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40

»So gebt Master Walker, wenn er als Negerin geht, einen männlichen Begleiter mit, damit die Sache noch mehr causa bekommt. Der Gentlemen mag einen Sack tragen und die Lady einen Korb. Es sollte mich sehr wundern, wenn die Belagerer sich groß um dieses Paar bekümmern sollten.« –

Es war um die Zeit zwei Stunden nach Mitternacht. Da mußten die schwarzen Arbeiter hinaus auf die Felder, jede Person an den ihr zugewiesenen Platz. Erst gingen sie in einem dichten Haufen. Dieser theilte sich nach und nach in einzelne Gruppen; die Gruppen lösten sich weiter auf, bis zuletzt nur einzelne Personen oder höchstens ein Paar zu sehen waren. Eins dieser Paare schritt langsam am Rande des Reisfeldes nach dem Flusse hinab. Es war ein Neger und eine Negerin.

Er hatte eine riesige Angelruthe in der Hand, und sie trug einen großen irdenen Krug auf dem kurzwolligen Kopfe. Sie flüsterten mit einander, während ihre Augen verstohlen suchend nach allen Seiten schweiften.

Am Flusse angekommen, setzten sich Beide an das Ufer nieder. Er befestigte den Köder an den Haken und ließ ihn so in das Wasser fallen. Sie hatte den Krug, mit Wasser gefüllt, neben sich gestellt und begann, aus schnell gepflückten, umherstehenden Blumen einen Kranz zu winden, welchen sie sich, als er fertig war, auf den Kopf setzte. Viel werth war dieser Kranz nicht. Die Niggerin schien kein Geschick für solche Art von Arbeit zu besitzen.

Unterdessen unterhielten sie sich weiter, die Negerin nur mit leiser Stimme. Da raschelte es seitwärts in den Büschen. Dort hatte ein Mann gesteckt. Als er sich jetzt emporrichtete, erkannte die Negerin in der langen Gestalt, dem eigenthümlichen Anzüge und den verwetterten Gesichtszügen Tim, den Trapper.

Er kam langsam näher und grüßte:

» Good day, Niggers! Was thut Ihr da?«

»Nigger fangen Fische,« antwortete der männliche Angler.

»O nein. Massa will carps (Karpfen) essen.«

»Welcher Massa?«

»Massa Leflor. Will essen sehr gut viel große carps

»Ah! Ihr gehört zu Leflor?«

» Yes, Massa.«

»Da Du fischen gehst, bist Du wohl im Hause beschäftigt?«

» O yes! Ich bin Pluto, und Pluto arbeitet in der Küche.«

»Ist diese hier Dein Weib?«

»Weib? Nein. Diese ist Mally, und Mally wird sein meine Frau.«

»Also Deine Braut?«

» Yes, Braut, Massa.«

»Ist sie auch in der Küche?«

» O yes! Mally kocht in Küche viel großen fetten carps für Massa.«

»So wißt Ihr wohl auch, wer im Hause wohnt?«

»Massa Leflor wohnt in Haus.«

»Das versteht sich! Habt Ihr Gäste?«

»Gäste? Pluto nicht wissen, was sein Gäste.«

»Ich meine, ob Fremde da sind, für welche Ihr mit kochen müßt.«

» O yes! Zwei Fremde.«

»Wer ist das?«

»Massa Nohary und Massa – Massa – – –«

»Nun, wie heißt der Andere?«

»O, Pluto hat vergessen.«

»Vielleicht Walker?«

» Yes, yes! Massa Walker.«

»Was thut Master Walker?«

»Hat gessen. Wird fahren in Cap, o nein, sondern in groß schön Kutsche.«

»Wohin?«

»Pluto nicht wissen. Massa Walker fahren mit Massa Nohary.«

»Vielleicht nach Van Buren?«

» Yes, yes! Van Buren.«

»Wann?«

»Jetzt bald anspannen.«

»Schön, sehr schön! Wünsche Euch viel Glück! Macht guten Fang!«

»Dank, Dank! Massa auch mach guten Fang, großen carp

Er sagte das so treuherzig, mit so aufrichtiger Miene. Aber als der Jäger fort war, lachte er vor sich hin und meinte:

»Der wird keinen Fang machen; er geht, um die beiden Andern zu holen, und dann werden sie sich in der Richtung nach Van Buren aufstellen. Jetzt sind wir sicher. Wir werden ein Floß bauen, und Ihr geht an das andere Ufer. Bis heut Abend seid Ihr in Sicherheit.«

Als am Abende der schwarze Kutscher Leflors, welcher den Notar nach Van Buren gefahren hatte, zurückkehrte, berichtete er auf die Frage seines Herrn, daß er unterwegs von drei bewaffneten Männern, zwei langen und einem sehr dicken, der ein Bärenfell getragen habe, angehalten worden sei. Sie hatten in das Innere des Wagens geblickt, ihn aber unbelästigt passiren lassen, als sie sich überzeugt hatten, daß nur der Notar vorhanden war.

Diese drei Männer wurden, allerdings einzeln und nicht beisammen, noch mehrere Male in der Gegend gesehen, bis nach mehreren Tagen der schwarze Pluto wieder fischend am Flusse saß und Tim sich abermals zu ihm gesellte. Der Jäger frug den Schwarzen nach verschiedenen Dingen, erhielt aber nur kurze und mürrische Antworten.

»Du hast heut schlechte Laune. Es fehlt Dir wohl Mally, Deine Braut?«

»Mally? O, Pluto mag nichts wissen von Mally.«

»Warum? Hat sie Dich betrogen?«

»Sehr groß Betrug. Massa Leflor auch sein großer Betrug.«

»Auch er hat Dich betrogen?«

» Yes, sehr!«

»Wieso denn?«

»Massa mir geben Mally-Mally neu auf Plantage, Mally meine Braut. Ich mit Mally fischen – hier, da!«

»Wohl als ich mit Euch sprach?«

» Yes, yes, Massa! Ich geben will Mally einen Kuß. Mally mir giebt Ohrfeige und springen hier ins Wasser.«

»Donnerwetter! Die war nicht allzusehr verliebt in Dich, wie es scheint. Was that sie dann?«

»Schwimmen hinüber über Fluß. Drüben ausziehen Weiberkleid. Darunter Männerkleid. Nachher sich waschen – sein gar nicht mehr Braut, nicht mehr Mally.«

Da machte der Jäger eine Bewegung des Schreckens. Das hatte er nicht erwartet. Er fragte:

»Es war also kein Mädchen mehr, als sie sich gewaschen hatte? Keine Mally?«

»Nicht Mädchen, nicht Mally und nicht Negerin.«

»Alle Teufel! Sie war weiß?«

»Ja. Schwarze Haut weggewaschen.«

»Kanntest Du das Gesicht?«

»Sehr viel! War Massa Walker.«

»Walker! Da sollen doch sofort alle neunundneunzigtausend Teufel dreinschlagen! Hast Du denn auch richtig gesehen?«

» Yes! Blicke sehr viel gute Augen.«

»So ist er entkommen, geflohen bereits seit vier Tagen! Weißt Du nicht, wo er hin ist?«

» Yes. Sehr!«

»Nun?«

»Er mir herüberrufen: Wenn Jemand fragen, ich soll sagen, er sein nach Trippsdrille. Drei Massa mögen nachkommen, zwei lang Massa und ein dick Massa.«

»Hole ihn der Henker! Auch noch spotten! Und ich habe hier bei ihm gestanden, habe ihn angesehen, konnte ihn mit allen beiden Händen und allen zehn Fingern ergreifen! Mensch, Schwarzer, Pluto, hast Du denn fast geglaubt, daß er ein Mädchen war?«

»Hab geglaubt.«

»Und daß er eine Schwarze war?«

»Eine Schwarze, yes

»Aber hast Du sie denn nicht angegriffen?«

» Yes, sehr! Bei Hand und Wange.«

»Da mußt Du doch bemerkt haben, daß er sich nur angemalt hatte. Er muß ja abgefärbt haben, und Du mußt schwarz geworden sein!«

»Schwarz? Pluto schwarze Flecke bekommen?«

Er hielt ihm die nackten, pechdunklen Arme entgegen und lachte aus vollem Halse. Da sah Tim ein, welch eine Dummheit er begangen habe. Er versetzte dem Schwarzen einen Fußtritt und knurrte grimmig:

»Feixe nicht, Orang-Outang! Ich glaube gar, Du machst Dich über mich lustig!«

»Warum nicht lustig? Pluto genau wissen, daß Mally nicht Mädchen. Mally war Massa Walker. Pluto haben Massa Walker anmalen und über Fluß schaffen. Massa Tim Snaker kein Orang-Outang, aber ein gewaltig groß viel Esel und unendlich viel Dummkopf!«

Ehe der Jäger sich nur recht in den Inhalt dieser Worte hinein zu denken vermochte, war der verschlagene Schwarze von seinem Sitze aufgeschnellt, hatte Angelruthe und Topf ergriffen und jagte mit der Schnelligkeit eines trabenden Pferdes davon.

Tim stand noch lange Zeit mit offenem Munde da und starrte nach der Richtung, in welcher der Neger verschwunden war. Seit dieser Stunde aber ließen sich die drei Jäger in dieser Gegend nicht mehr sehen, bis einst nach ungefähr – – – doch das darf erst später berichtet werden. – – –

Kurz nachdem an jenem Nachmittage der Notar nach Van Buren gefahren war, hatte auch Leflor seine Pflanzung verlassen, nicht zu Wagen, sondern zu Fuße. Er ging langsam und nachdenklich in der Richtung nach Wilkinsfield, von wo er gestern zweimal in so verhängnißvoller Weise fortgewiesen worden war. Wollte er etwa wieder hin? Er machte einen Umweg, um nicht an dem noch belagerten Blockhäuschen vorüber zu müssen. Er war sehr sorgfältig gekleidet. Die Geschwulst seines seit gestern mit Arnica behandelten Gesichtes hatte nachgelassen. Auf seinen Zügen prägte sich Spannung, Schadenfreude, Haß und Triumph aus.

Er suchte seinen Weg unter den Bäumen, da wo es keine Bahn gab, bis er gerade gegenüber der oft genannten Veranda angekommen war. Als er hinüber zu derselben blickte, sah er Almy. Sie befand sich nicht, wie gestern früh, im leichten Morgengewande; sie war in vollständiger Toilette, deren Taille nach südlicher Pflanzerart ausgeschnitten war. Sie hatte auf einem leichten Rohrsessel Platz genommen und hielt ein Buch in der Hand. Aber sie las nicht in demselben. Zwar ruhte ihr Auge zuweilen für einige kurze Sekunden auf den Zeilen, es erhob sich dann aber wieder von denselben und schweifte ungeduldig nach der Richtung, in welcher die Blockhütte lag. Sie schien von dorther Jemand zu erwarten.

»Wie schön sie ist, wie wunderbar schön!« murmelte Leflor. »Ich habe noch niemals ein solches Mädchen gesehen. Sie hat nicht die dürre, langhalsige Gestalt und das hektische, gelangweilte und darum wieder langweilende Gesicht einer Yankeedame, aber auch nicht die übermäßigen Formen einer Millionärin aus niederländischem Blute, nicht das matte, charakterlose Blond einer Dame aus dem frommen Philadelphia und doch auch nicht den dunklen Teint einer übermüthigen und anspruchsvollen Bewohnerin von Baltimore. Sie ist eine Vermählung mit den Göttinnen von Juno, Venus und Flora. Man kann sie eigentlich nach gar keinem Typus classificiren, und – – ah!«

Von daher, wohin Almy so ungeduldig blickte, kam jetzt Adler, der Oberaufseher. Sie erhob sich schnell, trat an die Brüstung der Veranda und rief, noch ehe er nahe gekommen war:

»Monsieur Adler! Gut, daß Ihr kommt! Wie steht es draußen bei der Hütte?«

»Sehr gut, Mademoiselle,« antwortete er, schnell seine Schritte beschleunigend.

»Habt Ihr sie?«

»Nur eingeschlossen.«

»O wehe! Da giebt es Kampf!«

»Ich glaube nicht.«

»Wenn das doch zu vermeiden wäre. Ich habe gar so große Angst.«

»O, Ihr braucht Euch doch nicht zu sorgen!«

»Ich nicht? Ich glaube doch, ich am Allermeisten.«

»Darf ich fragen, weshalb?«

»Nun, Pa wird ganz sicher mitkämpfen.«

»Das wird er doch nicht thun!«

»Er wird es, Sir. Ich kenne ihn.«

»So werde ich ihm abrathen.«

»Ihr Rath wird keinen Erfolg haben.«

»So werde ich ihn zwingen, von einer Betheiligung am Kampfe abzusehen.«

»Glaubt Ihr, daß er sich zwingen läßt?«

»Ja Ich werde mich an den Offizier wenden, dessen Anordnung er sich zu fügen hat.«

»O, wenn Ihr das wirklich thun wolltet!«

»Ich thue es sicher.«

»Ich danke Euch, Sir! Aber – – werdet auch Ihr von der Betheiligung am Kampfe absehen?«

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

»Das wird nicht möglich sein, Miß Almy.«

»O doch! Warum sollte es nicht möglich sein?«

»Weil ich der eigentliche Anführer bin. Nach meiner Anordnung ist bisher Alles geschehen. Was wir bisher gethan haben, war für uns nicht gefährlich. Darf ich da feig zurücktreten, wenn es beginnt, Gefahr zu geben.«

»Nein, nein! Feig soll man Euch nicht nennen, Euch gar nicht! Aber Ihr habt es doch nicht nöthig, Euch dorthin zu stellen, wo es am Gefährlichsten ist.«

»Diese Stelle kennt man leider vorher nicht.«

»Nun, Ihr werdet doch bald merken, wo die meisten Kugeln pfeifen?« Sie sprach in einem außerordentlich besorgten Tone.

»Ja,« antwortete er, »das werde ich freilich merken.«

»Schön! Und wenn Ihr es merkt, so geht Ihr schnell an eine andere Stelle.«

»O, das würde auffallen. Miß!«

»Dieses Auffallen ist lange nicht so schlimm, wie das Umfallen, Sir!«

»Umfallen? Wie?«

»Wenn Euch eine Kugel trifft, so fallt Ihr doch um.«

»Ach! Das hat nichts zu bedeuten!«

»Nichts? Mein Gott! Dann seid Ihr ja todt!«

Sie war bleich geworden, während er in einem leichten, unbesorgten Tone gesprochen hatte. Jetzt aber wurde sein Gesicht auch ernst. Er antwortete, auf jedes Wort einen besonderen Nachdruck legend:

»Der Todte ist glücklich!«

»Wie! Habt Ihr Euer Leben so wenig lieb?«

»Für wen hätte es denn einen Werth?«

»Für Euch doch!«

»Pshaw!«

Er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand und fügte dann hinzu:

»Das Leben ist für den Menschen nur dann von Werth, wenn es auch für Andere werthvoll ist.«

»Ich kann Euch gar nicht Recht geben, Sir!«

»Nun, es ist mit dem Leben genau so wie mit dem Reichthume. Bin ich etwa reich, wenn ich eine Million oder einige Millionen besitze?«

»Ganz gewiß.«

»Ich setze aber nun den Fall, diese Millionen hätten für Andere keinen Werth? Ich will annehmen, ich besäße drei Millionen in Papieren einer Actiengesellschaft, welche vollständig Bankerott gemacht hat, so daß kein Gläubiger einen Penny bekommt. Wäre ich in diesem Fall reich?«

»Ganz und gar nicht, sondern im Gegentheile sehr arm und bedauernswerth.«

»Nun seht, so ist es auch mit dem Leben. Mein Leben hat für mich ganz genau denselben Werth, den es für Andere hat. Ist es Andern sehr gleichgiltig, ob ich lebe oder sterbe, nun, so kann ich eben ruhig sterben, da mir das Leben doch keine Genugthuung bringt.«

»Ich vermag nicht, Euch in Euren Anschauungen und Erklärungen zu folgen. Ich kann aber nicht glauben, daß Ihr denkt, Euer Leben habe für Andere keinen Werth.«

»Für wen sollte es Werth besitzen!«

»Nun, für Pa zum Beispiel.«

»Weil ich sein Beamter bin? O, wenn mich die Buschheaders niederschießen sollten, so bekommt er ja recht bald einen anderen Aufseher. Das weiß er genau.«

»Aber keinen solchen! Er schätzt und achtet Euch nicht wie einen Angestellten, sondern wie einen Freund!«

»Vielleicht!«

Er zuckte die Achsel. Es legte sich ein Zug tiefer Wehmuth über sein schönes Gesicht.

»Vielleicht? Nein, ganz gewiß!« beeilte sich Almy zu sagen. »Und außer ihm giebt es auch noch Leute, welche gar nicht wünschen, daß Euch eine Kugel treffen möge.«

»Wer mag das sein? Etwa die gute My?«

»Sir!«

»Oder gar Ty?« lächelte er.

»Wollt Ihr in dieser ernsten Angelegenheit Scherz treiben oder gar trivial werden, Sir? Dann würde ich Euch sehr zürnen!«

»Um Gottes willen, das nicht!« sagte er rasch. »Aber ich weiß doch keine Person, der es ganz besonders unlieb wäre, wenn ich auf irgend eine Weise von hier fortginge.«

»Nicht? Nun, Pa habe ich Euch genannt; da will ich wenigstens auch von mir noch sprechen.«

»Von Euch?«

Sein Blick senkte sich fragend in ihr Auge.

»Ja,« antwortete sie. »Ich würde sehr traurig sein, wenn Euch ein Leid geschähe.«

»Wirklich, Miß?«

»Ja, gewiß.«

»Mit dieser Versicherung macht Ihr mir eine Freude, wie ich sie mir gar nicht größer denken kann. Habt Dank, tausend Dank!«

Er streckte seine Hand aus, und sie reichte ihm von der Veranda aus die ihrige entgegen. Er drückte seine Lippen auf dieselbe, hielt sie fest und sagte:

»Denkt einmal an diesen Augenblick, Miß, wenn ich nicht mehr bei Euch sein werde – – –«

Sie fiel sichtlich erschrocken ein:

»Ihr wollt doch nicht etwa fort?«

»Nein; aber die Zukunft steht ja doch nur in Gottes Hand. Niemand weiß, was der nächste Augenblick zu bringen vermag. Wenn ich einmal nicht mehr in Eurer Nähe bin und Eure Gedanken weilen für einen Augenblick bei mir, so seid dann überzeugt, daß mein Leben nur Euch gehört, und daß es nicht mehr vorhanden ist, weil es mir nicht vergönnt war, für Euch zu leben. – Jetzt aber muß ich zu Monsieur Wilkins. Er wartet auf mich.«

Er gab ihr Händchen frei und entfernte sich rasch. Als er um die Ecke verschwunden war, legte sie beide Hände auf das Herz und hob wie betend die Augen empor. Der Lauscher hörte deutlich den lauten, tiefen und schweren Seufzer, welcher ihren Lippen entfloh, und die darauf folgenden Worte:

»Mein Gott! Sein Leben ist nicht mehr vorhanden, weil er nicht für mich leben durfte! So soll ich dann denken! Das heißt doch, er ist todt! O Gott, das wäre schrecklich, sehr, sehr schrecklich!«

Sie drehte sich um und trat langsam in ihr Zimmer zurück, die Thür hinter sich schließend.

»Verdammt!« flüsterte Leflor. »Dieser Bommy ist ein sehr guter Beobachter. Er hat Recht: Almy liebt diesen deutschen Schurken, und er weiß das und speculirt auf sie. Warum auch nicht? Sie ist schön und reich. Wie schlau er es anfängt, sie zu fangen! Er seufzt und stöhnt! Wenn er direct von seinen Absichten spräche, so würde er sie scheu machen. Das weiß er. So schmachtet er um sie herum, verdreht die Augen, spricht vom Sterben. Das erregt ihr Mitleid, und man weiß ja, daß das Mitleid die Mutter oder doch wenigstens die Tante der Liebe ist. Also deshalb hat sie mich abgewiesen! Sie will Madame Adler sein! O, so weit sind wir noch lange nicht! Hier steht Einer, der da einige Worte mitzusprechen hat. Zunächst wollen wir damit beginnen, zu beweisen, daß dieser Master Wilkins nicht nur nicht reich ist, sondern sogar eine Menge Passiva hat. Master Adler soll Zeuge sein. Dann wollen wir sehen, ob er die Tochter des Bettlers noch zum Weibe begehrt!«

Er verließ sein Versteck. Damit man ihn nicht kommen sehe und da bemerke, daß er Zeuge des Zwiegespräches gewesen sei, machte einen Umweg nach den anderen, um in die vordere Seite des Gebäudes zu gelangen.

Die Diener pflegen, selbst wenn ihnen nicht direct Etwas mitgetheilt wird, doch immer genau zu wissen, woran sie sind. Sie besitzen einen eigenthümlichen Instinct, eine außerordentliche Gabe, Alles zu errathen.

Der Schwarze, welcher unter dein Thore stand, wußte sehr genau, daß der Besuch Leflors nicht mehr gewünscht werde. Kein Mensch hatte es ihm gesagt, aber er wußte es. Darum wunderte er sich jetzt, als er ihn kommen sah, und stellte sich so in die Mitte des Eingangs, daß der Pflanzer ohne Zusammenstoß nicht an ihm vorüber konnte.

»Ist Monsieur zu Hause?« fragte Leflor, vor ihm stehen bleibend.

»Weiß nicht!« lautete die Antwort.

Der Mann blieb stehen, ohne einen Zoll breit zur Seite zu weichen.

»Aber ich weiß es!«

»Ist möglich.«

»Also packe Dich! Was stehest Du da?«

»Ich stehe da, weil ich Diener von Master bin.«

»Und ich will mit Master sprechen. Mach also Platz! Warum grüßest Du überhaupt nicht, Hallunke?«

Er war als Weißer gewöhnt, mit größter Unterthänigkeit behandelt zu werden. Der Schwarze antwortete, lachend die Zähne zeigend:

»Warum ich nicht grüße? Weil Massa Leflor erst auch nicht gegrüßt hat.«

»Hund! Meinst Du, daß ich Dich zu grüßen habe?«

» Yes, Massa. Ich stehe hier und Massa kommt. Wer kommt, hat zuerst zu grüßen. Massa aber hat nicht einmal an Hut gegriffen.«

»Bist Du toll, Schafskopf! Die Zeit ist nicht fern, in der ich Dir den Kopf zurechtsetzen lassen werde.«

Er gab ihm mit dem Ellbogen einen Stoß und schritt zum Thore hinein. Der Neger rieb sich die Seite, blickte ihm nach und brummte dabei drohend:

»O, Massa stößt mich! Komm nur wieder! Er denkt, weil er ein Weißer, so darf er stoßen; aber ein Schwarzer hat auch Ellbogen, viel stärkere Ellbogen als ein Weißer. Komm nur wieder! Ich bleibe hier; ich gehe nicht fort, bis Du gesehen und gefühlt, daß auch ich Ellbogen habe!«

Leflor stieg die Treppe hinauf, ging durch das Vorzimmer und trat, ohne anzuklopfen, in das ihm bekannte Zimmer des Hausherrn ein.

Dieser Letztere saß mit dem Oberaufseher am Tisch, in ein sehr angelegentliches Gespräch vertieft. Beide zeigten sehr erstaunte Gesichter, als sie den Eintretenden erkannten. Adler blieb sitzen; Wilkins aber stand auf und sagte:

»Monsieur Leflor! Ist es möglich.«

»Daß es möglich ist, beweise ich ja.«

»Ihr bei mir!«

»Ihr seht es ja!«

»Wie kommt Ihr herein? Niemand meldete Euch!«

»Ich fand einfach keinen Menschen, welcher mich hätte melden können.«

»Ohne anzuklopfen!«

»Habe ich das vergessen? Nun, so ist das wohl keine Sache, von welcher man großen Lärm macht.«

»Wollt Ihr nicht wenigstens ablegen!«

Er deutete auf den Hut, welchen Leflor auf dem Kopfe behalten hatte..

»Danke! Ich habe nicht geschwitzt und werde wohl auch hier nicht dazukommen. Warum also den Hut abnehmen.«

Das klang so höhnisch, und Leflor blickte sich dabei mit einer Unverschämtheit im Zimmer um, daß Wilkins vor Erstaunen gar nicht wußte, was er sagen sollte.

»Monsieur,« stotterte er, »ich begreife nicht – – –«

»O, ich begreife es auch nicht,« unterbrach ihn der Andere rasch.

»Was?«

»Daß Ihr mir keinen Stuhl anbietet. Ich werde mir also aus eigener Machtvollkommenheit einen nehmen. So!«

Er setzte sich nieder und legte die Füße behaglich auf den Tisch, an welchem Wilkins gesessen hatte. Das war nicht nur ein rüdes, gemeines Benehmen, sondern geradezu eine Beschimpfung der beiden anwesenden Herren. Wilkins, welcher den Ausbruch einer offenen Feindseligkeit zwischen sich und Leflor nicht wünschte, wußte nicht, wie er sich benehmen solle. Adler aber stand jetzt langsam von seinem Stuhle auf, trat näher und fragte:

»Monsieur Wilkins, wünscht Ihr, daß ich einige Diener rufe?«

»Nein, nein, Sir!«

»Oder ist es Euch recht, wenn ich diesen gemeinen Flegel selbst hinauswerfe?«

Ehe der Gefragte antworten konnte, antwortete Leflor rasch:

»Das werdet Ihr bleiben lassen. Mann! Ehe Ihr die Hand ausstrecktet, hättet Ihr eine Kugel im Kopfe. Dasselbe wird auch geschehen, wenn Ihr noch ein einziges Wort hören laßt, welches mich beleidigen könnte. Seht her! Ich habe mich vorbereitet.«

Er zog einen Revolver aus der Tasche.

»Pshaw!« lachte Adler auf. »Ein Feigling wie Ihr darf nicht mit solchen Instrumenten spielen. Er macht sich damit nur lächerlich und kann, da er mit Waffen nicht umzugehen versteht, nur sehr leicht sich selbst verletzen. Das wollen wir verhüten.«

Ein rascher Schritt, ein ebenso schneller Griff, und er hatte Leflor den Revolver entrissen. Er steckte denselben ein und trat wieder zurück. Leflor aber sprang auf, drang auf ihn ein und rief:

»Dieb! Her mit meinem Eigenthum!«

Er faßte den Deutschen beim Arme, erhielt aber einen so kräftigen Faustschlag an die Stirn, daß er zurückfuhr und niederstürzte.

»Da! Das ist für den Dieb!« sagte Adler. »Ich mache es nicht wie Andere, welche drohen, aber zu dumm und ungeschickt zum Handeln sind. Ich drohe nicht, sondern ich schlage gleich zu. Ach, etwa noch einmal, Monsieur?«

Leflor hatte sich nämlich schnell aufgerafft und drang mit beiden geballten Fäusten, vor Wuth laut aufbrüllend, auf ihn ein. Für einen Gegner wie Adler war er wirklich zu ungeschickt. Er erhielt einen zweiten, so kräftigen Faustschlag, daß er an die Wand taumelte.

Diese beiden Angriffe und Abwehrungen waren so rasch geschehen und so schnell auf einander erfolgt, daß Wilkins weder Zeit gefunden hatte, ein Wort zu sagen oder durch eine Bewegung diese Carambolage der zwei Männer zu verhüten. Jetzt aber trat er zwischen sie und gebot:

»Halt! Keinen Streit oder gar Kampf, Monsieur Leflor, ich ersuche Euch, mein Haus zu verlassen!«

»Ich! Euer Haus verlassen, ohne diesem Kerl gezeigt zu haben, was es heißt, sich an mir zu vergreifen? Das fällt mir gar nicht ein. Hier!«

Er ergriff einen Stuhl und wollte damit, den Pflanzer bei Seite schiebend, Adler schlagen. Dieser aber versetzte ihm einen dritten Fausthieb, jetzt nicht an die Stirn, wie die beiden ersten Male, sondern in das Gesicht, sodaß dem Angreifer der Stuhl entfiel und er, mit beiden Händen nach seinem Gesichte greifend, wieder zurück gegen die Wand taumelte.

Man hatte gar nicht sehen können, wie Adler seine gedankenschnellen Hiebe ausgeführt hatte; man konnte nur den Erfolg sehen. Und jetzt stand er ruhig lachend da und sagte, sich in höflichem Tone an Wilkins wendend:

»Ihr seht, Master, daß ich nicht der Angreifer bin; ich habe nur die Gewohnheit, mich zu wehren, wenn ich mit Worten oder in der That angegriffen werde. Wenn es Euer Wunsch ist, werde ich freilich so thun, als ob nur wir Beiden hier vorhanden seien. Handelt also ganz nach Eurem Belieben!«

»Ich wünsche weiter nichts, als daß Monsieur Leflor mein Haus verläßt!«

Der Genannte hatte keine Zeit zu einer Bemerkung. Er hatte das Taschentuch gezogen, um seine bereits gestern verletzte und jetzt wieder blutende Nase abzutrocknen. Adler zuckte die Achsel und meinte:

»Ich kann freilich auch nicht begreifen, wie er es zu unternehmen vermag, hier ohne Gruß und Anmeldung einzudringen. Er hat bereits gestern eine vollgiltige Lehre von mir erhalten. Nachher hat er vor dem dicken Sam gestanden, in einer Weise blamirt, daß ich an seiner Stelle mir vor Scham eine Kugel in den Kopf gejagt hätte. Er ist als der Mitschuldige eines armseligen Niggers und eines noch armseligeren Verbrechers entlarvt worden. Daß er es trotzdem wagt, sich hier wieder zu zeigen, das ist ein Beweis von dem gänzlichen Mangel allen Ehrgefühles.«

Leflor bückte sich, um den Hut aufzuheben, welcher ihm entfallen war, setzte ihn wieder auf und antwortete in stolzem Tone:

»Es wird sich sogleich zeigen, wer hier von Ehre sprechen kann!«

»Ihr sprecht sehr stolz trotz der jammervollen Gestalt, welche Ihr jetzt bietet. Nehmt Euern Hut ab, sonst mache ich den Lehrer, welcher seinen Buben zeigt, wie man es anzufangen hat, um höflich zu sein!«

Er trat einen Schritt auf Leflor zu. Dieser hatte nun doch erkannt, daß er, da Adler ihm überlegen war, mit physischem Widerstand nicht weit kommen werde. Er nahm den Hut ab und sagte:

»Wenn es Euch augenblicklichen Spaß macht, meinetwegen! Jedenfalls ist es das letzte Mal, daß ich mich vor Euch Beiden entblöße. Später werdet Ihr desto höflicher gegen mich sein. Diesen Herrn Aufseher aber werde ich hinauswerfen lassen, nachdem ich ihn vorher für sein jetziges Verhalten gehörig abgestraft habe.«

Adler zuckte verächtlich die Achseln. Wilkins, welcher einen abermaligen Ausbruch der Thätlichkeiten befürchtete, winkte ihm beruhigend zu und wendete sich an Leflor:

»Mir geht es genau so wie Monsieur Adler. Ich kann nicht begreifen, daß Ihr Euch nach Dem, was gestern geschehen ist, so rasch entschließen konntet, mir eine Visite zu machen.«

»Ich habe alle Veranlassung dazu.«

»So hättet Ihr Eure Absicht in höflicher Weise ausführen sollen.«

»Seid Ihr etwa gestern höflich gegen mich gewesen?«

»So weit es mir möglich war, bin ich es gewesen. Monsieur Adler, gebt ihm seinen Revolver wieder! Ich werde hören, was er zu sagen hat, und dann habt Ihr wohl die Güte, Euch wieder hier bei mir sehen zu lassen.«

»O,« warf Leflor schnell ein, »er braucht sich gar nicht zu entfernen. Was ich zu sagen habe, ist auch mit für ihn bestimmt. Ich bin überzeugt, daß es ihn im höchsten Grade interessiren wird.«

»So bleibt!« sagte Wilkins zu dem Aufseher.

Dieser nickte leichthin und antwortete in Beziehung auf die an ihn ergangene Aufforderung:

»Wenn Ihr gestattet, bleibe ich. Die Waffe wird er erhalten, wenn er geht. Ich habe nicht die Absicht, es ihm so leicht zu machen, aus irgend einer Absicht hier sein Pulver zu verpuffen.«

»Auch wünsche ich, daß Mademoiselle geholt werde,« fügte Leflor bei, indem er that, als ob er die Worte des Deutschen gar nicht verstanden habe.

»Meint Ihr etwa meine Tochter?« fragte Wilkins.

»Ja.«

»Ich kann mir keinen Grund denken, der ihre Anwesenheit nothwendig macht.«

»Der Grund ist sogar sehr triftig.«

»So ersuche ich Euch, ihn zu sagen!«

»Das habe ich wohl nicht nöthig.«

»So wird meine Tochter unserer Unterhaltung fern bleiben, Monsieur.«

»Meint Ihr etwa, daß ich den Gegenstand unseres gestrigen Gespräches heut wieder aufwärme?«

»O, es ist Euch zuzutrauen!«

»Da irrt Ihr Euch gewaltig. Hätte ich gestern gewußt, was ich heut weiß, so wäre es mir wohl nicht eingefallen, Euer Schwiegersohn werden zu wollen. Ihr könnt also überzeugt sein, daß ich nicht im Geringsten die Absicht habe, zudringlich gegen Mademoiselle Almy zu werden.«

Er hatte das in stolzem, wegwerfendem Tone gesagt, und nahm auf seinem Stuhle, auf welchen er sich niedergesetzt hatte, eine Haltung ein, als ob er jetzt ein Richter sei, welcher einige Angeklagten in aller Eile abzuurtheilen habe.

Adler zog die Brauen zusammen. Was er gehört hatte, war eine Beleidigung der heimlich Geliebten gewesen, und es zuckte in ihm, dem frechen Menschen dafür einen Faustschlag zu versetzen; aber Wilkins legte ihm die Hand auf den Arm und sagte:

»Still! Wir wollen uns nicht aufregen. Monsieur Leflor will mit mir sprechen, und ich habe die Absicht, ihn anzuhören. Er wünscht, daß meine Tochter gegenwärtig sein möge; ich werde ihm auch diesen Wunsch erfüllen, wenn er mir ihn zu begründen vermag. Unterläßt er das, so gebe ich ihm den Rath, sich lieber zu entfernen. Almy wird nur dann kommen, wenn ich ihr sagen kann, daß ihre Gegenwart nothwendig sei.«

»Sie ist es,« sagte Leflor. »Ich würde sie sonst gar nicht verlangen.«

»So sagt den Grund!«

»Eigentlich habe ich es gar nicht nothwendig. Ich brauchte nur zu sprechen, so würdet Ihr sofort nach Eurer Tochter schicken. Aber ich will mich dennoch herbeilassen, ihn Euch zu sagen. Ich bringe nämlich Grüße von einer Person, welche Miß Almy sehr nahe steht.«

»Von einer ihr nahe stehenden Person? Ich wüßte nicht, wen Ihr da meinen könntet.«

»Denkt einmal nach!«

»Es giebt nur eine einzige Person, von welcher man dies sagen könnte, und diese Person bin ich.«

»Sollte es wirklich sonst Niemand geben?«

Sein Blick war mit schadenfroher Spannung auf den Pflanzer gerichtet.

»Nein,« antwortete dieser.

»Sonderbar! Ich denke doch, ein Verlobter müsse der Dame nahe stehen, welche bestimmt ist, seine Frau zu werden. Oder sollte ich mich da vielleicht irren?«

Wilkins horchte auf.

»Ihr sprecht von einem Verlobten Almys? Da giebt es keinen, Sir.«

»O doch! Ich bin überzeugt davon.«

»Wer wäre das?«

»Ein gewisser Arthur.«

Als Wilkins diesen Namen hörte, machte er eine Bewegung des Erstaunens.

»Arthur! Herrgott! Wen meint Ihr?«

»Ihr habt doch wohl einen Neffen, welcher diesen schönen, poetischen Namen trägt?«

»Freilich. Ich habe ihn aber nicht, sondern ich hatte ihn. Er ist verschollen.«

»Das hat Euch jedenfalls Freude gemacht!«

»Wie kommt Ihr zu dieser Frage?«

»Nun, es giebt Umstände, unter welchen es einem Oheim sehr lieb ist, wenn sein Neffe verschwindet.«

»Das kann ich mir nicht denken. Wie kommt Ihr übrigens dazu, meinen Neffen Arthur den Verlobten meiner Tochter zu nennen?«

»Hm! Ist er es etwa nicht?«

»Er war es; aber Niemand wußte davon. Selbst Almy hat bis heut keine Ahnung davon gehabt. Ich bin nicht im Stande, mir zu denken, auf welche Weise Ihr zu diesem Geheimnisse gekommen seid.«

»Und doch ist das sehr leicht zu denken. Ich habe Euch ja gesagt, daß ich Grüße bringe.«

»Doch nicht etwa von Arthur selbst!«

»Von ihm selbst.«

»Unmöglich!«

»Wirklich! Und zwar bringe ich von ihm nicht nur Grüße, sondern sogar Briefe oder doch wenigstens Schriftstücke, für welche Ihr Euch im höchsten Grade interessiren werdet, Ihr, Eure Tochter und wohl auch dieser Master Adler, welcher Euch so außerordentlich in Schutz genommen hat, und welcher die Absicht besitzt, Eurer Tochter sein Leben zu widmen.«

»Sein Leben? Wieso?«

»Hm! Ich hörte, daß er ihr sagte, sie solle später denken, er lebe gar nicht mehr.«

»Lauscher!« rief Adler. »Wer giebt Euch das Recht, hier umherzuschleichen und – – –«

»Halt! Still!« unterbrach ihn Wilkins bittend. »Keinen Streit wieder! Was ich da von Arthur höre, das ist mir freilich in solchem Grade interessant, daß ich jetzt nichts Anderes zu hören vermag. Also Ihr bringt Grüße und Schriften von ihm, Monsieur? Ist dies Wahrheit?«

»Natürlich!«

»Herrgott! So lebt er?«

»Ich weiß das nicht genau. Ich weiß nur, daß er der Verfasser der betreffenden Scripturen ist. Sie sind in meine Hände gekommen, und ich halte es für meine Pflicht, Euch davon zu benachrichtigen.«

»Das ist recht, sehr recht von Euch, Monsieur. Das söhnt mich vollständig mit Euch aus. Hier ist meine Hand. Lassen wir das Vergangene vergessen sein!«

Er streckte Leflor die Hand entgegen. Dieser ergriff sie und antwortete:

»Jawohl! Lassen wir das Vergangene vergessen sein, und nehmen wir die neuen Verhältnisse sowie sie uns geboten werden!«

»Die neuen Verhältnisse? Ich meine doch, daß Alles beim Alten bleiben möge!«

»O, es wird sich doch vielleicht Einiges ändern, und ich bin ganz gern bereit, mich darein zu fügen.«

»Ich begreife nicht, was Ihr meint. Hoffentlich darf ich bitten, mich die Grüße hören und die Schriftstücke, von welchen Ihr sprecht, lesen zu lassen!«

»Natürlich. Aber ich habe gewünscht, daß dies nur in Gegenwart Eurer Tochter geschehen möge.«

»Gut, gut! Ich gehe, sie zu holen.«

Er ging eiligen Schrittes nach der Thür. Als er sie geöffnet hatte, um das Zimmer zu verlassen, wendete er sich noch einmal um und sagte besorgten Tones:

»Aber bitte, keine Feindseligkeiten während meiner Abwesenheit!«

»O nein, gewiß nicht!« antwortete Leflor.

Aber als der Pflanzer fort war, trat der Erstere an das Fenster, blickte hinaus, Adler den Rücken zukehrend, und sagte, wie zu sich selbst:

»Wenn ich nicht mehr in Eurer Nähe bin, und Eure Gedanken weilen für einen Augenblick bei mir, so seid dann überzeugt, daß mein Leben nur Euch gehört und daß es nicht mehr vorhanden ist, weil es mir nicht vergönnt war, für Euch zu leben!«

»Schuft!« murmelte Adler.

Das war nur halblaut gewesen, Leflor hatte es aber doch gehört. Er drehte sich um und fragte:

»Galt dieses schöne Wort mir?«

»Natürlich!«

»Hm! Ich nehme das ruhig hin, weil ich Euch im höchsten Grade überlegen bin.«

»Wundersam!«

»O doch! Ich gefalle mir einmal heut in der Rolle des Löwen, welcher sich von dem kleinen Hündchen ankläffen läßt, weil er im Vollgefühle seiner Stärke sehr wohl weiß, daß es nur eines Druckes bedarf, den Kläffer zu zermalmen und zu verschlingen.«

»Der Vergleich ist sehr alt und sehr unzutreffend. Ich denke, daß das kleine Hündchen den mächtigen Löwen nicht nur angekläfft hat.«

»Nur angekläfft! Was Ihr gethan habt, das war nur ein Gekläff gegen Das, was ich zu thun vermag. Ich werde es beweisen.«

»So führt diesen Beweis so rasch wie möglich, sonst wird das Hündchen den Löwen verschlingen, ehe es Euch gelungen ist, nur zu Worte zu kommen!«

Jetzt kam Wilkins zurück. Er brachte Almy mit, welcher es anzusehen, war, wie ungern sie seiner Aufforderung gefolgt war.

»Hier ist meine Tochter,« sagte er. »Jetzt redet!«

Almy war zu Adler getreten.

»Bitte,« flüsterte sie, »keinen Streit mit ihm! Er ist es ja doch nicht werth, daß Ihr nur mit ihm redet!«

Ihr Vater hatte ihr also wohl einige Andeutungen über das Geschehene gemacht. Adler antwortete mit einer zustimmenden Verneigung.

Leflor war nicht einmal aufgestanden, um Almy zu begrüßen. Er blieb, sitzen und antwortete auf Wilkins' Aufforderung:

»So schnell und so kurz, wie Ihr gebietet, kann ich mich leider nicht fassen. Habt Ihr der Miß gesagt, um was es sich handelt?«

»Sie weiß, daß Ihr Grüße von Arthur bringt.«

»Weiß sie auch, daß er ihr Verlobter ist?«

»Noch nicht. Ich will ihr aber – – –«

»Arthur mein Verlobter?« fiel Almy ihrem Vater in die Rede. »Aber Pa, das kann doch nichts als ein Irrthum sein! Ich müßte davon wissen!«'

»Eigentlich müßtest Du davon wissen; das ist wahr; aber wir hatten unsere guten Gründe, es Dir gegenüber noch zu verschweigen.«

»Ja, die hattet Ihr,« lachte Leflor höhnisch.

»Wie meint Ihr das, Sir?« fragte Wilkins.

»Ganz so, wie ich es Euch sagte: Ihr hattet Eure sehr guten Gründe.«

»Natürlich. Aber ich sehe nicht ein, was Ihr dabei in dieser Weise zu lachen habt.«

»O, Eure Gründe geben mir solchen Spaß.«

»Das verstehe ich nicht. Ihr könnt meine Gründe ja gar nicht wissen.«

»Wenn ich sie nicht weiß, so kann ich sie mir doch wenigstens denken.«

»Vielleicht, ja. Als Almy mit Arthur versprochen wurde, war sie noch zu klein, um zu begreifen, um was es sich handelte. Darum wurde ihr nichts gesagt. Außerdem wollte ich ihre Regungen nicht beeinflussen. Ich war überzeugt, daß sie ihren Cousin ganz von selbst lieben werde.«

»Das hätte Euch den Kram erleichtert!«

»Ja, obgleich ich nicht einsehen kann, wie Ihr dazu kommt, das so ungewöhnliche, aber ebenso ordinäre Wort Kram zu gebrauchen.«

»Nun, dann will ich mich anders ausdrücken, Master Wilkins. Ich will Euch also nicht sagen, daß es Euch den Kram erleichtert hätte, sondern daß es Euch eine sehr große Sorge vom Halse genommen hätte.«

»Sorge? Welche etwa?«

»Wie nun, wenn Eure Tochter ihren Cousin nicht geliebt hätte?«

»Das war unmöglich. Leider trat er dann eine so weite Reise an und ist nicht zurückgekehrt.«

»Setzen wir aber doch den Fall, sie hätte ihn nicht so geliebt, wie man den Mann liebt, welchem man für das ganze Leben angehört?«

»Welchen Zweck hat Eure Frage?«

»Und setzen wir noch den anderen Fall, daß er hiergeblieben wäre, anstatt seine weite und gefährliche Reise anzutreten. Was dann?«

»Nun, so hätte er wohl eine Andere geheirathet.«

»Und sein Vermögen – –?«

Der Blick des Sprechers war jetzt mit durchdringender Schärfe auf Wilkins gerichtet! Dieser Letztere wurde um einen Schatten bleicher und antwortete:

»Sein Vermögen hätte ich ihm herauszahlen müssen.«

»Während es jetzt Euch gehört?«

»Ja.«

»Mit welchem Rechte?«

»Er ist spurlos verschwunden, und ich bin sein einziger Erbe.«

»Ach so! Hm, hm! Hättet Ihr ihm denn auch wirklich sein Vermögen herauszahlen können?«

»Warum nicht?«

»Vielleicht wäre es zu bedeutend gewesen und hätte Eure Kräfte überstiegen.«

»Ganz gewiß nicht. Jedermann weiß, daß ich mit meinem Bruder diese Pflanzung in Compagnie besaß. Sie gehörte ihm zur Hälfte. Nach seinem Tode ging diese Hälfte natürlich auf Arthur, seinem einzigen Sohn, über.«

»Ja, ja, wie einfach diese Angelegenheit steht oder vielmehr zu stehen scheint!«

»Wie soll sie anders stehen?«

Adler hatte sich, seit Almy eingetreten war, nicht wieder gesetzt. Er hatte sich an die Wand gelegt. Die Arme über der Brust verschlungen, beobachtete er Leflor. Jetzt trat er einen Schritt vor und sagte:

»Bitte, Monsieur Wilkins, laßt Euch doch von diesem Manne nicht an der Nase herumziehen. Er hat Etwas gegen Euch vor. Seine Absicht ist keine gute. Er will Euch irgend einen Streich spielen, irgend einen Hieb versetzen. Er weiß irgend Etwas von Euch und giebt Euch jetzt das Gift tropfenweise ein. Seht sein hämisches Lächeln! Er mag reden. Er mag sagen, was er will. Dann wissen wir es und werden ihm eine ebenso kurze und bestimmte Antwort geben.«

Leflor lachte höhnisch auf.

»Welch ein scharfsinniger Mensch dieser Deutsche ist!« sagte er. »Er hat es ganz richtig errathen. Ich habe einen Streich in petto. Ich werde es kurz machen. Ich will Euch eine Geschichte erzählen.«

»Macht keine Faxen!« sagte Wilkins. »Ich habe keine Zeit, Geschichten zu hören.«

»Die meinige könnt und müßt Ihr hören, Sir. Ich werde mich Euch zu Liebe sehr kurz fassen. Ihr werdet bereits bei den ersten Worten bemerken, daß die Erzählung höchst interessant ist. Also: Es waren einmal zwei Brüder welche ganz gleiche Mittel besaßen. Sie kauften eine Pflanzung in Compagnie und zahlten Jeder die Hälfte des Preises. Beide waren sehr brave Männer, aber von politisch verschiedenen Ansichten. Als der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten ausbrach, hielt es der Eine mit dem Norden und der Andere mit dem Süden.«

Der Erzähler machte eine Pause und fixirte Wilkins mit scharfem Blicke. Dieser rückte sehr verlegen auf seinem Stuhle.

»Die Brüder zankten sich freilich nicht über ihre politischen Gesinnungen, denn sie hatten sich herzlich lieb. Der Eine, welcher es mit dem Norden hielt, machte seine Hälfte flüssig und unterstützte damit die Regierung des Nordens. Sein Geld wurde alle. Als der Krieg zu Ende war und der Norden gewonnen hatte, dachte man an die Opfer gar nicht, welche der brave Mann gebracht hatte. Er war zu stolz dazu, Ansprüche zu erheben. Eigentlich war er nun ein armer Mann. Er hatte es dem Bruder schwarz auf weiß geben müssen, daß er sein Vermögen herausgezahlt erhalten hatte. Dieser Letztere hatte Mitleid und sagte: »Laß das Verlorene fahren. Wir haben noch Geld genug. Ich habe einen Sohn, Du hast eine Tochter. Beide mögen sich heirathen, so kommt meine Hälfte, welche uns ja übrig geblieben ist, auch Dir zu Gute.« So sagte der brave Mann; dann – starb er.«

Der Erzähler hielt abermals inne. Wilkins hatte den Kopf in die Lehne des Stuhles gelegt. Er sah leichenblaß aus. Jetzt stand er langsam auf, starrte Leflor an und fragte mit zitternder Stimme:

»Monsieur, woher wißt Ihr das?«

»Dachtet Ihr vielleicht, es sei Geheimniß?«

»Niemand wußte es als ich, mein Bruder und sein Sohn. Keiner von uns Dreien hat es verrathen.«

»Hm! Davon nachher! Gefällt Euch die Geschichte?«

»Peinigt mich nicht! Wer hat es Euch erzählt?«

»Sagt mir erst, warum Ihr so erregt seid! Gesteht Ihr es vielleicht, daß Ihr selbst jener Bruder seid, welcher sein Vermögen vergeudete?«

»Vergeudete? Nein! Ich habe es auf dem Altare des Vaterlandes geopfert.«

»Nennt es, wie Ihr wollt. Aber es war nicht nur Euer Antheil, welches Ihr Euch auszahlen ließet. Ihr stelltet auch noch Papiere auf Euern Bruder aus, im Werthe von dreißigtausend Dollars, und er löste sie ein. Ist das wahr oder nicht?«

»Es ist wahr. Aber meint Ihr etwa, daß diese Papiere gefälscht gewesen seien?«

»O nein. Es ist Alles höchst ehrlich zugegangen!« Und in höhnischer Aufrichtigkeit fügte er hinzu: »Ehrlicher als mir jetzt lieb ist!«

»Dann begreife ich aber gar nicht, wie Ihr dazu gekommen seid, dies Alles zu erfahren.«

»Sehr einfach: Euer Neffe hat es ausgeplaudert.«

»Das ist nicht wahr!«

»Oho! Wer soll es denn sonst gesagt haben! Es war Geheimniß; das ist sehr richtig. Euer Bruder starb, hat das Geheimniß mit in das Jenseits hinüber genommen, und Todte plaudern bekanntlich nicht. Ihr selbst habt Euch natürlich gehütet. Etwas zu sagen. Wer bleibt da noch übrig als Euer Neffe?«

»Ich kann es nicht glauben.«

»War er denn einverstanden, Almy auch wirklich zu heirathen, wie es der Wille der Väter war?«

»Er hat sich niemals geweigert.«

»Aber wirklich lieb gehabt, nämlich wie man eine Braut liebt, hat er sie auch nicht, sonst hätte er es wohl unterlassen, Euch diesen Streich zu spielen.«

»Welchen Streich?«

»Ahnt Ihr es nicht?«

»Ich habe nicht die mindeste Ahnung, was Ihr meinen könntet.«

»O weh! Ich dachte bisher, daß er es Euch brieflich mitgetheilt habe.«

»Kein Wort.«

»So thut es mir leid. Euch so unangenehm überraschen zu müssen.«

Er stand langsam auf. Auch Wilkins erhob sich. Er hatte keine Farbe mehr im Gesicht. Er wußte, daß Leflor sich an ihm rächen wolle, und konnte sich denken, daß Das, was er jetzt hören werde, nichts Gutes sei, zumal Leflor es selbst als etwas Unangenehmes bezeichnet hatte.

»Was habt Ihr mir mitzutheilen?« fragte er.

»Nichts weiter, als daß ich gekommen bin, mich Euch als den gegenwärtigen Besitzer von Wilkinsfield vorzustellen, Monsieur und Mademoiselle.«

Er machte den beiden Genannten eine tiefe, höhnische Verneigung. Almy blieb still. Sie blickte nur ihren Vater besorgt an. Auch dieser fand keine Worte. Er hielt die Augen weit geöffnet und starr auf Leflor gerichtet. Seine Lippen bebten, seine Hände zuckten; er wollte sprechen und konnte nicht.

»Vater, mein Vater! Fasse Dich!« bat die Tochter, indem sie schnell herbeitrat und die Arme um ihn legte.

Auch Adler kam herbei, ihn zu unterstützen. Leflor musterte die Gruppe und sagte:

.

»Wunderschön! Grad wie auf der Bühne! Ein ausgezeichnetes Tableau! Außerordentlich rührend!«

Das gab dem Pflanzer seine Selbstbeherrschung zurück. Er wehrte Adler und Almy von sich ab und sagte bittend:

»Laßt mich! Entweder haben wir falsch verstanden, oder es liegt sonst ein ungeheurer Irrthum vor, welcher sich sogleich aufklären muß.«

»Ein Irrthum ist nicht vorhanden. Aufklärung aber können Sie allerdings sogleich finden,« entgegnete Leflor, indem er in die Tasche griff und sein Portefeuille hervorzog.

»Ja, um diese Aufklärung muß ich freilich bitten!«

»Natürlich! Aber es kann mir nicht einfallen, diese Papiere in Eure Hand zu geben ohne alle Sicherheit, daß Ihr sie mir sofort wieder aushändiget.«

»Ich gebe sie zurück sobald ich sie gelesen habe.«

»Euer Ehrenwort?«

»Ja. Ich hoffe, daß Euch dieses genügen werde!«

»Natürlich! Ihr habt noch niemals Euer Wort gebrochen. Also hier nehmt zunächst diese drei Anweisungen, jede auf zehntausend Dollars, zahlbar von Eurem Bruder, ausgestellt von Euch.«

Wilkins betrachtete die Papiere genau.

»Ja, sie sind es,« sagte er.

»Hier nehmt sodann Eure eigene Erklärung und Unterschrift, daß Euer Bruder Euch Euern Antheil an der Plantage und noch dreißigtausend Dollars darüber ausgezahlt habe, notariell beglaubigt und petschirt. Ists richtig?«

»Ja,« gestand Wilkins, nachdem er das Document geprüft hatte.

»Ihr gebt also zu, daß die Pflanzung nun Euern Neffen Arthur Wilkins gehörte?«

»Als ehrlicher Mann muß ich es zugeben.«

»Und daß Ihr sie ihm nur verwaltet habt?«

»Ja.«

»Daß Ihr ihm jene dreißigtausend Dollars schuldig seid? Oder habt Ihr sie ihm zurückgegeben?«

»Nein.«

»Schön! Ist er mündig?«

»Ja, wenn er noch lebt.«

»Er hat also das Recht, die Pflanzung zu verkaufen, an wen es ihm beliebt?«

»Dieses Recht hat er; aber ich bin überzeugt, daß er diesen Schritt niemals thun wird, ohne es mir zu melden und mich um Rath zu fragen.«

»Da irrt Ihr. Er hat es gethan.«

»Nein und abermals nein und tausendmal nein!«

»Und ja und abermals ja und tausendmal ja!«

»Wo soll er es gethan haben?«

»In Santa Fé.«

»An wen?«

»An einen Amerikaner Namens Walker. Ihm habe ich die Pflanzung wieder abgekauft und sogleich baar bezahlt.«

»Ihr seid ja nie in Santa Fé gewesen?«

»Er war hier bei mir. Hier habt Ihr das Document über den Kauf in Santa Fé. Prüft es! Ihr werdet nichts Unrechtes finden.«

Der Pflanzer nahm das Schriftstück, prüfte jede Zeile und jedes Wort. Dann ließ er es auf den Tisch fallen, sank selbst in den Sessel und sagte:

»Es ist wahr, unglaublich und dennoch wahr! Er hat die Farm verkauft mit Allem, Allem, Allem!«

»Ist keine Täuschung möglich?« fragte Adler.

»Nein. Der Kauf ist vor dem Mayor abgeschlossen worden. Dieser hat die Rechte Arthurs genau geprüft und als unanfechtbar erklärt. So unanfechtbar sind nun auch die Rechte jenes Walker.«

»Walker? Ah! Ist es vielleicht derselbe Walker, welchen Monsieur Leflor gestern gerettet und mit nach Hause genommen hat?«

»Ganz derselbe,« lachte Leflor. »Bei mir angekommen, habe ich ihm die Pflanzung abgekauft. Vorhin ist er bereits wieder abgereist. Ihr mögt daraus ersehen, daß er sich eigentlich hier ganz gut hätte öffentlich sehen lassen können. Er war der Besitzer.«

»Könnt Ihr denn beweisen, daß Ihr ihm die Pflanzung auch wirklich abgekauft habt?«

»Zur Evidenz. Hier ist der Kauf!«

Wilkins prüfte auch dieses Document. Es war genau nach Vorschrift abgefaßt. Selbst der kniffigste Advocat hätte nicht den geringsten Fehler oder auch nur die kleinste Nachlässigkeit zu entdecken vermocht.

Leflor erhielt das Schriftstück wieder und fragte:

»Erkennt Ihr es an?«

»Diese Frage kann ich natürlich nicht beantworten.«

»Was gedenkt Ihr zu thun?«

»Auch das weiß ich nicht.«

»Nun, ich will zugeben, daß Euch diese Angelegenheit nicht nur ungelegen kommt, sondern daß sie sogar ein schwerer Schlag für Euch ist. Aber machen könnt Ihr nichts. Es ist am Allerbesten, Ihr fügt Euch in das Unvermeidliche.«

»Ich werde natürlich einen Rechtsgelehrten fragen.«

»Gut. Ich gebe Euch eine volle Woche Zeit. Habt Ihr bis dahin noch keinen Entschluß gefaßt, so mache ich meine Ansprüche bei der Behörde geltend und lasse Euch ganz einfach hinauswerfen.«

»Damit werdet Ihr doch wohl noch ein Weilchen warten müssen, Monsieur.«

»Wollen sehen! Meine gerechten und wohlbezahlten Ansprüche anfechten zu wollen, das wäre ein Unsinn. Mit dieser Angelegenheit sind wir fertig. Die Pflanzung gehört mir. Wie aber steht es denn nun eigentlich mit jener Summe?«

»Mit welcher Summe?« fragte Wilkins erstaunt.

»Nun, mit den dreißigtausend Dollars?«

»Wie soll es denn mit ihnen stehen? Die bin ich meinem Neffen schuldig.«

»Nicht mehr. Er hat die Schuld verkauft.«

»Oho! An wen?«

»An jenen Walker. Diesem habe ich sie gestern wieder abgekauft. Das könnt Ihr Euch ja denken, da Ihr mich im Besitze Eures Documentes seht.«

»Beweist es mir!«

»Sehr gern. Hier, lest einmal diese Schriften.«

Wilkins las. Als er fertig war, sagte er, fast stöhnend:

»Es ist wahr. Er hat auch diese Schuld verkauft.«

»Das möchte ich doch nicht glauben,« sagte Adler. »Habt Ihr Euch denn nicht freundlich mit ihm gestanden?«

»O, stets, stets!«

»Ist er in Unfrieden von Euch geschieden?«

»Nein, ganz das Gegentheil.«

»So will ich glauben, daß er aus irgend einem uns unbekannten Grund die Pflanzung verkauft hat. Dies hat ihm eine sehr bedeutende Summe eingebracht. Die Schuld hätte er dann nur in der Absicht verkaufen können, Euch vollständig und gründlich zu ruiniren. Das thut kein Neffe seinem Onkel gegenüber.«

»Es ist aber hier seine Handschrift!«

»Wißt Ihr das so genau?«

»Als ob es meine eigene wäre.«

»Und dennoch glaube ich nicht daran!«

Da bemerkte Leflor in scharfem Tone:

»Ob Ihr daran glaubt oder nicht, das ist hier ganz gleichgiltig! Ihr werdet jedenfalls gar nicht gefragt werden, und darum kann ich Euch nur rathen. Euer Mundwerk unbewegt zu lassen.«

Adler antwortete dagegen in ruhigem Tone:

»Es mag Euch sehr wohl thun, hier in dieser Weise auftreten zu können. Ihr meint, in Wilkinsfield Herr zu sein, und aus diesem Grunde – – –«

»Und aus diesem Grunde werdet Ihr der Erste sein, den ich zum Teufel jage,« fiel Leflor ein.

»Daß Ihr das beabsichtigt, davon bin ich vollständig überzeugt; aber gelingen wird es Euch nicht!«

»Oho! Meint Ihr, wenn es zum Prozesse kommt, daß ich ihn verlieren werde?«

»Ob Ihr ihn gewinnt oder verliert, das ist ganz gleich in dieser Frage. Zum Teufel jagt Ihr mich auf keinen Fall. Wenn Ihr den Fuß hierher setzen solltet, bin ich längst schon fort.«

»Das ist Euer Glück, denn ich würde Euch einige gute Hunde zwischen die Beine jagen.«

»Thut das in Eurer Phantasie, die allerdings einen sehr hündischen Character zu haben scheint; in Wirklichkeit werdet Ihr es nicht fertig bringen.«

»So macht Euch baldigst fort, denn ich komme sehr bald. Selbst wenn ich prozessiren muß, werde ich bereits heut Schritte thun, mein Guthaben von dreißigtausend Dollars einzutreiben. Drüben in Eurem guten Deutschland mag der Gläubiger kein Recht besitzen; hier aber bei uns giebt es zum Glück noch die Schuldhaft. Das müßt Ihr bedenken. Wenn Master Wilkins mich nicht bezahlt, lasse ich ihn einstecken. Und weil ich Ansprüche auf die Pflanzung mache und er im Gefängniß sitzt, werde ich einen Sequestor einsetzen und Euch fortjagen lassen.«

»Hm! Euer Advocat ist ein schlauer Kerl!«

»Ja. Euch ist er jedenfalls gewachsen. Also, Monsieur Wilkins, könnt Ihr bezahlen?«

»Nein.«

»So müßt Ihr unbedingt in das Loch!«

»Nur nicht so eilig!« fiel Adler ein. »Ehe Ihr von Schuldhaft redet, müßt Ihr daran denken, daß auch Eure Ansprüche bezüglich der dreißigtausend Dollars nicht gerichtlich anerkannt sind. Bis dies geschehen ist, könnt Ihr einstweilen Euch in das Loch setzen, von welchem Ihr redet. Wenn Monsieur Wilkins auf meinen Rath hört, so zeigt er Euch jetzt die Thür. Das ist jedenfalls das Allerbeste, was er thun kann.«

»Meint Ihr? Schaut doch einmal an, wie klug und weise Ihr seid! Auch ich habe einen guten Rath für ihn, der aber tausendmal besser ist als der Eurige. Wenn er verständig ist, wird er übrigens einsehen, daß ich es viel besser mit ihm meine als Ihr. Eure Absichten kenne ich!«

Wilkins war von Dem, was er jetzt erfahren hatte, beinahe betäubt. Es summte und brummte ihm vor den Ohren und es flimmerte ihm vor den Augen. Er hörte ganz genau, was gesprochen wurde, aber die Worte drangen wie aus der Ferne herüber und durch das Rauschen einer Brandung zu ihm. Als er jetzt die letzten Worte Leflors hörte, glaubte er, Rettung finden zu können. Darum fragte er ihn:

»Welchen Rath habt Ihr denn für mich?«

»Könnt Ihr ihn Euch nicht denken?«

»Nein.«

»Und er ist doch so sehr einfach! Indem ich Euch diesen Rath gebe, beweise ich Euch, daß Ihr keinen besseren Freund besitzt als mich, und daß ein jeder andere Mensch, welcher anders redet als ich, es nur auf seinen eigenen Vortheil abgesehen hat, nicht aber auf den Eurigen. Ich wundere mich wirklich selbst über mich. Ich befinde mich in einer so versöhnlichen Stimmung, als hättet Ihr mir nur lauter Gutes gethan, anstatt so viel Böses. Ich will auch Das, was gestern geschehen ist, vergessen und nie wieder daran denken; aber ich hoffe, daß Ihr auch einsehen werdet, wie gut ich es meine!«

»So sagt, was Ihr mir rathet.«

»Gut! Ich bin überzeugt, daß Ihr meinen Rath befolgen werdet. Es giebt ja wirklich weiter nichts für Euch. Wenn Ihr verständig seid, könnt Ihr die Pflanzung für Euch retten. Sucht nach einem reichen Manne für Miß Almy, welcher die Mittel besitzt, die Pflanzung zu erwerben!«

»Würdet Ihr dann bereit sein, sie wieder zu verkaufen, falls sie Euch zugesprochen würde?«

»Nein; im ganzen Leben nicht.«

»Nun, so könnte auch der reichste Schwiegersohn sie nicht erwerben.«

»Ist auch nicht nöthig. Ihr müßt nur Einen wählen, welchem die Pflanzung bereits schon gehört.«

»Ah, das ist deutlich genug! Ihr meint Euch selbst?«

»Ja. Das würde der ganzen Geschichte das beste Ende geben. Ich hoffe, Ihr seht das ein!«

»Natürlich sehe ich es ein. Ihr kommt und nehmt mir die Pflanzung. Dazu gebe ich Euch noch dreißigtaufend Dollars und meine Tochter! Hm!«

»Ihr lacht?«

»Vor Freude nicht!«

»Das gebe ich zu. Ich habe Verstand genug, einzusehen, wie unangenehm Euch diese Angelegenheit ist. Aber wenn Ihr denselben Verstand habt, so werdet Ihr auch erkennen, daß mein Rath der beste ist.«

Da stand Wilkins von seinem Stuhle auf, drehte sich zu Adler und fragte:

»Was sagt Ihr dazu?«

»Was ich bereits gesagt habe: Jagt den Menschen fort!«

Da trat Leflor herzu, stellte sich Adlern gegenüber und sagte:

»Ich habe nicht die geringste Lust, mich hier noch mehr zu ärgern, als es bereits geschehen ist. Dieser Mann giebt Euch einen Rath, und ich habe Euch einen gegeben. Welchen wollt Ihr befolgen?«

Wilkins befand sich in größter Verlegenheit. Er kannte das Land und seine Verhältnisse. Er wußte, daß er einer schweren Zeit entgegengehe. Das Alles konnte er vermeiden, wenn er Leflor's Wunsch erfüllte. Darum wendete er sich an seine Tochter:

»Almy, antworte Du an meiner Stelle! Aber mache mir dann später keine Vorwürfe, wenn ich nach Deinem Willen handle und es wird viel anders und schlimmer als Du denkst.«

»Wirst auch Du mir keine machen?«

»Gewiß nicht!«

»So will ich lieber arbeiten, daß meine Hände bluten, und lieber verhungern, als daß ich einem Manne angehöre, welcher Leflor heißt.«

Der Genannte stieß einen Laut aus, welcher spitz und scharf wie ein Pfiff aus seinem Munde tönte. Er hatte wirklich geglaubt, daß man sich nach seinem Rathe richten werde. Jetzt stieß er hervor:

»Das ist ja Unsinn! Da rennt Ihr ja mit offenen Augen in das Verderben!«

»Dieses Verderben ist mir angenehmer als Ihr!« antwortete das schöne Mädchen.

Das war ihm denn doch zu viel.

»Ah!« zischte er. »Wenn ich Euer Vater wäre!«

Sie hatte sich bisher scheinbar gleichgiltig gehalten. Während der ganzen Unglücksbotschaft war ihr kein Wort des Schreckes entfahren. Sie war viel zu stolz und verachtete Leflor viel zu sehr, als daß sie ihm hätte merken lassen wollen, wie tief sie von dem Verluste, welcher sie treffen sollte, erschüttert sei. Jetzt aber stand sie stolz und erhobenen Hauptes vor ihm, um ihm zu sagen, was sie zu sagen hatte. Sie fragte streng:

»Was würdet Ihr thun, wenn Ihr mein Vater wäret, Monsieur Leflor?«

»Ich würde Euch befehlen, meinen Willen zu thun.«

»Und wenn ich nicht gehorchte?«

»So würde ich Euch zwingen.«

»Womit?«

»Mit – mit – – mit Allem, womit man ungerathene Kinder zu zwingen vermag.«

»Nun, mein Vater ist nicht so unglücklich, ungerathene Kinder zu besitzen. Schade, daß der Eurige nicht mehr lebt. Er könnte das von Euch erwähnte Experiment an Euch vornehmen. Mein letztes Wort ist gesprochen. Eure Anwesenheit hat keinen Zweck mehr. Ihr könnt gehen!«

Sie stand da, trotz ihrer Jugend wie eine Königin. Ihr erhobener Arm zeigte nach der Thür. Ihre Augen blitzten. Sie war in ihrem Stolze, in ihrem sittlichen Zorne, in ihrer weiblichen Entrüstung so schön, so entzückend schön, daß Adler kein Auge von ihr zu verwenden vermochte.

Aber Leflor ging es ebenso. Er vergaß, zu gehen. Er blieb stehen, das Auge auf sie gerichtet, als ob er sie verschlingen wolle.

»Nun!« rief sie.

Er fuhr zusammen und griff nach seinem Hute.

»Also wirklich?« fragte er.

»Wirklich! Keinen Augenblick länger, sonst rufe ich nach der Dienerschaft.«

Bereits hob er den Fuß, um zu gehen. Da aber übermannte ihn der Eindruck ihrer Schönheit; er wendete sich zurück und rief, seiner nicht mehr mächtig:

»Ja, ich gehe, aber nur einstweilen; aber ich komme zurück, um Dich zu meinem Weibe zu machen. Du wirst es, Du wirst! Ich schwöre es! Wenn alle Engel und alle Teufel dagegen wären, Du würdest dennoch mir gehören. Du bist mein Eigenthum. Hier ist das Zeichen!«

Zwei schnelle Schritte, und er ergriff sie und riß sie in seine Arme. Er wollte sie küssen. Sie stieß einen Schrei aus und beugte das Köpfchen zur Seite. In demselben Augenblicke aber hatte auch schon Adler ihn am Halse gefaßt, sodaß der Freche nun seinerseits einen lauten Schrei ausstieß. Der Deutsche warf ihn wie einen Ball an die Thür, so daß sie aufsprang und Leflor im Vorzimmer hinstürzte. Ehe er sich erheben konnte, hatte Adler ihn schon wieder gepackt und schleuderte ihn an die vordere Thür, welche ebenso aufsprang.

Natürlich flog Leflor nun draußen zur Thür hinaus und hin auf die steinernen Platten des Flurs. In dem Letzteren aber stand der Neger, welcher den Weißen noch erwartete. Als er ihn jetzt in diesem Zustande erblickte, sprang er auf ihn zu und rief lachend:

»O Jessus, Jessus! Wer kommt da? Massa Leflor kommt geflogen! Soll weiter fliegen!«

Er griff den Weißen vom Boden auf, schüttelte ihn, als ob alle Knochen klappern sollten, und warf ihn dann vollends zum vorderen Thor hinaus. Das ging so gedankenschnell, daß jetzt erst Adler aus der Thür trat. Er sah Leflor nicht, aber den Schwarzen und fragte:

»Wo ist der Kerl?«

Der Neger lachte am ganzen Gesichte, sodaß sein Mund von einem Ohre bis an das andere reichte, deutete hinaus auf den Vorplatz und antwortete:

»Dort liegt er, Massa! Soll ich ihn noch über den Garten wegwerfen und nachher vielleicht noch in die Wolken hinauf?«

»Nein, mein Lieber! Er hat genug. Laß ihn laufen!«

»Er wird schnell genug machen, daß er fortkommt.«

*


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