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»Kennt Ihr ihn vielleicht?«

»Natürlich. Ich bin sein Angestellter. Ich bin Bergmeister in seinem Dienste.«

»Bergmeister? Ist das etwa so viel wie Obersteiger?«

»Noch mehr. Steiger haben wir gar nicht. Ich beaufsichtige Alles, das Fördern des Quecksilbers und auch die Reinigung desselben in den Retorten.«

»War er es, von dem Ihr vorhin spracht?«

»Ja.«

»So ist er nicht daheim, wie ich hörte?«

»Nein. Er ist verreist.«

»Und wann kommt er zurück?«

»Das weiß ich nicht. Er ist auf unbestimmte Zeit verreist. Er kann bereits heut wiederkommen, aber auch erst nach Wochen.«

»Das ist mir sehr unlieb. Ich kann nicht so lange warten.«

»Das ist auch nicht nöthig. Ich bin ja da.«

»Habt Ihr denn Vollmacht, Geschäfte abzuschließen?«

»Ja. Ich habe von ihm auch den Verkauf übernommen.«

»Sehr gut. Nicht wahr, die Werke liegen in dem sogenannten Thale des Todes?«

»Ja.«

»Wann kehrt Ihr dorthin zurück?«

»Noch heut.«

»So werden wir mit Euch reiten.«

»Das geht nicht, Sennor.«

»Warum nicht?«

»Roulin sieht es nicht gern, daß Fremde in das Thal kommen.«

»Das begreife ich nicht. Wer von ihm kaufen will, der muß doch zu ihm gehen?«

»Ist nicht nöthig. Wir haben einen Vorrath hier bei meiner Mutter liegen. Hierher kommen also Diejenigen, welche Quecksilber zu haben wünschen.«

»Das wußte ich nicht. Aber sonderbar kommt es mir doch vor, daß Niemand nach dem Thale des Todes kommen soll!«

»Warum sonderbar? Es hat doch Jedermann das Recht, sein Eigenthum betreten oder nicht betreten zu lassen.«

»Freilich. Ist das Thal des Todes groß?«

»Ziemlich.«

»Ich hörte doch, daß es nicht ausschließlich das Eigenthum von Sennor Roulin sei.«

»Das mag sein. Zunächst aber wohnt nur er ganz allein dort.«

»So kann er den Besuch desselben nicht verbiete«.«

»Er hat mir die stricte Weisung ertheilt, keinen Menschen dort zu dulden.«

»Sapperment! Welchen Grund hat er dazu?«

»Jedenfalls einen geschäftlichen.«

»Keinen andern?«

Juanito blitzte Steinbach mit hinterlistigen Augen an und fragte:

»Welchen andern meint Ihr etwa?«

»Nun, es kann ja verschiedene Gründe geben. Nehmen wir zum Beispiel an, er habe einen familiären Grund. Vielleicht hat er eine schöne Frau oder eine hübsche Tochter, die Niemand sehen soll. Er ist wohl eifersüchtig?«

»Dazu hat er keine Veranlassung. Er ist nicht verheirathet und hat auch keine Kinder. Uebrigens ist das unnütze Rederei. Ihr braucht nicht nach dem Todesthale zu kommen, denn Ihr findet hier bei meiner Mutter Alles, was Ihr braucht.«

»Hm! Wie viel habt Ihr hier liegen?«

»Einen vollen Centner.«

»Nicht mehr?«

»Braucht Ihr etwa mehr?«

»Das Vierfache.«

»Donnerwetter! Könnt Ihr denn so viel brauchen?«

»Ja, sonst würde ich es nicht kaufen.«

»Und könnt Ihr zahlen?«

»Ich borge nie.«

Die Augen Juanito's wurden größer. Er blickte Steinbach und Günther langsam vom Kopfe bis zu den Füßen an, als ob er ihre Körperkräfte messen wolle, und sagte dann:

»Ich denke nur, das Ihr Euch wohl verrechnet habt. Habt Ihr schon einmal Quecksilber gekauft?«

»Ja.«

»So kennt Ihr die Preise?«

»Sehr genau.«

»Und Ihr behauptet, so viel Geld mit zu haben, daß Ihr vier Centner bezahlen könnt?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Welche Münze habt Ihr?«

»Gute Banknoten der Bank von England.«

»Das ist das beste Geld, welches es giebt.«

»Wie steht es? Wollt Ihr ein Geschäft mit mir machen oder nicht?«

»Allemal.«

»Aber die fehlenden drei Centner?«

»Werde ich Euch hierher schicken.«

Er blickte dabei Steinbach lauernd von der Seite an. In seinen Augen lagen für den Menschenkenner mit größter Deutlichkeit die Worte zu lesen:

»Gehe nicht mit darauf ein! Vorhin habe ich Dir verboten, das Thal des Todes zu besuchen, jetzt aber, da ich weiß, daß Du so viel Geld bei Dir hast, wünsche ich es sehr, daß Du mit mir kommst.«

Steinbach bemerkte das. Er ging auf diesen heimlichen Wunsch Juanito's ein, indem er antwortete:

»Meint Ihr etwa, ich soll die Katze im Sacke kaufen? Das bin ich nicht gewillt.«

»Mein Quecksilber ist rein.«

»Mag sein; aber untersuchen will ich es dennoch.«

»Ihr? Wie wollt Ihr das anfangen?«

»Das ist meine Sache. So viel Chemie, wie zur Untersuchung des Quecksilbers gehört, habe ich im Kopfe. Ich reite mit Euch.«

»Und wenn ich nicht mit darauf eingehe?«

»So wird aus unserm Handel nichts, und außerdem habe ich dann das Recht, zu denken, daß – – –«

Er hielt stockend inne, und zwar mit Absicht.

»Nun, daß – – –?« fragte Juanito.

»Daß es bei Euch im Todesthale irgend einen Punkt giebt, den Ihr verheimlichen müßt.«

»Pah! Wir stellen das Quecksilber in einer neuen Weise dar, von welcher wir Niemandem Etwas merken lassen wollen. Wir wollen unsere neue Erfindung für uns behalten. Das ist das ganze Geheimniß, Sennor.«

»Ihr braucht es mir ja nicht zu zeigen!«

»Hm! Es scheint Euch sehr viel daran zu liegen, das Thal des Todes zu sehen!«

»Zunächst liegt mir daran, das Quecksilber zu untersuchen. Sodann aber will ich aufrichtig sein und Euch gestehen, daß ich allerdings einigermaßen neugierig bin. Der Ort hat einen so eigenartigen Namen, daß man wohl den Wunsch einmal hegen kann, dieses Thal in Augenschein zu nehmen.«

»Was habt Ihr davon? Ihr erblickt eine öde Felsenschlucht, in welcher die Luft in der Sonnengluth kocht. Es ist da einmal ein ganzer Indianerstamm niedergemetzelt worden. Die Knochen liegen noch zerstreut umher. Darum wird die Schlucht das Thal des Todes genannt.«

»Interessant, sehr interessant! Nun möchte ich es erst recht sehen.«

»Hm!« meinte Juanito nachdenklich. »Ich möchte Euch wohl den Wunsch erfüllen; aber wenn Sennor Roulin dazu kommt, so – – –«

»So ist auch weiter nichts,« daß Ihr uns hier getroffen und mit Euch genommen habt, sondern daß wir direct nach dem Thale des Todes gekommen seien und Euch dort aufgesucht haben.«

»Das wäre freilich eine Ausrede, gegen welche er gar nichts sagen könnte.«

»Zumal wir ihm einen so hohen Posten Waare abkaufen, für welche er eine so bedeutende Summe Geldes erhält.«

»Nun gut, so will ich es versuchen.«

»Also, Ihr nehmt uns mit?«

»Ja.«

Die Wirthin hatte bisher schweigend zugehört. Jetzt aber trat sie näher und sagte in bittendem Tone:

»Sennor, steht ab von Eurem Begehren. Ihr bringt meinen Sohn in Gefahr, seine Stelle zu verlieren.«

»O nein. Ihr habt ja gehört, welch eine gute Ausrede er hat.«

»Sennor Roulin wird es nicht glauben.«

»Er muß. Er kann ja gar nicht daran zweifeln.«

»Ihr kennt ihn nicht. Er ist äußerst mißtrauisch.«

»Er hat aber keinen Grund, unsere Abwesenheit zu wünschen.«

»Und wenn er auch zunächst glaubt, daß Euch mein Sohn nicht mitgenommen habe, so wird er es doch erfahren.«

»Auf welchem Wege? Werdet etwa Ihr es verrathen und es ihm sagen?«

»Nein, aber er wird die Geschichte von dem tollen Wolfe erfahren, daß Ihr Juanito gerettet habt, und dann mit ihm nach dem Thale des Todes geritten seid.«

»Dann sind wir wieder fort.«

»Aber Juanito ist noch da, ihm geht es schlecht, nicht Euch.«

»Das ist meine Sache,« meinte ihr Sohn. »Schweig Du!«

»Nein, Du wirst die Sennores nicht mitnehmen!«

»Ich nehme sie mit!«

Das Gesicht der Frau drückte jetzt eine Angst aus, welche noch einen andern Grund haben mußte, als die blose Sorge um ihren Sohn. Sie trat noch einen Schritt näher zu Steinbach heran und sagte:

»Ihr würdet nicht gehen, wenn Ihr wüßtet – – –«

»Schweig, Alte!« fiel Juanito in strengem Tone ein.

»Was soll ich wissen?« fragte Steinbach. »Sprecht!«

»Nein, Du schweigst!« rief der Sohn gebieterisch.

»Ich würde schweigen, wie stets, um Dir und Deiner Stellung nicht zu schaden; aber diese Sennores haben uns gerettet; ich bin es ihnen schuldig, zu reden.«

»Es sind doch blos Ammenmärchen!«

»Nein, es ist die Wahrheit! Ihr müßt nämlich wissen, Sennores, daß das Thal des Todes gefährlich ist.«

»Wieso? Wegen der Hitze, die dort herrscht?«

»Nein, sondern wegen des bösen Geistes, welcher dort zwischen den Felsklüften wohnt.«

»Ah, ein Geist wohnt dort?«

»Ja, der böseste, den es giebt. Wer nach dem Thale des Todes geht, der ist verloren.«

»Schwerlich!«

»Ganz gewiß! Er kommt niemals zurück.«

»Das glaube ich nicht! Euer Sohn wohnt doch auch dort und kommt zu Euch auf Besuch.«

»Ich habe ihm ein wunderthätiges Amulet gegeben, welches ihn beschützt.«

»Ach so! Und Sennor Roulin, der Besitzer des Thales? Ihm thut der böse Geist auch nichts?«

»Vielleicht hat er auch so ein Amulet.«

»So macht Euch auch um uns keine Sorge. Ich und mein Gefährte hier sind auch mit solchen wunderthätigen Amulets versehen.«

»Aber ob sie wirklich helfen!«

»Ganz gewiß.«

»Darf ich sie sehen?«

»Ja, hier und hier.«

Er deutete dabei auf sein und auf Günthers Gewehr.

»Herrgott, Ihr treibt Scherz! Glaubt Ihr, gegen den Geist mit Pulver und Blei Etwas machen zu können?«

»Sicher.«

»Die Kugeln gehen durch ihn hindurch!«

»Natürlich! Und davon bekommt er ein Loch, an welchem er sterben muß.«

»Nein, nein! Es sind schon Andere da gewesen, welche das auch geglaubt haben, ein Sennor Wilkins, ein Sennor Adler, ein – – –«

»Zum Donnerwetter! Schweigst Du nun!« brüllte Juanito sie zornig an.

»Nein, heut schweige ich nicht! Dann sind noch mehrere Personen nach dem Thale gegangen, Männer, Frauen und Mädchen. Man hat niemals wieder nur das Allergeringste von ihnen gehört.«

»Nun, so werden wohl wir Etwas von ihnen erfahren. Ich werde den Geist nach ihnen fragen.«

»Versündigt Euch nicht! Treibt keinen Spott!«

»Ich spotte nicht. Ich habe längst gewünscht, einmal einen Geist zu sehen. Vielleicht geht mein Wunsch heut in Erfüllung.«

»Ja, Ihr werdet ihn sehen; aber der Augenblick, an welchem es geschieht, wird auch Euer letzter sein.«

»Mutter, Du bist verrückt!«

»Wollen gleich sehen! Ich habe Euch bereits gesagt, Sennores, daß hier mein jüngster Sohn in die Zukunft zu sehen vermag. Ihn wollen wir fragen. Kommt einmal her zu ihm!«

Sie zog Steinbach am Arme hin zu dem Stuhle, auf welchem der Irrsinnige saß. Günther folgte. Sie stellte Beide vor den Kranken hin und fragte diesen, auf Steinbach deutend:

»Henrico, siehst Du diesen Sennor?«

Der Kranke hob leise den schweren Kopf, starrte Steinbach an und murmelte:

»Ihn sehen, ihn sehen, ja.«

»Ist er ein guter Mann?«

»Gut, sehr gut. Henrico ihn lieb haben.«

Er sagte das vielleicht, weil er trotz seiner Stupidität doch gemerkt hatte, daß Steinbach der Retter der Familie sei.

»Er will nach dem Thale des Todes gehen. Soll er?«

»Soll gehen.«

»Wird ihm nichts Uebles geschehen?«

»Soll gehen! Ihm nichts geschehen.«

»Gott sei Dank! Was er sagt, das trifft ein.«

Sie legte ihm ganz dieselben Fragen in Betreff Günthers vor und erhielt ganz dieselben Antworten. Juanito war aufgestanden und hatte mit grimmigen Blicken zugeschaut. Jetzt sagte er:

»Na, da hast Du es! Da sind einige Reisende von hier nach dem Todesthale gegangen, haben es quer durchritten, um hinüber nach Nevada zu kommen, und weil sie in Folge dessen ganz selbstverständlich hier nicht wieder gesehen wurden, hat man den Unsinn gehabt, sie für verloren zu halten. Ein böser Geist im Thale! Es ist mehr als lächerlich! Ihr glaubt doch nicht etwa daran, Sennores?«

»Fällt uns nicht ein!« antwortete Steinbach. »Das müßt Ihr doch bereits aus meinen Worten gehört haben.«

»Ja. Freilich ganz ungefährlich ist der Weg nicht; aber nicht eines Geistes wegen, sondern weil dort zuweilen sich feindliche Indianer sehen lassen. Ihr seid doch gut bewaffnet?«

»Ja.«

»Habt Ihr nur Eure Büchsen?«

Beide, sowohl Steinbach wie auch Günther hatten anstatt der Gürtel breite mexianische Schärpen um die Taillen gewickelt, in denen die Revolver so steckten, daß sie nicht gesehen werden konnten. Der Blick, mit welchem Juanito nach den Waffen forschte, war so wenig Vertrauen erweckend, daß Steinbach die Revolver verheimlichte. Er antwortete:

»Wir haben die Büchse und ein Messer. Das genügt doch wohl?«

»Vollständig, da Ihr so ausgezeichnete Schützen seid, wie ich gesehen habe. Wollen wir aufbrechen?«

»Wir sind bereit. Wie weit ist es?«

»Wir brauchen zwei Stunden, bis wir unser Ziel erreichen. Habt Ihr gute Pferde?«

»Sie sind besser als das Eurige.«

»So sind wir wohl noch eher dort. Kommt!«

Steinbach bezahlte das Wenige, was er mit Günther genossen hatte, und ging dann mit diesem hinaus. Juanito wurde von seiner Mutter noch für einen Augenblick zurückgehalten.

»Mein Sohn,« sagte sie, »wache über die Sennores!«

»Ja, ja! Du aber hast in Zukunft das Maul zu halten. Verstehst Du!«

»Unsere Retter mußte ich warnen. Ob sie es glauben oder nicht, ein böser Geist ist doch da.«

»Hole Dich der Teufel, alte Klatschbase!«

Damit riß er sich von ihr los und ging hinaus, um sein Pferd zu besteigen.

Als sie den Ort verlassen hatten, dehnte sich eine weite, steinigte Ebene vor ihnen aus. Es gab weder Weg noch Steg. Auch war keine Spur von irgend welcher Vegetation zu sehen. Dagegen glühte, obgleich es bereits nicht mehr früh am Nachmittage war, die Sonne auf dem trockenen, unfruchtbaren Boden, daß Einem die Augen schmerzten.

Die Drei ritten schweigend neben einander her.

Juanito beobachtete seine beiden Begleiter heimlich von der Seite her; sie aber thaten, als ob sie es gar nicht bemerkten. Später fragte Steinbach, um das lästige Schweigen zu beenden:

»Wie findet Ihr das Quecksilber, Sennor? Wohl gediegen?«

»Nein, sondern als Schwefelquecksilber.«

»Also als Zinnober. Wohl tief?«

»Ziemlich.«

»Habt Ihr viele Arbeiter?«

»Nein. Der Zinnober liegt so reichlich, daß wir nur wenige Kräfte brauchen, das Quantum zu fördern, welches nöthig ist, unsere Kunden zu bedienen.«

»So muß Sennor Roulin ein reicher Mann sein.«

»Vielleicht.«

»Besitzt er das Werk schon lange Zeit?«

»Weiß es nicht.«

»Hat er keine Lust, es zu verkaufen?«

»Habe ihn noch nicht gefragt.«

»Wer versorgt ihm denn die Wirtschaft, da er unverheirathet ist?«

»Eine alte Wirthschafterin. Doch, schweigen wir davon. Solche Privatverhältnisse gehen mich gar nichts an.«

»Sapperment, thut Ihr geheimnißvoll! Da könnte es Einem ja angst und bange werden.«

»So kehrt um!«

»Auch noch grob seid Ihr! Na, das gefällt mir grade. Ihr seid ein Original. Solche Leute habe ich gern. Ich bin überzeugt, daß wir Wohlgefallen an einander finden werden, wenn wir uns nur erst ein Wenig näher kennen gelernt haben.«

»Mag sein!«

Er gab seinem Pferde die Sporen, daß es in Galopp fiel. Die Beiden mußten also Dasselbe thun. Sie waren aber vorsichtig und verriethen durch keinen Blick, welche Gedanken sie hegten.

Von nun an wurde kein Wort mehr gesprochen. Juanito hielt sich immer ein Wenig voran, um ihnen die Lust, ein Gespräch zu beginnen, zu benehmen. Er wußte ja nicht, wie er ihre Fragen beantworten sollte. Seine Mutter, die Wirthin, hatte keine Ahnung, welche Stellung er eigentlich bei Roulin einnahm, und wer eigentlich der böse Geist war, von welchem sie erzählt hatte.

Nach Verlauf einer Stunde erhob sich die Ebene. Es zeigten sich Berge, nackt, kahl, mit scharfen Umrissen. Sie ritten näher an einander, und eben als die Sonne den westlichen Horizont erreichte, gelangten die Reiter in eine enge Schlucht, welche tief zwischen zwei hohen, steilen Felswänden einschnitt.«

»Der Eingang,« sagte Juanito wortkarg.

»Zum Todesthale?«

»Natürlich!«

Es war, als ob ein jedes Wort, welches er sprechen mußte, ihm wehe thäte.

Die Schlucht war ziemlich lang. Später erweiterte sie sich, nachdem sie ziemlich steil abwärts geführt hatte, zu einem weiten Thalkessel, bei dessen Anblick Steinbach unwillkürlich sein Pferd anhielt.

»Ja, das ist das Todesthal; man sieht es,« sagte er.

Der Thalkessel hatte einen Durchmesser von vielleicht zwei englischen Meilen. Er wurde von schwarzen Felswänden gebildet, welche beinahe lothrecht abfielen und von schmalen, tiefen Klüften zerrissen waren. Diese Wände machten einen beängstigenden, unheimlichen Eindruck. Es war, als ob hier einmal ein großer Brand gewüthet habe, der die Felsen schwarz färbte, oder als ob hier der Eingang in das glühende Innere der Erde sei, der sich mit Felstrümmern vor Kurzem erst verschlossen habe.

Die Sonne war nicht mehr zu sehen, aber die Gluth, welche sie hier in der Tiefe zurückgelassen hatte, fand keinen Ausweg und benahm Einem beinahe den Athem. Die Pferde schnauften ängstlich.

Keine Spur eines Baumes, eines Grashalmes! Todt, todt und abermals todt war Alles rings umher. Nur eine einzige Spur von Leben zeigte sich.

Nämlich gerade in der Mitte des öden Kessels erhob sich ein steiler Berg, dessen Felswände senkrecht in die Höhe stiegen. Es war keine Spur eines Gebäudes da zu sehen; aber hoch oben stieg zwischen den Felsenzacken ein dünner, durchsichtiger, bläulich grauer Rauch langsam empor.

»Was raucht dort oben?« fragte Steinbach.

»Es ist ein Krater,« antwortete Juanito.

»Ah! Ein feuerspeiender Berg hier! Das hätte ich freilich nicht vermuthet. Ist er gefährlich?«

»Nein.«

»Aber in Thätigkeit?«

»Die einzige Spur, daß er noch thätig ist, besteht in eben jenem Dunst, welchen er ausstößt. Rauch oder Dampf kann man es doch nicht nennen.«

»Kann man den Krater sehen?«

»Nein. Der Felsen ist gar nicht zu besteigen.«

»Nicht? Wunderbar!«

Steinbach schüttelte den Kopf, indem er scharf nach oben blickte.

»Was findet Ihr wunderbar?« fragte Juanito.

»Daß der Felsen nicht zu besteigen ist.«

»Das ist doch sehr natürlich. Er ist zu steil. Es führt kein Weg hinauf.«

»Aber dennoch sind Menschen oben!«

»Das müßte ich wissen!«

»Ja. Seht Ihr nicht den dunklen Punkt dort an der Ecke? Ich wette, das ist ein Mensch.«

Ueber Juanito's Gesicht blitzte es zornig.

»Ein Mensch? Nein. Ein Vogel wird es sein. Wollen gleich einmal sehen.«

Er legte beide Hände an den Mund und stieß einen schrillen Schrei aus. Die Gestalt da oben zog sich gehorsam aber langsam zurück.

»Da seht Ihr es, es war ein Vogel,« sagte er.

»Ein Vogel wäre fortgeflogen. Diese Gestalt aber konnte laufen; sie flog nicht, sondern sie ging zurück.«

»Sennor, ich bin hier daheim. Wenn Ihr dem, was ich sage, nicht glauben wollt, so sagt lieber gar nichts!«

»Na, so war es ja gar nicht gemeint. Aber wo ist denn Eure Wohnung?«

»Kommt! Ihr werdet sie bald sehen.«

Sie ritten weiter. Er hielt sich so scharf voran, daß er nicht hören konnte, was sich die Beiden leise zuraunten. Günther flüsterte:

»Es war ein Mensch.«

»Natürlich.«

»Und wenn dieser Fels ein Vulkan ist, so lasse ich mich braten.«

»Und ich mich fressen. Ich denke, sehr genau zu wissen, wer der böse Geist ist, von welchem die Wirthin sprach.«

»Wir werden ihn bannen!«

»Aber äußerst vorsichtig müssen wir dabei sein. Ich bin vollständig überzeugt, daß dieser Kerl uns nach dem Leben trachtet. Jetzt nicht weiter sprechen! Er darf nicht ahnen, daß wir ihn durchschauen.«

»O, er ahnt es vielleicht bereits. Du hast ihm schon zu sehr widersprochen.«

»Ja, es war unklug von mir; aber es wurde mir zu schwer, bei den Dummheiten dieses Menschen zu schweigen.«

Sie ritten jetzt um den Fuß des angeblichen Vulkans und gelangten auf die andere Seite desselben. Sie konnten also den hinteren Theil des Todesthales überblicken. Aber so weit ihr Auge reichte, war keine Spur einer menschlichen Wohnung zu erkennen. Und doch, da links befand sich ein Mauerwerk.

Es waren drei Steinmauern, welche rechtwinklich auf einander stießen, an der Felswand errichtet, so daß sie mit dieser letzteren ein ziemlich großes Quadrat bildeten.

»Was ist das?« fragte Steinbach.

»Meine Wohnung,« antwortete Juanito.

»Ohne Fenster!«

»Die Fenster befinden sich im Inneren.«

»Ah, die Mauern umschließen also einen spanischen Patio. Aber eine Thür muß es doch geben, sonst können wir ja gar nicht hinein.«

»Die ist da. Kommt nur!«

Er ritt um die erste und dann um die zweite Ecke, und hier gab es eine Thür, nicht hoch, so daß man vom Pferde steigen mußte, und so schmal, daß eben nur ein Pferd oder ein Mann passiven konnte. Die Thür war von starkem Holze gefertigt und mit Eisenblech beschlagen. Ein Schloß, ein Schlüsselloch, ein Drücker, eine Klinke, von Alledem war gar nichts zu bemerken.

Juanito stieg ab. Die beiden Anderen thaten dasselbe. Er zog seine Pistole aus dem Gürtel und klopfte sehr stark und sehr lange an. Nach einiger Zeit wurde die Thür von innen ein klein Wenig geöffnet. Man sah ein rothes, verschossenes Kopftuch, unter demselben eine sehr lange, sehr hagere Nase und unter dieser einen sehr welken, sehr breiten und zahnlosen Mund, und aus demselben ertönte die Frage:

»Wer da?«

»Ich. Siehst Du mich denn nicht, alte Hexe?«

»Ach, Ihr! Und Gäste! Das ist doch verboten!«

»Geht Dich aber nichts an!«

»Sennor Roulin wird zanken!«

»Das ist meine Sache. Willst Du endlich aufmachen!«

»Na, wenn Ihr es auf Euch nehmt! Mir kann es ja gleichgiltig sein.«

Sie stieß die Thür vollends auf und trat heraus. Sie hatte ganz das Aussehen jener alten Hexe im Kindermärchen, welche im tiefen Walde wohnte und die Kinder fraß, welche sich zu ihr verliefen.

Sie war barfuß und hatte nichts als einen alten, zerrissenen Rock und ein Hemd an, welches wohl niemals gewaschen worden war. Ihre Füße sahen vollständig schwarz, ebenso ihre nackten Arme und Hände. Diese Alte sah genau so aus, als ob sie soeben aus der Räucherkammer komme, in welcher sie Monate lang gehangen habe und nun zur Mumie eingetrocknet sei. Sie richtete ihre wimperlosen, triefenden Augen auf die beiden Fremdlinge und sagte:

.

»So geht hinein und seid willkommen! Es wird Euch bei uns gefallen, hihihihi!«

Dieses Lachen klang wie das Gekrächz eines Raben oder eines nächtlichen Raubvogels, welcher triumphirt, weil er seine Beute bereits in den Krallen hält.

Juanito trat ein und zog sein Pferd hinter sich her. Steinbach und Günther thaten dasselbe.

Sie gelangten durch einen finsteren Hausgang in den Hof, dessen drei Seiten das Mauerwerk des Gebäudes bildete, während die vierte an den senkrechten Felsen des vermeintlichen Vulkans stieß.

Hier im Hofe gab es allerdings einige Fenster. Von Glas und Rahmen oder war keine Spur. Die Fenster bestanden nur in schmalen, schießschartenähnlichen Maueröffnungen.

»Bringt Eure Pferde in den Stall,« meinte Juanito.

Er schritt ihnen voran nach einem offenen, thürlosen Raume, welcher die Vermuthung, daß er der Stall sei, nur durch einige eiserne Haken unterstützte, an welche die Pferde angebunden wurden.

»Giebt es hier im Thale denn Futter für die Thiere?« fragte Günther.

»Keinen Halm. Wir füttern Mais, den wir natürlich sehr weit her holen müssen.«

»Und Wasser?«

»Auch sehr wenig. Es giebt im Thale keine Quelle und keinen lebendigen, fließenden Tropfen. Wir müssen den Regen dort in der Cysterne sammeln, um Wasser zu haben. Leider aber regnet es hier so selten.«

Steinbach trat an die Cysterne. Das war ein tiefes, viereckiges Loch. Er konnte nicht auf den Grund blicken, aber es kam ihm ein Geruch von fauligem Wasser entgegen, welcher ihm allen Appetit sofort verleidete. Er wendete sich wieder ab und bemerkte nur noch, daß neben der Cysterne eine lange und sehr starke Leiter lag.

»Jetzt kommt, Sennores,« meinte Juanito. »Wir wollen nach dem Saale gehen.«

Er ging auf eine ziemlich breite, steinerne Treppe zu, welche er emporstieg. Die Anderen folgten natürlich. Droben öffnete er eine Thür. Sie war nur angelehnt gewesen und bestand ganz aus Eisen. Das war der Eingang in den Raum, den er Saal genannt hatte. Dieser war nur eine Stube, in welcher ein alter Tisch nebst einigen eben solchen Stühlen stand. Zwei Mauerscharten bildeten die Fenster, boten jetzt aber gar kein Licht, da die Dämmerung hereingebrochen war. Darum brannte Juanito eine Kerze an, welche auf dem Tische stand. Der Leuchter bestand aus einer großen Kartoffel, in welche für das Licht ein Loch geschnitten war.

»So!« sagte er. »Willkommen also, Sennores! Setzt Euch und macht es Euch bequem. Ich gehe für einen Augenblick fort, werde aber schnell wiederkommen.«

Er entfernte sich und schob die Thür heran. Die beiden Deutschen blickten sich fragend an und brachen dann in ein unterdrücktes Lachen aus.

»Das ist der Saal!« sagte Günther. »Verteufelt comfortabel ist er! Eine solche Pracht habe ich hier gar nicht erwartet.«

»Ich glaube, wir werden noch auf das Verschiedentlichste überrascht werden. Eigentlich ist es nicht zum Lachen.«

»Nein, gar nicht. Was sagst Du zu der Alten?«

»Des Teufels Ur-Ur-Urgroßmutter.«

»Wenigstens. Und dann der Eingang. Als ich das Pferd hinter mich hereinzog, kam ich mir vor, wie der Gimpel, der in die Falle geht.«

»Ich mir ebenso. Und in der Falle stecken wir, das unterliegt gar keinem Zweifel.«

»Du meinst wirklich, daß er uns nach dem Leben trachtet?«

»Gewiß.«

»Wir sind doch seine Retter.«

»Das ist dem Kerl höchst gleichgiltig. Er fragte so angelegentlich nach unserem Gelde. Er wollte uns auf keinen Fall mitnehmen, aber als er hörte, daß wir englische Noten einstecken haben, da war er sofort bereit, da verbot er sogar seiner Mutter das Wort.«

»Und wie er nach den Waffen fragte!«

»Jedenfalls nicht ohne Absicht. Wir müssen auf der Hut sein. Zunächst gilt es, zu erfahren, wie viele Personen sich hier befinden. Ich bin überzeugt, daß wir den Aufenthalt – pst! Man kommt!«

Juanito war aus dem Zimmer getreten und in dem jetzt dunklen Gang, in den verschiedene eiserne Thüren mündeten, fortgegangen bis zu einer Thür, welche nur anlehnte und hinter welcher sich Licht befand. Er trat ein. Die Alte saß da auf einem Schemel und stand im Begriff, sich einen alten, abgebissenen Pfeifenstummel mit Tabak zu stopfen.

»Ist während meiner Abwesenheit Etwas passirt?«

»Nein.«

»Auch mit Annita nicht?«

»Sie hat sich sehr ruhig verhalten. Ich denke, Ihr wollt heute fortbleiben!«

»Ich traf die beiden Kerls und mußte mit ihnen hierher zurück.«

»Was wollen sie?«

»Quecksilber kaufen.«

»Die Waare liegt ja bei Eurer Mutter!«

»Ganz richtig. Ich weigerte mich auch, die Leute mit nach dem Thale zu nehmen. Aber zuletzt dachte ich doch – hm! Ich muß Dir Etwas sagen.«

»Heraus damit!«

Sie hielt den Stummel an das Licht, setzte den Tabak in Brand und begann zu qualmen.«

»Weißt Du noch damals, der Engländer –«

»Hm, ja,« nickte sie, indem sie ihn verständnißinnig angrinste. »War er nicht ein fetter Braten?«

»Sehr fett.«

»Es sollte doch wieder einmal so Einen geben!«

»Lieber Zwei, anstatt nur Einen!«

»Wie meint Ihr das? Zielt das etwa auf die Zwei, die da jetzt gekommen sind?«

Ja.«

»Haben sie Geld?«

»Mehrere hundert Dollars.«

»Sapperment! Wie viel soll ich bekommen?«

»Volle hundert.«

»Und die Kleider, die Kleider?«

»Meinetwegen.«

»Da mache ich mit. Der Anzug des Großen ist so gut, daß ich mir aus demselben den kostbarsten Staat nähen kann. Roulin darf natürlich nichts wissen?«

»Gott bewahre! Also Du bekommst hundert Dollars und die Anzüge und ich das Uebrige und die Pferde?«

»Einverstanden! Aber wie?«

»Hast Du noch Gift für das Fleisch?«

»Ja. Davon fraß damals der Engländer auch. Hei, wie er sich krümmte und wand, als das Gift ihm die Gedärme zerriß!«

Sie kicherte leise vor sich hin. Ihr Gesicht war jetzt in wirklich teuflischer Weise verzerrt. Dieses alte Weib war jedenfalls eine noch viel schlimmere und gefährlichere Creatur als Juanito selbst.

»So richte es zu,« sagte dieser. »Die Sennores werden Hunger haben.«

»Ihr wohl auch? Eßt aber ja nicht davon!« lachte sie. »Sonst beerbe ich Euch alle Drei.«

»Fällt mir nicht ein! Ich werde das Fleisch holen.«

Er trat hinaus. Draußen blieb er stehen. Es war ihm gewesen, als ob ihn ein leiser Lustzug treffe, so wie als wenn Jemand heimlich an Einem vorüberhuscht. Er lauschte. Da er aber weder Etwas sah, noch hörte, ging er weiter, die Treppe hinab und in den Hof, wo sich die Vorrathskammer befand.

Und doch hatte er sich nicht getäuscht. Eine weibliche Person hatte an der Thür gestanden und gelauscht. Als er so schnell herausgekommen war, war sie schnell einige Schritte zurückgewichen und dann bewegungslos stehen geblieben, bis er beruhigt seinen Weg fortsetzte.

Da huschte sie auch weiter. Sie hatte es eilig. Sie durfte keine Minute Zeit verlieren. Darum wurden ihre Schritte lauter, als sie sich ihrem Ziele näherte. Das war es, was Steinbach gehört hatte. Er horchte nach der Thür hin, und da trat sie ein. Der Schein des Lichtes fiel auf sie.

Ihre Kleidung zeigte nicht von auf sie verwendete Sorgfalt, sie sah vielmehr abgerissen und schmutzig aus; dennoch aber machte die Person keinen üblen Eindruck. Man sah ihr auf den ersten Blick die Spanierin an. Voll und üppig gebaut, war sie jetzt noch voller und üppiger als wohl gewöhnlich. Sie hatte ganz das Aussehen einer jungen Frau, die der Stunde entgegensieht, in welcher sie dem Gatten das köstlichste Geschenk geben will, welches eine Frau ihrem Manne nur geben kann – sie war schwanger.

»Was wollt Ihr, Sennora?« fragte Steinbach, als sie einige Secunden lang wortlos an der Thür stehen blieb.

Da legte sie die Hand an den Mund und raunte ihm ängstlich zu:

»Leise, leise, Sennor! Man darf nicht wissen, daß ich zu Euch komme.«

»Gut, mein Kind,« sagte er nun leise. »Also was habt Ihr mir zu sagen?«

»Ich will Euch warnen.«

»Vor wem?«

»Vor Juanito und der Alten. Sie wollen Euch Beide vergiften.«

»Alle Teufel!«

»Ja, mit Fleisch, er holt es eben.«

»Dachte mir so Etwas! Weißt Du es genau?«

»Ja. Ich sah Euch kommen. Ich dachte, Ihr könntet mich retten. Darum schlich ich mich aus meiner Stube und horchte. Da hörte ich, daß sie schon einen Engländer vergiftet haben –«

»Das wird immer besser!«

»Und daß sie auch Euch tödten wollen, weil Ihr einige hundert Dollars bei Euch habt. Das alte Weib soll hundert Dollars und Eure Anzüge bekommen.«

»Du sagst, daß Du Rettung von uns erwartest? Wer bist Du denn, Kind?«

»Ach Gott, ich bin ein armes, unglückliches Mädchen –«

Sie hielt inne und drückte die Hände an die Augen, aus denen sofort die Thränen geschossen kamen.

»Ein Mädchen? Hm –«

Sie erröthete, unterdrückte mit Gewalt ihr Schluchzen und fuhr fort:

»Ja, Sennor, ich bin keine Frau, sondern ein Mädchen. Ich kann nichts dafür. Ich sollte seine Frau werden, und da – da –«

»Wessen Frau?«

»Roulin's.«

»Ach, von ihm ist die Rede! Sprich weiter! Ich werde Dir helfen, wenn ich kann.«

»Ich war arm und hatte keinen Menschen auf der Welt, zu dem ich gehörte. Ich diente in San Franzisco. Ich suchte eine andere Stellung und las eine Anonce, welche mir gefiel. Ich ging nach dem bezeichneten Orte und traf da Roulin. Ich gefiel ihm und er miethete mich für seine Frau. Als er mich hierher brachte, merkte ich erst, daß er gar keine Frau hatte. Er beruhigte mich. Er sagte mir, daß er mich liebe und daß ich seine Frau sein werde. Ich glaubte es ihm.«

»Armes Kind!«

»Ich wurde hier die Herrin. Aber das dauerte nicht lange. Es gab da noch eine Andere, der ich weichen mußte. Ich wurde eingesperrt, damit sie mich nicht sehen solle. Ich erfuhr aber doch ihren Namen.«

»Wie hieß sie?«

»Magda. Den anderen Namen habe ich vergessen.«

»Magda Hauser?«

»Ja, so war er. Sie sollte an meine Stelle treten. Sie war nicht so leichtgläubig wie ich. Sie wehrte sich. Er hat sie fortgeschafft. Seitdem darf ich meine Kammer wieder verlassen.«

»Auch das Haus?«

»O nein. Wer dieses Haus einmal betreten hat, der kommt nicht wieder hinaus. So wird es wohl auch mit mir werden. Ach, mein Gott! Ich ahne, was man mit mir vor hat.«

»Darf ich das wissen?«

»Ich weiß es selbst nicht genau, und es ist auch so schrecklich, daß ich es lieber nicht glauben möchte. Ich möchte gern denken, daß ich falsch gehört habe. Aber das ist doch auch nicht möglich. Ich habe Alles ganz genau verstanden, was Roulin und Juanito mit einander sprachen.«

»Was war das?«

»Roulin hat mehrere Mädchen in der Weise betrogen wie mich. Wenn er sie nicht mehr lieb hat, steckt er sie in das Bergwerk.«

»Alle Teufel!«

»Ja, dort müssen sie arbeiten, bis sie eines elenden, jammervollen Todes sterben.«

»Das ist satanisch!«

»Sie bekommen das Tageslicht niemals zu sehen.«

»Wo ist das Bergwerk?«

»Ich weiß es nicht. Der Eingang zu demselben aber muß hier im Hause sein.«

»Ah! Warum denkst Du das?«

»Juanito hat sich einmal versprochen. Ihr müßt nämlich wissen, daß – daß –«

Sie stockte erröthend.

»Sprich getrost weiter!« sagte Steinbach in freundlichem, ermunterndem Tone.

»Es ist so, daß man es kaum sagen kann!«

»Sage es trotzdem! Hier ist falsche Scham nicht am Platze. Hier handelt es sich vielleicht um mehr, als nur um Leben und Tod.«

»Da habt Ihr Recht, Sennor. Nämlich wenn Roulin von einem Mädchen nichts mehr wissen will, so wird Juanito sein Nachfolger. Dann, wenn dieser – dann, dann steckt er sie in das Bergwerk.«

»Schrecklich, schrecklich!«

»Juanito verlangte von mir, ich solle freundlich mit ihm sein. Ich weigerte mich, und da sagte er zu mir, daß er mich, wenn ich ihm ungehorsam sei, hinunterschaffen wolle. Aus diesem Worte schließe ich, daß der Eingang zum Bergwerke hier im Gebäude sein muß.«

»Hinunter? Also im Parterre?«

»Nein. Die Parterreräumlichkeiten liegen an den drei Mauerseiten. Die vierte ist der Berg.«

»Meinst Du, daß das Quecksilber hier im Berge gegraben wird?«

»Ja. Man hört zuweilen des Nachts von oben herab Stimmen ertönen.«

»Schön, schön! Sollte der Eingang im Keller sein?«

»Einen Keller giebt es hier nicht.«

»So! Ah, ich habe da einen Gedanken! Etwa in der Cysterne. Neben dieser ist die Leiter.«

»Die ist oftmals weg.«

»Wohin?«

»Das weiß ich nicht. Ich darf mich ja um gar nichts bekümmern. Ich darf auf nichts aufpassen. Wenn man so Etwas bemerkte, würde ich sogleich wieder eingesteckt werden.«

»Wie viele Personen bewohnen dieses Haus?«

»Jetzt nur Drei: Juanito, die Alte und ich.«

»Sehr gut. Also Du wünschtest Dich fort von hier?«

»Ja. Ich will lieber todt sein, als hier bleiben.«

»So verspreche ich Dir, daß ich Dich mit mir von hier fortnehme, mein Kind.«

»Wann, o Sennor?«

»Sobald ich selbst gehe. Das kann schon in dieser Nacht sein. Wo ist Deine Kammer?«

»Ganz hinten, wo der linke Flügel an den Felsen stößt. Neben der Treppe, welche empor zum platten Dach führt.«

»Deine Thür ist offen?«

»Ja, seit diese Magda fort ist.«

»Wie unvorsichtig von diesem Juanito! Da kannst Du doch leicht entfliehen.«

»O nein. Fenster nach außen giebt es ja nicht.«

»Aber die Thür!«

»Ist stets verschlossen. Und den Schlüssel giebt die Alte nicht aus der Hand.«

»Wo hat sie ihn?«

»Stets auf der Brust, auf dem bloßen Leibe unter dem Hemde. Zur Thür hinaus kann ich also nicht.«

»Vom Dache hinab?«

»Das ist mir zu hoch. Ich würde – – – um Gottes willen! Er kommt!«

Sie huschte hinaus und versteckte sich in die nächste Ecke. Da es draußen auf dem Gange dunkel war, konnte Juanito sie nicht sehen. Er trat ahnungslos, was während seiner Abwesenheit geschehen war, in den »Saal«.

»Sennores,« sagte er, »ich habe den Befehl ertheilt, daß Euch ein Abendmahl bereitet werde.«

Jetzt, da Steinbuch erfahren hatte, daß nur drei Personen dieses Haus bewohnten, war er überzeugt, daß er seinen Plan mit Leichtigkeit ausführen könne; er brauchte sich also gar nicht zu geniren. Darum nahm er sich kein Blatt vor den Mund und sagte:

»Worin wird dieses Mahl bestehen?«

»In Braten.«

»Wer bratet ihn?«

»Die Schließerin.«

»Danke sehr! Brrr!«

»Wie meint Ihr das?«

»Daß wir nichts essen werden, was diese Person berührt hat.«

»O, sie ist sehr sauber!«

»Das habe ich gesehen. Sie starrt vor Schmutz.«

»Ihr müßt bedenken, daß Ihr Euch nicht in New-York oder San Franzisko befindet, Sennor!«

»Meint Ihr, daß man nur an diesen beiden Orten reinlich sein könne?«

»Nun gut! Ihr seid meine Gäste, und so muß ich Euch jeden Gefallen thun. Ich werde Euch eine andere Köchin besorgen.«

»Habt Ihr denn eine andere?«

»O, mehrere. Es wohnen noch einige junge Sennores und Sennorita's hier. Verwandte von Sennor Roulin, welche hier auf Besuch sind. Diese Damen werden mir gern den Gefallen thun.«

Das war eine Lüge. Dennoch that Steinbach, als ob er es glaube. In zutraulichem Tone fuhr Juanito fort:

»Aber macht es Euch doch bequem. Legt Eure schweren Waffen fort.«

»Werden wir auch während der Nacht in diesem Saale bleiben?«

»Nein.«

»So legen wir die Waffen hier nicht ab. Ein guter Jäger ist gewohnt, sich nur an der Ruhestelle von seinen Waffen zu trennen.«

»So werde ich Euch sofort Eure Zimmer anweisen.«

»Unsere Zimmer? Wir brauchen nur eins.«

»Es soll Jeder eins bekommen.«

»Wir danken! Wir sind gewohnt, bei einander zu schlafen.«

Juanito zog die Stirne kraus, beherrschte sich aber doch und sagte:

»Ich kann Euch die Bequemlichkeiten freilich nicht aufzwingen. Bleibt also meinetwegen beisammen, wenn Ihr es nicht anders wollt! Erlaubt mir nun nur, Euch nach Eurem Zimmer zu bringen.«

Er ergriff das Licht und schritt, den sogenannten Saal verlassend, ihnen voran, nach dem rechten Flügel des Gebäudes. Dort schloß er eine ebenso eiserne Thür auf und ließ die Beiden eintreten.

Die Stube war klein. Sie hatte nicht einmal eine Mauerscharte als Fenster. Wer hier eingeschlossen wurde, der war gefangen, ohne nur einen Mund voll frische Luft athmen zu können. Dieser Gedanke kam Steinbach. Darum warf dieser sofort einen Blick nach der Decke empor. Was er da sah, das beruhigte ihn sehr. Die Decke war nämlich nicht sehr hoch und bestand sehr einfacher Weise nur aus der einfachen Dachpappe, welche man von Mauer zu Mauer gelegt hatte. Hier in diesem regenarmen Klima genügte dies vollständig.

Ein Tisch stand in der Mitte des Raumes und dabei gab es zwei alte Stühle.

»So, setzt Euch, Sennores!« sagte Juanito. »Ich werde Euch Decken für das Lager besorgen. Ihr seid nun hier wie daheim und könnt Eure Waffen ablegen. Ich komme gleich wieder.«

Er ging.

»Dieser Kerl muß doch rechte Angst vor unseren Büchsen haben!« sagte Günther von Langendorff.

»Er fängt es darauf an, daß wir sie partout weglegen müssen. Der Esel macht dies aber doch ein Wenig zu auffällig.«

»Es behagt mir hier nicht so recht.«

»Warum?«

»Es giebt nicht einmal ein Fenster. Schließt man uns hier ein, so können wir uns nicht einmal unserer Haut wehren.«

»O doch! Wir können durch das Dach.«

»Ist das so dünn?«

»Ja. Ich werde gleich einmal probiren.«

Steinbach stieg auf den Tisch. Er selbst war so lang, daß er nun mit dem Kopfe fast die Decke erreichte. Er untersuchte sie mit den Händen. Sie gab nach. Es war gewiß, daß man es nur mit der einfachen Steinpappe zu thun hatte.

»Siehst Du!« sagte er, wieder vom Tische steigend. »Da hinaus bleibt uns für alle Fälle ein Weg.«

Sie hatten gar nicht lange Zeit, sich zu besprechen, denn Juanito kehrte sehr schnell zurück. Er breitete einige Decken in der Ecke aus, die ihnen zum Lager dienen sollten. Dabei sagte er:

»So, Sennores. Nun wacht es Euch bequem. Legt ab!«

»Es scheint Euch sehr viel daran zu liegen, daß wir es uns bequem machen!«

»Mir? Nein. Ich sage das nur um Euretwillen. Ich bin das eben so gewöhnt. Ich lege die Waffen stets ab, sobald ich der Gast eines Andern bin. Wer das nicht thut, der beleidigt den Gastgeber, indem er sagt, daß er ihm nicht traue.«

»Legt denn der Gastgeber auch seine Waffen ab?«

»Ja. Ich habe nur den Revolver im Gürtel. Seht, da liegt er.«

Er zog ihn aus dem Gürtel und legte ihn auf den Tisch. Darum zog Steinbach nun sein Beil aus dem Futterale und stellte es in die Ecke. Günther that dasselbe mit seiner Büchse. Nun schien Juanito befriedigt zu sein. Er sagte:

»So lasse ich es mir eher gefallen. Nun werde ich nachschauen, ob der Braten fertig ist. Ihr erlaubt vielleicht, daß ich selbst Euch bediene, Sennores?«

»Gern.«

Juanito ging wieder fort. Schnell trat Steinbach zum Tisch, auf welchem der Revolver noch lag.

»Man kann nicht wissen, was passirt. Vielleicht kommt es zum Schießen. Da wollen wir dieses Ding doch lieber unschädlich machen.«

»Ist er geladen? Er hatte doch vier oder fünf Schüsse auf den Wolf abgegeben.«

»Hier sehe ich, daß er wieder geladen hat.«

»So mach schnell, ehe er zurückkehrt.«

Er zog die Patrone aus der Trommel und legte die Waffe wieder hin. Er hatte das kaum gethan, so kehrte Juanito zurück, in den Händen eine Platte mit frischen Tortillas und appetitlich riechenden Bratenstücken.

»So, Sennores, habt Ihr Euer Essen,« sagte er, indem er die Sachen auf den Tisch legte.

Steinbach setzte sich auf den Stuhl und sagte, nachdem auch Günther seinem Beispiele gefolgt war:

»Giebt es nicht einen dritten Stuhl?«

»Für wen? Etwa für mich?«

»Ja, natürlich.«

»Ich brauche keinen.«

»Ihr könnt doch nicht im Stehen essen!«

»Danke! Ich esse nicht. Das ist für Euch. Ich habe bereits gegessen.«

»Das wäre doch recht schnell gegangen! Wann denn?«

»Vorhin, als ich zehn Minuten von Euch fort war.«

»Was könnt Ihr während dieser kurzen Zeit genossen haben? Nichts. Nein, wenn Ihr nicht mit uns eßt, so essen auch wir nicht. Wir sind Eure Gäste und Ihr müßt mit Theil nehmen.«

»Nun gut! Ich will Euch auch hierin Euren Willen thun, Sennores.«

Er ging und kehrte bald mit einem Stuhle und einem Stücke kalten Fleisches zurück.

»So ists recht!« lachte Steinbach. »Ihr werdet sehen, daß es zu Dreien besser schmeckt als zu Zweien. Ich bitte, greift zu!«

Juanito nahm sich eine der Tortillas und biß hinein. Das sind flache Maiskuchen. Sie waren also nicht giftig, sonst hätte er sich gehütet, sie zu kosten.

»Nun hier Fleisch! Bitte!«

Steinbach zog sein Messer hervor, schnitt ein Stück des Bratens ab und legte es Juanito hin.

»Danke, danke!« sagte dieser schnell. »Ich esse nicht warm sondern lieber kalt.«

»Wir Beide auch. Da wir aber Warmes und Kaltes haben, so theilen wir. Nehmt nur Braten!«

»Behaltet ihn immer für Euch! Ich bin nicht ein großer Freund davon.«

Steinbach drang in ihn. Juanito kam in allergrößte Verlegenheit. Ohne ganz und gar unhöflich zu sein, konnte er sich nicht länger weigern, und doch war es unmöglich, von dem vergifteten Fleische zu essen. Er versuchte alle möglichen Ausreden und Entschuldigungen, bis Steinbach endlich zornig rief:

»Ich möchte den Mann sehen, der nicht gebratenes Rind essen kann! Ihr seid selbst schuld, wenn Euer Verhalten mir verdächtig vorkommt.«

»Verdächtig? Wieso verdächtig?«

»Weil Ihr Euch so hartnäckig weigert, zu essen. Was ist mit diesem Braten?«

»Was soll mit ihm sein? Nichts!«

»So eßt also auch selbst davon!«

»Ich habe aber heut keinen Appetit dazu!«

»Das muß aber einen Grund haben. Ekelt Ihr Euch etwa? Ist es vielleicht doch die Alte gewesen, welche geschmoort hat, he?«

»Nein, sondern eine der jungen Sennorita's.«

»Bitte, holt sie mir doch einmal her!«

»Das geht nicht. Sie hat sich sofort zur Ruhe gelegt, nachdem sie fertig war.«

»So? Es ist jedenfalls Euer Wunsch, das wir Beide uns auch zur Ruhe legen, wenn wir das Fleisch gegessen haben?«

»Allerdings.«

»Aber zu welcher Ruhe!«

»Natürlich hier auf diese Decken.«

»Ja, auf welchen wir liegen bleiben, ohne jemals wieder aufzuwachen.«

Jetzt stutzte Juanito.

»Wie meint Ihr das?« fragte er.

»Ganz so, wie ich es sage. Euer Verhalten erregt meinen Verdacht. Es hat mit diesem Fleische irgend eine Bewandtniß. Ich esse nicht davon.«

»Ich auch nicht,« stimmte Günther bei.

»Donnerwetter! Wollt Ihr mich beleidigen, Sennores?«

»Nein. Wir haben dasselbe Recht wie Ihr. Ihr eßt nicht, und wir essen nicht. Jeder hat seinen Willen. Dagegen kann Niemand Etwas sagen.«

Aber ich bin der Wirth. Ihr weist mein Fleisch zurück; das ist eine Beleidigung.«

»Ihr eßt nicht mit uns; das ist ebenso Beleidigung. Wir wollen da gar nicht viele Worte machen. Ich bin ein Mexikaner, aber nicht ein Engländer. Ich will nicht wie ein Engländer sterben sondern wie ein Mexikaner.«

Das Gesicht Juanito's wurde aschfarben.

»Sennor, was meint Ihr?« fragte er.

»Nun, ist hier nicht einmal ein Engländer gestorben?«

»Nein.«

»Nachdem er Fleisch von Euch gegessen hatte?«

»Nein.«

»Welches von der Alten vergiftet worden war?«

»Seid Ihr toll!«

Er war von seinem Stuhle aufgesprungen. Seine Augen blitzten, mehr aber vor Schreck als vor Zorn.

»Toll? Nein. Ich bin im Gegentheil so sehr bei Sinnen, daß mein Ohr Alles gehört hat, was Ihr mit Eurer alten Hexe ausgemacht habt.«

»Ausgemacht? Was denn?«

»Daß sie hundert Dollars und unsere Anzüge bekommen soll!«

»Himmeldonnerwetter!«

»Ihr wollt das Andere nehmen und die Pferde!«

Steinbach war in ganz gleichgiltiger Haltung sitzen geblieben und sprach diese Worte mit lächelndem Munde. Juanito hingegen war förmlich zurückgefahren.

»Sennor!« stieß er mit aller Anstrengung hervor. »Ich begreife Euch nicht!«

»Desto besser begreife ich Euch, Mörder! Ihr, Ihr seid der böse Geist im Todesthale, von welchem Eure Mutter erzählt hat. Ihr wollt uns heut morden, um zu meinen englischen Banknoten zu kommen; aber es soll Euch das nicht so glücken, wie Eure früheren Schandthaten!«

»Nicht?« knirrschte der Entlarvte. »Ach, dennoch soll es glücken, dennoch und nun erst recht. Fahrt mit einander zur Hölle!«

Er riß den Revolver vom Tische an sich, schlug auf Steinbach an und drückte ab. Die Waffe versagte. Er drückte in aller Schnelligkeit noch zweimal ab, aber wiederum vergebens.«

»Gebt Euch keine Mühe!« lachte Steinbach. »Wir haben dafür gesorgt, daß die Wespe nicht mehr stechen kann. Nun aber wollen wir selbst einmal unseren Stachel zeigen. Hier ist er. Wie wird Euch jetzt, Sennor?«

Er zog seinen Revolver aus dem Gürtel. Günther that desgleichen.

Juanito war fast erstarrt gewesen. Jetzt, als er die beiden feindlichen Waffen erblickte, kam wieder Leben über ihn.

»Wie mir wird?« sagte er. »Sehr wohl. Ich wünsche, daß es Euch ebenso wohl werde.«

Ehe ihn einer der Beiden hindern konnte, war er zum Eingang hinausgesprungen und hatte die Thür hinter sich zugeschlagen. Der Schlüssel schrillte im Schlosse und der Riegel klirrte.

»Gefangen!« hohnlachte der Entkommene draußen mit lauter triumphirender Stimme.

»Ja, gefangen,« sagte Günther von Langendorff. »Gefangen sind wir! Und daran sind wir selbst schuld!«

»Was schadet es?« lachte Steinbach.

»Was es schadet? Jedenfalls sehr viel!«

»Das sehe ich nicht ein.«

»Wir hatten ihn so fest! Und ließen uns dennoch von ihm übers Ohr hauen.«

»Lieber Günther, lamentire nicht. Du befindest Dich in einem großen Irrthume, wenn Du meinst, daß dieser dumme Kerl mich etwa beluxt habe. Er ist mir nur zu sicher; das weiß ich, und darum spiele ich mit ihm wie die Katze mit der Maus. Auf ihn zu schießen, das wäre eine Dummheit gewesen. Ich darf ihn doch nicht erschießen, weil er mir sehr viel sagen soll, was ich erfahren will. Hätte ich gewollt, so wäre er mir sicherlich nicht entgangen. Du kennst mich noch nicht. Ich bin schneller als er; aber das brauchte ich ja gar nicht zu sein. Ich brauchte mich ja nur zwischen ihn und die Thür zu stellen, so hätte er nicht fortgekonnt.«

»Aber warum hast Du ihn denn entkommen lassen? Das ist es, was ich nicht begreife.«

»Entkommen ist er ja gar nicht! Er ist noch hier in dem Hause. Es fällt ihm gar nicht ein, fortzugehen. Er bleibt mir also sicher und gewiß. Ich habe ihn einstweilen gehen lassen, um ihn vielleicht belauschen zu können. Ich denke, daß ich auf diesem Wege mehr erfahre als er sich auspressen läßt. Jetzt gehen wir durch die Decke.«

»Das ist schwerer, als Du denkst.«

»Warum?«

»Je leichter wir durch die Decke kommen, desto dünner ist sie und desto weniger trägt sie uns. Wir brechen ja bei jedem Schritte durch!«

»Wenn wir so dumm sind, auf der Pappe gehen zu wollen, ja.«

»Auf was denn sonst?«

»O wehe! Mein Lieber, ich begreife Dich nicht. Wir laufen auf der Umfassungsmauer.«

»Alle Teufel! Das ist ja richtig! Wo habe ich doch nur meine Gedanken!«

»Nicht wahr? Na, tröste Dich! Wenn Du keine Gedanken hast, so habe ich desto bessere. Du bist ein ausgezeichneter Cavallerieofficier; aber ein Fürst der Bleichgesichter zu sein, das vermag nicht ein Jeder.«

Er sagte das nicht aus Ueberhebung sondern im Scherz. Er lachte dazu. Dann fuhr er fort:

»Löschen wir also jetzt das Licht aus. Es könnte uns verrathen. Und setzen wir den Tisch an die Außenwand. Komm!«

Er blies das Licht aus und steckte es ein. Er konnte es vielleicht später gebrauchen. Dann stieg er auf den Tisch, welcher an die Umfassungsmauer gestellt worden war, nahm sein starkes, scharfschneidiges Bowiemesser und begann einen langen Riß in die getheerte Dachpappe zu schneiden. Als dieser Riß lang genug war, stieg er hinaus auf den Rand des Daches, welcher eben von der Umfassungsmauer des Gebäudes gebildet wurde. Da konnte er nicht durchbrechen.

»Nun gieb mir meine Schießaxt herauf,« flüsterte er zurück, »und komm mit Deiner Büchse nachgestiegen. Ich helfe Dir dabei. Ich ziehe Dich herauf.«

Das geschah. Einige Minuten später befand Günther sich neben Steinbach auf dem Dache.

»Bist Du schwindelig?« fragte der Letztere.

»Zuweilen.«

»So gehe nicht aufrecht sondern krieche auf allen Vieren. Wir befinden uns auf dem rechten Flügel und müssen über den Mitteltheil hinüber nach dem linken Flügel, wo sich die Treppe befindet, wie wir von dem Mädchen erfahren haben. Dabei aber müssen wir so leise als möglich verfahren. Es ist ja möglich, daß dieser Juanito oder die Alte sich in einer Stube unter uns befinden. Sie dürfen uns auf keinen Fall hören.«

Jetzt bewegten sie sich vorsichtig weiter, Steinbach aufrecht, Günther aber in kriechender Stellung. Das ging nicht sehr schnell, dennoch aber erreichten sie bald den linken Flügel. Dieser war, wie es sich zeigte, nicht mit der bloßen Pappe gedeckt, sondern unter derselben befand sich eine feste Bretterlage. Nun konnten sie von der Umfassungsmauer weichen und getrost auf der Mitte des Daches gehen.

So gelangten sie ganz an das Ende des Seitenflügels. Sie bemerkten keine Oeffnung im Dache. Darum untersuchten sie dasselbe, indem sie es mit den Fingern betasteten. Auf diese Weise bemerkten sie die Spalten, durch welche sich die Fallthür von ihrer Umgebung abhob. Sie versuchten, sie empor zu heben, und das gelang sehr leicht.

Unter der Thür führte eine schmale Brettertreppe abwärts. Sie stiegen hinab und ließen hinter sich die Thür des Daches unhörbar wieder niedersinken.

Noch aber hatten sie die unteren Stufen der Treppe nicht erreicht, so blieb Steinbach, welcher voranschritt, lauschend stehen.

»Pst! Horch! Ich höre Stimmen.«

Als Günther nun seinerseits auch lauschte, vernahm er auch dasselbe.

»Es scheint Juanito's Stimme zu sein,« sagte er.

»Ja.«

»Wo mag er sein?«

»In der Stube nebenan. Weißt Du, bei wem?«

»Nun?«

»Bei dem braven Mädchen, welches uns warnte.«

»Ja. Sie sagte doch, daß sie neben der Treppe wohne.«

»Die Thür scheint offen zu stehen. Steigen wir vollends hinab. Vielleicht hören wir Etwas, was uns Nutzen bringt. Aber leise, damit er es nicht bemerkt.«

Als sie die letzten Stufen hinter sich hatten, sahen sie an dem Scheine des Lichtes, welcher aus der betreffenden Thür drang, daß dieselbe wirklich offen stand. Leise und unhörbar huschten sie hin.

Juanito befand sich bei Annita. Sie hörten jedes Wort, welches von diesen Beiden gesprochen wurde. Nach kurzer Zeit aber näherten sich die Schritte einer dritten Person, welche von rechts her kam. Auf dieser Seite stand Steinbach. Er trat schnell auf die Treppenstufe zurück. Die nahende Person glitt an ihm vorüber, ohne ihn zu bemerken, und trat zu Juanito und Annita in die Stube. Es war das alte Weib.

Als Juanito aus dem Zimmer, welches er seinen beiden Gästen angewiesen hatte, gesprungen war, hatte er es verschlossen, den Schlüssel abgezogen und den großen eisernen Riegel, mit welchem hier eine jede der eisernen Thüren versehen war, vorgelegt. Dann eilte er zu der Alten.

»Haben sie davon gegessen?« fragte dieselbe.

»Keinen Bissen!«

»Warum?«

»Diese Hallunken wollten, ich solle mit ihnen essen. Das konnte ich natürlich nicht, und da schöpften sie Verdacht. Denke Dir! Sie wissen es von dem Engländer damals!«

»Unmöglich!«

»Sie haben es mir ja gesagt!«

»Außer uns Beiden weiß doch kein Mensch davon!«

»Das habe ich auch gedacht, bin aber nun eines Andern belehrt worden. Ich habe nichts gesagt!«

»Ich natürlich auch nicht!«

»Unbegreiflich! Sind sie allwissend?«

»Unsinn!«

»Aber sie wissen auch, daß das Fleisch vergiftet ist!«

»Verdammt! Aber sie errathen es nur; wissen können sie es nicht.«

»Sie rathen es nicht, sondern sie wissen es; sie wissen es sehr genau.«

»Das ist nicht wahr!«

»Sie haben es mir ja selbst gesagt! Ja, sie wissen sogar, daß Du hundert Dollars bekommen sollst und die Kleidungsstücke.«

»Wirklich?« fragte die Alte erschrocken.

»Ja.«

»So haben sie unser Gespräch hier belauscht.«

»Das ist sehr wahrscheinlich. Als ich von Dir fortging, war es mir, als ob Jemand in den Gang hineinhusche. Ich blieb auch stehen, hörte aber weiter nichts.«

»So ist es gewiß, daß sie gehorcht haben.«

»Das ist sicher, zumal, wenn ich an das Weitere denke. Ich hatte den Revolver bei ihnen liegen. Da haben sie mir die Patronen weggenommen. Ich wollte auf sie schießen, aber es ging nicht los.«

»Sapperment! Was geschah da?«

»Ich sprang aus der Stube, ehe sie mich daran hindern konnten, und habe sie nun eingeschlossen.«

»Recht so! Da wird mir das Herz wieder leicht. Ich war sehr erschrocken. Sie können aber doch wohl nicht heraus?«

»Nein, kein Gedanke daran!«

»Was machen wir da nun?«

»Ich erschieße sie.«

»Ihr könnt doch nicht hinein!«

»Ist auch gar nicht nöthig. Ich gehe, wenn der Tag anbricht, auf das Dach, schneide, ohne daß sie es merken, in die Dachpappe ein Loch und schieße sie durch dasselbe nieder.«

»Sehr gut, sehr gut! Es wird zwar Blut geben, aber das wasche ich weg. Die Leichen scharren wir ein wie damals diejenige des Engländers. Roulin darf natürlich nichts davon erfahren.«

*


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