Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fortsetzung 49

4. Im Thale des Todes.

Prescott, der Hauptort von Yavahai County im nordamerikanischen Staate Arizona war zur Zeit, da die uns bekannten Personen dort handelnd auftraten, noch Sitz der Territorialbewegung. Man hatte in der Nähe reiche Gold- und Silberlager entdeckt, und durch diese Entdeckung war, wie das gewöhnlich zu geschehen pflegt, eine Menge fraglicher und fraglichsten Existenzen herbeigezogen worden.

Diese problematischen Subjecte waren sehr schwer zu überwachen, unmöglich aber zu regieren, obgleich, wie gesagt, die Regierung ihren Sitz im Orte hatte. Es kamen fast täglich Dinge vor, welche sich mit dem Gesetze nicht in Einklang bringen ließen. Die Gewalt ging vor Recht und die Verschlagenheit und Verworfenheit siegte noch über die Gewalt. Wer sich erhalten wollte, mußte Eins von Beiden sein, gewaltthätig oder hinterlistig.

Es versteht sich ganz von selbst, daß an einem Minen- oder Goldgräberorte die Schnapsschänken und Spielhäuser wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Sie alle, alle waren verrufen. Eine einzige nur erfreute sich eines einigermaßen guten Leumundes, und der Wirth dieser Venta war – nicht einmal ein Wirth, sondern eine Wirthin, eine Frau oder, die Wahrheit zu sagen, eine alte Jungfer.

Eine bedeutende Strecke vor der Stadt lag diese Venta, und zwar an dem Wege, welcher nach Cerbat und Fort Mohave führte. Das Gebäude war aus unbehauenen Steinen aufgeführt, bestand aus dem Parterre und dem Dachraume mit zwei kleinen Giebelstuben und hatte hinten einen Stall, an der Giebelseite nach Norden aber einen sogenannten Corral, eine starke Plankenumzäunung für allerhand Thiere, meist Pferde und Maulthiere.

Ueber der Thür zu dem Hause war ein breites, hohes Schild angebracht. Es zeigte eine weibliche Figur mit Büchern, einer Weltkugel, einer Palette und einem Winkelmaße in den Händen und darunter war in großen Buchstaben zu lesen:

» Venta zur gelehrten Emeria

Nämlich die Wirthin hieß Emeria, Sennorita Emeria. Sie hatte ihren Kopf in die Wissenschaften gesteckt und ihr Herz an den Branntwein gehängt; Beide waren da stecken und hängen geblieben. Trotz dieser letzteren Liebhaberei war sie ein resolutes, respectirtes Frauenzimmer. Sie trank nämlich sehr oft, nie aber zu viel, und da ihr Kopf nur der Kunst und Wissenschaft gehörte, so fand der Schnaps in demselben keinen Platz, sie war nie betrunken. Desto öfters aber setzte er sich in ihrem Herzen fest. Geschah dies, so dachte sie an ihre erste und einzige Liebe und weinte ihr bittere, nach Branntwein duftende Thränen nach.

Außer vielen anderen Eigenthümlichkeiten hatte sie besonders die eine, daß sie jeden Gast auf seinen gelehrten Standpunkt prüfte; nach diesem richtete sich ihr Verhalten. Sie hatte früher einmal Erzieherin werden wollen und zwei Jahre lang über drei oder vier Büchern gesessen. Aus diesen hatte sie sich eine ihrer Meinung nach beispiellose Weisheit geschöpft, und nun war sie stets bereit, mit Jedwedem ein gelehrtes Tournier einzugehen. Wie es eigentlich um ihr Wissen stand, das ahnten Wenige; noch Wenigere wußten es; sie aber ahnte es selbst nicht einmal.

Heute saß ihre sehr lange, sehr dürre, scharf und spitz gezeichnete Gestalt am Tische, eine große Klemmbrille auf der Nase, ein Buch vor sich, daneben rechts ein Stück Thon zum Modelliren und links die Zeichnung einer oberschlächtigen Oel- und Getreidemühle. Sie studirte. Das heißt, sie nickte halb im Traume vor sich hin und that zuweilen einen Schluck aus dem kleinen Fläschchen, welches in einer Höhlung des Modellirthons steckte.

Sie war bisher allein gewesen; jetzt aber öffnete sich die Thür und ein junger, hübscher, muthwillig dreinblickender Bursche trat ein. Das war Petro, ihr Peon oder Reitknecht, der aber nebenbei auch alles Andere war. Und das war er, weil er sich ihre ganz besondere Zuneigung erworben hatte. Und diese hatte er erlangt, weil er alle ihre gelehrten und verblüffenden Fragen sofort, ja blitzschnell auf eine noch viel gelehrtere und verblüffendere Weise beantwortete. Er hatte sich da ihre ganz besondere Anerkennung erworben und – stand sich sehr wohl dabei. Sie merkte gar nicht, daß er sich nur lustig über sie machte.

»Was befehlen Sennorita zum Abendessen?« fragte er.

»Jetzt noch nichts, ich will erst abwarten, welche Temperatur wir am Abende haben. Die Temperatur steht nämlich in innigster Wechselbeziehung zu der menschlichen Bauchspeicheldrüse –«

»Leberwürmern, schneidenden Winden und schleimigem Stuhlgange,« fiel er sofort mit der Sicherheit eines Professors der Pathologie ein.

Sie blickte überrascht auf.

»Das ist sehr richtig, besonders das von den Winden. Diese hängen ganz besonders von der Temperatur ab. Sie stehen in umgekehrtem Verhältnisse zur Außenwelt. Wind muß ja sein, ist draußen keiner, so geht er im Innern des Menschen. Wie viele Grade haben wir heute?«

.

»Zwanzig nach Reaumur.«

»Wieviel macht das nach Celsius?«

»Fünfundzwanzig.«

»Stimmt! Und nach Fahrenheit?«

»Siebenundsiebzig.«

»Stimmt wieder. Ich finde, daß Du eine sehr gute Lebensanschauung hast und Dir die Zahlen sehr gut merkst. Doch gehe jetzt. Dort kommt ein Gast, den ich noch nicht kenne. Ich muß ihn prüfen, ob er würdig ist, in meinem Hause eine Erquickung zu genießen.«

Petro ging. Draußen schüttelte er lächelnd den Kopf und murmelte:

»Jetzt hat sie die halbe Flasche leer und ist liebesselig. Wehe dem Gaste, welcher da kommt.«

Der Betreffende schien keine Ahnung von dem Empfange zu haben, welcher seiner wartete. Er kam mit rüstigen Schritten herbei. Noch in jugendlichem Alter stehend, machte er einen sehr guten Eindruck. Kräftig gebaut, gab er seinen Bewegungen eine unbewußte Eleganz, welche in dieser Gegend wohl selten zu sehen war. Doch trug er ganz gewöhnliche Kleidung von dunkelblauem Tuche, Jacke, Hose und Weste, dazu bis an die Knie reichende Schaftstiefel und einen breitrandigen schwarzen Filzhut. Die Uhr, welche sich in der Weste befand, war an einer einfachen Gummischnur befestigt, was auf den einfachen Sinn des jungen Mannes schließen ließ, doch trug er an dem kleinen Finger der rechten Hand einen massiven Goldring mit einem höchst werthvollen Diamanten. Ein Kenner hätte es seinen Augen vielleicht angesehen, daß er gewohnt sei, eine Brille zu tragen. Die Stiefel waren beschmutzt und der Anzug sah staubig aus. Der Mann hatte wohl einen weiten Fußweg zurückgelegt.

Er grüßte Petro kurz aber leutselig und blieb dann vor dem Eingange stehen, um für einige Augenblicke das sonderbare Schild zu studiren. Dann trat er in die Gaststube.

» Buenos dias – guten Tag!« grüßte er.

Emeria saß wieder auf ihrem Stuhle. Sie that, als ob sie den Eintretenden weder bemerkt, noch gehört habe.

» Buenos dias!« wiederholte er.

Auch jetzt antwortete sie nicht. Er setzte sich an einen Tisch. Da er glauben mochte, daß sie schwer höre, so sagte er zum dritten Male und zwar mit sehr erhobener Stimme:

» Buenos dias, Sennora

Da erhob sie sich langsam, drehte sich ebenso langsam nach ihm um, rückte ihre Klemmbrille zurecht, betrachtete den jungen Mann eine ganze Weile und sagte dann in verweisendem Tone:

»Ihr wißt wohl nicht, in welcher Weise man zu grüßen hat, Sennor?«

Er lächelte leise und antwortete ruhig:

»Bisher habe ich geglaubt, es zu wissen.«

»Nein, Ihr wißt es nicht!«

»So werde ich Euch sehr dankbar sein, wenn Ihr die Güte haben wolltet, es mich zu lehren.«

»Warum laßt Ihr meinen Titel weg?«

»Ach so! Verzeiht! Aber als ich zum dritten Male grüßte, habe ich es wieder gut gemacht, indem ich den Titel hinzufügte:

»Er war falsch.«

»Das sollte mir leid thun.«

»Ich bin nicht Sennora, sondern Sennorita.«

»Da seht Ihr mich ganz trostlos. Aber ich konnte wirklich nicht wissen, daß Ihr nicht Frau, sondern noch Jungfrau seid.«

»Ihr konntet Euch erkundigen!«

»Da habt Ihr Recht und ich bitte abermals um Entschuldigung.«

»Ich kann es nicht anhören, wenn das starke Geschlecht um Verzeihung und Entschuldigung bittet. Es ist das so unmännlich.«

»Ich glaube nicht, daß unsere Stärke darin bestehen soll, rücksichtslos und grob zu sein!«

»Und doch seid Ihr Beides selbst jetzt noch!«

»Wieso?«

Er hatte bisher freundlich und heiter gesprochen, jetzt aber zeigte sich auf seiner Stirn eine kleine Falte.

»Ihr sprecht mit einer Dame und bleibt doch auf Eurem Stuhle sitzen, obgleich Ihr seht, daß ich, die Dame, vor Euch aufgestanden bin!«

»Aber erst, nachdem ich dreimal gegrüßt hatte!«

»Ihr hattet falsch gegrüßt; da mußte ich sitzen bleiben, um Euch zu strafen.«

Jetzt stand er langsam auf und griff wieder nach seinem Hute.

»Mich zu strafen?« sagte er. »Sennorita, Ihr scheint Eure Stellung ganz zu mißverstehen. Ihr seid in keiner Weise meine Vorgesetzte; auch komme ich nicht, um Euch zu begrüßen, sondern um Euch eine Erquickung abzukaufen, die ich genießen will und bezahlen werde.«

»Das ist ganz gut, aber wer mir nicht gefällt, der bekommt nichts.«

»Nun, ich muß annehmen, daß ich Euch nicht gefallen habe und also nichts bekommen werde. Adios, Sennorita!«

Er wendete sich nach der Thür; aber bereits in demselben Augenblicke stand sie zwischen derselben und ihm. Sie streckte ihm abwehrend alle ihre langen, weit auseinandergespreizten Finger entgegen und gebot ihm:

»Halt! Ihr habt zu bleiben! Noch habe ich Euch nicht entlassen. Erst muß ich erfahren, ob Ihr würdig seid, eine Erquickung von mir einzunehmen.«

»Wie wollt Ihr das erfahren?«

»Indem ich Euch examinire.«

»Und Ihr meint, daß ich mir dies gefallen lasse?«

»Ja, Ihr müßt! Seht her!«

Sie drehte den Schlüssel um und zog ihn ab, so daß er durch das offene Fenster hätte springen müssen. Dann stemmte sie die eine Hand auf den Tisch, die andere in die Seite und fragte ohne alle Einleitung:

»Wie kann man sich mittels eines Garnknäuels aus der Quadratur des Zirkels herausfinden?«

»Ihr meint wohl aus dem Labyrinth?«

»Nein. Ihr wißt es also nicht. Weiter! Warum liegt die Sahara in Afrika?«

»Alle Wetter!« lachte er. »Wer das beantworten könnte!«

»Ihr nicht, wie ich bemerke. Weiter! Welcher Unterschied ist zwischen der Madonna von Rafael und dem großen Einmaleins?«

Er trat einen Schritt zurück. Es begann, ihm angst zu werden. Sie nickte verächtlich und sagte:

»Auch das nicht. Also noch die letzte Frage: In welchem Verhältnisse steht Kants Philosophie zu den Eisenbahnfahrplänen der neueren Zeit?«

»Hoffentlich in gar keinem!«

»Seht, nicht einmal eine so tief in das Verkehrsleben einschneidende Frage könnt Ihr beantworten. Ich kann Euch nichts verkaufen, weder Porter noch Schnaps, noch sonst Etwas.«

»Das habe ich doch bereits gesagt. Darum bitte ich Euch, wieder aufzuschließen.«

Sie blickte ihn lange an. Ihr ernstes Auge wurde immer milder, der sonst so eigenthümlich irre Blick lebensvoller. Dann sagte sie freundlich:

»Und doch kann ich Euch nicht so von mir gehen lassen. Ihr habt die Probe nicht bestanden; aber in Eurem Gesichte ist so etwas Gutes und Liebes. Es ist mir, als ob wir liebe und gute Bekannte wären, und darum sollt Ihr haben, was Ihr verlangt. Emeria Garezzo examinirt zwar streng, richtet aber voller Nachsicht.«

Als sie diesen Namen nannte, zuckte ein undefinirbares Etwas über das Gesicht des Fremden. Er fuhr sich mit der Hand nach der Stirn, als ob er sich auf irgend Etwas besinnen müsse; sein Schnurrbart kräuselte sich unter einem leisen Lächeln, dann ging sein Auge in einem tiefen, fast pietätvollen Blicke über die Gestalt der Wirthin weg und nun antwortete er:

»Ja, Sennorita, gebt mir ein Glas Wasser mit Zucker darin.«

»Das ist Kindertrank, aber nicht für Männer!«

»Mir aber heut das Allerliebste!«

»Gut, Ihr sollt es haben; ich gebe es sonst keinem Menschen; aber weil Ihr das – das – das Unbeschreibliche im Gesicht habt, so sollt Ihr das Zuckerwasser bekommen.«

Sie schloß die Thür wieder auf, ging hinaus und brachte bald das Zuckerwasser herein. Als sie es vor ihn hinsetzte, erklärte sie:

»Wasser und Zucker verhalten sich nämlich zu einander wie ein Hydrooxygengasmikroskop zu einem Faß voll saurer Gurken; einzeln für sich sind Beide zu gebrauchen, thut man aber das Erstere in das Letztere, so ist nichts zu gebrauchen. Was seid Ihr?«

»Goldsucher,« antwortete er zögernd, als ob er sich vorher überlegen müsse, welche Antwort er geben solle.

»Das habe ich mir gedacht. Die Goldsucher sind stets ohne Wissenschaft und Schule. Ihr seid ein so junger, hübscher Sennor. Schade um Euch! Habt Ihr denn gar nichts gelernt?«

Es zuckte fast schalkhaft über sein Gesicht, als er antwortete:

»Nur ein Bischen zeichnen.«

»So! Was zeichnet Ihr denn?«

»Köpfe nach dem Leben und nach der Phantasie.«

»Nun, ich bin Künstlerin, nämlich Dichterin, Componistin, Malerin und Bildhauerin; auch mime ich. Ich werde sehen, was Ihr leistet. Da habt Ihr Bleistift und Papier. Zeichnet mir einmal einen Kopf.«

Er zog das Blatt zu sich heran und griff zum Bleistift. Fast in demselben Augenblick gab er Beides wieder zurück. Es war, als habe er nur einen Strich gemacht, so schnell war er fertig. Sie ergriff das Blatt, warf einen Blick darauf, ließ es sinken und starrte den Fremden sprachlos an. Erst nach einer langen, langen Weile kam es mühsam über ihre Lippen:

»Mein Gott! Das ist Er – Er – Er, so, wie er vor mir stand, als er mich in die Geheimnisse des Dalai Lama und des Melonenpflanzens einweihte. Ja, das ist er, wie er leibt und lebt. Das ist seine Stirn, seine Nase, sein edles Profil. Er ist so gut, so genau getroffen, daß er sprechen könnte, wenn er wollte. Sagt einmal, Sennor, ist diese Zeichnung ein Phantasiestück oder nicht?«

»Nein. Die Phantasie hat mir nicht den Stift geführt. Ich habe nach dem Leben gezeichnet.«

»Nach dem Leben! Also doch! Ihr kennt ihn?«

»Ich habe das Original dieses Portraits gesehen.«

»Mein Gott, welch ein Zufall! Endlich, endlich werde ich Etwas von ihm zu hören bekommen!«

»Macht Euch keine allzu großen Hoffnungen, Sennorita. Ich habe ihn gesehen; weiter aber kann ich doch auch nichts von ihm sagen.«

»Aber seinen Namen kennt Ihr?«

»Ja.«

»Er heißt Heulmeier?«

»Nein.«

»Nicht? So wäre er es nicht? So wäre es nur ein wunderbares Naturspiel, eine außerordentliche Aehnlichkeit!«

»Vielleicht ist er es dennoch.«

»Aber wenn er anders heißt!«

Der junge Mann schien nicht ganz genau zu wissen, wie er antworten solle. Gar zu sehr mit ihrem Gegenstande beschäftigt, bemerkte sie dies gar nicht. Auch beachtete sie den Blick nicht, den er auf sie warf. Es lag viel Bedauern, Mitleid und Theilnahme in demselben. Endlich, erst nach einer Pause, antwortete er:

»Wenn auch die Namen verschieden sind, so ist doch vielleicht die Person dieselbe.«

»Schwerlich. Ist Derjenige, den Ihr gesehen habt, Professor?«

»Nein. Er ist Minister.«

»Und wie heißt er?«

»Er ist ein Graf von Langendorff.«

»So ist er es nicht. Heulmeier und von Langendorff ist zu verschieden, und mein Geliebter ist Professor geworden, nicht aber Minister. Wie ist denn Euer Name?«

»Günther.«

»Ist dies nicht ein Vorname?«

»Ja. Er wird aber auch oft als Familienname gebraucht.«

»Und Ihr seid ein Deutscher?«

»Gewiß.«

»So seid Ihr ein Landsmann von ihm und könnt bei mir so viel Zuckerwasser trinken, wie Ihr nur wollt. Die Goldgräber haben nicht viel Geld übrig. Entweder finden sie nichts oder sie vergeuden das Gefundene schnell, wenn sie im Geschäft glücklich gewesen sind. Habt Ihr Geld?«

»Nun, ich besitze so viel, daß ich einstweilen wohl nicht Noth zu leiden brauche.«

Er sagte das lächelnd.

»Einstweilen, ja, das sagt genug. Ich will Euch ein kleines Honorar zuwenden. Wollt Ihr mir dieses Portrait ablassen?«

»Sehr gern.«

»Wie viel verlangt Ihr dafür?«

»Nichts. Ich schenke es Euch.«

»Oho! Ihr redet da aus einem großen Geldbeutel!«

»Ich sage ja, daß es einstweilen zureicht.«

»Nun, ich will mich nicht mit Euch zanken. Ich nehme also den Kopf an und danke Euch für das Geschenk. Hoffentlich ist es mir erlaubt, Euch einen Gefallen dafür zu erweisen. Ihr kommt doch öfters zu mir?«

»Möglich.«

»Bei wem wohnt Ihr denn?«

»Ich wohne noch gar nicht. Ich stehe erst im Begriff, mir ein Logis zu suchen.«

»Ihr werdet schwerlich eins finden, wo Ihr allein wohnen könnt. Diese Gegend ist jetzt so von Goldsuchern überfüllt, daß man froh ist, mit Mehreren sein Bett zu theilen.«

»Das bin ich freilich nicht gewöhnt. Auch wollte ich nicht gern in der Stadt selbst wohnen.«

»Außerhalb derselben? Wo denn?«

»Nun, aufrichtig gestanden, kam ich in der Hoffnung zu Euch, hier ein Logement zu finden.«

»Da habt Ihr Euch getäuscht. Ich habe keine Wohnung für Fremde. Und selbst wenn ich ein Zimmer übrig hätte, so würde ich es meinen Grundsätzen zu Folge nur an Einen vermiethen, welcher meine Fragen beantworten kann. Ihr aber habt mir auf alle vier nicht eine einzige Antwort gegeben. Dies ist die Venta zur gelehrten Emeria und ich darf meinem Hause und meiner Firma keine Schande machen.«

»So muß ich mich fügen, obgleich ich dachte, daß ich vielleicht in einem Giebelstübchen bei Euch Platz finden könnte.«

»Nein; da habt Ihr Euch getäuscht. Von wem wißt Ihr überhaupt, daß ich ein Giebelstübchen habe?«

»Von Sennor Robin.«

Sie machte eine Bewegung der Ueberraschung.

»Robin?« sagte sie. »Es giebt nur einen Sennor dieses Namens und dieser wohnt draußen in den Mogollon-Bergen. Meint Ihr vielleicht diesen?«

»Ja.«

»Er ist ein Bekannter von Euch?«

»Ich traf ihn zufällig; aber er schickte mich zu Euch. Er meinte, ich brauche Euch nur seinen Namen zu nennen, so würdet Ihr mir das Giebelstübchen geben.«

»Hm! Das ist etwas Anderes. Ich habe Rücksichten auf ihn zu nehmen, und wenn er Euch zu mir geschickt hat, so werde ich Euch allerdings nicht fortweisen. Wollt Ihr Euch das Logis einmal ansehen, ob es Euch gefällt?«

»Ich bitte um die Erlaubniß dazu.«

»So kommt!«

Sie schritt voran und führte ihn eine Treppe empor, wo sie eine Thür öffnete. Da gab es einen kleinen, zwar dürftig ausmöblirten, aber ziemlich traulichen Raum. Günther sah ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl, einen Spiegel und einen Schrank. Dies war Alles, was man hier inmitten eines wilden Landes verlangen konnte. Er erklärte, daß ihm das Stübchen gefalle und daß er es behalten werde, wenn sie es ihm vermiethen wolle. Sie meinte: »Um Robins willen und weil Ihr mir den Kopf gezeichnet habt, sollt Ihr es haben. Beabsichtigt Ihr vielleicht, bald einzuziehen?«

»Wenn Ihr erlaubt, so bleibe ich gleich da.«

»Hm! Wo habt Ihr Eure Sachen?«

»Ich habe einstweilen nur das, was ich auf dem Leibe trage, Sennorita.«

»Na, da werdet Ihr vielleicht so ein Luftikus sein, wie sie jetzt hier gang und gäbe sind. Ihr werdet mich doch nicht etwa in Unannehmlichkeiten bringen?«

»Nein, gewiß nicht. Ihr dürft Vertrauen zu mir haben. Die Miethe zahle ich Euch pränumerando und was ich genieße, berichtige ich stets sofort.«

»So mag es gelten. Ein Goldsucher ist kein Graf oder Herzog; Bedienung werdet Ihr also nicht verlangen. Uebrigens, wenn Ihr trotzdem eine Frage oder sonst ein Bedürfniß habt, so wendet Euch an meinen Peon Petro oder an die Magd Henriettina. Ich habe keine Zeit. Eine so vielseitige Gelehrte und Künstlerin, wie ich bin, hat jede Minute den Musen und den Göttern der vielen Wissenschaften zu widmen.«

Es wurde nun noch der Betrag der Miethe festgesetzt und da Günther sich mit demselben sofort einverstanden erklärte und ihn auch gleich bezahlte, so war diese Angelegenheit zur beiderseitigen Zufriedenheit sehr schnell geordnet. Die Wirthin kehrte in das Gastzimmer zurück und Günther begann, es sich im Zimmer wohnlich zu machen.

Er zog eine dicke Brieftasche hervor und breitete den Inhalt derselben auf dem Tische aus. Hätte Sennorita Emeria dabei stehen und mit zählen können, so würde sie den Besitzer einer so außerordentlich hohen Summe wohl anders als bisher beurtheilt haben.

Sie hatte sich wieder auf ihren Platz gesetzt und ein Gefäß mit Wasser und einen Hader zu sich genommen. Sie wollte nach der Zeichnung, welche sie von Günther erhalten hatte, den Kopf des Geliebten aus Thon formen. Sie arbeitete sehr fleißig. Ein Kopf wurde fertig, aber was für einer! Dabei wischte sie sich die mit Thon beschmierten Hände sehr oft ab und zwar nicht an den Hader, welcher doch dazu dienen sollte, sondern an das schwarze Kleid, welches sie trug. In dem Eifer und der Anstrengung fuhr sie sich mit den Fingern auch in das Gesicht, in das Haar, und so kam es, daß sie in kurzer Zeit einen Anblick bot, der auch einen ernsthaften Mann zum Lachen gebracht hätte.

Da ging die Thür auf und es trat Jemand ein. Sie nahm sich nicht die Zeit, sich umzusehen; sie glaubte, daß es ihr Peon sei, bis endlich eine heisere, unangenehme Stimme sagte:

»Na, was ist denn das für ein Verhalten! In einer Venta hat man sich doch um die Gäste zu bekümmern!«

Jetzt drehte sie sich um. Der Mann hatte sich gleich auf den ersten, besten Stuhl gesetzt. Sein Aussehen war nicht sehr Vertrauen erweckend.

»Was höre ich!« sagte sie. »Ihr raisonnirt?«

»Ja. Ich habe das Recht dazu!«

»Das Recht? Wieso?«

»Ich komme als Gast und kein Mensch bekümmert sich um mich.«

»Seid froh, daß dies so ist, denn wenn ich mich um Euch bekümmern wollte, so wäre es doch nur in der Weise, daß ich Euch aus dem Hause werfen ließ.«

»Oho! Das geschieht nicht so leicht! Ehe Ihr mich hinauswerft, will ich erst ein Glas Branntwein trinken!«

»Könnt Ihr ihn bezahlen?«

»Das geht Euch nichts an!«

»Nichts? So! Wenn Ihr das denkt, so macht nur gleich, daß Ihr hinauskommt. Ich werde mich wohl überzeugen können, ob ich auch Zahlung erhalte.«

»Na, so überzeugt Euch! Hier!«

Er zog einen Silberpeso aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch.

»Das ist etwas Anderes,« sagte sie. »Zahlen könnt Ihr also. Dennoch aber fragt es sich, ob Ihr den Branntwein erhaltet.«

»Warum denn?«

»Erst müßt Ihr beweisen, daß Ihr es werth seid.«

Er verstand sie nicht und blickte sie erstaunt an. Sie aber trat näher und stemmte beide Hände in die Seiten. Dabei beachtete sie gar nicht, daß sie eben in jeder Hand ein Stück gekneteten Thon hielt, den sie nun an die schwarze Taille schmierte. Sie warf sich in eine möglichst imponirende Positur und fragte:

»Wie viele Nebenmonde hat der Uranus?«

Der Gefragte blickte sie an, als ob er sagen wollte, daß er sie für übergeschnappt halte.

»Na, Antwort!« drängte sie.

»Donnerwetter! Wer ist denn dieser Krinus oder Urimus oder Urian?«

»Das wißt Ihr nicht?«

»Nein. Ich kenne weder ihn noch seine Monde. Jedenfalls geht mich der Kerl auch gar nichts an.«

»Gut! Weiter! Wie alt wurde der größte Feldherr der Karthager, ehe er starb?«

»Unsinn! Wie alt ist er denn wohl nachher noch geworden, als er gestorben war?«

»Sennor,« sagte sie in verweisendem Tone, »beleidigt meine Würde nicht! Ich stehe vor Euch als Dame, Gelehrte, Künstlerin und Examinatorin. Sagt mir jetzt weiter, in welcher Beziehung die Planimotrie mit der Witterungskunde verwandt ist!«

»Mir ganz gleich. Auf diese Verwandtschaft gebe ich nicht das Geringste!«

»Also auch nicht! Nun viertens: Warum nennt man eine gewisse Klasse der Affen Meerkatzen?«

Da fuhr er von seinem Sitze auf und rief:

»Himmeldonnerwetter! Wollt Ihr mich etwa auch zum Affen machen? Was weiß ich von Meerkatzen! Jedenfalls sehe ich jetzt in diesem Augenblicke die allererste und die seid Ihr selbst!«

Das war eine Beleidigung, welche sie nicht dulden durfte. Sie fuhr mit ihren thonigen Fingern auf ihn zu und schrie:

»Was sagt Ihr? Ich eine Meerkatze? Hat man bereits einmal so Etwas gehört? Die geehrte Emeria eine Meerkatze! Das muß ich bestrafen!«

»Na, habe ich denn Unrecht?« lachte er. »Wenn die Gelehrtheit darin besteht, daß man sich mit Lehm beklext, so kann ich das auch. Uebrigens weiß ich gar nicht, wie ich dazu komme, von Euch nach Dingen gefragt zu werden, von denen ich gar keine Ahnung habe. Gebt mir meinen Schnaps! Weiter verlange ich nichts.«

»Ihr bekommt keinen!«

»Warum nicht?«

»Ihr seid ein Ignorant und ein solcher bekommt von mir keinen Tropfen Wasser, viel weniger Schnaps.«

»Ignorant? Was ist das? Meint Ihr etwa Elephant? Wenn Ihr Eure Gäste in dieser Weise beschimpfen wollt, so könnt Ihr lange feil halten, ehe sie wieder bei Euch einkehren. Hätte ich das gewußt, so wäre ich sicher nicht zu Euch gekommen; aber da Sennor Robin mir sagte, daß ich zu Euch gehen solle, so habe ich es gethan, natürlich ohne alle Ahnung, daß Ihr mich erst für einen Affen und dann sogar für einen Elephanten halten würdet!«

Das beruhigte sie.

»Von Sennor Robin redet Ihr? Der hat Euch geschickt?«

»Ja.«

»Das ist etwas Anderes. Da sollt Ihr einen Schnaps erhalten, obgleich Ihr mir den Beweis schuldig geblieben seid, daß Ihr als Gast in die Venta der gelehrten Emeria paßt.«

Sie holte den Schnaps. Als sie ihm das Glas hinsetzte, bemerkte sie:

»Uebrigens ist es eigen. Während einer Stunde seit Ihr der Zweite, den mir Sennor Robin schickt.«

»So? Ist der Erste bereits da?«

»Ja.«

»Das wollte ich erfahren. Deshalb komme ich her. Ich soll Euch nämlich fragen, ob ein gewisser Sennor Günther, ein Deutscher, bei Euch vorgesprochen habe.«

»Das hat er.«

»Und habt Ihr ihm ein Logis gegeben?«

»Ja, auf die Empfehlung von Sennor Robin.«

»Schön! So ist Alles in Ordnung. Ich glaube, Sennor Robin wird bald selbst kommen, um sich für die Aufmerksamkeit zu bedanken, welche Ihr ihm erweiset. Es ist wahr, ein Wirth oder eine Wirthin muß sich die Gäste durch Gefälligkeit verbinden. Daher kann ich mich nicht begreifen, daß Ihr die Eurigen in der Weise empfangt, wie Ihr es mit mir gemacht habt. Thut Ihr das etwa mit einem Jeden?«

»Ja.«

»Unmöglich!«

»Ich werde Euch gleich zeigen, daß es wirklich so ist. Seht Ihr den Reiter, der auf meine Venta zukommt?«

Der Gast blickte zum Fenster hinaus und antwortete:

»Ja, ich sehe ihn. Dieser Mann muß einen langen und beschwerlichen Ritt hinter sich haben. Er ist ganz bestaubt und sein Pferd hinkt und kann kaum mehr fort.«

»Er wird bei mir einkehren und Ihr sollt sehen, daß ich ihn ebenso scharf examinire wie Euch.«

»Na, das ist drollig! Warum aber thut Ihr das?«

»Im Interesse meines Rufes.«

»So bin ich neugierig, wie er es aufnehmen wird.«

Er setzte sich in erwartungsvoller Haltung wieder auf seinen Platz nieder.

Der neue Ankömmling war kein Anderer als Roulin, von den Indianern der »silberne Mann« genannt. Er kam von dem Silbersee, wo er entflohen war. Er band sein Pferd draußen an, kam herein und grüßte. Der andere Gast erwiderte den Gruß. Die Sennorita saß wieder an ihrem Tische und modellirte. Sie nahm von ihm keine Notiz.

»Seid Ihr der Wirth oder ein Gast?« fragte Roulin den Mann.

»Ich bin ein Gast. Die Sennorita dort ist die Wirthin.«

»Bitte, Sennorita, ist hier Wein zu bekommen?«

»Ja, der ist zu bekommen,« nickte sie, ohne sich aber nach ihm umzudrehen.

»Bringt mir eine Flasche!«

Jetzt stand sie auf, drehte sich ihm zu und betrachtete ihn aufmerksam. Dann antwortete sie:

»Zu bekommen ist er; wer ihn aber bekommt und wer nicht, darüber behalte ich die Entscheidung natürlich mir vor.«

Er blickte sie ganz erstaunt an und fragte dann:

»Bin ich denn nicht in einer Venta?«

»Ja, da seid Ihr.«

»Da bekommt man doch wohl, was man bezahlt?«

»Gewöhnlich. Meine Venta aber ist eine ungewöhnliche. Ich bin die gelehrte Emeria und bediene nur solche Leute, welche mir bewiesen haben, daß sie in den Wissenschaften und Künsten zu Hause sind.«

Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn und meinte:

»Bei Euch ist es wohl hier nicht richtig?«

»Das laßt nur meine eigene Sorge sein! Jetzt werde ich Euch einige Fragen vorlegen.«

»Wie es Euch beliebt! Nur bitte ich, es kurz zu machen. Ich habe Durst und Hunger!«

»Dem Geiste ist Nahrung noch nothwendiger als dem Körper. Also sagt mir gefälligst, wer die meisten egyptischen Pyramiden erbaut hat!«

»Das kümmert mich wenig!«

»Ach so! Welche Sprache hat man wohl vor der Erbauung des Thurmes zu Babel gesprochen?«

»Spanisch und Englisch jedenfalls nicht!«

»Nein. Da habt Ihr Recht. Aber ich will nicht eine negative, sondern eine positive Antwort und die könnt Ihr mir doch nicht geben. Also weiter! Welche Aehnlichkeit ist zwischen der Buchdruckerkunst und einem neuen, amerikanischen Bratofen?«

»Donnerwetter! Das scheint lustig zu werden!«

»Ist aber sehr ernst gemeint. Also nun die letzte Frage, Sennor! Warum giebt der Karpfen keinen Fischthran?«

»Das ist seine Sache, nicht aber die meinige!«

»So mag es auch nicht Eure Sache sein, wem ich meinen Wein einschänke. Ihr bekommt also nichts!«

»Hört, Sennorita, Ihr seid jedenfalls verrückt! Ich lasse mir wohl Etwas gefallen, aber was zu toll ist, das ist zu toll. Es wird doch wohl nicht von Eurem Examen abhängen sollen, wer bei Euch Etwas bekommt oder nicht!«

»Grad darauf kommt es an!«

»Hat denn dieser Sennor hier auch ein Examen gemacht?«

»Natürlich!«

»Und hat er es bestanden?«

»Leider nicht. Er hätte nichts erhalten, aber da er von Sennor Robin geschickt worden ist, so habe ich eine Ausnahme gemacht und ihm gegeben, was er verlangte.«

»Sennor Robin? Ah, meint Ihr den, welcher da draußen in den Bergen wohnen soll?«

»Ja; es giebt keinen Zweiten hier.«

»Nun, so könnt Ihr mir auch meinen Wein geben. Ich bin ein Freund und Geschäftsverbündeter von ihm.«

»Das müßt Ihr beweisen.«

»Ich gebe Euch mein Wort darauf.«

»Das genügt mir nicht. Ihr seid hier fremd und ich kenne Euch nicht.«

»Donnerwetter! Wollt Ihr mich für einen Lügner erklären?«

»Nein. Ich verlange nur Beweise. Wie ist Euer Name?«

»Roulin.«

»Den habe ich noch nicht gehört.«

»Aber ich!« sagte da der andere Gast. »Sennor, seid Ihr der Roulin, der da unten im Todesthale wohnt?«

»Ja.«

*


 << zurück weiter >>