschmachten? Sie können sich nicht selbst befreien. Und übrigens hast Du Junak versprochen, daß er losgebunden werden soll! Willst Du Dein Wort nicht halten?«

»Doch! Habe nur keine Sorge! Der Köhler weiß sicher, wo sie sich befinden, und wird baldigst bemüht sein, sie aus ihrer Lage zu befreien.«

»Reiten wir zu ihm?«

»Ja. Also kommt!«

»Nur noch einen Augenblick, Sihdi! Ein Wort muß ich ihnen sagen, sonst bringt es mich um.«

Er eilte zu den Gefangenen zurück, und ich folgte ihm, um zu verhindern, daß er etwa eine Dummheit mache. Er stellte sich vor sie hin, warf sich in die Brust und sagte:

»Ich habe Euch im Namen des Effendi und in meinem eignen zu verkünden, daß wir, bevor Ihr festgenommen und hier angebunden wurdet, fünf Jarym okka Pulver unter diese beiden Bäume vergraben haben. Die lange Lunte liegt dabei, und wir werden sie, sobald es uns nachher gefällt, von Weitem und ohne daß Ihr es seht, anbrennen. Dann werden Eure Glieder in alle Winde fliegen, und Niemand wird darüber größere Freude haben, als ich, der ich bin der berühmte Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah!«

Als er auf diese Weise seinem Herzen Luft gemacht hatte, kam er zurück und fragte:

»War das nicht gut, Effendi? Welche Angst werden die Wichte ausstehen, zu wissen, daß sie auf einer Pulvermine sitzen, welche in jedem Augenblick aufkrachen kann!«

»Nun, Dein Mittel, diese Männer zu peinigen, ist nicht sehr geistreich ausgedacht. Mögen sie glauben oder nicht, daß Du die Wahrheit gesagt hast: die Ungewißheit, in welcher sie sich befinden, ist auch bereits eine Strafe für sie.«

»Sie werden es glauben; ich bin es überzeugt.«

»Wenn wir sie tödten wollen, so können wir es billiger thun als mit Verschwendung einer solchen Menge Pulvers, welches in dieser Gegend so selten ist. Ich bedaure sie, falls sie glauben, daß wir fünf Pfund Pulver bei uns tragen.«

Wir stiegen hinab zu Omar, welcher die Pferde bewachte. Dort nahm ich dem Pferd des Konakdschi den Sattel und das Zaumzeug ab, warf Beides zur Erde und jagte das Thier in der Richtung fort, aus welcher wir gekommen waren. Es lag nicht in meiner Absicht, dieses Pferd mitzunehmen. Ich mußte es sich selbst überlassen, und da war es besser, wenn es ganz ledig war. Dadurch war der Möglichkeit vorgebeugt, daß es sich mit dem Zügel oder mit den Bügeln im Wald verfangen und in Folge dessen elend zugrunde gehen könne.

Nun stiegen wir auf unsere Pferde und erreichten bald die Stelle, an welcher Manach el Barscha lag. Sein zerschmetterter Körper bot einen schauderhaften Anblick. Wir stiegen nicht ab, denn diese Leiche zu betrachten, hatte keinen Zweck. Unsere Pferde konnten nur schwer dazu gebracht werden, über dieselbe hinweg zu treten.

»Das ist ein ernstes Gericht,« sagte Halef, indem er das Gesicht abwendete. »Allah's Hand trifft alle Gottlosen, den Einen früher und den Andern später, und doch wollen sie sich nicht bessern. Fort von dieser schrecklichen Stelle!«

Er drängte sein Pferd rascher vorwärts, und wir folgten ihm schweigend. Was hätten wir auch anderes sagen können, als er? –

Die Wände der Schlucht wurden höher, immer höher und rückten wieder so eng zusammen, wie vorher. Das hatte etwas unsäglich Bedrückendes; diese Masse von Gestein führte mit vollem Recht den Namen des Teufelsfelsen.

Nachdem wir wohl eine Viertelstunde lang geritten hatten, öffnete sich die Schlucht auf ein rundes, weites Thal, bei dessen Anblick ich unwillkürlich den Rappen anhielt. Es hatte die Gestalt einer tiefen Schüssel, deren Boden einen Durchmesser von fast einer Stunde haben konnte. Aber wie sah es in dieser Schüssel aus!

Die Ränder stiegen rundum felsig und ziemlich steil empor. Da, wo eine Vegetation hatte Wurzeln fassen können, standen mehrhundertjährige Nadelbäume, mit deren Dunkel das lebhafte Grün riesiger Laubhölzer contrastirte. Nach Süden und nach Westen schien das Thal einen ziemlich breiten Ausgang zu haben. Die Sohle desselben war mit Felsentrümmern fast ganz bedeckt, Trümmer von der Größe eines mehrstöckigen Palastes bis zum faustgroßen Stein herab. Über diese Felsen breitete sich ein schimmernder Überzug von Weinreben, Epheu und sonstigem Gerank, und zwischen denselben hatte üppiges Gebüsch jeden Raum so sehr in Besitz genommen, daß ein Hindurchkommen gar nicht denkbar zu sein schien.

Hatte hier ein Erdbeben das Gestein zerschüttelt, oder hatte sich ein unterirdischer See hier befunden, dessen Felsendecke plötzlich eingebrochen war? Das Thal hatte das Aussehen, als sei es einmal von einer Felsendecke überwölbt gewesen, welche von der Faust des Teufels zerschlagen worden.

Von da aus, wo wir hielten, führten Spuren nach rechts, längs der Thalwand hin. Wir folgten ihnen. Das war die Richtung, von welcher Junak gesprochen hatte. Lange sah ich mich vergeblich nach den Meilern um, welche hier vorhanden sein sollten. Endlich sah ich über dem Gebüsch die Luft im Sonnenglanz zittern. Das war das Zeichen vorhandener Feuer, welche keinen Rauch verbreiteten.

»Dort muß die Wohnung des Köhlers Scharka liegen,« sagte ich. »Es scheint kaum fünf Minuten bis dahin zu sein. Am liebsten möchte ich einmal recognosciren. Reitet hier in die Büsche und wartet auf mich.«

Ich übergab Halef mein Pferd und die Gewehre und ging zu Fuß weiter. Nach kurzer Zeit gelangte ich an den Rand eines freien Platzes, dessen Boden kohlig schwarz gefärbt war. Ein roh aus Stein aufgeführtes Häuschen stand auf der Mitte desselben, und rundum erblickte ich in Brand befindliche oder Spuren abgebrannter Meiler.

Einer dieser kegelförmigen Haufen, der größte von allen, stand rechts von mir am Rand der Lichtung und ganz an den Felsen der hier senkrecht aufsteigenden Thalwand gelehnt. Er hatte das Aussehen, als ob er bereits lange, lange Jahre hier gestanden habe, ohne in Brand gesetzt worden zu sein.

Das wunderte mich. Aber meiner Aufmerksamkeit noch würdiger erschien mir dieser Meiler, als ich den Blick erhob und über den dichten Wipfeln der Schwarzhölzer die gewaltige Krone einer riesigen Eiche ragen sah. Ich blickte rundum und sah keinen zweiten Baum dieser Art. Sollte dies die hohle Eiche sein, durch deren Inneres der heimliche Weg in die Höhle führte? Dann war es leicht möglich, daß der senkrecht unter ihr stehende Meiler zu dieser Höhle in irgend welcher Beziehung stand.

In seiner Nähe war aus Steinen ein von Moos überzogener Sitz gebaut, auf welchem zwei Männer saßen, welche Tabak rauchten und sich sehr angelegentlich zu unterhalten schienen. Ziemlich weit davon, jenseits des Meilers, stand ein gesatteltes Pferd, welches die Blätter von dem Buschwerk knuspert. Der Rand des Gebüsches, an welchem ich stand, zog sich bis zum Meiler und noch weiter hin und berührte auch die Bank, sie mit den längst verblühten Zweigen eines Goldregenstrauches beschattend. Wie, wenn ich es versuchte, heimlich hinter die Bank zu kommen? Es konnte das nicht allzu schwer sein. Vielleicht war etwas Wichtiges zu hören.

Einer der Männer war, wie man es bei uns nennen würde, städtisch gekleidet. Sein Anzug paßte nicht in diese Umgebung. Der untersetzten, schmutzig und ärmlich gekleideten Gestalt des Andern sah man es an, daß er entweder der Köhler selbst oder ein Gehülfe desselben sei.

Was wollte der beinahe vornehm gekleidete Mann von dem rußigen Kohlenbrenner? Sie sprachen zu einander wie Leute, welche sich sehr gut kennen und vertraut mit einander sind. Ich nahm mir doch vor, es wenigstens zu versuchen, irgend Etwas von ihrem Gespräch zu hören.

Darum kehrte ich um einige Schritte zurück und schlüpfte zwischen den Büschen nach der Richtung hin, in welcher sie sich befanden. Das war freilich nicht so leicht, wie ich dachte. Die Sträucher standen gar zu dicht beisammen; ich mußte, um mich nicht durch die Bewegung der Äste zu verrathen, sehr oft auf dem Boden hinkriechen.

Als ich dann die Felswand erreichte, befand ich mich zu meiner Überraschung auf einem ganz leidlich ausgetretenen Pfad, welcher von der Höhe herab zu kommen schien. Sollte dieser Weg vielleicht dazu dienen, zu der Eiche zu gelangen?

Ich folgte ihm, aber in der entgegengesetzten Richtung und befand mich bald vor dem Meiler, da, wo der untere Theil desselben so an den Felsen stieß, daß er aus demselben herausgewachsen zu sein schien. Der Pfad hörte sonderbarer Weise grad und glatt, wie abgeschnitten, am Fuß des Meilers auf. Das gab mir zu denken.

Diesen Meiler vor mir, die Felsenwand zur Rechten, hörte ich zu meiner linken Hand die Stimmen der beiden Männer. Die Bank, auf welcher sie saßen, war durch ein schmales Buschwerk von dem Weg, von dem Felsen und also von meinem Standort getrennt. Ich legte mich auf den Boden nieder und kroch zwischen den gesellig aus der Erde kommenden Stämmen hinein, bis ich den Goldregen erreichte.

Jetzt befand ich mich so nahe hinter der Bank, daß ich dieselbe fast mit der Hand zu erreichen vermochte, konnte aber nicht gesehen werden, weil das Laubwerk einen dichten Schleier über mir bildete.

Der gut Gekleidete führte soeben das Wort. Er hatte etwas Kurzes, Befehlendes in seiner Ausdrucksweise und bediente sich eines sehr schönen Türkisch. Als ich mich zurecht gelegt hatte, hörte ich ihn sagen:

»Das ist freilich eine eigene Geschichte. Ein Deutscher verfolgt den Mübarek, die Aladschy, den Steuereinnehmer und Barud el Amasat. Er läßt kein Auge von ihnen und gibt ihnen keine Ruhe bei Tag und Nacht. Weßhalb?«

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Köhler.

»Und jetzt lauern sie ihm in der Schlucht auf? Wird er wirklich kommen? Wird es gelingen?«

»Auf jeden Fall. Die Feinde können gar nicht vorüber, ohne getödtet zu werden. Junak, welcher die Nachricht brachte, daß sie kommen werden, hat sich zu den Übrigen gesellt. Das sind mit dem Konakdschy sieben Mann gegen vier. Dazu kommt, daß die Sieben vorbereitet sind, während die Vier nichts ahnen.«

»Nach Allem, was Du mir von den Vier jetzt erzählt hast, sind sie aber nicht zu unterschätzen. Wie nun, wenn sie beim ersten Zeichen eines Überfalles ihre Pferde wenden und fliehen?«

»Das erste Zeichen des Überfalles wird aber ihr Tod sein. Die Aladschy fehlen ihr Ziel niemals, wenn sie die Czakans werfen. Und zu fliehen fällt diesen Fremden gar nicht ein; sie sind zu kühn dazu.«

»Nun, mag es gelingen! Ich will es wünschen. Und wenn das Pferd dieses Deutschen wirklich ein solches Prachtthier ist, wie Du sagst, so wird der Schut eine Baschka üdschret dafür bezahlen, wie ich überzeugt bin. Es ist gut, daß ich mich bei dieser Gelegenheit hier eingefunden habe; da kann ich das Pferd gleich in Empfang nehmen und es ihm nach Rugova bringen.«

Beinahe hätte ich mich vor Freude verrathen, als ich diesen Namen hörte. Ich machte unwillkürlich eine Bewegung, so daß die Blätter raschelten. Glücklicherweise aber achteten die Beiden nicht darauf. Also in Rugova wohnte der Schut! War es dann aber auch der Pferdehändler Namens Kara Nirwan? Diese Frage wurde sofort beantwortet, denn der Sprecher fügte hinzu:

»Solche Pferde können wir brauchen, denn Kara Nirwan hat einen Einfall über die serbische Grenze beschlossen und zieht zu diesem Zweck eine Anzahl tapferer Männer bei Pristina zusammen, welche sehr gut beritten sein müssen. Er selbst will sie anführen, und da muß ihm dieser Prachthengst überaus willkommen sein.«

»Einen Einfall im Großen? Ist das nicht sehr gefährlich?«

»Nicht so sehr, wie es den Anschein hat. Jetzt gährt es überall. Man spricht nicht mehr von Räubern, sondern von Patrioten. Das Handwerk hat den politischen Turban aufgesetzt. Wer nach dem Besitz Anderer trachtet, der gibt vor, sein Volk frei und unabhängig machen zu wollen. Doch ich bin nicht gekommen, um mit Dir über diese Angelegenheit zu sprechen, sondern ich habe einen andern Auftrag des Schut auszurichten. Ist die Höhle jetzt leer?«

»Ja.«

»Und Du hast auch für die nächste Zeit keinen Bewohner derselben zu erwarten?«

»Nein. Eigentlich war beabsichtigt, diesen Deutschen mit seinen drei Begleitern hinein zu locken; aber dies ist nicht mehr nöthig, da sie jetzt am Teufelsfelsen getödtet werden. Und wenn wir es gethan hätten, so wäre die Sache in zwei oder drei Stunden vorüber gewesen. Ich hätte den Meiler da hinter uns angebrannt; der Rauch wäre in die Höhle geströmt, und sie hätten ersticken müssen.«

»Aber der Rauch bleibt so lange darin, daß tagelang Niemand hinein kann?«

»O nein. Er zieht oben durch die hohle Eiche ab. Wenn ich die Thüre hier unten öffne, entsteht ein so wirksamer Zug, daß bereits nach einigen Stunden keine Spur von dem Rauch zu bemerken ist.«

»Das ist ja ganz prächtig eingerichtet! Also Du brauchst die Höhle auf keinen Fall?«

»Nein.«

»Das wird dem Schut sehr lieb sein. Wir haben nämlich einen Fremden geangelt, welcher hier einquartirt werden soll, um sich dann loszukaufen. Dieser soll hier aufgehoben werden.«

»Wieder einmal? Ist denn bei Euch im Karaul kein Platz?«

»Nein. Da steckt jetzt ein Kaufmann aus Skutari, welcher durch Hamd el Amasat in unsere Falle geliefert worden ist. Seine Familie wird nachkommen, so daß er uns sein ganzes Vermögen lassen wird. Hamd el Amasat hat diese Familie bereits früher gekannt, und es ist ein Geniestreich von ihm, sich dieses Kaufmanns bemächtigt zu haben.«

Was ich hier hörte, war mehr werth als Geld. Da, an dem alten Meiler, erfuhr ich ja Alles, was sich mir bisher von Tag zu Tag in immer weitere Ferne gerückt hatte!

Also der Schut war wirklich jener persische Pferdehändler Kara Nirwan und wohnte in Rugova. Dort gab es einen Karaul, also einen alten Wart- oder Wachtthurm, in welchem ein Kaufmann aus Skutari, jedenfalls Galingré, gefangen saß, damit ihm sein ganzes Vermögen abgenommen werden könne. Und seine Verwandten sollten nachkommen, jedenfalls durch eine satanische List herbeigelockt. Das war ein ächter Skipetarenstreich!

Und ein Einfall nach Serbien war geplant, bei welchem der Schut meinen Rih reiten sollte! Zum Glück befand sich der Hengst noch in meinem Besitz, und ich verspürte gar keine Lust, ihn mir nehmen und mich tödten zu lassen.

Weiter kam ich in meinen Betrachtungen nicht, denn ich hörte Etwas, was meine größte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, Etwas, was ich eigentlich hätte für unmöglich halten sollen. Der Köhler fragte nämlich:

»Lohnt es sich denn auch, denjenigen hier bei mir aufzunehmen, welchen Ihr mir schicken wollt?«

»Gewiß. Der Mann scheint ungeheuer reich zu sein.«

»Du nanntest ihn einen Fremden. So wohnt er also nicht hier in dem Land der Arnauten?«

»Nein, er ist ein Ausländer, ein Inglis.«

»Ah, die sind freilich stets reich. Habt Ihr ihn schon in Eurer Gewalt?«

»Noch nicht, aber er ist uns sicher. Er wohnt im Konak zu Rugova und scheint dort auf Jemand zu warten, der aber gar nicht kommen will. Er ist mit gemietheten Pferden und Dienern gekommen und hat sogar einen Dragoman bei sich, dem er täglich dreißig Piaster und alle seine Bedürfnisse bezahlt. Dieser Mensch ist eine lächerliche Gestalt. Er ist sehr lang und dürr, trägt zwei blaue Fenster vor den Augen, hat einen Mund wie ein Köpek balyghy und eine Nase, welche jeder Beschreibung spottet. Sie ist unendlich lang und wie ein Chyjar gestaltet und scheint überdies vor kurzem mit einer Jumruk Halebi behaftet gewesen zu sein. Er lebt wie ein Großsultan, und Niemand kann ihm die Speise kostbar genug zubereiten. Wenn er seinen Beutel öffnet, sieht man nur Goldstücke flimmern; aber dennoch kleidet er sich wie ein Spaßmacher aus den Nebelbildern. Sein Anzug ist ganz grau, und auf dem Kopf hat er einen grauen Hut, welcher so hoch ist, wie das Minareh der Moschiah der Ommajaden zu Damask.«

Als ich das hörte, war es mir, wie wenn mir Jemand einen Schlag in das Gesicht versetzt hätte. Diese Beschreibung paßte ganz genau auf meinen englischen Freund David Lindsay, von welchem ich mich vor Kurzem in Konstantinopel verabschiedet hatte, und welcher mir bei dieser Gelegenheit sagte, daß er in einigen Monaten in Altengland sein werde.

Alles stimmte ganz genau: der Anzug, der Reichthum, die blaue Brille, der breite Mund, die gewaltige Nase – – er mußte es sein! Und in Gedanken berechnete ich, ob es möglich wäre, daß er sich jetzt hier im Land der Skipetaren, in Rugova befinden könne. Ja, es war möglich, wenn er kurz nach mir Stambul mittels Schiff verlassen hatte und in Alessio oder Skutari an's Land gestiegen war.

»Trotz dieser Lächerlichkeit ist er eine fette Beute,« fuhr der Sprecher fort, »vielleicht die reichste, welche wir jemals gemacht haben, oder vielmehr noch machen werden; denn heute Abend wird er festgenommen und in den Karaul gesteckt. Sofort nach meiner Rückkehr aber werden wir ihn auf Umwegen, wo niemand uns begegnen kann, her zu Dir schaffen. Du magst Dich auf seine Ankunft vorbereiten.«

»So!« brummte der Köhler. »Heute Abend nimmt man ihn gefangen. Wenn Du heute wieder von hier aufbrichst, so bist Du früh in Rugova, denn Du kennst ja die Wege. Der Karaul liegt so einsam, daß Ihr mit dem Inglis sogleich, trotzdem es am Tage ist, aufbrechen könnt, ohne gesehen zu werden, und so kann er bereits am Abend hier bei mir eintreffen. Aber – kann sich dieser Mann denn auch verständlich machen?«

»Leider nicht; darum hat er ja einen Dolmetscher bei sich.«

»Das ist sehr unangenehm. Ich befasse mich nur höchst ungern mit dieser Sache, aber ich muß dem Schut gehorchen. Wenn der Inglis es nicht versteht, sich unserer Sprache zu bedienen, so wird er mir wahrscheinlich große Verlegenheiten bereiten. Ich hoffe, daß der Schut in Rücksicht darauf den Lohn bemißt, welchen ich dafür erhalte.«

»Du wirst zufrieden sein. Du weißt ja, daß unser Anführer und Gebieter niemals geizt, wenn es gilt, für geleistete Dienste erkenntlich zu sein. Diese Sache ist also abgemacht. Ich werde morgen jedenfalls noch vor Abend hier eintreffen und nicht nur den Engländer, sondern auch den Dolmetscher mitbringen. Es kann nicht schwer sein, auch diesen festzunehmen, und Dir wird durch seine Anwesenheit die Behandlung des Gefangenen erleichtert.«

»Wie ist der Fremde zu benennen? Wie lautet sein Name?«

»Was er ist, das weiß ich nicht. Er hat einen Titel, welcher wie ›Surr‹ oder ›Sörr‹ ausgesprochen wird, und sein Name ist auch ein fremdes Wort, welches ich noch nie gehört habe und auch nicht verstehe. Es klingt wie Lin-seh. Merke es Dir!«

Jetzt war gar kein Zweifel über die Person des Engländers mehr möglich. Es handelte sich wirklich um meinen alten, guten, wenn auch etwas sonderbaren David Lindsay. Mit dem Titel war das englische Wort ›Sir‹ gemeint.

Aus welchem Grund befand sich der Inglishman in Rugova? Was hatte ihn veranlaßt, von Konstantinopel aufzubrechen und in solcher Eile nach Westalbanien zu kommen? Ich konnte es nicht begreifen. Der Fremde fuhr nach einer kurzen Pause fort:

»Nach dem, was ich von Dir hörte, müßte der Überfall dieses Deutschen nun längst geschehen sein. Es beunruhigt mich, daß die Aladschy und ihre Gefährten noch nicht hier sind.«

»Vielleicht ist der Deutsche später aufgebrochen, als Junak gemeint hat. Als dieser sich von seiner Hütte fortschlich, haben die Fremden noch geschlafen. Bei den Anstrengungen der letzten Tage ist es gar kein Wunder, wenn sie sehr ermüdet sind. Übrigens hat der Konakdschi den Auftrag erhalten, dafür zu sorgen, daß sie nicht allzu schnell reiten, und so ist es sehr leicht zu erklären, daß sie noch nicht eingetroffen sind.«

»Mir aber macht diese Verspätung Sorgen. Am liebsten möchte ich zu dem Teufelsfelsen, um nachzusehen, wie es dort steht.«

»Das darfst Du nicht; Du könntest dadurch die ganze Sache verderben und grad in demselben Augenblick dort anlangen, in welchem die Fremden die betreffende Stelle erreichen. Dein Erscheinen würde vielleicht ihren Verdacht erwecken. Nein, bleibe hier! Wir haben noch Zeit. Es ist gar nicht möglich, daß der Streich mißlingen kann.«

»Gut, so will ich mich gedulden. Inzwischen kannst Du mir die Höhle zeigen.«

Beide erhoben sich von der Bank. Da ich vermuthete, daß der heimliche Eingang zur Höhle in irgend welcher Beziehung zu dem Meiler stehe, neben welchem ich mich befand, so hielt ich es für rathsam, mich schleunigst zu entfernen. Ich kroch also leise bis auf den Pfad zurück und eilte dann zu der Stelle, wo die Gefährten sich in den Büschen versteckt hatten.

Dort angekommen, sah ich sogleich, daß Osco fehlte; bevor ich nach ihm fragen konnte, meldete mir Halef:

»Herr, der Montenegriner ist fort; er wollte aber sehr bald wiederkommen.«

»Wo ist er hin?«

»Ich weiß es nicht. Kaum warst Du vorhin verschwunden, so sagte er kurz und hastig: ›Ich muß einmal fort, bin aber in einer halben Stunde wieder da.‹ Und bevor wir ihm antworten konnten oder gar ihn zurückzuhalten vermochten, ritt er von dannen.«

»Wohin? Nach der Richtung, von welcher wir gekommen sind?«

»Ja, Sihdi!«

»So weiß ich, weßhalb er zurückgekehrt ist. Er hat, wie Ihr ja wißt, eine Rache gegen Barud el Amasat, den Entführer seiner Tochter. Obgleich wir unsern Feind oft so nahe gehabt haben, daß er ihm eine Kugel hätte geben können, hat er es doch nicht gethan. Vorhin, als wir auf dem Felsen die Gefangenen festbanden, war ihm Gelegenheit geboten, seine Rache auszuführen. Er hat es abermals unterlassen, weil er wohl fürchtete, daß ich ihn hindern würde, einen Mord zu begehen. Er ritt scheinbar gutwillig mit uns weiter, ist aber dann umgekehrt, um seine heimliche Absicht auszuführen. Ich bin jetzt über eine Viertelstunde fort gewesen. Während dieser Zeit hat er den Teufelsfelsen erreicht, und es ist mir wohl nicht mehr möglich, Barud zu retten. Dennoch will ich es versuchen. Mein Pferd ist schnell. In fünf Minuten bin ich dort. Bleibt hier versteckt, bis ich wieder komme.«

Ich stieg in den Sattel und ritt zurück. Für Rih genügte das Wörtchen ›kawahm – schnell!‹ Kaum hatte ich es gesprochen, so flog er wie ein Pfeil dahin. In kaum einer Minute hatte ich die enge Schlucht erreicht. Der Rappe schoß zwischen den engen Felsen dahin wie ein Bolzen im Blasrohr. Noch eine Minute und noch eine – – nach nur drei Minuten sah ich die Leiche Manach el Barscha's liegen. Eben schnellte der Rappe über dieselbe weg und in die mehrfach erwähnte Krümmung der Schlucht hinein, da ertönte von oben ein so entsetzlicher Schrei, daß nicht nur ich zusammen zuckte, sondern auch das Pferd vor Schreck gegen die Felswand prallte und sich mitten im Galopp so emporbäumte, daß es hintenüber geschlagen wäre, wenn ich nicht mein ganzes Gewicht nach vorn geworfen hätte. Ich riß es auf den Hinterhufen herum und schaute empor.

Was ich da erblickte, machte mir fast das Blut in den Adern erstarren. Ich war so weit über die Krümmung hinaus gekommen, daß oben die Bastei grad vor meinen Augen lag. Ganz an der Kante derselben, genau an der Stelle, von welcher Manach el Barscha herabgestürzt war, sah ich zwei Männer mit einander ringen – Osco und Barud el Amasat. Letzterer war nicht mehr gefesselt, sondern konnte sich seiner Hände und Füße frei bedienen. Sie hielten einander eng umschlungen. Jeder trachtete danach, von der Felsenkante fort zu kommen und seinen Gegner über dieselbe hinab zu schleudern.

Ich rührte mich nicht von der Stelle. Hätte ich mich auch noch so sehr beeilt, ich wäre doch zu spät gekommen. Ehe es mir gelingen konnte, empor zu klettern und dann oben den hundertfünfzig Schritt langen Weg zurückzulegen, mußte der Kampf entschieden sein. Bis dahin lag ganz gewiß Einer zerschmettert unten – vielleicht alle Beide!

Das eigenmächtige Handeln Osco's hatte durchaus nicht meine Zustimmung. Es lag nicht in meiner Absicht, Barud el Amasat tödten zu lassen; aber Osco's Leben stand mir höher als das seinige. Beide schwebten jetzt in ganz gleicher Gefahr, denn der Eine schien so viel Kraft und Gewandtheit zu besitzen, wie der Andere. Sollten Beide umkommen? Nein! Einer von ihnen war unbedingt verloren, und da sollte wenigstens nicht Osco dieser Eine sein. Ich sprang also aus dem Sattel und legte meine Büchse an. Barud el Amasat sollte die Kugel bekommen. Das war freilich ein böser Schuß. Beide hielten sich so eng umschlungen, daß ich diesen Schuß nur wagen konnte, weil ich meine Büchse ganz genau kannte und mich auf mein ruhiges Blut verlassen konnte.

Ich zielte lang. Die Kugel mußte Barud's Kopf treffen. Die beiden Ringer sahen, was ich beabsichtigte. Barud gab sich die größte Mühe, mir kein Ziel zu bieten. Osco befürchtete, von mir getroffen zu werden, denn er schrie herab:

»Sihdi, schieße nicht! Er muß hinab. Paß auf!«

Ich sah, daß er die Arme von seinem Gegner ließ. Dieser that dasselbe und trat zur Seite, um Athem zu schöpfen. Da machte auch Osco eine Seitenwendung, um Barud zwischen sich und den Abgrund zu bekommen. Er erhob die Faust, als ob er demselben einen Hieb auf den Kopf versetzen wollte; aber das war nur eine Finte, denn als Barud beide Arme hoch vorstreckte, um den Hieb zu pariren, bückte sich Osco blitzschnell und stieß ihm die Faust gegen den Magen. In demselben Augenblick warf er sich zu Boden, um nicht von dem Gegner erfaßt und mit hinabgerissen zu werden.

Was er beabsichtigte, war ihm gelungen. Barud el Amasat taumelte nach hinten, wollte sich am Körper seines Feindes halten, griff aber über denselben hinweg in die Luft und stürzte herab. Er schlug neben der Leiche Manach's nieder. Ich wendete mich schaudernd ab.

Oben sprang Osco wieder auf, beugte sich vor, um den Körper Barud's zu sehen, und rief in triumphirendem Ton:

»Senitza ist gerächt. Dieser Mann wird niemals wieder die Tochter eines Freundes stehlen. Seine Seele fährt in einen tieferen Abgrund, als derjenige ist, in welchen sein Leib gestürzt ward. Bleibe unten, Effendi! Ich komme hinab.«

»Wo befinden sich die Andern?« rief ich hinauf.

»Noch da, wo wir sie verlassen hatten. Es vermag Keiner, sich zu befreien; dafür habe ich gesorgt.«

Er trat oben von dem Rand zurück, und ich begab mich an den Wasserquell, wo sein Pferd stand. Nach einiger Zeit kam er herabgestiegen. Noch ehe ich meinen Verweis beginnen konnte, kam er mir zuvor:

»Sihdi, sprich nicht davon! Es ist geschehen und kann nun nicht geändert werden. Ich habe meinen Grimm im Stillen getragen. Dein Glaube verbietet Dir die Rache; aber auf den Bergen meiner Heimat herrscht das Gesetz der Vergeltung. Allah hat es gegeben, und wir müssen es befolgen.«

»Nein, Allah hat es nicht gegeben,« entgegnete ich. »Du nennst ihn in Deinen täglichen Gebeten Abu 'l afu und Naba l' merhamet, den Vater der Vergebung, den Quell der Barmherzigkeit; wie kann es da sein Wille sein, daß Du ihm das Richterthum entreißest! Barud el Amasat hatte Dir die Tochter geraubt, aber er hat sie nicht getödtet. Selbst wenn Du glaubtest, berechtigt zu sein, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, so durftest Du ihm nicht das Leben nehmen.«

»So sagst Du als Christ. Ja, er hat Senitza nicht getödtet, aber er verkaufte sie als Sklavin, und was sie in Ägypten erduldet hat, das weißt Du besser als ich, da Du es warst, der sie befreite. Das war doch viel schlimmer, als ob er sie ermordet hätte! Und dazu kommt das Leid, welches er mir und Isla Ben Maflei dadurch bereitet hat. Ich habe sie in allen Ländern des Islam vergebens gesucht. Ihr Entführer hat den Tod verdient, und er hat ihn sehr schnell gefunden. Die wenigen Augenblicke der Todesangst, welche er empfunden hat, sind gar nichts gegen die lange Trauer, welche er über uns brachte!«

»Aber einen Mord, einen gräßlichen Mord hast Du doch begangen!«

»Nein, Sihdi, es war kein Mord, sondern ein ehrlicher Kampf, Mann gegen Mann und Leben gegen Leben. Ich habe ihn nicht meuchlerisch überfallen. Ich konnte ihn tödten, als er an den Baum gefesselt war; aber ich habe ihn losgebunden und auf die Bastei geschafft. Dort befreite ich seine Arme und Beine von den Fesseln, warf meine Waffen weg und sagte ihm, daß die Stunde der Vergeltung gekommen sei. Ich theilte ihm mit, daß ich edelmüthig gegen ihn sein und ihm Gelegenheit geben wolle, sich gegen den Tod zu wehren. Ja, ich habe ihn eine Zeit lang sogar geschont. Ich bin stärker, als er war, obgleich Du vielleicht das Gegentheil glaubtest. Erst als ich sah, daß Du schießen wolltest, wobei Deine Kugel mich treffen konnte, machte ich Gebrauch von meiner Überlegenheit. Wirst Du mich jetzt noch tadeln?«

»Ja, denn Du hast hinter meinem Rücken gehandelt.«

»Das mußte ich, denn ich wußte, daß Du mich hindern würdest, ihn zu strafen.«

»Aber indem Du ihn losbandest, wirst Du auch die Fesseln der Andern gelockert haben?«

»Nein, ich habe sie im Gegentheil fester angezogen, als sie vorher waren. Es ist ihnen unmöglich, sich selbst zu befreien. Ich weiß, daß Du mir zürnest; ich habe das vorausgesehen, und ich bin bereit, Deinen Zorn über mich ergehen zu lassen. Aber ich habe den Schwur gehalten, welchen ich ablegte und den ich nicht brechen wollte. Thue mit mir, was Du willst.«

»Steig' auf, und komm!« antwortete ich in recht trockenem Ton.

Was hätte ich auch machen wollen? Der Todte war nicht wieder zum Leben zurückzurufen, und die Anschauungen, in denen der Montenegriner erzogen worden war, ließen ihm die Rache als seine heilige Pflicht erscheinen. Ich war mit ihm unzufrieden, hatte aber kein Recht, mich zum Richter seiner That aufzuwerfen.

Wir kehrten zurück. Ich ritt mißmuthig voran, und er folgte mir schweigend. Bei den Leichen angekommen, schloß ich die Augen. Indem mein Rappe mit einem weiten Satz über sie hinwegsprang, war es mir, als ob ich unter mir einen klagenden Laut vernähme. Dann krachte hinter mir ein Schuß.

»Was war es?« fragte ich, ohne mich umzudrehen.

»Er lebte noch,« antwortete Osco. »Meine Kugel hat ein Ende gemacht – er soll nicht länger leiden.«

Das ist der Orient: neben blendendem, trügerischem Licht ein desto tieferer, unheimlicher Schatten!


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