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45

»Wahrhaftig, wer Euch so reden hört, der möchte glauben, daß Ihr ein alter, erfahrener Jäger seid. Da dies aber nicht der Fall ist, so haben Eure Vermuthungen ganz und gar keinen Werth. Die Hauptsache wäre, dem Newton abgelauscht zu haben, was er heute hier anfangen will.«

»Das habe ich gethan.«

»Ihr? Habe gar nichts gehört.«

»Ich habe doch gefragt, ob er sich die Umgegend ansehen will.«

»Da sagte er nein, er wolle ausruhen.«

»So weiß ich also genug.«

»Was denn? Daß der Ueberfall heute nicht stattfindet? Das kann ich mir auch denken. Wenn die Kerls heute kommen wollten, würde Newton, falls er wirklich zu ihnen gehört, das Haus und dessen Umgebung durchsuchen und ihnen dann irgend ein Zeichen geben. Heute also haben wir sie nicht zu erwarten. Ihr seht also, daß wir ebenso klug sind, wie Ihr es seid.«

»Und ich werde Euch beweisen, daß Ihr noch sehr viel zu lernen habt.«

Nach diesen Worten verließ Steinbach das Eßzimmer.

»So kann man sich in dem Menschen irren,« sagte Sam zu den Andern. »Erst gefiel er mir ganz gut, trotzdem ich keine Inklination für Neulinge zu haben pflege. Jetzt aber thut er so klug, wie der König Salomo und das kann ich nicht leiden. Er wird sich in mir verrechnet haben.«

Auf Wilkins hatte Steinbach einen ganz anderen Eindruck gemacht. Dieser ging ihm nach und traf ihn unten beim Pferde. Er fragte ihn:

»Sagt mir doch, was Ihr meint! Wird der Burkers heute noch kommen?«

»Ich werde es Euch zur richtigen Zeit sagen. Wie steht es mit Eurem Lederzeug? Habt Ihr Riemen?«

»Ja, dort im Stalle hängen sie an den Nägeln.«

»Und Heu?«

»Heu ist eigentlich eine Seltenheit im Westen. Ich aber habe welches, auch dort im Stalle. Es kann ja einmal vorkommen, daß man von feindlichen Indsmen förmlich belagert wird. Dann muß man natürlich Futter für die Pferde haben.«

»Und Wasser. Das könntet Ihr Euch dann nicht aus dem See holen.«

»Ich habe einen Brunnen unten im Keller. Außerdem aber führt ein künstlicher Stollen unter dem Grunde des Sees hinweg nach der Insel. Die Mönche, welche diese Mission bauten, haben nichts versäumt, was ihre Sicherheit erhöhen konnte. Seht, der Tag neigt sich zu Ende. Ich wollte, der Besuch, den wir erwarten, wäre ebenso vorbei.«

»Wo wohnt Newton?«

»Hinter der fünften Thür, von derjenigen der Speisestube an gerechnet.«

»Das ist das zweite Fenster an der Seitenmauer des Gebäudes. Nicht?«

»Ja. Warum?«

»O, nur um mich zu orientiren. Es ist besser, man weiß Alles, als gar nichts.«

»Soll ich Euch nicht auch Euer Zimmer anweisen, Sir?«

»O, da« hat Zeit. Wir werden heute etwas länger als gewöhnlich munter bleiben.«

»Warum?«

»Nun, hoffentlich haben wir uns einander sehr viel zu erzählen. Nicht wahr, dieser Newton wird auch zum Abendessen gerufen?«

»Natürlich.«

»Ich vermuthe, daß er sich nach demselben für kurze Zeit entfernen wird. Da stellt Ihr den Zeiger der Uhr im Speisezimmer um so viel zurück, wie ich Euch sagen werde. Kommt er dann wieder, so sprecht Ihr gleich so angelegentlich mit ihm, daß er in der ersten Zeit gar nicht daran denkt, nach der Uhr zu blicken.«

»Darf ich denn nicht erfahren, welchen Grund das hat?«

»Ihr werdet es später erfahren.«

Er ging nicht wieder hinauf zu den Andern, sondern nach dem Thore, um den Verschluß desselben zu untersuchen. Er bestand jetzt aus zwei außerordentlich starken Querriegeln, welche man von draußen wohl kaum einzudrücken vermochte. Als er sich noch da befand, hörte er draußen Schritte. Er sah durch die Klappe hinaus und bemerkte den ›flinken Hirsch‹. Er öffnete, um den Indianer herein zu lassen.

.

Als dieser ihn sah, blieb er stehen, legte grüßend die Hand auf das Herz und sagte:

»Darf ich Deinen Namen hören?«

»Steinbach.«

»Warum soll der flinke Hirsch dieses fremde Wort aussprechen, wenn er Dich rufen will?«

»Denkst Du, daß es ein besseres giebt?«

»Ja.«

»Welches?«

»Tan-ni-kay.«

»Wie? Du hältst mich für den Fürsten der Bleichgesichter?«

»Du bist es, oder Du bist ein Dieb.«

»Wieso?«

»Starke Hand, der berühmte Häuptling, giebt das berühmteste Pferd der Apachen nicht einem gewöhnlichen Manne. Das dicke Bleichgesicht will ein kluger Mann sein, und doch hielt es dieses Pferd hier für ein sehr schlechtes. Du hast den Hengst von der ›starken Hand‹ zum Geschenk erhalten?«

»Ja.«

»So bist Du der Häuptling der Bleichgesichter. Warum willst Du es mir verschweigen?«

»Nun gut, ich will es Dir eingestehen, aber sage den Andern nichts.«

»Mein Mund weiß zu schweigen.«

»Ich werde Dich dafür belohnen.«

»Der flinke Hirsch verlangt keine Belohnung dafür, daß er seine Pflicht erfüllt.«

»Und doch möchte ich Dir mein Wohlwollen erweisen, indem ich Dich wie einen Helden behandle.«

Aus dem schönen, dunklen Auge des rothen Jünglings brach ein Strahl hellster Freude. Er sagte:

»Der flinke Hirsch kann für Dich sterben, wenn Du es befiehlst.«

»Ich trachte nicht nach Deinem Leben. Du sollst vielmehr Ruhm haben und beneidet werden von den Bleichgesichtern, welche heute hier eingezogen sind. Sie wissen nicht, wer ich bin und halten mich für einen unerfahrenen Knaben. Dafür will ich sie beschämen. Dieses Haus wird heute Abend von weißen Feinden überfallen werden. Nur drei Personen werden es vertheidigen: der Fürst der Bleichgesichter, die starke Hand und der flinke Hirsch. Willst Du?«

Da griff der Hirsch nach Steinbach's Hand und zog sie an seine Brust, ein außerordentlich hohes und ebenso seltenes Zeichen seiner dankbaren Ehrerbietung. Er antwortete:

»Bring tausend Feinde und ich kämpfe mit ihnen!«

»Ich weiß, daß Du tapfer und klug bist. Als die starke Hand fortzog, hat sie Dich zum Beschützer der Taube des Urwaldes bestellt. Das wäre nicht geschehen, wenn Du es nicht verdientest. Gehe jetzt in den Stall und fertige Knebel für ungefähr zweimal fünf Feinde. Wir fangen sie lebendig. Aber, lasse es jetzt noch Niemanden bemerken!«

Der Indianer ging. Sein Gesicht war ernst und unbewegt. Innerlich aber empfand er über die ihm gewordene Auszeichnung eine Freude, welche es ihm schwer machte, ruhig zu erscheinen.

Steinbach trat hinaus und schritt zur Ecke des Gebäudes. Vorsichtig um dieselbe lugend, gewahrte er, daß Newton zu seinem Fenster heraussah. Unter demselben und nicht allein dort, sondern längs der Mauer hin wuchs ein dichtes Gebüsch, ganz prächtig zu einem Verstecke geeignet.

Er hatte genug gesehen und kehrte in das Innere des Gebäudes zurück, welches er nun in allen seinen oberen Theilen durchwanderte, um die Einrichtung desselben kennen zu lernen.

Mittlerweile wurde es Abend. Man brannte im Speisezimmer Licht an und dann wurden mächtige Fleischstücke geholt, um als Abendbrot gegessen zu werden. Steinbach wartete bis auch Newton dort erschienen war, und begab sich nun wieder vor das Haus, um die Ecke und bis an das betreffende Fenster. Nicht unmittelbar unter demselben, sondern ein Wenig seitwärts schnitt er von den Büschen die hart an der Mauer befindlichen Aeste aus, ganz unten tief am Boden weg. Die Aeußeren ließ er stehen. Dadurch entstand an der Mauer ein leerer Raum für ein sehr bequemes Versteck. Die abgeschnittenen Zweige entfernte er, so daß sie von keinem Unberufenen bemerkt werden konnten. Dann kehrte er wieder in das Gebäude zurück und gesellte sich zu den übrigen Tischgenossen.

Bei diesen herrschte eine äußerlich fröhliche, eigentlich aber gedrückte Stimmung. Es ist ja stets unangenehm, mit einem Menschen freundlich verkehren zu sollen, von welchem man eine ganz entgegengesetzte Meinung hat.

Wie bereits gesagt, besaß das Haus in seinen Fensteröffnungen nur ganz wenig Glas. Die Luft hatte freien Zutritt, und alle Geräusche der nächtlichen Natur wurden hörbar. Sehr bald bemerkte Steinbach, welcher Newton scharf beobachtete, an diesem Letzteren eine nur mühsam unterdrückte Unruhe. Das war das sichere Zeichen, daß er jetzt Jemand erwarte, und sich jedenfalls sehr bald entfernen werde. Steinbach mußte vorher in seinem Verstecke sein, sonst hätte sein Nahen von Newton vom Fenster aus bemerkt werden können. Er ging also unter einem plausiblen Vorwande hinaus. Seine Entfernung fiel Keinem auf. Nicht einmal Newton dachte sich etwas dabei.

Jetzt, da es Abend war und der Feind sich jedenfalls in unmittelbarer Nähe befand, konnte das Thor nicht aufgelassen werden. Steinbach nahm sich also die alte Indianerin mit, verbot ihr, irgend Jemandem zu sagen, daß er hinausgegangen sei und wies sie an, hinter ihm zu verschließen und zu warten, bis, er klopfen werde und ihn schnell wieder einzulassen. Dann begab er sich um die Ecke, schob die stehen gelassenen Zweige auseinander und setzte sich hinter denselben an der Mauer nieder.

Es war grad die rechte Zeit gewesen. Er hatte nicht lange zu warten, so hörte er den lauten, brüllenden Ruf eines Ochsenfrosches. Er als Westmann hörte sogleich, daß dieser imitirte Laut aus einer menschlichen Kehle kam. Er war neugierig, wie Newton darauf antworten werde, und blickte nach oben, kein Auge von dort verwendend. Mit der Stimme konnte die Antwort nicht erfolgen, da dieselbe sonst von Anderen gehört und dadurch der Anschlag verrathen worden wäre.

Er hatte ganz richtig geurtheilt. Der Ruf ertönte zum zweiten, zum dritten Male und dann flammte als Antwort oben am Fenster ein Flämmchen blitzschnell auf, als ob eine kleine Quantität Pulver angezündet worden wäre.

Damit hatte Newton gezeigt, an welchem Fenster er sich befinde.

Nur wenige Secunden später kam eine dunkle Gestalt lautlos herbeigeschlichen und drückte sich grad unterhalb des Fensters in das Gesträuch hinein, um in demselben Deckung zu finden und von einem sich zufällig Nahenden nicht bemerkt zu werden.

Wie gut also, daß Steinbach sich sein Versteck seitwärts und nicht grad unter dem Fenster gewählt hatte! Der Mann stand so, daß Steinbach ihn hätte mit der Hand ganz bequem an den Beinen fassen können.

»Pst!« machte er es.

Oben schien Newton zu lauschen.

»Pst!« wurde wiederholt.

Newton hatte schon damals, als er in Constantinopel den Dolmetscher nach dem Namen von Eagle-nest's Yacht gefragt hatte, nicht englisch verstanden. Heute hatte er einige Worte gebrochenes Englisch gesprochen. In demselben gebrochenen Englisch fragte er jetzt von oben herab:

»Wer ist da?«

»Burkers selbst. Gut angekommen?«

»Ja.«

»Aber wie steht es?«

»Gut und nicht gut, wie man es nimmt.«

»Warum?«

»Gut, weil keine Indianer da sind, und – –«

»Ah! So ist die Taube mit ihrem Vater allein?«

»Nein. Das ist eben Das, was ich nicht gut nenne. Es sind weiße Jäger angekommen.«

»Donnerwetter! Wie viele?«

»Fünf mit zwei Frauen.«

»Sind es bekannte Namen?«

»Ja, nämlich der dicke Sam Barth mit seinen Freunden Jim und Tim – –«

»Gott sei Dank! Sind diese Kerls hier! Das ist mir ungeheuer lieb Da kann ich sie für damals bezahlen! Wer noch?«

»Ein Euch Fremder, der aber mich genau kennt, obgleich er es leugnet. Er ist mein Todfeind und darum müßt Ihr ihn mir überlassen!«

»Er ist Dein. Mache mit ihm, was Du willst!«

»Er wird an den Marterpfahl gebunden. Sodann die andern Vier, welche Ihr nicht vermuthen werdet, nämlich der deutsche Förster Rothe mit Sohn, Frau und Schwägerin.«

»Himmeldonnerwetter! Ist das möglich?«

»Sam Barth hat sie getroffen und mit hierher genommen. Weshalb, das weiß ich nicht.«

»So steckt eine Schurkerei gegen uns dahinter.«

»Wohl nicht. Ich hätte das bemerken müssen. Sie sind Alle ahnungslos.«

»Will es hoffen. Wer ist also noch da?«

»Die Taube, ihr Vater und eine alte Indianerin als Thorhüterin.«

»Das ist sehr schön von diesen Leuten. Wir sind ihnen vollständig gewachsen. Wie gut, wie sehr gut, daß ich Dich geschickt habe! Wäre ein Anderer gekommen, so hätten diese verdammten Förstersleute ihn natürlich erkannt und festgenommen. Da wäre uns unser Brod gebacken gewesen. Wie sind diese Kerls denn bewaffnet?«

»Sam, Jim, Tim und die beiden Rothe haben Büchsen. Aber die stehen in der großen Stube in der Ecke und werden uns nicht gefährlich. Der, welchen ich für mich haben will, scheint gar kein Gewehr zu besitzen, was mir eigentlich räthselhaft ist.«

»Ist er ein Amerikaner?«

»Nein, sondern ein Deutscher.«

»Hole ihn der Teufel! Diese Deutschen haben gewöhnlich sehr gute Fäuste. Kannst Du das Thor aufmachen?«

»Nein. Das würde auffallen. Die alte Indianerin soll ein wahrer Drache sein.«

»Gieb ihr Eins über den Kopf.«

»Da schreit sie und macht die Männer aufmerksam.«

»Verdammt! Wie aber kommen wir hinein?«

»Sehr leicht und gut. Ich lasse mein Lasso hinab und Ihr klettert daran Alle empor zu mir.«

»Ein Lasso ist zu dünn. Es reißt zwar nicht, aber man kann es nicht fassen, ohne daß es in die Hände schneidet.«

»So nehmen wir mehrere Lassos zusammen, die ich an dem meinigen heraufziehe. Wenn Ihr Alle oben seid, gehe ich vor Euch zu den Kerls und stelle mich so, daß sie nicht zu den Gewehren können. Denn das werden sie thun wollen, wenn sie Euch sehen.«

»Schön! Ich freue mich schon vorher auf den dicken Sam und auf die beiden Dürren. Die sollen vor Schmerzen wimmern, daß es von hier bis New-York zu hören ist. Sie sind es, die uns damals an den Strick liefern wollten. Aber wann paßt es?«

»Wann denkt Ihr denn?«

»Nur nicht zu spät. Sonst könnten uns die dreihundert Maricopas, wegen denen Walker Dich uns entgegenschickte, zuvorkommen. Sie wollen die Taube des Urwaldes überfallen und an den Marterpfahl bringen, und die hier aufgehäuften Schätze der Comanchen und Apachen holen. Vielleicht können sie schon morgen Mittag hier sein. Wir müssen also bis dahin vollständige Arbeit gemacht haben. Da fällt mir ein: Walker hat wohl gesagt, daß diese Maricopas ein Frauenzimmer mit sich führen, um sie hier auf den Häuptlingsgräbern zu verbrennen, aber zu sagen, wer sie ist, das hat er vergessen.«

»Er weiß es selbst nicht. Es ist eine Weiße.«

»Verdammt! Jung oder alt?«

»Ich kann es nicht sagen.«

»Na, uns kann es ja gleichgiltig sein. Wenn wir nur vorher ausgeräumt haben. Ist nicht von den Schätzen gesprochen worden, die sich hier befinden?«

»Kein Wort.«

»Man wird sie nicht verrathen wollen; aber ich zwicke den Kerls jedes Fingerglied einzeln ab, bis sie gestehen. Wir können nicht länger warten als bis um Mitternacht.«

»Gut! So werde ich Punkt zwölf Uhr hier am Fenster sein.«

»Du mußt aber bis dahin bei ihnen bleiben, damit sie hübsch beisammen sind. Da werden wir sie überrumpeln. Wenn aber ein Jeder in seine Zelle geht und seine Waffen mit sich nimmt, würden wir schwierige und gefährliche Arbeit haben. Freilich, wenn Du in der Stube bist, kannst Du nicht an dem Stande der Sterne sehen, ob es Mitternacht ist.«

»Das habe ich auch nicht nöthig. Da, wo wir sitzen, giebt es eine alte Holzuhr, vielleicht noch von der Zeit der Mönche her. Da habe ich also die Zeit am Bequemsten.«

»Schön! So wären wir also fertig. Oder hast Du mir noch Etwas zu sagen?«

»Nein – oder doch, ja, grad die Hauptsache! Wißt Ihr, wer der Vater der Taube ist?«

»Nun? Kennst Du ihn etwa?«

»Nein; aber den Namen habe ich gehört. Ob es vielleicht Der ist, mit dem Ihr auch schon zu thun hattet? Er heißt Wilkins.«

»Donnerwetter! Etwa von Wilkinsfield?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe nur aus einigen unvorsichtigen Worten erlauscht, daß er wegen Mordversuchs hat fliehen müssen und lange Zeit nach irgend Wem hier im Westen herumgesucht hat.«

»Tod und Teufel! Er ists, er ists! Na, freue Dich, Alter! Dich braten wir lebendig. Und zuvor sollst Du zusehen, daß Deine Tochter bei uns reihum geht. Wie entzückt wird Walker sein! Der Fang, welchen wir hier machen, wird besser und werthvoller, als ich gedacht habe. Es wird mich doch Niemand hier gesehen haben.«

»Nein. Es sind Alle beisammen. Die alte Indianerin müßte sich hier herumschleichen.«

»Diese alten Hexen verstehen das nur zu gut. Zur Sicherheit bleibst Du noch eine Weile am Fenster und passest auf, ob sich Etwas regt. Ich werde nach zehn Minuten den Ruf des Frosches nachahmen; antwortest Du mit Pulver, so ist Alles gut; antwortest Du aber nicht, so giebt es Gefahr.«

Er entfernte sich.

Auch Steinbach mußte fort, um früher als Newton in die Stube zu kommen. Er war erfahren und geschickt genug, ohne das geringste Geräusch aus dem Versteck herauszukommen. Dann kroch er, lang am Boden ausgestreckt, um von oben nicht bemerkt zu werden, längs der Mauer und des Gesträuches hin. Erst als er hinter der Ecke angekommen war, erhob er sich wieder.

Als er das Thor erreichte, stand an demselben eine hohe breite Gestalt. Sie flüsterte:

»Mein weißer Bruder hat gelauscht. Hat er die Worte der Uebelthäter gehört?«

»Ja.«

»Die starke Hand hat sie verfolgt bis hierher. Soll ich mit in das Gebäude gehen?«

»Ja, aber nicht mit hinauf zu den Bleichgesichtern, sondern in die Stube, in welcher Dein Neffe flinker Hirsch sich befindet. Wir Drei allein werden die Räuber empfangen.«

»Uff! So ists gut!«

Dieser Indianer war also die berühmte ›starke Hand‹. Er und Steinbach hatten den rothen Burkers mit seiner Schaar nicht ereilt, aber aus den Fährten gesehen, daß das Unternehmen heute Abend vor sich gehen werde. Darum war Steinbach voraus geeilt, um nach dem Stande der Dinge zu sehen und die ›starke Hand‹ dann hier zu treffen.

Die Indianerin öffnete, als geklopft wurde, und war erfreut, den großen Krieger zu sehen. Dieser verschwand sofort in der abgelegenen Kammer seines Neffen. Steinbach aber begab sich hinauf in das Speisezimmer, wo die Insassen desselben sich lebhaft unterhielten.

»Die Uhr um eine Stunde zurück,« flüsterte er Wilkins zu.

Dann nahm er recht lebhaft am Gespräch theil, um die Aufmerksamkeit der Anderen von der Uhr weg auf sich zu lenken. Es gelang ihm auch. Er wollte gern alle unnöthigen Fragen vermeiden.

Nach kurzer Zeit hörte man draußen den Schrei des Ochsenfrosches und wenige Secunden später trat Newton wieder ein. Er blickte nicht nach der Uhr und bemerkte also auch nicht, daß sie weiter zurückstand als vorhin, da er den Raum verlassen hatte.

Es wurden allerlei Jagdabenteuer erzählt. So verging die Zeit ziemlich schnell. Newton drehte sich später zwar einmal nach der Uhr um, zeigte aber über den Stand der Zeiger nicht die geringste Täuschung. Als dieselben fünf Minuten vor Elf zeigten und es also ebenso viel vor Zwölf war, ging Steinbach hinaus und hinab zu den beiden Indianern. Er fragte:

»Die Bleichgesichter wollen durch das Fenster kommen. Werden wir sie geräuschlos überwältigen können?«

»Die ›starke Hand‹ antwortete:

»Hier stehen keine Knaben, sondern Männer! Der flinke Hirsch hat Riemen und Knebel besorgt. Es wird Alles sehr schnell gehen. Mein weißer Bruder wird am Fenster sein; die ›starke Hand‹ wird den Eingestiegenen empfangen; der ›flinke Hirsch‹ wird ihn fesseln und ein Jeder wird sofort nach der Kammer getragen, welche gegenüber liegt.«

»So kommt!«

Sie schlichen sich lautlos aus dem Hofe hinauf in Newtons Gastraum. Die gegenüber liegende Thür wurde vorsorglicher Weise schon jetzt geöffnet, dann warteten sie. Keinem klopfte das Herz schneller als gewöhnlich. Wenigstens die beiden Männer waren an noch ganz andere Gefahren gewöhnt, und der braune Jüngling war ja ein angehender Held.

Nach kurzer Zeit hörte Steinbach das Zeichen:

»Pst!«

»Er sah hinaus. Unten stand Einer.

»Ich bin da,« flüsterte er.

»Alles in Ordnung?«

»Alles.«

Ein zweites »Pst« nach rückwärts und die ahnungslosen Kerls kamen herbei.

»Dein Lasso herab!« sagte Burkers unten.

Steinbach ließ das seinige herab und zog an demselben noch drei andere heran. Diese vier waren stark genug zum Daranemporklettern. Natürlich war Burkers der Erste, welcher kam. Als er sich noch auf der Fensterbrüstung befand, sagte er:

»So, das ist der erste Schritt zu dem Golde und der Rache, welche wir hier finden werden. Hast Du das Lasso in der Hand gehalten?«

»Nein, angebunden,« antwortete Steinbach flüsternd, weil alle Stimmen im Flüstern ziemlich gleich klingen.

»Recht so! In der Hand halten, das ist zu schwer.«

Er stieg vom Fenster herab. Steinbach hatte das Lasso wirklich an einem starken Haken befestigt, der in der Mauer stak. Daher hatte er die Hände frei. Er legte sie dem nichtsahnenden Burkers um die Gurgel und drückte diese so zusammen, daß der tödtlich erschrockene Mann wohl den Mund weit aufsperrte, aber keinen Laut ausstoßen konnte. Einen Faustschlag an die Schläfe, einen Knebel in den aufgesperrten Mund, einen Riemen je um Arme und Beine – das Alles war für diese Drei das Werk weniger Augenblicke! Burkers lag schon in der anderen Kammer, ehe der Zweite heraufkam.

Ganz in derselben Weise wurden sie Alle außer dem Letzten empfangen. Keiner hatte seine Büchse mit gehabt. Jetzt rief dieser Letzte mit unterdrückter Stimme von unten:

»Pst! Nun erst die Gewehre empor, ehe ich komme. Ich binde sie unten mit dem Lasso zusammen.«

Das geschah. Sie wurden emporgezogen und sodann folgte auch dieser Mann nach, dem es natürlich ganz ebenso ging wie den Anderen.

Jetzt holte der »flinke Hirsch« vor allen Dingen ein Licht, damit die Gefangenen beobachtet werden konnten. Einige waren noch bewußtlos. Andere hatten ihre Besinnung wieder erlangt, konnten aber weder sprechen, noch sich bewegen. Der rothe Burkers hatte die Augen offen und hielt sie mit grimmigem Blicke auf die Drei gerichtet.

»Ich bin der »Fürst der Bleichgesichter«,« sagte Steinbach zu ihm, »und hier stehen die »starke Hand« und der »flinke Hirsch«. Ihr sollt genau so behandelt werden, wie Ihr die Bewohner dieses Hauses behandeln wolltet. Euer Schicksal ist schon jetzt besiegelt. Wir zwar werden Euch nicht tödten, aber wir geben Euch in die Hände der heranziehenden Maricopas.«

Der Anführer der Buschheaders war bei der Nennung der Namen tief erschrocken. Er schloß die Augen, er wollte nichts mehr sehen.

Steinbach überließ sie der Bewachung der beiden Indianer und entfernte sich. Als er zur Gesellschaft zurückkehrte, stand die Uhr doch bereits über halb Zwölf; es war also eine halbe Stunde vergangen.

Newton war unterdessen nach seinen Erlebnissen in der Türkei gefragt worden und hatte erzählt, was ihm gerade eingefallen war. Er berichtete von verschiedenen Bekanntschaften, welche er gemacht hatte. Da fragte Steinbach, der die Zeit nun ja für gekommen hielt:

»Master Newton, habt Ihr auch Ausländer kennen gelernt?«

»Viele.«

»Vielleicht einen Lord Eagle-nest?«

»Nein,« antwortete er erbleichend.

»Einen Norman Effendi und Wallert Effendi?«

»Auch nicht.«

»Ist Euch ein Ibrahim-Pascha bekannt?«

»Ich hörte seinen Namen.«

Jetzt hatte sich die Farblosigkeit seines Gesichtes in glühende Röthe verwandelt.

»Oder eine gewisse Zykyma, Gikala und Tschita?«

»Ich weiß nicht, was Ihr wollt!«

»O, ich will Euch nur sagen, daß vom Derwisch bis zum Prairiejäger ein ungeheurer Sprung ist, ein Sprung, der wohl noch niemals im Leben vorgekommen ist.«

»Derwisch? Was meint Ihr denn?«

»Verstellt Euch doch nicht! Ihr wißt ebenso gut wie ich, daß Ihr zu den heulenden Derwischen gehört habt.«

»Ich? Welch ein Irrthum!«

»Na, Mann, wollen es kurz machen! Ich habe nicht Lust, mich länger als nöthig mit so einem Schuft zu unterhalten. Ich bin in Wirklichkeit der Steinbach-Effendi, den Du in der Türkei gesehen hast. Ich kenne Dein ganzes Thun und Treiben und kann nicht begreifen, wie Du aus Tunis entkommen, bist, wo Du doch des Mordversuches an dem Herrscher angeklagt warst.«

Der Derwisch glaubte jetzt, Frechheit sei seine einzige Rettung. Er schlug mit der Hand auf den Tisch und rief in zornigem Tone:

»Himmeldonnerwetter! Das ist doch zu arg! Ein Derwisch soll ich sein und ein Mörder? Master Steinbach, wenn Ihr mir das noch einmal sagt, so habt Ihr es mit mir zu thun!«

»O, ich habe es schon jetzt mit Dir zu thun und werde schnell mit Dir fertig werden, mein Bürschchen. Ich sehe, daß diese Mesch'schurs ganz erstaunt sind über das, was wir sprechen. Sie wissen eben nicht, was früher geschehen ist. Darum wollen wir von Deinen türkischen Abenteuern lieber schweigen und zunächst von Deinen hiesigen reden.«

»Da bin ich neugierig!« sagte der Derwisch. »Ich wüßte nicht, von welchen Abenteuern die Rede sein könnte.«

»Nicht? Nun, ein sehr interessantes soll ja punkt zwölf Uhr losgehen. Es fehlen nur noch zehn Minuten. Es wird also Zeit, daß Du in Deine Kammer gehst, um den rothen Burkers mit seinen Leuten einsteigen zu lassen.«

»Was?« rief Sam. »Der Rothe will einsteigen? Heute Abend?«

»Ja, mit Hilfe dieses Eures Freundes.«

»Wenn das bewiesen werden kann, so werden wir wenig Federlesens mit diesem Master Newton und Florin machen!«

»Es ist Lüge!« rief der Derwisch, die Hand an das Messer legend und eine leise, unbemerkt sein sollende Wendung nach der Thür machend. Er merkte, daß Alles verrathen sei. Sein einziges Heil lag in der Flucht, die er sich nöthigen Falles mit dem Messer bahnen wollte.

Steinbach merkte diese Absicht. Er wollte sich ihm in den Weg stellen, sah aber, daß die Thür um eine kleine Lücke geöffnet war, durch welche ein dunkles, blitzendes Auge herein funkelte. Der Mensch konnte nicht entkommen. »Er nennt es Lüge,« sagte Sam. »Master Steinbach, könnt Ihr beweisen, daß es wahr ist?«

»Ja. Er sah vorhin zum Fenster hinaus und besprach mit dem Rothen, welcher unten stand, den ganzen Plan. Ich aber saß nebenan und hörte ein jedes Wort. Punkt Zwölf soll es losgehen.«

»Himmelkreuzelement! Kerl, ich hacke Dich in Stücke und koche Stiefelschmiere daraus!«

Er fuhr mit beiden Fäusten auf den Menschen los, dieser machte einen Seitensprung und eilte auf die Thür zu, prallte aber zurück.

Die »starke Hand« war schnell eingetreten und hielt ihm die blitzende Klinge entgegen, ohne aber ein einziges Wort zu sagen. Steinbach aber faßte sein Handgelenk mit solcher Kraft, daß er einen lauten Schmerzensschrei ausstieß und das Messer fallen ließ.

»Hallunke, willst Du etwa noch leugnen?« rief er ihm zu.

»Ich bin unschuldig!« behauptete der Gefragte.

Er verließ sich darauf, daß er nicht am Fenster war und seine Helfershelfer also nicht heraufkamen; also konnte ihm doch nichts bewiesen werden.

»Nun, wir wollen Dir den Beweis gleich beibringen. Du bist mir bereits so oft schon entschlüpft, jetzt aber werde ich Dich festhalten. Master Sam, habt doch einmal die Güte, ihm das Lasso so um den Leib zu wickeln, daß er die Arme nicht bewegen kann.«

»Gleich, gleich, Sir!« antwortete der Dicke, indem er schnell hinzutrat.

Newton protestirte in Worten und wollte sich sogar wehren, vermochte aber gegen die Riesenkräfte Steinbach's nichts. Als er gefesselt war, sagte dieser Letztere zu den Anderen:

»Jetzt nehmt ihn mit Euch und folgt der »starken Hand« hier. Der tapfere Häuptling wird Euch dahin führen, wo der Beweis der Schuld mit Händen zu greifen ist.«

»Die starke Hand?« rief Sam erstaunend.

»Ja, Master, Euch widerfährt heute das große Heil, den berühmtesten und tapfersten Häuptling aus Amerika und den dümmsten Weißen aus Herlasgrün, als Letzteren nämlich mich, kennen zu lernen. Dieses Letztere werdet Ihr allerdings für keine große Ehre halten, wie mir scheint.«

»Ja, viel Ehre kann man mit Euch nicht einlegen,« antwortete der Dicke. »Das Andere aber lasse ich mir desto eher gefallen. Also dieser rothe Master ist wirklich der große Häuptling? Oder macht Ihr nur Spaß?«

»Er ist es.«

»So muß ich ihm auf der Stelle meine Hand geben. Man ist zwar nur in Herlasgrün geboren, aber man hat sich dennoch genug Conduite angeeignet, um zu wissen, wie man einen so berühmten Krieger zu begrüßen hat.«

Er ging auf die »starke Hand« zu, streckte ihm die Rechte entgegen, nickte ihm freundlich zu und sagte:

»Der große Häuptling der Apachen sei willkommen am Silbersee. Ich freue mich, ihn zu sehen!«

Der Indianer blieb trotz der freundlichen Miene des Dicken ernsthaft, drückte ihm die Hand und antwortete:

»Die ›starke Hand‹ ist am Silbersee zu Hause. Er ist es, der sich freut, Entschar-til willkommen zu heißen.«

Sam drehte sich zu den Anderen um und sagte:

»Entschar-til? Ich kenne das Wort nicht. Was mag es heißen und wen mag er meinen?«

Da antwortete Steinbach lachend:

»Entschar-til heißt der große Bauch, der dicke Bauch. Seht Euch an, Master Sam, so werdet Ihr gleich wissen, wen er gemeint hat.«

»Donnerwetter! Mich gleich so zu nennen! Diese Apachen sind sehr schnell im Namen geben.«

»O, den giebt er Euch nicht erst jetzt. Sämmtliche Apachen nennen Euch nicht anders als Entschar-til, den dicken Bauch.«

»Das habe ich noch gar nicht gewußt. Wenn sie mich so nennen, muß ich doch ein ihnen sehr bekannter Kerl sein.«

»Na, ich will Euch aufrichtig sagen, daß Ihr weiter bekannt seid, als Ihr vielleicht denkt. Ihr seid ein berühmter Mann, ob wegen Eurer Verdienste oder wegen Eures dicken Bauches, das will ich nicht untersuchen.«

»Das ist auch nicht nöthig. Ihr braucht Euch gar keine Mühe zu geben. Der Grund ist gleichgiltig, wenn ich nur berühmt bin. Ihr freilich werdet niemals eine Berühmtheit erlangen, weder wegen eines dicken Bauches, noch wegen Eurer Tapferkeit. Das ist der Unterschied zwischen Euch und mir.«

Diese Worte waren in englischer Sprache gesprochen, und da der große Häuptling der Letzteren mächtig war, so hatte er sie verstanden. Er richtete einen kurzen, fragenden Blick auf Steinbach, und da dieser leise mit dem Kopfe schüttelte, so sagte er zu Sam:

»Mein weißer Bruder Steinbach ist zwar kein großer Krieger und Jäger, aber er hat keine Furcht und wird bald berühmt werden unter den Männern des Westens.«

»Der? Da irrt sich die ›starke Hand‹. Ich habe noch niemals einen berühmten Rafter gekannt. Aber wir haben jetzt Notwendigeres zu thun. Ihr wolltet uns doch irgend wohin führen, um uns den Beweis zu liefern, daß dieser Mann hier schuldig ist.«

»Kommt!« sagte die »starke Hand« und schritt voran.

Die Anderen folgten. Als sie die Kammer erreichten und da die Gefangenen erblickten, welche vom ›flinken Hirsch‹ bewacht worden waren gerieten sie freilich in das allergrößte Erstaunen.

»Gefangene!« rief Wilkins. »Gebunden und gefesselt, also ohne unser Wissen und unseren Beistand besiegt und überwältigt. Wer hat das gethan?«

»Es bedarf nicht vieler Männer, solche Kröten zu fangen,« antwortete der Häuptling stolz. »Meine weißen Brüder saßen so schön in der Stube, und da wollten wir sie nicht stören dieses Burkers wegen.«

»Burkers? Ah! Wo?«

Der »flinke Hirsch« leuchtete dem Genannten in's Gesicht.

»Himmelsapperment! Ja, das ist der Kerl!« rief Sam. »Na, freue Dich, Bruder Straubinger, daß wir Dich haben! Dir wollen wir das Leder versohlen, daß Du alle sechzigtausend Brautjungfern singen hören sollst. Er ist es, er und seine ganze Bande! Das ist ja ein Fang, ein Meisterstück! Wie ist denn dieser angenehme Besuch herein gekommen?«

»Durch das Fenster,« antwortete der Häuptling. »Der »flinke Hirsch« und mein Bruder Steinbach haben sie empfangen und mit Riemen gebunden. Sie sind unser Eigenthum, wir aber geben sie in Eure Hände.«

Sam stellte sich gerade vor Steinbach hin, sah ihn vom Kopfe bis zu den Füßen an und fragte:

»Also Ihr, Ihr seid dabei gewesen? Ist das wahr?«

»Ja,« nickte der Gefragte.

»Wer hätte das gedacht! Wer hätte Euch das zugetraut! Ich im ganzen Leben nicht!«

»Na, es ist auch nichts dabei. Diese beiden Indianer haben Alles gethan, ich habe ihnen nur dabei geleuchtet.«

»Also das Licht gehalten?«

»Ja.«

»Während sie die Kerls gefangen nahmen?«

»Ja.«

»Na, das begreife ich, das will ich glauben. Ihr seid zwar lang und breit und stark genug, aber doch nur ein Neuling. Und eine Bande solcher Hallunken zu überlisten, dazu gehört doch viel mehr als blose Körperkraft. Wie aber hat die »starke Hand« es angefangen, die Buschheaders herein zu locken und fest zu nehmen?«

»Sie sind selbst herein gekommen. Mein dicker Bruder, frage nicht weiter. Es ist nicht schwer, Mücken zu fangen, welche durch das Fenster kommen. Wir übergeben sie Euch. Thut mit ihnen, was Ihr wollt!«

Er gab keine weitere Erklärung, weil er bemerkte, daß es Steinbach Spaß mache, für einen Neuling gehalten zu werden. Sam begnügte sich einstweilen damit. Er wendete sich an Wilkins:

»Diese Hallunken sind in Eurem Hause, Euch haben sie überfallen wollen; Ihr seid es also eigentlich, der zu bestimmen hat, was mit ihnen geschehen soll.«

Wilkins blickte sich verlegen um. Steinbach hatte auf ihn einen bedeutenden Eindruck gemacht, obgleich auch er ihn nicht für einen erfahrenen Westmann hielt. Darum gab er seine Antwort an diesen ab:

»Was rathet Ihr, Master Steinbach?«

»Ich rathe, Euch nicht zu übereilen. Giebt es hier nicht einen Raum, in welchem wir diese Kerls so verwahren können, daß ihnen die Flucht unmöglich ist?«

»O, mehrere! Diejenigen, welche die Mission bauten, hatten sämmtliche Indianerhorden zum Feinde; sie mußten sich auf Kampf und Vertheidigung gefaßt machen und haben auch für Gefängnisse gesorgt, welche so fest und stark gebaut wurden, daß sie sich heute noch im besten Zustande befinden. Sie liegen unter der Erde im Keller.«

»Das ist gut. Wir werden diesen ehrenwerthen Herren dort Quartier geben. Einen aber trennen wir von ihnen; den beanspruche ich für mich, denn ich habe eine sehr dringliche Privatangelegenheit mit ihm zu erledigen.«

»Ihr meint diesen Newton hier?«

»Ja. Habt Ihr nicht ein Gefängniß hier apart für ihn?«

»Freilich. Ihr könnt die verschiedenartigsten Lokalitäten bekommen, klein, groß, hoch, niedrig, trocken, naß, ganz wie es Euch beliebt.«

»Na,« fiel da Sam ein, »gar zu bequem wollen wir es den Mesch'schurs nicht machen. Wir nehmen das niedrigste und feuchteste Gewölbe. Sie haben uns heiß machen wollen, und da wollen wir sie abkühlen. Und was die Verpflegung betrifft, so schlage ich vor, wir geben ihnen Austern, Trüffeln, indianische Vogelnester und Champagner, so viel ihr Herz begehrt. Vorher aber möchte ich ein Wort mit diesem allerliebsten Burkers sprechen.«

Er bückte sich nieder und nahm dem Genannten den Knebel aus dem Munde, ihn dabei fragend:

»Ihr kennt mich doch, nicht?«

Der Gefragte antwortete nicht. Da meinte Sam:

»Hört einmal, ich bin gewöhnt, eine Antwort zu erhalten, wenn ich frage. Gebt Ihr keine, so habe ich gewisse Mittelchen, Euch zur Sprache zu verhelfen. Also antwortet! Kennt Ihr mich?«

Er schnallte während dieser Worte den Lasso von der Hüfte ab und legte ihn mehrfach zusammen.

»Ja,« antwortete Burkers schnell.

»Schön so! Hättet Ihr nicht geantwortet, so hätte ich Euch diesen Riemen über das Gesicht gezogen. Mit solchen Leuten muß man nämlich vernünftig sprechen. Wer bin ich denn?«

»Sam Barth,« knirschte der Gefragte.

»Ja, und diese beiden Herren sind Jim und Tim Snaker, eine alte, gute Bekanntschaft von Wilkinsfield her, nicht? Ihr seid hierher gekommen, um die Schätze dieses Ortes zu holen?«

»Nein. Wir sind jetzt ehrliche Leute und wollten nur um Obdach bitten.«

»Und da steigt Ihr alle mit einander zum Fenster herein? Eine schöne Obdachbitterei! Und ehrliche Leute seid Ihr jetzt? Wunderbar! Was würde der Förster Rothe dazu sagen, wenn er es hörte!«

Es befand sich nämlich nur ein einziges Hirschtalglicht in der Kammer, so daß dieselbe nur ganz spärlich erleuchtet war. Wilkins, Steinbach, die beiden Indianer, Sam, Jim und Tim standen um die Gefangenen herum, der Förster mit seinem Sohne und seiner Frau nebst Schwägerin aber an der Thür. Diese Letzteren waren vom Lichte nicht getroffen, vom rothen Burkers also nicht gesehen worden.

Dieser Letztere aber wußte bereits durch die Mittheilungen des einstigen Derwisches, welche Steinbach ja belauscht hatte, daß Rothe mit seiner Familie anwesend sei. Er antwortete:

»Es war nur ein Scherz, welchen wir uns mit ihm machten.«

»Oho, ein Scherz!« rief Rothe, indem er sich herbeidrängte. »Giebt man ehrliche Leute zum Scherze dem Hungertode preis? Nimmt man ihnen nur zum Spaße ihr Geld und ihre ganze Habe? Wenn das ein Scherz war, gut, so mögt Ihr auch die Strafe, welcher Ihr nicht entgehen werdet, als Spaß betrachten. Uebrigens dürft Ihr nicht meinen, daß ich nur zufällig hier bin. Der »Fürst der Bleichgesichter« kennt Euren Schlupfwinkel und hat ihn uns verrathen. Wir sind im Thale bei den Wagen gewesen, haben sie verbrannt und das Geld unter dem linken Hinterrade des vorderen Wagens gefunden.«

»Verdammt!« entfuhr es dem rothen Burkers.

»Ja, und die beiden Wächter, die Ihr dort zurückgelassen habt, haben ihre Strafe bereits erhalten. Dann sind wir nach hier geritten, um das Wiedersehen mit Euch zu feiern. Ich hoffe, daß Ihr ganz entzückt darüber sein werdet.«

»Na, für das Entzücken werde ich schon sorgen,« sagte Sam, der Dicke. »Wie steht es denn eigentlich, Master Burkers, ist Euch nicht vielleicht ein ehrenwerther Sir bekannt, welcher sich Walker nennt?«

»Nein.«

»Hm! Er soll in Prescott wohnen?«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Ah! Ihr kennt ihn nicht und empfangt doch Boten von ihm! Das ist doch sonderbar!«

»Ich weiß von keinem Boten Etwas.«

»Ist dieser Master Newton nicht von ihm zu Euch gesandt worden?«

»Nein.«

»Na, wir wissen das besser. Was Ihr nicht gesteht, werden uns Andere sagen. Ihr aber verschlimmert Euch durch Euer Verhalten nur Eure Lage. Wie steht es, Master Wilkins, wollen wir sie einstweilen einsperren, damit sie noch überlegen, ob sie mittheilsamer werden wollen oder nicht?«

»Ja,« antwortete Steinbach an Wilkins' Stelle. »Vorher aber möchte ich mir einmal die Gefängnisse betrachten.«

»Ihr? Hm! Das klingt ja gerade, als sei Euch hier der Oberbefehl zugefallen.«

Da sagte die »starke Hand« schnell:

»Man thue nach dem Willen meines weißen Bruders Steinbach. Ich will es so! Wir bleiben hier und er mag mit dem Vater der Taube gehen, um sich die Gewölbe anzusehen.«

Dieser Ausspruch des berühmten Häuptlings galt. Wilkins holte ein Licht und die Schlüssel und führte Steinbach nach den Kellerräumen.

»Der Häuptling scheint Euch ein großes Vertrauen zu schenken,« sagte er dabei. »Hat dies vielleicht einen besonderen Grund, Sir?«

»Nein; er will mir wohl, das ist Alles.«

»Darauf könnt Ihr stolz sein. Ein einfacher Holzfäller ist nicht leicht so glücklich, die Freundschaft eines solchen Helden zu erlangen.«

Da unten bei den eigentlichen Kellern, aber von diesen durch eine starke Thür getrennt, gab es mehrere verschieden hohe und verschieden große Räume, deren Wände ganz aus Quadern bestanden und deren mit Eisen beschlagene Thüren jedem Fluchtversuche den stärksten Widerstand entgegen setzten.

Der niedrigste dieser Räume war wie ein Loch. Ein Mensch konnte nicht stehen, sondern nur sitzen.

»Hier herein kommt Newton,« sagte Steinbach.

»Auf diesen müßt Ihr eine außerordentliche Pike haben, wie es scheint.«

»Er hat noch Schlimmeres verdient, als nur das. Ihr werdet es noch erfahren. Ich empfehle Euch in Beziehung auf ihn die allergrößte Strenge und Wachsamkeit an. Er darf auf keinen Fall entkommen. Als einstweilige Erklärung will ich, weil wir zu ausführlichen Erzählungen keine Zeit haben, Euch nur sagen, daß er als wahrhaft teuflischer Schurke an der Familie Eures früheren Oberaufsehers gehandelt hat.«

»Meint Ihr Adler?« fragte Wilkins erstaunt.

»Ja. Er hat dieser Familie ein wahrhaft höllisches Schicksal bereitet. Es ist ein außerordentlich glücklicher Fang, den wir mit ihm machen. Und daß er sich hier im Westen befindet, läßt mich hoffen, daß wir bald Etwas von Adler sehen oder wenigstens hören werden.«

»Mein Gott! Welch ein Zufall!«

»Es ist kein Zufall. Es thront über der Erde ein gerechter Gott, welcher die Gedanken und Füße der Menschen leitet. Er ist es, der diesen Schurken in unsere Hand gegeben hat. Jetzt aber weiter. Einen Raum für die Anderen.«

Wilkins schloß einige Thüren auf und Steinbach trat in die Gewölbe. Sie waren weit über Manneshöhe und boten nichts als die nackten Mauern. Auch der Boden bestand aus starken Steinen. Beim Scheine des Lichtes gewahrte Steinbach in der Mitte der Decke ein Loch. Er erkundigte sich:

»Dient dieses Loch der Ventilation?«

»Ja; es hat aber auch noch einen anderen Zweck. Es führt nämlich in ein kleines Parterregemach und ist dort durch einen Stein verdeckt. Hebt man denselben auf und legt das Ohr an das Loch, so hört man jedes Wort, welches hier gesprochen und selbst nur geflüstert wird.«

»Das ist von großem Vortheile für uns. Wir können da leicht erfahren, was sie uns verschweigen wollen. Eigentlich wollte ich Newton allein sperren, aber es kommt mir darauf an, zu erfahren, wo und wie ich Walker, der ihn geschickt hat, finden kann. Stecken wir ihn mit den Anderen zusammen, so werden sie davon sprechen und wir hören es. Also mag er mit ihnen hier eingeschlossen werden. Damit sie nicht errathen können, wo sie sich befinden, führen wir sie mit verbundenen Augen hierher. Aber da muß auch bereits ein Lauscher oben am Loche liegen.«

»Wer?«

»Hm! Es gilt heute, zu handeln. Zum Lauschen können wir nur Einen nehmen, der zu entbehren ist.«

»Den Förster oder seinen Sohn?«

»Nein. Beide sind des Englischen nicht recht mächtig und übrigens hier unbekannt. Die Gefangenen werden Namen bringen und über Verhältnisse sprechen, welche zu verstehen man Westmann sein muß. Ich werde den langen Tim an das Loch postiren.«

Sie begaben sich wieder nach oben. Dort fanden sie den dicken Sam noch dabei, die Gefangenen auszufragen. Er wollte soeben wissen, wo sie ihre Pferde stehen hätten. Sie sagten es ihm nicht.

»Mögen sie schweigen,« meinte der Häuptling. »Die »starke Hand« ist hinter ihnen her und weiß Alles. Sie haben einen Mann mit den Pferden bei den vier Cedern zurückgelassen, welche jenseits des Felsenrandes stehen. Ich werde sie holen und der »dicke Bauch« und die beiden Itseh werden mich begleiten.«

»Itseh? Was bedeutet das?« fragte Sam.

»Es bedeutet so viel wie Hölzer,« antwortete Steinbach lachend.

»Hölzer? Wen meint er damit?«

»Natürlich Jim und Tim.«

»Sapperment! Darauf könnt Ihr Euch viel einbilden, Ihr Zwei. Also Hölzer seid Ihr! Hm! Nicht übel! Gut, wir gehen mit.«

»Tim wird hier bleiben, ich brauche ihn.«

»Wozu? Ihr spielt wirklich den Kommandanten, Master Steinbach. Uebrigens, wie kommt Ihr denn dazu, zu wissen, was Itseh und Entschar-til bedeutet? Ich wußte es nicht, trotzdem ich mich gut auf Indianerdialect verstehe, und Ihr als Neuling wißt es. Das kann ich nicht begreifen!«

»Es hat mir einmal davon geträumt.«

»So! Also ein altes Traumbuch seid Ihr? Na, meinetwegen. Jetzt aber fort mit den Gefangenen!«

Tim wurde an seinen Posten placirt. Er entfernte den Stein, legte sich lang ausgestreckt auf den Boden hin und hielt das Ohr an das Loch. Dann wurden die Buschheaders in das Gewölbe geschafft und dort eingeschlossen.

Als Diejenigen, welche dies besorgt hatten, nach oben zurückkehrten, fanden sie Almy, die »Taube des Urwaldes«, ihrer wartend. Diese war gewöhnt, bereits früh am Abende die Ruhe zu suchen. Sie hatte dies auch heute gethan, war aber durch das in der Einsamkeit der Mission ungewöhnliche Geräusch wieder erweckt worden. Jetzt wollte sie sich nach der Ursache desselben erkundigen. Sie hatte erfahren, daß der rothe Burkers mit seinen Buschheaders kommen wolle, hatte aber, gerade wie die Anderen, nicht geglaubt, daß dies bereits heute geschehen werde. Darum war sie ganz sorglos zur Ruhe gegangen und zeigte sich nun nicht wenig erstaunt, als sie erfuhr, was geschehen sei.

Nun sollten die Pferde der Gefangenen geholt werden. An Tim's Stelle ging Steinbach mit. Es dauerte nicht lange, so brachte man die Thiere und den Mann dazu, welcher bei ihnen zurückgelassen worden war. Er wurde natürlich sogleich zu den Anderen eingesperrt.

Jetzt glaubte Wilkins alle Gefahr vorüber und erschrak nicht wenig, als er von Steinbach hörte, daß dreihundert Maricopa-Indianer im Anzuge seien. Steinbach mußte erzählen, wie er dies erfahren hatte. Als Sam das hörte, sagte er erstaunt:

»Wie? Was? Höre ich recht? Ihr, Master Steinbach, habt es gewagt, Euch unter das Fenster zu legen?«

»Wie Ihr hört, ja.«

»Und Ihr habt gewußt, daß die Kerls kommen würden?«

»Natürlich.«

»Seid Ihr denn bei Troste! Ihr, ein Neuling, wagt so Etwas! Wenn sie Euch nun kapanirt hätten!«

»So gefährlich war es doch nicht!«

»Nicht? Ja, da sieht man wieder einmal, wie dreist und unvorsichtig so ein Muttersöhnchen ist. Wenn ich es gethan hätte, so ließe ich es mir gefallen, ich bin doch der Kerl dazu, aber Ihr, da muß –«

»Na, beruhigt Euch! Es ist gelungen und damit wollen wir uns zufrieden geben.«

»Daß es gelungen ist, habt Ihr lediglich Eurem guten Glück zu verdanken. Ich werde aber dafür sorgen, daß so Etwas nicht wieder vorkommt. Erst müßt Ihr noch Vieles lernen, ehe man Euch solche verantwortliche Posten anvertrauen darf. Also die Maricopa's kommen! Mir soll es recht sein. Ich fürchte mich nicht vor ihnen. Aber, was wollen sie?«

»Sie wollen Zweierlei. Erstens haben sie eine Absicht auf die »Taube des Urwaldes« und auf die Schätze, welche sich am Silbersee befinden, und zweitens –«

Sam unterbrach ihn, sich an Wilkins wendend:

»Man spricht und hört so viel von diesen Schätzen. Ist denn etwas Wahres daran?«

»Man täuscht sich außerordentlich,« antwortete der Gefragte ausweichend.

»Nun, so mögen die rothen Herren kommen und sich holen, was nicht da ist. Und zweitens?«

»Zweitens wollen sie eine weiße Frau auf den Gräbern der Häuptlinge opfern.«

»Habt Ihr das wirklich gehört?« fragte Wilkins rasch.

»Jawohl.«

»Das kommt mir sonderbar vor. Der Silbersee ist der Friedens- und Begräbnißplatz berühmter Häuptlinge der Apachen und Comanchen. Die Krieger dieser beiden sich stets bekämpfenden Stämme sollen in Frieden hier neben einander ruhen. Ein Maricopa ist hier niemals begraben worden; also kann auch auf seinem Grabe nicht geopfert werden.«

»So opfern sie auf dem Grabe eines Apachen oder Comanchen,« meinte Sam.

»Unmöglich. Kein Indianer bringt dem todten Häuptlinge eines anderen Stammes irgend ein Opfer, zumal eines feindlichen Stammes. Die Maricopa's jagen am Gila und sind Blutsfeinde der Apachen und Comanchen. Das mit der weißen Frau muß einen anderen Grund und einen anderen Zweck haben.«

Da sagte die »starke Hand«:

»Die Hunde der Maricopa's sind aus ihren Löchern gekrochen, um die Gräber der Apachen zu besudeln und zu entehren. Das ist die größte Schande, welche man einem Stamme anthun kann. Die »starke Hand« wird diese Hunde mit der Peitsche zurücktreiben und ihrer so viele erschlagen, daß der Gila überfließen soll von ihrem Blute und von den Jammerthränen ihrer Weiber und Töchter. Ich gehe sogleich, ihnen entgegen zu reiten und zu sehen, wo sie ihr Lager aufgeschlagen haben.«

»Im Dunkeln!« sagte Sam erstaunt.

»Dem Häuptlinge der Apachen ist die Nacht wie der Tag,« sagte der Indianer stolz.

»Aber Du kennst ja die Richtung gar nicht, aus welcher sie kommen!«

»Blamirt Euch nicht, Master Sam!« meinte Steinbach.

»Blamiren? Ich? Mich? Was fällt Euch ein? So ein in Herlasgrün ausgebrütetes Ei kommt als grünes Küchlein herüber in das Felsengebirge und sagt zu so einem alten, erfahrenen Kampf- und Streithahne, daß er sich nicht blamiren solle. Das ist mir doch noch mehr als stark, das ist stärker, nein, das ist sogar am Stärksten, am Allerstärksten!«

»Nicht gar so sehr, wie Ihr denkt. Ihr kennt doch wohl die Maricopa-Indianer?«

»Jedenfalls besser als Ihr!«

»Nun, was sind sie denn für Leute?«

»Wollt Ihr mich etwa examiniren, oder soll ich Euch unterrichten, Sir?«

»Ich will unterrichtet sein, Master Sam.«

»Das will ich mir gefallen lassen. Wäre es das Erstere gewesen, so hättet Ihr keine Antwort erhalten, sondern etwas ganz Anderes. Also die Maricopa's werden mit zu den Pueblo-Indianern gerechnet, sind ein höchst kriegerischer Stamm und wohnen mit den ebenso gefährlichen Papago-Indianern am Gilaflusse. So, jetzt wißt Ihr es.«

»Ich danke Euch,« sagte Steinbach ernst. »Ihr seid wirklich der Mann, von dem man Etwas erfahren und lernen kann. Wenn nun die Maricopa's am Gila wohnen, so kommen sie also jetzt vom Gila her?«

»Natürlich! Das ist überhaupt eine höchst geistreiche Frage, mein bester Master Steinbach. Der Regen steckt in den Wolken, also muß er auch aus den Wolken kommen. Man merkt nicht, daß Ihr aus Herlasgrün stammt. So sehr dumm sind die Leute dort doch nicht!«

»Sehr verbunden! Ich meine nur, daß wir uns hier nördlich von den Quellen des Gila befinden, und darum denke ich, daß sich die Maricopa's nicht an der Südseite des Flusses gehalten haben werden.«

»Jedenfalls nicht, Herr Professor der Geographie. Da kämen sie nach Mexiko, nicht aber zu uns herauf.«

»Schön. Aber auf dieser Route liegt ihnen doch wohl Silver-City im Wege, wo sie sich nicht sehen lassen dürfen.«

»Das lassen sie rechts liegen.«

»Dann kommen sie ja nach Fort West, wo man ihnen sogleich den Garaus machen würde.«

»So weit gehen sie natürlich nicht. Sie lassen das Fort links liegen. Ihr freilich würdet entweder nach Silver-City oder nach Fort West rennen, um Euch dort die Nase einzustoßen; diese rothen Leute aber sind klüger als Ihr, sie reiten zwischen beiden hindurch.«

»Ja, ja, das ist wahr. Aber Ihr seid doch noch viel klüger als sie. Ihr seid ein Mann, von dem man sehr viel lernen kann. Doch, mein lieber Master Sam, sagtet Ihr nicht soeben noch zu der »starken Hand«, daß man nicht wissen könne, woher sie kommen?«

»Ja.«

»Und nun habe ich es doch aus Euch herausexaminirt, daß sie zwischen Silver-City und Fort West kommen werden! Wer ist da der Dumme und der Kluge, der Schüler und der Lehrer?«

Jetzt erkannte Sam, daß er übertölpelt worden sei. Er öffnete den Mund, blickte Steinbach ganz betroffen an und sagte:

»Heiliges Pech! Jetzt weiß ich wirklich nicht, woran ich bin! Das habt Ihr gut gemacht, wirklich sehr gut! Aber es ist ja eben nur ein Zufall. Dennoch will ich gern gestehen, daß ich ohne Eure dummen Fragen nicht darauf gekommen wäre. Es ist ganz richtig, daß die Rothen aus der angegebenen Richtung kommen müssen. Südlicher oder nördlicher können sie sich gar nicht wenden.«

»Ich freue mich, daß Ihr einseht, welche guten Erfolge einmal auch die Dummheit haben kann. Nun habe ich aber belauscht, daß die Maricopa's bereits morgen hier sein können. Sie sind also keinen Tagesmarsch mehr entfernt. Wo werden sie da während der Nacht wohl lagern?«

»Hm! Ich bin sonst nicht auf den Kopf gefallen, aber allwissend bin ich doch nicht.«

»Aber nachdenken kann man, ohne allwissend zu sein. Werden sie vielleicht hier in der Nähe liegen?«

»Nein, fällt ihnen gar nicht ein.«

»Oder in der Nähe der beiden genannten Orte?«

»Gewiß nicht. Sie liegen rückwärts von diesen.«

»Schaut, wie richtig Ihr zu antworten versteht, wenn man Euch nur richtig fragt! Wann werden sie zwischen den Orten hindurchpassiren?«

»Heute, wenn es dunkel geworden ist. Wir müssen »heute« sagen, weil Mitternacht vorüber ist.«

»Ich bin ganz Eurer Meinung. Sie werden also bis zu dieser Zeit hinter der Linie, welche man von Silver-City nach West Fort zieht, liegen bleiben. Das giebt uns Muße, sie des Tages über zu beobachten.«

»Das klingt nicht übel. Aber das Anschleichen ist schon des Nachts eine schwierige Sache, bei Tage also doppelt und zehnfach schwer. Es dürfen also nur die gewandtesten Männer dazu genommen werden. Wer soll gehen?«

»Ehe wir das bestimmen, ist es nothwendig, über den Ort nachzudenken, wo die Rothen sich lagern werden. Kennt Ihr die Gegend, Master Sam?«

»So leidlich. Als ich damals hier am Silbersee war, bin ich da hinunter geritten.«

»Macht nicht der Gila hinter der Silver-City einen ziemlichen Bogen nach Süden?«

»Ja. Woher wißt Ihr das?«

»Nebensache. Er ist dort seicht und schmal und kann sehr leicht überritten werden. Das Wasser reicht den Pferden nicht bis an den Leib. Das Land, welches innerhalb dieses Bogens liegt, trägt einen dichten Urwald. Am Ufer steht Schilf und dichtes Gestrüpp, dazwischen Gras, genug für viele Pferde. Dort werden die Rothen gehalten haben.«

»Verflucht! Ich werde freilich ganz irre an Euch! Ja, es giebt kein besseres Versteck für sie, als jene Stelle. Mitten im Urwalde, vorn vom Flusse bedeckt, sind sie so sicher wie in Abrahams Schooß. Dort und nirgends anderswo sind sie zu suchen und zu finden. Hin müssen wir, um zu sehen, woran wir sind. Wer geht?«

»Die »starke Hand« geht,« sagte der Häuptling.

»Und ich auch!« meinte Sam.

»Die »starke Hand« wird allein reiten. Wenn der »dicke Bauch« auch gehen will, so mag er es thun. Aber ich rathe ihm, einen starken Beschützer mitzunehmen.«

Sam war ganz sprachlos vor Erstaunen. Es dauerte fast eine Minute, ehe er, den Häuptling anstarrend, die Antwort fand:

»Ich? Einen Beschützer? Donnerwetter! Wen denn?«

»Meinen weißen Bruder Steinbach.«

»Den? Na, das wäre ja lustig! Der würde mir das ganze Geschäft verderben, anstatt mich beschützen!«

»Na, versucht es doch einmal,« bat Steinbach ironisch.

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Ich denke, Ihr wollt mein Lehrer sein!«

»Hm! Das wohl! Aber Ihr macht mir Albernheiten und bringt uns in Gefahr!«

»Ich werde mir die möglichste Mühe geben.«

»Wirklich? Na, Ihr habt Euch jetzt nicht ganz so unklug benommen, wie ich es Euch zugetraut hatte. Darum will ich es einmal mit Euch versuchen.«

»Aber ich!« fiel Jim ein. »Soll ich etwa dableiben?«

»Ja,« erklärte Sam. »Die halbe Welt braucht nicht mitzugehen. Pflege Dich, Langer. Du hast die Aufgabe, die Mission und die »Taube des Urwaldes« zu beschützen.«

Da fiel der junge Apache schnell ein:

»Der »flinke Hirsch« beschützt die »Taube«. Er braucht keinen Zweiten.«

Es klang wie eifersüchtiger Ehrgeiz aus seinen Worten. Aber sein Oheim, der Häuptling, wies ihn zurecht:

»Es nahen viele Feinde, da ist ein Arm zum Schutze nicht genug. Die weißen Freunde mögen das Haus mit hüten. Die »starke Hand« reitet jetzt fort. Er wird nach Norden gehen, um an Fort West vorüber den Maricopa's in den Rücken zu kommen.«

»So halten wir Beide, Master Sam, uns nach Süden,« sagte Steinbach. »Wir reiten um Silver-City herum und kommen den Indsmen von der anderen Seite in den Rücken. Dort treffen wir vielleicht mit der »starken Hand« zusammen.«

»Ich habe eine andere Ansicht,« meinte Sam. »Mit diesem Umwege vergeuden wir eine kostbare Zeit, und so halte ich es für besser –«

Da aber fiel ihm der Häuptling in die Rede:

»Der »dicke Bauch« wird es für besser halten, zu thun, was unser weißer Bruder Steinbach gesagt hat. Ich erwarte das ganz bestimmt. Howgh!«

Er drehte sich um und ging hinaus.

Das indianische Wort Howgh ist fast allen verschiedenen Stämmen gemein. Es wird von allen Nationen gebraucht und hat eine sehr veränderliche Bedeutung. Meist aber heißt es so viel wie eine Bekräftigung, also »Pasta, abgemacht! So ist es und anders wird es nicht.«

Die »starke Hand« hatte das mit Nachdruck gesprochen. Sam sah nach der Thür, hinter welcher der Häuptling verschwunden war, und sagte, den Kopf schüttelnd:

»Na, Herr Jesses! Ich darf doch auch wohl eine Meinung haben! Aber meinetwegen, wir wollen es so machen, wie er es angegeben hat. Wann reiten wir?«

»Jetzt noch nicht. Erst muß ich hinunter zu Tim,« antwortete Steinbach.

»Ist das denn so nothwendig?«

»Mehr als alles Andere.«

»Aber wir versäumen eine kostbare Zeit.«

»Wir holen sie wieder ein.«

»Inzwischen wird es Tag!«

»Das ist desto besser für uns. Wir sehen, wo wir uns befinden und wer in der Nähe ist. Uebrigens wird Euch Master Wilkins eins seiner guten Pferde geben, da das Eurige ermüdet ist.«

»So tauscht nur das Eurige ebenso um! Euer Ziegenbock würde bald zusammenbrechen.«

Steinbach begab sich hinunter nach der Parterrekammer, wo beim Scheine eines Lichtes Tim an der Erde lag. Als er Steinbach eintreten sah, erhob er sich und sagte:

»Verdammte Aufgabe! Soll ich etwa die ganze Nacht so liegen bleiben?«

»Nein, Master Tim. Das verlange ich nicht.«

»Will mir es auch verbitten. Ich steche mir ja alle Knochen durch die Haut!«

»Schafft Euch Fett zwischen Haut und Knochen an! Wie steht es, haben die Kerls gesprochen?«

»Nur leise geflüstert. Sie glaubten, es sei Jemand draußen an der Thür stehen geblieben, um zu horchen. Erst als der Letzte gebracht worden, hörten sie Wilkins, der ihn brachte, fortgehen, und seitdem reden sie lauter. Aber es ist nichts für uns Wichtiges. Erst jetzt fing der Eine, der sich Newton nannte, von der Türkei an.«

»Das muß ich hören.«

Steinbach legte sich nieder und horchte. Aber das Gespräch hatte bereits eine andere Wendung erhalten. Er hörte den früheren Derwisch sagen:

»Wenn sie nur wenigstens Dich nicht erwischt hätten. Du hättest nach Prescott reiten können, um Walker zu unserer Rettung herbei zu holen.«

»Vielleicht hätte ich ihn gar nicht gefunden!«

Der dieses sagte, war jedenfalls Derjenige, welcher bei den Pferden zurückgeblieben gewesen war.

»Freilich,« antwortete der Derwisch. »Er nennt sich natürlich dort nicht Walker. Er heißt Zennort und wohnt in einer Cottage in den Mogollon Bergen.«

»Das ist doch nicht in Prescott!«

»Nein. Man hat von dort aus noch vier Stunden zu reiten. Aber in diesem Lande wird das gar nicht so genau gerechnet. Uebrigens würde Dich jeder Besitzer einer Kneipe zu ihm weisen. Nun aber erzählt mir, wie es eigentlich gekommen ist, daß man Euch abgefangen hat, wie die Krammetsvögel!«

Das wußte Steinbach natürlich ganz genau. Er brauchte es nicht zu hören. Darum gab er seinen Lauscherposten auf. Uebrigens hatte die Minute, welche er bei dem Loche zugebracht hatte, reichliche Frucht gebracht. Er wußte jetzt Walker zu finden.

Er legte den Stein auf das Loch und entfernte sich mit Tim, um seinen Ritt anzutreten.

Er fand Sam, den Dicken, im Hofe, beschäftigt, einen ihm von Wilkins anvertrauten Braunen zu satteln.

»Was für ein Pferd werdet Ihr nehmen?« fragte Barth.

»Das meinige.«

»Zu einem solchen Ritte?«

»Ja.«

»Aber bedenkt, daß es müde ist, daß wir recognosciren reiten, daß wir dabei in Gefahr kommen können und es wohl einen Ritt auf Tod und Leben geben kann.«

»Da wären wir sehr dumme Kerls!«

»Wieso?«

»Gäbe es einen Ritt auf Tod und Leben, so hätte man uns bemerkt, und wir hätten unsere Sache also höchst unklug angefangen.«

»Nun, wollen hoffen, daß ich Euch klüger finde, als ich jetzt denke. Vorwärts also!«

Sie wollten aufbrechen. Da kam aber Wilkins nach, um ihnen Adieu zu sagen.

»Fürchtet Euch nicht,« meinte Sam. »Wir werden für Euch wachen. So lange wir nicht zurück sind, hat es keine Gefahr für Euch.«

»Danke, Sir! Uebrigens verlasse ich mich auch ein Wenig auf mich selbst. Sobald Ihr fort seid, werde ich das Wasser los lassen, dann sind bis zum Mittag wenigstens hundert tüchtige Krieger der Apachen hier am See beisammen.«

»Laßt sie aber nicht sehen,« sagte Steinbach, »sondern nehmt sie in das Haus herein. Es steht nämlich zu erwarten, daß die Maricopa's Kundschafter senden.«

Jetzt brachen die Beiden auf.

Der Morgen dämmerte, und als sie die Schlucht, welche Steinbach heute herauf gekommen war, hinab geritten waren und dann die Vorberge hinter sich und die Ebene vor sich hatten, war es vollends Tag geworden.

Steinbach lenkte nach Süden, um einen weiten Bogen zu schlagen. Sam machte Einwendungen, aber wunderbarer Weise war Steinbach's alter Gaul dem Pferde des Dicken immer acht bis zehn Längen voraus. Sam konnte gar nicht recht zu Worte kommen.

Nach zwei Stunden hatten sie Silver-City zur Rechten und lenkten nun nach West ein, dann mehr nach Nord zurück, bis sie auf den Fluß trafen.

»Aber, Master, was fällt Euch denn ein, in dieser Weise mit mir – Donnerwetter!«

Steinbach hatte nämlich von der Klage des Dicken gar keine Notiz genommen, sondern sein Pferd in einem kühnen Satze in den Fluß getrieben. Erst am anderen Ufer hielt er an. Als Sam dort ankam, keuchte er:

»Mensch, ich bin ganz außer Athem! Ihr reitet ja wie der Tod, und Euer Vieh rennt wie der Teufel! Laßt mich doch endlich einmal reden! Wir befinden uns viel zu weit nordwärts. Wir müssen weiter nach Süd!«

»Meint Ihr? Hm! Wollt Ihr nicht absteigen?«

»Warum?«

»Weil ich die Pferde hier in dieses famose Dickicht verstecken will.«

»Was fällt Euch ein! Ich meine, daß –«

*


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