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V. Zweifel und Einmut

 

Wandel des Ziels

Einst als ich auszog, schien es mir, es sei der einzige Weg, das einzige Endziel meiner Reise, daß mir der inbrünstige Wunsch, Fremdland, Fremdsee zu atmen und zu greifen, endlich in Erfüllung ginge.

Aus der Jugend, aus der unerträglichen Gebundenheit Europas floh ich weg, das Herz voll träumerischen Gierens nach den sonnenweiten, palmenüberschatteten Gefilden, – nach den Tropeninseln der Glückseligen!

Doch unterwegs vollzog sich in mir, fast unfühlbar langsam, die Entwandlung von den alten, abenteuerlichen Landgedanken zu den neuen, ozeanischen.

Die Sinne, die sich sehnsuchtsvoll seeüber nach den fernen Küsten schwingen wollten, – sie versanken und ertranken immer näher vor dem Schiff in dem betörend blauen Schlund der Wogen, lange, lange, eh sie Fremdlands heißbegehrten Strand erreichten.

Jeder Tag und jede Nacht, – ja, jeder neue Augenblick schien mir um eine Spur, um eine ganz bestimmte, leise Last ein wenig schwerer, tiefer, inniger eingesenkt in die zeitlos narkotische Versonnenheit des Meeres.

Und nun ahn ich staunend, daß es gar nicht die Verheißung fremden Landes war, was mich ins Ferne lockte.

Nein, die trauervolle Glücksbedeutung meiner Reise über See beruht in Wahrheit im erschütternden Erleben der Geheimnisse von Raum und Zeit, von Fülle, Leere, Schall und Stille und vom ewigen Wank, die sich mir alle miteinander im alleinigen, demütigen Erleiden meiner Seefahrtsstille, sinnlos, wortlos wogend, offenbaren sollen!

Zeit

Schritt der Reise

So, wie sich in den Nächten auf die alten Sterne neue, südlichere folgen, – so, wie sich die Winde zonenhaft von einem Tag zum andern drehen und uns aus der Herrschaft des Nordostpassats durch den beklemmend schwülen Stillengürtel am Aequator langsam in die Triften des südöstlichen Passats entführen, ahn ich auch, im stäten Fahren, traumhaft visionär, wie das gewaltige Land, – die beiden Kontinente Afrika und Südamerika, – uns immerfort zu beiden Seiten, in unendlich fernen Horizonten, einmal näher, einmal weiter weg, begleiten und umschatten.

Nicht ein Tag, nicht eine einzige Nacht ist den vorangegangenen so völlig gleich, daß ich in ihnen nicht an irgend welchen leisen, unnennbaren Zeichen spüre, wie es in uns selbst und ringsum draußen in den Lüften, in den Wassern unaufhörlich machtvoll wächst und wandelt: – der geheime Sinn, – der Schritt, – das Schicksal unserer Reise!

Schaum und Rauch

Bei glatter See, bei stiller Luft spannt sich manchmal die schmale Fährte des Kielwassers schnurgerade hinter uns vom Schiff weg bis zum Horizont hinüber, sonderbar verdunkelt und verfestigt durch den Schattenwurf des Rauchs, der, unaufhörlich unserm Schlot entquellend, in den Lüften über ihr nach rückwärts streicht.

Wie spiegelblanke Regenlachen strahlen hier und dort ein paar Oelflecke über ihrem schattenrauhen Grunde auf, und Gischt und zähe Blasen treiben, grad wie Kieselsteine aufgehäuft, beidseits an ihrem Rande hin.

Dann sieht sie wirklich einer festen, irdischen Straße gleich, die dunkelbraun und strenge durch ein endlos blaues, wellig weiches Ackerland dahinzieht!

Weiße Möwen lassen sich, nach Futter suchend, aus der Luft auf sie hinab und bleiben, langsam kleiner, duftiger werdend, in der Ferne hinter uns zurück.

Und meine träumenden Gedanken schreiten ihnen auf dem schmalen Schaumpfad nach, – bis an den Horizont hinüber und noch weit, weit hinter ihn hinab, – dorthin, wo, halbvergessen schon, die alte Heimat ruht mit ihren Bergen und den Wäldern und den engen, dumpfen, unruhvollen Menschenstädten.

Aber manchmal hebt der Wind den Rauch von unsrer Kieltrift weg und rollt ihn eilig über Bug hinaus bis an den andern Horizont, der unbefahren und geheimnisvoll noch vor uns liegt.

Dann ist die Heimat des Vergangenen, das Heute und das traumhaft Künftige durch die Schaum- und Rauchspur wunderbar verknüpft, und die Gedanken wandern aus der wachsenden Entlegenheit des Gestern, des nie wiederkehrenden Vorüberseins, zurück und wagen sich auf dem subtilen Wesen dieser neuen Duft- und Schattenstraße in die Zukunft, – in die blaue Zukunft der südwestlichen Unendlichkeit hinaus, in der einst eines Tags vor mir das neue Land, – Fremdland, – gewaltig aus der Flut aufsteigen wird!

Dämon Zeit

Ein Rosaschein erzittert im Spätnachmittag noch auf der spielend sanften Flut.

Wie ein Flamingoflügel zwischen Palmenlaub huscht er, bald hier, bald dort, durch die braungrünen und mild lilafarbenen Schatten des Gewoges.

Das ist so eine schöne, tropisch selige Vision, – so säumig süß, so schmachtend weich und rein ins lallend leise Wiegenlied der Wellen eingeschmiegt!

Nun müßte man anhalten können, – müßte lange, lautlos treibend, stillestehn, um alle Sehnsucht in der Märcheneinfalt dieses einen Traums zu stillen!

 

Doch der Dämon unserer Reise kennt kein Zögern, keinen Halt.

Er zerrt uns fühllos über die geliebte Spur hinweg und jagt mit uns nach wenigen Augenblicken schon in eine andere, trübe, eisengrau verdeckte und verdorbene See von dannen!

Keine Stunde, keine einzige Minute setzt dies Wüten aus: – geheimnisvoll versenkt im Schiffsbauch toben die Maschinen, und die Feuer donnern in den Essen, – Kolben sausen und Ventile knacken, und die Schraube wühlt sich schwindlig um und um!

Nie hört das Zittern, Schwirren, Beben auf, das unser ganzes Schiff vom Kiel bis zu den Masten hin erschüttert, – niemals weicht von uns der ölig schwere Hauch, der aus dem Abgrund der Maschinenräume allezeit an Deck, an Licht und Luft empordrängt.

Ja, was sich dort unten in den Höllenflammen toll verbraucht und doch durch Tage und durch Nächte unvergänglich weiterrast und -schafft, das ist nichts anderes als der Dämon unserer Reise, – ist der schaurig unbeseelte »Dämon Zeit«, der unser ganzes, irdisches Geschick vom schwachen Rosenschein der Jugend durch den Lebensmittag und den Abend, unaufhaltsam, sinnlos hastend, in das nächtliche Geheimnis unserer letzten, ewigen Ruhe hetzt!

Strom und Stillstand

Meinen ruhlos rinnenden Gedanken, meinen Leiden, meinen Lüsten gleich, die nie begannen und nie enden werden, treibt das Schiff durch Tag und Nacht dahin.

Im schwindelnden Erahnen dieser ewigen Flucht und Reise fühle ich, daß auch die andern Meer- und Luftgeschöpfe alle miteinander auf der selben, steten Wanderschaft begriffen sind: – die Fische in der Flut, – sah ich je einen stille stehn? – sie eilen ruhlos dahin oder dorthin, bergen sich im dunklen Naß und tauchen wieder allesamt ans Licht empor, gleich wie die Wogen, die im selben Maß vergehen, wie sie kommen, – die nichts nehmen, nichts verlieren, sondern, immer aus sich selber quellend, immer gleich verwallend und erfüllt, das All durchlaufen!

Und so, wie die Fische, wie die Wogen, streichen auch die Vögel, die uns in den Lüften folgen, ohne Anhalt fort und fort, – die Wolken fahren ziellos über sie dahin, – und auch der Wind weht unerschöpft, – weiß nicht, woher, wohin, – hört nirgends auf, zerfließt sich nie, – rinnt nur und rinnt durch Tag und Nacht und alle Ewigkeit dahin.

Und zwischen Meer und Luft schwingt sich der Horizont im Kreise um und um und kennt in seiner eigenen, schwindlig gleichen Fährte keinen Anfang und kein Ende mehr.

Das Nahe kreist, – das Ferne kreist, – die ganze, blaue Welt rinnt, wogt und kreist in einem einzigen, immer gleichen, ungeheuren Umschwung um das All und um sich selbst!

Doch in dem unaufhörlichen Geströme aller dieser Dinge, – in dem unaufhaltsam stäten Fluß von Tag und Nacht, gleicht sich allmählich jeder Unterschied und jede Trennung aus. Unfühlbar dauernd wird der Augenblick zur Spanne, währt verdehnt ins Künftige, ins Vergangene hinein, – das Jetzt, das Immer fließen ineinander: – alle Zeit steht still!

Und mit ihr schwindet jegliches Bewegen, jeder Strom.

Der Horizont, der Wolkenring, der steife Zug des Winds, das Wogen und der Fisch-, der Vogelflug hält an, wird still, erstarrt und bleibt.

Und alles Reisen stockt!

Denn, fahren wir, mein Schiff, mein Herz und meine rastlos suchenden Gedanken noch?

Sind wir in ständigem Bewegen oder stehn auch wir unendlich still?

Ich weiß es nicht, denn in dem ausgeglichenen Einerlei der Zeiten ist in Luft und Meer, in Welt und Wahn, kein Zeichen mehr dafür zu finden, ob wir bleiben oder ob wir ziellos hastend weitergehn.

Wohl sprechen meine einen Sinne: – »Alles stockt, steht still!« – Die andern aber sprechen: – »Nein, es rast und reist und flüchtet ohne Anhalt, ohne Unterlaß von einer blauen Leere unersättlich in die andere hinein!«

Vergebene Grübelei! – Nutzlose Pein!

Nie werd ich es ergründen, niemals Heil und Lösung finden, ist doch alles Gehen, Stehen, aller Weltenstrom und -stillstand immer nur derselbe, eine, ewig unscheidbare Grund- und Doppelsinn des Lebens!

Schritte über Deck

Schritte kommen über Deck.

Klar dringt ihr regelmäßig strenges Schlagen in die Morgenstille meiner Kammer.

Fern am Vorschiff sind sie eben aufgetaucht und kommen näher, – immer näher, – kreuzen droben die Maschinenpforten, – und die offene Kajütentür, – sind über mir, – und gehn vorbei, – werden schwächer, weicher und verschwommener und verlieren sich allmählich wieder in der Ferne irgendwo am Achterdeck.

Ich horche auf und weiß: – das war der Zweite Offizier!

Nur er allein geht so, – mit starkem Knall, knapp und gespannt den Fuß aufsetzend und dabei doch in der Mitte zwischen Tritt und Tritt verächtlich seinen Absatz über Deck hinstreifend.

Das ist so bezeichnend, daß ich ihn ganz deutlich vor mir seh, wie er längsdeck trollt, – Grimm und Mißmut und verbissenen Hohn in seinem herrischen Gesicht, – die Mütze schief im Nacken und die sehnigen Arme lose schlenkernd, – grad als ob er so vor aller Welt bezeugen wollte, daß er nie und nimmermehr gewillt sei, sich den ewigen Widerwärtigkeiten dieser Fahrt zu unterwerfen!

 

Schritte kommen über Deck.

Seit vielen Wochen hör ich sie an mir vorübergehn und kenn sie alle, ohne daß ich je bewußt auf sie geachtet hätte, schon von weitem sicher auseinander.

Denn kein einziger der Offiziere und Matrosen geht genau so wie der andere!

Und doch ist allen diesen Schritten etwas ganz Besonderes, Ausschließliches gemeinsam, – etwas, was sie von der Gangart auf dem festen Lande seltsam unterscheidet; denn vom ersten Augenblick, wo sie sich in Bewegung setzen, fallen sie unweigerlich in einen eigentümlich steifen, monotonen Takt, wie wenn sie sich schon längst auf einem mühsam weiten, weiten Gang befänden.

Und so völlig gleich gespannt in jedem Schwung und Auftritt läuft von Anfang bis zu End die Formel dieses Schreitens auf der langen Deckbahn ab, als ob das Schiff gefühllos unter ihm wegglitte und es hinter sich allein in den sinnlos leeren Räumen weiterschreiten ließe.

Keine Abwechslung, kein froh gesinnter Zufall kann es mehr aus der Erstarrung wecken, – keine Hoffnung und kein Zweifel klingt aus dem entseelten Gleichtakt, – nur die letzte, stumme, dumpfe Fügung in ein unabwendbares Geschick!

Sehr freudeleer, sehr einsam hängt sein Schallen über dem lautlos gewordenen Abgrund der Flut.

 

Das ist der Schritt des Seemanns auf dem Schiff!

So wandert er seit unbesinnlich langen Zeiten durch die bange Stille jeder Meerfahrt!

Ist denn nicht der ganze, weite Raum, das ganze, reglos leere Nichts der Zeit erfüllt vom rauschenden Getöse aller dieser ungezählten, unsichtbaren Schritte?

Hör ich sie denn nicht von überallher, aus allen Zeiten und zugleich von Tausenden von Schiffen geisterhaft verworren über See erschallen, – wie ein einziges, ungeheures Schreiten, – wie den Heeresschritt der Menschheit in der grenzenlosen Oede der Geschichte?

Ihre Schiffe mögen hier- und dorthin streifen, mögen nacheinander manches Ziel erreichen und zuletzt vielleicht in einem Hafen landen oder unten auf dem Grund des Meers: – das Menschenschreiten hört nicht auf.

Ueber den Bordrand weg, – über das letzte, sinkende Gebälk der Schiffe führt es in unzähmbar peinigendem Triebe fort und fort und mündet rastlos, ohne Ziel und ohne Ende, über alle Meere, alle Länder, – um den ganzen Erdenball herum, – stets wieder in sich selbst, – in seine eigene, ewig gleiche, unerkannte Spur zurück!

Ein Hammer fiel auf Deck

Ein Hammer fiel auf Deck, – da, eben wars, daß er vorn bei der Back dem Bootsmann aus der Hand glitt und, fast wie ein Peitschenknall in Morgenluft, grell auf die Planken schlug!

So fallen alle Dinge auf dem Schiff, – so seltsam schnellend kurz und windverweht, – mit jenem eigenen Muschel- oder Scherbenklang, in welchem sich auf irgend eine wunderbare Art das meerhaft Grenzenlose, Leere ausdrückt.

Nie hör ich die ozeanischen Geräusche anders kommen, – nie fühl ich sie voraus.

Stets sind sie plötzlich da, geschehen und zerschellen wieder so verblüffend rasch, daß ich schon einen Augenblick danach nicht mehr imstande bin, mir auszudenken, wie denn eigentlich ein solcher Schlag, ein Schritt, ein Pfiff, ein Ruf im unbewegten Meeresschweigen klingt.

 

Ein Schritt, ein Wort erscholl, – ein Hammer fiel, was ist dabei?

Jedoch ich schrecke auf aus meiner tiefen, tropischen Schlaftrunkenheit und meine jedesmal: –

»Das war noch nie! – Das hörte ich noch nie auf meinem Schiff, seit wir das küstenlose Meer durchziehn!«

Und fühle heimlich doch im Inneren, daß alle diese lauten, jäh vereinzelten Ereignisse, die mir bisher auf meiner Fahrt begegnet sind, schon lange, lange vor mir waren, – daß sie, seit die ersten Menschenschiffe über See hinfuhren, rastlos unterwegs sind und, verschlungen in den Kanon ihrer ewigen Wiederkehr, mir in den künftigen Tagen oder Nächten meiner Reise immer neu begegnen müssen.

Drum grüße ich sie jedesmal und winke ihnen leise zu.

Mir ist, ich müsse sie aus einem früheren, traumverlorenen Leben alle längst schon kennen!

Denn keins kommt von ungefähr, keins ist zufällig, sondern alle haben etwas Ewig-Gültiges, Atlantisches an sich, was sie mir jedesmal zum feierlichen Sinnbild, zum Bekenntnis meiner Seefahrt wandelt.

Unter ihrem geisterhaften Anruf löst sich meine Seele, vogel-, wolken-, windgleich schwebend, still von Schiff und Körper, späht aus irgend einer Höhe ohne Ort, aus irgend einem unfaßbaren Andern, einem übersinnlich fremden Außerdran auf uns hernieder, schaut mein Schiff, wie einst »Rhodopis«, klein und fein vorüberziehn: – ein sehr, sehr fernes Schiff, sehr klar bezeichnet mit den Masten allen und den Decks, dem schwarzen Rumpf und roten Bodenband, – und weiß aus irgend einem tiefen, dunklen Urgefühl heraus: –

»Dies ist das Schiff, das immer war, – und dies der Mensch, der einsam immer auf ihm weilt, – der sich voll Lust und Angst vom Heimatboden trennte und voll Lust und Angst nach einem Neuen, Unbekannten giert!

So fällt ein Hammer auf das Deck, – so schellt die Glocke, die die Stunden nennt, – so schrillt des Bootsmanns Pfeife über Schiff und See dahin, – so hallt der Ruf der Offiziere, und so schreiten ihre Schritte, ewig gleich, längsdeck!

Und du, du bist die Flagge, die zu ihren Häupten weht, – und du bist das Gespräch, das immer wiederkehrt, – das von der Heimat und vom Abschied, – das vom Aerger und vom Neid, – das von der Sehnsucht nach dem fremden Land und das von Gier und Raub und von der heißen, wilden Liebe! – Und du, du bist das Rauschen, – du die Woge, die den Seemann lockt und schreckt, – und du der Vogel, der ihn seit Jahrtausenden begleitet, – du der Rauch, die Kieltrift hinterm Schiff, die seinen Weg für kurze Weile in die fährtenlose Oede zeichnet, daß sich Alles, Alles so erfülle, wie es in den Büchern, in den Liedern steht von Anker, Tau und Segel, – Wind, Woge und Matros! –«

 

Ein Schritt, ein Wort erscholl, – ein Hammer fiel auf Deck: – was ist dabei?

Raum

Maß der Heimat

Manchmal taucht mitten im atlantischen Schaun und Staunen das geliebte Bild der Heimat wieder in mir auf: – das enge Maß des Bergsees und der rings beschränkte Himmelsplan mit seinen wenigen Wolkenbildern und den wenigen Sternen in der Nacht.

Wie seltsam anders war doch alles, was für uns dort »tief« und »hoch« und »weit« bedeutete!

Der leicht beherrschte Raum, der sich rund um den Kahn von einem Strand zum andern spannte, – über uns die Himmelshöhe und tief unter uns die unergründliche Versunkenheit des Sees, – sie alle lagen zwischen Ufersaum und Berggrat klein und abgegrenzt und wohlbetreut im Mutterarm der festen Erde.

Und doch, – wir hatten in dem engen Weltraum zwischen unsern Bergen eine Lust und eine Sehnsucht, die die Grenzen aller Schöpfung lächelnd überschwang!

Sie tauchte gläubig mit den Fischlein und den Netzen in die grundlos dunkle Herrlichkeit des Sees, und sie erhob sich mit den Mückenschwärmen, mit den Vögeln und mit unsern Jauchzern in die Wolken-, in die Himmelsräume auf und wurde drin so selig weit, so frei, so still wie jemals auf dem Meere hier, wo all das machtvoll Hohe, Tiefe, Weite, ohne Grenze rings im Unermeßlichen verwogt.

Fensterschau

Wie schön ists, daß in meiner Kammerwand zwei Fenster sind!

Da bleibt, was sich im einen ihrer dunklen Kreise abspielt, nicht mehr so verlassen und allein, nicht mehr so leblos starr und sonderbar von aller Umwelt abgeschieden, sondern die getrennten Darstellungen treten unwillkürlich miteinander in Bezug, sie wachsen aus dem bildhaft engen Rahmen in die Breite, in die Weite, werden Landschaft, werden Panorama: – Weltenschau!

Das Segel in dem einen und das linde, leere Blau im andern Kreis, – der Vogel hier, und dort die wellig öde Flut, – ich kann sie alle still besinnlich zueinander halten und vergleichen, bis ihr scheues, fernes Leben überströmend sich vereinigt.

Selbst der leise Wuchs, das wogenweiche Anderswerden des Gewölks erhält für mich in doppelt gleicher Wiederkehr erst seine ganze, grenzenlose Fülle, seine ganze himmlische Geräumigkeit.

Ja, wenn einmal zu gleicher Zeit in beiden Rahmen gar nichts anderes als das luftig leere Blau des Himmels und darunter noch vielleicht das dunkle Band des Wasserhorizontes steht, spür ich vom einen Bild zum andern, gänzlich gleichen, doch stetsfort das wunderbare Fluten, Hin- und Wiederreichen still belebter Fernen, – den unsagbar leisen, weiten Hauch und Herzschlag der Unendlichkeit!

Lob der Endlichkeit

Zu allen Stunden, wenn ich durch die engen Fensterluken meiner Kammer schaue, dehnt die Welt sich draußen unermeßlich weit und frei und wogt in blauer Reife um mein Schiff, – erhellt, erfüllt vom starken Strahlen einer Sonne, die nie ganz zu mir hereindringt, um die Dämmerung zu lösen, die vom Morgen bis zum Abend immerfort in meinem kleinen Wohnraum hängen bleibt.

Nur wenn ich, nahe an den Sims gedrängt, den Kopf und Arm ins Freie recke, überströmt auch mich mit einem Mal das reiche, goldenwarme Licht des Tags.

Dann fühle ich mich mit den Fischen, mit den Möwen und den fernen Seglern draußen, – mit den Wogen und den Wolken ganz der seligen Weite eingetan und kann auf Augenblicke wenigstens die Mühsal meiner irdisch menschlichen Gebundenheit vergessen.

Ja, – dort draußen ist wohl eine andere Welt! Dort ist der Glanz, das ewig Dröhnende, das Grenzenlose!

Dort in Luft und Wasser kreist das Leben, kreist das Werden und Vergehen der Geschöpfe schwelgend weit und leicht dahin.

Doch in der Kammer drin, – bei mir, – in meinem dunklen, dürftigen Gehäus ist alles eng und klein und hart bestimmt!

Hier wurzelt alles erdenschwer und unverrückbar fest im Schiff, mit dem es sich nur wider Willen wiegend, aus der angestammten Lotkraft schleudern läßt.

Und doch, – wenn mich manchmal die Allmacht der Unendlichkeit bedrängt und müd und schwach und elend macht, – wie gerne flüchte ich mich dann hieher in meinen sicheren Bezirk, wo es an jeder Größe und Erlösung und an jeder Sehnsucht nach Unendlichkeit gebricht!

Wie gerne leugne ich dann all das unablässige Geräusche und Gewoge draußen, all das viele, grelle Licht, das lähmend leere Blau!

Ich kehre mich mit einem Ruck energisch von der Weite ab und fühle mich für Stunden und für ganze Tage wohl bei Schrank und Tisch und Bücherbord und Bildern an der Wand: – die Weite wich, – die Weite starb, – willkommen, enges, irdisch trauliches Gefängnis meiner Kammer!

Verlorener Raum

Was ist das Meer, das mich hier trägt und mit dem Himmel alle Welt ausmacht, die ich mit meinen Sinnen rings umfassen kann?

Ist es denn Wasser? – Ist es naß?

Ich weiß es nicht!

Wohl ist mein Schiff mit seinem Rumpf tief innig in die Meerflut eingeschmiegt und gleitet stetig in ihr fort und fort in nie gelockerter Berührung und Gemeinsamkeit.

Doch ich, der ferne von ihm wohnt, – ich kann es nicht erreichen, kann es nicht mit meinen Händen greifen und festhalten, um es zu erkennen und mit meinen eigenen, dunkeln Lebensströmen zu vereinen!

Denn vom Bordrand bis zu ihm hinunter waltet stets ein leerer, toter Raum, ein Nichts, ein Abstand, der uns beide auseinander hält und trennt.

Und was etwa von ihm zu mir heraufsteigt, – all das spärliche, vom Wellenschlag versprengte und vom Wind verwehte Schaumgeflitter, ist, bis es zu mir gelangt, ja längst nicht mehr von seiner Art, ist ohne seinen Schall und ohne seine Farbe, ohne Last und ohne wiegende Bewegung: – ist nicht »Woge«, ist nicht »Meer«!

Das Pathos unsres ewigen Abstands hat das Wasser mir entfremdet und so unbegreiflich fern gemacht, daß ich nichts anderes mehr von ihm empfinden kann, als daß es eben blau und ruhlos wogend, ruhlos rauschend, alle Weiten, alle Tiefen unter mir erfüllt.

 

Doch was bedeutet eigentlich für mich noch Tiefe, – was heißt: »unter mir«?

Fast dünkt es mich, als wollte sich im dumpfen, unbewußten Laufe meiner Seeverwandlung nun auch diese alt vertraute Vorstellung in nichts verlieren, sehe ich doch immerzu und überall vom Wasser nur die Oberfläche und vermag mir kaum noch richtig vorzustellen, daß darunter erst der eigentliche Sinn, – die Fülle, Last und Macht des Meers in unermeßlichen Abgründen eingebettet liegt!

Unaufhörlich suchen meine Blicke, meine Sinne und Gedanken, in das Rätsel der atlantischen Tiefe einzudringen: – immer wieder prallen sie am Wasserspiegel ab, bleiben an der satten, zähen Spannung, – an der Feste seiner Oberfläche hängen und verschwärmen sich dann wieder machtlos durch die himmlisch weichen, himmlisch ungewissen Weiten hin.

Sie teilen ihr Geschick unwillig mit den großen, wilden Möwenvögeln, die nie völlig untertauchen können, weil ihr Fittich, ihr Skelett, ihr ganzes, flugbereites Wesen allzuviel des Leichten, Luftigen, in sich birgt.

Vergeblich stürzen sie sich aus den Höhen auf das Meer hernieder, um mit zornigem Begehr die Tiefe zu gewinnen: – noch bevor ihr Leib zur Hälfte in der Flut verschwand, sind sie schon wieder von dem fabelhaften Druck der Wasser ausgepreßt und ihrer angestammten Luft- und Lichtheimat zurückgegeben.

Auch ihr Reich ist eben nicht von dieser Welt der schattenhaften Tiefe und der Last, – es ist, gleich meinen Sinnen, meiner Seele, ganz dem Obern, Dünnen, dem Luftgeistigen gemein und muß von Anfang bis zu Ende, schwebend, atmend und verhauchend in ihm sein und bleiben.

 

Der Sinn der Tiefe schwand mir aus dem Meer, – nun folgt ihm in dem Himmelsraum auch der Begriff der Höhe nach.

Wenn sich das Firmament tagein, tagaus in leerer Lichtung oder in gestaltlos grauem Dunst zu meinen Häupten ausspannt, ist kein Hohes, Fernes mehr in ihm zu spüren, – nichts mehr, was es reich gestaffelt, bunt und mannigfaltig über mich hinaus in die Unendlichkeiten hebt, sondern sein erschöpftes Einerlei fließt ohne Grenze, ohne Horizont, so flach und flau und farbenlau in die Gewässer über, die ihm aus der Tiefe sanft und kaum ein wenig dunkler, schwerer als es selbst entgegenwallen, daß ich es nicht mehr als Zweites, Anderes, himmlisch Hohes, himmlisch Eigenes erkennen kann.

 

Wo keine rechte Tiefe, keine Höhe ist, kann auch das Ebenhin, die Weite und die Breite nicht bestehen.

Gibt es denn noch im verlorenen Raume irgendwo für uns ein Nahes und ein Fernes, – gibt es einen Ort, ein »Da und Dort«, das unserer Reise Anfang oder Ziel bedeutete?

Sind wir denn nicht in Wirklichkeit dazu verdammt, allewig in der Mitte dieser überall gleich flachen und gleich blauen Meeresschale eingesargt zu bleiben und nie an den Rand, nie an den Horizont zu rühren, wo sich alles sicherlich zum Mannigfaltigen, zum Raumbewegten wendete?

Wie wünsch ich doch, es möchte endlich wieder ein besonderer Klang, ein einziger, klarer Wellenschlag vielleicht, aus dem verrauschten Meereinton zu mir herüberdringen, daß in seiner Anrufung das Andere, das Jenseitige, wieder aus dem Nichts erwachte!

Wie sehn ich mich nach Wolkenschatten, Regensäulen oder auch nur nach dem schlichten, grünen Mal der Meeruntiefen, daß sich wiederum die tote, blaue Oede zur lebendig buntbefahrenen Flur verwandelte!

Wie ruf ich im beklommenen, raumdurstigen Herzen Fisch- und Vogelschwärme zu mir her, um mich an ihrer Ankunft aus dem Nichts, am Quersinn ihres eigenwilligen Vorüberziehens zu erlaben!

Triebe doch der Wind den Rauch des Schlotes und die starre Schaumtrift hinter unserm Kiel ein wenig seitlich auseinander, daß aus ihrem Widerspruch und Winkel in den Lüften, in den Fluten, wieder Fülle, Form und Raum erstünde!

Reckte doch ein Segelschiff, ein Dampfer wenigstens die letzten, dünnsten Spitzen seiner Masten über unsern Horizont herauf, so wäre endlich wieder ein Bezug geschaffen zwischen hier und dort, – ein Gegenüber und ein sicheres, gutes Nebenher! – Der Raum, die Vielgestaltigkeit, das Leben wäre wieder da, und all die tote, unbewegte Leere rückte wiederum zusammen zur gewohnten, reich bestellten, wohnlich engen Meer- und Weltenstube!

Blick ins Leere

Ins Auge der fliegenden Fische, – ins Auge der Vögel zu schauen, macht mich oft verzagt und schwach.

Vergeblich müh ich mich, mit meinem Blick den ihren einzufangen, ihn für einen einzigen Augenblick auf mich, auf meiner Seele fragendunklen, fragenwirren Grund zu zwingen.

All ihr Schauen gleitet immer nur in spöttischer Kühle über mich hinweg, und trifft es mich einmal, so dringt es ohne Anhalt, ohne Dauer, fühllos durch mein Innerstes hindurch, hinaus ins randlos Oede, Unermeßliche zurück, als ob auch ich mit Leib und mit Gedanke grad so glashell und so grundlos leer sei wie die Fisch- und Vogelaugen selbst, – wie sie, nichts anderes bloß als Spiegel und Durchsicht des Chaos, das uns alle miteinander rings umgähnt!

All mein gestrenges, starkes Blicken wird davon gesichtlos starr und weit und blöd, und jeder Wunsch und Wille, jeder fordernde Gedanke löst sich kraftlos auf im Glanz des Fisch- und Vogelaugs, aus dem mich ja nichts andres als das ewige Nichts, die letzte, lebenlose Leere selbst vernichtend anglotzt.

Grausen der Tiefe

Ueber Reling lehnend starr ich aus dem sonnigen Licht des Tages wie verzaubert in die Wellentäler nieder, – in die immer gleiche, unergründlich schwere, finstere Nacht der Wassertiefe, über die mein Schiff gleichmütig hinfährt.

Was mag nur dort unten alles hausen, wo es, unermeßlich ferngerückt der himmlisch lichten Nachbarschaft der Luft, an jedem Duft, an jeder Helligkeit gebricht, und auch die letzte Spur von Grün und Blau und Violett und Purpur auslöscht in dem ewig lichtlos starren Schwarz des Meerabgrunds?

Die Spinnen, Krebse und der Wunderfische grinsend dünner oder ballenrund verbeulter Mißwuchs und die zähe Ungestalt des Schleims, die, rings umpreßt und vollgespannt vom fürchterlichen Drang der Tiefe, lautlos schleichend durch die Algenwälder ziehn!

Dorthin wohl sänke auch mein Körper, meine Seele, wenn wir einmal Schiffbruch litten auf der hohen See, – hinein, hinunter in den wallend weichen, widerquellend stummen Schlund des Meers, – durch all das Grün und Blau und Violett und Purpur langsam niedertauchend in das letzte, tiefste Schwarz der Wassernacht, bis sie am Ende ihre Ruhe fänden bei den Urgespenstern ihrer Ahnen: – bei den Spinnen, Krebsen, Fischen und beim Schleim, – von denen sie einst selber, dumpf und seelenlos gedrängt, ans Lichte, Luftige ihres späten Menschendaseins aufgestiegen sind.

Mondfinsternis

In später, schwüler Meernacht warte ich auf den Beginn der tropischen Mondfinsternis.

Seit einer Stunde schon geh ich unruhig auf dem Bootsdeck hin und her und forsche immer wieder mit dem Fernglas durch die Riesenräume hin, ob sich vielleicht am Mondlicht irgendwie das Weltereignis schon verkünde.

Aber nichts verrät sein Nahen: – Mond und Sterne und das Himmelsblau verharren immer noch in gleicher, stiller, klarer Einfalt.

Und doch weiß ich, daß nun über mir der Schatten unseres Erdballs wie ein wesenloses, kosmisches Gespenst unsichtbar durch die Himmelsleere rast und in den nächsten Augenblicken schon den Mond auf seinem stillen Wege überfallen wird.

Zum letzten Mal schau ich auf meine Uhr, – der Zeiger rückt und rückt: – jetzt muß es kommen, jetzt, – jetzt ist es da!

 

Mit einer leisen, schleierhaften Trübung rührt das Finstere an den Rand des Monds und deckt sein reines Licht mit schmalen, flutend flauen Bändern zu, – erst eisig blau, dann grau, dann endlich undurchdringlich goldbraun, bronzedumpf und blutig purpurrot.

Wo die Verschattung hintrifft, strahlen in der Mondlandschaft die langgestreckten, wilden Kämme und die Kratergipfel nacheinander jählings aus den Niederungen auf, dann stürzen sie, wie weggewischt, auf einmal reihenweise in die Finsternis hinab.

So frißt der Schatten langsam Berg um Berg und Tal um Tal und auch die weit gedehnten Ebenen, die auf den Karten noch die alten, abenteuerlichen Namen schicksalsschwangerer Meere tragen, – all die wundersamen Namen unserer eigenen Erdennot und -lust und -seligkeit: – das Meer der Fruchtbarkeit und das der Fährnisse, das still gepriesene Meer der Ruhe, – das des Nektars und der Wolken und der Dämpfe und das holde Meer der Heiterkeit!

Und ihnen folgt der See der Träume nach, der Nebelsumpf, das Meer der Regen und der Todesteich und endlich auch das unheilvolle, grimme Meer der Kälte, bis zuletzt der ganze Mond von einem Rand zum andern in der Finsternis versunken ist und nur noch düster funkelnd wie ein Tropfen toten, schwer geronnenen Blutes über mir am fremd und schwarz gewordenen Firmamente hängt!

 

Erschüttert folge ich mit meinen Blicken, meinem Sinn, dem schauerlich entlegenen, weltenfernen Untergang des Lichts und spüre zwischen ihm und unserm eigenen, nahen Erdenlauf den untrennbaren, himmlischen Zusammenhang, – sind doch die rauchig wallenden Gedünste, die dem scharfen Rand der eigentlichen Finsternis voraus das Mondlicht trüben, nur die Schattenspuren ungeheurer Wolkenmassen, die bei uns hienieden über unermeßlich weiten Meer- und Länderstrecken lasten, – irgendwo im Osten, wo zu dieser Stunde eben Erdennacht und -morgen aufeinandertreffen, – irgendwo in Asien drüben, – am Himalaja vielleicht und über Indiens heißen Dschungeln oder in den ewig regenfeuchten Zonen der Monsune.

Ja, das Geisterhafte, Dunkle, das dort drüben, schwindlig fern, den Himmelsraum durchweht, – das ist der Schatten unseres eigenen Planeten, – das ist unser eigener Schatten, – unsere eigene Spur, mit der wir Menschen, wir Wälder und wir Wüsten, wir Erdenberge und wir Meere durch die Leere auf den öden, kalten, abgestorbenen Mond hinüberlangen!

Was bedeutet da noch Nähe, was bedeutet Ferne? – Ob ich jenes Dunkle, Schattenhafte meine, was sich drüben auf dem Mond ereignet, oder dieses wesenlose Andere, »Luft« und »Raum« genannte, das hier auf der Erde meine hohle Hand gewichtlos, unerfaßlich, füllt, – was lebenspendend meinen Atem speist und mit den Blicken, den Gedanken in die Tiefen meiner Seele dringt, – es ist vom Erdenrand hinweg bis zu dem Mond, bis zu den letzten, abgelegensten Gestirnen und noch weit, weit über sie hinaus ins ewig Dunkelliegende der Nacht, allüberall die selbe, eine Leere, – überall das selbe, eine Nichts, – gleich nah und fern dem Menschenherzen wie dem Mond, den Sternen und dem Andern allem, was es sonst an Schatten und an Schein in dieser Welt des Trugs noch geben mag!

Bekenntnis zur Leere

Wie ein Fremdkörper treibt das Schiff durch den ungestaltet öden, grenzenlosen Raum dahin: – das einzig Harte, – fest Bestimmte, – Endliche!

Doch wird nicht eines Tags die Leere den verhaßten Fremdstoff meiner ganzen, winzigen Körperwelt aufzehren und auch seine letzte Fährte, seinen letzten Sinn und Namen aus dem ungeheuren, blauen Einerlei der Meeresöde tilgen?

Wohl stehn die Vögel, die beharrlich unser Schiff begleiten, wie ein schwaches Restchen, wie ein Aushauch unserer irdisch-menschlichen Gewalten draußen in der Luft beschützend um uns her.

Wohl dünkt es mich manchmal, von ihrer unergründlich zähen Zugehörigkeit berückt, als ob sich unser Machtbereich doch etwas weiter als die Grenzen unseres Schiffs erstrecke: – vielleicht so weit die Hand noch über Bord hinaus ins Leere greift, – so weit der Lichterglanz der Möwenflügel uns umspielt, – so weit die Kieltrift sich im Wasser und der Rauch des Schlots sich in den Lüften wirksam hält.

Doch jedesmal, wenn sich die Schatten unseres Rauchs im Himmelsdunst verlieren, – wenn die Schaumspur hinter uns in flauer, grauer Flut verlodert, – jedesmal, wenn es geschieht, daß unerwartet der gesamte Vogelschwarm auf einmal von uns abläßt und in überstürzter Hast ins Ferne flüchtet, um nicht mehr zurückzukehren, – weicht mit ihnen auch die letzte Wehr und Macht von unserm Diesseits, und ich spüre peinvoll, wie das Jenseits, – wie die einsam böse, fremde Leere nun von allen Seiten ungehindert zu uns schleicht, – bis an die Mastenspitzen, – an die Bordwand, – bis ans Herz!

Dann ist es mir, die alte unheilvolle Seemannssage würde wieder wahr, – die Sage vom Magnetberg, der einst alle Nägel, alle Eisenklammern aus den Schiffen zog, daß sie zerblätterten, zerfielen, und die Menschen, die auf ihnen weilten, hilflos in die Tiefe sinken mußten!

Unwillkürlich greif ich nach den Planken, nach den Wänden, ängstlich prüfend, ob sie denn noch hielten, ob sie mich noch trügen, – und ich fühl mich schwach und schwindlig werden vor der grausenhaften Vorstellung, was aus mir würde, wenn mein Schiff sich aus den Angeln löste und nach allen Seiten hin zerflöge, – aufgesaugt, verzehrt vom unsichtbaren, überall und immer lauernden Magnet der Leere!

 

Was mag nur diese Leere sein, daß sie mich fort und fort so schreckt und doch unwiderstehlich an sich zieht?

Ich strecke fragend meine Hände über mich hinaus ins luftig Lose, grad als müßten sie dort etwas finden, das sie spüren, greifen und niemals mehr von sich lassen möchten.

Doch umsonst!

Wie sollten sie denn auch die Leere fangen können, – diese Leere, die sie selbst allrings umfaßt und bis ins Innerste durchdringt, – dies eine, große Nichts, das sie ja selber überhaupt erst schafft, bedingt und möglich macht?

Umsonst auch irren meine Blicke und Gedanken durch das formlos Ferne, ohne in ihm Halt zu finden, Widerstand und Ding.

Sie schrecken immer wieder vor dem blassen Geist der Oede, – vor dem starren, grauenhaft enthüllten Antlitz der Unendlichkeit zurück und flüchten sich, mit Leere überfrachtet, ernüchtert und erschöpft vom Nichts, reumütig in das maßvoll Enge meines Schiffs und Leibs zurück, – heim in die sichere Gewähr von Erdenmaß und Erdenwucht.

 

Dies ist nun also meine Welt und mein Besitz: – dies Schiff mit seinen wenigen Menschenleben und mit allem seinem spärlichen Gerät.

In dem elenden, engen Kasten ist mein ganzes Diesseits, meine ganze irdische Möglichkeit, – mein Ich, mein Ein-und-Alles eingeschlossen und erfüllt.

Doch alle meine Sinne sehnen sich heraus aus diesem Kerker, – alle meine Fragen, meine Wünsche stürmen über Bord hinweg, um mit verzweifelter Gebärde den grausam begrenzten Lebensraum, der ihnen von der Schöpfung zugebilligt wurde, zu erweitern.

Aber drüben, draußen lauert ja nichts anderes als die Unerfaßlichkeit, – die Leere, drinnen niemand heimisch ist, – kein irdisches Geschöpf, – kein irdischer Gedanke und kein Sinn!

 

Und doch, – ist denn mein eigentliches Inneres, – mein Ich, – so ganz gewiß herwärts in Schiff und Menschenleib?

Bin ich wahrhaftig hier?

Bin ich am Ende nicht vielleicht auch dort, – dort draußen, drüben irgendwo im ungeheuer Andern, das ich früher, zweifelnd und verzagend, nur »Die Fremde« und »Das Nichts«, – »Das Jenseits« nannte?

Ist es mir nicht manchmal so, als müßt ich selber irgendwie in ihm enthalten sein, – ganz aufgelöst vielleicht, – zu Flut zerflossen und zu Luft zerweht, – zu Stille und zu Nichts verklärt?

Je länger ich darüber grüble, desto ungewisser wird mir das Gehäuse meines Schiffs, – desto unwohnlicher, untraulicher wird mir mein eigener Leib und mein Gemüt, – mein ganzes eigenes Ich.

Und plötzlich ists mir schreckhaft offenbar, daß es in Wirklichkeit ja gar nicht mehr das Andere, Leere ist, wovor es mir im Schlafen und im Wachen unablässig bangt und graut: – nein, meine eigene Form und Enge, mein Besitz, mein Endlich-Wirkliches ist es, was mir die Heimat und das Froh-, das Stillesein versagt!

Drum treibt es mich mit allen meinen Sinnen immerzu heraus aus dem unheimlichen Gelaß, – weg aus dem bangen Kerker meiner irdischen Gebundenheit.

Zur Leere möcht ich mich bekennen, – zur Barmherzigkeit des Nichtseins, – zur vollkommenen Abwesenheit, – damit auch ich so innig licht und leicht und so bewußtlos heil wie Raum und Weile, ohne Anfang, ohne Ende kreisend, ruhend, durch die Ewigkeiten währen könnte!

Schall und Stille

Meerschweigen

Das Meer macht alle Menschen stumm und scheu, – es duldet keine andern Laute über sich als seinen eigenen, wilden Ruf, – es singt und brüllt allzeit allein das ein- und tausendstimmige, das ernste, schwere Urlied der Unendlichkeit!

Schweigsam verrichten die Seeleute Tag und Nacht ihr Werk und horchen, wie gebannt, verdammt zum Stummsein, immer nur unwillig auf den gellen Lärm des Winds und auf das ungeheuerliche Schlagen, auf das nie verstummende Gebraus des ewigen Wasserfalls im Meer.

Und sprechen sie einmal, so klingt ihr Reden unwirsch kurz, wie ein Wurf Erde von der Schaufel, – rauh und trocken, – seltsam ungeschmeidig, – seltsam spröd und meerfremd!

Denn das Menschenwort eint sich niemals dem Gang und Wohlgesang der Meereswasser.

Immer bleibt es ganz für sich allein, – es schafft sich keinen Umraum, keinen Widerhall, – bricht plötzlich los, – zerschellt, – zersplittert wieder unnatürlich jäh und wie verhetzt im übermächtigen Choral der Wogen, und kein Klang, kein Hauch von Echo, von Erinnerung folgt ihm im unbewegten Schweigen unserer Seemannsseelen nach.

Schall und Stille

Seit wir auf hoher See sind, braust der Lärm des Winds, der rauhe Wogenschall gewaltsam über uns hinweg.

Wohl tönt es einmal lauter, einmal leiser, aber nie verhallt es ganz, nie wird es wirklich stille um uns her.

Selbst an den Tagen, da die See in fast schaumloser Glätte wiegend ruht, und all der Saus und Braus ein wenig abebbt, sanfter wird, gibt es doch keine Stunde, keinen Augenblick, wo auch der letzte Hauch des Winds verweht, und auch das letzte, feinste Gischtgeflüster auf den Wellen ganz erloschen wäre.

Immer bleibt am Ende noch ein brütend dumpfer Ton vom Druck und Wuchten der Gewässer, immer dröhnt es noch wie ferne abgedämpfter Donner von dem Prall und Widerhall der großen Wogen an der Back!

Das ist nun immerzu durch alle Tage, alle Nächte, von so eigensinnig gleichem, ewig gegenwärtigem Bestand, daß sich daran allmählich meine Sinne stumpf und müde hören.

Ich vernehme es nicht mehr, so wie man nicht mehr auf den Schlag des eigenen Herzens, auf den dunklen Saus des Blutes in den Adern horcht, weil sie von allem Anfang an schon immerfort und immergleich im tiefsten Lebensgrunde waren.

Stund um Stunde werden Wind- und Wasserbrausen leiser, ferner, rücken von mir ab, entträumen und entschlummern mehr und mehr, sie werden mählich lautlos, wortlos, – schwingen, schweigen aus und gehen endlich ganz dahin in eine einzige, alles überwältigende Stille!

Diese Stille aber ist betäubend dumpf und voll, und in ihr wuchtet eine Mühsal, eine Einsamkeit, die noch viel schwerer zu ertragen ist als all der peinigende Schall zuvor.

Wohl sehe ich im sonderbaren Zwiespalt meiner Seele, wie die Wogen sich aufbäumen, überwallen, niederstürzen, – und ich weiß: – jetzt brüllen, donnern sie in ungeheurem Schlag.

Wohl seh ich, wie der Gischt an unserer Bordwand auf und nieder steigt, – wie glasig zähe Blasen draußen auf den Wogenkämmen platzen, – und ich weiß: – jetzt klirrt und klatscht und raschelt es von ihnen stechend scharf und grell.

Wohl seh ich, wie die Vögel in den Lüften ihre Schnäbel seltsam klaffend öffnen, – und ich weiß: – jetzt schreien, krächzen sie in kühler Gier, – doch nichts von alledem dringt an mein Ohr, wird für mich laut!

Mein Sinn bleibt taub und meine Seele stumm in der Erstarrung dieses ewig gleichen, tobend leeren Schalls.

So ist des Meeres Rede, so sein schweigendes Gebrüll, – und meines ganzen, eigenen Lebens Stillesein und Reden ist machtlos mit eingeschwungen, eingeschwiegen und erfüllt in seiner dröhnend lauten, dröhnend unhörbaren Melodie!

Vom ewigen Wank

Taumel der Sturmnacht
Sturmwirbel

In mitternächtiger Stunde tobt der Sturm ums Schiff.

Da ist an keine Ruhe unter Deck, an keinen Schlaf zu denken!

Tisch und Wand und Koje zittern, und der ganze Schiffsrumpf ächzt und bebt bis in sein Innerstes vom schweren, harten Prall des Wassers, das sich, Woge hinter Woge, brüllend über die Verdecke stürzt.

Schmetternd fährt der Wind um alle Kanten, poltert um die Masten, um die Wanten und entsaugt dem Schlot bei jedem Auf- und Niederschwung ein dumpfes, fauchendes Gestöhn, das geisterhaft bis in die abgelegene Tiefe meiner Kammer dringt.

Betäubt vom Lärm und taumlig von dem ständigen Hin- und Hergeworfenwerden steige ich mühsam an Deck und suche mir beim Hauptmast hinten einen Platz, von dem ich ungefährdet in das Chaos schauen kann.

Doch ists nicht gut, zu solcher Stunde dort zu weilen, denn im trügerischen Mondlicht dehnt sich das Verdeck, von Gischtgequirl und überkommenden Seen spiegelnd glatt und naß geworden, wie ein silbergrüner Sumpf, unheimlich weit und öde vor mir aus, und alles, was auf ihm bei ruhigem Seegang sonst bestimmt und klar an seinem angestammten Platz verharrt, verliert jetzt jede Rast und Last und starrt mich in dem flackerigen Auf- und Niederpendeln mit verzerrtem Antlitz fremd und wirr und wie verwüstet an.

Kein Ding ist mehr an Bord, nichts in dem ganzen, weiten Meer- und Himmelsraume, was dem Höllenaufruhr zu entgehn vermöchte!

Sinnlos torkelnd rennt das wellige Getümmel draußen durch die nahe, monderhellte Niederung von einer unbekannten Finsternis zur andern.

Und inmitten seines wild auffahrenden Gestürms kämpft sich mein Schiff in unentwegtem Drange stampfend, rollend, schlingernd vorwärts.

Bis weit übers Back- und Heckgeländer, bis zum Hauptdeck links und rechts wühlt es abwechselnd seinen festen Bau in den nachgiebig zähen Wogenschwall hinein.

Der schwarze Schlot, gewaltig die Verdecke überragend, fährt mit Wucht zur Tiefe nieder, stockt für einen Augenblick und kehrt im selben, schleppend schweren Zeitmaß wiederum zurück, – stetsfort begleitet von den Masten und dem dünnen Drahtgerät der Wanten, die in kühnem, feurig freiem Bogen über ihm die Luft durchsausen. – Aber ganz zuoberst in den letzten, schauerlich entrückten Höhen rasen Mond und Sterne und die Wolkendünste samt der unfaßbar zwielichtig leeren Himmelsöde widersinnig dem vereinten Schwung von Meer und Schiff entgegen.

Unerbittlich bin auch ich in diesen Weltenstrudel mitgerissen, und nichts Andres bleibt mir übrig, als in willenlosem Schwung und Gegenschwung mit meinem Leib dem übermächtigen Wurf der Wellen und des Winds Bescheid zu tun.

Doch immer mehr verlieren meine Sinne und Gedanken ihren Halt, sie werden schwindlig, taumlig und beginnen, wie in unheilvollem Drehwahn rastlos um sich selbst und um das dunkle Rätsel des Orkans zu kreisen.

Himmlisches Wirrsal

Was für erdenfremde, gänzlich unfaßbare Lot- und Schwunggesetze mögen es nur sein, die solcherart die Wirbelkraft des Winds, den tollen Umtrieb der Gewässer und des Schiffs, den Tanz der Wellen und der Sterne und des Monds am Himmel regeln, ohne daß sich schon im ersten Augenblick die ganze, höllische Maschinerie der Sturmgewalten in sich selbst verstaucht, verkrampft und stehen bleibt?

Wie an gespenstig unsichtbaren Speichen fühle ich die Dinge alle ungehindert durcheinanderlaufen und sich kreuzen und sich schneiden.

Aus geheimen Wurzeln stürzen sie allüberall herauf, halten plötzlich in gewaltiger Sperrung an, schwenken um und fahren wieder, mit erneuter Kraft entflammt, zum nächsten, riesenhaften Umschwung in die Dunkelheit zurück, ohne daß sich irgendwo ein Mittelpunkt, ein Pol und Wirbel zeigt, worin sich alles festigt, eint und dreht.

Und dennoch meine ich, es müßten sich doch alle die entfesselten Gewalten irgendwie nach menschlichem Bedacht verankern und verwurzeln lassen: – in dem schweren, widerspenstigen Druck des Schiffs vielleicht, – im Pendeln meiner eigenen Gestalt, im Mastenkreisen, Wellentreiben oder in der unzähmbaren Jagd der fernen, himmlischen Gestirne!

Ja, mich dünkt in wachsender Verblendung, es bedürfe gar nur eines kleinen, willenstarken Zwanges, um das unbeherrschte Chaos zu entwirren und zu klären!

Eifernd, rechtend mit den Elementen mach ich mich drum an die Arbeit, sondere aus, was mir in Halt und Schuß, in Schwung und Gegenschwung verwandt und gleichgesinnt zu laufen scheint, und renke, zerre immer weiter, bis ich endlich alles um- und eingeordnet habe in ein magisches Kristallsystem von nie erlebter, wunderlichster Dimension und Strahlung!

Schon erscheint mir der gesamte Meer- und Himmelsraum ringsum beschrieben und bestirnt von all den unerwiesenen Schwung- und Kräftelinien, Dreh- und Angelpunkten meines künstlich ausgeklügelten Systems, doch niemals will es mir gelingen, eines von den Zeichen aus dem Bauwerk wieder auszulösen, um mit ihm die Rätselschrift des Himmels zu entziffern und zu lesen!

Jedesmal fährt irgend eine neue Schwungkraft, deren finstre Wurzel ich nicht mehr in meine Gleichung einbeziehen konnte, aus der Leere auf mich nieder und zermalmt mit einem einzigen, unberechenbaren Saus das ganze, schwächliche Gerüstwerk meiner Formel.

Aber dennoch kann ich es nicht lassen, immer wieder tastend, suchend, fordernd in das Irrsal einzudringen, – meine Kräfte immer wieder eigensinnig mit der rasenden Gewalt des Sturms zu messen, – neue Schwünge, neue Pole zu ersinnen, – neue, listige Netze in die Leere auszuwerfen, um damit den unfaßbaren Sinn des Chaos einzufangen!

Eitle Müh!

Je mehr ich rätsle, je verzweifelter ich grüble, desto mehr verstricke ich mich selbst nur im phantastischen Gespinste meiner Rechnung, und der ganze Formelkram an Himmel und an Erde bleibt mir schließlich doch nichts anderes als ein dumpfes, wortlos wirres, unentzifferbares Kryptogramm.

Der Erlöser

Verfeindet, überworfen mit dem All und mit mir selbst und namenlos entmutigt vom ungleichen Kampfe mit den Elementen starr ich machtlos müde in die grausige Melancholie des ungeschlachten, seelenlosen Räderwerks hinüber und versinke immer tiefer, immer hoffnungsloser in die Not und Einsamkeit der Erdenkreatur zurück.

Da hör ich plötzlich einen gellen Vogelschrei erschallen, schau erschreckt empor und sehe, wie ein riesenhafter, weißer Albatros vollkommen reglos über mir im Himmel hängt!

Ob er nun eben erst aus Nacht und Ferne zu mir herfuhr, oder ob er längst schon unbemerkt zu meinen Häupten weilte: – in demselben Augenblicke, da ich ihn gewahre, ahne ich das Walten seiner andern, himmlisch überlegenen Kraft und weiß, daß er zum Retter, zum Erlöser in der Sturmbedrängnis meiner Seele wird.

So selbstbewußt, so machtvoll ist die Ruhe seines Flugs, – so unbedingt und strahlend seine ganze, herrliche Gestalt!

Sehr nah ist er bei mir, so daß aus seinem Fittich der sehnsüchtig helle Klang des Fliegens durch den Wind- und Wellenaufruhr fein und klar zu mir herniederrieselt, und ich deutlich im Gefieder noch die beiden dunklen Gruben unterscheiden kann, darinnen sich die hochgerafften Füße bergen, – den Hackenschnabel und des Auges blitzend scharfen Stern.

Immer vorwärts späht er über die Verdecke hin und durch die Wanten in die wirre, blaue Ferne, grad, wie wenn er klugen Augs den Wind- und Wellengang und unsern Mastenschwung abwägen wollte, um die eigene Fahrt und Eile mit der ihrigen stetsfort in naher Gleichung zu bewahren.

Kein Zittern und kein Zucken läuft dabei durch sein Gefieder, sondern ohne einen einzigen Schlag saust er im zähen, zauberhaften Antrieb seines Flugs dahin, als müßte ihn der Sturmwind, – unterjocht vom festen Griffe seiner Schwingen, – willenlos sich selbst entgegentragen!

Dem Zug der untern, sturmdurchtosten Lüfte gleich vertraut wie himmelein gebettet in das Stille, Ferne, Obere: – ins schaumig weiche, wolkige Gedünst, ins Sterngeglitzer und ins leblos kühle Blau der Weltennacht, – darf er allein im schrankenlosen Aufruhr aller dieser Dinge rastend stillestehen.

Wenn er auch auf seiner luftigen Fährte frei und wild das All durchschifft, so hält er doch, kraft einer ganz besonderen, ruhevollen Gabe, immerdar an seinem Ort verankert still: – an seinem Ort, den ich in magischer Erleuchtung plötzlich als den langgesuchten Pol, – den Angelpunkt des ganzen Sturmgetriebs erkenne!

Denn der Vogel harrt für mich an einer seltenen, sonderbaren Stelle in der Luft, – nicht wirklich senkrecht über mir und meinem Schiffe, sondern eine kleine Spur abseits vom Triebe unsrer Fahrt, – fast schon gelöst von uns im offenen Raum und doch nicht so weit ab, daß nicht der Umschwung unserer stampfenden und rollenden Bewegung noch vollkommen in dem Bannkreis, – in der Herrschaft seiner ausgespannten Schwingen läge.

Ja, er selber ist der unergründliche, der zauberhaft gebieterische Pol!

Aus ihm entspringen all die Strahlen, all die Funkenkreise der chaotischen Verwirrung, – aus der kühn gezackten Spange seiner Schwingen fahren sie vereinzelt oder bündelweis hinaus, hinüber in die nächtlich leere, finstere Wüstenei, – kehren wiederum in ihn zurück und finden immer wieder vor dem nächsten Umschwung Ruh und Fassung in der wunderbar bewahrten, starken Stille seiner Brust!

– Von Augenblick zu Augenblick verwandelt und erhöht er sich im Anruf meiner Seele immer mehr zum Dämon, zum gewaltigen, einzigen Luftgeist dieser Nacht, vor dem die ganze Macht, der ganze Spuk des Sturmes weichen müssen.

Denn er ist der Meister, – er allein der Herr und der Erhabene!

Er weiß den Weg, – er kennt den Grund!

Aus Nacht und Wirrnis ist er gottgleich auserwählt und hergesandt, mich und mein Schiff in seine Hut zu nehmen und uns sicher durch die Schrecken des Orkans zu lenken nach den traumhaft fernen, sonnenreichen Zielen unserer Fahrt!

Wallen der Unendlichkeit

Manchmal geschieht es, daß inmitten stiller, klarer Sternennächte und bei sanftem Seegang ein paar ungeheure Kuppelwogen langsam aus der Ferne gegen uns anrollen, – zweimal, dreimal nacheinander, – und darauf vielleicht noch eine oder zwei in schlafend langen, ruhevollen Intervallen.

Machtvoll leise heben sie das Schiff zu sich empor und ziehen wieder hinter ihm schweigsam von dannen in die blaue Grenzenlosigkeit der Nacht.

Vielleicht sind sie der letzte, sanfte Nachdruck schwerer Stürme, die sich irgendwo, unendlich fern von uns, an einem andern Meer und Himmel ausgeschwungen haben, – vielleicht ist es der Erdenlauf, der Mond allein, der sie erregt und wandern heißt, – ich weiß es nicht!

Doch jedes Mal, wenn ich sie, so erhaben, schaumlos aufgeschwellt, – mit so vollkommener Gewalt, – bei uns anlangen fühle, ist es mir, als hätte mich in diesem nächtlich schönen, scheuen Augenblick nichts andres als das große, stumme, heilige Wallen der Unendlichkeit berührt.

Vom ewigen Wank

Ein Mensch kommt übers sonnenweite Deck gegangen, – an Haupt und Gliedern von der Aureole der erhitzten Luft geheimnisvoll umloht.

Beim Gehen und beim Stehen neigt er sich seitwärts zum Boden hin, holt über, sinkt zur andern Seite nieder und vermag nicht einen Augenblick wie auf der heimatlichen Erde lotrecht stille zu verharren.

Immerfort muß er zur Tiefe fahren und zur Höhe auf und wiederum zur Tiefe hin!

Und ich, – ich schwinge willenlos in Leib und Seele mit und bin gleich ihm, gleich unserm ganzen Schiff, gleich all dem Flutenden und Bebenden ringsum, nichts andres mehr als Wellen- und als Windgeschöpf!

So ist es fort und fort bei Tag, bei Nacht: – vom ersten wachen Augenblick des Morgens an bin ich schon eingenommen in das große, allgewaltige Wiegen, und ich spür im Zauber tiefster Seebetörung gar nichts andres mehr, als daß es immer schon so war, – schon gestern und schon ehegestern, – schon seit all den vielen, vielen Wochen unserer großen Ueberfahrt.

Und doch, – wie wenig weiß ich eigentlich vom Leben, von der Arbeit und vom Drang der Wogen, – von ihrem Hall und Schwall und ewigen Wank!

Nur ganz von ferne ahne ich in ihnen Werk und Wille eines andern, weltenweit von mir getrennten, kosmischen Geschicks, – ein traumverschwommenes Symbol für das, was immerzu gleich stark und weich und wankend ist, – was ewig spannt und ewig treibt, – was in sich selber wuchtend mit Gewalt nachgibt und sich doch, unerschöpflich schwindend, immer wieder, unerschöpflich, in sich selbst erneut!

Du schöner Trost und Friede, in dem Wogenwalten unser eigenes Träumen von Unsterblichkeit gelöst zu finden!

Sind denn nicht wir Menschen den Gewässern darin völlig gleich, daß wir uns von Geschlechtern zu Geschlechtern, unablässig sterbend und gebärend, folgen, ohne jemals in dem unlösbaren Rätsel unserer Herkunft, unseres Zieles zu versinken?

Wallen wir nicht alle miteinander als ein einziges, endloses Fluten durch die blaue Einsamkeit der Zeit dahin?

Still ahnend löse ich die Kette meiner irdischen Gebundenheit, verströme mich, belanglos weich, belanglos schwach, im Weltenozeane und gewinne so, den Wellen gleich, im unaufhörlichen Vergehn und Auferstehn die ewige Wiederkehr, – das ewige Leben!

Einmut

Wind, Woge, Wolke und des Vogels Flug, der Segler Fahrt, – sie alle werden, – eines wie das andere, – geheim inwendig gleich durchblaut, durchluftet und durchflutet von demselben Odem: – von dem Odem ozeanischer Unendlichkeit.

Wie sich des Meers abgründiger Schall und Widerhall, im Wogenschlag verschleiernd, in die Stille bettet, und die Stille wieder in den Schall zurück, – wie sich das Da-und-Dort, die Fülle und die Leere, jeder Schein und jedes Sein in Eins vermählt und, wundersam hinsterbend, Alles wird, – so lösen sich im Welteneinmut auch die Vögel und die Segler und die andern Luft- und Meergeschöpfe alle traumhaft licht und leis und schön.

Im schnaubenden Gestürm der Vögel wie im Stillstand ihrer feierlichen Weile ist etwas vom stäten, flüssigen Streifen des Passatwinds, – ist etwas vom Wank, vom Tanz und Glanz der Flut, die ihrem windgetragenen Fittich aus den Tiefen blau und reif und wonneschwer entgegenschwillt.

Und gleichen ihnen nicht die Segler, wenn sie, ihre Schwingen zwiefach breitend, lind geläufig durch die Luft- und Meeresweiten wehen oder, schmal geschlossenen Leibs, wie große gute Vögel, ruhend auf den Wassern treiben?

Sucht denn ihre Schönheit nicht bei Wind und Wolkenschweif und Welle ihresgleichen?

Und ich selber, – spüre ich denn nicht, daß sich schon lange meine eigenen, stillen Herzgedanken mit dem ozeanischen Blau beschattet haben?

Spüre ich nicht, daß auch ich vom Fittich und vom Segelschein für alle Zeiten meinen himmlisch-irdischen Anteil erlangte, – daß sich meine Seele, mit den Wassern wogend, während schön verströmt und mit den Lüften wind- und wolkenweich ins Ewige verschwärmt?

 

Ja, meines Lebens ganzer Durst, – mein Heimweh und mein Fernweh, – meine Lust und meine Einsamkeit, – sie singen, schwingen, schweigen sich hinüber in die selige Dauer aller dieser einfach sanften, einfach nah-und-fernen Wesen, – und aus all den Stunden, all den Tagen, aus den tausend-und-ein Nächten meiner schlafenden und wachen Traumgesichte wird mir meine ganze, rätselvolle Reise wie ein Tag, – wie eine einzige, wunderweite, wunderstille Nacht!

 


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