Guy de Maupassant
Bel Ami
Guy de Maupassant

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X.

Es war dunkel in der kleinen Wohnung auf der Rue Constantinople, denn Georges Du Roy und Clotilde de Marelle hatten sich am Eingang getroffen und waren schnell hineingetreten und sie fragte, ohne ihm Zeit zu lassen, die Vorhänge zurückzuziehen:

»Also du heiratest wirklich Suzanne Walter?«

Er gab es sanft zu und sagte dann:

»Wußtest denn du das gar nicht?«

Sie stand wütend und entrüstet vor ihm.

»Du heiratest Suzanne Walter!« versetzte sie zornig. »Das geht schon zu weit! Das geht schon zu weit! Seit drei Monaten bist du so scheinbar lieb mit mir, damit ich nichts merken sollte. Alle Welt weiß es, nur ich nicht. Mein Mann hatte es mir gesagt.«

Du Roy grinste, trotzdem war er etwas verlegen. Er legte seinen Hut auf eine Kaminecke und setzte sich in einen Lehnstuhl.

Sie blickte ihm fest ins Gesicht und sagte dann leise mit gereizter Stimme:

»Seitdem du dich von deiner Frau scheiden ließest, bereitest du diesen Streich vor; und für die Zwischenzeit behieltst du mich nett und liebenswürdig als deine Geliebte! Was bist du doch für ein Schurke!«

»Wieso?« fragte er. »Ich hatte eine Frau, die mich betrog, ich habe sie überrascht. Ich habe die Scheidung durchgesetzt und nun heirate ich eine andere. Was ist denn dabei?«

Sie flüsterte zitternd:

»Oh, wie du raffiniert und gefährlich bist!«

Er begann wieder zu lächeln:

»Natürlich. Die Dummen und die Schwachköpfe fallen immer herein.«

Doch sie ließ von ihren Gedanken nicht ab:

»Ich hätte dich von Anfang an durchschauen müssen. Nein, aber für einen so gemeinen Schurken habe ich dich doch nicht gehalten.«

Er nahm eine würdevolle Miene an:

»Ich bitte dich, auf die Worte zu achten, die du gebrauchst!«

Sie empörte sich gegen seine Dreistigkeit:

»Was? Willst du etwa, daß ich dich mit Handschuhen anfassen soll? Du benimmst dich mir gegenüber, seitdem ich dich kenne, wie ein Lump, und nun verlangst du, daß ich es dir nicht sage? Du betrügst und beutest alle und alles aus; du nimmst dir Geld und Vergnügen überall, wo du es findest, und du willst, daß ich dich als einen ehrlichen Mann behandle?«

Er stand auf und sagte mit bebenden Lippen:

»Schweig, oder ich werfe dich hinaus!«

Sie stammelte:

»Mich hinauswerfen ... mich hinauswerfen ... du willst mich von hier hinauswerfen ... von hier ... du ... du?«

Sie konnte nicht weitersprechen, sie erstickte direkt vor Zorn, und auf einmal schrie sie in einem jähen Wutausbruch hervor:

»Hinauswerfen? Du vergißt, daß ich das hier seit dem ersten Tage bezahlt habe. Ah! Du hast sie ab und zu auf deine Rechnung übernommen. Aber wer hat sie gemietet ... ich war es ... Wer hat sie behalten? ... Ich ... Und du willst mich hinauswerfen? Schweige, du Taugenichts. Glaubst du etwa, ich wüßte nicht, wie du Madeleine die Hälfte ihrer Vaudrecschen Erbschaft gestohlen hast. Glaubst du, daß ich nicht weiß, wie du mit Suzanne geschlafen hast, um sie zu zwingen, dich zu heiraten.«

Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie:

»Sprich nicht von der. Ich verbiete es dir!«

Sie schrie:

»Du hast doch mit ihr geschlafen, ich weiß es.«

Er hätte vieles sich gefallen lassen, doch diese Unwahrheit brachte ihn außer sich. Die Wahrheiten, die sie ihm schreiend ins Gesicht geschleudert hatte, ließen für den Augenblick sein Herz vor Zorn erbeben, aber das, was sie fälschlich über das kleine Mädchen sagte, die seine Frau werden sollte, ließ seine Hand zusammenzucken, in dem wütenden Verlangen, zu schlagen.

Er wiederholte:

»Schweig ... nimm dich in acht ...! Schweige du! ...«

Und er schüttelte sie hin und her wie man einen Baumzweig mit Früchten rüttelte.

Mit verwirrtem Haar und irrem Blick, den Mund weit aufgerissen, heulte sie:

»Du hast mit ihr geschlafen!«

Er ließ sie los und gab ihr solch einen Schlag ins Gesicht, daß sie gegen die Wand taumelte. Doch sie wandte sich gegen ihn, hob die geballten Fäuste und schrie von neuem mit aller Kraft:

»Du hast mit ihr geschlafen!«

Da stürzte er sich über sie, und während sie unter ihm lag«, schlug er auf sie los wie auf einen Mann. Jetzt wurde sie plötzlich still und stöhnte nur unter seinen Schlägen.

Sie rührte sich nicht mehr. Sie hatte ihr Gesicht in der Ecke zwischen Wand und Parkett versteckt und stieß klagende Schreie aus.

Endlich ließ er sie los und richtete sich auf. Dann machte er ein paar Schritte durch das Zimmer, um seine Kaltblütigkeit wiederzugewinnen. Es fiel ihm etwas ein, er ging ins Schlafzimmer, goß kaltes Wasser in das Waschbecken und tauchte seinen Kopf hinein. Nachher wusch er sich die Hände und ging zurück, um zu sehen, was sie nun machte. Währenddessen trocknete er seine Finger sorgfältig mit dem Handtuche ab.

Sie rührte sich nicht. Sie blieb am Boden ausgestreckt liegen und weinte leise.

Er fragte:

»Bist du bald mit deiner Heulerei fertig?

Sie antwortete nicht. Er stand mitten im Zimmer, fühlte sich etwas verlegen und beschämt neben diesem ausgestreckten Körper.

Dann faßte er plötzlich einen Entschluß, nahm den Hut vom Kamin und sagte:

»Guten Abend. Übergib den Schlüssel dem Portier, wenn du fertig bist. Ich kann nicht deiner Laune wegen ewig warten.«

Er ging hinaus, schloß die Tür und suchte den Portier auf.

»Madame ist noch in der Wohnung«, sagte er; »sie wird auch gleich gehen. Sagen Sie dem Hausbesitzer, daß ich zum 1. Oktober kündige. Wir haben den 16. August, es ist also noch vor dem Termin.«

Er entfernte sich schnell, denn er hatte verschiedene dringende Besorgungen zu erledigen und die letzten Einkäufe für die Ausstattung zu machen.

Der Hochzeitstag war auf den 20. Oktober festgesetzt, nach der Wiedereröffnung der Kammern. Die Trauung sollte in der Madeleinekirche stattfinden. Es wurde viel hin und her geredet, ohne daß man die Wahrheit genau wußte. Verschiedene Geschichten liefen umher. Man erzählte von einer Entführung, aber es waren nur vage und unbeweisbare Gerüchte. Nach Angabe der Dienstboten sprach Frau Walter überhaupt nicht mehr mit ihrem zukünftigen Schwiegersohn; sie sollte an dem Abend, wo die Ehe beschlossen war, nachdem sie ihre Tochter um Mitternacht in ein Kloster bringen ließ, vor Zorn einen Schlaganfall bekommen haben.

Man hatte sie halbtot aufgefunden, und es bestand keine Aussicht, daß sie jemals ganz gesund sein würde. Sie sah jetzt aus wie eine alte Frau, ihre Haare wurden grau. Sie war sehr fromm geworden und nahm jeden Sonntag das Abendmahl.

In den ersten Septembertagen meldete die Vie Française, daß der Baron Du Roy de Cantel Chefredakteur geworden sei, während Herr Walter den Titel des Direktors behalte.

Jetzt wurde ein ganzer Stab bekannter Feuilletonisten, politischer Redakteure, Kunst- und Theaterkritiker den bekannten großen Zeitungen durch schweres Geld gewaltsam entrissen und bei der Redaktion als neue Mitarbeiter angestellt.

Die älteren, achtbaren, ernsten Journalisten zuckten nicht mehr mit den Achseln, wenn man von der Vie Française sprach.

Der schnelle und durchgreifende Erfolg hatte die Mißachtung erstickt, die ernste Schriftsteller anfangs gegen dieses Blatt gehegt hatten.

Die Hochzeit des Chefredakteurs war ein sogenanntes großes Pariser Ereignis. Georges Du Roy und Walter hatten seit einiger Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit und Neugier auf sich gelenkt. Alle Leute, deren Namen in den Zeitungen erwähnt werden, sollten zur Trauung erscheinen.

Dieses Ereignis fand an einem sonnigen Herbsttage statt. Um acht Uhr morgens beschäftigte sich das gesamte Kirchenpersonal damit, einen breiten roten Teppich über die Stufen der hohen Freitreppe auszubreiten, die von der Rue Royal zur Kirche hinaufführt. Die Passanten waren stehengeblieben, und das Volk von Paris wußte, daß eine sehr feierliche Zeremonie sich hier abspielen würde.

Die Beamten, die zu ihren Bureaus gingen, die kleinen Arbeiterinnen und Kommis gafften, bewunderten die Vorbereitungen und träumten unbestimmt von den reichen Leuten und von dem Reichtum, der dazu gehöre, um so viel Geld für eine Hochzeit ausgeben zu können.

Um 10 Uhr begannen die Neugierigen sich anzusammeln. Sie blieben dort einige Minuten stehen, in der Hoffnung, daß es vielleicht gleich anfangen würde und gingen dann, des Wartens müde, weiter. Um 11 Uhr kam ein Trupp Stadtpolizisten und forderten die Menge auf weiter zu gehen, denn es bildeten sich alle Augenblicke Aufläufe.

Die ersten Gäste erschienen bald, die die besten Plätze einnehmen wollten, von wo man alles übersehen konnte. Sie setzten sich am Rande neben dem großen Mittelschiff, allmählich kamen auch die anderen, Frauen mit rauschenden Seidenkleidern, strenge, ernste Männer, beinahe alle kahlköpfig, von weltmännischem, korrektem Auftreten, die sich hier an diesem Ort noch feierlicher und würdevoller als sonst benahmen.

Allmählich füllte sich die Kirche. Ein heller Sonnenstrahl drang durch das weitgeöffnete Kirchenportal und fiel auf die erste Reihe der eingeladenen Freunde. Am Chor sah es dunkel aus; der Altar, der mit brennenden Kerzen besteckt war, schien mit einem gelblichen Licht schwach beleuchtet, im Vergleich zu dem grellen Schein, der durch die Öffnung des großen Portals drang.

Man erkannte sich, man begrüßte sich durch Zeichen und man stand in Gruppen herum. Die Literaten, die weniger respektvoll als die vornehme Welt waren, plauderten halblaut. Man betrachtete die Damen. Norbert de Varenne schien einen Freund zu suchen und erblickte Jacques Rival, der in der Mitte der Stuhlreihen stand. Er trat auf ihn zu:

»Da sehen Sie, die Welt gehört den Gerissenen.«

Der andere, der gar nicht neidisch war, antwortete:

»Um so besser für ihn, er ist ein gemachter Mann.«

Dann sprachen sie über einzelne Bekannte, die ihnen dort auffielen,

Rival fragte:

»Wissen Sie eigentlich, was aus der Frau geworden ist?«

Der Dichter lächelte:

»Ja und nein. Sie lebt ganz zurückgezogen, so hat man mir erzählt, in dem Stadtviertel von Montmartre. Aber ... es ist nämlich ein »aber« dabei ... seit einiger Zeit lese ich in der ‘Feder’ die politischen Artikel, die denen von Forestier und Du Roy auffallend ähnlich sind. Sie stammen von einem gewissen Jean Le Dol; es ist ein junger Mann, ein hübscher Kerl, intelligent, von demselben Schlage wie unser Freund Georges; und er hat dessen frühere Frau kennengelernt. Daraus schließe ich, daß sie die Anfänger liebte und sie wahrscheinlich ewig lieben wird. Sie ist übrigens reich. Vaudrec und Laroche-Mathieu waren doch nicht umsonst ihre besten Freunde.«

Rival erklärte:

»Sie war nicht schlecht, die kleine Madeleine, sehr schlau und sehr klug. Ohne Hülle muß sie reizend sein. Aber sagen Sie doch, wie kommt denn das, daß Du Roy sich nach der Scheidung in der Kirche trauen läßt?«

Norbert de Varenne antwortete:

»Er läßt sich kirchlich trauen, weil er für die Kirche das erstemal überhaupt nicht verheiratet war.«

»Wieso?«

»Unser Bel-Ami hatte, als er Madeleine Forestier heiratete, aus Gleichgültigkeit oder aus Sparsamkeit das Standesamt für ausreichend gehalten. Er hat sich den kirchlichen Segen erspart. Was unsere heilige Mutter Kirche als einfaches Konkubinat betrachtet. Folglich tritt er heute als Junggeselle vor sie und sie stellt ihm allen ihren Pomp zur Verfügung, der den Vater Walter ein schweres Geld kosten wird.«

Der Lärm der wachsenden Menge wurde immer lauter, man vernahm Stimmen, die ganz laut sprachen. Man zeigte auf die berühmten Persönlichkeiten, die vor dem Publikum posierten und zufrieden waren, begafft zu werden. Sie waren gewohnt, sich zur Schau zu stellen und hielten sich für unentbehrliche Dekorationen bei allen öffentlichen Feierlichkeiten.

Rival fuhr fort:

»Sagen Sie doch, mein Lieber, Sie gehen doch öfters zum Chef; ist es wahr, daß Frau Walter und Du Roy nie ein Wort mehr miteinander sprechen?«

»Niemals. Sie wollte ihm die Kleine nicht geben. Aber er hatte den Vater scheinbar in der Hand; er drohte mit Enthüllungen über die Leichen, die in Marokko begraben sind. Es war eine furchtbare Drohung. Walter hat an das Beispiel von Laroche-Mathieu gedacht und hat sofort nachgegeben. Doch die Mutter, hartnäckig und eigensinnig wie alle Frauen, hat geschworen, nie ein Wort mit ihrem Schwiegersohn zu reden. Es ist sehr komisch, zu sehen, wenn sie einander gegenüber stehen. Sie sieht wie eine Bildsäule, wie eine Statue der Rache aus, und er ist offenbar verlegen, trotzdem er äußerlich seine Haltung nicht verliert; der Junge versteht sich schon zu beherrschen.«

Die Kollegen kamen heran und drückten ihnen die Hände; man hörte abgerissene Sätze aus politischen Gesprächen. Und formlos wie das entfernte Rauschen des Meeres drang mit dem Sonnenlicht das Wogen der Volksmassen, die sich vor der Kirche angesammelt hatten, durch das offene Portal und erfüllte die Wölbungen und übertönte das leise Murmeln des auserwählten Publikums, das auf den Gottesdienst wartete.

Plötzlich klopfte der Schweizer mit der hölzernen Spitze der Hellebarde dreimal auf die steinernen Fliesen. Die ganze Versammlung wandte sich nun mit lautem Kleiderrauschen und Rücken der Stühle dem Eingange zu. Die junge Frau erschien am Arm ihres Vaters in dem hellen Licht am Portal.

Sie sah immer noch wie eine Puppe aus, wie eine prächtige weiße Puppe, deren Haar mit Orangeblüten geschmückt war. Sie blieb einige Augenblicke an der Schwelle stehen und tat dann ihren ersten Schritt in das mittlere Kirchenschiff. In dem Moment verkündete die Orgel mit ihrem mächtigen metallenen Klang den Eintritt der Vermählten.

Sie schritt mit gesenktem Kopf, doch ohne Scheu, etwas aufgeregt, zierlich, reizend wie eine Miniaturbraut. Die Frauen lächelten und murmelten, als sie an ihnen vorüberging. Die Männer flüsterten sich zu: »Entzückend, bezaubernd!« Herr Walter schritt etwas übertrieben würdevoll mit dem Kneifer auf der Nase.

Ihnen folgten vier Brautjungfrauen, alle vier hübsch und in Rosa gekleidet und bildeten den Hof dieser reizenden Königin. Die Brautführer waren auch gut ausgewählt und gingen in einem gleichförmigen Schritt, scheinbar von einem Ballettmeister eingeübt.

Dann erschien Frau Walter am Arm des Vaters ihres anderen Schwiegersohnes, des zweiundsiebzigjährigen Marquis de Latour-Yvelin. Sie ging nicht, sondern sie schleppte sich vorwärts, sie schien bei jedem Schritt in Ohnmacht zu fallen. Man sah, daß sie ihre Beine mit großer Mühe bewegte, daß ihr Herz in ihrer Brust so heftig klopfte, wie ein gefangenes wildes Tier, das entfliehen will.

Sie war mager geworden. Ihre weißen Haare ließen ihr Gesicht noch blasser und eingefallener erscheinen. Sie sah vor sich hin, um niemanden zu sehen und vielleicht auch um nicht über das nachzudenken, was sie so sehr quälte.

Dann erschien Georges Du Roy mit einer unbekannten alten Dame.

Er trug den Kopf hoch und sah gleichfalls mit hartem Blick unter seinen etwas zusammengezogenen Brauen starr vor sich hin. Sein Schnurrbart schien sich über seiner Lippe zu sträuben, Alle fanden ihn sehr schön. Er hatte eine stolze Haltung, eine schlanke Figur und einen geraden Gang. Der Frack saß gut und das rote Bändchen der Ehrenlegion glänzte daran wie ein Blutstropfen.

Dann kamen die Verwandten, Rose mit dem Senator Rissolin. Sie war seit sechs Wochen verheiratet. Der Graf de Latour-Yvelin begleitete die Vicomtesse de Percemur. Endlich kam ein seltsamer bunter Zug von Bundesgenossen und Freunden Du Roys, die er in seiner neuen Familie eingeführt hatte, bekannte Leute aus der Pariser Halbgesellschaft, die sofort zu intimsten Freunden und sogar zu entfernten Verwandten der reichen Emporkömmlinge werden; heruntergekommene, ruinierte und verkrachte Edelleute, die bisweilen noch verheiratet sind, was das Allerschlimmste ist. Es waren: Herr de Belvigne, der Marquis de Banjolin, der Graf und die Gräfin de Revenel, der Herzog de Ramorano, der Fürst Kravalow, der Ritter Valréali, dann noch die Gäste des Walterschen Hauses; der Prinz de Guerche, der Herzog und die Herzogin de Ferracine und die schöne Marquise des Dunes. Einige Verwandte von Frau Walter zeigten in diesem eleganten großstädtischen Zuge ein vornehmes Provinzaussehen.

Und immerfort spielte die Orgel und erfüllte die weiten Hallen mit dem mächtigen melodischen und rhythmischen Gesang ihrer ehernen Kehlen, die alles Menschenglück und -leid zum Himmel emporsandten.

Man schloß die schweren Flügel des Portals, und auf einmal wurde es dunkel, als hätte man der Sonne den Eintritt verriegelt.

Georges kniete im Chor neben seiner Frau vor dem erleuchteten Altar. Der neue Bischof von Tanger mit dem Krummstab in der Hand und der Mitra auf dem Kopf, kam aus der Sakristei, um sie im Namen des Allmächtigen zu vereinigen.

Er stellte die üblichen Fragen, wechselte die Ringe, sprach die Worte, die wie Fesseln binden, und richtete an die Neuvermählten eine christliche Ansprache. Er sprach lange von der Treue in pathetischen Ausdrücken. Es war ein dicker, hochgewachsener Mann, einer jener schönen Prälaten mit einem majestätischen Bäuchlein. Man hörte plötzlich ein heftiges Schluchzen und einige Köpfe drehten sich um. Frau Walter weinte, das Gesicht m die Hände vergraben.

Sie mußte nachgeben. Was konnte sie denn tun? Doch seit dem Tage, da sie ihre Tochter, die zurückgekehrt war, aus ihrem Zimmer gewiesen hatte, und sich geweigert hatte, sie zu umarmen, seit dem Tage, da sie Du Roy, der sie respektvoll begrüßt hatte, mit leiser Stimme sagte: »Sie sind das gemeinste Wesen, das ich je gekannt habe, reden Sie mich nie mehr an, denn ich werde Ihnen doch nicht antworten.« — Seit jenem Tag litt sie die furchtbarsten und unerträglichsten Qualen. Sie haßte Suzanne mit scharfem, bitterstem Haß, mit einer verzweifelten Leidenschaft und einer verzehrenden Eifersucht, der seltsamen Eifersucht einer Mutter und zugleich einer Geliebten, einem Gefühl, das sie nicht eingestehen konnte und das wie eine klaffende Wunde brannte.

Und nun wurden sie von einem Bischof getraut, ihre Tochter und ihr Geliebter, in der Kirche in Gegenwart von 2000 Menschen und vor ihren Augen! Sie konnte nichts sagen! Sie konnte es nicht verhindern! Sie konnte nicht laut aufschreien: »Er gehört mir, dieser Mann, er ist mein Geliebter! Dieser Bund, den ihr segnet, ist eine Niedertracht!«

Einige Damen waren gerührt und flüsterten:

»Wie ist die arme Mutter aufgeregt.«

Der Bischof sagte:

»Sie gehören zu den Glücklichen der Erde, zu den Reichsten und Angesehensten. Sie, mein Herr, dessen Talent Sie über die anderen erhoben, die Sie schreiben, belehren, beraten und das Volk leiten, Sie haben einen herrlichen Beruf zu erfüllen, ein schönes Beispiel zu geben ...«

Du Roy hörte diesen Worten zu und war von Stolz berauscht. Ein Prälat der römischen Kirche, der so zu ihm sprach. Und er fühlte hinter seinem Rücken die Menge, eine vornehme, erlauchte Menge, die seinetwegen gekommen war. Und es war ihm, als trüge und erhöbe ihn eine geheimnisvolle Kraft.

Er wurde nun einer der Herren dieser Erde. Er, der Sohn zweier armer Bauern aus Canteleu. Und er sah sie plötzlich in ihrer niedrigen Wirtsstube, hoch oben auf dem Bergkamm über dem Tal von Rouen; er sah seinen Vater und seine Mutter, wie sie den Bauern der Umgegend zu trinken gaben.

Er hatte ihnen 5000 Francs geschickt, als er den Grafen de Vaudrec beerbte. Nun würde er ihnen 50000 Francs schicken, sie würden sich ein kleines Landgut kaufen. Sie würden zufrieden und glücklich sein.

Der Bischof hatte seine Ansprache beendet. Ein Priester in goldbestickter Stola stieg die Stufen zum Altar hinauf. Und die Orgel verkündete wieder die Herrlichkeit der Neuvermählten.

Es waren langgezogene, gewaltige, schwellende Klänge wie Meereswogen; sie schallten so mächtig, als müßten sie das Gewölbe hochheben und sprengen, um gegen den blauen Himmel emporzusteigen. Ihre bebenden Klänge erfüllten die ganze Kirche und ließen die Herzen erzittern. Auf einmal wurden sie stiller, und leichte, flüchtige Klänge schwebten in der Luft und berührten das Ohr wie ein leiser Hauch. Es waren graziöse, leichte, sprudelnde Gesänge, die wie Vogelgezwitscher klangen; und wieder schwoll diese anmutige Musik, breitete sich aus, gewaltig, voll und mächtig, wie wenn ein Sandkorn sich in ein ungeheueres Weltall verwandelte.

Dann erhoben sich menschliche Stimmen und glitten über die gebeugten Köpfe der Versammelten dahin. Vauri und Landeck von der Oper sangen. Der Weihrauch verbreitete einen zarten Harzduft und auf dem Altar wurde das Meßopfer vollzogen. Der Gottesmensch stieg auf den Ruf des Priesters auf die Erde hinab, um den Triumph des Barons Georges Du Roy zu segnen.

Bel-Ami kniete mit gesenktem Kopf neben Suzanne. In diesem Augenblick fühlte er sich beinahe gläubig, beinahe fromm, voll Dankbarkeit für die Gottheit, die ihn so begünstigt und so rücksichtsvoll behandelt hatte. Und ohne recht zu wissen, an wen er sein Gebet richtete, dankte er für seinen Erfolg.

Als der Gottesdienst zu Ende war, richtete er sich auf, reichte seiner Gemahlin den Arm und ging mit ihr in die Sakristei. Und nun begannen die endlosen Gratulationen. Georges war wahnsinnig vor Freude und hielt sich für einen König, dem das Volk zujauchzte. Er drückte die Hände, stammelte nichtssagende Worte, grüßte und antwortete auf die Glückwünsche: »Ich danke herzlichst.«

Plötzlich erblickte er Madame de Marelle, und die Erinnerung an all die Küsse, die er ihr gegeben und die sie ihm erwidert hatte, die Erinnerungen an alle die Zärtlichkeiten und Liebkosungen, an den Klang ihrer Stimme und an den Reiz ihrer Lippen, — alles das ließ sein Blut heiß durch die Adern rinnen und wieder überfiel ihn ein jähes Verlangen, sie zu besitzen.

Sie war hübsch, elegant, mit ihrer kecken Art und ihren lebhaften Augen. Georges dachte: »Aber sie ist doch eine reizende Geliebte.«

Sie näherte sich ihm etwas schüchtern, etwas verlegen und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie und behielt sie in der seinen. Da fühlte er den leisen Lockruf der Frauenfinger, den sanften Druck, der verzeiht, und alles wieder gutmacht. Er drückte diese kleine Hand, als wollte er sagen: »Ich liebe dich noch immer, ich bin dein!«

Ihre Augen trafen sich lächelnd, strahlend und voller Liebe. Und sie sagte, leise und graziös:

»Auf Wiedersehen, mein Herr!«

Er antwortete heiter:

»Auf Wiedersehen, gnädige Frau!«

Dann ging sie.

Die anderen drängten heran. Die Menge rollte an ihm vorüber wie ein Strom. Endlich lichtete sie sich und die letzten Gratulanten gingen vorbei.

Georges bot Suzanne wieder den Arm, um durch die Kirche hinauszugehen.

Sie war voll von Menschen, denn jeder ging wieder auf seinen Platz zurück, um sie beide vorbeischreiten zu sehen. Er ging langsam, mit ruhigen Schritten und mit erhobenem Haupt, die Augen fest auf die sonnenbeleuchtete Öffnung des Portals gerichtet. Er fühlte, wie immer wieder ein Schauer über seine Haut lief, der kalte Schauer des unendlichen großen Glücks. Er sah niemanden, er dachte nur an sich.

Als er auf die Schwelle trat, blickte er auf die dicht gedrängte, schwarze, lärmende Menge, die seinetwegen gekommen war. Ihn, Georges Du Roy, betrachtete das Volk von Paris, ihn beneidete es auch.

Dann hob er die Augen und sah dort jenseits der Place de la Concorde die Abgeordnetenkammer. Und es war ihm, als brauchte er nur noch einen Sprung, um vom Tor der Madeleinekirche zum Tor des Palais Bourbon zu gelangen. Er ging langsam zwischen zwei lebendigen Mauern von Zuschauern die Stufen des hohen Kirchenaufganges hinab. Doch er sah nichts, seine Gedanken flogen jetzt zurück und vor seinen Augen, die von der strahlenden Sonne geblendet waren, flatterte das Bild von Madame de Marelle, wie sie vor dem Spiegel ihre frisierten Löckchen an den Schläfen zurecht ordnete, die jedesmal zerzaust waren, wenn sie aus dem Bett sprang.


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