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IX. Schluß.

Wie meine »Reiseerzählungen« nur Skizzen sind, so ist auch das vorliegende Werk nur Skizze. Es kann gar nichts anderes sein, weil das, was ich erzähle, noch nicht zu Ende ist und weil eine Menge mir auferzwungener Prozesse wie drohende Revolver auf mich gerichtet sind. Außerdem verhindern mich brutale Körperschmerzen, in der Weise zu schreiben, wie ich möchte. Zehn Jahre lang täglich viermal ganze Stöße von Briefen und Zeitungen erhalten, die von Gift und Hohn und Schadenfreude überfließen, das hält kein Simson und kein Herkules aus. Geist und Seele sind stark geblieben. Es hat sich in mir nicht das Geringste geändert. Mein Gottvertrauen und meine Menschenliebe sind nicht ins Wanken gekommen. Aber meinen Körper, den früher so unverwüstlich scheinenden, hat es endlich doch gepackt. Er will zusammenbrechen. Seit einem Jahre ist mir der natürliche Schlaf versagt. Will ich einmal einige Stunden ruhen, so muß ich zu künstlichen Mitteln, zu Schlafpulvern greifen, die nur betäuben, nicht aber unschädlich wirken. Auch essen kann ich nicht. Täglich nur einige Bissen, zu denen meine arme, gute Frau mich zwingt. Dafür aber Schmerzen, unaufhörliche, fürchterliche Nervenschmerzen, die des Nachts mich emporzerren und am Tage mir die Feder hundertmal aus der Hand reißen! Mir ist, als müsse ich ohne Unterlaß brüllen, um Hilfe schreien. Ich kann nicht liegen, nicht sitzen, nicht gehen und nicht stehen, und doch muß ich das alles. Ich möchte am liebsten sterben, sterben, sterben, und doch will ich das nicht und darf ich das nicht, weil meine Zeit noch nicht zu Ende ist. Ich muß meine Aufgabe lösen.

Meine Aufgabe? Ja, meine Aufgabe! Die habe ich endlich, endlich erkannt. Sie ist genau dieselbe, wie ich dachte, und aber doch eine ganz, ganz andere. Ich sagte bereits: Das Karl May-Problem ist, wie das Problem jedes andern Sterblichen, ein Menschheitsproblem im Einzelnen. Aber während die meisten Menschen nur dazu berufen sind, in ihrem kleinen, engen Kreise gewisse Phasen des großen Problems darzustellen, gibt es noch Andere, denen die schwere Aufgabe wird, ein Abbild desselben zwar auch nur im Kleinen, aber doch nicht im Einzelnen, sondern im Ganzen zu liefern. Die Vielen stellen Menschheitsteile, diese Wenigen aber stellen Menschheitsbilder dar. Die Vielen können ihren engen Kreis sauber halten; sie sind Dutzendmenschen; sie können sogar als Mustermenschen erscheinen. Den Wenigen aber ist die Tugend und die Sünde, die Reinheit und der Schmutz der ganzen Menschheit in gleichem Verhältnisse wie dieser zugeteilt; sie können berühmte Feldherren oder rohe Mörder, große Diplomaten oder berüchtigte Schwindler, segensreiche Finanzgenies oder niedrige Taschendiebe, niemals aber Mustermenschen werden. Ihnen ist nicht das wohltuende Glück der unbewußten Mittelmäßigkeit beschieden. Ist das Leben mächtiger als sie, so werden sie zwischen Tugend und Laster, zwischen Höhe und Tiefe, zwischen Jubel und Verzweiflung hin- und hergezerrt, bis sie über den Wolken zerstäuben oder in den Schluchten zerschellen. Sind sie stärker als das Leben und sind sie im Glücke geboren, so werden sie in stolzer Ruhe ihre leuchtenden Bahnen ziehen; kamen sie aber unter den Augen der Niedrigkeit, der Armut und der Not zur Welt, so werden sie zwar ihr Ziel erreichen, weil sie es erreichen müssen, aber der Widerstand, den sie zu überwinden haben, wird ein grausamer, ein unerbittlicher sein, und ehe sie, da oben angekommen, ihren Siegesruf erschallen lassen können, werden sie ermattet zusammenbrechen, um die Augen für diese Welt zu schließen.

Eigentlich sollte ein Jeder wissen, zu welcher von diesen Menschenarten er gehört, oder er sollte sich doch wenigstens verpflichtet fühlen, hierüber nachzudenken. Das habe ich getan, und ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß ich kein billiges, ungestörtes Durchschnittsglück zu beanspruchen hatte, sondern das Menschheitselend in seinen tiefsten Tiefen kennen lernen mußte, um mich ebenso beharrlich und ebenso mühevoll aus ihm emporzuarbeiten, wie die Menschheit Ströme von Schweiß und Blut und die Zeit von Jahrtausenden braucht, sich aus dem ihrigen zu erheben. Ebenso bin ich überzeugt, daß es mir beschieden war, dabei den hartnäckigen Widerstand zu finden, der sich mir auch heute noch entgegenstellt, und daß ich mich nicht über ihn beschweren darf, weil ich ihn mir ebenso selbst bereitet habe, wie die Menschheit schneller vorwärts kommen würde, wenn sie endlich aufhören wollte, sich ihren eigenen Weg mit Hindernissen zu belegen. Man sieht, daß ich keinen Anderen, als nur mich selbst anklage.

Habe ich in diesem Buche einmal zu hart oder scharf gesprochen, bin ich unbillig oder unfügsam gewesen, so war dies keinesweges beabsichtigt oder gewollt, sondern die immer noch nicht ganz überwundene Anima ist es gewesen, die es mir diktierte. So lange sich der Mensch im Niedrigen bewegt, und das mußte ich in dieser meiner Lebensbeschreibung doch mehr als reichlich tun, hat das Niedrige Macht über ihn, und ich durfte nicht unwahr sein; ich mußte so schreiben, wie das Milieu es mit sich brachte. Nun ich aber zum Schlusse gelange und bessere, reinere Luft zu atmen beginne, bin ich auch reiner und freier in dem, was ich schreibe, und bekomme die Kraft zurück, alles das, was mich verbittern will, zu überwinden.

Und mich zu verbittern, war mehr als genugsam Grund vorhanden. Ich spreche da nur von den letztvergangenen zehn Jahren und den Begleiterscheinungen des Münchmeyerprozesses. Dieser wurde von Seiten meiner Gegner resp. ihres Rechtsanwaltes Gerlach in einer Weise geführt, die ich vorher für vollständig unmöglich hielt. Ich ahnte nicht, in wie weitgehender Weise das Gesetz in dieser Beziehung den Anwalt schützt. Wenn es gilt, den Gegner in den Augen der Richter herabzusetzen, darf er sich erlauben, was sich sonst Niemand erlauben darf. Er steht unter dem Schutze des Paragraphen 193, denn er handelt im Interesse seines Klienten. Ich bringe eine Musterauswahl der Ausdrücke, die ich mir vom Münchmeyerschen Advokaten Dr. Gerlach gefallen lassen mußte, weil er sich ihrer in seiner Eigenschaft als Anwalt bediente:

Er beschuldigte mich »frecher Anzapfungen«, »unberechtigter Forderungen«, zahlreicher »Dreistigkeiten« und »faulen Zaubers«. Er nannte mich »raffiniert«, »frech«, »dreist«, »verleumderisch«, »pathologisch zur Unwahrheit reizend«, »Lügner«, »Lügenmay«, »Renommist«, »Münchhausen«, »Aufschneider«, »Betrüger«, »Lump«, »Schwindler«, »Allerweltsschwindler«, »Einbrecher«, »Hochstabler«, »Zuchthäusler« usw. usw. Ich frage: Sind dergleichen Beschimpfungen, selbst wenn sie die Wahrheit enthielten, im gewöhnlichen Leben erlaubt? Wurde ein wirklich gebildeter Mann mit Einem, der sich ihrer schuldig macht, verkehren wollen? Nun, im Verkehr vor Gericht sind sie gestattet, denn ich habe diesen Anwalt auf sie hin wegen Beleidigung verklagt und bin abgewiesen worden. Aber noch mehr: Er erhob auf diese meine Klage hin Gegenklage gegen mich, und diese wurde nicht zurückgewiesen. Der Richter ist hieran völlig unschuldig; er kann nicht anders; das Gesetz verlangt es so! Eines Tages, als die Zeugenaussagen für die Münchmeyersche Partei nicht günstig ausgefallen waren, sagte dieser Anwalt zum Richter: »Aber es ist doch ganz unmöglich, daß ein vorbestrafter Mensch, wie May, den Prozeß gewinnen kann!« »Das haben Sie abzuwarten,« antwortete ihm der Richter. Ich stand dabei und mußte mir die Beleidigung gefallen lassen, denn das Gesetz erlaubte sie ihm. Das ist nun fast zehn Jahre lang so gegangen und geht noch heut in diesem Tone und in dieser Weise fort. Ein sehr hoch stehender Richter sagte, hierauf bezüglich, zu meinem Rechtsanwalt: »Niemals in meiner ganzen, langen Praxis ist mir eine Sache seelisch so nahe getreten, wie die von Karl May. Was muß dieser arme, alte Mann gelitten haben!« Er hätte getrost hinzufügen können: »Was leidet er noch, und was wird er noch weiter leiden!« Dieser Richter kannte meine Vorstrafen genau; er hatte die hierüber vorhandenen Akten studiert. Ich gewann trotzdem und trotz aller gegnerischen Schmähungen den Prozeß in sämtlichen Instanzen, gewiß ein laut sprechender Beweis, daß der deutsche Richter sich durch anwaltliche Invektiven nicht beeinflussen läßt; aber ruhig anzuhören hatte ich sie doch und habe ich sie noch heut. Und sie wirken, wenn nicht auf das Urteil, so doch ganz bestimmt nach anderer Seite hin. Sie verrohen den Parteiverkehr und greifen aus dem Verhandlungszimmer hinaus in das öffentliche und hinein sogar in das private Leben. Man wird alle die beleidigenden Ausdrücke über mich, die ich oben angeführt habe, schon in den Zeitungen gelesen haben und ihnen ebenso auch im Privatverkehr begegnet sein. Das ist die notwendige Folge der Freiheiten, die jeder übelwollende, rücksichtslose Rechtsanwalt sich nehmen darf, wenn er einsieht, daß die Roheit ihn weiter führt, als die Humanität. Er schreibt diese Roheiten in seine Schriftsätze und lanciert sie von da als beweiskräftiges Aktenmaterial hinaus in die Zeitungen. Oder er schickt sie zuerst in die Zeitungen und legt sie dann in gedruckter Form dem Gericht als Beweise vor, ohne zu sagen, daß sie von ihm stammen. Stehen einem derartigen Anwalte einige gleichgesinnte, von ihm gewonnene Blätter oder Blättchen zur Seite, so ist es ihm ein Leichtes, eine jede Existenz, und stehe sie noch so fest, in kurzer Zeit zu erschüttern oder wohl gar zu vernichten. »In den Zeitungen von ganz Deutschland kaputmachen,« nennt man das. Und das Gesetz begünstigt dieses Treiben!

Es liegt mir da noch ein anderes, hochinteressantes Beispiel nahe, welches nichts weniger als empfehlend für mich klingt. Ich bringe es aber trotzdem, weil ich, wenn ich der Allgemeinheit nützen will, nicht fragen darf, ob ich mir selbst etwa dadurch schade. Meine erste Frau hatte die Frau eines Dresdener Schriftstellers beleidigt, welcher von Münchmeyers aus wußte, daß ich vorbestraft bin. Er rächte sich dadurch, daß er mich bei einem deutschen Fürsten denunzierte und ihm mitteilte, daß seine Verwandten meine Bucher läsen und mich auch persönlich besuchten. Der Fürst antwortete durch Schweigen. Da kam eine zweite Denunziation, und nun war der Fürst gezwungen, sich nach Dresden zu wenden, um zu erfahren, was mit meinen Vorstrafen sei. Er erhielt die eingehendste Auskunft. Es wurde ein Beamter nach Radebeul geschickt, um sich an Ort und Stelle zu erkundigen. Er erfuhr, daß meine Ehe keine glückliche sei, weshalb ich in meinen freien Stunden nicht zu Hause bleibe, und daß ich in meinen Büchern über Länder schreibe, in denen ich gar nicht gewesen sei; Alles, was ich da berichte, sei nicht wahr. Infolge dessen steht in den Dresdener Polizeiakten über mich verzeichnet, daß ich einen unsoliden Lebenswandel führe und ein literarischer Hochstapler sei. Das wurde dem Fürsten mitgeteilt, und einer der betreffenden Verwandten erzählte es mir bei nächster Gelegenheit sehr ausführlich wieder. Er wußte sehr wohl, was an der Sache war, bat mich aber um Diskretion, so daß ich gezwungen war, hierüber zu schweigen. Ich glaubte auch, schweigen zu können, weil ich annahm, daß derartige Polizeiakten zu den verschwiegensten Dingen der Verwaltung gehören. Jetzt aber werden sie zu meinem Erstaunen von Lebius veröffentlicht und von meinen Gegnern entsprechend ausgebeutet. Wie kommt ein aus der Kirche ausgetretener Sozialdemokrat a. D zu diesen geheimen Dresdener Polizeiakten? Das Gesetz gestattet es! Ganz selbstverständlich fühle ich mich nun nicht mehr zur Diskretion verpflichtet und werde darauf dringen, daß diese Akten revidiert und berichtigt werden.

Ein weiterer Fall führt mich nach Leipzig, wo ich wie auf Seite 119 berichtet, vor nun fünfundvierzig Jahren auf ungesetzlichen Wegen ergriffen wurde. Das ist so lange her, daß die betreffenden Gerichtsakten längst vernichtet worden sind, denn die Menschlichkeit verlangt, daß solche Spuren nur von einer ganz bestimmten Dauer seien, und diese Dauer ist vorüber. Wer hat nun daran gedacht, daß auch bei der dortigen Polizei Notizen hierüber gemacht worden und vielleicht noch vorhanden sein können? Herr Lebius hat sie kürzlich veröffentlicht! Wie kommt ein Mann, wie er, nun auch noch zu den Leipziger Polizeiakten? Das Gesetz erlaubt es!

Ebenso hat er meine Scheidungsakten veröffentlicht. Sie sind doch gewiß von diskretester Natur und gehen ihn gar nichts an. Aber das Gesetz erlaubt es ihm!

Er ist über Alles unterrichtet, was sich auf meine prozessualen Verhältnisse bezieht. Wer erlaubt ihm das, und wer ermöglicht es ihm? Das Gesetz und der Münchmeyersche Rechtsanwalt, der zugleich auch der seinige ist. Beide arbeiten einander aus der Hand in die Hand. Es ist sogar vorgekommen, daß Lebius meine geschiedene Frau in Berlin zum Unterschreiben eines Vollmachtsblanketts veranlaßte, dieses aber nach Dresden zum Münchmeyerschen Rechtsanwalt schickte, der es dann für sich ausfüllte, wie es für seine besonderen Zwecke paßte. Das sind nur einige wenige Beispiele aus meiner reichen, persönlichen Erfahrung dafür, daß das Gesetz Dinge nicht nur erlaubt, sondern sogar begünstigt, die es eigentlich auf das strengste verbieten sollte. Dem steht selbst der rechtlichste und humanste Richter machtlos gegenüber, und das war es, woran ich dachte, als ich weiter oben sagte, daß ich meine Aufgabe endlich, endlich erkannt habe. Ich bin vor nun vierzig und fünfzig Jahren unfreiwillig da hinunter gestiegen, wo die Verachteten wohnen, denen es so schwer gemacht wird, sich die ihnen geraubte Achtung zurück zu erwerben. Ich habe sie kennen gelernt, und ich weiß, daß sie nicht weniger wert sind, als alle die, welche nur deshalb niemals stürzten, weil sie entweder niemals hoch standen oder nicht die nötige innere Freiheit besaßen, stürzen zu können. Ich will wieder zu ihnen hinab, jetzt als fast Siebzigjähriger, nicht gezwungen, sondern aus freiem Willen, aus eigenem Entschlusse. Ich will ihnen sagen, was ihnen noch Niemand zu sagen wagte, nämlich daß ihnen Niemand helfen kann, wenn sie sich nicht selbst zu helfen wissen. Daß sie verloren sind, außer sie retten sich durch eigene Kraft. Durch engsten Zusammenschluß unter sich selbst. Ich will ihnen mein Beispiel vorhalten, mein Leben und mein Streben. Will ihnen zeigen, was aller gute Wille und alle Mühe fruchtet, wenn bei Andern dieser gute Wille fehlt. Ihnen zeigen, daß ein einziger unfairer Rechtsanwalt oder dieser eine, einzige Paragraph 193 genügt selbst die schönsten und die besten Erfolge der Willensstärke, der christlichen Liebe und der Humanität mit einem Schlage zunichte zu machen. Ich will ihnen sagen, daß es eine Sünde von der Menschheit ist, ihre Mitschuld an der Schuld der Schuldigen zu verbergen. Daß es aber auch von diesen ein Fehler ist, zu verheimlichen, daß sie einst schuldig waren. Unser Leben, mein Leben, ihr Leben soll frei vor Gottes Auge liegen, besonders aber auch frei vor unserm eigenen Auge. Dann zürnen wir nicht, und dann grollen wir nicht. Denn dann sehen wir ein, warum wir fallen konnten: Wir fielen durch uns selbst. Und sehen wir das ein, so können wir uns selbst verzeihen, und wer sich selbst verzeihen darf, dem wird verziehen werden. Weg also mit der falschen Scham, und heraus mit der Offenheit! Nur das Geheimnis, in das wir uns hüllen, gibt jenem Paragraphen und jedem gewissenlosen Menschen die Macht, sich höher und besser zu dünken als wir, und doch unser– – –Henker zu sein!

Es sind nur Andeutungen, die ich hier gebe. Wie alles Bisherige, so kann auch dieses einstweilen nur Skizze sein. Aber ich fühle das Bedürfnis, das, was Andere Böses an mir taten, für meine Mitmenschen in Gutes zu verwandeln. Ich werde es denjenigen, die gleiches Schicksal, wie ich, hatten, ermöglichen, aus der unmenschlichen Hetze gegen mich diejenigen Schlüsse zu ziehen, die ihnen heilsam sind. Was nützt alle sogenannte »Gerechtigkeit«, alle sogenannte »Milde des Gerichtes«, alle sogenannte »Humanisierung des Strafvollzuges«, alle sogenannte »Fürsorge für entlassene Strafgefangene«, wenn es nur eines einzigen spitzfindigen Anwaltes oder eines einzigen fragwürdigen Paragraphen bedarf, um all das Gute, welches aus diesen Bestrebungen erwuchs, in einem einzigen Augenblicke zu vernichten? Wie kann man von dem Gefallenen verlangen, daß er wieder aufstehe und sich bessere, wenn man es unterläßt, auch die Verhältnisse, in die man ihn zurückversetzt, zu verbessern? Ist es eine Ermunterung für ihn, zu wissen, daß er trotz aller Besserung doch, so lange er lebt, der Geächtete, der Unterdrückte, der Rechtlose bleiben muß und bleiben wird, weil er gezwungen ist, zu allem zu schweigen und sich alles gefallen zu lassen? Denn falls er das nicht tut, ist er verloren. Wenn er hingeht, um gegen die, welche ihn beleidigen, bestehlen und betrügen, sein gutes Recht zu suchen, schleppt man seine alten Akten herbei und stellt ihn an den Pranger. Ich erinnere daran, daß ich von einem Dresdener Staatsanwalt sogar aus nur rein »wissenschaftlichen« Gründen an diesen Pranger genagelt worden bin, bei lebendigem Leibe! Er konnte nicht einmal meinen Tod abwarten und behauptete, durch einen Gesetzesparagraphen zu dieser Vivisektion berechtigt worden zu sein. Da schaut man denen, die von Humanität sprechen, ganz unwillkürlich in das Gesicht, ob sich da nicht etwa ein sardonisches Lächeln zeigt, welches verrät, wie es eigentlich steht. Und da fühlt man mit den Hunderttausenden, die hierunter leiden, das brennende Bedürfnis, einmal alle die Paragraphen, an denen der gute Wille der Menschheit scheitert, an das Tageslicht zu ziehen und dahin zu stellen, wo sie stehen müssen, um durchschaut zu werden – – – vor die Oeffentlichkeit, vor den Reichstag!

Hier liegt der Punkt, an dem meine Aufgabe anzusetzen hat. Es hat schon Einige gegeben, die als »entlassene Gefangene« ihre Erfahrungen niedergeschrieben haben; aber was man da erfuhr, das war so unbedeutend, daß es der Allgemeinheit keinen Nutzen bringen konnte. Hier genügt es nicht, kleine Menschengeschicke zu zeigen, sondern schwere, gewichtige Menschenschicksale, die, auch im klassischen Sinne, wirkliche Schicksale sind. Und das meinige ist ein solches. Ich fühle mich verpflichtet, und meine Aufgabe ist, es in den Dienst der Humanität zu stellen. Wie ich mir das denke, das wird man, hoffe ich, aus meinem zweiten Bande ersehen.

ES gehörte zu dieser meiner Aufgabe, daß die Oeffentlichkeit sich nicht nur mit dem Schriftsteller Karl May, sondern auch mit dem Menschen May befaßte und daß Alles, was dem Letzteren vorzuwerfen war, bis auf den letzten Tropfen ausgeschöpft werden mußte. Das Eine war berechtigte Kritik; das Andere war Henker-, Schinder- und Kavillerarbeit, die ich über mich ergehen lassen mußte, ohne mich durch das mir abgeforderte Geld von dieser Qual und Marter zu befreien. Das war die Geisterschmiede meines Märchens, in der man auf mich losschlug, daß die Funken durch alle Zeitungen flogen. Sie fliegen sogar noch heut. Doch wird bald Ruhe werden. Die Zeit des Hammers ist vorüber; es kommt nur noch die Feile, und dann ist es gut. Daß all das Leid, welches über mich kam, auch meine andere, die schriftstellerische Aufgabe, beeinflussen mußte, versteht sich ganz von selbst. Auch da gab es Schlacken, und zwar mehr als genug. Auch sie mußten herunter. Es flog der Ruß, der Schmutz, der Staub, der Hammerschlag. Noch liegt das alles um mich her, doch nun wird ausgeräumt, damit das reine, edle Werk beginne.

Es war überhaupt ein großes, ein schweres und ein höchst schmerzhaftes Auf- und Ausräumen. Nicht nur in meinem Innern, sondern auch in meinem Aeußern, in meiner Arbeit, meinem Berufe, meinem Hause, meiner Ehe. Alles, was mich in die Schmiede und dem Schmerze in die Arme getrieben hatte, mußte weichen. An seine Stelle trat, was rein und ehrlich war und mit nach oben strebte, aus Ardistan nach Dschinnistan, dem Land der Edelmenschen. Das gab eine Scheidung von Gut und Bös, die nur unter Kämpfen und Opfern ausgeführt werden konnte. Nun ist sie vollzogen. Die Wetter gingen vorüber. Zwar rauscht noch hier oder da ein trübes Wasser, irgend ein Beleidigungsprozeß, eine Staatsanwaltschaftsanzeige, doch auch das geht bald vorbei, und dann wird Ruhe und Friede um mich sein, so daß ich endlich, endlich Zeit und Raum und Stimmung gewinne, an mein eigentliches, an mein einziges und letztes »Werk« zu gehen.

Schau ich auf die letzten zehn Jahre zurück, so bin ich voller Dankbarkeit, sie überstanden zu haben. Eine »Hetze« wie die gegen mich, hat es, so lange die Erde steht, noch nie in der Literatur irgend eines Landes, eines Volkes gegeben. Das gab Zeitungsstürme, Stürme in den Gerichtssälen, Stürme im eigenen Hause und Stürme im eigenen Innern. Man alter, treuer, guter Freund, der Körper, behauptet zwar, nicht länger mitmachen zu können, aber ich bin überzeugt, daß er doch wieder so bereitwillig und verständig wird, wie er immer gewesen ist. Er hat ertragen müssen, was eigentlich wohl nicht zu ertragen war. Zunächst sechs Jahre lang die drei Instanzen des ersten Münchmeyerprozesses mit allen Aufregungen und Armseligkeiten, die mit ihm verbunden waren. Sodann die zweiundzwanzig Monate währende Untersuchung wegen Meineid und Verleitung dazu. Denn der Münchmeyersche Rechtsanwalt hatte, nachdem der Prozeß für ihn verloren war, mich und meinen Zeugen beim Staatsanwalte wegen Meineides angezeigt. Der Staatsanwalt war, nach seiner eigenen Aussage, auf diese Anzeige eingegangen, um endlich einmal Klarheit zu schaffen. Dieser fast zwei Jahre lange Kampf endete ganz selbstverständlich damit, daß man weder mir noch meinen Zeugen etwas Strafbares nachweisen konnte. Aber damit noch nicht genug, gesellte sich noch Anderes dazu, was fast noch schlimmer als alles Vorhergehende war. Die ersten Lebiusangriffe. Eine doppelseitige Lungenentzündung, die mich monatelang zwischen Tod und Leben schweben ließ. Die Beschuldigungen, welche meine geschiedene Frau auf mich, meine jetzige Frau und ihre Mutter wälzte und mit denen sie uns in schwere Strafe bringen wollte. Die Staatsanwaltschaftsanzeigen, welche sie dann wegen dieser Beschuldigungen durch einen Freund gegen uns erheben ließ. Dieselben Staatsanwaltsanzeigen, von Lebius in Berlin wiederholt. Glücklicher Weise hatte diese geschiedene Frau Alles, was sie dann nach der Scheidung leugnete, während des Scheidungsprozesses ganz fremden Leuten und ohne all mein Zutun freiwillig erzählt und eingestanden, so daß sie zu diesem späteren Leugnen nur verführt sein konnte. Die Vorlegung dieser Beweise zeigte alle Anklagen gegen mich als Lügen. Ferner der Antrag des Lebius an die Staatsanwaltschaft, mich in ein Irrenhaus zu sperren. Sein Antrag, mich nach Amerika steckbrieflich verfolgen zu lassen. Die zahllosen Artikel gegen mich in seinem Blatte, der »Bund«. Seine Flugblätter mit den gräßlichsten Unwahrheiten, welche die Runde durch Deutschland, Oesterreich, Schweiz, Italien, Frankreich, England, Nord- und Südamerika machten. Da beschuldigte er mich sogar, meinen Schwiegervater erwürgt zu haben! Das geht so fort bis in die neueste Zeit. Schließlich eine Denunziation wegen Beleidigung des Untersuchungsrichters, und zu allerletzt, vor ungefähr vier Wochen, eine Anzeige an den Staatsanwalt gegen mich wegen Blutschande, die bekanntlich mit bis fünf Jahren Zuchthaus bestraft wird. Man sieht, daß man zu den alleräußersten Mitteln greift, mich »kaput zu machen«! Dies auszuhalten, ohne das Vertrauen zu Gott, den Glauben an die Menschheit und alle Lebenslust und Lebenskraft zu verlieren, ist eine Tat, zu der wohl kaum jeder fähig ist. Ich habe es ertragen, ohne mich zur Selbsthilfe reizen zu lassen, weil ich keinen Augenblick lang an Gott und seiner Liebe zu zweifeln vermag und weil mir in dieser überschweren Zeit ein Wesen zur Seite gestanden hat, dessen tapfere, hochstrebende Seele mich wie auf Engelsflügeln über alles Leid erhob, dem ich verfallen sollte, nämlich meine jetzige Frau. Wenn man berechtigt gewesen ist, Bücher über das Thema »die Bestie im Weibe« zu schreiben, so könnte ich mich wohl verpflichtet fühlen, dem gegenüber ein Buch zu veröffentlichen, welches den Titel »Der Himmel im Weibe« führt.

Mit einer solchen Frau an der Seite, die mir eine Quelle alles menschlich Reinen, menschlich Edeln und menschlich Ewigen ist, läßt sich in Beziehung auf das Erdenleid Alles erlangen und in Beziehung auf die noch vor mir liegende Arbeit Alles leisten, was menschenmöglich ist. Ich bin nicht mehr so fürchterlich allein. Ich habe nicht mehr immer nur aus mir selbst herauszuschöpfen, sondern es hat sich mir ein köstlich reiches seelisches Leben zugesellt, durch dessen Einfluß sich Alles, was in mir zum guten Ziele führt, verdoppelt. Körperlich schwer leidend, bin ich geistig frisch und seelisch wenigstens ebenso vertrauensvoll wie in der Jugendzeit. Ich bin nicht töricht genug, mir zu verheimlichen, daß man mich als einen Ausgestoßenen betrachtet, ausgestoßen aus Kirche, Gesellschaft und Literatur. Der Eine schlägt auf mich los, weil er mich für einen verkappten Katholiken oder gar Jesuiten hält; der Andere greift zum Prügel, weil er meint, ich sei noch immer heimlich Protestant. Würden diese Beiden es wohl fertig bringen, sich immer grad nur zu denen zu bekennen, von denen sie die meisten Prügel bekommen? Daß man mich als gesellschaftlich tot betrachtet, rührt mich nicht. Ich habe nicht den geringsten Grund, partout zu der Gesellschaft gehören zu wollen, die ich in meiner Leidenszeit gezwungen war, kennen zu lernen. Uebrigens haben wir beide alten Leute, meine Herzensfrau und ich, in Beziehung auf das Innenleben aneinander so vollauf genug, daß wir es gar nicht fertig bringen, uns nach »Gesellschaft« zu sehnen. Und was meine literarische Ausstoßung betrifft, so kann ich mich auch mit ihr zufrieden geben. Den Weg, auf dem ich mich befinde, ist noch kein Anderer gegangen; ich wäre also auch ohne den Haß, den man auf mich richtet, gezwungen, ein Einsamer zu sein. Auch bin ich überzeugt, daß später, wenn man mich und das, was ich will, erst richtig kennen gelernt hat, sich Manche, vielleicht sogar Viele von dem großen Haufen absondern werden, um sich mir zuzugesellen. Alte Wege können höchstens zu alten, toten Schätzen führen. Wer aber nach neuen, lebendigen Schätzen sucht, der soll auch neue, nicht alte Wege gehen. Und der meinige ist ein neuer! Das Schicksal meiner bisherigen Arbeiten wird nur durch ihren Weit oder Unwert bestimmt, durch nichts Anderes. Taugen sie etwas, so werden sie bleiben, ganz gleich, ob man sie gegenwärtig lobt oder tadelt. Taugen sie nichts, so werden sie verschwinden, ganz gleich, ob man sie jetzt verwirft oder nicht. Und, was die Hauptsache ist, derjenige, der über ihren Wert oder Unwert bestimmt, bin nur ich allein. Keiner meiner Gegner, und sei er literarisch noch so mächtig und einflußreich, kann auch nur den geringsten Einfluß darauf haben Das klingt stolz und prahlerisch, ist aber wahr. Diese Werke sind Skizzensammlungen, sind Vorübungen, sind Vorbereitungen auf Späteres. Gelingt mir dieses Spätere, so ist alles, durch was ich mich darauf vorbereitete, gerechtfertigt, mag man jetzt darüber denken und schreiben, wie oder was man will.

Nun bleibt nur noch eine Schlußbemerkung in Beziehung auf die Münchmeyerromane übrig. Einer meiner erbittertsten Gegner schrieb, ich solle es ja Niemandem weismachen, daß ein Schundverlag sittliche Romane in unsittliche verwandeln könne; das würde eine Riesenarbeit sein, der Niemand gewachsen ist. Dieser Herr scheint so glücklich zu sein, dem Leben und Treiben eines Schundverlages unendlich fern zu stehen. Erstens wenn Jemand der Zeit und der Mühe gewachsen ist, einen Roman zu schreiben, so muß man doch noch viel mehr der kürzeren Zeit und der geringeren Mühe gewachsen sein, diesen Roman umzuändern! Zweitens erfordert eine solche Umänderung keineswegs soviel Zeit und Arbeit, wie mein Gegner anzunehmen scheint. Die Einfügung von einigen Worten genügt vollständig, einen »moralischen« Druckbogen in einen » unmoralischen« zu verwandeln. Drittens sind Kräfte mehr als genug für solche Umarbeitungen vorhanden, und sie besitzen eine so erstaunliche Routine darin, daß selbst der Kenner sich über die Masse, die sie bewältigen, wundert. Ich habe hierüber Beweise erbracht und werde auch noch weitere bringen. Das oft erwähnte Faktotum Walther saß bei Münchmeyers täglich von früh bis abends, nur um solche Arbeiten zu machen und dann die Korrektur zu lesen, die der Verfasser niemals zu sehen bekam. Was erst Fischer, der Käufer des Münchmeyerschen Geschäftes, und dann einige Jahre später seine Erben mir über diese Umarbeitung meiner Romane materiell und gerichtlich bezeugten, ist bekannt. Hierzu hat Münchmeyers Neffe, der Obermaschinenmeister war, als Zeuge im Prozeß bestätigt, daß Münchmeyer mit seiner eigenen Hand ganze Kapitel verändert hat. Ein anderer Zeuge hat beschworen, Münchmeyer habe ihm eingestanden, daß er an meinen Romanen große, umfangreiche Aenderungen vornehme, ohne es mir sagen zu dürfen. Ich brauche hier wohl nicht noch weitere Beispiele, die mir zur Verfügung stehen, anzuführen, um es begreiflich zu machen, daß ich absolut die Vorlegung meiner Originalmanuskripte verlange, deren Beweiseskraft doch jedenfalls eine ganz andere ist als etwa die dunkle Erinnerung eines alten Schriftsetzers, der man es zumutet, sich nach dreißig Jahren in dem Tohu wa bohu der damaligen Münchmeyerschen Schriftkästen zurechtzufinden. Uebrigens stechen diese Aenderungen oft so scharf von meinem Urtexte ab, daß sehr zahlreiche Leser mir versichern, ganz genau sagen zu können, wo die Fälschung beginnt und wo sie endet.

Zuletzt kann ich es nicht unterlassen, auf einen Trick meiner Gegner und besonders des Herrn Lebius aufmerksam zu machen, den man anwendet, um meine den höhern Kreisen angehörenden Leser gegen mich zu empören. Da wird zum Beispiel an auffälliger Stelle gesagt, daß ich in hervorragender Gesellschaft in Dresden verkehre und daß ich mir überhaupt die größte Mühe gebe, mit hochstehenden Leuten bekannt zu werden. Hiervon ist kein Wort, kein Buchstabe wahr. Bin ich »Hans für mich«, so fühle ich mich am wohlsten, und ich wünsche in dieser Beziehung weiter nichts, als »Hans für mich« zu bleiben. Ich möchte den Menschen sehen, der mir den Nachweis liefern wollte, ich hätte mich ihm gesellschaftlich aufgedrängt! An andern Stellen wird emphatisch behauptet, daß ich an »Höfen« verkehre. Das ist erst recht nicht wahr. Wenn irgend eine aristokratische Persönlichkeit, die zu irgend einem »Hofe« gehört, meine Bücher liest und gelegentlich einige Worte mit mir spricht, so bin grad ich der Allerletzte, der dies dahin auslegt, daß ich »bei Hofe verkehre«. Es kann diesen Behauptungen, die pure Erfindungen sind, nur die Absicht zu Grunde liegen, mich den betreffenden Kreisen als indiskret oder gar als Lügner zu kennzeichnen und mich selbst da zu schädigen, wohin ich absolut nicht gehöre. – – –

*

Am Schlusse dieses Bandes komme ich auf den Anfang zurück, auf mein altes, liebes Märchen von »Sitara«, von dem ich ausgegangen bin. Nicht lange Zeit mehr, so wird man dieses Märchen als Wahrheit kennen lernen, und zwar als die greifbarste, die es gibt. Es ist die Aufgabe des begonnenen, gegenwärtigen Jahrhunderts, unsere ungeübten Augen für die große, erhabene Symbolik des alltäglichen Lebens zu schärfen und uns zu der beglückenden und erhebenden Erkenntnis zu bringen, daß es höhere und unbestreitbarere Wirklichkeiten gibt als diejenigen, mit denen der Werk- und Wochentag uns beschäftigt. Die Skizzen, die ich zeichnete und veröffentlichte, sollen der Vorbereitung zu dieser Erkenntnis dienen. Darum sind sie symbolisch geschrieben und, um verstanden zu werden, nur bildlich zu nehmen. Man möchte sich eigentlich darüber wundern, daß dies dem gewöhnlichen Leser so schwer zu fallen scheint. Es ist doch wohl keine allzu harte Nuß, sich beim Lesen eines Gleichnisses irgend etwas zu denken. Wenn ich unter Ardistan das Land der ethisch niedrig stehenden und unter Dschinnistan das Land der hochstehenden, edel denkenden Menschen meine, so kann es doch keiner geradezu akademischen Bildung bedürfen, einzusehen, was ich meine, wenn ich eine Reise von Ardistan nach Dschinnistan beschreibe. Der Leser hat sich einfach aus seiner Alltagswelt in meine Sonntagswelt zu versetzen, und das ist doch wohl auch nicht schwerer, als Sonntags seine Werkelstube zu verlassen, um bei Glockenklang in die Kirche zu gehen.

Wie dieser Kirchgang vom irdischen Druck befreit, so will ich durch meine Erzählungen das Innere meiner Leser vom äußeren Druck befreien. Sie sollen Glocken klingen hören. Sie sollen empfinden und erleben, wie es einem Gefangenen zumute ist, vor dem die Schlösser klirren, weil der Tag gekommen ist, an dem man ihn entläßt. So leicht es ist, diese Gefangenschaft bildlich zu nehmen, so leicht ist es auch, meine Bücher zu verstehen und ihren Inhalt zu begreifen. Ich will, daß meine Leser das Leben nicht länger als ein nur materielles Dasein betrachten. Diese Anschauung ist für sie ein Gefängnis, über dessen Mauern sie nicht hinaus in das von der Sonne beschienene freie, weite Land zu schauen vermögen. Sie sind Gefangene, ich aber will sie befreien. Und indem ich sie zu befreien trachte, befreie ich mich selbst, denn auch ich bin nicht frei, sondern gefangen, seit langer, langer Zeit. Damals, als ich mich im Gefängnisse befand, da war ich frei. Da lebte ich im Schutze der Mauern. Da meinte es ein Jeder gut und ehrlich, der zu mir in die Zelle trat. Da durfte mich niemand berühren. Da war es keinem erlaubt, den Werdegang meines inneren Menschen zu stören. Kein Schurke hatte Macht über mich. Was ich besaß und was ich erwarb, das war mein sicheres, unantastbares Eigentum, bis ich – – entlassen wurde, länger nicht! Denn mit dieser Entlassung verlor ich meine Freiheit und meine Menschenrechte. Was andere, die nur materiell zu reden wissen, als Freiheit bezeichnen, das ist für mich ein Gefängnis, ein Arbeitshaus, ein Zuchthaus gewesen, in dem ich nun schon sechsunddreißig Jahre lang geschmachtet habe, ohne, außer meiner jetzigen Frau, einen einzigen Menschen zu finden, mit dem ich hätte sprechen können wie damals mit dem unvergeßlichen katholischen Katecheten. Ich lebte und arbeitete nicht für mich, sondern nur für Andere. Was ich erwarb, um das wurde ich betrogen. Was ich mir sparte, das stahl man mir. Ein Jeder durfte mit mir machen, was ihm beliebte, denn überall fand er einen Anwalt, der seine Sache führte. Ein Jeder durfte mich verdächtigen, mich beleidigen, auf mich einschlagen, denn überall gab es einen Paragraphen, der ihn schützte. Ich mußte um meines Eigentums willen sechs Jahre lang prozessieren, und als ich den Prozeß gewonnen hatte, bekam ich noch lange nichts und wurde wegen Meineides zweiundzwanzig Monate lang in Voruntersuchung genommen. Nun prozessiere ich schon fast zehn Jahre lang und habe noch immer kein Resultat. Das Gesetz will es nicht anders. Inzwischen aber bin ich wie ein Züchtling gewesen, den Jeder stäupen, quälen und martern darf, wie es ihm beliebt, wenn es ihm nur gelingt, sich mit einem jener Paragraphen zu bewaffnen, welche die Ideale aller »schneidigen« Anwälte sind. Jawohl, ich bin Gefangener, Zuchthäusler, noch immer! Ein Dutzend Prozesse haben mich festgehalten, damit ich ja nicht entweichen könne, und Jeder, der Geld von mir wollte, aber keines bekam, hat sich als Zuchtmeister gebärdet und auf mich eingeschlagen. Ich habe das Beste aller derer, für die ich schreibe, gewollt, ihr inneres und äußeres Heil, ihr gegenwärtiges und ihr zukünftiges Glück. Was gab man mir für diesen meinen guten Willen? Verachtung, Spott und Hohn! Als ich Zuchthäusler war, da war ich keiner. Und nun ich aber keiner bin, da bin ich einer. Warum?

Und Ihr lacht darüber, daß ich bildlich schreibe? Ist für uns, die wir die Allerärmsten sind, nicht selbst die Hölle und das Fegefeuer bildlich? Wo gibt es die Hölle, wenn nicht bei Euch? Und wo gibt es das Fegefeuer, wenn nicht bei uns? Dieses Fegefeuer meine ich, wenn ich symbolisch von meiner »Geisterschmiede« erzähle, deren fürchterliche Zeit ich heut oder morgen überwunden haben werde. Ich zürne Euch nicht, denn ich weiß, es mußte so sein. Es war meine Aufgabe, alles Schwere zu tragen und alles Bittere durchzukosten, was es hier zu tragen und durchzukosten gibt; ich habe das nun in meiner Arbeit zu verwenden. Ich bin nicht verbittert, denn ich kenne meine Schuld. Und was andere gezwungen an mir taten, das trage ich nicht nach. Ich bitte nur um das Eine: Laßt mir endlich, endlich Zeit, mit dieser meiner Arbeit zu beginnen!

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Nach meines Lebens schwerem Arbeitstag
Soll Feierabend sein im heil'gen Alter.
Und was ich hier vielleicht noch schauen mag.
Das sing ich Euch zur Harfe und zum Psalter.
Ich habe nicht für mich bei Euch gelebt;
Ich gab Euch alles, was mir Gott beschieden,
Und wenn Ihr nun mir Haß für Liebe gebt,
So bin ich auch mit solchem Dank zufrieden.

Nach meines Lebens schwerem Leidenstag
Leg allen Gram ich nun in Gottes Hände.
Und was mich hier vielleicht noch treffen mag,
Das führe er in mir zum frohen Ende.
Ich hab' die Schuld, die Ihr auf mich gelegt,
Gewißlich nicht allein für mich getragen,
Doch was dafür sich irdisch in mir regt,
Das will ich gern nur noch dem Himmel sagen.

Nach meines Lebens schwerem Prüfungstag
Wird nun wohl bald des Meisters Spruch erklingen.
Doch, wie auch die Entscheidung fallen mag,
Sie kann mir nichts als nur Erlösung bringen.
Ich juble auf. Des Kerkers Schloß erklirrt;
Ich werde endlich, endlich nun entlassen.
Ade! Und wer sich weiter in mir irrt,
Der mag getrost mich auch noch weiter hassen!

 

Ende.


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