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IV. Leiden

 

Nachtwache

Spät sitze ich noch im Kajütenraum und halte mit dem Steuermann, der auf der Brücke steht, allein die stille, mitternächtige Wache über unser Schiff.

Der helle Schein des Monds und Wind und Wasserrauschen wallen mit dem Seegang wechselweis von Steuer- und von Backbord durch die offenen Türen bis zu meinem Platz herüber.

Wenn der Lufthauch bald den einen, bald den andern Vorhang an den Fenstern bauscht, erklirren sachte an der Wand die vielen, blanken Messingringe, – wie voll innerer Erregung bebt und surrt dazu der Schreibtisch im Maschinentrieb, und aus der Pantry unter mir klingt es von all den hin- und wiederschwankenden Geschirren wie ein geisterhaft entferntes, zögerndes Geläut.

So wache ich hier manche Nacht und schreibe einsam und in tiefer, guter Ruh die wunderlich verschlungene Schöpfungsgeschichte meiner Seefahrt auf.

Ich schreibe von dem bunten, fernen Glück der Tiere und der Segel und der Mühsal meiner eigenen Fahrtgenossen auf dem Schiff, – ich schreibe vom Gewölk, vom offenen Himmelreich, vom Sang und Gang und von der ewigen Ungestalt der Wasser und von jenem Einen, Großen, wesenlos Verborgenen, das sie alle miteinander lenkt und treibt und trägt.

Und aus den immer gleichen Bildern, aus der mannigfachen Wiederkehr derselben träumerischen Gleichnisse vom Sein und Schein der ozeanischen Dinge wächst mir in den nächtlich reifen Gründen meiner Seele tief geheimnisvoll ein Baum empor: – der schwermutvolle, frucht- und schattendunkle Baum der Meererkenntnis!

Bange Stunde

Bild der Heimkehr

Nun sind die Tage, wo die Heimat in berückend raschem Wandel blüht, – nun stürmt der Lenz durchs Land, und jeder Morgen, jeder Abend trägt mit Sang und Klang ein neues, wunderbuntes Kleid!

Doch hier auf See, – war es bei uns denn Frühling? – War es jemals Mai?

Kein Blütenduft, kein Mückensummen und kein Liebeslied aus Vogelkehle hat es mir bezeugt.

Ach, auf dem Tropenmeere ist tagein, tagaus allreifer, schwerer, jahreszeitenloser Sommer!

Der schwingt und kreist und ruht im Banne seiner eigenen Allgegenwart, woraus kein Künftiges, und kein Vergangenes, kein Frühlingsweh und keine herbstlich sanfte Wende je entstehen können.

Aber unberührt vom Stocken dieses Sommers, – unversengt von der verzehrend bangen Glut des ewigen Meermittags fühl ich den Glauben an die Heimkehr, einer schlummrig kühlen, weißen Rose gleich, in meinem Herzen weiterblühen, und die Zweige meiner Hoffnung dehnen sich weit über diese dumpfe Tropenzeit hinüber in die unbekannte, ferne Mittags- oder Abendstunde, die mich einst am frischen Quell der Heimat neu genesen lassen wird.

Flamme Blau

Wenn mitten in die Anmut des gemäßigt bunten Tropentages unerwartet eine zähe Brise fährt, und mit ihr aus dem Meerabgrund die peinigende »Flamme Blau« aufglüht, kommt etwas angstvoll Hastiges, Verstörtes in den leer getosten und doch plötzlich wie zu eng gewordenen Meer- und Himmelsraum.

Mit einem Male sind die Wolkenbilder alle weggezehrt von einem dünnen, stechend grauen Glasten, unter dem das Meerblau jäher brennt als jemals unter freiem Himmel und im vollen Sonnenschein.

Verhetzt, verwühlt von heftigen Böen jagt die Flut dahin.

Bis an den Horizont ist sie besät vom blendend weißen Schaum der Brander, die wie Riesenfackeln allenthalben aus dem blauen Wellenkrater brechen, um nach wenigen Atemzügen wieder an der grellen, zornigen Brunst der eigenen Flamme zu verbrennen.

Da ist nichts mehr von der linden Bläue schleieriger Weiten, – nichts mehr von der dunklen, feierlichen Sanftmut des Violenblau zu spüren, sondern dieses nutzlos scharfe Blau ist wie vergiftet vom Geschiller irgend eines siechen, bitterlichen Grüns! – Kein Duft, kein mildes Dehnen ist mehr zwischen Meer und Himmel, – nichts, was zart verhüllt, – nichts, was die nagend klare Nähe sanft versöhnlich in die Ferne überlenkt!

Im Gegenteil, es ist, wie wenn sich vor der schonungslos entblößten, leidigen Leere, vor dem krampfhaft übertriebenen Strahl des Blaus das ganze Weltall in sich selbst verkrochen hätte und mir nirgends einen Raum für Spiel, für träumerisches Schweifen und Behagen übrig ließe!

Schutzlos fühl ich mich dem tausendfältigen Pfeilschuss dieser unerträglich starren, blauen Nähe preisgegeben, und ich möchte mir die Brust, das Herz aufreißen, – möchte einen einzigen, tiefen Atemzug von friedlich buntem Schein, von Duft und labend weicher Weite in mich schöpfen, um damit das giere Gift, – den Schrei, – die Flamme Blau zu löschen!

Wie ein Notruf gellt es immerzu aus meinem bangen Inneren: – »Herz über Bord! – Herz über Bord!« – doch keine Hilfe kommt vom Himmel und vom Meer, um aus dem Höllenrachen der verruchten Bläue mir zu retten, was an Sinnenglück und Frieden in ihr untergehen will!

Nutzlose Nähe

Ein Wolkenbruch fährt plötzlich, schräg vor uns im Wind, aufs Meer herab und hastet so bedrohlich nah an uns vorbei, daß ich sein mächtiges Tosen deutlich höre und, kaum anderthalb Schiffsbreiten von mir weg, die aufgeregten Spuren seines Tropfenfalls im Wasser unterscheide.

Doch vergebens streck ich meine Hände dürstend über Reling nach ihm aus, um wenigstens ein letztes, abgesprengtes Sprühen von ihm aufzufangen.

Nichts vergönnt er mir von seiner Kühle, seiner Nässe!

Starr geschlossen zieht er seine schmale Bahn dahin, verdunkelt mir die Sonne und entfernt sich wieder eilends, ohne daß die Hitze, die uns schon seit vielen Tagen bang beklemmt, durch ihn gemildert würde.

Nur ein Schwall von seinem feuchten Wohlgeruch drängt sich für einen Augenblick, unsäglich lind und lau, zu mir heran.

Davon wird mir mit einem Mal ganz träumerisch und heimwehtrüb zumut, denn nun spür ich es erst in voller Pein, wie bitterlich doch eigentlich die Meerluft riecht, – wie herb, wie fremd, – daß es mir leise davor graut, sie nach dem kurzen, süßen Trunk des Regenduftes wieder einzuatmen!

Böse Himmelssunde

Bedrückend langsam, trüb und schwül hat rings die Wolkendämmerung den Himmel zugedeckt.

Nur im Südosten klaffen in der Wetterdecke ein paar jähe Risse, die die ganze Tiefe des Gewölks zerspalten.

Doch kein freundlich abendwarmer Schein, kein sonnenweites Jenseits weilt in ihnen, sondern in dem Grund der riesenhaften Schächte brennt der Aether schwefelgelb und grün, – in einem Licht, so gläsern grell und dabei doch so stumpf und glanzlos blöd!

Es ist der tote, unbewegte Raum, – die wilde Einsamkeit der unerschaffenen Welt, – das Chaos selber, das dort drüben haust und nun mit irrem, falschem Blick zu uns herüber schielt!

Und trotzdem muß ich immerzu mit Abscheu und zugleich mit trauervoller Gier in seine Himmelsblößen starren, aber wie geschwächt vom kühlen Brand der Farben sinkt mein Blick bald wieder in die Trübsal unserer Erdenenge und Erniedrigung zurück, indessen droben in den Höhn die bösen Himmelssunde blaß und ziellos weitersengen.

Bange Stunde

Graudünstig hängt die Welt im Tag.

Kein kecker Sprung, kein übermütig heller Wogenprall tönt aus der Flut.

Einschläfernd langsam pulst die Dünung auf und nieder, ballt die Wellen widerwillig ineinander und entrollt sie wieder plumpen Schlags.

In zähen Schlieren schlackt der Schaum darüber hin, und selten mehr funkt durch die blinden, aschefahlen Spiegel das gewohnte Meerblau auf, das wie ein dumpfer, unterseeischer Brand, unruhig wühlend durch die Tiefen qualmt und mottet.

Ueber dieses trostlos graue Meer spannt auch, eintönig grau, das Firmament sein ungestaltet nebliges Gespinst, aus dem das Licht wie leises Trauern trüb herniedertrieft, als wäre es mit einer letzten, noch nicht ganz vom Tagesschein erlösten Spur der Nacht beschwert.

Nur nahe überm Meer ist der zerflossene Wetterdunst zu ein paar wenigen, wagerecht verdehnten Wolkenbänken zäh geronnen. Die umkriechen, blassen, geisterhaften Raupen gleich, mit einer Langsamkeit, der unsere Ungeduld nicht folgen kann, den ganzen Himmel, bis sie sich mit ihren Enden beiderseits berühren und zu einem einzigen, wahnhaft in sich selber kreisenden, in sich erstarrten Ring zusammenfließen.

Grau der Himmel, – grau die See!

Vergeblich suche ich nach den geliebten, tröstlichen Gestalten, die sonst unsere Fahrt begleiten.

Nichts Lebendiges löst sich aus der Oede, aus dem Dunst, – nichts tritt zu uns herein, – nichts will uns Nachbar und Geselle sein!

Und was sich etwa zeigt an Segel, Vogel oder Fisch, bleibt wie von Traum, von Schlaf umgeben, in der fremden, schwermutvollen Ferne haften.

Nur ein einziges Mal geschieht es, daß ein Möwenvogel seinen matten Flügel etwas näher zu uns herträgt, aber er auch kehrt, bevor er uns erreichte, wieder scheuen Schwungs in den geheimnistrüben Weltendunst zurück, und über seiner ausgelöschten Fährte gähnt von neuem das gestaltenlose Nichts.

Kein Segel und kein Fittich, keine Flosse lodert mehr im Ungewissen auf.

Nur unsere eigene Schaumfährte starrt, sinnlos gerad, vom Schiffskiel weg zum Horizont hinüber, und der ewige Wolkenring umklammert, Stund um Stunde, in unsäglich trauriger Monomanie die leeren Lüfte und die Wasserwüste und auch mein verirrtes, banges Herz.

Im Zwielicht

Im Zwielicht drängt ein Viermastvollschiff langsam gegen uns heran, – ein Riesenbau mit schwerem Rumpf und langen, dunklen Masten.

Den Bug uns zugekehrt erscheint es nur als ein gewaltiger, nebelhafter Turm, der, von der Ferne und vom grauen Dunst umschattet, drohend ungenau zu uns herüberschwankt.

Ernst und verhüllt ragt es wie ein gespenstig fremdes Heiligtum, aus trüber Luft und Tüchern aufgebaut, hoch über die eisgrüne See hinaus und schweigt.

Erst spät, wie wir schon längst an ihm vorbeigekreuzt sind und die Zeichen nicht mehr deuten können, lodern seine Flaggen, weiß, rot, gelb und blau an ihm empor.

Durch irgend eine düstere Verzauberung von unserer Nähe angezogen und doch nicht imstande, ganz zu uns heranzukommen, folgt es uns noch eine Weile im Kielwasser nach, dann macht es sich allmählich, wie belästigt und verwirrt vom allzu langen Harren und Befragen, ohne Regung in den Segeln träg von dannen und tritt wieder in den Dunst zurück, wo es in mürrischer Trübsal rasch verdämmert und verschollen bleibt.

Himmlisches Abenteuer

Ein müder, grau verhängter Meertag will sich eben still zum Abend wenden.

Da fährt ein plötzliches Entzünden und Verlöschen ins Gewölk und macht den Sonnenuntergang im Nu zu einem wild phantastischen, erschütternd fremden Himmelsabenteuer!

Grell goldene und rote Flammen zucken durch die Wolkenscharen, – glühende Risse, scharfe Wunden klaffen allenthalben auf, und ein schwüler Brand von überreizter, wüster Buntheit zehrt das letzte, milde Schattenbraun und -blau der Dämmerung hinweg.

Nur um die kleine Spanne ihres eigenen Maßes noch vom Horizont entfernt, drängt sich die Sonne aus dem Dunst hervor und tritt, sehr trüb und blutigrot verglimmend, ihrem Untergang entgegen.

In dem seitlich drängenden Vorüberzug der Wolken spaltet sich jedoch ihr ruhiger Schimmerkreis und teilt sich in drei mächtig ausgereckte, scharf begrenzte Flammenspeichen, die durch irgend eine ganz geheimnisvolle, erdentrückte Macht rund um den Sonnenball herum in langsam kreisenden Umlauf geraten.

Das dauert hin und her in schwerem Werden, bis das Strahlenrad im Augenblick, wo Meer und Sonne sich berührt, mit einem Ruck im Kreisen stillesteht: – ein starrend gleiches, riesenhaftes Kreuz!

Dicht liegen seine beiden wagrecht ausgespreizten Arme auf dem Horizont, der mittlere reckt sich steil aufwärts in die Luft, indes sein flackeriges Spiegelbild im Meer bedrohlich nah an unser Schiff herüberlangt.

Unwillig und erschrocken schau ich in das düstere Symbol, das wie ein heimatlos gewordenes Gespenst des alten Glaubens noch einmal das Erd- und Himmelreich durchirrt.

Doch kaum entstanden, welkt der Kreuzesstrahl an seinem eigenen Unbestand dahin, sinkt unaufhaltsam mit dem Schwund der Sonne in die Fluten ein, verdirbt darin zur krummen, abgelebten Mißgestalt und stirbt.

Nur noch ein müdes, dumpfig rotes Schwelen bleibt von ihm im Himmel und im Meer bestehn, als ob das ganze, heile Licht des Tags sich an der schauerlichen Kreuzvision verblutete, – dann senkt die Finsternis der Nacht barmherzig ihre Schleier über das vollbrachte Trauerspiel.

Äquatortrauer

Leise löst der Mond sich aus dem Meer, und seine Silberschale schwebt empor, – so fein, so sacht, als würde sie von einer unsichtbaren Geisterhand langsam ins Himmlisch-Heimliche hinaufgehoben.

Welch ein glückbedeutend schönes Sinnbild für die Stunde, in der unser Schiff, zum ersten Mal auf dieser Reise, den Äquator überschreiten soll!

Doch niemand steht bei mir an Deck, um diesen Augenblick zu feiern, – nichts vom frohen Mummenschanz der Linientaufe, wie er doch von Alters her auf allen Meeren Brauch ist, wurde heut bei uns an Bord bereitet: – in demselben, trägen Fluß wie immer schleppte sich das Leben unserer Mannschaft durch den Tag, den Abend, in die Dunkelheit dahin.

Spürt denn sonst Keiner von den vielen Menschen auf dem Schiff die wunderbare Lockung und Verheißung dieser Nacht?

Ach nein, – sie schlafen Alle schon seit Stunden drunten in den engen, dumpfen Kammern, – freudlos abgekehrt vom Wesen ihrer Nachbarn und gleichgültig gegen jede Meer- und Himmelsgabe, gegen jeden nächtlich zarten Reiz der Reise!

Nur der Wachmann auf der Brücke weiß in diesem Augenblick den Lauf der Sterne und des Schiffs.

Doch kühlen, unbewegten Sinns mißt er den Ort, die Zeit, – und nur mein Herz fühlt schauernd mit, wie auf den mitternächtigen Stundenschlag mein Schiff den Bug mit feierlichem Schweigen in die südlichen Gewässer taucht.

In den Stillen

In den Stillen

Zwischen den ewig windbewegten, frischen Zonen der Passate lagert sich von einem Kontinent zum andern der gefürchtete Bereich der »Stillen« übers Meer.

Dort ist es, wo die Segelschiffe, die in rüstiger Fahrt von Süd und Nord herüberkreuzen, plötzlich nicht mehr Wind genug zum Weiterkommen finden und oft wochenlang untätig liegen bleiben müssen.

Mutlos stehen dann die Männer auf den Decks und spähen unaufhörlich nach dem Horizont hinüber, ob vielleicht nicht irgend eine letzte, schwache Windbö doch noch, wellenkräuselnd, aus der Ferne käme.

Doch tagein, tagaus spannt sich die Flut in immer gleicher, spiegelnd blanker Glätte aus.

Der kecke Saus der windgespannten Segel ist verstummt, schlaff hängen alle Tücher, alle Taue von den Gaffeln und den Raen nieder.

Immer tiefer frißt die Hitze sich durch alle Räume, raubt den Schlaf und lähmt die Tagesfrische.

Das Trinkwasser wird verdorben, der Proviant geht langsam aus, und immer drohender zehrt das Gespenst der Krankheit an der Hoffnung, an den Seelenkräften der Gepeinigten! –

Mein Dampfer kennt nicht die Gefahr der Zone »In den Stillen«.

Ungerührt, gleichmütig fährt er durch die windbewegten und die bangen, stillen Meeresstriche seines Wegs dahin.

Doch einer anderen, schrecklicheren Stille ist auch er verfallen und unrettbar preisgegeben: – der verstockten Stille in den Menschenherzen, dem verbohrten, dumpfen Schweigen zwischen Mann und Mann!

Nichts von dem heitern Werk bei Tag und Nacht, – nichts von dem Singen und dem Klingen der Matrosenlieder, – nichts von arglos froher Kameradschaft, wie ich es einst in den Seegeschichten meiner Jugend las, verschönt die Stille unsrer langen, langen Tropenfahrt.

Wohl finde ich in jedem dieser wild verwetterten, von Laster und Enttäuschung und von Neid verwüsteten Seemannsgesichter einen scheuen Zug von Kindlichkeit, ein letztes Restchen Glauben an den Gott der Kinderzeit und an die heiligen Begriffe Mutter, Weibestreue, Vaterland.

Doch eine unbesieglich tiefe Scham hält jeden Mann an Bord zurück, die Weichheit und die Schwäche seiner Seele zu enthüllen.

Sie wollen Alle hart sein und verschlossen, stumm, und ihrem Nachbarn keine Freude, kein Vertrauen gönnen, zum Entgelt dafür, daß einst die Anderen an ihrem eigenen, jungen Leben gleich gehandelt haben!

Nur die Arbeit findet sie beisammen, – nur die Pflicht vereinigt sie zu rauher, williger Gemeinsamkeit und Hingebung, wie es das unerbittlich strenge Seegesetz von jedem Offizier, von jedem Heizer und Matrosen fordert.

Aber Keiner ist dabei des Lebens wirklich froh: ein Bannfluch waltet eben über unserm Schiff, der alte böse Meerfluch, der schon vor uns vielen Tausenden von Fahrtgenossen jede Freude, jede Lebenslust vergiftet hat, daß sie in hadernder Verderbtheit, schweigsam, ihre Reisen machen mußten, – ihre Reisen durch die selig blauen Tropentage, – durch die Nächte, die vom Zauberschein des Meeresleuchtens, die vom Glanz der südlichen Gestirne wunderreich geheiligt und verklärt sind!

Der Umgang

Manchmal nach Tisch, wenn Keiner sichs versieht, greift unser Kapitän zur Mütze, winkt dem Ersten Steuermann und mir und heißt uns schweigend, ihm zu folgen.

Mürrisch steigen wir mit ihm an Deck, ein Jeder noch versunken in die müden Grübeleien seiner Einsamkeit.

Und Keiner spricht dabei ein Wort.

So schlendern wir im mittagstillen Schiff treppauf, treppab, – durchmustern alle Kammern, alle Luken und beschließen den verdrossenen Umgang achtern, wo im Zwischendeck die wenigen Auswanderer wohnen, die wir von Europa mitgenommen haben.

Ohne Gruß, kaum mit der Hand ein wenig nach der Mütze winkend, geht der Kapitän von Raum zu Raum, hebt hier einmal die Decken hoch, wühlt dort ein wenig in den Strohmatratzen und bleibt endlich, boshaft zögernd, vor der letzten Koje stehn, auf deren Rand das blasse, spanische Mädchen sitzt, das sich fast nie an Deck heraufwagt, weil es sich vor Weite, Wind und Wellengang entsetzt.

Wie ist es schön und scheu!

Wie funkeln seine tierisch großen Augen durch die Dämmerung des Raums, wie atmen seine Brüste hastig unterm scharlachroten Tuch!

Angstvoll geduckt schaut es auf uns drei finstere Männer, die, im Seegang unaufhörlich von der einen zu der andern Seite pendelnd, vor ihm stehen, ohne ihm ein einziges Wort, ein einziges Zeichen freundlicher Gesinnung zu vergönnen.

Aber plötzlich macht der Alte wieder Kehrt und rennt vor uns in töricht überstürzter Hast treppauf davon!

Und wieder schreiten wir die lange, sonnenheiße Deckbahn schweigend ab, die Hände in den Taschen und die Pfeife schief im Mund, – im gleichen, schwanken Seemannsschritt und mit den gleichen, trotzigen Gesichtern wie zuvor.

Der Andere

In friedlichem Alleinsein will ich eben meinen Abenddecklauf tun.

Da spür ich, wie ein Anderer mir in meiner Fährte nachfolgt, – wie er langsam, zögernd immer näher rückt und sich am Ende ganz zu mir gesellt: – der Kapitän!

Wie schon an manchem früheren Abend kommt er grußlos, wortlos zu mir hin und macht in gleichem Schritt und Tritt die stille Wanderung schweigsam mit.

Gewiß hat er heut wieder lange hinter einer Ecke, einer Tür darauf gelauert, bis ich in die Nähe käme; doch aus lauter Angst, ich könnte seine Absicht merken und darüber spöttisch lächeln, wagte er es nicht, ganz einfach offen zu mir hin zu treten. – Aber endlich hielt ers nicht mehr im Verborgenen aus: – die Not, die Gier und Liebe zum Geschöpf hat ihn, halb wider Willen, aus dem Hinterhalt hervorgetrieben, und nun geht er neben mir einher, und tut, als wäre er durch Zufall grade hier vorbeigekommen und benütze nur die günstige Gelegenheit, sich eine kurze Strecke Wegs mir anzuschließen.

Wie ich ihn doch kenne! – Wie ich ihn verstehe!

Immer fühle ich in ihm mein zweites, anderes Ich, – mein lebensmüdes, späteres, das jetzt schon zu mir kommt, um sich am Brunnen meiner Jugend, meiner ungebrochenen Lebenskraft und -lust zu stärken.

Ich weiß, daß er nun immerfort zu mir herüberdenkt und fragt und hofft und horcht, – daß seine Sinne, wie die meinen, rettungslos am selben, zähen, abendwirren Garne spinnen.

Und doch bring ich es nicht über mich, das Schweigen zwischen uns, wie schon so oft, mit irgend einem kecken Einfall, einem Scherz zu brechen!

Nur meine Schritte lenken heimlich in ein anderes, leis gebundenes Maß: – ins Maß des Miteinandergehens, des Zuzweitseins ein, und meine übellaunigen Gedanken werden weicher und versöhnlicher und wenden sich in stiller, liebender Bemühung meinem armen, stummen Kameraden zu.

Doch plötzlich ist er nicht mehr da!

Er ist von meinem Kurse abgefallen, ist verschwunden wie ein Möwenvogel, wie ein Segelschiff an einem trüben Tag, das uns für kurze Zeit im Dunst begleitete und schweigend wieder von uns ging und in Vergessenheit versank.

Vielleicht hat er dabei als einzigen Laut sein resigniertes, leise knarrendes »Na ja!« gesagt und hat sich von mir fortgeschlichen, – blieb verstohlen hinter mir zurück, ging weg, – ich weiß nicht wann, nicht wie.

Da hör ich eben noch, wie er treppauf zum Bootsdeck klettert, und ich weiß: – still und beklommen geht er jetzt in seine Kammer, setzt sich an den Tisch, stützt mit der Hand den müden Kopf, daß seine Mütze schief nach hinten rutscht und die flachsblonden Haare wirr und mutlos über seine Stirne fallen.

Warum habe ich auch nichts getan, um ihn aus seinem trüben Schweigen aufzuwecken?

Nun ist es zu spät, – nun ist er fort!

Mein zweites, schattenhaftes Ich, – »Der Andere« ließ von mir ab: – nun erst fühl ich mich ganz verlassen, – nun bin ich wahrhaft allein in der bedrückend stillen, müden Abenddämmerung auf dem Meer!

Nächtliches Ereignis

Ein dumpfer Prall, ein seltsam fernes, seltsam abgerissenes Schreien schreckt mich aus dem mitternächtigen Schlafe auf.

Mit einem Griff pack ich mein Notgerät, den Rettungsgürtel und die Kleider, und im nächsten Augenblick bin ich auf Deck und starre in die Finsternis hinaus.

Was hat sich zugetragen?

Wars denn eben nicht, als hätten wir ein fremdes Boot gerammt?

Weshalb stoppt die Maschine? – Weshalb rennt ein Offizier an mir vorbei aufs Achterdeck und lehnt sich, aufgeregt ins Dunkle lauschend, über Reling?

Da gewahr ich grade noch, wie langsam hinter uns die Trümmer irgend eines kleinen Fahrzeugs durch die Wellen treiben, – Segel, Taugewirr, zwei Tonnen, Planken und zuletzt ein kurzer Maststrunk, der sich, schreckhaft wirbelnd, im Geschäume dreht und untergehend in der Finsternis verschwindet.

Das ist alles!

Scheu drückt sich der Offizier an mir vorüber, – seine Augen weichen meinen stummen Fragen, meinen Blicken aus.

Langsam setzt von neuem die Maschine ein, und eh die Fahrt vollends zum Stillstand kam, drängt unser Schiff schon wieder mit gleichgültigem Hasten seinen eigenen, fernen Zielen zu.

Doch niemals wird der jämmerliche Anblick der zerborstenen Planken und des kleinen Masts, der gurgelnd in die Wasser untertauchte, mir aus dem Gedächtnis fliehen. Nie werd ich den scheuen Tritt, das Schweigen unsres Offiziers vergessen können, nie den fernen, fremden Notschrei aus der Flut und nie den grausam schönen, starren Strahl der tropischen Gestirne, die das ganze, nächtliche Ereignis auf dem kleinen Erdenmeere unten, fühllos, achtlos überblickten!

Verwehte Spur

Räumend finde ich zuhinterst in dem Schubfach meines Tisches ein zerknülltes Stück Papier, von fremder Hand bekritzelt mit Schriftzeichen, die die Zeit, die Feuchtigkeit der Meeresluft, mit Salzkristallen überpudert und beinah unleserlich vergilbt hat.

Was enthält wohl dieses kleine, unscheinbare Blatt?

Was für ein Gruß aus fremder Seele, fremdem, abgelegenem Geschick spricht mich aus seinen halb verwehten Zeichen an?

Neugierig such ich das Bekenntnis jenes Unbekannten zu entziffern, der als Schiffsarzt einst, – wer weiß, vor wieviel Reisen, – hier in dieser, meiner Kammer wohnte, – wie in einer Klosterzelle abgeschieden von der Welt der Andern, – zwischen diesen selben starr verschlossenen, glatten Mahagonimöbeln, – in dem engen Raume zwischen Fensterbank und Spind und Koje und Arzneischrank? – Mühsam les ich seine Worte, und ich finde, tief erschauernd, nichts als bittere Zynismen, Klagen, kranke Schmähung wider alles Schöne, Gute, wider allen Wert des Menschenlebens und der Schöpfung.

Und zum Abschluß des verzweifelten Aufschreiens steht am Rande noch vermerkt: –

»Dies schreibe ich, verloren und verhärmt, in später, finsterer Tropennacht als ein Merkmal des Augenblicks, da kraftlos durch das feucht gewordene Papier die Tinte schlägt, – da mir der Schweiß von meiner Stirne strömt, und meine Haut verquollen, meine Hände matt und zittrig sind von Hitze.

Jeder Atemzug, ja, jede Lust und Gier des Lebens schmeckt mir auf den Lippen bitter salzig, ekel vor getäuschtem Glauben an das Diesseits, an das Jenseits, – und in meinem Herzen ist es leer geworden, still und tot von all der nutzlos dumpfen Grübelei. –«

 

Du armer, trauriger Genosse meiner eigenen Freuden, meiner Leiden, meiner Schmach auf diesem Schiff!

Was warst du für ein Mensch, – was für Enttäuschung fraß an deiner Kraft, was für ein Leid erlittest du, daß es dich trieb, das letzte Gut, den letzten Glauben so zu schmähen?

Vergilbte Schrift, – verwehte Spur! – Wer kennt sie heute noch?

Beklommen fragend heb ich meine Augen von ihr auf und schaue durch die Fenster in die wellig weite Welt hinaus.

Doch keine Antwort, keinen Trost gibt mir die tote Ferne!

Nur ein furchtbar fremdes, furchtbar blaues Meer starrt mich von draußen fühllos an, – ein wildes Brausen schallt aus ihm herüber, und der Gischt steigt, unwirsch jauchzend, an der Schiffswand hoch.

Nun faucht ein Möwenvogel nahe vor die Fenster hin, deckt sie für einen Augenblick mit seinem grimmen Schatten zu, schreit mir aus rauher Kehle seinen unbegriffenen, unlösbaren Ruf der Oede ins Gesicht und hastet weg.

Und wieder ist es leblos licht und leer in ihrem Rund, und nur das Meer, der Himmel bleiben in ihm stehen, und die Wogen hallen einsam weiter, und der Gischt klirrt, ruhlos raschelnd, fort und fort.

Mühsamer Wanderer auf dem Schiff

In mitternächtiger Stunde schreite ich allein die lange, öde Deckbahn hin und her, – rastlos getrieben und gehetzt von all den Fragen, all den Zweifeln meiner Meereseinsamkeit: – törichter Flüchtling vor dem eigenen, selbst gewählten Los, – Sinnbild des Seemanns, – trauriger, mühsamer Wanderer auf dem Schiff!

Wie gut, wie schmerzlich klar weiß ich es jetzt, was eine »Stille Reise« heißt!

Das dunkle Mahnwort, das der Kapitän einst in der ernsten, bangen Stunde unsrer Abfahrt zu mir sprach, – es klingt unstillbar heut in meinem Herzen fort und fort.

Hab ich denn nicht in Zorn und Auflehnung dagegen angekämpft? – Hab ich es nicht versucht, in jeder morgenfrischen Stunde meine Seele gegen allen Kleinmut stark zu machen, – sie zu wappnen, – sie zu feien gegen den verwünschten Zauberbann der Stille?

Immer wieder überkam mich doch im Mittag jene alte, welke Unlust, jene alte, unheilbare Müdigkeit, und in den Nächten lag ich, bitter grübelnd, wach, bis alle Fragen, alle Worte und Begriffe sich erschöpft und leer gesonnen hatten an dem Rätsel, an dem Fluche unserer dumpfen, sündigen Verstocktheit.

Ach, ich bin an ihm gemütskrank, seefahrtskrank geworden wie die Andern alle auf dem Schiff!

Ich weiche den Genossen auf dem Deck verschwiegen aus, – ich scheue sie, wenn sie mir nahe kommen, wenn sich ihre Fährte an die meine heftet, ja, ich hasse sie, nur weil sie da sind, weil sie schweigend und verdrossen müde sind wie ich!

 

Doch manchmal ist es mir, als ob ein geisterhafter Fittich mich mit einem Male aus der Menschennot entführte, – fern hinüber in das Reich der Wellen und der Wolken und der andern, schuldlos schönen, freien Seegeschöpfe, – in das Reich, wo plötzlich alles hold erschlossen ist, – wo alles singt und klingt, – wo alles zu mir spricht.

Drum will ich unaufhörlich mit dem Engel, mit dem Dämon, mit der großen, unbekannten Gottheit meiner Reise ringen, daß sie mir die Kraft erhalte, das Lebendige, das Selig-Andre, Selig-Fremde, was aus Meer und Himmel stündlich in mich einfließt, in inbrünstiger Besessenheit zu loben und zu preisen.

Drum will ich immer wieder, ohne Unterlaß, aus allem Trug, aus aller Bitternis des Herzens beten und mit jubelnd wildem Willen schrein: –

»Meertag«, ich laß dich nicht, – Meernacht, ich laß dich nicht, – du segnetest mich denn!«


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