Karl May
Der Schut
Karl May

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Überfall

Noch niemals hatte der Hadschi mit solcher Eleganz im Sattel gesessen, wie an diesem Morgen. Um nämlich den schönen Kettenpanzer nicht als hinderliches Gepäck mitnehmen zu müssen, hatte er ihn angelegt, den Damaszener umgeschnallt und den Dolch in den Gürtel gesteckt. Mit dieser Rüstung Stojko's ausgestattet, dünkte sich der kleine Kerl etwas Anderes und natürlich viel Besseres als gewöhnlich zu sein.

Damit man den Panzer ja nicht übersehen könne, hatte er seinen Kaftan nicht angezogen, sondern mit Hülfe einer Schnur über die Achseln gehängt, so daß derselbe wie ein Mantel ihn umfloß oder bei schnellem Ritt wie eine Flagge nachwehte. An seinen Turban hatte er ein roth und gelb gestreiftes, seidenes Tuch befestigt, welches ein Andenken an Konstantinopel war; auch dieses flatterte kokett nach hinten. Der sehr blank geriebene Panzer glänzte und funkelte in den Strahlen der Sonne, die sich erhob, als wir, die Gabelung der Wagenspuren hinter uns, über die Höhe ritten, welche hier die Wasserscheide zwischen Drin und Treska bildete und sich in mächtigen Felsenstufen zum Thale des erstgenannten Flusses niedersenkte.

Die öftere Erwähnung von steilen Felswänden, von Schluchten und Rissen darf nicht verwundern. Die Gebirge der Balkanhalbinsel – besonders die westlich gelegenen und vor allen Dingen der Schar Dagh – sind meist von gewaltigen, tief zerklüfteten Felsenmassen gebildet. Senkrechte Wände von mehreren hundert, ja über tausend Fuß Höhe sind da gar keine Seltenheit. Zwischen diesen eng bei einander stehenden Mauern tritt das Gefühl äußerster Hülflosigkeit an den Fremden heran. Es ist, als ob die schweren Massen über ihm zusammenbrechen wollten. Es kommt der Gedanke, wieder umzukehren, um dem Verderben zu entgehen, und unwillkürlich treibt man die Pferde zu größerer Schnelligkeit an, um dem niederdrückenden Bewußtsein menschlicher Ohnmächtigkeit zu entgehen und die Gefahr hinter sich zu legen.

Bei diesem abwehrenden Aufbau des Hochlandes ist es sehr erklärlich, daß die Bewohner desselben den fremden Eroberern gegenüber stets mehr oder weniger ihre Unabhängigkeit bewahrten. Diese finsteren, drohenden, kalten Schluchten und Gründe sind natürlich von großem Einfluß auf den Charakter und die physische Beschaffenheit der Bevölkerung gewesen. Der Skipetar ist gegen Fremde ebenso ernst, abgeschlossen und feindselig, wie sein Land. Seine sehnige, kraftvoll elastische Gestalt, sein ernstes Gesicht mit den granitnen, unerbittlichen Zügen, sein kalt blickendes und abweisend drohendes Auge stimmt ganz mit der Beschaffenheit der von ihm bewohnten Berge überein. Sein Inneres zeigt wenig helle, freundliche Punkte; es ist von tiefen Spalten und Rissen durchzogen, in deren Gründen die Wasser des Hasses, der Rache und des unversöhnlichen Zornes schäumen. Selbst unter einander sind diese Leute argwöhnisch und mißtrauisch. Die Stämme schließen sich von einander ab, die einzelnen Familien und Personen ebenso. Doch dem Eindringling gegenüber schaaren sie sich zusammen, wie ihre eng an einander stehenden Felsen, welche dem Reisenden nur an seltenen Stellen einen schmalen, mühsamen Durchgang gewähren.

Diese Betrachtungen drängten sich mir auf, als wir dem uns führenden Wagengeleise durch schmale Klüfte und mit Felstrümmern bedeckte Brüche, über scharfe Grate und abschüssige, vom Regen glatt gewaschene Steilungen folgten. Ich konnte nicht begreifen, wie Junak, der Kohlenhändler, hier auf diesem Weg sein armseliges Fuhrwerk hatte fortbringen können. Das Pferd mußte wahre Wunder verrichtet haben. Jedenfalls war der Ruß- und Holzkohlenhandel nicht die eigentliche Veranlassung gewesen, solche mühsame und gefährliche Fuhren zu unternehmen. Ich hatte vielmehr die Überzeugung, daß sie den Zweck verfolgten, heimlich den verbrecherischen Absichten des Schut und des Köhlers zu dienen.

Nachdem wir die Massen des eigentlichen Gebirgsstockes überwunden hatten, wurde der Weg besser. Wir ritten über die Vorberge hinab und sahen bereits von einigen Punkten die Wasser des schwarzen Drin heraufschimmern. Der harte Felsengrund machte weichem Boden Platz. Der finstere Wald trat zurück, um lichterem Forst zu weichen, welcher nach und nach in freundliches Buschwerk überging, durch dessen Fülle sich grüne, wiesenartige Streifen zogen, bis wir endlich an den Fluß gelangten.

Hier war die Furt, von welcher der Alim gesprochen hatte. Die Wagenspuren führten an dieser Stelle in das Wasser und drüben wieder heraus.

Der zurückgelegte Weg war uns durch die mitgenommenen Pferde doppelt beschwerlich gewesen. Jetzt hatten wir große Mühe, sie über den Fluß zu bringen. Wir mußten sie einzeln hinüberreiten. Erfreulicherweise bot von da an der Weg keine Schwierigkeiten mehr. Es ging über eine grasige Ebene und dann sanft bergan, bis wir angebaute Felder erreichten und dann Kolutschin am Fuß des dort beginnenden Bergzuges liegen sahen. Von Gurasenda und Ibali kam linker Hand die Straße herab, an welcher das Dorf lag. Aber diese sogenannte Straße verdiente diesen Namen ebensowenig, wie eine Spinne den Namen eines Kolibri, oder ein Krokodil denjenigen eines Paradiesvogels verdient.

Den ersten Menschen, welcher uns begegnete, fragten wir nach Dulak, dem Steinbrecher. Der Mann war der Bruder desselben. Er führte uns freundlich nach der Wohnung des Genannten, welcher zu Hause war.

Die Brüder waren starke Männer von halb wildem Aussehen, aber von Zutrauen erweckenden Gesichtszügen. Ihre Wohnungen lagen am diesseitigen Ende des Dorfes. Daher kam es, daß uns noch kein anderer Bewohner desselben gesehen hatte und wir also nicht, wie sonst gewöhnlich, angegafft und belästigt wurden.

Ich schickte die Gefährten mit den Pferden hinter das Haus und trat allein mit den Brüdern hinein, um ihnen mein Anliegen vorzutragen. Es lag mir daran, von möglichst wenig Leuten beobachtet zu werden, damit man nicht erfuhr, daß wir Jemand nach der Höhle schickten.

Als ich sagte, was mein Begehren sei, und ihnen den Dolmetscher nannte, zeigten sie sich sofort bereit, auf meinen Wunsch einzugehen, warnten mich aber, mich mit irgend einem Andern einzulassen.

»Du mußt nämlich wissen, Herr,« sagte Dulak, »daß Du Dich sonst auf Niemand verlassen kannst. Der reiche Kara Nirwan hat es verstanden, sich überall beliebt zu machen. Kein Mensch wird glauben, daß er der Schut sei, und sobald man bemerken würde, daß ihm von Dir eine Feindseligkeit drohe, würde man ihn vor Euch warnen. Wir selbst wollen Dir aufrichtig sagen, daß wir nur schwer Deine Erzählung für Wahrheit halten können. Aber Du hast das Aussehen eines ernsten und ehrlichen Mannes, und da Dich mein Freund, der Dragoman, an mich gewiesen hat, so wollen wir thun, was Du verlangst. Aber wir dürfen das nicht weiter wissen lassen. Darum werden wir jetzt, da wir noch unbeachtet sind, sofort aufbrechen, und auch Du magst nicht länger hier verweilen, als nöthig ist.«

»Habt Ihr Pferde?«

»Nein. Wenn ich einmal eines Pferdes bedarf, um meine Schwester in Antivari zu besuchen, so bekomme ich leicht eines geliehen. Warum fragest Du? Sollen wir etwa reiten?«

»Ja, damit Ihr möglichst bald bei dem Dolmetscher eintrefft. Ihr kennt doch den Weg nach dem Thal, welches der Köhler bewohnt?«

»Sehr genau.«

»So will ich Euch Pferde geben, welche Ihr dann vielleicht für immer behalten könnt.«

Ich erzählte ihnen, auf welche Weise wir zu den Thieren gekommen waren, und fragte sie dann, ob ihnen die Aladschy bekannt seien und ob sie dieselben vielleicht gesehen hätten.

»Wir kennen sie,« antwortete der Steinbrecher, »denn sie haben sich zu verschiedenen Malen in dieser Gegend umhergetrieben. Sie sind gefürchtet, wagen es aber doch nicht mehr, im Dorf einzukehren. Wenn ich richtig vermuthe, so befinden sie sich wieder hier, und zwar in Gesellschaft Anderer. Das möchte ich vermuthen nach dem, was ich gestern gegen Abend gesehen habe.«

»Darf ich es vielleicht erfahren?«

»Ich habe keinen Grund, es Dir zu verschweigen. Der Steinbruch, in welchem ich beschäftigt bin, liegt seitwärts der nach Rugova führenden Straße, links im Wald. Um ihn zu erreichen, muß ich durch das Dorf und noch eine halbe Stunde über dasselbe hinaus. Dann geht mein Weg von der Straße ab und in den Forst hinein. An der Stelle, wo das geschieht, bildet der Berg eine kleine, halbkreisförmige Bucht, die mit dichtem Gebüsch bewachsen ist und an deren Öffnung die Straße vorbeiführt. Durch diese Bucht muß ich gehen, um nach dem Ort meiner Arbeit und des Abends von da wieder zurückzukommen. Gestern abend nun hörte ich, als ich die Bucht erreichte, zur Seite meines Weges Stimmen im Gebüsch. Ich trat hinein und sah acht oder neun Pferde stehen, bei denen ebenso viele Männer saßen. Ich konnte die Gesichter derselben nicht erkennen; aber es war doch noch hell genug, zu bemerken, daß sich bei den Pferden zwei Schecken befanden. Da es bekannt ist, daß die Aladschy Schecken reiten, kam ich sogleich auf den Gedanken, daß diese beiden Männer hier anwesend seien.«

»Wurdest Du von den Leuten gesehen?«

»Nein, ich wich sogleich zurück. Ich kam aus der Bucht heraus und wendete mich nun auf der Straße nach rechts, dem Dorfe zu. Da, wo der Wald zu Ende geht und man beinahe die ersten Häuser sieht, saß wieder ein Mann im Gras. Sein Pferd weidete in seiner Nähe. Er saß so, daß er nach dem Dorf blickte. Es hatte den Anschein, als ob er von dort her Jemand erwartete.«

»Sprachst Du mit ihm?«

»Nein. Ich werde mich hüten, mich um die Angelegenheit dieser Leute zu bekümmern.«

Ich war überzeugt, daß die Aladschy uns in der Bucht überfallen wollten. Sie mußten ja annehmen, daß wir da vorüberkommen würden. Der einzelne Reiter war ein vorgeschobener Posten, welcher unsere Ankunft melden sollte. Es kam also darauf an, das Terrain kennen zu lernen. Darum erkundigte ich mich:

»Kann man nicht auf einem andern Weg von hier nach Rugova kommen?«

»Nein, Herr, es gibt keinen zweiten.«

»Aber kann man nicht vielleicht einen Umweg nach einem Ort machen?«

»Auch das geht nicht, und die Bucht ist gar nicht zu vermeiden.«

»Kann man denn nicht nach rechts, nach dem Fluß abweichen?«

»Leider nicht. Rechts von der Strecke hast Du von hier aus zunächst einige Felder, dann Wiese, und sodann gibt es zwischen Straße und Fluß nur tiefen Sumpf. Wo der Sumpf aufhört, beginnen hohe, steile Felsen. Die Straße führt wohl über eine Stunde lang zwischen unbesteigbarem Gestein hin, bis Du fast die Nähe von Rugova erreicht hast. Zwar gibt es hier oder da, zur rechten oder linken Hand, einen Einschnitt, aber wenn Du ihm folgest, so bist Du schon nach kurzer Zeit gezwungen, umzukehren, weil Du nicht weiter kannst.«

»Also zur Linken liegt die Bucht. Wie ist die ihr gegenüber liegende Stelle rechts der Straße beschaffen?«

»Da ist noch Sumpf. Laß Dir's ja nicht einfallen, da hinein zu reiten! Du wärst verloren. Dann aber beginnt gleich das Gestein.«

»Dann ist freilich das Terrain für uns im höchsten Grad gefährlich; aber wir müssen durch.«

»Vielleicht gelingt es Euch durch außerordentliche Schnelligkeit; aber Steine und Kugeln wird es genug geben.«

Nach dieser Erkundigung übergab ich ihm und seinem Bruder die Pferde. Ich behielt nur den Goldfuchs und das zweitbeste der mitgebrachten Thiere für Stojko zurück. Halef mußte den Brüdern aus seiner Almosenkasse ein Geschenk geben, über welches sie sich sehr erfreut zeigten. Dann verabschiedeten wir uns.

Durch das Dorf ritten wir im Galopp, draußen aber hielten wir an. Ich theilte den Gefährten mit, was der Steinbrecher zu mir gesagt hatte, tauschte meinen Rih gegen Halef's Pferd um und bat sie, noch einige Minuten zu warten und dann langsam nachzukommen. Dann ritt ich so schnell fort, daß ich den Posten erreichen mußte, bevor derselbe die mir folgenden Reiter sehen konnte. Schon von Weitem erblickte ich den Posten, aber er bestand aus zwei Männern, welche hart an der Waldecke im Gras lagen. Ihre Pferde standen neben ihnen.

Sie hatten mich kommen sehen und theilten sich wahrscheinlich ihre Bemerkungen über mich mit. Ihre Kleidung war lumpig; Kühnheit und Hinterlist aber leuchteten aus ihren Augen.

Ich grüßte, stieg ab und schritt langsam zu ihnen hin. Sie erhoben sich und musterten mich mit scharfen Blicken. Daß ich nicht im Sattel blieb, war ihnen sehr ärgerlich. Das sah ich ihnen an.

»Was willst Du hier? Warum reitest Du nicht weiter?« fuhr mich der Eine an.

»Weil ich mich bei Euch nach dem Wege erkundigen will,« lautete meine Antwort.

»Dabei konntest Du sitzen bleiben. Wir haben keine Zeit, uns mit Dir abzugeben.«

»Ich sehe doch nicht, daß Ihr mit einer Arbeit beschäftigt seid?«

»Das geht Dich nichts an! Frage, und wir werden antworten; dann aber trolle Dich von dannen!«

Sie hatten ihre Gewehre liegen lassen. Die Messer und Pistolen trugen sie griffgerecht in den Gürteln. Ich mußte so schnell verfahren, daß sie keine Zeit fanden, zu den Waffen zu greifen. Da ich, um nicht ihr Mißtrauen zu erregen, meine Gewehre am Sattelknopf hatte hängen lassen, so kam es darauf an, eines der ihrigen zu erwischen, weil ich sie mit dem Kolben niederschlagen wollte. Ich gab mir eine recht harmlose Miene und sagte:

»Ihr scheint bei so übler Laune zu sein, daß ich freilich am liebsten sogleich davonreiten möchte; aber da ich den Weg nicht kenne, so bin ich gezwungen, Euch um Auskunft zu bitten.«

»Hast Du denn nicht im Dorf gefragt?«

»Ja, aber das, was ich dort erfuhr, befriedigt mich nicht.«

»So hast Du wohl den Dialekt dieser Leute nicht verstanden. Man hört es Deiner Sprache an, daß Du ein Fremder bist. Wo kommst Du denn her?«

»Von Ibali.«

»Und wohin willst Du?«

»Nach Rugova, wohin diese Straße wohl führen wird.«

»Sie führt dorthin. Du brauchst ihr nur zu folgen und kannst gar nicht irren, weil nicht ein einziger Seitenweg abzweigt. Zu wem willst Du in Rugova?«

»Zum Pferdehändler Kara Nirwan, um mit ihm ein größeres Geschäft abzuschließen.«

»So! Wer bist Du denn?«

»Ich bin ein – –«

Ich wurde unterbrochen. Der Andere, welcher bisher geschwiegen hatte, stieß einen lauten Ruf aus und trat einige Schritte vor, so daß er sich von den Gewehren entfernte. Er blickte nach dem Dorf hin.

»Was gibt's?« fragte sein Genosse, indem er ihm folgte, während ich stehen blieb.

»Dort kommen Reiter. Ob sie es sind?«

»Es sind vier. Das stimmt. Wir müssen sofort – –«

Er kam nicht weiter in der Rede. Ich hatte mich hinter ihnen in das Gras gebückt und eine der Flinten ergriffen. Er brach unter dem ersten Kolbenschlag zusammen, und der zweite Hieb traf seinen Kameraden, bevor sich dieser umwenden konnte. Dann schnitt ich den Pferden die Zügel, Sattelgurte und Bügelriemen ab, um mit denselben die beiden Burschen zu binden. Ich war mit dieser Arbeit just fertig, als meine Gefährten ankamen.

»Zwei für Einen?« meinte der Lord. »Das heißt gute Arbeit!«

Da die Waffen der Freibeuter für uns gar keinen Werth besaßen, so zerschlugen wir die Flinten und Pistolen und warfen die Trümmer derselben in eine nahe Wasserpfütze.

Jetzt handelte es sich um Vorsicht. Ich bestieg den Rappen wieder, und dann ritten wir langsam vorwärts, wobei wir die Gewehre in den Händen hielten. Hätte es links von uns ebenen Waldboden gegeben, so wäre es leicht gewesen, uns unter dem Schutz der Bäume unbemerkt anzuschleichen; aber gleich mit Beginn des Waldes stieg auch der mit Tannen bewachsene Fels sehr steil empor.

Rechts sahen wir den erwähnten Sumpf. Trügerische, mit Moos bewachsene oder mit großblätterigen Moorpflanzen bedeckte Stellen wechselten darin mit öligen Lachen, die ein sehr heimtückisches Aussehen hatten.

Um unsere Zahl zu verdecken, ritten wir einzeln dicht hinter einander. Leider war der Weg so steinig, daß bei der ringsum herrschenden Stille der Hufschlag unserer Pferde ziemlich weithin vernommen werden konnte. Nach ungefähr einer Viertelstunde erblickten wir zur rechten Seite das Ende des Sumpfes und diejenige Stelle, an welcher sich das Gestein aus demselben erhob. Zur linken Hand senkte sich die Höhe nieder, um die Bucht zu bilden, von welcher der Steinbrecher gesprochen hatte. Wir hatten gar nicht mehr weit bis dorthin.

Nun ritten wir noch langsamer und vorsichtiger als bisher. Ich ritt an der Spitze und eben wollte ich mich umwenden, um die Gefährten aufzufordern, in Galopp zu fallen, als ein lauter Ruf erscholl. Ein Schuß krachte – die Kugel pfiff an mir vorüber, und zugleich erhielt ich einen Stein an den Kopf, daß ich fast die Besinnung verlor und mir alle Farben des Regenbogens vor den Augen funkelten. Der Stein hatte mich glücklicher Weise nur gestreift. Das war mit der Schleuder geschehen. Wen ein solcher Wurf getroffen hat, der glaubt es sehr gern, daß David einst Goliath mit Stein und Schleuder tödtete.

Aber zu solchen Betrachtungen gab es keine Zeit. Ein Stein hatte den Goldfuchs getroffen, und dieser ging in die Luft, so daß Lindsay alle seine Geschicklichkeit aufbieten mußte, um nicht herabzufallen.

»Fort!« schrie Halef. »Fort, hindurch!«

Er gab seinem Pferd einen Peitschenhieb und schoß davon. Osco und Omar folgten. Lindsay brachte sein Pferd nicht weiter. Es schlug mit allen Vieren aus und bockte an derselben Stelle.

Ich aber hielt mitten auf dem Weg. Es war mir, als hätte ich tausend Glocken der verschiedensten Größe im Kopfe gehabt, welche alle läuteten. Ich konnte weder zu einem Gedanken, noch zu einer vorwärts treibenden Bewegung kommen. Da krachte wieder ein Schuß. Er kam von einem Felsenabsatz herab, auf welchem der Schütze stand. Die Kugel schlug hart vor meinem Rappen auf dem Boden auf und spritzte Steintrümmer umher.

Ich sah den Schützen stehen, ungefähr neun oder zehn Manneshöhen über dem Weg. Er grinste mich höhnisch an und richtete die Pistole auf mich. Das gab mir einen Theil der Besinnung wieder. Rasch hob ich den Stutzen empor und schoß. Seine Pistole blitzte zu gleicher Zeit auf. Er traf abermals nicht, aber meine Kugel nahm ihn so sicher, daß er herabstürzte. In demselben Augenblick entfiel mir der Stutzen. Lindsay's Goldfuchs war doch nun zu der Ansicht gekommen, daß es hier nicht ganz geheuer sei. Er nahm den Kopf noch einmal zwischen die Beine, warf den Hinterkörper empor und schoß davon, aber unglücklicher Weise so hart an mir vorbei, daß der Reiter mit dem Kopf an mein noch erhobenes Gewehr stieß und es mir aus den Händen schleuderte. Zugleich erhielt ich einen Stoß in die linke Hüfte, daß ich mit den Händen auf den Hals des Pferdes flog – einen Ruck an meinem Gürtel, in Folge dessen mein Rappe zur Seite prallte, da ich ihn fest zwischen die Schenkel genommen hatte, sonst wäre ich herabgerissen worden – dann noch ein gewaltiger Hieb gegen meinen Kopf, und der Lord flog davon.

Dieser unglückselige Englishman hatte mich fast ganz waffenlos gemacht, wo ich doch der Waffen so nöthig bedurfte. Wie es gekommen war, hatte ich nicht gesehen, weil meine Augen noch fest auf den herabstürzenden Mann gerichtet waren. Ich erfuhr es erst später von Lindsay. Er hatte sein Gewehr in der Rechten und hielt es sehr fest, damit es ihm bei dem Widerstand seines Pferdes nicht entfallen sollte. Als der Goldfuchs dann mit ihm so eng an mir vorüberschoß, stieß er mir erstens mit dem Kopf den Stutzen aus den Händen und zweitens den Flintenlauf gegen die Hüfte, so daß dieser sich unter meinen Gürtel bohrte, diesen zerriß und dann sich in den Riemen verfing, mit welchem der Bärentödter an meinem Sattelknopf hing; auch dieses Gewehr wurde herab gerissen. Zwar griff ich schnell zu, aber ich erwischte weder Büchse, noch Gürtel, sondern nur den Czakan, welcher in dem Gürtel gesteckt hatte. Büchse, Stutzen, Gürtel und Schärpe mit dem Messer und den Revolvern lagen am Boden.

Ich wäre gern abgesprungen, um mich ihrer wieder zu bemächtigen, aber der Zusammenprall mit dem Goldfuchs hatte meinen sonst so verständigen Rappen wild gemacht. Er wieherte zornig und setzte hinter dem dahinstürmenden Missethäter her, so daß ich nur zu thun hatte, mich wieder zurecht zu setzen und wenigstens den Czakan festzuhalten.

Das war das erste Mal, daß es Rih unternahm, mit mir durchzugehen, und er that es denn auch so nachdrücklich, daß ich an der Bucht wie im Flug vorüberschoß. Schüsse krachten – Menschen brüllten – ein Czakan wirbelte mir hart an der Nase vorüber. Ich nahm die Zügel hoch und warf mich nach hinten, um den Rappen zu bezwingen. Darüber konnte ich auf nichts Anderes achten – ein Krach, ein Schrei – der Lord schlug einen Purzelbaum aus dem Sattel zur Erde herab – mein Rappe war mit ihm und dem Goldfuchs zusammengerannt. Heute bin ich fest überzeugt, daß dies in der Absicht des Rappen gelegen hatte. Er hatte nun seinerseits dem Fuchs einen Stoß versetzen wollen.

Sein Zweck war erreicht. Er wieherte abermals und gehorchte nun ganz willig dem Zügel. Mir aber war es nicht so wohl zu Muth wie ihm: mir schwindelte; es wollte mir schwarz vor den Augen werden. Hinter mir hörte ich Hufschlag und wild schreiende Stimmen. Vor mir rief Halef's Stimme:

»Der Lord, der Lord! Zurück, schnell zurück!«

Ich nahm mich mit Gewalt zusammen und sprang – nein, ich taumelte aus dem Sattel, um Lindsay beizuspringen, welcher ohne Bewegung auf der Erde lag. Aber das Heulen hinter uns lenkte meine Aufmerksamkeit von ihm ab. Die Aladschy kamen in gewaltigen Sätzen herangesprungen, gefolgt von sechs oder acht Kerlen, welche ein Höllengebrüll ausstießen und im Laufen auf uns schossen – eine Albernheit von ihnen, denn sie trafen nicht. Hätten sie ihre Kugeln gespart, bis sie da waren, so wäre es mit uns vorbei gewesen.

In solchen Augenblicken hat man keine Zeit zur Angst, auch keine Zeit, auf das Brummen des Kopfes zu achten. Ich sah die heranstürmenden Feinde und die wieder zu uns zurückkehrenden Freunde. Halef war der Vorderste.

»Wo sind die Gewehre?« fragte er, indem er fast noch im Galoppiren aus dem Sattel sprang. »Sihdi, wo hast Du sie?«

Natürlich hatte ich keine Zeit zur Erklärung, denn die Aladschy brauchten nur noch vier Sekunden, um uns zu erreichen.

»Steht fest! Schießt!« rief ich laut und dann hatte ich nur noch Zeit, dem Hadschi mit der Linken den Säbel aus der Scheide zu reißen. In der Rechten den Czakan, so sprang ich an die Straßenseite zum Felsen, um Rückendeckung zu bekommen. Als ich mich umdrehte, schnellten beide Aladschy mit den Bewegungen wilder Thiere auf mich los. Ihre Czakans fest in den Fäusten, hielten sie mit den linken Händen die Pistolen auf mich gerichtet und drückten auf kaum zwölf oder dreizehn Schritt Entfernung ab. Ich warf mich zu Boden. Die Kugeln prallten über mir gegen den Felsen. Da sie abermals schießen würden, denn ihre Pistolen konnten zweiläufig sein, darum stand ich nicht an derselben Stelle wieder auf, sondern ich schnellte mich augenblicklich so weit wie möglich an der Felswand hin, indem ich jedoch Säbel und Czakan fest in den Händen behielt – – richtig! Wieder zwei Schüsse, die mich abermals nicht trafen; dann fuhr ich empor.

Zwischen den ersten zwei und den letzten beiden Schüssen war kaum eine Sekunde vergangen. Die Aladschy waren zu hitzig. Aber nun warfen sie die nutzlosen Pistolen weg und sprangen mit hoch erhobenen Beilen auf mich los.

Ich konnte nur auf mich selbst achten, sah aber doch, daß der Lord noch immer regungslos auf der Erde lag. Die andern Drei hatten ihre Gewehre auf die Angreifer abgeschossen und einige von ihnen getroffen, wurden aber nun von den Übrigen umringt.

Halef sagte mir später in feierlicher Beschämung, daß er auf die Aladschy gezielt, aber keinen getroffen habe, weil die Aufregung seine Hände zittern machte. Jetzt standen sechs Feinde gegen ihn und die zwei Gefährten; ich konnte ihnen nicht zu Hülfe kommen. Jeder von uns hatte zwei Feinde gegen sich.

Wäre es ja einmal mein Wunsch gewesen, einen wirklich auf das Leben gehenden Kampf mit dem Haidukenbeil mitzumachen, so hätte ich mich jetzt vollständig befriedigt sehen können. Zwei Czakans gegen einen! Zwei Riesen, welche auf diese Waffe eingeübt waren, gegen mich, der ich bisher nur den viel leichteren, ich möchte sagen, eleganteren Tomahawk im Nahkampf geführt hatte! Nur die größte Kaltblütigkeit konnte mich retten. Ich durfte meine Kraft nicht ausgeben; ich mußte mich darauf beschränken, die gegen mich gerichteten Hiebe vorsichtig zu pariren, um dann jeden sich mir bietenden Vortheil blitzschnell auszunützen. Was man in solchen Augenblicken denkt und fühlt, das weiß man später nicht mehr.

Die Aladschy waren zu meinem Glück wie blind vor Wuth. Sie hieben ganz regellos auf mich ein. Der Eine verdrängte den Andern, um einen tödtlichen Hieb anzubringen; ihre Beile waren einander hinderlich. Dazu brüllten sie wie angeschossene Tiger, denen man die Jungen fortschleppt.

Mit dem Rücken nahe der Felswand, aber ja nicht an sie gelehnt, was mich in den Bewegungen des Armes gehindert hätte, und den Blick scharf auf sie gerichtet, so wehrte ich ihre Hiebe ab, bald in fester Parade, bald durch Gegenhieb von unten herauf, bald durch Kreiswirbel, wenn sie zugleich schlugen, je nachdem es erforderlich war. Keiner ihrer Hiebe kam zu sitzen. Meine Ruhe verdoppelte ihren Grimm und verleitete sie zu regellosem Kämpfen.

Drüben auf der Mitte des Weges schrie, fluchte und tobte es, als ob Hunderte gegen einander stritten. Beide Parteien hatten die Flinten abgeschossen, einige Pistolenschüsse waren gefallen; nun befanden sie sich im engsten Handgemenge. Mir wurde bang um die Gefährten; ich mußte versuchen, meine Gegner möglichst rasch los zu werden.

Die Gesichter dieser Beiden waren fast blauroth geworden vor Wuth und Anstrengung. Sie keuchten, und von ihren Lippen troff der Geifer. Da ich jeden ihrer Hiebe parirte, begannen sie, mit den Füßen nach mir zu treten. Das mußte ich benützen.

Eben hatte ich zwei gleichzeitige Czakanhiebe mit einem Kreisschlag abgewehrt, da erhob Sander den Fuß, um mich gegen den Leib zu treten, während sein Bruder zum nächsten Hieb ausholte. Sofort sauste mein Czakan auf sein Knie nieder und schnell glitt ich zur Seite, um Bybar's Beil zu entgehen, welches zu pariren ich keine Zeit hatte. Sandar fiel zu Boden und heulte vor Schmerz; das Beil entglitt seiner Hand.

»Hund!« brüllte Bybar. »Das ist Dein Tod!«

Er holte so weit aus, daß ihm die Axt beinahe nach hinten entfiel. Ich brauchte seinen Bruder nicht mehr zu fürchten, und es war nicht mehr nöthig, rückenfrei zu sein, darum veränderte ich meinen Platz, indem ich einen Sprung machte, um mich von dem Felsen zu entfernen. Bybar konnte nicht schlagen, weil ich ihm nicht standhielt. Ich umkreiste ihn, indem ich die Augen starr auf das seinige richtete und zugleich meine beiden Waffen in den Händen wechselte, so daß ich den Czakan in die Linke und den Säbel in die Rechte bekam. Er drehte sich, um mir stets das Gesicht zu zeigen, um seine eigene Achse. Als er meine Manipulation bemerkte, rief er, höhnisch lachend:

»Willst Du mir mit dem Säbel zu Leibe? Das soll Dir vergehen, Du Wurm!«

»Schlag zu!« schrie der Andere, welcher auf der Erde saß und sein Knie mit beiden Händen hielt. »Er hat mir das Bein zerschmettert. Schlag zu!«

»Gleich, gleich! Da, da soll er es haben!«

Ich war stehen geblieben, um ihm Zeit zum Hieb zu geben. Sein Czakan sauste nieder, der meinige, von der Linken geführt, sauste empor; beide prallten zusammen. Natürlich hatte sein Hieb mehr Wucht gehabt, als der meinige; das hatte ich vorher gewußt, und das wollte ich. Ich ließ mein Beil fahren, als ob er es mir aus der Hand geschlagen hätte.

»So ist's recht!« brüllte er. »Jetzt gilt's!«

Er holte zum zweiten Male aus.

»Ja, jetzt!« antwortete ich.

Der Damascener blitzte auf – ein Sprung von mir nach seinem erhobenen Arm empor, ein schneller Streich – die Axt fiel mit der daran hängenden Hand herab; sie war von der ausgezeichneten Klinge hart hinter dem Gelenk abgetrennt worden.

Bybar ließ den Arm sinken, starrte einige Augenblicke den Stummel an, aus welchem das Blut hervorschoß, und richtete dann den Blick auf mich. Sein Gesicht wurde fast blau. Seine Augen wollten aus ihren Höhlen treten; ein unartikulirtes Brüllen entfuhr seinem Mund, wie wenn ein unter das Wasser Sinkender den letzten Hülferuf ausstößt, welcher durch das Gurgeln der Fluth verschlungen wird. Er erhob die gesunde Faust zum Schlag, schlug aber nicht; sein Arm sank kraftlos nieder. Er drehte sich langsam im Halbkreise und fiel dann schwer zu Boden.

Sandar schien staar vor Entsetzen zu sein. Als er die Hand seines Bruders fallen sah, war er aufgesprungen. Er stand noch jetzt aufrecht da, trotz des verletzten Beines. Seine auf mich gerichteten Augen waren ganz ausdruckslos, der Blick war leer, wie derjenige einer Leiche. Ein Zischen drang zwischen seinen blutleer gewordenen Lippen hervor, ein quirlendes Stöhnen, wie das angstvolle Lallen eines vom Schlag Gerührten, dann plötzlich ein lauter, gräßlicher Fluch, bei welchem er sich auf mich werfen wollte; aber als er das unverletzte Bein erhob, knickte das andere zusammen. Er stürzte nieder.

Jetzt war ich frei und schaute nach den Andern. Mir gegenüber lehnte der Hadschi an dem Felsen und wehrte mit dem Kolben zwei Gegner von sich ab. Ein Dritter lag vor ihm auf dem Boden. Weiter nach mir zu lag wieder einer unserer Feinde, sich hin und her wälzend. Rechts davon lag Osco, welcher einen Gegner umschlungen hatte, und dieser ihn. Jeder von ihnen hielt die mit dem Messer bewaffnete Hand des Andern mit der Linken von sich ab, während er ihn mit der Rechten umkrallt hatte. Und gar nicht weit davon kniete Omar auf Einem, den er mit der Linken bei der Gurgel hatte, während er mit der Rechten zum Messerstoß ausholte.

»Omar, nicht tödten, nicht tödten!« rief ich ihm zu.

Da warf er das Messer weg und legte dem Gegner nun auch die Rechte um den Hals. Ich sprang zu Halef hinüber, welchem Hülfe am nöthigsten war, und versetzte dem Einen seiner Widersacher einen Säbelhieb in die Schulter und dem Andern einen Hieb in den Oberschenkel. Tödten wollte ich sie nicht. Sie ließen heulend von ihm ab, worauf ich auch Osco von seinem Bedränger befreite, indem ich eins der daliegenden Gewehre aufhob und ihm den Kolben desselben an den Kopf schlug.

»O Allah!« rief Halef, tief aufathmend. »Das war Hülfe in der höchsten Noth, Sihdi. Sie hätten mich baldigst übermannt. Ich hatte zuletzt gar Drei gegen mich!«

»Bist Du verwundet?«

»Das weiß ich selbst noch nicht. Aber mein Kaftan ist sehr verwundet. Dort liegt er. Sie haben ihm die Arme ausgerissen und die Rippen eingeschlagen. Er wird wohl nicht wieder in's Leben zurückzubringen sein!«

Der lange Rock war ihm allerdings vom Leibe und in Fetzen gerissen worden. Der kleine Held hatte sich jedenfalls in sehr bedrängter Lage befunden. Verwundet war er nicht; aber ein Kolbenhieb, welchen er auf die linke Achsel erhalten hatte, schmerzte ihn sehr.

Osco war gleichfalls unverwundet, und nur Omar blutete aus einem tiefen Schnitt quer über den linken Vorderarm.

Halef verband ihn rasch, wozu er die Fetzen seines Kaftans benützte. Ich aber ging zum Lord, dessen Regungslosigkeit mir Sorge machte. Ich untersuchte ihn und dankte Gott: er hatte nicht den Hals gebrochen. Er athmete, und als ich ihn kräftig hin und her rüttelte, kam er zur Besinnung, öffnete die Augen, starrte mich an und sagte:

»Good morning, Master! Seid Ihr denn schon so zeitig munter?«

»Ja, es wird Zeit, daß auch Ihr munter werdet, sonst heißt es nicht guten Morgen, sondern gute Nacht für Euch! Ihr müßt mit dem Kopf sehr derb aufgeschlagen sein.«

»Aufgeschlagen? Wie? Wann? Wo bin ich denn eigentlich?«

Er setzte sich auf und guckte ganz erstaunt umher. Ich winkte Osco herbei, welcher ihm das Verständniß des Geschehenen eröffnen sollte, und ging zu Bybar, der in einer Blutlache lag. Wenn er sich nicht verbluten sollte, mußte schnell eingegriffen werden.

Ich schnitt einen schmalen Streifen von einem Gewehrriemen und band ihm denselben so fest um den Armstumpf, daß das Blut nur noch in einzelnen Tropfen zum Vorschein kam. Ein zweiter Riemen wurde in derselben Weise hinter dem ersten befestigt, und dann ward auch diese Wunde mit Kaftanfetzen umwickelt.

Vor allen Dingen mußte nun Halef sich auf den Rappen setzen und in das Dorf zurückreiten, um Leute zu holen, denen wir die Besiegten übergeben konnten. Osco ritt bis dahin zurück, wo meine Gewehre mit dem Gürtel lagen, um mir diese Gegenstände zu holen. Omar war verbunden und konnte mithelfen, das Schlachtfeld zu besichtigen.

Der Lord hatte sich erhoben und sich auch endlich auf Alles besonnen, was bis zu seinem Sturz geschehen war.

»Verteufelte Geschichte!« brummte er. »Grad als der Tanz losgehen soll, muß mir das Leben abhanden kommen! Aber es ist Euch, wie ich sehe, auch ohne meine Hülfe gelungen, gehörig aufzuräumen.«

»Allerdings, Sir. Vielleicht hätten wir mit Eurer Hülfe nicht so aufgeräumt!«

»Wie meint Ihr das?«

»Ich meine, es sei sehr vortheilhaft für uns gewesen, daß Ihr Euch im richtigen Augenblick niederlegtet, um einzuschlafen. Eure Hülfe hätte uns doch nur Schaden gemacht.«

»Alle Wetter! Seid Ihr toll?«

»Nein. Ihr habt die Eigenheit, daß unter Euren Händen sich Alles in das Gegentheil verwandelt.«

»Oho! Das sagt mir nicht, ganz besonders Ihr nicht! Ihr seid an Allem schuld, denn Ihr habt mich vom Pferd geworfen!«

»Nachdem Ihr vorher wie ein Rammschiff an mich gerannt waret!«

»Konnte nicht dafür, Master. Der Goldfuchs ging mit mir durch den Hafer.«

»Und dann der Rappe mit mir in die Wicken. Hätte das nicht Statt gefunden, so wären wir entkommen, ohne ein Haar zurücklassen und anderer Leute Blut vergießen zu müssen.«

»Nun, der Aderlaß schadet ihnen nichts. Sie haben auch nicht nach dem unserigen gefragt. Wir sind Sieger; das ist die Hauptsache, und zwar haben wir nur einen Schnitt in den Arm davongetragen. Das ist doch glorios! Wie sind denn die Rollen vertheilt gewesen?«

»Omar einen, Osco zwei, ich zwei und Halef drei. Ihr seht, daß wir munter sein mußten. Laßt uns nach diesen Leuten sehen.«

Was wir noch zu thun hatten, bestand darin, die Verwundeten zu verbinden und den nur Besinnungslosen die Hände auf den Rücken zu befestigen. Todt war nur Einer: derjenige, welchen ich bei Halef hatte liegen sehen. Der Hadschi hatte ihm eine Pistolenkugel in den Kopf geschossen.

Nun kam Osco zurück. Er führte sein Pferd am Zügel. Auf demselben saß ein am Arm Verwundeter.

»Hier bringe ich den Mann, welchen Du vom Felsen herabgeschossen hast, Effendi,« meldete Osco. »Er ist nicht todt.«

»Ich wußte es,« antwortete ich. »Wenn er nicht während des Herabstürzens den Hals brach, konnte er nicht todt sein, denn ich habe auf sein Schlüsselbein gezielt. Verbindet auch diesen Mann. Ich will einmal zu den Pferden dieser Leute zurück.«

Ich brachte meinen zerrissenen Gürtel einstweilen mit Hülfe eines Riemchens wieder zusammen; dann ritt ich nach der Bucht, wo ich die gesattelten Pferde fand. Es war nur auf die Schecken abgesehen. Die andern Thiere ließ ich stehen. Die Schecken aber nahm ich an den Zügeln und kehrte mit ihnen zurück.

»Willst Du sie behalten?« fragte Osco.

»Ja; denn diesmal frage ich nicht, ob wir ein Recht dazu haben oder nicht. Hier zu Lande gehört die Beute dem Sieger. Wir haben bisher Reiter und Pferd geschont; das soll nicht mehr geschehen. Die Aladschy haben uns fortgesetzt angegriffen, um uns zu tödten; wenn wir ihnen jetzt die Pferde nehmen, so wird kein Mensch uns Diebe nennen.«

»Und wer soll sie bekommen, Sihdi?«

»Wer meinst Du wohl? Die Schecken sind Pferde, welche wohl weit und breit nicht ihres Gleichen finden. Dazu kommt der Ruhm, diesen Räubern ihre Thiere abgenommen zu haben. Ich denke, Du nimmst eins und Omar eins.«

»Um sie für immer zu behalten?« fragte er hastig.

»Natürlich! Hoffentlich laßt Ihr sie Euch von den Aladschy nicht wieder abnehmen.«

»Herr, Du weißt nicht, welche Freude Du mir bereitest. Ich reite mit Euch bis Skutari und will dann mein Vaterland, die Czernagora, besuchen, bevor ich nach Stambul zu meiner Tochter zurückkehre. Wie wird man mich dort um das Pferd beneiden!«

Auch Omar sprach seine große Freude aus. Beide fühlten sich ganz glücklich über das Geschenk, welches ich ihnen da gemacht hatte, ohne daß es mich einen Para kostete. Sie waren eben darüber, zu losen, welches Pferd dem Einen und dem Andern zufallen sollte, als Halef zurückkehrte. Da er erfuhr, daß diese Beiden die Schecken haben sollten, sagte er zwar nichts, aber seine Gedanken standen auf seinem Gesicht geschrieben. Er fühlte sich gekränkt und zurückgesetzt.

»Nun, werden Leute kommen?« fragte ich ihn.

»Ja. Ich bin bis in das Gasthaus geritten und habe dort die Botschaft ausgerichtet. Es wird nicht lange dauern, so kommt die ganze Einwohnerschaft des Dorfes herbei. Wie werden sie uns anstaunen ob des glorreichen Sieges, welchen wir erkämpft haben!«

»Sie werden uns gar nicht anstaunen.«

»Meinst Du? Warum nicht?«

»Weil wir nicht mehr hier sein werden, wenn sie kommen. Ich habe keine Lust, die kostbare Zeit zu versäumen, um mich von diesen Leuten begaffen zu lassen.«

»Aber wir müssen doch bleiben, um ihnen den Grund und Verlauf des Kampfes zu erzählen. Diese Gesellen hier werden, wenn wir eher aufbrechen, Lügen machen und uns als die Schuldigen hinstellen.«

»Das ist mir sehr gleichgültig. Besorge nur nicht, daß uns Jemand anklagen wird.«

»Und was geschieht mit den erbeuteten Waffen?«

»Die zerschlagen wir.«

»So will ich wenigstens eine davon als Andenken mit mir nehmen. Ich habe noch keinen Czakan und will lernen, mit ihm zu streiten.«

Er hob einen der Czakans auf und steckte ihn in den Gürtel.

»Well!« sagte der Engländer, als er das bemerkte. »Wenn Halef es thut, nehme auch ich mir so eine Streitaxt mit. Will sie mir aufheben als Andenken an den unvorsichtigen Master, der mich hier vom Pferd geworfen hat. Und da man mich um meinen Hut gebracht hat, wird mir einer dieser Gentlemen erlauben müssen, mich seines Fez für meinen Kopf zu bemächtigen.«

Er nahm die andere Axt auf und probirte dann die rothen Mützen sämmtlicher Besiegten durch, um eine ihm passende zu finden. Diese liebe Unbefangenheit nöthigte mir ein heimliches Lächeln ab; ich ließ ihn aber gewähren, ohne ihn zu warnen. Er mußte allerdings eine Mütze haben, da es im Orient geradezu eine Schande ist, sich ohne Kopfbedeckung sehen zu lassen; aber eine bereits gebrauchte zu nehmen, was bei ihm freilich nicht gut anders möglich war – – – man mußte die Folgen abwarten.

Auch ich nahm meinen Czakan zu mir.

Dann verließen wir schleunig den Ort, welcher unser Sterbebett hatte werden sollen.

Osco und Omar ritten ihre Schecken; die bisher benutzten Pferde wollten sie verkaufen. Neben diesen beiden Letzteren mußten sie auch dasjenige am Zügel führen, welches ich für Stojko zurückbehalten hatte.

Glücklich, so leichten Kaufes davongekommen zu sein, trabten wir von dannen, nachdem wir vorher die Waffen vernichtet oder wenigstens unbrauchbar gemacht hatten.

Wir ritten fortwährend zwischen bewaldeten Felshöhen dahin. Dabei verstand es sich ganz von selbst, daß das letzte Erlebniß gehörig durchgesprochen wurde.

Nur Halef blieb sehr einsilbig. Er konnte aber seine Gefühle und Gedanken nicht verheimlichen; darum wußte ich, daß er bald kommen werde, um mir Vorwürfe zu machen. Und wir waren noch keine Stunde wieder unterwegs, so kam er an meine Seite und fragte in seinem freundlichsten Ton:

»Sihdi, willst Du mir wohl eine Frage aufrichtig beantworten?«

»Sehr gern, mein lieber Halef.«

»Meinst Du, daß ich heute meine Sache gut gemacht habe?«

»Vortrefflich.«

»Ich bin also tapfer gewesen und habe Deine Zufriedenheit erworben?«

»Im vollsten Maß.«

»So sind aber wohl Omar und Osco noch tapferer gewesen als ich?«

»O nein, obgleich auch sie ihre Schuldigkeit vollauf gethan haben.«

»Aber Du hast sie doch so sehr vor mir ausgezeichnet!«

»Das wüßte ich nicht.«

»Du hast ihnen doch die Schecken gegeben! Omar hat nur einen Feind besiegt, Osco zwei und ich that's sogar mit Dreien!«

»Allerdings mit meiner Hülfe, Halef.«

»Hast Du nicht auch Osco geholfen? Warum hat denn er einen Schecken bekommen und nicht ich? O Sihdi, ich bin Dein Freund und Beschützer und habe geglaubt, daß Du mich liebst. Nun aber finde ich, daß Andere Dir mehr gelten.«

»Du täuschest Dich, Halef. Du bist mir der Liebste von Allen.«

»Das hast Du heute bewiesen. Wer wird stolz sein auf Osco, wenn er auf dem Schecken durch die Czernagora reitet? Wer wird sich freuen über Omar's Pferd? Er hat keine Verwandten, er ist jetzt vollständig fremd in der Welt. Ich gönne ihm die Freude, denn er ist ein braver Kamerad und ich habe ihn sehr lieb. Aber denke einmal an Hanneh, an mein Weib, die Rose der Frauen, die Sanfteste und Zarteste unter den Töchtern der Mütter und Großmütter! Wie würde sie entzückt sein, und wie würde ihr Stolz sich erheben, wenn ihr Hadschi Halef, der Tapferste der Tapfern, geritten käme auf einem erbeuteten Schecken der Aladschy! Sie würde von Zelt zu Zelt eilen, um zu verkündigen: ›Er ist zurückgekehrt, mein Gemahl und Gebieter, der Held unter den Heldenhaftesten, der Mann unter den Männlichsten, der Kriegerischste unter den Streitbaren! Er ist da, der tödtende Säbel, der Vater des Sieges, der Bruder und Schwager des Triumphes. Er hat den Erdkreis umritten und Sieg um Sieg erfochten. Er hat mit wilden Bestien und mit starken Menschen gekämpft, und Niemand hat ihn zu überwinden vermocht. Sogar den Bären hat er getödtet und seine Tatzen verzehrt. Jetzt ist er heimgekehrt auf dem Scheckigsten der Schecken, den er erobert hat von den Gewaltigsten unter den Anführern der Räuber. Sein Sihdi, den Ihr Alle kennt, hat ihm dieses herrliche Pferd verehrt als Preis seiner Tapferkeit, als Lohn seiner Stärke und als Zeichen seines unvergänglichen Ruhmes. Preis sei diesem Sihdi, dem Gerechten, der nach Verdienst belohnt, und Ehre sei meinem Herrn, Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah!‹ So würde sie sagen, und alle Söhne der Araber würden einstimmen in das Lob Deiner Gerechtigkeit; sie würden Lobgesänge dichten auf Deine Unparteilichkeit und herrliche Strophen auf den Glanz Deines Biedersinnes. Nun aber ist das unmöglich, denn Du hast mich mißachtet und mir die verdiente Belohnung vorenthalten!«

Sein Schmerz erging sich in sehr überschwänglichen Ausdrücken. Es war ihm Ernst dabei, obgleich es mir heimlich Spaß bereitete. Ich besaß das beste Mittel, ihn sogleich aufzurichten und in die größte Wonne zu versetzen. Darum sagte ich:

»Du irrst. Ich habe Dich nicht zurückgesetzt. Ich hatte vielmehr die Absicht, Deine Dienste noch ganz anders zu belohnen. Osco und Omar sollten Dich beneiden.«

»Wie können sie mich beneiden, wenn sie die Schecken besitzen?«

»Du sollst ein Pferd haben, welches fünfzigmal mehr werth ist, als die Schecken der Aladschy zusammen.«

»Ich? Welches Pferd sollte das sein?«

»Das erräthst Du nicht?«

»Nein, Sihdi.«

»So muß ich es Dir sagen. Ich werde Dir, wenn wir scheiden, meinen Rih schenken. Du sollst ihn zu Hanneh bringen, der Holdesten der Holden.«

Das gab ihm einen solchen Ruck, daß er sein Pferd anhielt und mich offenen Mundes anstarrte.

»Sihdi,« stieß er hervor, »habe Erbarmen mit mir! Wenn Du sagst, daß Rih mein Eigenthum sein soll, so machst Du mich unglücklich!«

»Unglücklich? Warum?«

»Weil es nicht wahr sein kann. Kein Mensch verkauft ein solches Pferd!«

»Ich will es ja nicht verkaufen, sondern Dir schenken!«

»Kein Mensch wird es verschenken!«

»Habe ich es nicht geschenkt erhalten?«

»Ja, als Lohn Deiner großen Verdienste um den Stamm, welcher ohne Dich vernichtet worden wäre, und als Zeichen der großen Freundschaft des Scheiks, welcher Sohn und Anführer dieses Stammes war.«

»So schenke ich es Dir aus denselben Gründen. Habe ich Dich nicht noch lieber, als der Scheik mich haben konnte? Bist Du nicht mein bester Freund auf Erden? Hast Du Dir nicht große Verdienste um mich erworben? Lebte ich wirklich noch, wenn Du nicht stets mein Freund und Beschützer gewesen wärst?«

Das ging ihm tief zu Herzen. Die Thränen traten ihm in die Augen, und er sagte wehmüthig:

»Ja, ich bin Dein Freund und ich habe Dich so lieb, so lieb, daß ich mein Leben tausendmal für Dich hingeben würde, wenn das möglich wäre. Ich würde sogar vielleicht Hanneh verlassen, wenn es zu Deinem Glück nothwendig wäre. Aber doch spottest Du meiner!«

»Denke das nicht! Hast Du nicht bereits Hanneh vernachlässigt um meinetwillen? Hast Du sie nicht verlassen, sie und Dein kleines Söhnchen, um mir zu folgen durch jede Noth und alle Gefahren? Und ich sollte Deiner spotten!«

»Ja, denn Du nennst mich Deinen Beschützer!«

»Du nennst mich ja selbst oft so!«

»O Sihdi, Du weißt gar wohl, wie das zu nehmen ist. Nicht ich bin Dein Beschützer, sondern Du bist der meinige. Oft hast Du mir das Leben gerettet, indem Du das Deinige wagtest. Und das ist die Wahrheit. Du weißt gar wohl, daß mein Mund zuweilen mehr sagt, als ich selbst glaube. Du nimmst es ruhig hin und lächelst im Stillen über Deinen kleinen Hadschi, der froh ist, wenn Du Deine Hand nicht von ihm nimmst. Und nun sollte ich für meine Verdienste, welche ich gar nicht kenne und besitze, den Hengst bekommen? Das ist nicht möglich! Denke, wie stolz Du auf ihn sein kannst, wenn Du einreitest in das Land Deiner Väter! Die Söhne Deines Volkes werden staunen und Dich beneiden; in allen Städten wird man reden und erzählen von diesem Pferd und von seinem Reiter, und in allen Dscherideler wird Dein Bildniß erscheinen, wie Du auf dem Rappen sitzest, die Büchse am Sattel und den Czakan an der Seite!«

»Nein!« lachte ich. »Man wird weder davon sprechen, noch davon schreiben. Nur wenige Menschen werden sich darum kümmern, ob ich überhaupt ein Pferd habe oder nicht. Die Verhältnisse meines Landes sind nicht diejenigen des Deinigen. Bringe ich Rih mit nach Hause, so kostet er mich so viel Geld, wie ich gar nicht habe; davon hast Du keinen Begriff. Ich müßte ihn verkaufen, sonst würde er mich aufzehren.«

»Nein, nein, Sihdi, verkaufen darfst Du ihn nicht! Wer versteht dort die Behandlung dieses Pferdes, welches der König der Rappen ist!«

»So bist Du also meiner Ansicht. Und selbst wenn ich ihn verkaufen wollte, so würde er beim reichsten Besitzer langsam dahin siechen und sich nach dem freien Leben sehnen, welches er gewohnt ist. Du beobachtest ihn nicht so, wie ich es thue. Er ist die Wüste gewohnt und den Sonnenbrand. Er braucht das Futter, welches er nur dort haben kann. Er wird sich beim ärmsten Araber wohler fühlen, als in meiner Heimat im herrlichsten Stall. Wer wird ihn dort behandeln, wie ein Kind des Hauses? Wer wird ihm des Abends vor dem Schlafenlegen die Suren des Kuran in das Ohr sagen, so wie er es seit dem Tag seiner Geburt gehabt hat? Noch sind wir im Land des Großherrn, und doch ist er bereits krank. Sein Haar ist nicht mehr wie der Faden der Spinne; seine Augen sind hell, aber nicht mehr voll Feuer. Suche nach den drei Locken: zwischen den Ohren, am ersten Halswirbel und an der Wurzel des Schwanzes, welche sichere Zeichen der drei Vortrefflichkeiten eines ächten Blutes sind. Das Haar ist nicht mehr gelockt: es ist schlicht und straff geworden. Er würde vielleicht elend aussehen, aber er liebt mich, und dies erhält ihm die Munterkeit und Spannkraft. So wird er auch Dich lieben, aber keinen Andern. Er weiß, daß Du sein Freund bist, und wird Dir gehorchen, wie er mir gehorcht hat, wenn Du des Abends die Sure nicht vergissest. Also um seinetwillen darf ich ihn nicht behalten. Ich muß ihn der Heimat zurückgeben aus Dankbarkeit für das, was er mir geleistet hat. Und wenn ich, indem ich das thue, zugleich Dich glücklich mache, so ist das ein Grund mehr, ihn Dir zu schenken. Sobald wir das Wasser der See erreichen, ist er Dein Eigenthum. Dann kannst Du ohne Verdruß sehen, daß Osco und Omar die Schecken reiten, denn sie sind mit Rih nicht zu vergleichen.«

»Ich kann es aber nicht glauben, Sihdi. Freilich, mein Schmerz wird groß sein, wenn ich mich nun bald von Dir trennen muß, und das Thier zu besitzen, welches Du geritten hast, wäre mir ein Trost in diesem Leid; aber bedenke die Größe dieser Gabe! Als Besitzer des Rih wäre ich ein reicher, ein sehr reicher Mann und einer der Angesehensten des Stammes. Ich weiß, daß Du keine Schätze besitzest; wie dürfte ich da ein solches Geschenk von Dir annehmen!«

»Du darfst und Du sollst. Sprechen wir nicht weiter davon!«

Er sah mir forschend in das Gesicht. Als er sah, daß es mir Ernst war, erglänzte das helle Entzücken in seinen noch feuchten Augen. Und doch sagte er zagend:

»Ja, Sihdi, sprechen wir nicht länger davon! Das ist eine so hochwichtige Angelegenheit, daß Du sie Dir reiflich überlegen mußt.«

»Sie ist überlegt und längst beschlossen.«

»So überdenke es noch einmal; noch ist die Trennungsstunde nicht gekommen. Aber eine große, große Bitte habe ich, Herr!«

»Welche denn?«

»Erlaube mir, von heute an dem Rih des Abends an Deiner Stelle die Sure in das Ohr zu sagen. Er wird dann wissen, daß er mir gehören soll, und sich an diesen Gedanken gewöhnen. Der Schmerz der Trennung von Dir wird ihm dadurch erleichtert werden.«

»Ja, thue das! Ich werde von jetzt an auch darauf verzichten, ihm Futter und Wasser zu geben. Er ist Dein Eigenthum, und von diesem Augenblick an habe ich ihn nur von Dir geliehen. Aber ich knüpfe eine Bedingung an diese Gabe, Halef.«

»Sage sie! Ich werde sie erfüllen, wenn es mir möglich ist.«

»Es ist Dir möglich. Ich möchte nicht für immer von Dir scheiden. Du weißt, daß ich nach meiner Ankunft in der Heimat fast immer bald wieder von dannen gehe. Es ist möglich, daß ich wieder einmal in das Land komme, wo Du mit Hanneh, der Unvergleichlichen, wohnst. In diesem Fall gehört Rih wieder mir für so lange Zeit, als ich ihn dort brauche.«

»Herr, ist's wahr? So wolltest Du uns besuchen? O, welche Freude würde das geben auf den Weideplätzen und unter allen Zelten! Der ganze Stamm käme Dir entgegen, um Dir das Ahla wa sahla wa marhaba zu singen, und Du würdest auf dem Rih einreiten in das Duar und ihn besitzen, so lange es Dir beliebt. Der Gedanke, Dich wiederzusehen, wird mich beim Scheiden trösten und es mir erleichtern, die kostbare Gabe anzunehmen, welche Du mir machen willst. Ich werde den Rappen nicht als mein, sondern als Dein Eigenthum betrachten, welches Du mir anvertraut hast, es Dir gut zu bewahren.«

Natürlich war es ihm unmöglich, dieses Thema so schnell fallen zu lassen. Er besprach dasselbe von allen möglichen Gesichtspunkten aus und redete sich in eine wirkliche Begeisterung hinein. Dann aber gab es nichts Nothwendigeres für ihn, als den Gefährten die Größe seines Glückes mitzutheilen. Sie gönnten ihm dasselbe von ganzem Herzen. Nur der Lord, dem Halef mehr in Gesten als in Worten die betreffende Mittheilung gemacht hatte, kam herbei und sagte beinahe zornig:

»Hört, Master, ich erfahre soeben, daß Ihr den Rih weggeschenkt habt. Ist das wahr, oder habe ich die Armbewegungen und Ausrufe des Kleinen falsch verstanden?«

»Es ist wahr, Sir.«

»So seid Ihr zehnmal verrückt!«

»O, ich bitte! Hält man es in Altengland für eine Verrücktheit, einen braven Menschen glücklich zu machen?«

»Nein, aber man hält es für Wahnsinn, ein solches Prachtthier einem Bedienten zu schenken.«

»Halef ist nicht mein Domestik, sondern mein Freund, der mich weithin begleitet und deßwegen seine Heimat verlassen hat.«

»Das entschuldigt Euch nicht. Bin ich Euer Freund oder Euer Feind?«

»Ich denke, das Erstere.«

»Habe ich Euch begleitet oder nicht?«

»Ja, wir sind eine lange Zeit beisammen gewesen.«

»Habe ich die Heimat verlassen oder nicht?«

»Seid Ihr meinetwegen aus Altengland fort?«

»Nein; aber ich wäre längst wieder dort. Das ist ganz dasselbe. Und habe ich Euch nicht etwa große Dienste erwiesen? Bin ich nicht, weil ich Euch retten wollte, in dieses verteufelte Gebirg gekommen und ausgeraubt und eingesperrt worden?«

»Letzteres geschah nur in Folge Eurer Unvorsichtigkeit. Übrigens, wenn wir aufrichtig sein wollen, sinkt hier meine Wagschale tiefer als die Eurige. Daß Ihr uns retten wolltet, ist ganz schön und gut von Euch, und wir erkennen es mit aufrichtiger Dankbarkeit an; aber ich habe Euch bereits vorhin gesagt, daß sich unter Eurer Hand Alles in das Gegentheil zu verwandeln pflegt. Nicht Ihr habt uns, sondern wir haben Euch gerettet. Soll ich Euch dafür den Rappen schenken?«

»Wer hat das verlangt! Es fällt mir nicht ein, eine Belohnung von Euch zu begehren; aber Ihr wißt, wie sehr ich mich nach dem Besitz dieses Pferdes sehne. Ich hätte es Euch abgekauft. Ich hätte Euch eine Anweisung gegeben, ein Blanket, welches Ihr mit der von Euch gewünschten Summe ausfüllen konntet, ohne daß ich hingeschaut hätte; sie wäre Euch ausgezahlt worden. Rih hätte einen Stall erhalten, in welchem ein Fürst wohnen könnte, und wäre aus marmorner Krippe mit dem aromatischen Heu aus Wales, dem besten Hafer aus Schottland und dem saftigsten Klee aus Irland gefüttert worden!«

»Und wäre dabei zu Grunde gegangen. Rih will in der Wüste wohnen und ihre Kräuter fressen. Einige Bla Halefa sind die größte Delikatesse für ihn. Nein, Sir; Ihr seid ein reicher Mann, ein Millionär, und habt die Mittel, alle Eure Wünsche erfüllt zu sehen. Halef aber ist ein armer Kerl, der nichts wünschen darf, weil er weiß, daß er nichts bekommen kann. Dieses Geschenk geht ihm über alle Freuden und Wonnen, welche Muhamed den Gläubigen bereits hier auf Erden verheißt. Er soll es haben. Ich habe es gesagt und kann nicht zurück.«

»So! Ihn wollt Ihr selig machen; ihn hebt Ihr in den siebenten Himmel; aber meine Freuden und Wonnen gehen Euch nichts an. Hole Euch der Teufel, Sir! Wenn jetzt ein Spitzbube käme, der Euch mir stehlen wollte, ich würde nichts dagegen sagen, sondern ihn vielmehr flehentlichst bitten, Euch mitzunehmen und beim Trödler für sechs oder acht Para zu verkaufen!«

»Danke für diese Werthschätzung! Acht Para sind noch nicht ganz vier Pfennige. Ich habe wirklich nicht geahnt, daß ich ein gar so billiger Artikel bin. Aber was habt Ihr denn? Leidet Ihr an Kopfschmerzen, Sir?«

Er hatte nämlich mehrere Male, bald mit der linken, bald mit der rechten Hand nach seinem Kopf gegriffen, den Fez in die Stirn oder in das Genick geschoben und dabei mit den Fingern diejenigen energischen Bewegungen gemacht, welche geeignet sind, ein gewisses kleines Wildpret aufzustöbern.

»Kopfschmerzen? Wie so?« fragte er.

»Weil Ihr so oft nach dem Kopfe greift.«

»Davon weiß ich nichts; das geschieht ganz unwillkürlich, wohl weil der Fez nicht ganz richtig sitzt.«

Aber noch während er sprach, kratzte er sich abermals.

»Seht, soeben geschieht es wieder, und der Fez hat doch ganz richtig gesessen.«

»Ja, hm! Wißt Ihr, es scheint, ich habe verdorbenes Blut. Es setzt sich in der Kopfhaut fest und beginnt zu jucken. Ich werde, wenn ich nach Altengland komme, eine Blutreinigungskur vornehmen, Lindenblüthen- und Hollunderthee mit strengster Diät und einem achtpfündigen Plumpudding täglich.«

»Quält Euch nicht mit einer solchen Hungerkur! Die Pflaumen und Rosinen des Puddings würden Euch den Magen verderben. Ein wenig Fett mit Quecksilber thut es auch, und zwar erfordert diese Kur die Zeit von nur fünf Minuten.«

»Meint Ihr?«

»Ja. Wolltet Ihr warten bis zum Hollunderthee in Altengland, so würdet Ihr jedenfalls nur als Skelett dort ankommen; die weicheren Körpertheile wären indessen verspeist worden.«

»Von wem?«

»Von dem, was Ihr unreines Blut nennt. Diese sonderbaren Blutstropfen haben nämlich ganz eigenthümlicher Weise sechs Beine und einen Rüssel, welcher höchst unangenehm wirken kann.«

»Wie – wa – waaas?« fragte er, mich erschrocken ansehend.

»Ja, mein lieber Herr! Vielleicht habt Ihr das Latein Eurer Jugendjahre noch einigermaßen fest. Wißt Ihr noch, was Pediculus capitis bedeutet?«

»Hab's jedenfalls gewußt, ist mir aber entfallen.«

»Oder wißt Ihr, welches liebliche Geschöpf der Araber ›Khamli‹, der Türke aber ›Bit‹ nennt? Der Russe sagt ›Woschj‹, der Italiener ›Pidocchio‹, der Franzose ›Pou‹ und der Hottentott ›t' Garla‹.«

»Seid still! Laßt mich mit Türken und Hottentotten in Ruh'! Ich verstehe keins dieser Wörter!«

»So habt die Güte, Euer Haupt zu entblößen und einmal das Innere Eures Fez zu untersuchen. Vielleicht macht Ihr eine wichtige Entdeckung, welche Euch den Ruf eines berühmten Insektenkenners einbringen wird.«

Er riß die Mütze vom Kopf, blickte aber nicht hinein, sondern fragte ganz betroffen:

»Wollt Ihr mich beleidigen? Oder meint Ihr etwa, daß da drin – –?«

»Ja, ich meine, daß da drin – –!«

»Etwas – etwas Lebendiges krabbelt?« fuhr er fort.

»Richtig! Ganz dasselbe meine ich.«

»Alle Teufel! Ah!«

Er hielt sich die Mütze vor das Gesicht und starrte hinein. Seine Nase fuhr hin und her, nach oben und nach unten, als hätte sie sich ganz separat auf die eifrigste Ocularinspection legen wollen. Dann ließ er die Hände mit der Mütze sinken und rief erschrocken aus:

»Woe to me! Louses! Lice!«

»Habt Ihr es entdeckt, Sir?«

Er wollte den Fez wegwerfen, besann sich aber anders, stülpte ihn vor sich auf den Sattelknopf, fuhr sich mit beiden Händen in das Haar und begann nun eine ganz entsetzliche Verwüstung seiner Toilette anzurichten. Dabei erging er sich in Ausdrücken, welche gar nicht wiederzugeben sind, und war am grimmigsten darüber, daß diese Thierlein nicht einmal das ehrenwerthe Haupt eines Lords von Altengland respektirten.

Dieser Zorn brachte mich zum Lachen. Er ließ die Hände vom Kopf, wendete sich wieder zu mir und schrie mich an:

»Lacht nicht, Sir, sonst boxen wir! Wie steht es denn mit Eurem Fez? Erfreut auch er sich einer solchen Einwohnerschaft?«

»Habe nicht die Ehre, mein lieber Lord. Diese Art von Soldiers hält sich fern von mir, weil ich mich niemals so zuvorkommend wie Ihr gegen sie erwiesen habe.«

»Welche Unvorsichtigkeit, diesen Fez zu nehmen! So ein Unheil, welches er angerichtet hat! Und in dieser kurzen Zeit! Sollte man es für möglich halten!«

»O, was das betrifft, so hat der Türke eine Redensart, welche lautet: Tschapuk ok gibi hem bit gibi – schnell, wie der Pfeil und die Laus. Und in der Türkei versteht man sich auf diese Sache doch sehr gut.«

»Aber was thue ich, was fange ich an? Gebt mir doch einen guten Rath! Ich darf den Palast, welchen dieses unheilvolle Volk bewohnt, nicht wegwerfen, denn es wäre eine Schande, unbedeckten Hauptes in Rugova einzureiten. Und ob es dort einen Laden gibt, in welchem ich eine neue Kopfbedeckung erhalten kann, das ist doch fraglich.«

»Sogar sehr! Vor uns braucht Ihr Euch nicht zu geniren und könnt den Gefährten ganz ruhig Euer Unglück wissen lassen. Steigen wir für zwei Minuten ab.«

Nachdem die Andern erfahren hatten, um was es sich handelte, erbot sich Osco, die Execution zu übernehmen. Er legte die Mütze auf einen Stein und that eine dünne Schicht Erde oben darauf. Auf diese kam dann ein Haufen trockener Zweige, welcher angebrannt wurde. Dadurch erreichten Erde, Stein und Mütze einen Wärmegrad, welcher den beabsichtigten Zweck unbedingt erfüllte. In der Nähe tröpfelte Wasser vom Fels und bildete eine kleine Pfütze, in welcher der Fez nach dem warmen Verfahren einer nassen Behandlung ausgesetzt wurde. Dann erhielt der Lord den Schutz der Würde seines Hauptes zurück, und wir ritten weiter. Auf dergleichen Episoden muß man im Orient stets gefaßt sein, selbst wenn man zufälliger Weise ein Lord von Altengland ist.


 << zurück weiter >>