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63

»Zu Ihrer Freude, aber auch zu Ihrem Unglücke!«

»Leider. Alfarez sagte mir, wenn ich Walker treffen wolle, müsse ich mit nach Visalia gehen. Walker wohnt in der Nähe und verkehre häufig in Alfarez' Gasthause. Das war die Leimruthe. Ich ging darauf und blieb daran hängen. Hier in Visalia angekommen, hatte ich Alfarez, dem ich einfältiger Weise mein ganzes Vertrauen schenkte, Alles erzählt. Er erfuhr, daß ich Arthur Wilkins suchte und gegen Walker Verdacht hege. Er lockte mich hierher in's Todesthal.«

»Auf welche Weise?«

»Auf die einfachste Weise von der Welt. Er hatte bei dem Besitzer des Quecksilberbergwerkes zu thun, sagte er mir, und nahm mich mit. Der Name »Todesthal« reizte mich. Ich wollte es sehen und kennen lernen. Ich kam hier an, wurde freundlich aufgenommen und erhielt einen Schlaftrunk, welcher mich betäubte, gerade wie Wilkins. Als ich erwachte, stak ich im Bergwerke, in Eisen gefesselt. Und nun erfuhr ich auch, welcher Art die Bekanntschaft dieses Alfarez mit dem Besitzer des Werkes sei: Alfarez war nämlich Bergmeister.«

»Wie jetzt sein Sohn.«

»Ja, dieser Letztere ist der Nachfolger seines Vaters.«

»Wo steckt der Vater?«

»Irgendwo unter der Erde. Er ist todt.«

»Schade, sehr schade!«

»Warum?«

»Es würde mich sehr freuen, wenn wir ihm jetzt seinen Lohn geben könnten, wie ihn sein Sohn bereits bekommt.«

»Der Vater hat ihn eben auch erhalten. Er ist keines natürlichen Todes gestorben.«

»Wohl verunglückt?«

»Wie man es nimmt. Ja, er ist verunglückt, nämlich zwischen meinen Fäusten.«

»Ah! Sie haben ihn getödtet?«

»Ja. Ich weigerte mich natürlich, zu arbeiten, und erhielt die Peitsche. Sie wissen nicht, was das heißt. Gleich bei dem ersten Hiebe, den er mir gab, unterschrieb ich im Stillen sein Todesurtheil. Aber ich war ja an eine Eisenstange gefesselt; er hütete sich, mir zu nahe zu kommen, und so konnte ich ihn nicht fassen. Er trat nur so weit zu mir heran, daß er mich mit der Peitsche erreichen konnte. Ich erhielt öfters Schläge. Das verzehnfachte meinen Grimm. Eines schönen Tages stellte ich mich ohnmächtig; ich fiel um. Er war so unvorsichtig, herbei zu treten, um mich zu untersuchen, und da hatte ich ihn. Zwar staken meine Hände in eisernen Schellen, zwar wehrte er sich wie ein wildes Thier, aber ich besaß noch alle meine Kräfte, welche übrigens durch die Wuth noch verdoppelt wurden, ich war ihm überlegen; er starb unter meinen Fäusten.«

»Ich habe nicht Lust, ihn zu bedauern.«

»Pah! Er hatte seinen Lohn. Juanito, sein Sohn, wurde sein Nachfolger.«

»Das war schlimm für Sie!«

»Versteht sich. Der Sohn gab sich natürlich alle Mühe, den Tod seines Vaters an mir zu rächen. Was ich ausgestanden habe, spottet einer jeden Beschreibung. Roulin hatte die Stirn, mir hohnlachend zu erzählen, daß auch Arthur Wilkins bei ihm gefangen sei.«

»Warum mag er Sie Beide nicht lieber getödtet haben? Für seine Sicherheit wäre das sehr vortheilhaft gewesen.«

»Für sein Geschäft aber war es weit vortheilhafter, wenn er uns leben ließ und uns zwang, für ihn zu arbeiten. Für sein Gift fand er keinen Arbeiter. Er machte mir kein Hehl daraus, daß er sich in Santa Fé für Wilkins ausgegeben und die Pflanzung an Walker verkauft habe. So, da haben Sie die erbetene Erzählung, Herr Steinbach.«

»Wie aber ist Ihre Mutter nach dem Todesthale gekommen?«

»Wie die anderen Alle auch. Sie hat mit dem Diener Hauser und Magda in San Franzisko gewohnt, aber unter sehr ärmlichen Verhältnissen. Roulin ist auch dort gewesen, hat Magda gesehen und sich in sie verliebt. Er hat sie miethen wollen, aber sie hat erklärt, sich nie von ihren Eltern zu trennen. Da hat er Hauser zum Scheine als Aufseher seines Bergwerkes engagirt und ihm ein sehr gutes Gehalt geboten. Die Versuchung ist zu groß gewesen; die Drei sind ihm nach dem Todesthale gefolgt. Das Uebrige können Sie sich denken.«

»Ich bin überzeugt, daß Magda noch unberührt ist. Gott hat sie sichtlich beschützt.«

»Mutter sagte mir, daß Magda einen ganz eigenthümlichen Einfluß auf diesen Menschen geübt habe. Er hat es nicht gewagt, sie zu berühren. Was gedenken Sie mit ihm zu thun, sobald wir ihn ergreifen?«

»Diese Frage lege ich mir jetzt noch gar nicht vor.«

»Man muß aber doch an sie denken.«

»Wir werden ihn dem Richter übergeben.«

»Sie sagen das als Deutscher. Ich bin da bereits mehr Amerikaner als Sie. Was wird der Richter für ein Urtheil fällen?«

»Jedenfalls ein Todesurtheil.«

»Ja, man wird ihn hängen. Aber ist das eine genügende Strafe für seine Verbrechen? Bedenken Sie, was seine Opfer ausgestanden haben. Er sollte eines hundertfachen Todes sterben. Ich werde dafür stimmen, ihn zu lynchen.«

»Und ich bin dagegen. Es muß vor Gericht nachgewiesen werden, daß Wilkinsfield von ihm unrechtmäßiger Weise verkauft wurde. Leflor muß die Besitzung ohne alle Entschädigung herausgeben, und nicht nur die Besitzung, sondern auch sämmtliche Erträge derselben während der Zeit, in welcher er der Besitzer gewesen ist. Können Sie aber dies erreichen, wenn Sie Roulin lynchen?«

»Sie haben Recht. Die Klugheit gebietet, ihn dem Ankläger zu übergeben. Verdient hat er weit mehr.«

»Nun, ich meine, daß es gerade auch kein großes Vergnügen ist, aufgehenkt zu werden. Noch aber haben wir ihn nicht. Ich muß jetzt aufbrechen, damit wir ihn und seine sauberen Gesellen bekommen.«

Steinbach gab Günther von Langendorff noch einige Verhaltungsmaßregeln und schickte sich dann zum Aufbruche an. Als er hinunter in den Hof kam, stand der Apache bei dem Pferde. Es war zwar ziemlich sternenhell, aber dennoch dunkel. Trotzdem sagte der Indianer, das Pferd an den Hals klopfend:

.

»Mein weißer Bruder hat ein gutes Thier.«

»Ja. Es ist vortrefflich.«

»Hast Du es gekauft?«

»Nein. Ich erhielt es geschenkt.«

»So bist Du ein sehr großer Krieger.«

»Warum vermuthest Du das?«

»Sonst hättest Du es nicht geschenkt erhalten. Ich habe dieses Pferd als Füllen gesehen. Es gehörte der ›starken Hand‹, dem großen Häuptling der Apachen.«

»Ja, von ihm habe ich es.«

»Du mußt ihm große Dienste geleistet haben, und darum sage ich, daß Du ein großer Krieger bist. Einem Anderen würde der Häuptling sein Pferd nicht schenken. Wo hast Du ihn zuletzt gesehen?«

»Am Wasser des Colorado.«

»Wann?«

»Gestern.«

»Und wann wirst Du ihn wiedersehen?«

»Vielleicht morgen bereits.«

»Und wo?«

»Hier. Er kommt mit vielen Kriegern der Apachen hierher, um Dich zu rächen.«

»Uff!« sagte der Indianer erstaunt und erfreut.

»Ich reite jetzt zu ihm.«

»Mein weißer Bruder hat noch ein Pferd. Ich reite mit.«

Das sagte er in einem so bestimmten Tone, als ob ein Einspruch gar nicht möglich sei. Steinbach antwortete:

»Du scherzest. Wie kannst Du mit mir reiten? Die Qualen, welche Du ausgestanden hast, haben Deine Kräfte zerstört. Du mußt Dich erst erholen.«

»Seit ich dieses Pferd gesehen habe und an den großen Häuptling erinnert worden bin, habe ich meine Kräfte wieder erlangt.«

»Das ist Täuschung. Selbst wenn Du gesund wärest, dürfte ich Dich nicht mitnehmen. Ich reite jetzt als Kundschafter fort; da muß ich allein sein und kann keinen Zweiten gebrauchen.«

»So will ich gehorchen und hier bleiben. Aber sage mir, von wo aus die Krieger der Apachen ihren Ritt begonnen haben.«

»Vom Silbersee aus.«

»Und Du warst auch dort?«

»Ja, ich war der Gast der Taube des Urwaldes.«

»So hat der große Häuptling Dich sehr lieb. Mit einem Fremden geht er nicht nach dem Silbersee. Hast Du dort einen jungen Krieger gesehen, welcher sich den ›flinken Hirsch‹ nennt?«

»Ja, ich habe mit ihm gesprochen. Er ist noch sehr jung, aber er hat das Herz eines bewährten Mannes. Er hat mir bewiesen, daß er klug und sehr tapfer ist.«

»Er ist mein Bruder, der Sohn meines Vaters.«

»Wie? Dein leiblicher Bruder?«

»Ja; er ist fünf Frühlinge jünger als ich.«

»So bist auch Du ein Verwandter der ›starken Hand‹?«

»Die ›starke Hand‹ ist mein Oheim, der Bruder meines Vaters, der bereits in den ewigen Jagdgründen weilt.«

»So freut es mich sehr, Dich hier getroffen zu haben. Wie aber ist es denn gekommen, daß Du Dich als Gefangener hier befunden hast?«

»Ein Maricopa hatte mich beleidigt und ich ritt aus, ihm den Scalp zu nehmen. Die Maricopa's waren Freunde des Mannes, welcher sich Roulin nennt und Besitzer dieses Bergwerkes ist. Der, welchen ich suchte, befand sich hier bei ihm im Todesthale. Ich ging hierher und schlich mich um das Haus. Man hatte Senkgruben bereitet, um Prairiewölfe zu fangen. Diese Gruben sind oben so zugedeckt, daß man sie nicht sehen kann. Ich trat auf die dünne Decke und stürzte hinab. Unten waren spitze Pfähle eingeschlagen. Ich fiel in dieselben und stach mir einen durch den Schenkel. Da lag ich einige Tage, bis man mich entdeckte. Das Wundfieber war gekommen. Mein Geist war in Folge dessen abwesend, darum konnte man mich ohne Gegenwehr gefangen nehmen. Hätte ich nicht das Fieber gehabt, so hätte ich mich gewehrt und die Feinde getödtet, bevor ich an meiner Wunde gestorben wäre. Man schaffte mich in das Bergwerk. Die große Wunde heilte, ich aber war gefangen. Jetzt hast Du mich befreit und ich werde mich rächen.«

»So wissen die Deinen gar nicht, wo Du Dich befindest?«

»Sie wissen gar nichts. Der rothe Krieger geht sehr oft zur Rache, ohne einem Menschen davon zu sagen. Hätten die Krieger der Apachen gewußt, wo ich mich befinde, so wären sie gekommen, um mich zu befreien. Sie glauben schon längst an meinen Tod.«

»Desto mehr werden sie sich freuen, Dich wieder zu sehen.«

»Du reitest jetzt zu dem Häuptlinge?«

»Ja.«

»So sage der ›starken Hand‹, daß der ›schnelle Wind‹ noch lebt und sich heute den Scalp seines Peinigers geholt hat.«

Steinbach nahm nun sein Thier am Zügel und führte es zum Thore hinaus, welches hinter ihm verschlossen wurde. Draußen stieg er auf und ritt in östlicher Richtung davon. –

Die Papago-Indianer hatten vom Colorado aus die westliche Richtung eingeschlagen, welche sie nach Rock Spring und von da über Bitter Spring nach dem Todesthale bringen mußte. Natürlich hüteten sie sich wohl, diese beiden Orte zu berühren.

Der Ritt ging erst durch eine weite Grasprairie und dann durch eine wüste, steinige Ebene. Später, als sich die Berge erhoben, welche dort von Dos Palmas aus nach Nordwest streichen, gab es wieder Waldung. Die Rothen kannten die Gegend sehr genau; darum konnten sie die geradeste Linie einhalten.

Die Gefangenen waren gefesselt, doch gewährte man den beiden Mädchen insofern eine Erleichterung, als man ihnen später die Hände frei gab und sich damit begnügte, sie auf die Pferde fest zu binden. Wilkins aber und Zimmermann blieben auch an den Händen gefesselt.

Bill Newton, der einstige Derwisch, war zwar verwundet worden, doch stellte es sich heraus, daß seine Wunde nicht gefährlich und nicht einmal sehr schmerzhaft sei. Sie hinderte ihn keineswegs, zu Pferde zu sitzen und mit den Anderen gleichen Schritt zu halten.

Gleich als er auf dem Segelboote Magda erblickt hatte, war ihm ein sonderbarer Umstand aufgefallen, nämlich ihre große Aehnlichkeit mit Tschita. So, genau so hatte einst Frau von Adlerhorst ausgesehen; sie war eine genau so helle, sonnige Erscheinung gewesen. Er hatte diese Frau, welche seine Herrin war, geliebt, mit jener unlauteren Liebe, welche zum schlimmsten Mittel greift, sich Erhörung zu erzwingen. Er hatte es gewagt, mit dem Geständnisse seiner Liebe vor die Herrin zu treten und ward fortgejagt. Er hatte sich gerächt, mit Hilfe von Ibrahim Pascha, welcher sich auf dieselbe Liebe auch dieselbe Abweisung geholt hatte.

Später, als er in Constantinopel Tschita erblickte, vermuthete er in Folge ihrer Aehnlichkeit mit Frau von Adlerhorst, daß sie deren Tochter sei, und es fand sich, daß er sich nicht getäuscht hatte. Die alte Liebe erwachte mit neuer Gewalt, nur daß sie sich jetzt gegen die Tochter richtete. Durch Steinbach's Erscheinen und Eingriff wurden des Derwischs Absichten vereitelt; er mußte sogar fliehen und hielt sich, der überall gesucht wurde, in Amerika für am Sichersten.

Hier nun traf er ganz dasselbe characteristische Adlerhorst'sche Gesicht wie vorher in Constantinopel. Es kam ihm der Gedanke, daß Magda eine Adlerhorst sei. Warum auch nicht? Die Glieder dieser Familie waren ja in alle Welt zerstreut worden. Dazu kam der Name, den sie trug, Magda Hauser. Der Derwisch hatte einen Diener der Adlerhorst, Namens Hauser, sehr gut gekannt. Konnte nicht dieser mit Magda nach Amerika gegangen sein und sie nun für seine Tochter ausgeben?

Bill Newton wollte Gewißheit haben. Er wollte mit Magda sprechen, doch war es gar nicht sehr leicht, dies unbemerkt zu thun.

Ihre Aehnlichkeit, für die er sich außerordentlich interessirte, auch abgerechnet, machte das Mädchen ganz denselben Eindruck auf ihn, den er früher schon beim Anblicke der Frau von Adlerhorst und von Tschita gefühlt hatte. Er entbrannte trotz seines vorgerückten Alters in Liebesgluth und beschloß, Magda zu besitzen. Das jetzt voraussichtliche Schicksal dieses Mädchens war, von Roulin entehrt zu werden, um dann irgend einem Papago-Indianer überlassen zu werden. Sie konnte das wissen, ja, sie mußte sich dies mit aller Bestimmtheit sagen. Wie nun, wenn Bill Newton sie vor diesem Schicksal bewahrte, wenn er sie jetzt rettete und mit ihr entfloh! Abgesehen davon, daß er sich dann mit ihr allein befand und er die Erhörung seiner Liebe sich also leicht erzwingen konnte, hatte er sie zugleich zur Dankbarkeit verpflichtet, und die Dankbarkeit ist oft, wie man weiß, der Uebergang zur Liebe.

Je länger und je mehr er mit sich zu Rathe ging, desto fester wurde sein Entschluß, sie den Papago's zu entführen. Er wollte mit ihr sprechen.

Aus diesem Grunde hielt er sich in ihrer Nähe. Und es gelang ihm durch sein schlaues Manövriren, die Führerschaft ihres Pferdes zu erhalten.

Es war zwar den Gefangenen verboten, mit einander zu sprechen, aber wenn sie einen Anderen, einen ihrer Feinde anredeten, so konnte es nicht auffallen, wenn er antwortete. Bill lenkte sein und Magda's Pferd so, daß er wenigstens von Walker, Roulin und Leflor nicht beobachtet werden konnte. Die Rothen machten ihm weniger Sorgen. Er beschloß, sich der deutschen Sprache zu bedienen. Erstens wurde diese von den Papago's nicht verstanden und zweitens war dies zugleich ein Prüfstein für Magda. Verstand sie deutsch, so ließ sich fast mit Bestimmtheit annehmen, daß sie eine Adlerhorst sei.

Er hielt sein Pferd ganz nahe an das ihrige und sagte, ohne den Mund zu bewegen und ganz leise, daß nur sie es hören konnte.

»Sennorita, versteht Ihr deutsch?«

Sie blickte freudig überrascht zu ihm herüber und antwortete, freilich lauter als ihm lieb war:

»Herrgott! Sind Sie vielleicht ein Deutscher?«

»Ja. Aber bitte, sprecht leiser! Ich habe gute Absichten mit Euch, aber Niemand darf es ahnen. Blickt mich nicht an und sprecht nur so laut, daß es kein Anderer hört als ich. Auch müssen wir in möglichst langen Pausen reden. Da fällt es am Allerwenigsten auf.«

Also ansehen sollte sie ihn nicht. Und doch war es ein langer, langer, ungläubig forschender Blick, den sie auf ihn warf.

»Zweifelt Ihr?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie aufrichtig.

»Warum?«

»Ich kenne Euch, wenn ich auch noch nicht gewußt habe, daß Ihr ein Deutscher seid.«

Das frappirte ihn. Sollte sie Alles wissen? Aber woher denn? Von wem? Er mußte sich sogleich die Gewißheit holen:

»Woher kennt Ihr mich?«

»Von Almy. Sie hat von Euch gesprochen.«

»Ah, diese! Was kann sie von mir wissen?«

»Ihr seid am Silbersee gefangen gewesen. Das habe ich ja selbst gesehen.«

»Ich war nur zum Scheine Gefangener.«

»Wieso?«

»Ihr werdet das später erfahren.«

»Ihr seid dann entflohen?«

»Nein. Man hat mich freiwillig fort gelassen.«

»Leflor hat Euch befreit.«

»Das bildet er sich nur ein. Ihr kennt doch wohl Herrn Steinbach, den Fürsten der Bleichgesichter?«

»Ja doch.«

»Nun, ich bin sein heimlich Verbündeter.«

»Warum heimlich?«

»Um Leflor's und Walker's Absichten zu erkunden. Wir wußten, daß Leflor nach dem Silbersee kommen werde. Ich wurde scheinbar gefangen genommen. Es wurde so eingerichtet, daß er mich befreien mußte. Natürlich nahm er mich mit sich und ich wurde sein Vertrauter. Ich bin bis jetzt bei ihm geblieben, damit er desto sicherer in die Falle geht.«

»Ist das wahr?«

»Ja. Ich kann es beschwören.«

»Warum aber habt Ihr Euch da von Sennor Zimmermann verwunden lassen?«

»Weil dieser nicht eingeweiht worden ist. Er hat mich wirklich für Euren Feind gehalten. Wenn er die Wahrheit hört, wird er es sehr bedauern, die Waffe gegen mich gebraucht zu haben. Ich muß Euch sehr ersuchen, Vertrauen zu mir zu haben.«

»Ich möchte wohl, aber –«

»Was? Sprecht weiter!«

»Es ist zu gefährlich.«

»Gefährlich? Das begreife ich nicht. In eine größere Gefahr, als diejenige ist, in welcher Ihr Euch jetzt befindet, könnt Ihr ja gar nicht kommen.«

»Wollt Ihr mich retten?«

»Ja.»

»Wohl mich allein?«

Diese Frage kam ihm sehr unpassend. Wahrscheinlich wollte sie sich ihm nicht allein anvertrauen. Darum antwortete er:

»Ich werde mich nach Euren Wünschen richten.«

»Ich mag nicht allein frei sein.«

»Ah! Die Anderen auch mit?«

»Ja; Almy, ihr Vater und Sennor Zimmermann.«

»Das wird sehr schwierig sein.«

»So bleibe ich auch gefangen.«

»Bedenkt, was Eurer wartet!«

»Gott wird mich schützen.«

»Bereits morgen Abend kommen wir im Thale des Todes an. Bis dahin muß Alles geschehen sein, und um alle Vier zu befreien, dazu ist diese Zeit doch viel zu kurz.«

»Ich wiederhole, daß ich nicht allein gehe.«

Er schwieg eine lange Weile. Diese Weigerung hatte er nicht erwartet. Endlich that er, als ob er auf ihre Intention eingehen wolle:

»Gut, Ihr sollt nicht allein mit mir gehen. Ich werde Alles wagen, auch die Anderen zu befreien. Nur müßt Ihr mir versprechen, meinen Weisungen zu folgen und Alles genau so zu machen, wie ich es Euch sage.«

»Dazu bin ich bereit.«

»Die Flucht muß natürlich heute während der Nacht, wenn wir lagern, geschehen!«

»In welcher Weise?«

»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich muß die Wächter täuschen, muß sie von Euch entfernen. Wie das anzufangen ist, kann ich jetzt noch nicht wissen.«

»Wohin werdet Ihr uns bringen?«

»Wohin Ihr wollt.«

»Wilkins wird wünschen, nach dem Silbersee zu gehen. Ich aber will nach dem Todesthale.«

»Warum denn nach diesem für Euch so äußerst gefährlichen Orte?«

»Weil sich meine Eltern dort befinden.«

»Da lauft Ihr Denen, welchen wir entfliehen wollen, doch gerade wieder in die Hände.«

»Ich will Vater und Mutter auch frei haben.«

»Dieser Wunsch ist sehr erklärlich, aber dadurch, daß Ihr wieder gefangen werdet, macht Ihr doch nicht Eure Eltern frei! Das müßt Ihr bedenken.«

»So weiß ich nicht, was ich thue.«

»Ich weiß es desto besser.«

»Nun.«

»Ich bringe Euch nach einem sicheren Orte, nach einer Stadt, vielleicht nach Sumner oder Goshen. Dort nehmen wir gerichtliche Hilfe in Anspruch.«

»Können wir dort leben?«

»Hm! Ja, Geld freilich gehört dazu.«

»Wir haben nichts. Ihr wißt ja, daß man Wilkins und Zimmermann Alles abgenommen hat.«

»Ich bin auch arm; aber ich werde mir Geld verschaffen. Walker hat welches. Er hat eine beträchtliche Summe in seinem Gürtel stecken.«

»Wollt Ihr stehlen?«

»Nennt Ihr das stehlen, wenn ich ihm nehme, was er erst selbst zusammengeraubt hat? Er hat Euch Eure Freiheit genommen. Wer kann uns verdammen, wenn wir ihm Das nehmen, was wir nothwendig brauchen, um wieder frei zu sein? Uebrigens will ich Euch sagen, daß wir nicht ganz so verlassen sind, wie Ihr denkt. Die Apachen sind hinter uns.«

»Ich weiß es.«

»Und bei ihnen befindet sich Steinbach.«

»Ist das wahr? Wißt Ihr das gewiß?«

»Ganz gewiß. Es ist das ja eben der Plan, welchen ich mit ihm verabredet habe.«

»Warum aber überfällt er die Papago's nicht? Das wäre ja der sicherste und kürzeste Weg zu unserer Befreiung!«

»Nein. Das wäre für Euch der sicherste Weg in den Tod. Sobald die Papago's überfallen würden, schlachteten sie Euch ab, damit Ihr nicht wieder in die Hände Eurer Feinde gelangt.«

»Herr Gott im Himmel! Warum kommt das über uns! Wir haben ja nichts Böses gethan!«

»Leider! Wir dürfen nicht Gewalt, sondern nur List anwenden. Dann, wenn Ihr erst in Sicherheit seid, können wir über Eure Peiniger herfallen. Ich werde Euch heut Nacht während des Lagerns die Fesseln lösen. Und dann wird es am Allerbesten sein, daß ich Euch zu Steinbach bringe.«

»Ja, ja, zu ihm. Bei ihm sind wir gut geborgen!«

Sie sagte das in frohem Tone. Sie rief es laut, so daß es den Indianern auffiel. Der Häuptling der Papago's lenkte sein Pferd herbei, fixirte Bill mit scharfem Blicke und sagte:

»Warum läßt das Bleichgesicht nicht seine Zunge ruhen?«

»Warum setzt der rothe Mann jetzt die seinige in Bewegung?«

»Weil ich wissen will, was Du mit dem Mädchen sprichst.«

»Ist es verboten, zu antworten, wenn ich gefragt werde?«

»Niemand hat es verboten, weil es sich von selbst versteht, daß man es unterläßt. Was habt Ihr zu sprechen.«

»Alle Teufel! Bin ich etwa Dir Antwort oder gar Rechenschaft schuldig?«

Das Auge des Rothen blitzte zornig auf.

»Ja; ich bin der Häuptling!« sagte er.

»Aber nicht mein Häuptling!«

»Du bist nichts, gar nichts. Du bist der Diener Deines Herrn. Du hast zu gehorchen. Ich aber mag nun gar kein Wort von Dir hören.«

Er wendete sich ab. Es verging eine lange Zeit, ehe Bill zu flüstern wagte:

»Ihr seid zu unvorsichtig. Ihr habt ja ganz laut gerufen. Und dabei glänzte Euer Gesicht, daß auch der dümmste Mensch bemerken mußte, daß ich Euch eine frohe Botschaft gegeben habe. Dadurch macht Ihr meinen schönen Plan zu schanden.«

»Verzeihung! Ich werde vorsichtiger sein.«

»Ich bitte Euch sehr darum. Ich hatte Euch noch viel zu sagen; nun aber muß ich mich sehr hüten, es merken zu lassen, daß ich mit Euch spreche. Eins aber muß ich noch wissen: Euer Name ist Hauser. Das ist ein deutscher Name.«

»Mein Vater ist ein Deutscher.«

»Ist er schon lange in Amerika?«

»So lang ich lebe.«

»Was war er drüben in der Heimath?«

»Herrschaftlicher Diener.«

»Bei wem?«

»Bei einer vornehmen Familie, welche den Namen Adlerhorst führte.«

»Sapperment! Ist Eure Mutter wirklich seine Frau?«

»Ja. Warum sollte sie es nicht sein?«

»Wißt Ihr es gewiß?«

»Ja.«

»Wie nennt er sie?«

»Anna.«

Er stieß vor Ueberraschung einen leisen Pfiff aus und sagte sich im Stillen:

»Anna von Adlerhorst! Das stimmt. Sie ist es. Mutter und Tochter bei dem einstigen Diener. Die, welche man für die Mutter hielt, war nur die Amme. Warum habe ich doch damals die Rache andern Leuten überlassen! Es war sehr dumm von mir. Aber nun kann ich das Versäumte nachholen.«

Und zu Magda gewendet, fuhr er fort:

»Und wo befinden sich Eure Eltern?«

»Im Todesthale, im Bergwerke.«

»Sind viele Leute dort?«

»Ich weiß es nicht. Sie sind alle gefangen.«

»Auch Eure Eltern?«

»Ja.«

»Wie viele Wächter sind da?«

»Ein einziger. Er heißt Juanito.«

»Genügt denn eine einzige Person?«

»Ja. Die Gefangenen sind ja eingeschlossen. Sie können sich nicht wehren.«

Er wollte sich noch weiter erkundigen; aber er fing einen Blick des Häuptlings auf, der ihm nichts Gutes verhieß; und darum schwieg er. Der Häuptling aber lenkte sein Pferd nach der Spitze des Zuges, wo die Weißen ritten und fragte, sich an Walker wendend:

»Besitzt das Bleichgesicht, welches Bill genannt wird, Dein Vertrauen?«

»Hm! Bisher hat er mir keine Veranlassung gegeben, ihm zu mißtrauen.«

»Er hat kein gutes Gesicht.«

»Ja, er hat allerdings das Gesicht eines Fuchses.«

»Warum reitet er neben dem weißen Mädchen?«

»Kann er das nicht so gut wie jeder Andere?«

»Warum aber spricht er mit ihr?«

»Sie wird ihm eine Frage vorgelegt haben.«

»Eine Antwort ist kurz; er aber redet mit ihr eine sehr lange Zeit.«

»Laß ihn!«

»Warum aber redet er so leise, daß nur sie allein es hören soll?«

»Das ist allerdings verdächtig.«

»Warum bewegt er nicht den Mund beim Sprechen? Man soll nicht bemerken, daß er mit ihr redet.«

»Alle Teufel! So hat er Heimlichkeiten!«

»Und warum spricht er in einer fremden Sprache, welche ich nicht verstehe.«

»Sie ist eine Weiße. Warum sollte er mit ihr in der Sprache der Rothhäute reden?«

»So mag er sich der Sprache der Yankee oder der Spanier bedienen!«

»Das wird er wohl auch gethan haben.«

»Nein. Er spricht in einer Sprache, welche ich noch niemals gehört habe.«

»Wie kannst Du das wissen, da Du doch vorhin sagtest, daß er leise spreche?«

»Das Mädchen that einen Ausruf. Ich hörte die Worte. Sie gehörten einem Volke an, welches ich nicht kenne.«

»Hm! Hast Du Dir diese Worte gemerkt?«

»Ja, denn es war sehr wichtig, sie nicht zu vergessen. Ich weiß nicht, was sie zu bedeuten haben, aber den Klang kenne ich noch. Das Mädchen rief: ›gut geborgen!‹ Das waren die besten Töne. Was vorher war, weiß ich nicht.«

Walker blickte Roulin und Leflor erstaunt an. Er schüttelte bedenklich den Kopf und meinte:

»Er spricht Deutsch mit ihr. Das ist freilich sehr dazu angethan, Verdacht zu erwecken. Gut geborgen! Will er sie bergen? Das heißt, will er sie etwa befreien?«

Roulin antwortete:

»Ich habe dem Kerl gleich von Anfang nicht weiter getraut, als ich sehen konnte. Habt Ihr nicht bemerkt, daß sein Auge stets an dieser Anna Hauser hängt? Es ist mir ganz so vorgekommen, als ob er sie kenne.«

»Da wollen wir uns denn doch in Acht nehmen. Hat mein rother Bruder ihm denn nicht gesagt, daß er nichts mit dem Mädchen zu sprechen habe?«

»Ich habe es ihm gesagt,« antwortete der Häuptling. »Aber er meinte, daß ich ihm nichts zu befehlen habe.«

»Ah, er respectirt Dich nicht! Uns aber soll er den Gehorsam nicht verweigern. Es ist am Besten, wir nehmen die Gefangenen unter unsere eigne Obhut.«

Das war aber nicht nach dem Sinne des Papago. Er sagte:

»Wem gehören die Gefangenen?«

»Nun, doch uns.«

»Du irrst. Hast Du uns nicht die Taube des Urwaldes und ihren Vater versprochen?«

»Ja. Aber ich habe Euch noch nicht gesagt, zu welcher Stunde ich sie Euch abtrete. Jetzt sind sie noch mein Eigenthum.«

»Nein, sie gehören mir. Sie sind der Preis für den Schutz, den ich Euch gewähre.«

Walker wollte zornig werden; aber er besann sich. Er war mit seinen Gefährten zu schwach den Papago's gegenüber, deren Schutz er jetzt noch nicht missen konnte. Darum antwortete er in ruhigem Tone:

»Wir wollen uns nicht streiten. Die Gefangenen gehören mir und Euch. Wir werden uns verständigen, wenn wir im Thale des Todes angekommen sind.«

»Ich weiß bereits jetzt, wer ein Recht auf sie hat,« entschied der Häuptling kurz.

Er kehrte sein Pferd um und ritt zu Bill Newton. Ohne ein Wort zu sagen, zog er ihm den Zügel zu Magda's Pferd aus der Hand, drängte ihn fort und winkte seinen Leuten zu, die Gefangenen nun besser in ihre Mitte zu nehmen als vorher. Bill hielt es für das Beste, nachzugeben, da jeder Zank nur zu seinem Nachtheile ausfallen mußte. Aber er behielt Magda scharf im Auge und benutzte jede Gelegenheit, ihr einen aufmunternden Wink zu geben oder ihr tröstlich zuzunicken.

Er glaubte, daß dies sehr im Verborgenen geschehe, und doch wurde er dabei streng beobachtet, sowohl von dem Häuptlinge als auch von den Weißen.

Als der Abend hereinbrach, hatte man in einer grasigen Ebene, aus welcher sich zahlreiche Bauminseln erhoben, eine Stelle erreicht, wo ein Haufen von Felsentrümmern von Gesträuch und Brombeerranken durchzogen wurde. Dies war ein ganz ausgezeichneter Platz zum Lager. Das Gestein gewährte im Falle eines Angriffes Schutz, und da die Gegend eben war, so konnte man von den Apachen und Maricopa's nicht leicht beschlichen werden.

Daß diese Letzteren folgten, das wußten die Papago's; aber wie viele Köpfe die Verfolger zählten, das wußten sie nicht. Sie glaubten, es nur mit einer kleinen Kundschafterheerde zu thun zu haben, und wären gern über sie hergefallen. Aber der Häuptling war dagegen. Er kannte das Todesthal, welches nur zwei Eingänge hatte. Gelang es ihm, die Verfolger dort hinein zu locken, so konnte er sie mit einem Schlage vernichten.

Als sich die Truppe gelagert hatte, unterließ man es, Feuer anzuzünden; die Apachen wären ja da auf den Platz aufmerksam gemacht worden. Es wurden mehrere Posten ausgestellt, welche unausgesetzt die Peripherie des Ruheplatzes abzupatroulliren hatten. Die Gefangenen wurden von den Indianern bewacht. Seitwärts lagen die Weißen, welche gewöhnt waren, sich in stolzer Entfernung von den Rothen zu halten.

Nur Bill Newton stand einige Male auf, um sich mit den Rothen zu schaffen zu machen. Er brannte vor Begierde, mit Magda ein Wort zu wechseln, und da ihm dieser Wunsch nicht erfüllt wurde, so begann er, die nöthige Vorsicht immer mehr aus dem Auge zu lassen.

Mitternacht war bereits nahe, als er abermals zu den Rothen ging und in Magda's Nähe zu kommen suchte. Es mißlang abermals, und voll innerer Wuth kehrte er zu der Gruppe der Weißen zurück. Wenn sein Vorhaben in dieser Nacht nicht ausgeführt werden konnte, so war die Ausführung überhaupt unmöglich. Er setzte sich so, daß er das Mädchen und die rothen Wächter desselben mit dem Blicke erreichen konnte.

Walker hatte zu diesem Gebahren bisher geschwiegen. Jetzt aber konnte er sich nicht länger halten. Er sagte in höhnischem Tone:

»Thun Dir die Beine nicht wehe, Bill?«

»Warum sollten sie mir wehe thun?«

»Von dem immerwährenden Hin- und Herlaufen. Bleib doch liegen.«

»Seit wann ist es verboten, sich Bewegung zu machen?«

»Du hast heut während des Rittes Bewegung genug gehabt. Hoffentlich fällt es Dir nicht ein, auf die Freit zu gehen!«

»Wie meint Ihr das?«

»Magda scheint es Dir angethan zu haben.«

»Pah!«

»Leugne es nicht! Denkst Du, wir bemerken nicht, daß Du ihr zuwinkst und zunickst!«

»Ist mir nicht eingefallen.«

»Leugne es nicht!«

»Donnerwetter! Was geht mich das Frauenzimmer an! Ich habe nichts mit ihm zu schaffen.«

»Und dennoch redest Du deutsch mit ihr!«

»Wer behauptet das?«

»Ich!«

»Das ist eine Lüge!«

»Hüte Dich, mich einen Lügner zu nennen! Warum hat sie ausgerufen, daß sie gut geborgen sein wird?«

Bill erschrak. Seine Absicht war durch dieses einzige Wort verrathen. Aber es wäre ja Wahnsinn gewesen, es einzugestehen.

»Wer Euch diesen Bären aufgebunden hat, der hat die Weisheit nicht grad mit dem Löffel gegessen.«

»Der Häuptling war es.«

»Wunderbar! Versteht der etwa Deutsch?«

»Das ist gar nicht nothwendig. Er hat sich dieses eine Wort gemerkt, und das genügt vollständig. Wenn Du Dich etwa hinter unserm Rücken der Gefangenen annehmen willst, so wahre Deine eigene Haut. Ich laß nicht mit mir spaßen. Wenn Du mich da vielleicht noch nicht kennst, so kannst Du mich kennen lernen!«

Diese Worte empörten Bill. Er hatte früher ganz andere Rollen gespielt und war mit ganz anderen Leuten verkehrt. Die Drohung fuhr ihm, wie man zu sagen pflegt, in die Nase. Es wäre von ihm klüger gewesen, sich zu beherrschen; aber er vermochte dies nicht. Er gab vielmehr seinem Zorne Worte:

»Ich glaube gar, Ihr wollt mir drohen?«

»Allerdings.«

»Das könnt Ihr unterbleiben lassen.«

»Oho! Willst Du etwa aufmucken?«

»Pah! Aufmucken! Dieses Wort ist hier ganz und gar am unrechten Platze. Aufmucken nennt man es doch wohl, wenn ein Untergebener sich unterfängt, seinem Vorgesetzten zu widersprechen.«

»Das thust Du ja!«

»Gott bewahre! Meint Ihr etwa, daß ich Euer Untergebener bin?«

»Was sonst?«

»Diesen Gedanken laßt ja schleunigst fahren. Wir Alle, wie wir hier sitzen, sind einander vollständig gleich und ebenbürtig.«

»Sapperment, ist das stark! Mensch, was fällt Dir ein! Bist Du toll!«

»Toll ist nur Der, welcher eine andere Ansicht hat als die meinige.«

»Du stehst in meinem Lohn und Brod!«

»Wo ist mein Lohn, und wo ist mein Brod? Laßt Euch nichts weiß machen. Wir Alle wandeln auf einem Wege, der gesetzlich verboten ist. Wir sind Alle Spitzbuben. Wenn Ihr nun sagt, daß Ihr mein Vorgesetzter seiet, so sagt Ihr damit nichts Anderes, als daß Ihr Euch für einen größeren Spitzbuben haltet, als ich bin.«

Walker stieß, anstatt aufzubrausen, ein lautes, heimliches Lachen aus und sagte dann:

»Da hast Du freilich ganz meine Gedanken und meine eigene Ansicht. Ich bin freilich der größte Spitzbube unter Euch; ich bin Euer Anführer und also habt Ihr Euch nach meinem Willen zu richten. Mein Wille aber ist es keineswegs, daß Du mit dieser Magda liebäugelst, um heut Nacht in aller Gemüthlichkeit mit ihr zu verschwinden.«

»Ihr seid nicht bei Troste! Wie könnte ich auf diesen Gedanken kommen!«

»Wie Du darauf gekommen bist, weiß ich auch nicht; aber daß Du ihn hast, das weiß ich.«

»Nun, wenn Ihr Euch in dieser Ueberzeugung so sehr glücklich fühlt, so will ich Euer Glück nicht stören. Denkt, was Ihr wollt!«

»Das thue ich auch. Aber ich warne Dich! Sehe ich noch einmal, daß Du den Versuch machst, Dich an das Mädchen zu schleichen, so ist es um Dich geschehen.«

»Das klingt doch ganz, als ob Ihr mir den Garaus machen wolltet.«

»Den mache ich Dir allerdings, wenn ich Dich ertappe!«

»Donnerwetter! Seid Ihr ein gefährlicher Kerl!«

Er sagte das in höhnischem Tone. Dabei stand er auf und entfernte sich, als ob er einmal nach den ausgestellten Posten schauen wolle. Doch ging er gar nicht weit. Bald duckte er sich wieder und kroch auf allen Vieren zurück. Hinter einem Steine versteckt, befand er sich nur höchstens vier Ellen von den Dreien entfernt. Es kam ihm darauf an, sie zu belauschen. Es verstand sich ganz von selbst, daß sie jetzt sprechen würden.

Seine Vermuthung erwies sich als ganz richtig. Die Drei blickten einander kopfschüttelnd an, und Walker fragte:

»Was sagt Ihr dazu?«

»Der Kerl ist renitent,« antwortete Leflor.

»Er fühlte sich getroffen. Das sah man ihm an.«

»Auch ich bin überzeugt, daß er Etwas vor hat. Wir müssen den Häuptling warnen.«

»Das wird ihm lieb sein, denn dadurch bekommt er Gelegenheit, die Gefangenen ganz unter seine Obhut zu nehmen.«

»Das paßt mir schlecht,« brummte Roulin. »Ich verlange Magda für mich.«

»Und ich Almy Wilkins!« sagte Leflor. »Das ist so ausgemacht worden, und dabei muß es bleiben!«

»Nicht so hitzig, Ihr Leute! mahnte Walker. »Wir brauchen die Papago's noch. Darum wollen wir sie einstweilen dabei lassen, daß sie die Gefangenen bekommen.«

»Was wollen wir dann aber dagegen machen? Sie werden sie nicht wieder herausgeben.«

»Pah!« lachte Roulin. »Haben wir sie nur erst im Todesthale, in meinem Hause. Was ich da nicht herausgeben will, das soll mir Keiner abnehmen. Ich bin überhaupt überzeugt, daß ich von jetzt an einige Quecksilberarbeiter mehr haben werde als vorher.«

»Wen?«

»Wilkins und Zimmermann.«

»Lieber ganz fort mit ihnen – todt!«

»Pah! Wer in meinem Schachte ist, der ist mehr als todt, der ist todter und am todtesten.«

»Hört, da kommt mir ein prachtvoller Gedanke!« fiel Walker ein. »Nämlich in Beziehung auf diesen obstinaten Bill Newton.«

»Nun.«

»Er ist mir eigentlich schon längst unbequem gewesen. Jetzt bin ich nun gar überzeugt, daß er im Stande ist, uns zu verrathen. Wir müssen ihn unschädlich machen.«

»Das ist sehr leicht gethan. Geben wir ihm eine Kugel!«

»Nein; die ist er nicht werth. Er mag für Euch arbeiten, Sennor Roulin.«

»Sapperment! Das ist günstig!«

»Ausgezeichneter Gedanke!«

»Einträglich für Euch und sehr belehrend für ihn. Wer weiß, was der Kerl Alles auf seinem Gewissen hat. Wir müssen ihm Gelegenheit geben, bereits auf Erden Einiges abzubüßen, damit er nach dem Tode nicht gar so lange im Fegefeuer stecken muß. So sorgen wir in christlicher Weise für seine Seele und zugleich auch für uns. Ihr bekommt einen Arbeiter, und ich bin einen Faullenzer los.«

»Gut! Ich bin einverstanden. Also abgemacht?«

»Abgemacht und topp! Aber laßt Euch nichts gegen ihn merken. Wir wollen freundlich sein. Haben wir ihn erst im Todesthale, so wird er merken, welche Uhr es geschlagen hat.«

Jetzt richtete sich die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand. Bill kroch also weiter fort und stand dann vom Boden auf.

»Schurken!« knirrschte er, die geballte Faust gegen sie ausstreckend. »Das soll Euch nicht gelingen. Ich werde eher im Todesthale sein, als Ihr, um eine Karte auszuspielen, gegen welche Ihr keinen Trumpf finden sollt! Mich in das Quecksilberbergwerk stecken! Ah, Euch soll der Teufel holen, und zwar sehr bald!«

Als er nach einiger Zeit langsam nach dem Platze zurückgeschlendert kam und sich unbefangen niedersetzte, sagte er lachend:

»Warum fragt mich denn jetzt Niemand, ob ich müde bin?«

»Jetzt hatte Euer Spaziergang keinen für uns gefährlichen Zweck,« antwortete Roulin.

»Na, ich sage Euch, daß die vorigen Gänge noch weit ungefährlicher waren. Aber gegen so scharfsinnige Leute ist nichts zu machen. Jetzt will ich meinen Aerger verschlafen. Wir haben noch einen weiten Ritt vor uns. Da braucht man Kraft.«

»Später könnt Ihr Euch bei mir ausruhen.«

»So? Nehmt Ihr mich auf, Sennor Roulin?«

»Mit Vergnügen!«

»Wie gütig von Euch! Doch habe ich nicht die Absicht, Euch zur Last zu fallen.«

Roulin antwortete nicht weiter; aber im Stillen sagte er sich:

»Esel! Du wirst mir gar nicht zur Last fallen, sondern brav für mich arbeiten!«

Scheinbar war das gute Verhältniß wieder hergestellt. Die Männer streckten sich lang aus, um zu schlafen. Sorge um ihre Sicherheit brauchten sie nicht zu haben, da die Papago's wachten.

Es verging vielleicht eine halbe Stunde. Alle lagen ruhig. Da bewegte sich Bill Newton. Er lag neben Walker; er hatte dies mit Absicht so eingerichtet. Er erhob den Kopf, näherte sich Walker und hielt das Ohr an dessen Mund. Der Athem ging regelmäßig und hörbar wie bei Einem, der sehr fest schläft.

Jetzt griff Bill nach Walkers Gürtel. Dieser bestand in einem feinen, seidenen Shawl, der um die Hüften geschlungen war. In demselben steckte das Messer, der Revolver und die Brieftasche, in der sich, wie Bill gesehen hatte, das Papiergeld befand. Er fühlte die Brieftasche, zog sein haarscharfes Messer und schnitt die Stelle, unter welcher die Tasche steckte, auf. Ein leiser Griff, und er hatte, was er haben wollte. Er steckte das Portefeuille zu sich, legte sich für einige Augenblicke wieder in seine vorige Stellung zurück und blickte nach der Stelle hinüber, wo sich die Gefangenen befanden.

Dort saß eine Anzahl Indianer, welche in einer leisen Unterhaltung begriffen waren.

»Verdammt!« fluchte er im Stillen. »Diese Schufte sehen sich vor. Es sind die Wächter. Sie werden gar nicht schlafen, und es ist mir also unmöglich, das Mädchen loszubringen. Ich muß allein fort, werde sie aber im Todesthale erwarten. Das muß ich ihr sagen, noch ehe ich gehe.«

Jetzt stand er auf und schritt langsam auf die Wächtergruppe zu. Sie wunderten sich darüber, daß er noch nicht schlief, gaben ihm aber auf seine unbefangenen Fragen, welche er ihnen vorlegte, Antwort.

Dabei bemerkte er, daß auch die Gefangenen munter waren. Es durfte dies kein Wunder genannt werden, da die Sorge sie nicht schlafen ließ. Magda sah ihn und bewegte sich, um ihm zu zeigen, daß sie nicht schlafe. Da sagte er schnell in deutscher Sprache:

»Es geht nicht. Aber ich reite jetzt direct nach dem Todesthale, um dort vorzuarbeiten. Ihr sollt gerettet werden.«

Sofort sprang einer der Wächter auf, zog sein Messer, ergriff ihn am Arme, riß ihn fort und drohte:

»Sage noch ein Wort zu ihr, und ich stoße Dir hier dieses Eisen in das Herz!«

»Was fällt Dir ein!« antwortete Bill ruhig. »Wenn ich nicht mit ihr sprechen soll, so kann ich ja gehen!«

Und er ging, aber nicht nach dem Lagerplatze zurück, sondern nach derjenigen Richtung, in welcher die Pferde standen, welche die Weißen geritten hatten.

Walker hatte ein sehr gutes indianisches Thier geborgt erhalten. Es war an dem Pflocke angebunden, welcher in der Erde steckte. Er band es los und stieg auf. Eben wollte er das Pferd in Bewegung setzen, da trat einer der Posten auf ihn zu, reckte sich hoch empor, um sein Gesicht zu erkennen, und fragte:

»Wohin will der weiße Mann?«

»Auf Kundschaft.«

»Weiß es das Bleichgesicht, welches Ihr Walker nennt?«

»Ja. Er selbst ist es, der mich fortsendet. Sage ihm morgen früh, daß ich ihm für das Geld danke!«

Er ritt fort. Der Hufschlag war nicht zu hören, da an dieser Stelle der Boden grasig war.

Der Posten lauschte ihm bedenklich nach. Es kam ihm vor, als ob diese Sache nicht ganz geheuer sei. Darum ging er nun nach der Lagerstelle der Weißen und weckte sie. Er fragte Walker:

»Hast Du einen Kundschafter ausgesandt?«

»Nein.«

»Der Weiße ist fort, welcher so viel mit dem Mädchen sprach. Ich soll Dir sagen, daß er sich für das Geld bedankt. Ich soll es Dir aber erst am Morgen sagen.«

Sofort griff Walker nach dem Gürtel. Dieser war zerschnitten und die Brieftasche fort. Natürlich verbreitete sich die Kunde von dem Diebstahle sofort im ganzen Lager. Walker hörte nun auch, daß Bill vor seiner Entfernung mit Magda gesprochen habe. Voller Wuth zog er sein Messer, faßte sie am Arme, riß sie empor und sagte:

»Gestehe, was er zu Dir gesprochen hat! Sonst stoße ich Dich augenblicklich nieder!«

Sie zitterte vor Schreck am ganzen Leibe.

»Schnell! Aber sag die Wahrheit!«

»Er wollte mich retten!« stöhnte sie vor Schmerz unter dem Drucke seiner Finger.

»Dachte es mir! Aber wie?«

»Heute Nacht wollte er mich fortführen; aber es ging nicht.«

»Weiter!«

»Jetzt ist er nach dem Todesthale, um dort die Rettung vorzubereiten.«

»Alle Teufel!« rief da Roulin. »Juanito ist ganz allein dort. Den wird er bethören! Wir müssen augenblicklich fort, um ihm zuvorzukommen!«

»Was hat er noch gesagt?« rief Walker Magda an.

»Nichts.«

»Gut! Wir eilen ihm nach. Der Häuptling mag mir dreißig Mann auf den schnellsten Pferden geben, damit wir eher hinkommen, als er. Ich werde ihn empfangen, anstatt er mich!«

Es gab für einige Zeit lang nun rege Bewegung im Lager. Als zehn Minuten vergangen waren, standen dreißig Mann bereit. Walker und Roulin hatten ihre Gewehre da liegen lassen, wo sie geschlafen hatten. Sie fanden sie auch dort liegen; aber Walker drehte sich einmal im Kreise um und sagte:

»Sonderbar! Lag vorhin nicht hier ein großer, dunkler Stein?«

»Mir ist es ganz so.«

»Er ist weg.«

»Hm! Steine laufen doch nicht fort!«

»Ich möchte wetten, daß ich mich nicht irre. Er lag hier, wo ich jetzt den Fuß hinsetze.«

»Und doch ist's nicht gut möglich. Wo sollte er denn hingekommen sein.«

»Allerdings! Ich irre mich. Aber bei einem solchen Ritte kommt Einem Alles verdächtig vor, und dieser verdammte Bill Newton hat mich ganz confus gemacht. Wehe ihm, wenn ich ihn erwische! Für jeden Dollar, den er gestohlen hat, schneide ich ihm eine Wunde.«

Jetzt stiegen sie auf, die drei Weißen mit den dreißig Indianern. Der Häuptling sollte mit den Anderen und den Gefangenen sich noch einige Ruhe gönnen und dann nachkommen.

Walker kam, obgleich ihm die Sache mit dem plötzlich verschwundenen Steine unerklärlich war, doch nicht auf den Gedanken, daß dieser Stein ein Mensch gewesen sei. Eine solche Verwegenheit, sich mitten in das feindliche Lager zu schleichen, sich dort bewegungslos hinzukauern und das lederne Jagdhemde so über sich wegzulegen, daß das Ganze einem Steine glich, schien eine Unmöglichkeit zu sein.

Und doch lief dieser Stein auf zwei sehr dicken, fleischigen Beinen jetzt außerhalb des Postenkreises auf ein Gebüsch zu, hinter welchem die lange, hagere Gestalt Jims hervortrat.

»Gott sei Dank! Endlich!« sagte er. »Schon glaubte ich, sie hätten Dich erwischt.«

»Mich?« lachte Sam Barth. »Hihihihi! Mich erwischen! Dazu bin ich viel zu dick!«

»Hast Du Etwas erlauscht?«

»Viel, sehr viel!«

»Was?«

»Habe jetzt keine Zeit. Wir müssen laufen. Soeben sind dreißig Mann aufgebrochen, um dem ausgerissenen Bill Newton nach dem Todesthale zu folgen. Steinbach ist mit Günther ganz allein dort. Wir müssen ihnen Hilfe bringen. Wir brechen sofort auf, Alle zusammen. Wir müssen eher dort sein als die Papago's.«

»Aber die andern zweihundertundsiebzig Feinde, welche noch hier liegen?«

»Die kommen nach, und wenn sie dann im Thale eintreffen, heißen wir sie herzlichst willkommen und brauen ihnen einen Punsch auf dem Feuer unserer Büchsen.«

»Aber wird Steinbach mit diesem Arrangement einverstanden sein?«

»Unsinn! Welche Frage! Was Sam der Dicke thut, das billigt Steinbach allemal. Ich habe mein Lebtage noch nicht gehört, daß in Herlasgrün ein dummer Kerl geboren worden wäre. Komm! In fünf Minuten müssen wir im Sattel sitzen. Es wird ein Parforceritt, aber so Etwas thut Einem gut. Das schüttelt Fleisch und Knochen unter einander. Dir wird das ganz besonders wohl bekommen, lange Hopfenstange!« – –

Steinbach hatte, wie bereits berichtet, das Todesthal noch während der nächtlichen Dunkelheit verlassen. Er suchte während seines Rittes, als es dann Tag geworden war, alle Stellen zu vermeiden, wo sein Pferd Spuren zurücklassen mußte. Immer in scharfem Trabe strebte er den bereits erwähnten Bergen zu. Um die Mittagszeit lagen die Höhen vor ihm. Er hielt bei einem dichten Buschwerke, welches ihm Schatten bot, und musterte die Gestalt und Lage der einzelnen, sich an einander schiebenden Berge. Es galt jetzt, das Querthal zu errathen, durch welches Freund und Feind wohl kommen werde. –

Da erblickte er einen schwarzen Punkt, welcher sich von einer sanften, unbewachsenen Berglehne herab bewegte. Dieser Punkt wurde schnell größer. Nach fünf Minuten erkannte Steinbach, daß es ein einzelner Reiter sei, welcher ganz hier in der Nähe vorüberkommen werde.

Der Deutsche zog sich noch mehr hinter den Busch zurück und erkannte zu seinem Erstaunen – den einstigen Derwisch, welcher schwitzend vor Anstrengung herbei gejagt kam. Wohl ahnend, daß es eine kleine Hetze geben werde, wand Steinbach sich das Lasso von der Hüfte, legte es in regelmäßige Schlingen und hielt es bereit zum Wurfe.

Jetzt war Bill Newton da. Er hatte einen scharfen Ritt hinter sich und war ganz erhitzt. Voll Schreck fuhr er zusammen, als Steinbach jetzt sein Pferd hinter dem Busche hervortrieb.

»Willkommen, Osman Derwisch!« erklang es laut. »Woher und wohin so schnell?«

Der Angeredete hielt unwillkürlich sein Pferd an.

»Steinbach!« entfuhr es ihm vor Schreck.

»Ah, Du kennst mich noch? Ja, wir sind alte Bekannte, die sich nicht so leicht vergessen. Sei doch so gut und steige einmal ab. Ich habe so zwei oder drei kleine Wörtchen mit Dir zu reden!«

Diese Aufforderung gab Bill Newton seine Geistesgegenwart wieder.

»Verdammt will ich sein, wenn ich es thue!« rief er aus.

Er gab dem Pferde die beiden Sporen, ließ ihm die Zügel schießen und galoppirte davon.

Steinbach war ihm schon bis auf einige Schritte nahe gewesen. Er schnalzte nur mit der Zunge. Das verstand sein Rapphengst nur zu gut. Das edle Thier schoß dem flüchtigen Reiter so schnell nach, daß für diesen keine Möglichkeit zum Entkommen war.

»Halt, Hallunke!« rief Steinbach.

»Stirb, Hund!« antwortete der Derwisch.

Bill riß sein Pistol aus dem Gürtel und drehte sich im Sattel um, um zu schießen. Er hatte aber die Hand mit der Waffe noch nicht erhoben, so sauste Steinbachs Lasso durch die Luft, und die Schlinge desselben schlang sich um seinen Oberkörper, seine Arme ihm an den Leib schließend. Die Waffe ging zwar los, doch traf die Kugel nicht, denn Steinbach hatte nach echter Cow-boy-Art schnell sein Pferd herumgerissen. Das Lasso war ebenso schnell abgelaufen und, da das andere Ende am Sattelknopf befestigt war, so wurde Bill mit unwiderstehlicher Gewalt vom Sattel herunter auf die Erde gerissen. Sein Pferd rannte zwar noch eine kurze Strecke fort, blieb aber sodann aus freien Stücken stehen.

Jetzt sprang Steinbach aus den Bügeln und trat zu dem Gefangenen, welcher mit den Füßen strampelte und sich alle Mühe gab, mit den eingeengten Armen die Schlinge zu erweitern, um aus derselben schlüpfen zu können.

»Wehre Dich nicht!«, rief Steinbach. »Du ziehst nur die Schlinge weiter zusammen. Warum hast Du mir nicht gehorcht und bist halten geblieben? Ich wollte mich sehr gemüthlich mit Dir unterhalten, nun aber hast Du es nur Dir zuzuschreiben, wenn das Gespräch ein Wenig ungemüthlich für Dich wird. Vorher aber will ich dafür sorgen, daß Du Niemandem mehr gefährlich werden kannst.«

Er nahm ihm sämmtliche Waffen ab; dann wand er ihm das Lasso noch fester um die Arme und den Leib; die Beine aber ließ er ihm frei.

»So! Und nun sage mir vor allen Dingen, woher Du kommst!«

Der Gefragte warf ihm einen wüthenden Blick zu, antwortete aber nicht.

»Und wohin Du gehst!«

Auch jetzt erfolgte keine Antwort.

»Nun, wenn Du vielleicht die Sprache verloren haben solltest, so werde ich dafür sorgen, daß sie Dir augenblicklich wiederkommt. Also, woher?«

Der Gefragte schwieg.

»Nun gut. Du willst es nicht anders. Wenn Du meinst, daß ich etwa sehr zart und sanft mit Dir umgehen werde, so irrst Du Dich gewaltig. Du hast mir keine Ursache dazu gegeben. Ich werde mit Dir verfahren, ganz nach dem Brauche des Landes, in welchem wir uns befinden. Paß' also einmal auf. Du kannst nicht reden und bist also wohl todt. Wenn es Dir dennoch wehe thut, so bist Du selbst schuld. Warum thust Du, als ob Du kein Leben mehr hättest!«

Er zog sein Bowiemesser, knieete Bill, welcher seinen Hut während des Sturzes verloren hatte und also barhäuptig war, auf die Brust, faßte dessen Haar mit der Linken und erhob mit der Rechten das Messer.

Da erhielt Bill allerdings sofort die Sprache zurück.

»Um Gotteswillen!« rief er erschrocken. »Ihr wollt mich doch nicht etwa scalpiren?«

»Gewiß werde ich das!«

»Ihr, ein Christ?«

»Das ist hier sehr gleichgiltig.«

»Bei lebendigem Leibe?«

»Du bist ja todt!«

»Ihr seht und hört doch, daß ich am Leben bin!«

»Vorhin warst Du sehr todt. Ich sage Dir, daß ich Dich unbedingt scalpire, wenn Du mir die Fragen, welche ich Dir jetzt vorlege, nicht beantwortest.«

Er hielt ihn bei den Haaren fest, blieb ihm auch auf der Brust knieen, ließ die blanke Messerklinge vor seinen Augen leuchten und fragte:

»Also woher?«

»Von Prescott.«

»Das weiß ich. Ich meine heute?«

»Von den Papago's.«

»Schön! Wo lagern oder wo lagerten sie?«

»Ungefähr zwanzig englische Meilen von hier gegen Osten.«

»Warum bleibst Du nicht bei ihnen?«

Bill wollte natürlich nicht sagen, daß er Walker bestohlen habe und Flüchtling sei. Er antwortete:

»Ich sollte auf Kundschaft gehen.«

»Wohin?«

»In die Clover-Berge hinauf.«

»Kerl, Du lügst. Du willst mich irre führen. Was hätten die Papagos in den Clover-Bergen zu suchen!«

»Es befinden sich feindliche Indianer dort, welche sie überfallen wollen.«

»Balzer, Leflor und Roulin wollen diese feindliche Rothen auch mit überfallen?«

»Ich weiß von den Dreien gar nichts.«

»Auch nicht von den gefangenen Mädchen?«

»Nein.«

»Und doch bist Du bei ihrer Gefangennahme verwundet worden!«

»Nein.«

»Lüge nicht! Ich habe mit Balzer, dem Besitzer des Segelbootes gesprochen und weiß Alles. Ueberhaupt würde Dich Dein Weg unmöglich hierher führen, falls Du wirklich nach den Cloverbergen wolltest. Sage die Wahrheit.«

»Ich habe sie gesagt.«

»Nun, so will ich mir Dein Fell mitnehmen als Andenken an den wahrheitsliebenden Menschen, den ich kennen gelernt habe.«

Er zog den Haarschopf Bills scharf an und setzte ihm das Messer an die Kopfhaut. Als Bill die Spitze der Klinge fühlte, schrie er schnell und laut:

»Halt, halt! Ich will Alles sagen!«

»Schau, welche Wirkung das Scalpiren hat! Also wenn Du Dir Deine Kopfhaut erhalten willst, so lüge nicht wieder. Wohin willst Du?«

»Nach dem Todesthale.«

»Was willst Du dort?«

»Almy und Magda erretten.«

Bill glaubte, durch diese Angabe sich selbst retten zu können. Steinbach aber zog die Stirn in Falten und drohte:

»Lüge nicht abermals!«

»Ich sage die Wahrheit; das schwöre ich Euch bei Gott zu. Ihr könnt es von Magda selbst erfahren.«

»Wiese von ihr?«

»Ich habe mit ihr gesprochen, obgleich dies verboten war. Ich habe ihr gesagt, daß ich nach dem Thale des Todes voranreiten werde, um ihre Rettung einzuleiten.«

»Was verstehst Du unter dieser Einleitung?«

»Irgend Etwas, was ich thun werde, aber jetzt noch nicht weiß. Ich habe Roulin belauscht, daß sich im Todesthale gefangene Menschen befinden, welche nur von einem einzigen Manne, Namens Juanito, bewacht werden.«

»Das ist wahr.«

»Wie? Auch Ihr wißt es?«

»Ja, sehr genau.«

»Nun, so seht Ihr also, daß ich Euch nicht belüge. Ich wollte diese Gefangenen befreien und –«

»Wie wolltest Du das anfangen?«

»Vor dem Einen, Juanito, brauchte ich mich doch nicht zu fürchten. Ich hatte mich ihm gegenüber für einen Boten Roulins ausgegeben und ihn dann unschädlich gemacht. Mit Hilfe der dann von mir erlösten Gefangenen hoffte ich die beiden Mädchen befreien zu können.«

»Hm!« machte Steinbach nachdenklich. »Warum wolltest Du sie denn eigentlich befreien? Du hast sie doch selbst vorher mit gefangen genommen!«

»Aus reiner Menschlichkeit.«

»Ah! An Deine Menschlichkeit glaube ich im ganzen Leben nicht, und Du weißt ebenso wie ich, daß ich allen Grund dazu habe. Welchen Lohn erwartetest Du?«

»Keinen.«

»Schau, was für ein prächtiger Kerl Du bist!«

»Seid nicht höhnisch! Ich habe mich geändert.«

»Aus einer Hyäne kann niemals ein lieber Kanarienvogel werden. Mich täuschest Du nicht. Wie bist Du denn von Deinen verbündeten Weißen und Rothen fortgekommen?«

»Ich fing es darauf an, als Kundschafter von ihnen fortgeschickt zu werden.«

»Pah! Wenn sie eines Kundschafters bedurften, so hätten sie sich ganz gewiß nicht Deiner, sondern eines Papago's bedient. Der einfachste Indianer ist dazu tauglicher als Du. Sinne Dir die scharfsinnigsten Ausreden aus, und ich werde dennoch baldigst hinter Deine Schliche kommen. Vor allen Dingen sage mir, wie Wilkins und Zimmermann sich befinden.«

»Den Umständen angemessen, gut.«

»Und die Damen?«

»Ebenso.«

»Sind sie etwa mit – mit unerlaubten Liebenswürdigkeiten belästigt worden?«

»Nein.«

»Ich hoffe, daß Du wenigstens hierin nicht lügst!«

»Es ist wahr. Leflor und Roulin haben allerdings Absichten, aber sie konnten sie nicht ausführen, weil der Häuptling der Papago's die Mädchen für sich in Anspruch nimmt. Er behauptet, daß sie ihm gehören.«

»Das ist ein sehr glücklicher Umstand. Wenn sich Adler und Geier um eine Taube streiten, ist es ihr möglich, während des Streites zu entkommen.«

»Ich wollte in vergangener Nacht Magda erretten –«

»Nur Magda?« fiel Steinbach ein.

»Nicht nur sie, sondern alle vier Gefangenen.«

»Nun, warum hast Du es nicht gethan?«

»Weil es unmöglich war. Mein heimliches Gespräch mit Magda war belauscht worden, und so beobachtete man sie und mich auf das Schärfste.«

»Sie und Dich – sie und Dich! Nicht auch die drei Anderen mit?«

»Auch diese.«

»Hm! Und dennoch hatte man das große Vertrauen zu Dir, Dich als Kundschafter voran zu senden?«

»Ja.«

»Höre, Du verräthst Dich selbst. Wenn Du den Fürsten der Bleichgesichter täuschen willst, so sage Dir doch ja vorher, daß Du nicht der Kerl dazu bist. Das gelingt Keinem, den ich noch nicht kenne; Du aber bist mir als ein Kerl bekannt, der aus lauter Lügen und Verbrechen zusammengesetzt ist.«

»Ihr werdet erfahren und es mir dann auch selbst sagen, daß ich jetzt aufrichtig mit Euch gewesen bin!«

»So will auch ich aufrichtig mit Dir sein und Dir ohne allen Rückhalt sagen, was ich mir denke.«

»Ihr werdet mir nichts Anderes sagen können, als was ich Euch jetzt gesagt habe.«

»Doch nicht. Du hast Dich versprochen. Du hast nur mit Magda heimlich geredet, und sie und Du, Ihr seid dann scharf beobachtet worden. Das hast Du soeben selbst gesagt, und daraus schließe ich Folgendes: Du hast nur Magda befreien wollen –«

»Nein, nein!« betheuerte er schnell.

»Schweig! Du bist in sie verliebt!«

»Ich? Ich so alt und sie so jung?«

»Sie ist Tschita's Ebenbild. Ich kenne Dich. Also Du hast sie nur befreien, sie mit Dir fortlocken wollen, zu ihrem größten Verderben.«

»Ist mir nicht eingefallen!«

»Leugne es oder leugne es nicht, ich weiß doch sehr genau, woran ich mit Dir bin. Man ist aufmerksam auf Dich geworden; man hat Dir auf die Finger gesehen. Die Luft ist Dir zu schwül vorgekommen. Ich bin nicht allwissend und kann natürlich nicht sagen, was sich begeben hat, aber ich nehme als ganz gewiß an, daß Du Dich aus dem Staube gemacht hast. Nun willst Du nach dem Todesthale, um Dich an Roulin, Walker und Leflor zu rächen und bei dieser Gelegenheit auch Magda zu befreien.«

Dieser Scharfsinn frappirte Newton ungemein. Er ließ es sich aber nicht merken, sondern er entgegnete in einem möglichst treuherzigen Tone:

»Wie könnt Ihr so Etwas von mir denken?«

»Ich? Von Dir? Mensch, wenn das nicht ganz und gar unverschämt von Dir wäre, hätte ich Lust, es für spaßhaft zu erklären. Ich habe Dir gesagt, was ich denke, und ich bin überzeugt, daß ich Dir bereits in kurzer Zeit sagen kann, daß diese meine Vermuthung zur Gewißheit geworden ist. Wann werden die Papago's in das Thal des Todes kommen?«

»Voraussichtlich bereits heute Abend.«

»Auf welchem Wege?«

*


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