Guy de Maupassant
Bel Ami
Guy de Maupassant

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II.

Das Ehepaar Du Roy war seit zwei Tagen nach Paris zurückgekehrt und der Journalist hatte seine alte Tätigkeit wieder aufgenommen, in der Hoffnung, bald von der Redaktion des Lokalen Teils entbunden zu werden, um endgültig das Ressort Forestiers zu übernehmen und sich ganz der Politik widmen zu können.

Er ging abends mit frohem Herzen nach der Wohnung seines Vorgängers, um zu essen. Er sehnte sich nach seiner Frau, deren körperliche und seelische Reize ihn immer mehr fesselten. Als er an einem Blumenladen am Ende der Rue Notre Dame de Lorette vorbeikam, kam er auf die Idee, für Madeleine einen Strauß Blumen mitzunehmen und er kaufte ein großes Bund halbgeöffneter, duftender Rosenknospen.

Auf jedem Treppenabsatz seiner neuen Wohnung sah er sich selbstgefällig in dem Spiegel, der ihn jedesmal an seinen ersten Besuch in diesem Hause erinnerte.

Er hatte seinen Schlüssel vergessen und klingelte. Der Diener, den er auf Anraten seiner Frau behalten hatte, öffnete ihm.

Georges fragte:

»Ist meine Frau schon zurück?«

»Jawohl, mein Herr.«

Als er durchs Eßzimmer ging, wurde er stutzig, weil er drei Gedecke erblickte. Der Türvorhang zum Salon war zurückgeschlagen und er sah nebenan Madeleine, die einen Strauß ganz ähnlicher Rosen in eine Vase auf dem Kamin hineinsteckte. Er wurde verstimmt und mißvergnügt, als hätte ihn jemand um seine Idee und um die ganze Freude bestohlen, die er von dieser Aufmerksamkeit erwartete.

Er trat herein und fragte:

»Hast du denn jemand eingeladen?«

Sie antwortete, ohne sich umzuwenden, und ordnete weiter ihre Blumen:

»Ja und nein. Es ist mein alter Freund, der Graf de Vaudrec, der jeden Montag hier zu essen pflegt, und er kommt heute wie gewöhnlich.«

»Ah, sehr angenehm.«, murmelte Georges.

Er blieb hinter ihr stehen, mit seinem Strauß in der Hand; er hatte Lust, ihn zu verstecken oder wegzuwerfen. Trotzdem sagte er:

»Sieh mal, ich habe dir Rosen mitgebracht.«

Hastig drehte sie sich um und rief freudestrahlend:

»Wie reizend von dir, daß du daran gedacht hast.«

Und sie reichte ihm ihre Hände und Lippen mit einem so ungekünstelten Ausdruck der Freude, daß er gleich wieder getröstet war. Sie nahm seine Blumen, sog den Duft ein und stellte sie dann mit der Fröhlichkeit und Lebhaftigkeit eines beglückten Kindes in eine leere Vase gegenüber der anderen.

Sie betrachtete prüfend die Wirkung und murmelte:

»Es freut mich so, jetzt ist mein Kamin hübsch und anständig geschmückt.« Gleich darauf fügte sie mit innerer Überzeugung hinzu:

»Weißt du, Vaudrec ist reizend. Du wirst dich sehr rasch mit ihm befreunden.«

Die Klingel ertönte und kündete den Besuch des Grafen an. Er trat ein, ruhig und sicher, als sei er bei sich zu Hause. Nachdem er der Hausfrau galant die Finger geküßt hatte, wandte er sich zum Gatten, bot ihm die Hand und fragte:

»Nun, wie geht es, mein lieber Du Roy?«

Er hatte nicht mehr die steife, abweisende Art von früher, sondern sein entgegenkommendes Wesen gab deutlich zu erkennen, daß die Umstände nicht mehr die gleichen waren.

Der Journalist war überrascht, versuchte liebenswürdig zu sein, und nach wenigen Minuten hätte man glauben können, daß sie sich schon seit zehn Jahren gut kannten und schätzten.

Dann sagte Madeleine, deren Gesicht vor Freude strahlte:

»Ich lasse euch allein. Ich muß einen Blick in die Küche werfen.«

Sie ging hinaus und die beiden Männer blickten ihr nach.

Als sie zurückkam, unterhielten sie sich vom Theater; es handelte sich um ein neues Stück, das kurz zuvor aufgeführt war; sie waren so völlig einer Meinung, daß sie, wenn sie sich anblickten, ein plötzliches Freundschaftsgefühl verspürten, so sehr stimmten ihre Ideen überein.

Das Diner war reizend intim und herzlich. Der Graf blieb bis spät in die Nacht, so wohl fühlte er sich in diesem reizenden, neuen Haushalt.

Als er fort war, sagte Madeleine zu ihrem Mann:

»Ist er nicht ein entzückender Mensch? Er gewinnt ungeheuer, wenn man ihn besser kennt. Er ist ein zuverlässiger, guter, ergebener und treuer Freund. Ach! Ohne ihn ...«

Sie führte ihren Gedanken nicht zu Ende und Georges erwiderte:

»Ja, ich finde ihn sehr angenehm. Ich glaube, wir werden uns gut verstehen.«

»Weißt du,« fuhr sie sogleich fort, »wir haben heute abend noch zu arbeiten, bevor wir zu Bett gehen. Ich hatte keine Zeit, es dir vor Tisch zu sagen, weil Vaudrec gleich kam. Ich habe sehr wichtige Nachrichten über Marokko erhalten. Der Abgeordnete Laroche-Mathieu, der zukünftige Minister, hat sie mir gebracht. Wir müssen einen richtigen, großen Sensationsartikel schreiben. Die Tatsachen und die Zahlen habe ich alle. Komm, wir wollen uns gleich an die Arbeit setzen. Da, nimm die Lampe.«

Er nahm die Lampe und sie gingen ins Arbeitszimmer.

Dieselben Bücher standen reihenweise im Bücherschrank, den jetzt die drei Vasen schmückten, die Forestier am Tage vor seinem Tode am Golf Juan gekauft hatte. Unter dem Tisch lag der Fußsack des Verstorbenen für die Beine Du Roys bereit, und als er Platz genommen hatte, griff er zur Elfenbeinfeder, die sein Vorgänger mit seinen Zähnen an der Spitze angekaut hatte. Madeleine lehnte sich an den Kamin und steckte eine Zigarette an. Sie erzählte, was sie Neues erfahren hatte, entwickelte ihre Gedanken und den Plan des Artikels, wie sie ihn zu schreiben beabsichtigte.

Er hörte aufmerksam zu und machte sich einige Notizen. Als sie fertig war, erhob er einige Einwendungen; er faßte die Frage anders auf, erweiterte sie und entwickelte seinerseits einen Plan, nicht bloß zu dem Artikel, sondern zu einem Feldzug gegen das jetzige Ministerium. Dieser Angriff sollte den Kampf eröffnen. Seine Frau hörte so aufmerksam und gespannt zu, daß sie sogar zu rauchen aufhörte; sie verfolgte Georges' Gedankengang, ihr eröffneten sich weite Perspektiven und hin und wieder murmelte sie:

»Ja ... richtig ... sehr gut ... Tadellos ... sehr stark.«

Als er zu sprechen aufhörte, sagte sie:

»Nun wollen wir schreiben.«

Aber der Anfang fiel ihm noch immer sehr schwer und er mußte mit größter Mühe die Worte zusammensuchen. Da neigte sie sich sanft über seine Schulter und begann ihm leise die Sätze ins Ohr zu flüstern. Von Zeit zu Zeit hielt sie inne und fragte:

»Ist das richtig, wie du es gemeint hast?«

Er antwortete:

»Ja, vortrefflich.«

Sie fand scharfe Wendungen und giftige Bosheiten, um den Ministerpräsidenten zu treffen. Sie verquickte, wie es nur eine Frau vermag, spöttische Bemerkungen über sein Gesicht mit denen über seine Politik in so komischer und geistreicher Weise, daß man lachen und zugleich die Richtigkeit und Schärfe ihrer Beobachtung billigen mußte. Du Roy setzte zuweilen einige Zeilen hinzu, die die Tragweite und Wirkung des Angriffs vertieften und verschärften. Er verstand sich vortrefflich auf die Kunst, versteckte und zweideutige Bosheiten anzubringen; er hatte es gelernt, als er den Nachrichtenteil redigierte; und wenn eine Tatsache, die Madeleine für unanfechtbar hielt, ihm zweifelhaft oder gefährlich erschien, so ließ er sie nur ahnen und brachte es meisterhaft fertig, sie dem Leser im Geiste noch schärfer einzuprägen, als wenn er etwas Positives behauptet hätte.

Als der Artikel beendet war, las ihn Georges laut und pathetisch vor. Sie fanden ihn beide ausgezeichnet und lächelten sich überrascht und entzückt zu, als hätten sie sich einander offenbart. Bewundernd und zärtlich sahen sie sich in die Augen und dann umarmten sie sich stürmisch, heiß und leidenschaftlich. Du Roy nahm die Lampe:

»Und nun ins Bettchen«, sagte er mit einem glühenden Blick.

Sie antwortete:

»Gehen Sie voran, mein Gebieter, und beleuchten Sie mir den Weg.«

Er ging voran und sie folgte ihm ins Schlafzimmer, dabei kitzelte sie ihn mit den Fingern zwischen Nacken und Kragen, damit er rascher gehen sollte, denn diese Art Liebkosung konnte er nicht vertragen.

Der Artikel erschien mit der Unterschrift »Georges Du Roy de Cantel« und erregte großes Aufsehen. In der Kammer gab es eine stürmische Sitzung. Vater Walter beglückwünschte den Verfasser und übertrug ihm die politische Redaktion der Vie Française. Die Lokalnachrichten übernahm wieder Boisrenard.

Es begann nunmehr in der Zeitung ein geschickter und heftiger Feldzug gegen das zuständige Ministerium. Die Angriffe waren gewandt und schlau geführt und auf Tatsachen aufgebaut, bald ironisch, bald ernst, bald humoristisch, bald giftig; sie trafen scharf und sicher, so daß alle Welt erstaunt war. Die anderen Blätter zitierten fortwährend die Vie Française und druckten ganze Spalten ab, und die einflußreichen, politischen Machthaber erkündigten sich, ob man diesen unbekannten, erbitterten Feind nicht mit Hilfe einer Präfektur zum Schweigen bringen könnte.

In politischen Kreisen wurde Du Roy bald eine vielgenannte Persönlichkeit.

Er spürte seinen wachsenden. Einfluß an den Händedrücken und der Art des Hutabnehmens. Und seine Frau wiederum erfüllte ihn mit Staunen und Bewunderung durch den Scharfsinn ihres Geistes, die Geschicklichkeit ihrer Informationen und die Zahl ihrer Bekanntschaften.

Wenn er nach Hause kam, fand er stets in seinem Salon irgendeinen Senator oder Abgeordneten, einen höheren Staatsbeamten oder General, die mit Madeleine wie mit einer alten Freundin ernst und vertraulich verkehrten. Wo hatte sie alle diese Leute kennengelernt? In der Gesellschaft, meinte sie. Aber wie war es ihr gelungen, ihr Vertrauen und ihre Freundschaft zu gewinnen? Das konnte er nicht begreifen.

»Sie wäre ein schlauer und tüchtiger Diplomat«, dachte er.

Oft kam sie zu spät zum Essen und stürzte dann außer Atem rot und erregt ins Zimmer, und ehe sie noch den Schleier abgelegt hatte, sagte sie:

»Heute habe ich was Interessantes. Denke dir, der Justizminister hat zwei Richter ernannt, die Mitglieder der gemischten Kommission waren. Wir werden ihm eins versetzen, an das er lange denken wird.«

Und der Minister bekam eins versetzt, und am nächsten Tage eins und am übernächsten noch eins. Der Abgeordnete Laroche-Mathieu, der jeden Dienstag in der Rue Fontaine zu Mittag aß — nachdem Graf Vaudrec am Tage vorher den Anfang gemacht hatte —, schüttelte kräftig und energisch der Frau und dem Gatten die Hand und war außer sich vor Freude. Er wiederholte immerfort:

»O Gott, das ist ein richtiger Feldzug. Wenn wir jetzt keinen Erfolg haben ...«

Er hoffte sehr, auf diese Weise das Portefeuille des Auswärtigen zu ergattern, auf das er schon lange hinzielte.

Er war einer von diesen Politikern mit mehreren Gesichtern ohne Überzeugung, ohne große Fähigkeiten, ohne Mut und ernstliche Kenntnisse; er war Provinzadvokat und galt in einer Departementhauptstadt als hübscher Mann; er verstand es, durch alle Parteien sich durchzuschlängeln, er war eine Art von republikanischer Jesuit, ein liberaler Pilz von höchst zweifelhaftem Wesen, wie sie zu Hunderten auf dem volkstümlichen Düngerhaufen des allgemeinen Stimmrechts gedeihen. Seine machiavellistische Bauernschlauheit ließ ihn unter seinen Kollegen, unter diesen entgleisten und gescheiterten Existenzen, aus denen Abgeordnete gewählt werden, als stark und gewandt erscheinen. Er war elegant, korrekt, gemütlich und liebenswürdig genug, um Karriere zu machen. In der Gesellschaft hatte er Erfolg, allerdings in der ziemlich wahllos durcheinander gemischten und wenig vornehmen Gesellschaft der heutigen hohen Staatsbeamten.

Man sagte überall von ihm: »Laroche wird einmal Minister.« Und er war genau so fest wie die anderen überzeugt, daß er einmal Minister würde.

Er war Hauptaktionär der Zeitung des Vater Walter und war fast an allen seinen finanziellen Unternehmungen beteiligt.

Du Roy unterstützte ihn vertrauensvoll mit etwas unklaren Hoffnungen für die spätere Zukunft. Übrigens setzte er damit nur das Werk fort, das Forestier begonnen hatte. Diesem hatte Laroche-Mathieu die Ehrenlegion versprochen, sobald der Tag des Sieges gekommen sei. Nun mußte der Orden auf die Brust des neuen Gatten von Madeleine übergehen. Das war alles. Sonst hatte sich eigentlich nichts geändert. Man empfand es so deutlich, daß sich nichts geändert hatte, daß Du Roys Kollegen ihn zu necken begannen, was ihm auf die Dauer lästig wurde.

Man nannte ihn nur noch Forestier. Sooft er ins Redaktionsbureau kam, rief jemand: »Sag' mal, Forestier.«

Er tat so, als ob er nicht hörte und begann, die Briefe aus dem Schubkasten herauszusuchen. Dieselbe Stimme wiederholte noch lauter:

»He, Forestier!«

Und er vernahm ein unterdrücktes Gelächter.

Du Roy ging nach dem Bureau des Direktors, und der, welcher ihn eben gerufen hatte, trat ihm in den Weg und sagte:

»Oh, verzeih, ich wollte dich sprechen, aber es ist zu dumm, ich verwechsle dich stets mit dem armen Charles. Das kommt davon, weil alle deine Artikel den seinigen so verflucht ähnlich sind. Alle Welt läßt sich dadurch täuschen.«

Du Roy antwortete nichts, aber er wurde wütend und in seinem Herzen begann er den Toten dumpf und heftig zu hassen.

Der Vater Walter selbst hatte erklärt, als man sich über die schlagende Ähnlichkeit in Form und Inhalt zwischen den Aufsätzen des neuen und des alten politischen Redakteurs wunderte:

»Ja, es ist Forestier, aber ein kräftigerer und energischerer Forestier.«

Ein anderes Mal, als Du Roy zufällig den Bilboquetschrank öffnete, hatte man die seines Vorgängers am Stiel mit schwarzem Flor umwunden und sein eigenes, mit dem er unter Anleitung Saint-Potins zu spielen pflegte, trug ein rosa Seidenbändchen; auf dem Brett, auf welchem die Bilboquets der Größe nach aufgestellt wurden, war ein Zettel angeheftet, ähnlich wie im Museum, auf dem stand:

»Alte Sammlung Forestier & Co. — Forestier, Du Roy Nachfolger G. m. b. H. Unveräußerliche Gegenstände dürfen bei jeder Gelegenheit selbst auf Reisen gebraucht werden.«

Er schloß ruhig den Schrank und sagte so laut, daß es jeder hören konnte:

»Neidische Dummköpfe gibt es überall.«

Er war tief verletzt in seinem Stolz und seiner Eitelkeit, in dieser besonders empfindlichen und nervösen und mißtrauischen Schriftstellereitelkeit, die sowohl dem kleinsten Reporter wie auch dem genialsten Dichter zu eigen ist.

Dieses Wort »Forestier« kränkte sein Ohr. Er fürchtete, es zu hören, und errötete jedesmal, wenn er es doch hören mußte. Dieser Name war für ihn bissiger Spott geworden, ja mehr als Spott, eine schwere Beleidigung. Dieser Name schrie ihm zu: »Deine Frau macht die Arbeit für dich genau so, wie sie es für den anderen gemacht hat. Ohne sie wärest du nichts.«

Daß Forestier ohne Madeleine nichts gewesen wäre, das wollte er gern zugeben, aber er selbst — nein, das war ganz was anderes.

Und auch zu Hause wollte dieses bedrückende Gefühl nicht von ihm weichen. Das ganze Haus mahnte ihn jetzt an den Toten, die Möbel, die ganze Einrichtung, alles, was er anfaßte. In der ersten Zeit hatte er nicht daran gedacht. Aber die Neckereien seiner Kollegen hatten seinem Geist eine Wunde beigebracht, die durch eine Menge bisher unbeachteter Kleinigkeiten noch weiter aufgerissen wurde. Er konnte nichts mehr in die Hand nehmen, ohne daß er Charles' Hand darauf zu erblicken glaubte. Er sah und gebrauchte nur Dinge, die jener auch einst benutzt hatte, Gegenstände, die er gekauft, geliebt und besessen hatte. Und Georges begann sich schon jetzt bei dem Gedanken an die früheren Beziehungen seines alten Freundes zu seiner jetzigen Frau zu beunruhigen und zu ärgern.

Bisweilen wunderte er sich selbst über diese innere Empörung seines Herzens, die er sich nicht erklären konnte, und er fragte sich: »Zum Teufel, wie kommt das nur? Ich bin doch nicht auf die Freunde Madeleines eifersüchtig; ich kümmere mich nicht darum, was sie treibt; sie kommt und geht, wie es ihr paßt und nur der Gedanke an diesen blöden Kerl, den Charles, macht mich direkt wütend.« Und in Gedanken setzte er hinzu: »Im Grunde war er ein Idiot, und das ist es, was mich so kränkt. Ich ärgere mich, daß Madeleine so einen Schafskopf hatte heiraten können.«

Und er wiederholte sich immerfort: »Wie konnte diese Frau so ein Vieh nur einen Augenblick gern haben?« Und sein Haß und seine Eifersucht wurden von Tag zu Tag durch unzählige Kleinigkeiten aufgestachelt, die ihn wie Nadelstiche peinigten. Immerfort wurde er an den anderen erinnert. Bald durch eine Bemerkung Madeleines, bald durch ein Wort des Dieners oder des Stubenmädchens.

Eines Abends fragte Du Roy, der süße Speisen liebte: »Warum haben wir nie ein Zwischengericht? Du läßt nie welche auftragen.«

Die junge Frau antwortete fröhlich:

»Das ist wahr, ich habe gar nicht daran gedacht; das kommt daher, weil Charles sie nicht ausstehen konnte.

Er konnte sich nicht mehr beherrschen und schnitt ihr mit einer ungeduldigen Bewegung das Wort ab:

»Ach weißt du, dieser Charles beginnt mir auf die Nerven zu gehen. Es geht ja fortwährend: Charles hier, Charles dort. Charles liebte dieses, Charles liebte jenes. Nun ist Charles krepiert, also soll man ihn endlich in Ruhe lassen.«

Madeleine sah ihren Mann erstaunt an. Sie begriff diesen plötzlichen Wutausbruch nicht. Doch bald ahnte sie mit ihrem scharfen Verstande, was in ihm vorging, die langsame Wühlarbeit dieser verspäteten Eifersucht, die jeden Augenblick wuchs, und durch alles genährt wurde, was ihn an den Toten erinnerte.

Sie hielt es vielleicht für kindisch, fühlte sich jedoch geschmeichelt und erwiderte nichts.

Er ärgerte sich über seine Gereiztheit, und daß er sich nicht hatte beherrschen können. Abends nach dem Essen arbeiteten sie wieder zusammen an einem Artikel für den nächsten Tag und er verwickelte sich in den Fußsack. Er konnte nicht mit den Füßen hinein, warf ihn mit einem Fußtritt beiseite und fragte lachend: »Charles hatte wohl immer kalte Füße?«

Sie lachte auch und antwortete:

»Oh, er lebte in einer ständigen Furcht vor Erkältungen; er hatte auch schwache Lungen.«

»Er hatte es übrigens auch bewiesen«, erwiderte Du Roy boshaft. Dann setzte er höflich und galant hinzu: »Zum Glück für mich.« Und er küßte seiner Frau die Hand.

Doch als sie zu Bett gingen, fragte er immer von demselben Gedanken verfolgt:

»Trug Charles auch baumwollne Nachtmützen, damit er keinen kalten Luftzug an die Ohren kriegte?«

Sie ging auf den Scherz ein und erwiderte: »Nein, er band sich ein Madrastuch um die Stirn.«

Georges zuckte die Achseln und sagte mit endloser Verachtung :

»So ein Affe.«

Seitdem war Charles für ihn ein unerschöpflicher Unterhaltungsgegenstand. Er sprach über ihn, bei jedem Anlaß und nannte ihn nur noch »dieser arme Charles« mit verächtlich mitleidigem Ton.

Und wenn er von der Redaktion zurückkam, wo man ihn zwei- oder dreimal Forestier angeredet hatte, so rächte er sich dann und verfolgte den Toten bis in sein Grab mit bittersten und gehässigsten Witzen. Er spöttelte über seine Fehler, seine kleinlichen komischen Seiten, zählte sie mit Wohlbehagen auf, wobei er sie immer übertrieb und vergrößerte, als wollte er im Herzen seiner Frau den Einfluß eines gefährlichen Nebenbuhlers bekämpfen.

Er wiederholte:

»Sag' mal, Madeleine, entsinnst du dich noch des Tages, als dieser Dummkopf Forestier uns beweisen wollte, daß die dicken Menschen kräftiger wären als die mageren?«

Dann wollte er allerlei intime Einzelheiten über den Verstorbenen erfahren, worüber die junge Frau unwillig schwieg. Doch er war hartnäckig und bestand darauf.

»Sag' doch, erzähle es mir mal, er mußte in diesem Augenblicke recht komisch sein?«

»Höre doch endlich auf,« murmelte leise Madeleine, »laß ihn in Ruhe.«

Er ließ nicht nach:

»Nein, sag' doch. Er war sehr ungeschickt im Bett, diese Bestie.« Und er schloß jedesmal mit den Worten: »Das war aber ein Vieh!«

Eines Abends gegen Ende Juni rauchte er am Fenster eine Zigarette. Es war sehr heiß, und er bekam Lust, einen Spaziergang zu machen.

»Meine kleine Made,« fragte er, »willst du wohl mit mir ins Bois kommen?«

»Selbstverständlich sehr gern.«

Sie nahmen einen offenen Wagen und fuhren über die Champs Elysée nach dem Bois de Boulogne. Es war eine windstille Nacht, eine von diesen schwülen Nächten, wo die überheiße Luft von Paris wie Backofenglut in die Brust dringt. Ein Heer von Droschken führte ein ganzes Volk von verliebten Pärchen spazieren. Ein Wagen folgte dicht auf den anderen.

Georges und Madeleine amüsierten sich, alle diese Pärchen zu beobachten, die an ihnen vorbeifuhren, die Frauen in hellen Sommerkleidern, die Männer meist in dunklen Anzügen. Es war ein Riesenstrom von Verliebten, der unter dem heißen Sternenhimmel nach dem Bois zog. Man hörte nur das dumpfe Rollen der Räder. Und in jeder Droschke saß immer wieder ein Liebespaar lang hingestreckt auf den Polstern, stumm und zärtlich aneinander geschmiegt, glühend vor Begierde und leidenschaftlich in Erwartung der bevorstehenden Umarmung. Die warme Nacht schien von Küssen und Liebe durchtränkt zu sein. Eine zärtliche Sinnlichkeit schwebte in der Luft und machte diese noch schwüler und drückender. Alle diese Paare, von den gleichen Gedanken und Gefühlen eingenommen, von dem Verlangen berauscht, schienen eine glühende Leidenschaft von sich auszustrahlen. Alle diese Wagen, von Liebe beladen, über denen Liebkosungen zu flattern schienen, streuten auf die Vorüberfahrenden eine Art sinnliches Fluidum aus. Und Georges und Madeleine fühlten sich von der Zärtlichkeit, die in der Luft herumschwebte, angesteckt und rückten näher zueinander, ohne ein Wort zu sagen, etwas bedrückt durch die schwüle Luft und die in ihnen erwachende Erregung.

Als sie hinter den Befestigungen an einer Kurve vorbeifuhren, küßten sie sich und sie stammelte etwas verwirrt:

»Wir sind genau so kindisch wie in Rouen.«

Als sie in den Wald hineinfuhren, hatte sich der große Wagenstrom etwas zerschlagen. Auf dem Wege um die Seen, den das junge Paar einschlug, fuhren die Droschken in größeren Abständen voneinander, aber der dichte Schatten der Bäume, die etwas kühlere Luft, die unter dem weiten Sternenhimmel durch das Grün der Blätter und durch kleine Bächlein, die unter den Baumzweigen rieselten, erfrischt wurde, verlieh den Küssen der hier spazierenfahrenden Pärchen einen leidenschaftlicheren und geheimnisvolleren Reiz. Georges preßte seine Frau an sich und flüsterte:

»O meine kleine Made«

Sie sagte: »Entsinnst du dich des Waldes bei dir auf dem Lande? Wie es dort unheimlich war. Es schien mir, als wäre er voll von schrecklich wilden Tieren und als ob er kein Ende hätte. Hier dagegen ist es entzückend. Ich fühle das liebkosende Fächeln des Windes, und ich weiß genau, daß am anderen Ende Sèvres liegt.«

»Oh,« erwiderte er, »im Walde bei mir auf dem Lande gibt es nur Hirsche und Füchse, Rehe und zuweilen auch Wildschweine und hier und da die Hütte eines Försters.« Förster — Forestier — dieser Name des Toten, der seinem Munde entquoll, überraschte ihn, als ob er aus dem dunklen, geheimnisvollen Dickicht käme, und er stockte, ergriffen von jener bohrenden, unbegreiflichen Eifersucht, die ihn seit einiger Zeit plagte.

Nach einer minutenlangen Pause fragte er:

»Bist du auch mit Charles hier öfter herausgefahren?«

»Ja, sehr oft.«

Auf einmal hatte er Lust nach Hause umzukehren, es war ein Verlangen, das ihm das Herz bedrückte, aber Forestiers Bild war in seinem Geiste wieder lebendig und er konnte nur noch an ihn denken und von ihm reden. Er fragte mit boshafter Stimme:

»Sag' doch, Made?«

»Was ist's, mein Liebling?«

»Hast du diesen armen Charles betrogen?«

Sie erwiderte verächtlich:

»Du bist zu dumm mit deinem abgeschmackten Zeug.«

Doch er ließ nicht nach:

»Sag' doch, meine liebe Made, sei aufrichtig und gesteh' es, du hast ihn betrogen? Gestehe, daß du ihn betrogen hast!«

Sie schwieg, wie alle Frauen, etwas verletzt durch seine Worte. Er fuhr eigensinnig fort:

»Donnerwetter, wenn jemand dazu geschaffen war, Hörner zu tragen, dann war er es. O ja, bestimmt. Es hätte mir so riesigen Spaß gemacht, zu erfahren, daß man dem armen Forestier Hörner aufgesetzt hatte. Was für ein blöder Schafskopf war er doch!«

Er merkte, daß sie lächelte, vielleicht über einige Erinnerungen aus den vergangenen Zeiten; er drang immer mehr in sie.

»Sag' doch! Was ist denn dabei? Es wäre doch so komisch, wenn du gerade mir gestündest, daß du ihn betrogen hast.«

Er zitterte tatsächlich in der Hoffnung und dem Verlangen, daß sie den Charles, diesen verhaßten Charles, den verwünschten Toten, so lächerlich und schmachvoll betrogen hätte und doch ... doch stachelte eine andere verworrene und unbestimmte Empfindung seine Neugierde an. Er wiederholte:

»Made, meine kleine Made, ich bitte dich, sag' es mir l Er hatte es doch wirklich verdient, und es wäre recht dumm von dir gewesen, ihm keine Hörner aufzusetzen.«

Sein hartnäckiges Bitten machte ihr jetzt offenbar Spaß, denn sie lachte ein paarmal kurz und leise auf. Er hielt seine Lippen ganz dicht an das Ohr seiner Frau:

»Nun bitte, gib es doch zu.«

Mit einer kurzen Bewegung riß sie sich los und sagte schroff:

»Du bist zu dumm, man antwortet nicht auf solche Fragen.« Sie sagte es in einem so seltsamen Tone, daß ein Kälteschauer ihm durch die Adern rann. Er blieb betroffen, stumm und atemlos sitzen, als hätte ihn innerlich ein Schlag getroffen.

Die Droschke fuhr jetzt an dem See entlang, in dem sich der Himmel und die Sterne abspiegelten. Zwei Schwäne schwammen langsam auf dem Wasser und waren im Dunkel kaum zu sehen. Georges rief dem Kutscher zu: »Umkehren!« Und der Wagen drehte um und fuhr an den andern vorbei, die im Schritt daher kamen und deren Laternen wie große Augen durch die Nacht leuchteten. »Wie seltsam hatte sie das gesagt.« Fragte sich Du Roy: »War das ein Geständnis?« Und die fast sichere Gewißheit, daß sie ihren ersten Mann hintergangen hatte, machte ihn jetzt rasend vor Wut.

Er hatte Lust, sie zu schlagen, zu würgen und an den Haaren zu reißen. Oh, wenn sie ihm geantwortet hätte: »Mein Liebling, hätte ich ihn betrügen wollen, so hätte ich es doch mit dir getan.« Wie hätte er sie dann umarmt, an sich gepreßt und angebetet. Unbeweglich mit gekreuzten Armen saß er jetzt da und hielt die Augen zum Himmel gerichtet. Er war zu aufgeregt, um denken zu können. Er fühlte nur den Zorn und den Haß in sich wachsen, der im Herzen eines jeden Mannes gegenüber der launischen Begierde der Frau erwacht. Er fühlte zum erstenmal die dumpfe Angst des Ehemannes, der Verdacht geschöpft hatte. Kurz und gut, er war eifersüchtig. Eifersüchtig auf den Toten, für die Rechnung Forestiers. Es war eine seltsame und quälende Eifersucht, in die sich ein spontaner Haß gegen Madeleine mischte. Sie hatte doch den anderen betrogen, wie konnte er noch Vertrauen zu ihr haben. Allmählich beruhigte er sich innerlich. Er kämpfte gegen seine inneren Qualen an und dachte: »Alle Frauen sind Dirnen, man muß sie für sich ausnutzen, aber nichts von sich und von seinem Geiste ihnen geben.« Er hatte Lust, seine bittere Stimmung durch Worte der Verachtung und des Ekels Ausdruck zu geben. Er bezwang sich aber und ließ sie nicht laut werden und immer wieder wiederholte er für sich: »Dem Starken gehört die Welt. Man muß stark und über alles erhaben sein.«

Der Wagen fuhr schneller. Er kam an den Stadtbefestigungen vorbei. Du Roy sah vor sich auf dem Himmel einen roten Schimmer, gleich dem Feuerschein, einer ungeheuren Esse. Er vernahm ein verworrenes gewaltiges, ununterbrochenes Getöse, das sich aus unzähligen, verschiedenartigen Geräuschen zusammensetzte, ein dumpfes Brausen, das bald näher, bald weiter klang, ein unbestimmtes, ungeheueres Vibrieren des Lebens, den Atem von Paris, das in dieser Sommernacht wie ein müder und erschöpfter Koloß keuchte.

Georges dachte: »Ich wäre ja schön dumm, wenn ich mich ärgern würde. Jeder für sich. Der Sieg gehört dem Mutigen. Alles ist nur Egoismus. Der Egoismus und der Ehrgeiz, vorwärts zu kommen und sich ein Vermögen zu erwerben, ist mehr wert als der Ehrgeiz, eine Frau zu besitzen und zu lieben.«

Am Eingange der Stadt wurde der Triumphbogen mit seinen beiden Riesenschenkeln sichtbar. Er glich einem gewaltigen Ungeheuer, das sich in Bewegung setzen wollte, um die breite Avenue hinabzuschreiten. Georges und Madeleine fuhren nun wieder in der langen Reihe der heimkehrenden Wagen, die die leidenschaftlichen und stummen Liebespaare nach Hause führten. Ihm war, als ob die ganze Menschheit, berauscht von Liebe, Lust und Glück, an ihm vorüberfuhr.

Die junge Frau schien zu ahnen, was im Inneren ihres Mannes vorging, und sie fragte ihn mit sanfter Stimme: »Woran denkst du, mein Freund? Seit einer halben Stunde hast du nicht ein Wort gesprochen.«

Er erwiderte etwas höhnisch:

»Ich denke an alle diese Dummköpfe, die sich umarmen und küssen, und ich meine, man hat im Leben wirklich Besseres und Wichtigeres zu tun.«

»Nun ja,« murmelte sie, »aber manchmal ist es doch sehr schön.«

»Wenn man nichts anderes zu tun hat, dann ja, natürlich ist es schön.«

Georges Gedanken waren von Wut und Bosheit erfüllt, und er bemühte sich, sein Leben jeglicher Poesie zu entkleiden. »Ich bin nicht so dumm,« dachte er, »um Rücksichten zu nehmen und auf irgend etwas zu verzichten, mir Sorgen und Ärger zu bereiten, wie ich es seit einiger Zeit tue.« Der Gedanke an Forestier flog ihm noch einmal durch den Kopf, ohne in ihm eine Erregung auszulösen. Es war ihm, als hätten sie sich wieder ausgesöhnt, als wären sie wieder Freunde geworden. Er hatte Lust, ihm zuzurufen: »Guten Abend, alter Freund.«

Madeleine schien dieses Schweigen zu bedrücken und sie fragte:

»Wollen wir, ehe wir nach Hause fahren, bei Tortoni ein Eis essen?« Er blickte sie von der Seite an. Das helle Licht einer Gasgirlande vor einem Café-Chantant fiel auf ihr feingeschnittenes blondes Profil; er dachte: »Sie ist doch hübsch. Um so besser! Wie du mir, so ich dir, meine schöne Gefährtin; aber daß ich mir deinetwegen Sorgen mache — nein, eher glüht der Nordpol vor Hitze!« Und laut antwortete er:

»Sehr gern, mein Liebling.«

Damit sie nichts merken sollte, küßte er sie. Doch der jungen Frau erschienen die Lippen ihres Mannes eiskalt.

Trotzdem lächelte er ihr wie gewöhnlich zu und reichte ihr die Hand, um ihr beim Aussteigen aus dem Wagen zu helfen.


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