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III. Tag und Nacht

 

Meerzeit

Der Morgenruf, das Mittagslied, die Melodie des Abends und der summend leise Sang der Nacht, – sie haben alle ihre eigene Weise, die sie mir zu jeder Stunde lieb und klar und deutlich macht.

Und wie die Stunden tragen auch die Tage und die Nächte ihr besonderes Gepräge, das sie im Erscheinen und im Gehen leicht erkennbar von einander abhebt und als einzelnes Erlebnis wohl begrenzt in der Erinnerung verwahrt: –

Der Tag der fernen Regen kam, – der Fisch-, der Vogeltag, – der Tag der Segel und der schimmernden Medusen und die andern alle nacheinander, die sich mir in irgend einem köstlich neuen Meer- und Himmelswunder schenkten, samt den vielen, vielen Nächten, deren jede sich nach Wolken, Wind, – nach Mond und Sternenschimmer, – feierlich bestimmt in mir darstellte und erhielt!

Je länger aber meine Reise währt, – je häufiger sich meine Tage, meine Nächte, ähnlich leuchtend, ähnlich klingend, aneinander reihten, desto wogenweicher wandelt sich ihr Wert.

Was sich in ihnen sichtbar, greifbar offenbart, verliert an Wichtigkeit, verschleiert sich und gleicht sich aus im träumerischen Kanon der Erinnerungen.

Immer mehr scheint mir das Ferne nah, das Nahe fern und jeder Wirklichkeit entrückt, und alles Laute, Starke, Einzelne, was mich sonst aus den Tagen und den Nächten anrief, weht nun nur noch leis verschwommen und vermummt an mir vorüber: – ein gleichmütig abgeklungener, ferner Stundenschlag im Mund der ewig schwingenden, der ewig dunklen, blauen Meeresglocke!

Morgen

Meerträume

In meinen Träumen stehn die alten, längst schon tot geglaubten Bilder meiner Landerinnerungen wieder auf und mischen sich, irrlichternd, unter die Gestalten meiner kaum gewonnenen, neuen Meererkenntnisse.

Da schlummert einmal, tief in seinem Weid- und Waldgelände eingebettet, sanft der See, – doch in den Fluten flammt, verwirrend fremd und grell, das Spiegelbild der südlichen Gestirne auf.

Dann wieder ragen, hoch und blau, die heimatlichen Felsengipfel um mich her, und über ihnen schimmert, unberührt, der weiße Firn, bis plötzlich alle ihre Kraft und Herbe schmerzlich in den Wipfeldünsten eines ozeanischen Wolkenhains verdampft. – Und wieder einmal schreiten, langsam streng, atlantische Regensäulen über ein geliebtes, sonnentrautes Korngefilde, – unter ihren Schatten sprühen fliegende Fische auf, – die Aehren taumeln trunken ineinander, – werden wogenweich und schwer und trübe und zerfließen sich zuletzt in ungestaltet zähes Naß.

Ein Gärtlein liegt in guter Ruh, mit Rosenbäumchen und Buchshecken und altmodisch eng gehegten Mohnrabatten treu bestellt.

Da fährt ein großer Möwenvogel räuberisch in seine Einsamkeit und strahlt so herrisch wild und schön mit seinen Augen, seinen Schwingen, daß davor der Laubenschatten und die linde Blumenbuntheit jäh verlöscht!

So hebt im Traum die alte Heimat immer wieder müd ihr Haupt aus der Meerflut empor, schaut eine Weile staunend um und sinkt zurück, und ihre Miene wird von Nacht zu Nacht verschwommener, atlantisch ferner, fremder, bis sie ganz allmählich in dem übermächtigen Geisterglanz der neuen Seegesichte untergehen muß.

Im Schlaf

Kein Ereignis ist im Schiff, im Meer und Himmel, – nichts kommt in der ozeanischen Nacht so heimlich bei mir an und geht so leis an mir vorüber, daß ich es im Schlaf nicht spüren und erkennend unter meine neuen Seebegriffe ordnen könnte.

Selbst im tiefsten Schlummer bleibt etwas in meinem Wesen unermüdlich wach und aufmerksam, – ein sonderbar feinhöriger, übernächtig klarer Sinn!

Der achtet unablässig auf das klingende Geklirr der Instrumente und der vielen Flaschen im Arzneischrank, – auf das tiefe, dunkle Sausen der Maschine, – auf das harte Ticken, Klopfen, Hämmern des Ventils und weiß, was es bedeuten könnte, wenn dies regelmäßige Pulsen, dieser Herzschlag meines Schiffes einmal ändern oder ganz aussetzen würde!

Auf der Steuerkette Trommeln über mir an Deck hört er und fühlt sogleich an ihrem Takt das leiseste Abschwenken vom bisherigen, geraden Kurs, – vielleicht am sanfteren Braus, am breiteren Strom der Wasser und am anderen Druck und Weichen unserer eigenen, wiegenden Bewegung.

Aus dem fernen, dumpfen Tritt des Wachewechsels auf der Brücke, – aus der steten Wiederkehr der Schlackenabfuhr und den Pausen zwischen ihrem regelmäßig abgegrenzten Poltern rechnet er die Stunden nach und weiß, schlafwandlerisch genau, wann sie zur Mitternacht herniedersinken, und, wann sie sich wieder leis zum ersten Dämmerschein des Morgens heben.

Und gerade so, wie er dem nachtgeheimen Sinn des Schweigens und des Lärms im Innern meines Schiffs nachspürt, behorcht er auch das große, stille Gehn und Wehn der Wetter draußen in der Meernacht und des Seegangs Ruh und Bleiben und gelinde oder grobe Abwandlung, und merkt sich alles, hebt es auf und richtet es, – so streng und klar, daß ich mich beim Erwachen oft nicht mehr verwundere, wenn es im Morgenschein dann wirklich in den Wassern anders wankt und hallt und blaut und in den Lüften anders heiß und bunt und weit ist als bisher in all den vielen Tagen oder Nächten meiner Fahrt.

Atlantischer Weckruf

Was ists denn, das mich alle Morgen aus dem tiefen, traumverschlungenen Meeresschlummer holt?

Nicht Glockenschlag noch Amselflöten in den Gartenbüschen noch das leise Rasseln eines frühen Milchfuhrwerks wie einst zuhause!

Nein, – der grobe Tritt der Wacheleute weckt mich hier aus meinem Schlaf, – das rauschende Gelärm der ersten Deckwaschung, – der Schrei, das Flügelschnauben eines Wasservogels oder auch das Singen und das Lachen der bewegten Fluten ganz allein.

Das ist der Morgengruß der Weite, – das der ewig brausende Weckruf des Meers!

Ich kenne seine Stimme wohl und weiß, was sie mir jeden Morgen frisch verkünden will: – sie will mich grüßen von dem machtvoll Fremden, was sich über Nacht im weiten Weltall neu für mich bereitet hat, – vom schwüleren Hauch des Tropenwinds, – vom reiferen Wandel des Gewölks, – vom satteren Blau in Luft und Flut.

So bannend klingt der Gruß, so herrisch das Geheiß, daß ich kaum noch imstande bin, mir auszudenken, wie dies alles einst, vor langen, langen Zeiten, in der Morgenfrühe so ganz anders war als heut bei mir auf hoher, wilder See!

Vor Tag

Vor Tag an Deck.

Noch schläft die Welt.

Still liegt ringsum das Meer: – ein grauer, flüssiger Opal. Und über ihm ruht auch der Himmel still und blaß und leer von jeglichem Gestirn.

Nur im Südosten schimmert noch, unirdisch hell, der Morgenstern, – der heilige Morgen-Meerstern, den ich schweigend, betend grüße.

Grade unter ihm am Horizont weilt eine Bark, ernst ruhend in der Last und Fülle ihrer Segel, und seitab von ihr reckt eine Wolke ihr Gebirge riesenhaft empor und kühlt sich im gespenstigen Vorglanz des Tages ihre Felsenstirnen mählich von der langen, dumpfen Brunst der Nacht.

 

Nun rauscht es leise über mir, und eine Möwe läßt sich aus den Höhn zu uns herab, hält ein und bleibt in stillem, wunderbarem Ausgleich zwischen Wolke, Stern und Segelschatten vor der Himmelsblässe stehn.

So stellt vor Tag sich nacheinander alles ein, was stets schon war, – in jeder Nacht, in jedem Morgen unsrer Fahrt.

Stern, Segel, Vogel und Gewölk hat alles seinen alten, ewig gleichen Ort im Raum, fügt sich zusammen und erstarrt zu einem Bild voll zeitlos wilder, kühler Einfalt und Vereinsamung.

Da reißt der Vogel plötzlich seinen Schnabel klaffend auf zu einem einzigen, unvergleichlich hellen, strahlenden Geschrei: – jetzt ist die Nacht vorbei, – der Stern erlischt, – jetzt kommt der Tag, – er findet mich bereit!

Morgenlust

In jeder Morgenfrühe ist für mich der erste Schritt an Deck, – ins Obere, Offene, Unbegrenzte, – von der selben festlichen Bedeutung!

Voller Spannung, voller Ungeduld durcheile ich die langen Wandelgänge, die noch von der Nacht her schwül und dämmerig sind, und trete rasch an Vorkant, wo mich gleich der Wind mit seiner salzig feuchten Kühle überschüttet und in einem Nu die letzte, kammerdumpfe Müdigkeit von meinen Gliedern und Gedanken nimmt.

Da hebt sich frei die Brust! – Da feiern Herz und Auge unerschöpft die ganze, lichte Weite, die sich plötzlich um mich dehnt!

Denn alle Welt ist ja voll ausgelassenen, morgenjungen Scheins: – das Meer so rauschend und so blau, – der Himmel so verklärt und wolkenbunt!

 

So künden sich die Tage an, in denen alles schwingend, klingend lebt!

So setzen sie mit Trommeln und Trommeten ein!

»Blau« heißt ihr Feldgeschrei, – »Blau«, »Frisch« und »Frei«! –

Was da auf ein Mal mit dem ersten, liebevollen Blick bestaunt, umfangen und gleich unverlierbar tief ins Herz geschlossen werden will: –

Das Meer, – das Meer im Morgenglanz!

Wie mächtig strahlend und breitwellig strömt es aus Südwesten unsrer Fahrt entgegen!

Wie hell brausend wallt doch jede seiner starken, vollen Wogen mit derselben Macht heran, hebt mich zu sich empor und läßt mich hinter sich ganz sänftlich wieder in die Tiefe gleiten!

Jede ruft mich an und winkt mir zu, – jede grüßt mich jubelnd, jauchzend von den blauen Fernen, von den blauen Wundern, die noch alle sonnenheiß und -heimlich vor mir liegen.

Und zu Häupten über mir ein Bündel Möwen, – licht verzettelt, selig frei und froh!

Wie sich die Windvergnügten in der Sänfte ihres Fittichs wiegen!

Wie sie einander unaufhörlich in hell lichtem Aufschwung überfliegen!

Welchen zauberhaften Schmelz der Morgenschimmer auf die Kacheln ihrer vollgespannten Schwingen gießt! –

Glückauf zur Reise, euch und uns und auch dem stillen, fremden Segler, der dort fern am Horizonte steht!

Nur wie zur eigenen Zier scheint er mir mit den zarten Formen, mit den kecken Farben, nichtig klein und fein, der blauen Meerestafel aufgesetzt.

Doch seine Flaggen spielen um die Masten: – er auch schaut zu uns herüber, – er auch nickt uns zu und grüßt uns von den wunderwohlen, wunderreifen Dingen, die der Morgen allen seinen Seegeschöpfen beut.

Wohlan, wohlauf denn, Vogelflug und Segel!

Willkommen, Wind und Weite!

Gepriesen, brausendes Meer!

Im Vormittag

Gleich nach dem Morgenbad, dem Frühstück unternehme ich es, eine Stunde lang in rüstigem Gleichschritt über Deck zu wandern.

Das ist erquickend, stärkend für den Leib und fürs Gemüt!

Gar leicht entweichen da im froh gelaunten Schlendern die Gedanken über Bord und eilen rückwärts, heimwärts, die Erinnerung an manchen andern, frühern Morgengang erweckend.

Wie sich doch das Schiff im Wellenwiegen vor mir aus dem Meerblau löst!

Wie es sich hebt und nacheinander mit den Masten, mit dem Schlot, dem Backgeländer in den lichten Himmel eintaucht!

Unwillkürlich beugen sich im Anstieg meine Kniee, und der Körper lehnt sich wuchtig vor, als wenn es recht zu Berg, zu Gipfel ginge.

O du alt vertraute, nimmersatte Lust des Wanderns und des Steigens, – immerzu hinan, – hinauf zu weiter, freier Höh und wieder nieder in die wohl geborgene, enge Tiefe!

Jetzt, – jetzt bin ich oben angelangt und schau aufatmend einen Augenblick lang in die Runde, – und nun neigt es sich schon wieder sachte mit mir niederwärts, – nun löst sich Schritt und Tritt, – nun wandere ich talab!

Und mit mir sinkt das Deck auch wieder aus dem morgenbreiten Glanz ins dunkle Meerblau nieder, schmiegt sich darin ein, wie eine stille, helle Straße, die sich aus den Höhen mählich in die dämmerfeuchte Schattenheimlichkeit von Wald- und Felsgrund bettet.

 

Müdgewandert halt ich endlich ein: – der Decklauf ist getan, – nun bin ich frei!

Der Morgen, ja, der ganze Tag mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten dehnt sich offen vor mir aus!

Was bringt er mir, – Lust oder Leid?

Ich frage kaum danach, – ist doch zu dieser frühen Stunde alles in mir noch so jung und frisch und keck beschaffen!

Licht gewandet, licht gelaunt bleib ich an Deck, zum Schreiben, Sinnen und Gewinnen froh bereit.

Weiß wie mein leichtes Tropenkleid, – weiß wie die neuen Bogen meines Tagebuchs, das vor mir aufgeschlagen liegt, ist alles um mich her: – der Tisch, die Bank, die Wand dahinter und die Decke über mir und auch die Reling, über die der Glanz des Wassers weit und breit zu mir hereinlacht.

So ergötzlich ferienfrei, so köstlich »reisehaft« ist mir zumute, sitze ich doch wie in einer offenen Gartenlaube hier, vom heitern Licht, vom Wind allseits umspielt!

Klingt denn das Gischten nicht manchmal so frisch, als klirrte irgendwo in meiner Näh ein Rechen in gelassenem Takte über einen hellen, fein bekiesten Weg, – als rauschten heimlich irgendwo Gießkannen ihr gedeihlich kühles Naß auf durstige Blumenbeete aus?

Beinah leih ich dem lieben, jugendtrauten Klang allein mein Ohr, – beinah gelingts, daß ich darob das Meer, die ozeanische Allgegenwart vergessen kann!

 

Wie so ganz anders als an Land, – wie sonderbar unmerklich leis weht doch die Zeit auf See dahin!

Da steigt die Sonne nicht gewichtig über Berg und Wald und Bach empor, – kein Schattenwurf von tausendfältigen Dingen, – von Gestein und Scholle, Halm und Kraut und Busch, – bezeichnet mehr wie auf der heimatlichen Erde klar den Stundenlauf, – kein rascher Farbenwechsel gibt den Tageszeiten ihren alt gewohnten, festen Sinn und Abstand; sondern so ein Tropenvormittag auf See verdehnt sich zeitlos, ohne Grenze, ohne Wandel, ohne Unterschied vom ersten Frühlicht bis hinüber zu der unbestimmten, abendlichen Spanne, wo sich in den Höhn und auf der Flut das taggewaltige Blau unspürbar wieder zum Verdämmern neigt.

Auch auf dem Schiffe wirkt sich der pathetisch breite Schritt der Meerzeit nur im stillen, allgemeinen Wandel der Besonnung und Beschattung aus, die schleichend langsam im Verlauf des Vormittags von Backbord her zu Steuerbord hinüber wechseln; denn die wenigen Dinge, die bei uns vom Schiff auf in die Lüfte ragen, – der Schlot, die Masten und die Wanten, – werfen nur belanglos dünne Schatten aufs Verdeck, die viel zu schmächtig und im Seegang viel zu unstät schwankend sind, um meinem Sinn als sichere Marken, – um als Zifferblatt und Zeiger der gewaltigen Meersonnenuhr zu dienen!

 

Und doch hab ich es gelernt, auf irgend eine halbbewußte Weise, – irgendwie in heimlicher Minutenwahrung den verhüllten Gang der Zeit an andern, unscheinbaren Zeichen stetig zu verfolgen: – während ich, in Sinnen, Schreiben tief versunken, still an meinem Ruheplatz auf Deck verharre, kommt in jedem Vormittag einmal ein Steward mit dem Putzzeug in der Hand um die Kajütenecke.

Schritt um Schritt vorrückend macht er alle Messingklinken, alle Kanten an den Türen, Fenstern und Geländern blank, – ein Junge schleppt einmal mühselig einen Eimer Wasser oder Oel vorüber, – ein Matrose rutscht, weitausgespreizt am Boden hockend, über Deck dahin und bastelt an den Tauen, ölt, kalfatert oder malt das Plankenholz.

Schwerfällig schwankend, schweigend kommen alle die Gestalten nacheinander über Vorkant hoch, rücken im gemessenen Takte ihres Tuns wie Uhrgewichte an dem unsichtbaren Räderwerk des Schiffstags, langsam, langsam, neben mir vorbei und tauchen endlich wieder aus den Schattenlauben in die ferne offene Bahn des Achterdecks, wo sie, vom Sonnenglast verschwemmt, nach Backbord überwechseln und verschwinden.

Langsam weicht auch im Verlauf der Stunden unter mir der feuchte, erdig bittere Salzgeruch, der von der ersten Deckwaschung noch lang im aufgeweichten Bodenholz verharrte.

Langsam wallt das Licht, die Sonnenglut herein, und langsam mischt sich in den beizenden Geruch der wieder weiß gebleichten Planken und der vielen, teergetränkten Blachen und Bandeisen von den offenen Kombüsentüren her der Küchendunst, der immer schwüler, immer mächtiger das ganze Schiff durchdringt.

Unmerklich werden unter seinem Banne die Gedanken träger, lässiger, – verrinnen sich in lauem Nichtstun, lauer, mittäglicher Träumerei, – die Hand erlahmt, – die Feder stockt: – der Morgen ist dahin!

Meermittag

Urblau

Bis gestern wogte noch die Flut in lichten Farbenspielen um uns her, und jede Stunde bot ihr eigenes, flüchtig buntes Pfand.

Seit heute aber strahlt das Meer in einem einzigen, ungeheuren Blau, wie ich noch keines jemals sah! – In steifem Pathos tragen es die Wogen über See daher, wie wenn ihr Wallen unter seiner namenlosen, blauen Last schwerflutender und wuchtiger als sonst, – das Wasser selber sonderbar dickflüssig, feurig zäh geworden wäre!

Selbst das große Brausen ihres Schlags hat sich zum dunklen, grundgelassenen Choral vertieft, darüber die Gischtschleier nur noch leis gedämpft versprühen.

Ohne Blendung kann das Auge stundenlang im Labsal seiner träumerischen Milde weilen, denn das flammende Gestrahl ist allenthalben wie durch eine seltsam innerliche Weichheit, eine unfaßbare Ahnung von betörend süßer, veilchenfarbener Verschattung zugedeckt.

Das ist nicht mehr gemeinhin »Blau«, noch gar ein eigentliches »Violett«, wie ich es schon von Himmel- und von Erdenbuntheit weiß, – das ist ein neues, niegekanntes, urgeheimes Wunder, – ist, in einem einzigen, überwältigenden Strahl vereint, der hallend vollste Strom und Klang, – Anfang und Ende allen Weltenblaus und -violetts und -purpurs!

Fruchtlos suche ich nach seinem Namen und Begriff und heiß es schließlich doch nur »Blau«, – »Violenblau« und »Urblau«, – wohl bewußt, daß meine Sprache kaum den schwächsten Hauch von seinem eigentlichen, unnennbaren Wesen geben kann!

Denn überall, soweit das Auge reicht, – dem Lichte zu- und abgekehrt, – vor uns und hinter uns in unserer Trift, – ist es dasselbe, eine, reif vollendete Violenblau, das nirgends sich zu seiner Sättigung an fremden Gegensätzen zu erhitzen braucht: – nicht an dem lichtern Blau des Himmels, – nicht am grellen Weiß des Schaums und nicht am nahen Schwarz und Scharlachrot der Schiffswand!

Selbst in den durchsichtig dünnsten Schwaden hochgehobener Wasser ist es nicht um einen einzigen Farbtropfen anders, – dünner, – heller, als im tiefsten Grund und Ueberhang der Wellentäler.

Kein Geglitzer, kein Gespiegel, kann die allgewaltige Einheit »Blau« zerreißen, sondern wirkungslos versickert nah und fern die Strahlenkraft der Sonne, – wird verschluckt und unverweilt in seinen nimmersatten Schlund vergraben.

Ja, dort unten in den unermeßlichen, geheimen Gründen ist der eigentliche Quell von all der Brunst!

Von dort seh ich bei jedem Wogenschlag die blaue Lohe wundersam verwandelt und entfacht als neue, starke Flamme an das Tageslicht aufschwelen, – immerzu von unten her die obern Wellenlagen speisend und durch sie hindurch das Feuer unerschöpflich in den offenen Weltenraum hinaus vergeudend.

 

Urblau, – du, meiner Meerfahrt letzter, feierlichster Ueberschwang und Zauber!

Du alleinziges, – du herrlich-herrliches Violenblau!

Mein ganzes Leben sinne ich zurück, ob ich nicht doch einmal ein solches Blau schon sah.

Ich denke an die duftigsten, an die hinreißend stärksten, die es gab.

Doch nicht im Himmelsraum, nicht über den Gebirgen, Ebenen und Wassern festen Lands, – in keinem Tag, – in keiner Nacht, – war je ein Blau so träumend sanft gesättigt und so strömend klar, – so finster flammend und so lauter hell zugleich wie das Violenblau des Meers!

Nur eines wüßte ich, das ihm vielleicht noch glich: – der Glutenschauer in geheimnisvoll verschlungenen Rosetten alter Kirchenfenster, der mir schon in frühster Kindheit Traum und Andacht war!

Dort, wo das Blau und Violett beinah nicht mehr vom farbverlorenen, schwarzen Strahl zu lösen war, – dort, in den tiefsten, weihevollsten Finsternissen regte sich manchmal ein heißes, heiliges Glänzen, das mich gleich erschüttern und verklären konnte, wie das Urblau auf dem Tropenmeer.

Damals war es ein Funke nur aus winzigem Kristall, – ein scheues Leuchten nur aus köstlich enger Scherbe, aber heute liegt das blaue Wunder unermeßlich weit und groß von Horizont zu Horizont gebreitet, alle Regung, allen Schall und alles Licht der Welt in seiner unaussprechlich süßen, trunkenen Schwermut einend!

Meermittag

Wenn nah und fern die See in tief violenfarbener Bläue dünt, – wenn rings am mittäglichen Himmel die Gewölke so unsäglich weich und langsam wandeln, als ob sie sich nur leis in Schlaf und Traum zulächelten, – wenn einsam fern am Horizont ein Segel blüht, und über mir am Heck ein Möwenvogel, mit den Augen, mit den Schwingen strahlend, auf und nieder schaukelt, – kommen mir die tiefsten, ruhevollsten Stunden meines Seefahrtschlummers.

Alle Unrast schweigt und feiert dann in mir.

Vom seligen Blau, vom Rauschen eingesungen und vom Glanz und Klang der Ewigkeit gewiegt frag ich nach nichts mehr, – warte nur und staune Stund um Stunde träumend in die stille, heiße Unbeweglichkeit der Zeit.

Ich spüre in den Lüften bloß den sättigenden Schwall des Lichts und unter mir im Tiefen nur das sanfte Fluten der Gewässer, drinnen sich das immer gleiche, schrankenlose Wuchern der Geschöpfe schwül und heimlich still erfüllt.

 

Meermittag, – sanfter Herrscher, – Weltmittag!

Aus allen deinen Bildern: – aus dem Vogel, aus dem Segel und den Wolken, aus der Glut des Meeres und dem rauschenden Verschweigen seiner Wogen blüht geheimnisvoll für mich die blaue »Meerzeitlose« auf, – die Wunderblume, deren Duft sich lind betäubend auf die Seele legt und alles Lüsten, alles Sehnen heimgeleitet in die dunkle, ewige Ruhe der Vergessenheit!

Stilles Schiff

Nie ist mein Schiff mir lieber, trauter, als in den versunkenen, trunkenen Stunden über Mittag!

Leise wiegend lieg ich in der Hängematte und schau über Deck und Reling immerfort ins wellig Weiche, Weite, Selige hinüber.

Traumig träg regt sich die Flut, und jeder Braus dämpft und verdunkelt sich in ihr zum fernen, dumpfen, brummend tiefen Glockenhall.

Selbst der Wind schläft über Mittag ein!

Mit feinem Saus entsteigt dem Rauchschlot nur noch eine dünne, heiße Lohe, und die schwüle Luft wallt zittrig aus den blendend weiß gebleichten Planken um mich her bis zu den Wanten, zu den Mastenspitzen auf.

In ihrer Glut ruht alles Leben auf dem Schiff. Nichts ändert sich, – nichts regt sich mehr auf ihm!

Still liegt das Deck.

Nur einmal kommt der Kapitän heraus, macht mit dem blitzenden Gerät die Zeitbestimmung und kehrt wieder stumm ins Kartenhaus zurück.

Und ein Matrose tritt an Deck, hebt langsam seinen Arm, winkt einem Jungen und verschwindet wieder, schweigend, mit ihm in der Back.

Der schwere Türvorhang fällt schläfrig hinter ihnen nieder, und das Deck dehnt sich im Sonnenglanze wieder leer und weit wie eine Wüste aus.

Blick ins Unendliche

Ins Auge der Unendlichkeit, – ins ewige Blau zu schauen, ward mir längst schon Sättigung und Heimatruh.

Einsames Spiel des Vogels in der Luft!

Einsames Spiel der Wolken und der Wogen und der Segel!

Langsam haben alle diese Dinge ihren Sinn verloren, der sie mir sonst nah und deutlich machte, und ich fühle in der tiefsten, ozeanischen Verwunderung nur noch, daß ich nicht mehr imstande bin, ihr Wohl und Wehe klar zu unterscheiden!

Ich seh nur noch die Wogen, Wolken treiben, und ich weiß nicht, was mir ihre Mienen deuten.

Ich seh den Vogel überm Heckgeländer taumlig auf und nieder, – auf und nieder schwanken, – und ich zweifle, ob sein Auge zornig oder hilfreich strahlt, – ob seine Schreie friedlich schallen oder grausam gier und gell.

Ich seh ein Segel durch die Ferne wehen, – und ich weiß nicht mehr: – ist es ein banges, – ein beglücktes Segel?

Trägt es mir den Schimmer sanfter Wonnen über See daher oder nur die müde Fracht von Trübsal und von Einsamkeit?

Ich spüre nur noch: – »Kommendes Segel macht den Meerraum enge, – satt, – reich von Erfüllung, – gehendes Segel macht ihn still und weit, – elend verwallend im Unendlichen!«

Und wie der Vogel, – wie das Segel, – wie die Wogen und die Wolken, – treiben auch die Stunden unerklärlich gleich und weich verschwommen über mich dahin, daß ich am Ende gar nicht mehr empfinde, ob dies Alles eigentlich ein froher Tag, – ob es ein trüber, trauervoller war!

Denn beide, – Lust und Herzleid, – sind schon längst in meinem schlummernden Gemüt von gleicher, rätselhafter, tief erfüllter Ruh und Ewigkeit geworden: – der Morgen gibt, – der Abend nimmt, – und in der Unbeweglichkeit der Stunden über Mittag, – über Nacht, – wird alles wieder ausgewogen in die einige Empfindung ewigen Beharrens, ewigen Wandels, ewiger Wiederkehr.

Im Duft

Sanftes Heimweh

Manchmal, – ich weiß nicht, wie es kam, – schleicht sich durch Licht und Duft und Morgenwind auf leisen Sohlen ein ganz süßes, schwermutvolles Rühren, – eine sanfte, müde Trübsal zu mir her, – umschmeichelt mich und gibt mir keine Ruh, bis sie, fast wider meinen Willen, doch noch bei mir Einlaß findet.

Dann ists mit einem Schlag um meine ganze, morgenfrische, herbe Rüstigkeit getan: – das »blaue Heimweh« geistert über See und Himmel hin, – ist hier und dort und überall und nirgends!

Es blüht im Schimmer offener Luft und weht durchs Wolkenweite, – spielt und singt und klingt im Wogenschwall, im Fischgeflimmer und im Vogelflug, im Flaggenwimmeln bunter Segel und im flauen Rauchband fern verborgener Dampfer.

Ja, im ölig zähen Dunst, im Sausen und im Wiegen meines eigenen Schiffs, im Zittern um die Masten und im heißen Schein der Back verweilt es sich und winkt mir selbst aus den Gebärden und den Blicken all der dumpfen, stumpfen Menschen, denen ich an Bord begegnen muß, verstohlen zu!

 

Das sind die Stunden, sind die Tage, wo ich doppelt scheu den Leuten aus dem Wege gehe und mich drunten in der Kammer oder bei den Booten oben oder achtern auf dem abgelegenen, sonnenstillen Heck vor ihnen berge, denn es mag mir an atlantischen Heiterkeiten kommen, was da will: – hochherrliches Gewoge und Gerausche, heiler Wind und bunter Wolkenreigen und dazu noch all der lustige Wink von Segel und Getier, – die sanfte Schwermut meines Heimwehs wird doch nicht mehr von mir lassen, bis die nächste Nacht mir Scheu und Meiden wieder tröstlich aus den Händen nimmt!

Im Duft

Durch endlos graue, flaue Wolkenstunden treiben wir in leiser Fahrt dahin.

Das ist kein zähes Lasten und kein wuchtig gleitendes Bewegen mehr, – das ist ein luftig-duftiges Auf- und Niederschweben, – ist ein Wiegen, – ist ein Wanken, – wie in einer traumhaft weichen, leichten Sänfte!

Grad als ob die Wogen selber ihre sonstige, gelassene Wasserschwere aufgegeben hätten, lösen sie sich unter uns zu sprühend lichten, lind verschäumten Feuchtigkeiten auf.

Nur leise knisternd huschen große, schlummerige Blasen neben uns dahin, und auch der Gischt zerstiebt sich nur mit seidenfeinem Rieseln auf den Wellenkämmen und in unserer Trift.

Allmählich schwingen alle diese sanft gearteten Geräusche, – alle diese weichen, wunderwohlen Rhythmen unseres Fahrens miteinander aus in einen Duft, – in eine Stille, – die gewichtlos leicht und weit und wonnesam beschwingt den Raum erfüllen, wie wenn sich in ihnen irgend etwas ganz Geheimnisvolles, Großes vorbereiten wollte!

Und mit einem Mal geschieht es auch, daß in den Höhen unverhofft die Dünste auseinander wallen und die ganze Welt in einem einzigen, unerklärlich heitern Licht erglänzt!

Und dennoch strahlt die Sonne nur gedämpft vom Firmament.

Die letzten, weichenden Gewölke werfen keine Schatten auf die Flut, und das gewohnte, satte Blau des Tropenmittags folgt nicht nach, sondern Meer und Himmel bleiben unnatürlich lau entfärbt, – wie versponnen und zugleich verklärt von einer unfaßbar licht trüblichen Verschleierung, die nichts verhüllt und doch das Nahe und das Ferne nirgends ganz entblößt und preisgibt.

Niemals hat mein Auge etwas Sanfteres und Keuscheres berührt als dieses immerzu sich dehnende, zerfließende Gedünst, aus dessen unerschöpflichen und nie vollendeten Enträtselungen ein betörend süßes, drängendes Versprechen und Verheißen lockt!

Vergessen ist in ihm das Gestern, lind entspannt von jedem Zwang das Heute, und das traumhaft Ferne, Künftige wird zur Heimat.

Alles Diesseits dehnt sich aus in randlos schleierige Weile, und das Jenseits mündet, zärtlich rinnend, überall in die befreite Enge ein.

Weiter, immer weiter glaubt der Blick in selig offene Räume fortzuschweifen, und verspürt es kaum, daß irgend eine himmlisch heimliche Gewalt ihn immer wieder aus der Ferne heimwärts in die still beschränkte, eigene Nähe lenkt!

Denn nur auf wenige Schiffslängen rund um uns herum wird es im Meer- und Luftkreis sonderbar unsichtig.

Schon die nächsten Wellenreihen lockern sich im Duft und rühren zaghaft an das unwahrscheinlich Ferne, Weiche, wo von selber jedes Maß versagt, und Alles eine Heiterkeit, – ein Schimmer, – eine Weite wird!

 

Da ist kein Ding an Bord, was nicht mit diesem rätselhaften Schein von Blau, – mit diesem Hauch von Unwahrscheinlichkeit umwoben wäre!

Das verblaßte Gelb der Planken auf den Decks, das Weiß, – das glänzende Lackschwarz der Außenwände, – sie sind alle wie mit einem zarten, blauen Reif behaucht.

Und selbst das jähe Rot der Bodenfarbe taucht, tief unter mir, nur noch wie halb erloschen aus dem lichten Wogenschaum empor!

Die weiße Back ruht drüben schon in märchenhaft entlegener, fremder Einsamkeit, und um die Wanten, um die Mastenspitzen, die sich träumerisch in den linden Lüften wiegen, schwärmt sehnsüchtig ferne, blaue Duftigkeit.

 

Und dieses selbe schlummerig entrückte Licht umschleiert auch die wenigen Gestalten, die uns draußen in der silbergrau verhauchten Bläue noch begegnen.

Leis verstohlen sprüht einmal ein Rudel Fische aus der Flut empor, – so rieselnd fein und leicht, als ob es nur ein regenbogenbuntes Glitzern wäre!

Lichte Vögel wallen nah zu uns herein und strömen langsam wieder ab mit wogenweichem, wohlem Flügelschlag.

Wunderbar durchfeuchtet und durchblaut streifen ihre kühlen Schatten über Bord, und ihre Schreie klingen wie aus ferner Höhe, wehend leis und weit an unser Ohr.

Ein fremder Dampfer zieht vorbei, – weiß nicht, ob nah, ob fern.

Der flutend feuchte Duft dämpft seine Wirklichkeit und macht ihn fraglich, – macht ihn ohne Maß und Grenze, – bis er wieder spurlos auseinanderfließt.

Und eine Segelbark, die vorher noch nicht war, haucht plötzlich zu uns her und bleibt für eine Weile, triefend ungenau, im Blauen hängen, grad als wär sie selber nur aus Schimmer und aus Schein geschaffen!

Und so, wie sie auftaucht, – wie sie weilt und eilt, – ist das luftheimliche, unsäglich leise Rätsel vom zerrinnenden Vollenden und erfüllenden Vergehen süß und rein in ihr gelöst.

Heimliche Reise

Zu jeder Stunde strömt viel Wasser nieder!

Allenthalben blühn die Regen farbenduftig im Gewölke auf und hüllen, wandernd, bald die Nähe, bald die Ferne in geheimnisvolle Schleier ein.

Das gibt dem ganzen Meer- und Himmelsraum so etwas sonderbar Verworrenes, Unwegsames, und dabei doch geisterhaft Weitläufiges und Befreites, das mich tief beglückt und fröhlich macht!

Denn alles, was sich unten auf dem Erdenmeer begibt, reimt ja im Himmel oben auf den zarten Farbenschein der Luft und auf den sonnenreifen Gang und Ueberschwang der Wolken: – wenn sich das Gewölk tief auf den Horizont herniederläßt und über sich den freien Himmel weit enthüllt, antwortet auf sein strahlendes Geheiß im Meere unten gleich ein offenes, einfachfreudiges Blau, – doch wenn es sich von Neuem allerwärts zusammenschart und aufhebt, folgen auf die blauen Stunden andere nach, da das gesamte Meer in papageienbuntem Schimmer triftet, – still und weich entfaltet, – wie der Fittich eines traumhaft großen, tropischen Vogels!

Immer wieder ändert sich das Bild, – immer wieder öffnet sich, bald da, bald dort, der Blick auf irgend eine neue, süß und licht gefärbte Fernsee, die sich lächelnd in der Grenzenlosigkeit verspielt.

In diesen linden Licht- und Schattensprudeln führen auch die ozeanischen Wesen, – Fische, Vögel, Segel, – nur ein zartes, träumerisches Dasein.

Sie gehören eben immer zu den fremden, märchenhaft entlegenen Dingen, die für kurze Weile nur bei uns zu Gaste sind und unenträtselt wieder von uns gehen müssen!

Denn kaum sind sie einmal zögernd in den Sonnenglanz getaucht, so nimmt sie schon ein Regenstrom in seinen Schatten ein und läßt nicht eher ab, als bis sie wieder hinterm Horizont für uns entschwunden sind.

In ihrer sanften Spur geht auch mein Sinnen, meine Sehnsucht, heimlich leis auf Wanderschaft, wird mit den lieblichen Gestalten weit entrückt und bleibt doch allezeit im Fernen, Ewigen daheim.

Denn irgendwie weiß ich, daß ihr verborgenes Fahren, ihre Reise, unaufhörlich weiter hinfließt durch das All, und fühle mich auf meiner eigenen, stillen Trift mit ihrem unsichtbaren Weg und Schicksal inniglich vereint.

Meereseinfalt

Wie liebe ich die stillen, einfach hellen Tage meiner Fahrt, in denen nichts geschieht, was mich aus meinem tropisch trägen Dasein weckt!

Sie blühen auf im ersten Morgenstrahlen, mit dem ersten Windhauch, mit der ersten, blauen Woge, die mich schwellend aus der Finsternis emporhebt, gleiten lächelnd in die sonnige Heiterkeit des Mittags über und verwelken wieder sanft im traumigen Verlorensein der nächsten Nacht.

Wohl gibt es unter ihnen Tage, die sich etwas heller oder trüber aus dem Reigen ihrer Nachbarn heben, aber irgendwie sind alle doch einander gleich und rinnen mit dem selben, unspürbaren Ein- und Aushauch ihrer Stunden so gelinde ineinander über, daß ich oft nicht weiß, wie mir aus Morgen-, Mittag-, Abendschein ein neuer Tag der Seefahrt wird!

Halb wach, halb schlummernd wiege ich mich in dem Labsal ihrer grenzenlosen, lauen, blauen Weile, atme träumend den Geruch des Meers und lasse all die stillen Bilder vom Lebendigwerden und Vergehn und Wiederkommen in den Fernen ungerührt an mir vorüberziehen.

Aber wenn sich dann im Himmel und im Meer die Farben sacht zum Dunkeln neigen, – wenn die Dämmerung kommt mit ihren weichen Winden und dem leis anhebenden Geflimmer ihrer Sterne, – wenn auf einmal Nacht da ist mit feuchter, ruherfüllter Finsternis, – spür ich es erst, was heute war: – ein ozeanischer Sonnentag, – ein Feiertag der Seele, der mir mit der ganzen, heilen Einfalt seines Glanzes ungewußt ins tiefste, stillste Leben einfloß!

Frische Fahrt

Im Südostpassat

O schöne Zeit der Seefahrt, wenn am Himmel ringsum die Passatgewölke schweifen und bald nah, bald fern der lichte Regen unter ihnen niederschwebt!

Da gibt es nichts mehr, was mich ernstlich trübt und drückt, – nichts, was verletzt!

Vorbei ist alles Schmachten in den mittäglichen Hitzen und vorbei das Bangen und die dumpfe Qual der Nacht.

Denn unablässig schafft der Wind so eine seltsam wohlig freie Stimmung, so viel Wandel und frohsinnige Geräumigkeit!

Ist es denn nicht, wie wenn sich mir in diesen Tagen, diesen Nächten alles, was »Glückhafte Fahrt« besagt, zur Lust und Herzensweide hold verbunden hätte: – Wind, Wolke, Woge und ein Segler fern, die Fliegenden Fische und die Vögel, die auf schimmerndem Gefieder mit uns ziehn?

Sie alle, alle haben ja nur einen Sinn: – ihr Sinn ist Reisen, – Reisen, – und im Reisen ohne Zögern, ohne Anhalt leuchtend auf- und niedergehn!

 

Das Meer, – wie schön ist es in seiner festlichen Erregung!

Bis zum Horizont hin wird es weiß durchtränkt und überschlackt vom Gischt, und allenthalben flammen in dem heitergrünen Grunde seines Kleides lilafarbene und blaue Atlasbänder strahlend auf.

Feinbogig laufen die vom Sonnenlicht durchglühten Wellen hinter einander über See daher, und alle tragen blitzend über ihrem Haupt ein Iriskrönlein von zerstäubtem Schaume, – alle schwingen sich gleichmäßig steil hinauf, hinüber und hinab, und jeder Fall ist vor- und rückwärts urverwandt und nahegleich dem nächsten Hub und Schwung und Ueberschwung.

Sie steigen und sie schweigen – sie fallen und sie donnern und vereinen sich in ihrem mächtigen Gerausche mit den klirrend hellen Salven des zerplatzten Gischts zu einem einzigen, frohlockend wilden Rufe!

 

Mitten durch den überreich bewegten Wellengarten, – zwischen seinen Schattenbeeten, – auf den sonnenbunten Straßen wandert auch mein Schiff in frohem Drang dahin.

Tief taucht der Bug ins Wallen ein, schöpft Wasser, reckt sich hoch und wirft die Last in brüllenden Sturzbächen wieder hinter sich unwillig ab.

Dann ist das ganze Ladedeck in eine einzige, riesenhafte Wanne umgewandelt, und der Gang wird bis zu hinterst wie ein enger Felsfjord von der Meerflut überschwemmt, die ungebärdig polternd in ihm auf und nieder brodelt, bis sie sich im Rollen wieder mählich über Deck zerfließt und durch die offenen Sturzpforten in der Reling abgelaufen ist.

Doch unermüdlich drängt das Schiff, aufbäumend, durch die Wogen und wühlt seinen Bug mit immer gleichem, feierlichem Nachdruck in ihr hallendes, verstrahlendes Geschäume ein.

Gleich köstlich hebt und neigt es sich in leichter Dünung wie im plumperen, schwer stampfenden Tanzschritt der groben See.

Nichts bringt es aus dem Takt!

Nur wenn es ab und zu vor einem Wolkenbruch die erste Wucht, der erste, donnernd wilde Wasseranprall trifft, beginnt es heftiger zu schwanken, herrscht ihn zornig nieder und arbeitet, in den Fugen knirschend, bebend, seine kurze Sturmfahrt ab.

Und wenn ein anderes Mal von irgend einem fern verklungenen Gewitter späte, matt gebauschte Seen gegen uns ankommen, rollt es wohl, gelasseneren, tieferen Atems vielmals hin und her, bis es sich endlich wiederum in seinen alten, taumligen, betörend ausgeglichenen Wiegenschritt zurückgefunden hat.

 

So sind die Tage im Südostpassat!

Und welche Nächte folgen ihnen nach, – Traumnächte voller Sterngefunkel, Mondglanz, Wolkenjagen, – Zaubernächte voll von Windgebraus, von Wellenlärm und grünem Phosphorschimmer in den Fluten!

Alles, was bei Tag sich licht und spielend einfach gibt, das steigert in den Nächten sich zu jäh phantastischen Gesichten.

Wenn die Wolken unter grellem Mondlicht ihre Schatten wirr und fetzig auf die Wasser niederwerfen, sieht das sturmgesträubte Meer unheimlich aus, – getigert und gepantert wie das Fell von irgend einem wilden, abenteuerlichen Tier der Tropenfinsternis!

Wie eine Tatze, eine Faust, hebt eine Riesenwelle um die andere sich gespenstig vor der Back empor, legt sich mit donnernd schwerem Prall aufs Deck, zerfließt zu nichts und gibt der nächsten Raum, die hinter ihr, schon dräuend nah und hoch, zum Schlage ausholt.

Doch die Bilder wechseln unaufhörlich je nach Wind- und Mond- und Wolkengang.

Bald trennt das Licht sich zu zernagtem, düsterm Gluten, bald vereinigt es sich weit und breit in einem einzigen, unendlichen Gespiegel und Geflamm.

Leicht, zierlich, schwebt der Schaum aus ihm empor, wie Büschel allerfeinster, rieselnd weicher Reiherfedern, die für Augenblicke zitternd, nickend, auf den Wellenkämmen stehen bleiben, bis ein Windstoß sie mit einem Mal zu Fetzen reißt und in die Flut zurückwirft.

Zischend sausen Gischtraketen auf, zielen gegen unser Schiff, treffen scharfen Wurfs die Brücke, ja, den Mastkorb und die höchsten Toppen!

Und danach beruhigt sich die Flut ein wenig, und nur schwere Wellengarben taumeln, matt und schlummrig, durch die eben noch so wild zerworfenen Sturmgärten der Passatnacht hin.

Mit demselben, zauberischen Aufwand wie im Meer treibt auch im himmlischen Bereich der Wind sein wildes, zügelloses Spiel.

Da stürmt einmal ein Wolkenvogel jäh vom Meere auf und wächst und wächst mit seinem riesenhaften Fittich in die sternenklare Nacht empor, schwenkt sich mit wunderlich erhabener Gebärde nach dem Mond, umbuchtet ihn und reckt den Adlerkopf, den Schnabel nach ihm aus, stößt zu und frißt ihn auf! – Und in dem Augenblick, da er ihn in sich schluckt, wird es mit einem Schlage finster auf dem Meer und im Gewölknis droben.

Nur zu oberst in den höchsten, eisig abgelegenen Weltenräumen segelt, fern vom Schattenkampf der untern Sphären, ein Geschwader silbrig glänzender Schafwölkchen unbeirrbar seine eigenen Geisterpfade hin.

Der Adler weicht, und eine Wolkensichel reckt sich schwarz und starr vom Horizont empor, holt aus und mäht mit einem einzigen, abenteuerlichen Hieb die Sterne und den Mond und alle anderen Wolkenbilder von den blauen Himmelsfluren weg.

So rauscht die Nacht im Wind dahin, und was in ihr sich auf dem Meer und in der Luft begibt, ist alles feierlich und stark von Art und magisch, unzugänglich wild!

 

Der Wind! – Der Wind! – Was wäre ihm nicht untertan?

Er bläst mit seinem frohen Sang die Sinne klar, – er bläst das Herz gesund, – er bläst die alten, trüben Sorgen alle wie Gespensterpuppen um!

Wie rüstig frisch, wie jung ist alle Gegenwart im Wind!

Wie wunderreich rauscht das Zukünftige auf seinem Fittich zu mir her!

Lebhafter formen sich von Tag zu Tag die Bilder meiner fernen Küstenfahrt, – die Bilder all der heißen Länder, wo die Papageien nisten, – wo die Palmen wehn und das lebendige Feuer zornig aus den Bergen bricht.

Liebkosend gleiten meine Blicke, meine Hände über die Museumskisten, über die Jagdflinten und das viele krause Fanggerät, das meine Kammer mit verheißungsfroher, abenteuerlicher Spannung füllt.

Und trete ich an Deck, so schüttelt mich und rüttelt mich der Wind, daß ich mich an der Reling halten muß, um seinem Prall, bald tief geduckt, bald steif und aufgereckt, die Stirn zu bieten!

Alle Menschen sind von ihm erlöst, der Griesgram ihres Lebens weicht, – fast singen sie, – fast tanzen sie vor Lust, den Druck der Tropenhitze nicht mehr über sich zu spüren.

Jetzt endlich sind wir Kameraden, – sind wir Brüder!

Keine Feindschaft trennt mehr Mann von Mann.

Der Kapitän holt mich des Mittags oft zu sich in seine Kammer, kramt aus seinem Kasten Felle, Vogelbälge, sonderbare Waffen oder Schmuck der Urwaldindianer und berät mit mir vertraulich unsere späteren Streifereien durch den Wüstensand, durch schlangenreiche Ufersümpfe, Berg- und Waldeseinsamkeiten.

Und des Abends treffen wir paar Offiziere auf dem Achterdeck zusammen, um nach wohlgetaner Arbeit eine Stunde zu verplaudern.

Wie Kleinbürger in den Städten, wie die Bauern auf dem Land zur Vesperzeit vor ihren Häusern sitzen, lagern wir uns gutgelaunt auf Planken und Taurollen zu einander.

Aber keine Mauern, keine Dächer engen unsern Blick, – kein Staub liegt unter unsern Füßen, sondern alle Weite, alle Klarheit, alle Weltenbläue wallt zu uns herein!

Ein feiner Rieselregen von zerstiebtem Schaum befeuchtet allzeit unsre Stirn, – die Haare starren wagerecht vom Kopfe ab, – die Kleider flackern um den Leib, und jeder Blick, jede Gebärde, jedes Wort wird prahlend, strahlend keck und blank vom Wind, – vom Wind, der unaufhörlich übers Meer hinstreicht!

So sitzen wir beisammen, rauchen unsre Pfeifen und erzählen uns von allem dem, was grade unsern Sinn durchkreuzt: – vom Jugendland, vom fremden Meer, vom Raufen und vom Laufen durch die Welt und immer, immer wieder von der Liebe, – von der Gier!

Ja, – das ist Seefahrt, – das ist Reise!

Mein entzücktes Herz gibt freudig alles aus, was es an Sehnen, Dankbarkeit und Lust besitzt, und wendet sich am Ende jedes Tages, müd geplündert an dem Strom und Reichtum dieser unvergleichlich rauschend bunten Zeit, zum nächsten Abend und zur Nacht, als ob es nie mehr Schöneres und Stärkeres zu leben gelte!

Abend

Wolkenfeierabend

Gerade wie wenn alles, was sich über Tag im himmlischen Bereich an heißem, buntem Schein gesammelt hat, nun noch einmal, bevor die Dämmerung kommt, zu letzter Feier hold erblühen wollte, strahlt das wolkige Gepränge in den Höhen schwelgend bunt und satt durchflutet vor dem lichten Abendhimmel auf.

Ein gar gewaltiges Blasen muß in jenen fernen Wolkenräumen wehn, – ein wahrer Traum- und Zauberwind, der nur die Farben eilig wendend anrührt, doch die feuchten Dämpfe selbst unangetastet ihrer eigenen Weisung überläßt.

Denn frei von ihrem schlummrig schweren, wallenden Behagen verströmen und verspielen sich die bunten Schimmer licht und lind geläufig über das Gewölke hin.

Unaufhörlich drängt das farbige Getümmel sprudelnd aus den blauen Schattengrotten vor, – fließt, wundersam geklärt und aufgelöst, in breite Täler ab, verläuft sich und verrieselt sich und staut sich wieder in den mächtigen Wetterkesseln, – braun und blau, grün, rot und violett, zu pfauenbuntem, funkelndem Geprunk.

Doch dunkler, immer dunkler gelb und goldbraun leuchtend hebt die Dämmerung sich am Wolkenberg empor und löscht das ganze, bunt begehrliche Gehaben seiner Farbenspiele, eins ums andere, aus, bis es auf all den Kämmen und den kühn geschwungenen Jochen ringsum still und leer vom festlichen Gedräng geworden ist.

Nur noch ein letztes, hell durchklärtes Rosa hält für sich allein dort oben Hof und lagert fein am sonnigen Gipfelhang der Wolke.

Bald tritt jedoch der goldne Drang des Abends auch zu ihm hinan, hebt es empor und räumt es sänftiglich von seinem hohen Söller weg.

Und wie es so, ganz leise taumelnd, niederweht und von dem einen, lichtgeschwellten Wolkenstaffel zu dem andern immer tiefer in die braune Glut und blaue Dunkelheit eintaucht, ist es nicht anders, als wenn, welk und schlummermüd, ein Rosenblatt an einer Hecke niedersänke und im feuchten Schattengrunde ihres Laubs verlöschte!

Gute, abendliche Wolkenstunde

Blaue Stunde, – goldene Stunde, wenn die Sonne sacht zum Horizont herniedersteigt und auch bei uns an Bord die lauten Taggeschäfte, eins ums andre, sanft verebben.

Alle Welt gehört dann mir allein, – der Himmel und das Meer, das Schiff, – und nichts stört mich aus meinem traumig traulichen Alleinsein auf.

Im Wandeln lesend trag ich meine abendliche Weisheit friedvoll über Deck dahin und spüre dankbar, wie das Wellenrauschen und das Wohlgefühl des ewigen Wanks und die gelassenen Rhythmen meines Buchs mein Blut, das von der mittäglichen Hitze eben noch in wirren, ungeduldigen Wogen schlug, gemach beruhigen.

Und schau ich dann nach einer Weile wiederum zum Himmel auf, so wundere ich mich, daß das bunt gedämpfte Abendwerden in den Wolken nicht schon lange meinen Sinn gefesselt hat.

Jedoch, man achtet ihrer über Tag wohl nicht so stät, weil man, geblendet und lichtmüd vom allzu starken Strahl der Höhen, nur den Fisch-, den Vogel- und den Segelzug, das Wellenwiegen und den Gang des Blaus verfolgt.

Doch nun, da sich die Himmelsfarben mählich zum Verdämmern wenden, kehrt der Blick vom still geübten Brauch des Ueberseehinstaunens gerne in ihr luftiges Reich zurück, um sich am milden Prunk des Sonnenuntergangs zu laben.

Kein jähes Feuer brandet in den Himmeln auf, die hier, unendlich fern von jeder Festlandsküste, keine Spur von Erdenstaub mehr trübt.

Schlicht, ohne Gleißen löst die Sonne sich aus dem verschwebenden Gewölk und senkt sich nacheinander durch ein blaues, grünes, lautergelbes Himmelsband zum Meer herab, – eine kühle, blasse Scheibe, – nur von einem sachten Irisschein umschlungen und umschwärmt von einem Rudel feinster, taubenblauer Federwölkchen, die ganz läßlich mit ihr nieder steigen.

Keines hat besondere Eile, – keines drängt: – ihr Wandel von den Höhen zu den Tiefen bleibt, allüberall, saumselig leis wie fernes Dichten, fernes Singen, Sinken und Vergehn, das mit getrostem Glanz die gute, abendliche Wolkenstunde auch von meinem dämmerstillen Herzen scheiden läßt.

Abendwunder

Nach Sonnenuntergang, am Ende eines langen, heißen Tropentags, liegt plötzlich fern im Westen Land: – Brasiliens Berge!

Noch von keiner Last, von keiner Massigkeit, von keinem Schattenwurf erfüllt, ragt hier und dort ein vager Gipfelumriß aus dem Meere, – inselgleich, unendlich zart und wesenlos gefärbt, kaum unterscheidbar von dem dünnen Schein der Luft.

Und doch ist das Gebild von einem eigenen, zauberhaften Licht durchglüht, das nicht zum Himmel, nicht zum Meer gehört, – von einem Licht, so topasklar, so golden braun, so felsig erdenhaft, daß ich im ersten Augenblick schon weiß: – dies ist das Land, dies ist Amerika, – die Neue Welt!

Nichts sonst ringsum im weiten Raum, was neben meinem Schiff noch aus der Meeresebene emporsteigt, – was sich linienscharf und formgewiß im Himmlischen erhält!

Nur eine einzige, rund verballte Wolke hängt, in fremdes, tropisch schweres Rot getaucht, am höchsten Gipfelturm des brasilianischen Gebirgs: – die macht ihn erst zum »Berg«, – die macht ihn steil, – unsäglich steil, einsam, erhaben!

O holdes Abendwunder, – Weltvision!

Kein jäher Klang, kein Hasten stört das traumhaft leise, staunende Erscheinen und Vergehen.

Langsam, langsam welkt die Wolke hin, rinnt über in das kostbar klare Topasbraun der Berge, nimmt es in sich auf und überrieselt auch das satte Türkisblau der Flut mit ihrem schauerweichen, dunkeln Rot.

Zwei langbeschwingte Vögel taumeln aus der Erdenferne zu uns her und streifen über See, als ob sie schlummrig auf ihr von den müden, windbewegten Rosen nippten.

Zitternd blinkt ein Stern am Himmel auf, – das Rosalicht erlischt, – die Wolke weicht, – und mit ihr schwindet aus den still gewordenen Fernen auch der letzte Hauch, der letzte, leise Lebensschein von Land.

Kammermusik

Manchmal am Abend, wenn die Meer- und Himmelsfarben draußen müde ineinander überfließen wollen, hole ich in meiner Kammer heimlich meine Ziehharmonika aus dem Versteck hervor.

Wie lange hat es doch gedauert, bis ich endlich einmal wagte, wie in alten Zeiten laut und frei auf diesem Schiff zu musizieren!

Die Gewalt des Meers, die Nachbarschaft mit all den vielen, fremden Menschen hatten mich verschüchtert und mißtrauisch stumm gemacht.

Jetzt aber weiß ich längst, daß kaum ein Ton aus meiner Kammer in die allzeit lärmerfüllten Gänge draußen dringen kann.

Ich schließe hinter mir die Tür, und aller Argwohn weicht von mir: – ich bin daheim!

Gleich von dem ersten, rauschenden Akkord an starre ich hypnotisiert auf meine beiden Fenster hin, in deren Rahmen Meer und Himmel, leise ineinander überdämmernd, auf und nieder steigen.

Welch ein wohles Wiegen mit den Wellen, mit den Melodien meines Instruments, – wie flieht die Zeit, – wie flieht der Ort!

Schon steht die Nacht samtschwarz und ruhevoll in meinen Fenstern, aber immer neue Tanz- und Trauerweisen schwellen in mir auf.

In ihrem überströmend reichen Kanon gibt sich alles willig weichend hin, was mich bisher in diesen Tagen, diesen Nächten auf dem Schiff gepeinigt hat, und aus dem sanften Frieden meines Herzens tauchen wieder fern die Traumgestalten meines früheren Lebens auf: – der See mit seinen Bergen und der Fliederduft der alten Stadt und das verlorene Lächeln der geliebten Frauen, die ich nach dem ungewissen Willen meines Seegeschicks vielleicht niemals mehr wiedersehen soll!

Nacht

Über Nacht

Die Tage träumend und die Nächte wach und schöpferisch!

Im Tag bleibt Alles ungeformtes, wankend-schwankendes Gemisch und Ungefähr.

Die allzu helle Sonne blendet mir den Blick, – die allzu nahe Greifbarkeit der Dinge fälscht mir ihren Sinn, stumpft die Erkenntnis ab und macht mich schläfrig, trüb und träg.

Doch in der Nacht bleibt meine Seele wach!

Von keinem Licht gekränkt, von keiner Nähe überragt, von keinem Wunsch beirrt, von keinem Drang zu irgendwelcher Tat versucht, umkreist sie, grüblerisch mit allen Sinnen spürend, immerzu das große, stumme Rätsel meiner Fahrt.

Hellsichtig schaut sie in das Doppelantlitz meines alten, meines neuen Lebens, – wägt in kühler Ruhe beider Rechte zueinander ab, – weist jenes weit zurück, – ruft dies heran und macht sich zum Empfängnis seiner neuen Gnaden und Gebote still bereit.

Ueber Nacht wallt lähmend schwer und schwül die große Hitze zu mir in die Kammer, und das große, nie gesehene Blauen folgt ihm, in den Wogen heimlich reifend, nach.

Ueber Nacht stürzt sich der erste Tropenregen brausend auf mein Schiff hernieder, und der Albatros spannt seinen geisterstillen Fittich zwischen unsern Masten aus.

Ueber Nacht versinken mir die alte Lust, das alte Weh, – und neues Weh kommt meinem Leben über Nacht, – atlantisch neues Staunen, neue Lust und neue, unaussprechlich neue, fremde Pracht.

Fremde Bark in der Nacht

Vom langen Lesen müde und schon halb im Schlummer trete ich in später Nacht auf Deck hinaus, um noch einmal nach gutem, altem Schiffsbrauch meine Augen forschend über See zu schicken.

Aber nirgendwo regt sich ein Licht, ein merkenswerter Schatten, sondern die gesamte, nächtlich ungewisse Breite des Meerraums verwallt nach allen Seiten hin so stumm und gleich, daß selbst Gewöhnung und Vermuten kaum noch jenen ungefähren Ort zu finden wissen, wo sich doch bei Tage sonst der Horizont entscheidet.

Da, – gerade bei der letzten, lässigen Runde, fühlt mein Blick, wie sich doch noch im Dunkeln draußen, irgendwo, ein wahnhaft leises Hemmnis seinem Trieb entgegenstemmt!

Was mags nur sein, das sich dort in den Fernen zu so später Stunde noch erfüllt?

Sogleich versuche ich, die Stelle wieder aufzufinden, wo sich eben noch das Unsichtbare kreißend zu erregen schien, doch kaum, daß ich es recht erfasse, ist mein Blick schon wieder über seine Spur hinweg ins haltlos leere Nichts der Nacht geglitten, und ich muß mit meinem Fernglas lange Zeit vergebens hin und wieder streifen, bis, – gerade in dem unbestimmten Raum, wo sich verhüllt das Luftige und das Feuchte voneinander lösen, – die geheime Handlung wiederum in meinen Sehkreis mündet.

Und nun spüre ich, wie sich dort drüben in der wunderlich bedrängten Leere irgendwie ein halb entstandenes Wesen schwer zu schaffen macht.

Noch schwankt es, kaum erkennbar, zwischen Dunst und Feste hin und her, doch langsam löst es sich aus dem verschwommenen Bestand, – wird, ohne Umriß wachsend, langsam Form und Fülle, – ballt und türmt sich in verquollenen Haufen immer höher, immer mächtiger auf, bis es mit einem Male Schiff und Segel ist!

Ganz deutlich kann ich jetzt den hellen Rumpf und eng gereihte, schwarze Luken unterscheiden, und gewaltig drüber hin den Schwall und Prall der windgebauschten Tücher, und erkenne endlich an der dumpf bezähmten Wiederkehr und Regel ihrer Schatten, staunend, eine große, schwere Bark!

Die liegt berückend still und fremd im nächtigen Raum und rührt sich nicht.

Nur hin und wieder schaukelt sie, untraulich träg, im Schoß des schwülen Phosphorscheins, der ihren Leib geheimnisvoll umschauert und umglüht.

So hängt die Bark im weichen, weiten Grund der Meernacht, – mitten zwischen Luft und Flut, – zu keiner recht gehörig und von keiner angerührt, – ein Schiff, – ein Menschenschiff wie wir, – und doch nur eine bange, dunstige Vision!

Denn keine Lampen brennen an den Seiten, und kein Toplicht leuchtet ihrer Fahrt voraus.

Was mag ihr nächtlich dunkler Anlaß sein, daß sie uns ihre Art verhüllt und uns nicht grüßt, die wir mit offenem, ruhigem Lichterglanz an ihr vorüberziehn?

Ist sie Gefährte? – Ist sie Feind?

Jetzt haben sie wohl unsere Wachen auf der Brücke ebenfalls gesichtet, denn hoch über mir im Stillen höre ich, wie sie sich leise flüsternd drob beraten.

Und auf einmal lassen sie das Nebelhorn, unmutig kurz und wild, erdröhnen, um Bescheid und Antwort von der spukhaft fremden Bark zu heischen.

Doch umsonst!

Kein Zeichen regt sich auf ihr und kein Ton.

Nur kurze Weile bleibt sie noch in unserm Spürkreis hängen, dann begibt sie sich, stumm, wie sie herkam, wieder in das Einerlei des Weltendunsts zurück, aus dem sie selber sich zuvor gebar, – zerrinnt in ihm und ist hinweg!

Ich aber fühle doch, wie irgendwo um mich herum ihr blasses Mal verstohlen durch das Jenseits unerratener Nähe oder Ferne weiterschleicht, und kann mich auch in spätem Schlaf und Traum nicht mehr vom Albdruck dieser unwillkommenen Begleitschaft ganz erlösen.

Der Gekrönte

In windverwehter Nacht, wenn wirres Sterngeflacker, Mond- und Wolkenfahrt mein Herz bedrängt, ist mir der Vogel einziger Trost und Halt, der Vogel, der auf weit gespannten Schwingen zwischen unsern Masten schwebt und Stund um Stunde schirmend unser Schiff begleitet.

Vor den lichten Wolken steht sein Schattenriß genau und tief gesättigt, aber wenn er in den offenen Himmel taucht, umhüllt ihn allsogleich der luftige Hauch und söge ihn wohl ganz in den gestaltenlosen Abgrund ein, wenn seine eigene, blaue Fülle nicht vom Mondstrahl rings umronnen würde.

Der aber sondert ihn mit einem Lichtrand von kristallener Schärfe aus der Grenzenlosigkeit der Nacht und krönt ihm Stirne, Aug und Schnabel noch mit einer ganz besonderen, geheimnisvollen, goldenen Lohe.

Da ist nichts Unbestimmtes, Schwaches an ihm zu verspüren!

Nicht weich gewölbt und sanften Bogens entströmen seiner Brust die Schwingen, sondern sichelschmal und scharf gewinkelt zweigen sie vom Körper ab ins Leere.

Und dazu trägt er die blanke Schale seines Schnabels immerdar so kühn erhoben vor sich her, wie wenn er mit der stillen, kühlen Leuchte all dem weich Verschwommenen der Luft- und Wogenmacht sein sicheres Maß entgegenhalten wollte!

Dem vereinten Drang der Wasser und der Lüfte preisgegeben hafte ich wehrlos an meinem Schiff.

Er aber schwebt und waltet frei im Raum, und zwischen all den nächtlich weichen und maßlos geschaffenen Dingen des Chaos hängt seine einzige Gestalt so unbewegt, so klar erstarrt als wie ein wundersames Hieroglyph des Fliegens!

In fremder Nacht

In fremder Nacht steh ich an Deck und lausche auf die neue Kunde, die der Wandel meiner Fahrt mir leise träumend zuträgt.

Fremd ist Alles um mich her geworden!

Selbst der Himmel hat sein Antlitz fremd verändert.

Eine um die andere von den großen, alten Leuchten wich aus den vertrauten Höhn und senkte sich allmählich müd, und trüb geworden, immer tiefer in die nördlich fernen Niederungen wie in eine hoffnungslose Götterdämmerung hinein.

Zwar spendet Sirius noch sein Herrscherlicht in ungebrochener Kraft, doch schon ist der Polarstern in ein finsteres Jenseits abgeschieden, und der Große Wagen folgt ihm langsam nach, erschreckend umgestürzt, die Räder obenaus gekehrt, die Deichsel tief ins Meer vergraben!

Dafür sind neue Sterne da, gewaltige Nachtsonnen: – des Kentauren heftig blitzendes, gedoppeltes Gestirn und Fomalhaut, Antares, Canopus und Acharnar und dazu, noch wunderbarer meine Blicke bannend, die zwei großen, sanft verschwommenen Nebelflecke der Kapwolken, die vom unvergänglichen Glückstraum des Eldorado schwermutvoll verklärt sind.

Soll doch einer alten Indianersage nach ihr Licht nichts anderes sein als nur der schwache, himmlisch ferne Widerschein von Inselbergen, welche, ganz aus Silber und aus blankem Gold geschaffen, irgendwo in einem zauberhaften, nie entdeckten Urwaldsee Venezuelas liegen!

Aber neben ihnen und den wenigen, übermächtig grellen Riesenfackeln sucht der Blick vergebens, in den übrigen Gestirnen Sinn und Ordnung zu entdecken und sie zu so festen, einfach klaren Bildern zu vereinen, wie sie ihm am heimischen Nachthimmel Ruh und Frieden gaben.

Wild und ungeordnet scheinen hier die unerschöpflich sprühenden Millionen der Sternhaufen übers Firmament verschüttet, – Funke an Funke, – Nebel an Nebel, – Schein an Schein!

Alles Fragen, alles Deuten hört von selber auf, und das Herz erschauert nur noch still vor der heimatlosen Fremde dieses Himmels, – vor der Fülle, – vor dem Wirrsal seiner ewig unenträtselten Gesichte.

 

Eines nur strahlt aus dem Lichterchaos majestätisch groß und klar hervor: – Das Kreuz des Südens!

Weit im Halbkreis schlingt sich um sein Bild ein Kranz besonders hell gereihter Sterne, rückt es von dem Uebermaß der andern ab und weist ihm seinen Platz an einen eigenen, lichtarmen, stillen Ort, wie es im himmlischen Irrgarten keinen zweiten gibt.

Vier Sterne sind es bloß, die es mit schlichter Einfalt in die Leere zeichnen.

Nichts sonst deutet die Gestalt des Kreuzes an. Es ist, wie wenn dieselbe in dem unerhellten Blau der Nacht, das zwischen ihnen ruht, gleich wie in einem See von Duft und Schweigen und unendlich tiefer Einsamkeit ertrunken wäre!

Doch das wunderbare Gleichmaß ihres Abstands zwingt das Auge immer wieder, unwillkürlich die vier großen Sterne miteinander zu verbinden und die Leere zwischen ihnen mit dem Kreuzeszeichen auszufüllen, das den Menschen allen, welche jemals über See hin nach den fernen, heißen Ländern fuhren, zum gepriesenen Symbol des Südens wurde.

 

Der Mond, – auch er ist längst ein anderer geworden!

Steil über meinem Haupt, beinahe im Zenith, fährt er dahin, in schauerlicher, sinnentrückter Höhe, die zum Erdenmeere keinen freundlichen Bezug mehr hat.

Ein Kreis von toter Finsternis ist rings um ihn gebreitet, – geschaffen durch sein eigenes, blendend grelles Licht, das alle Sterne, die in seine Nähe kommen, tilgt, sodaß er, ganz allein von Dunkelheit umgeben, einsam und verloren, durch den überreich besäten Sternengarten wandeln muß.

Nichts anderes trifft er an auf seinem Weg, – kein himmlisches Gebild, woran sich seine Kraft erweisen könnte: – unfruchtbar bleibt all sein Strahlen in der grenzenlosen Himmelsöde!

 

Und dennoch müssen Wolken, weiche, unsichtbare Dünste in den Höhen schweifen, denn bald hier, bald dort, verschwinden nacheinander die Gestirne, und an ihrer Stelle breitet sich geheimnisvolles, blaues Schweigen aus.

Aber nirgends kann ich etwas Wallend-Wolkenhaftes finden, – keinen mondbeschienenen Rand und keine Fülle, – keinen fahl verwehenden Widerschein auf fernen, zarten Himmelssegeln.

Nur dies dunkle, wesenlose Kommen, Gehen, – dies Verlöschen und Entzünden der Gestirne kündet mir ihr Dasein.

 

Still, ruhevoll verschwommen ist der Meerraum unten in der Tiefe.

Nur der Widerschein des Monds legt in den dämmerig verlöschten Kreis sein sicheres, bleiches Maß.

Vom Schiffe weg verschäumt, verrieselt sich das hitzige Geloder in die offene Wellenflur hinaus und findet sich erst ferne draußen wieder zur geschlossenen, silbrig abgedämpften Trift, die die Gedanken lind mit sich hinübernimmt ins unbekannte, nieberührte Reich des Horizonts.

Beidseits von diesem märchenhaften Pfad des Lichts verglänzt sich und verdunkelt sich jedoch die ganze Meeresbreite rings zu stummer, träumend nebliger Bedeutung, und nur sanfte Wunder dunsten noch aus ihrem schlummermüden Blau empor.

 

Doch plötzlich ist der Zauber des Meerleuchtens da!

Ein schwüles Qualmen spannt sich über Wasser aus, bebt leise und verhaucht gleich wieder spurlos in den Finsternissen, – kehrt zurück, – zuckt, – funkt unheimlich wie ein unterseeisches Gewitter, – einigt sich, – wird still und klar und strahlt mit einem Mal in ungezählten, winzigen Brillanten auf: – ein Spiegelbild des Firmaments – ein zweiter, geisterhafter Sternenhimmel in der Tiefe!

Weithin durchs Dunkel folgt uns das Kielwasser wie ein grün verglimmender Kometenschweif, und selbst der Schaum, der längsseits dünt, ist durch und durch von einem fahlen, körperlosen Schein erhellt.

Irrlichter flackern in ihm auf, Gischtblitze fahren lautlos durch die Flut, und große, glühende Quallen streifen torklig weich dem Schiff entlang.

Und plötzlich, wie es kam, verhuscht es wieder überall.

Nur ferne draußen, wo die großen Wogen langsam durch das nachtgeheime Dunkel laufen, schlagen die Gischtkrausen manchmal noch mit ihren Silberwimpern träge über den verlöschten Grund.

 

So still, so dunkel und so kühl ist es im Winde!

Eine Ruhe hat sich in die Welt gebreitet, – eine Ruhe, die das All mit grenzenlos verwogender Genesung füllt.

Süß und traurig rinnt aus ihr die Melodie der Tropenmeernacht durch mein Herz.

Nur das einlullend müde Summen der Maschine und das abgedämpfte Wogenrauschen und den labend leisen Zug der Lüfte spür ich um mich kreisen.

Wunschlos träumend und vertrauend lausche ich in sie hinüber, und in ihrem Zauber fühl ich kaum noch unter mir den tief gelassenen, feierlichen Puls der Meerflut.

 

Wie die Wogen lind und machtvoll aus dem Urgrund quellen!

Wie sie mich einwiegen und einschläfern wie das Kind im weichen, starken Arm der Mutter!

Zögernd denk ich heim, – an die Meinen und an Haus und Garten, – an den See und an die alten, treuen Sterne, die nun über seinen Bergen stehn.

Wie ferne, ferne ist dies Alles heut!

Nur noch ein müdes, sehnendes Erinnern mahnt mich an das Glück und Leiden jener Zeit, und näher fast, – gewisser scheint mir schon, was vor mir liegt: – die Tage und die Nächte an den fremden, unbekannten Küsten.

 

Du fernes, duftendes Geheimnis Fremdlands!

Ist denn über all dem toten Salzgeruch der Oede der Windesfittich nicht schon längst mit deiner leisen, leisen Spur befrachtet, – mit dem unfaßbaren Hauch von Erdensüßigkeit, von heißem Sand und Lavafels, von Waldlagunen, Tierdunst und verzehrend fremdem, dunkelhäutigem Menschenleib?

Nein, – dieser Wind, der linde kühlend mich umstreicht, riecht ob der Riesenweite, die mich noch von allen Festlandsküsten trennt, nach nichts als nach der einen, immer gleichen, salzig feuchten Bitternis!

So riechen Tag und Nacht seit Wochen alle Dinge auf dem Schiff, – jedes Gerät, – die Kleider und die eigene Haut, – so riecht das Meer, – die Luft, – die Weite, – ja, die grenzenlose Fremde selbst!

 

Fremde! – Heimat Fremde! – Wie so tief bin ich doch in dein dunkelblaues Schweigen eingetaucht!

Ist es denn Wahrheit, – ist es Traum? – Bin ich es wirklich selber noch, der hier in fremder Nacht, auf fremdem Meere fährt?

Maßlos erstaunt und doch beinah betröstet schau ich an mir nieder, sehe meine Hände, von den Salzkristallen feucht und silberweiß bestäubt, in fremder Ruhe vor mir auf der Reling liegen, und mir ist, als ob nun Alles an mir, – auch die Züge des Gesichts, – im überwältigenden Mondstrahl fremd und neu ausschauen müßten, – so ganz anders, als es einst, vor unausdenkbar langer Zeit, im Leben auf der europäischen Erde war!

 

Doch horch! – Was kommt wie Schlachtlärm plötzlich über See daher?

Ein Wolkenbruch!

In einem einzigen Prall kracht er auf Tuch und Planken nieder und hüllt stracks das ganze Schiff in sein chaotisch tobendes Gerausche ein.

Nichts mehr ringsum als schwarze Finsternis!

Nur abseits von den beiden Positionslaternen sehe ich das Wasser wie lebendiges Feuer niederstürzen, – backbords in tief purpurroter Glut und steuerbords in magisch kühlem, grünem Schein.

Doch lange dauerts nicht: – ein Brausen, Brüllen, – und schon ists vorbei!

Die letzten Tropfen pochen auf die Reling und aufs Deck und schallen aus mit einem seltsam offenen, musikalisch hellen Abklang, – grad, wie wenn der Regen im Enteilen fragen wollte: –

»Horcht! – Habt ihr mich erkannt?

Horcht! – Das war ich! – Der Regen in der Nacht, der unerschöpflich reiche Regen, der die Tropenmeere speist, die Ströme und die Sümpfe und die Wälder in den fernen, heißen Ländern am Aequator!«

Fragt und schweigt und ist geheimnisvoll hinweg ins unbekannte, weite Blau der Nacht!

 

Der Mond steht wieder frei am Himmel, und sein Licht scheint hell auf Schiff und See und auf die letzten, abgerissenen Federwölkchen, die wie weiße Geistervögel hastend dem entflohenen Regen folgen.

Wie sie endlich ganz von uns gezogen sind, und wieder klare Stille um uns weilt, wallt noch einmal, verspätet, eine Wetterwoge an der Bordwand auf, – kommt über und vergießt sich schäumend übers ganze Vordeck hin.

Mit ihrem Strudel schnellt ein großer Fliegender Fisch zu uns herein.

Vom Spiegellicht getäuscht klatscht er hart auf die nassen Planken auf und plätschert glitzernd, funkelnd durch die seichten Regenlachen, um sich zwischen Mast und Wintschen und Taurollen durch den Rückweg in die heimatliche Flut zu suchen.

Staunend hält er eine Weile still, da rauscht es über ihm im Blau, – ein Vogel stößt herab, – raubt ihn mit einem einzigen, raschen Griff, – schaut schweigend um und fliegt mit ihm davon!

 

Und wieder sinkt das Schweigen über uns herab.

Kein Menschenlaut, – kein Regen, – kein Fisch, kein Vogel mehr!

Nur einmal höre ich noch aus dem Dunkel eine Vogelstimme gurgelnd rufen.

Das klang so schaurig fremd, so einsam aus der Wasserwüste zu mir her!

Vielleicht wars nur im Traum, daß er uns leis an sich vorüberrollen spürte und aufschrie, – vielleicht ist er auch übernächtig wach und fischt auf dunkler Wasserweide irgendwie nach einem ahnungslosen, schlummernden Getier.

Vielleicht lauscht er auch bloß ins Stille, hält gespenstige Zwiesprache mit sich selbst und mit dem grünen Quallenschein, der seine Brust umspült, und ruft in dumpfem Drang den Mond an und den grenzenlosen Abgrund dieser Nacht, – und schweigt dann wieder, – sitzt allein in blauer Oede, – schaukelt Stund um Stunde mit den Wogen auf und nieder, bis die Morgendämmerung emporkommt und ihn wieder, schwingenbreitend, aus der Meerflut in die Lüfte hebt.

 

Sinnend schreite ich durch die verlassenen Wandelgänge des Verdecks.

Wie in den Schattenlauben eines nachtgeheimen, sommerschweren Gartens lagert nun in ihnen tiefes Dunkel, tiefe Ruh.

Kein Strahl des Monds, kein lautes Wogenrauschen dringt herein.

Schwül stockt die Luft, – die Welt liegt fern.

Nur aus den offenen Kajütentüren wallt beständig der erregend leise, halb vermummte Hauch von Schlaf und Menschennähe zu mir her.

 

Doch draußen liegt das Achterdeck in unbegrenztem Licht, in Wind und Wogenbraus!

Unwirtlich fremd und weit dehnt es sich vor mir aus, denn jedes Ding, das sich beim Tagesschein sonst mit den Nachbarn traulich aneinanderreiht und eint, bleibt nun in dem elektrisch scharfen, grünen Strahl des Monds von allen andern Dingen abgesondert, bloß und geisterhaft geklärt und ganz allein in seine eigene, harte Einsamkeit versetzt.

Nur ungern tret ich aus dem Schatten auf die offene Deckbahn hinaus und lenke jedesmal auf halbem Wege nach dem Heck fast unwillkürlich meine Schritte zur Schaluppe hin, um mich rasch wieder unter ihrem festen, breiten Bau vor Licht und Leere zu verbergen.

Stumm, geheimnisvoll geschlossen, liegt sie unter ihrem groben Segeltuchbezug.

Sie schläft und harrt geduldig auf den Tag, an dem wir sie einmal aus ihren schweren Lagern heben werden, um mit wehenden Flaggen an den Strand, an Fremdlands abenteuerlichen Strand zu fahren! – Ganz leise fragend, lauschend, poche ich an ihre schimmernd weiße Wand, – doch nur das hastige Rascheln einer Ratte gibt mir aus dem Innern, nächtlich scheu, Bescheid und Gruß zurück.

 

Nur wenige Schritte hinter der Schaluppe liegt mittschiffs auf Achterdeck der Rinderstall.

Dort sind im engen, niedrigen Verschlag drei spanische Kühe eingestellt, die wir seit Cadix mit uns führen, um sie zu gelegener Zeit auf hoher See zu schlachten.

Nie kann ich es lassen, wenn ich so im Hin- und Wiederschreiten nah an ihrem Stall vorüberkomme, und ihr warmer Dunst mich unversehens überwallt, auf einen Augenblick einmal zu ihnen hinzutreten, um sie an der Stirn und Wamme sanft zu krauen.

Ganz anders sehn sie aus als unser Alpenvieh, – viel schmächtiger und kleiner!

Dunkel fuchsrot ist ihr Fell, sehr dünn und spitzig ihr Gehörn, und ihr Geruch besonders ist mit einer ungewohnten, beizend fremden Schärfe untermischt.

Doch wenn sie mich aus ihren großen, braunen Augen ruhevoll anschauen und, behaglich schnaufend, mit der Zunge über meine Hände streifen, wird mir leicht ein wenig weich und schwach ums Herz, daß ich mich eiligst wieder fortbegeben muß, eh mich das Heimweh in der Tropenmeernacht überfällt, – das fast vergessene Heimweh nach der starken, rauhen Einfalt unsres Alpenlebens, – nach den Felsenblumen und dem Weid- und Schneegeruch und nach dem dunklen, fern verschollenen Herdenglockenklang!

 

An keiner Stelle fühle ich mich nachts verlassener und verlorener als zuhinterst auf dem Heck, – dort, wo der Flaggmast surrend in den schweren Eisenringen bebt, und unter ihm die Bordwand jäh in grauenvolle, schwarze Finsternis abstürzt!

Ich lehne über Reling und schau rückwärts in den Abgrund, bis das Schiff einmal im Niederschwung so tief ins Wasser eintaucht, daß die Flut erschreckend hoch und nahe neben mich empor gezwungen wird.

Dann sehe ich im matten Schein der Achterlampe, wie die glasig lautern Strudel und das ganze milchige Geschäum in toller Eile hinter mir entweichen, – fort und unaufhörlich fort ins dunkle, nie mehr wiederkehrende Vergangensein!

Bestürzt schau ich rasch wieder von dem bösen Ort hinweg und suche ringsum auf dem Schiff nach einem Zeichen menschlicher Genossenschaft, das mich vom schwindelnden Gefühl der Ohnmacht und des gänzlichen Verlassenseins im Ozean erretten möchte.

 

Aber nur das Fenster in der Kapitänskajüte droben ist noch freundlich hell erleuchtet.

Dort sitzt wohl der Alte einsam über seinen Büchern und den Bildern, die ihn an die vielen, bunten Reisen und an manche frohe Jagd erinnern, an so manche traute Stunde mit geliebten Menschen und auch an die ganze, heimatlose Unrast seines Lebens, das allmählich nun dem End entgegengeht.

 

Jetzt ist das Licht erloschen, – alles schläft.

Nur noch das monotone Schreiten des Wachoffiziers hallt unablässig durch die Nacht zu mir herab.

Vom grellen Mondlicht wie verstellt und unwahrscheinlich fern gerückt seh ich die hell gekleidete Gestalt von der Kommandobrücke hoch ins Himmelsleere ragen.

Seltsam watend, torkelnd ist sein Gang, als ob auch ihn die uferlose Stille dieser Nacht betäubend niederdrücke.

Immerzu kreuzt er auf seiner ruhelosen Wanderung den Schatten des Matrosen, der sich breit und lastend übers Steuer beugt, – und spricht kein Wort zu ihm!

Denkt er wohl heimwärts, – an sein Weib und Kind und an sein kleines Haus im windverwehten Dünengrase?

Oder sinnt er im verwünschten Zwang der Wachestunden nur an neidische und kümmerliche Dinge, wie sie jeder Arbeitstag ihm immer wieder vor die Füße wirft?

Vielleicht weiß er es selber nicht und schläft im Wachsein und im Gehn allein den traumlos tiefen, zähen Schlaf des Seemannslebens, der den Körper und die Seele fühllos macht und trunken taumlig von dem immer gleich gespannten Pendelschlag der Wellen und der Tage und der Nächte und der vielen, vielen, endlos langen Jahre!

 

Da glast es plötzlich achtmal hell auf Vorschiff, und ganz langsam, zaudernd folgt dem mitternächtigen Stundenschlag der Ruf der abgelösten Wache: –

»Auf der Back alles wohl! – Lampen brennen!«

Der Wind fängt sich den rauhen Abgesang und trägt ihn wie von einer fernen, unsichtbaren Inselklippe sonderbar verschwemmt und heulend weich zu mir herüber.

Nur ein kurzer Zuspruch von der Brücke gibt ihm knurrenden Bescheid, dann steigt der Menschenschatten drüben eilig von der Back zum Mannschaftsraum hinab, – ein andrer huscht an ihm vorbei, taucht über Reling auf und übernimmt sogleich den alten, kaum gestörten Kanon seines Schritts.

So wird es noch ein Jahr lang gehen, – Nacht für Nacht, – immerzu auf diesem großen, fremden Schiffe, – mit den fremden, stummen Menschen, – immer so wie heut und gestern und wie ehegestern: – über Tag ein heftiges Erraffen und Erleben und zur Nacht ein sehnendes Erinnern und Ausschauen und ein tiefes, träumend stilles Sichgedulden!

 

Ein Sternlein weicht am Himmel droben, – gleitet jäh zu uns herab, – ein gleißender Tropfen fiel ins Meer und löschte aus, – verzuckt, verschluckt von Nacht und ewigem Weltendunkel.

Auch der Mond ist längst schon still aus seinen Höhn herabgestiegen.

Tiefer, immer tiefer sinkt er in die schleierige Dämmerung ein, die mit dem Staub und mit den feuchten Dünsten Tag und Nacht dem fernen Küstenland entquillt.

Sie nimmt ihm ganz allmählich seine fremde, glasig starre Kühle weg und macht ihn wieder rund und völlig: – erdenschön getrübt!

 

Staub! – Trübnis!

Du inbrünstiges Geheimnis festen Landes! – Du nie ausgeträumter Traum von allem Glück und aller Pein der Erde!

Zu derselben Stunde, da der Mond für uns schon goldig braun und schwer im Meer versinkt, schaut er dort ferne drüben noch aus schwindlig freier Höhe auf das nächtliche Brasilien nieder, – auf die Palmenufer und die stillen Ströme und die schweren, grenzenlosen Wälder, drin die Tiere schrein!

 

Nun ist er fort!

Ein müdes, braunes Schwelen folgt ihm nach, – dann breitet Finsternis den weichen Fittich über uns.

Nur die Sterne glitzern noch am Himmel und der Meerschein dunstet sanft empor, und der Wind rinnt träumerisch aus den geheimen, blauen Fernen über unser Schiff dahin.

Fremde Nacht!

Fremde Nacht im Tropenmeer!

Wie greift dein Zauber an mein wunderbanges Herz!


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