Guy de Maupassant
Herr Parent
Guy de Maupassant

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Ein Wahnsinniger

Er war als Präsident eines hohen Gerichtshofes, als tadelloser Beamter gestorben, dessen vorwurfsfreier Lebenswandel in den juristischen Kreisen Frankreichs sprichwörtlich geworden. Die Advokaten, die jungen Räte, die Richter grüßten mit Ehrerbietung sein bleiches, mageres Antlitz, aus dem tief glänzend zwei Augen leuchteten.

Sein ganzes Leben hindurch hatte er das Verbrechen verfolgt und die Bedrohten geschützt. Diebe und Mörder besaßen keinen gefährlicheren Feind als ihn, denn es war, als könnte er im Grunde ihrer Seele lesen, ihre geheimsten Gedanken erraten und mit einem Blitz seines Auges alle ihre Schliche und Ränke enthüllen.

Im Alter von vierundachtzig Jahren, mit Ehren überhäuft, war er gestorben. Ein ganzes Volk hatte ihm nachgeweint, Soldaten in Paradeanzug ihm das Geleit bis an's Grab gegeben und Herren in weißer Cravatte über seinem Sarge Worte der Trauer gesprochen und Thränen vergossen, an deren Aufrichtigkeit man glauben durfte.

Da fand der erschrockene Notar in dem Schreibtisch wo der Verstorbene die Akten der großen Verbrecher zu verwahren pflegte, folgendes seltsame Schriftstück:

Warum?

20. Juni 1851. – Ich komme eben aus der Sitzung. Ich habe Blondel zum Tode verurteilen lassen. Warum hat dieser Mann seine eigenen fünf Kinder getötet? Warum? Oft begegnet man Menschen, denen der Mord eine wahre Wollust zu sein scheint, ja er muß auch eine Wollust sein, vielleicht die größte, die es giebt, denn kommt das Töten nicht dem Erschaffen am nächsten? Bilden und zerstören? Diese beiden Worte enthalten die Geschichte der Welt, die ganze Geschichte der Welt, alles dessen, was existiert. Warum mag es so berauschend sein, zu töten?

25. Juni. – Wenn man sich überlegt, daß da ein menschliches Wesen lebt, geht, läuft. Ein Wesen, – ja ist es ein Wesen, – dieses belebte Ding, das in sich das Prinzip der Bewegung trägt und einen Willen, der diese Bewegung regelt. Dieses Ding hängt mit nichts zusammen, haftet nicht am Boden, ist ein Stück Leben, das sich nur auf der Erde hinbewegt, und diesen Fetzen vom Leben, der Gott weiß woher gekommen ist, kann man zerstören, wie man will, und dann ist nichts mehr übrig, nichts, er verfault, es ist aus.

26. Juni. – Warum soll es ein Verbrechen sein, zu töten? Warum? Es ist im Gegenteil Naturgesetz. Jedes Wesen ist dazu bestimmt zu töten. Es tötet, um zu leben, und es tötet, um zu töten. Der Mord liegt in unserer Natur. Wir müssen töten. Das Tier tötet ununterbrochen, jeden Tag, jeden Augenblick seines Daseins. Der Mensch mordet unausgesetzt, um sich zu ernähren und auch weil es ihm Bedürfnis ist zu töten. Aus Wollust hat er die Jagd erfunden. Das Kind schon tötet die Insekten, die es findet, die Vögelchen im Nest, alle die kleinen Tiere, die ihm unter die Finger kommen. Aber das sättigt den unwiderstehlichen Drang zum Morde, der in uns liegt, noch nicht. Uns genügt es noch nicht, ein Tier zu töten, wir müssen auch Menschen töten. Früher wurde diesem Triebe durch Menschenopfer Rechnung getragen. Heute wird der Mord durch die Bedürfnisse unserer Gesellschaftsordnung zum Verbrechen. Man verurteilt und bestraft den Mörder. Aber da wir nicht leben können, ohne uns diesem natürlichen zwingenden Mordtriebe hinzugeben, erleichtern wir uns ab und zu durch Kriege, wo ein Volk gleich ein ganzes anderes vernichtet. Dann schwelgt förmlich alles in Blut, ganze Armeen packt eine Art Bluttrunkenheit, die Bürger, Frauen, Kinder ansteckt, wenn sie abends beim Lichte der Lampe die begeisterten Schilderungen dieser Blutfeste lesen.

Man könnte glauben, man müßte diejenigen verachten, die berufsmäßig solche Menschenschlächtereien anrichten. O nein, man überhäuft sie mit Ehren, man zieht ihnen glänzende Uniformen an, sie tragen einen Helm auf dem Kopfe und Orden auf der Brust. Man giebt ihnen Verdienstkreuze, Titel aller Art. Sie sind stolz, geachtet, geliebt von den Frauen, verehrt von der Menge, und das nur, weil es ihre Sendung ist, Menschenblut zu vergießen. Sie lassen ihre Mordinstrumente auf der Straße rasseln, auf die der Vorübergehende, der den Zivilrock trägt, mit Neid sieht. Denn Mord heißt das große Gesetz, das die Natur den menschlichen Wesen in die Brust gepflanzt. Es giebt nichts Schöneres und nichts Ehrenvolleres als zu töten.

30. Juni. – Mord ist Gesetz, weil die Natur ewige Jugend liebt. Aus all diesen unbewußten Thaten scheint herauszutönen: Eile! Eile! Eile! Je mehr sie zerstört, desto schneller erneuert sie sich.

2. Juli. – Was ist eigentlich das menschliche Wesen? Alles und nichts. Durch den Gedanken ist es Alles. Durch Gedächtnis und Kenntnisse ist es ein Abriß der Welt, deren Geschichte es in sich trägt. Es ist ein Spiegel der Dinge und der Thaten. Jedes menschliche Wesen wird in der Welt wieder eine kleine Welt.

Aber, nun seht euch einmal auf Reisen an, wie die Rassen durcheinander wirbeln: dann ist der Mensch nichts mehr, nichts, nichts. Besteigt ein Schiff, entfernt euch vom Strande, der von Menschen wimmelt, und bald werdet ihr nichts mehr erblicken als die Küste. Das unmerkliche, winzige Wesen ist verschwunden, so klein, so unbedeutend ist es. Fahrt durch Europa in einem Eilzug und schaut zum Fenster hinaus: überall erblickt ihr Menschen, Menschen, unzählbar, immer Menschen! Sie wimmeln auf den Feldern, sie drängen sich auf den Straßen, dumme Bauern, die nichts können, als ihr Feld bestellen, gräßliche Weiber, die nichts können, als dem Mann das Essen kochen und Kinder zu gebären. Geht nach Indien, geht nach China, dann werdet ihr wieder Milliarden von menschlichen Wesen sehen, die geboren werden, leben und sterben, ohne mehr Spur von sich zurückzulassen, als eine Ameise, die man auf dem Wege zertritt. Geht in die Länder, wo die Schwarzen in ihren schmierigen Hütten wohnen, wo die Araber unter den braunen Zelten sitzen, die im Winde flattern, und dann werdet ihr begreifen, daß das Einzelwesen, allein auf sich gestellt, nichts bedeutet, nichts. Die Rasse ist alles. Was bedeutet ein Wesen, ein Einzelwesen bei irgend einem Nomadenstamm der Wüste? Diese Menschen sind wie Philosophen, sie fürchten sich nicht vor dem Tode, der Mensch zählt bei ihnen nicht. Man tötet seinen Feind, es ist eben Krieg.

Ja, eilt durch die Welt und seht euch das Gewimmel ungezählter unbekannter Menschen an. Unbekannt? Ja, darin liegt eben das Problem. Der Mord ist zum Verbrechen geworden, weil wir die menschlichen Wesen nummeriert haben. Wenn sie geboren werden, trägt man sie in Bücher ein, benennt sie und tauft sie. Sie stehen unter dem Gesetz. Darin liegt's. Das Wesen, das nicht einregistriert ist, zählt nicht mit. Schlagt es irgendwo in der Heide oder in der Wüste tot, ermordet es in den Bergen oder in der Ebene, was thuts? Die Natur liebt den Tod, sie straft nicht.

Geheiligt dagegen ist das Civilstandsregister. Es schützt den Menschen. Das menschliche Wesen ist unantastbar, weil es in die standesamtlichen Listen eingetragen ist. Davor bezeugt euren Respekt. Das ist der wahre Gott. Nieder auf die Kniee.

Der Staat darf töten, weil er das Recht hat, die Listen des Standesamtes beliebig zu verändern. Wenn er in einem Krieg zweimalhunderttausend Menschen hat schlachten lassen, dann löscht er sie einfach in seinen Listen durch die Hand seiner Beamten. Es ist aus. Aber wir, die wir die Bücher der Behörden nicht ändern dürfen, müssen das Leben respektieren. Ich grüße Dich, göttliche Macht, die in den Tempeln der Behörden wohnt. Du bist stärker als die Natur.

3. Juli. – Es muß ein seltsamer, köstlicher Genuß sein, zu töten. Vor sich das lebende, denkende Wesen zu sehen und nun ein kleines Loch hineinzumachen, nur ein kleines Loch, und dann dieses rote Zeug, das man Blut nennt, herausfließen zu sehen, an dem das Leben hängt und dann nichts mehr vor sich zu haben als einen Klumpen weichen, kalten, starren Fleisches, in dem kein Odem mehr wohnt.

5. August. – Wenn ich nun, ich, der ich mein ganzes Leben lang verurteilt habe, getötet durch das gesprochene Wort, getötet mit der Guillotine alle die, welche mit dem Messer getötet haben, wenn ich es nun ebenso machte, wie alle jene Mörder die ich bestraft habe, wer würde es je erfahren?

10. August. – Ob man mich wohl in Verdacht haben würde, besonders wenn ich ein Wesen auswählte, an dessen Tod mir gar nichts liegen kann?

15. August. – Die Versuchung, die Versuchung ist an mich herangekrochen wie ein Wurm. Sie geht ihren Weg, sie durchläuft meinen ganzen Körper, sie dringt mir ins Hirn, sie nistet sich fest in meinen Ohren, in denen immerfort etwas Fürchterliches, Wundersames, Herzzerreißendes erklingt, das einen närrisch machen kann, und tönt wie der letzte Schrei eines menschlichen Wesens. Sie durchrieselt meine Beine, in denen es mich juckt, dorthin zu gehen, wo es geschehen soll. Sie durchläuft meine Hände, daß sie zittern vor Verlangen zu töten. O, wie muß das köstlich, wunderbar sein, würdig eines freien Menschen, der über den Andern steht, der sein Gewissen zum Schweigen bringt, der raffinirte Empfindungen sucht.

22. August. – Ich konnte nicht mehr widerstehen. Ich habe ein kleines Tier getötet, um einen Versuch anzustellen, um anzufangen.

Mein Diener Johann besaß einen Stieglitz, dessen Käfig am Fenster des Anrichtezimmers hing. Ich habe den Diener fortgeschickt, eine Besorgung zu machen, und habe dann den kleinen Vogel in die Hand genommen. Ich fühlte sein Herzchen pochen. Er war warm. Ich bin auf mein Zimmer gegangen und nun drückte ich die Hand immer stärker und stärker zusammen. Sein Herz schlug schneller, es war fürchterlich und köstlich zugleich. Ich wollte ihn so erwürgen, aber dann hätte ich kein Blut gesehen.

Da nahm ich eine Schere, eine kurze Nagelschere und habe ihm ganz langsam mit drei Schnitten die Kehle durchschnitten. Er öffnete den Schnabel, er wollte mir entfliehen, aber ich hielt ihn, hielt ihn fest. Ich hätte eine wütende Dogge gehalten. Da sah ich das Blut fließen. O, wie schön! – Rot, leuchtend, hell, Blut, Blut! Ich empfand unwiederstehliches Verlangen es zu trinken. Ich leckte mit der Zungenspitze daran. Es schmeckte gut. Das arme Vögelchen hatte so wenig Blut! Und ich hatte keine Zeit, mich an diesem Anblick so lange zu ergötzen wie ich gewollt hätte. Es muß köstlich sein, mit anzusehen, wie sich ein Stier verblutet.

Und dann habe ich es gemacht wie ein richtiger Mörder. Ich habe die Schere gereinigt, habe mir die Hände gewaschen, das Wasser fortgeschüttet, habe den Körper, den Leichnam in den Garten gebracht, um ihn zu vergraben, und habe ihn unter einem Erdberestrauch verscharrt. Man wird ihn nie finden. Ich werde täglich von diesem Strauch eine Beere essen. Ach, wie kann man das Dasein genießen, wenn man 's nur richtig versteht.

Mein Diener hat geweint. Er glaubt, sein Vogel ist davongeflogen. Wie soll er mich im Verdacht haben? Ha! Ha! Ha!

25. August. – Ich muß einen Menschen töten. Ich muß.

30. August. – Es ist geschehen. Wenn's weiter nichts ist.

Ich war im Gehölz von Vernes spazieren gegangen. Ich dachte an nichts, gar nichts. Da traf ich ein Kind auf dem Wege, einen kleinen Jungen, der ein Butterbrot aß.

Er blieb stehen, blickte mir nach und sagte:

– Guten Morgen, Herr Präsident.

Und da schoß mir der Gedanke durch den Kopf: wenn ich den tötete!

Ich antwortete:

– Bist Du allein, mein Junge?

– Ja, Herr Präsident.

– Ganz allein im Walde?

– Jawohl, Herr Präsident.

Da berauschte mich die Lust zu töten wie Alkohol. Ich näherte mich dem Knaben ganz langsam, ich meinte, er würde fliehen, und da packte ich ihn bei der Kehle, drückte sie ihm zusammen mit aller Kraft. Er hat mich mit fürchterlichen Augen angeblickt. Gott, o Gott diese Augen, ganz rund, tief, klar, schrecklich! Ich habe nie eine so furchtbare Erregung durchgemacht, aber so kurz! Er hielt meine Fäuste mit seinen kleinen Händchen umklammert und sein Körper wand sich wie eine Feder die man ins Licht hält. Dann bewegte er sich nicht mehr.

Mein Herz schlug. Es pochte wie das Herzchen des Vogels. Ich habe den Körper in den Graben geworfen und dann Gras darauf gestreut.

Dann bin ich nach Hause gegangen und habe mir das Essen schmecken lassen, es ist ja weiter nichts. An dem Abend war ich sehr lustig wie verjüngt, ich habe die Zeit bei dem Präfekten zugebracht. Man fand mich sehr geistreich.

Aber ich habe das Blut nicht gesehen, ich bin ganz ruhig.

30. August. – Man hat die Leiche gefunden. Man sucht den Mörder. Ha! Ha!

1. September. – Man hat zwei Landstreicher festgenommen. Beweise fehlen.

2. September. – Die Eltern sind zu mir gekommen. Sie weinten! Ha! Ha!

6. Oktober. – Man hat nichts entdeckt. Irgend ein Landstreicher muß die That ausgeführt haben, denken sie. Ha! Ha! Wenn ich nur hätte Blut fließen sehen, ich glaube dann hätte ich Ruhe.

10. Oktober. – Die Lust zu töten läuft mir durch alle Adern. Das ist, wie die Liebesbrunst mit zwanzig Jahren.

20. Oktober. – Noch einen. Ich ging längs des Flusses spazieren und da sah ich unter einem Weidenbaum einen Fischer, der schlief. Es war mittags. In dem nahen Kartoffelfelde steckte eine Hacke, offenbar eigens dazu. Ich packte sie, schlich mich an den Schlafenden heran, hob sie wie ein Beil und habe mit einem einzigen Hieb dem Fischer den Kopf gespalten. Der hat aber geblutet! Rosa Blut mit Gehirnmasse untermischt, das lief und sickerte langsam ins Wasser. Und dann bin ich ganz ernst und würdig davongegangen. O, wenn das bloß einer hätte mit ansehen können! Ich wäre ein ausgezeichneter Mörder geworden.

25. Oktober. – Die Geschichte mit dem Fischer macht großen Lärm. Man hat seinen Neffen in Verdacht, der immer mit ihm auf den Fischfang ging.

26. Oktober. – Der Untersuchungsrichter behauptet, daß der Neffe der Mörder ist. In der Stadt glaubt es alle Welt. Ha! Ha!

27. Oktober. – Der Neffe verteidigt sich recht dumm! Er behauptet, er wäre ins Dorf gegangen, um Brot und Käse zu kaufen. Er schwört, man hätte den Onkel während seiner Abwesenheit ermordet. Wer soll ihm glauben!

28. Oktober. – Der Neffe hätte beinahe gestanden, so haben sie ihm zugesetzt. Ha! Ha! Unsere Gerichtspflege!

15. November. – Man hat erdrückende Beweise gegen den Neffen, der seinen Onkel beerben sollte. Ich werde der Gerichtsverhandlung präsidieren.

25. Januar. – Zum Tode – zum Tode verurteilt. Ich habe ihn zum Tode verurteilen lassen. Der Staatsanwalt hat wie ein rächender Engel gesprochen. Ha! Ha! Noch einer. Ich werde der Hinrichtung beiwohnen.

10. März. – Jetzt ists aus. Man hat ihn diesen Morgen hingerichtet. Er ist sehr gut gestorben, sehr gut, 's hat mir Spaß gemacht, es sieht sich doch zu schön an, wenn einem der Kopf abgeschnitten wird. Das Blut schoß heraus wie ein Strom, wie ein Strom. Wenn ich gekonnt hatte, hätte ich mich darin gebadet. Der Gedanke: sich darunter legen und dann das Blut in die Haare und auf das Gesicht bekommen und ganz rot, rot aufstehen. Wundervoll! O, wenn man wüßte.

Jetzt werde ich warten, ich kann warten. Ich könnte durch irgend eine Kleinigkeit erdeckt werden.

Das Manuskript enthielt noch viele Seiten, aber ohne von einem neuen Verbrechen zu sprechen.

Die Irrenärzte, denen man es gegeben, behaupten, daß unter uns viele Verrückte herumlaufen, von denen man nichts weiß, die ebenso geschickt und ebenso gemeingefährlich sind wie dieses wahnsinnige Ungeheuer!



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