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Karl Marx an Annenkow

Brüssel, den 28. Dezember 1846

Sie hätten meine Antwort auf Ihren Brief vom 1. November schon längst erhalten, wenn mein Buchhändler mir das Buch des Herrn Proudhon »Die Philosophie des Elends« nicht erst vorige Woche zugesandt hätte. Ich habe es in zwei Tagen durchgeblättert, um Ihnen sofort meine Meinung mitteilen zu können. Da ich das Buch sehr eilig gelesen habe, kann ich auf Einzelheiten nicht eingehen und kann Ihnen nur den allgemeinen Eindruck sagen, den es auf mich gemacht hat. Wünschen Sie es, so werde ich in einem zweiten Brief auf die Einzelheiten eingehen können.

Ich will Ihnen offen bekennen, daß ich das Buch im allgemeinen schlecht, ja sehr schlecht finde. Sie selbst scherzen in Ihrem Brief »über das Gepräge der deutschen Philosophie«, mit dem Herr Proudhon in diesem formlosen und anmaßenden Werk Parade macht, nehmen aber an, daß die ökonomische Entwicklung durch das philosophische Gift nicht vergiftet worden ist. Ich bin denn auch weit davon entfernt, die Fehler der ökonomischen Entwicklung der Philosophie des Herrn Proudhon zuzuschreiben. Herr Proudhon gibt uns nicht deswegen eine falsche Kritik der politischen Ökonomie, weil er im Besitz einer lächerlichen Philosophie ist, sondern er gibt eine lächerliche Philosophie, weil er den sozialen Zustand in seiner Verkettung – um ein Wort zu gebrauchen, das Herr Proudhon gleich vielen anderen Dingen Fourier entlehnt – nicht begriffen hat.

Warum spricht Herr Proudhon von Gott, von der universalen Vernunft, von der unpersönlichen Vernunft der Menschheit, die sich nie irrt, die stets sich selbst gleich war, von der man nur das richtige Bewußtsein haben muß, um die Wahrheit zu besitzen? Warum macht er in schwachem Hegelianismus, um sich als starken Geist aufzuspielen?

Er selbst gibt Ihnen den Schlüssel des Rätsels. Herr Proudhon erblickt in der Geschichte eine Reihe sozialer Entwicklungen; er findet den Fortschritt in der Geschichte verwirklicht; er findet endlich, daß die Menschen, als Individuen genommen, nicht wußten, was sie taten, daß sie sich in bezug auf ihre eigene Bewegung täuschten, d. h. daß ihre soziale Entwicklung auf den ersten Blick als etwas von ihrer individuellen Entwicklung Unterschiedenes, Getrenntes, Unabhängiges erscheint. Er kann diese Tatsachen nicht erklären, und die Annahme der sich offenbarenden Universalvernunft ist rein erfunden. Nichts leichter, als mystische Ursachen zu erfinden, d. h. Phrasen, denen der gesunde Menschenverstand abgeht.

Indem Herr Proudhon jedoch zugibt, daß er von der historischen Entwicklung der Menschheit nichts versteht – und er gibt es zu, indem er sich der tönenden Worte Universalvernunft, Gott usw. bedient –, gesteht er nicht gleichzeitig und notwendig, daß er unfähig ist, die ökonomischen Evolutionen zu begreifen?

Was ist die Gesellschaft, welches ihre Form auch sei? Das Produkt der gegenseitigen Aktion der Menschen. Steht es den Menschen frei, diese oder jene, soziale Form zu wählen? Keineswegs. Nehmen Sie einen bestimmten Stand der Entwicklung der Produktivkräfte der Menschen an, und Sie haben eine entsprechende Form des Handels und der Konsumtion. Setzen Sie bestimmte Stufen der Entwicklung der Produktion, des Handels, der Konsumtion, und Sie haben eine entsprechende Form der sozialen Verfassung, eine entsprechende Organisation der Familie, der Stände oder der Klassen, mit einem Wort: eine entsprechende bürgerliche Gesellschaft. Setzen Sie eine solche bürgerliche Gesellschaft, und Sie haben einen entsprechenden politischen Zustand, der nur der offizielle Ausdruck der bürgerlichen Gesellschaft ist. Das ist es, was Herr Proudhon nie verstehen wird; denn er glaubt etwas Großes zu tun, wenn er vom Staat an die Gesellschaft, d. h. vom offiziellen Resümee der Gesellschaft an die offizielle Gesellschaft appelliert.

Es erübrigt sich, hinzuzufügen, daß die Menschen nicht freie Herren ihrer Produktivkräfte – der Grundlage ihrer ganzen Geschichte – sind; denn jede Produktivkraft ist eine erworbene Kraft, das Produkt einer vorherigen Tätigkeit. So sind die Produktivkräfte das Resultat der praktischen Energie der Menschen, doch diese Energie selbst ist bedingt von den Umständen, in welche die Menschen sich durch die bereits erworbenen Produktivkräfte, durch die vor ihnen bestehende soziale Form, die sie nicht schaffen, die das Produkt der vorhergehenden Generation ist, versetzt finden. Durch die einfache Tatsache, daß jede spätere Generation durch die frühere Generation erworbene Produktivkräfte vorfindet, die ihr als Rohmaterial für neue Produktion dienen, bildet sich ein Zusammenhang in der Geschichte der Menschen, bildet sich eine Geschichte der Menschheit, die um so mehr die Geschichte der Menschheit ist, als die Produktivkräfte der Menschen und infolgedessen ihre sozialen Beziehungen sich vergrößert haben. Die notwendige Folge: die soziale Geschichte der Menschen ist stets nur die Geschichte ihrer individuellen Entwicklung, ganz gleich, ob sie sich dessen bewußt sind oder nicht. Ihre materiellen Beziehungen bilden die Grundlage aller ihrer Beziehungen. Diese materiellen Beziehungen sind nur die notwendigen Formen, in denen ihre materielle und individuelle Tätigkeit sich realisiert.

Herr Proudhon verwechselt Ideen und Dinge. Die Menschen verzichten nie auf das, was sie erworben haben, aber das bedeutet nicht, daß sie nie auf die soziale Form verzichten, in der sie gewisse Produktivkräfte erworben haben. Ganz im Gegenteil. Um des erzielten Resultats nicht verlustig zu gehen, um die Früchte der Zivilisation nicht zu verlieren, sind die Menschen von dem Augenblick an, wo die Art und Weise ihres commerce Handel, Verkehr, Geschäfte. den erworbenen Produktivkräften nicht mehr entspricht, gezwungen, alle ihre überlieferten sozialen Formen zu ändern. – Ich nehme das Wort »commerce« hier im weitesten Sinn, wie wir im Deutschen » Verkehr« sagen. Zum Beispiel: das Privileg, die Errichtung von Zünften und Korporationen, die Reglementierung des Mittelalters waren soziale Beziehungen, die allein den erworbenen Produktivkräften und dem vorhergehenden sozialen Zustand, aus dem diese Einrichtungen hervorgegangen sind, entsprachen. Unter dem Schutze des Korporations- und Reglementenwesens wurden die Kapitalien akkumuliert, entwickelte sich ein Seehandel, wurden Kolonien gegründet – und die Menschen hätten die Früchte selbst verloren, wenn sie versucht hätten, die Formen, unter deren Schutz diese Früchte reif geworden waren, zu bewahren. So gab es denn auch zwei Donnerschläge: die Revolution von 1640 und die von 1688. Alle alten ökonomischen Formen, die sozialen Beziehungen, die ihnen entsprachen, der politische Zustand, der der offizielle Ausdruck der alten bürgerlichen Gesellschaft war, wurden in England zerschlagen. So sind die ökonomischen Formen, unter denen die Menschen produzieren, konsumieren, austauschen, vorübergehend und historisch. Mit neuen erworbenen Produktivkräften ändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Produktionsweise ändern sie alle ökonomischen Beziehungen, die bloß die notwendigen Beziehungen dieser bestimmten Produktionsweise waren.

Das ist es, was Herr Proudhon nicht begriffen und noch viel weniger bewiesen hat. Unfähig, die wirkliche Bewegung der Geschichte zu verfolgen, gibt Herr Proudhon eine Phantasmagorie, die Anspruch darauf erhebt, eine dialektische Phantasmagorie zu sein. Er empfindet nicht das Bedürfnis, vom 17., 18., 19. Jahrhundert zu sprechen, denn seine Geschichte spielt sich im nebelhaften Bereich der Einbildung ab und ist hoch über Zeit und Ort erhaben. Mit einem Wort: das ist Hegelscher alter Kram, das ist keine Geschichte. Das ist keine weltliche Geschichte – die Geschichte von Menschen –, es ist eine heilige Geschichte – Geschichte von Ideen. In seiner Betrachtungsweise ist der Mensch bloß das Instrument, dessen sich die Idee oder die ewige Vernunft bedient, um sich zu entwickeln. Die Evolutionen, von denen Herr Proudhon spricht, werden als solche Evolutionen aufgefaßt, die sich im mystischen Schoß der absoluten Idee abspielen. Zerreißt man den Vorhang dieser mystischen Sprache, so heißt dies, daß Herr Proudhon uns die Ordnung gibt, in der die ökonomischen Kategorien sich im Innern seines Kopfes ordnen. Es wird meinerseits keiner großen Mühe bedürfen, Ihnen zu beweisen, daß diese Ordnung die eines sehr ungeordneten Kopfes ist.

Herr Proudhon eröffnet sein Buch mit einer Betrachtung über den Wert, was sein Steckenpferd ist. Diesmal werde ich auf eine Prüfung dieser Betrachtung nicht eingehen.

Die Reihe der ökonomischen Evolutionen der ewigen Vernunft beginnt mit der Teilung der Arbeit. Für Herrn Proudhon ist die Teilung der Arbeit eine ganz einfache Sache. War aber das Kastenwesen nicht eine gewisse Teilung der Arbeit? Und war das Regime der Korporationen nicht eine andere Arbeitsteilung? Und die Arbeitsteilung des Manufaktursystems, das Mitte des 17. Jahrhunderts beginnt und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England endet, war es nicht ebenfalls ganz unterschieden von der Teilung der Arbeit in der großen Industrie, der modernen Industrie?

Herr Proudhon versteht so wenig das Wesen der Sache, daß er selbst das vernachlässigt, was sogar die irdischen Ökonomen tun. Um von der Teilung der Arbeit zu sprechen, braucht man nicht vom Weltmarkt zu reden. Gut. Mußte sich die Teilung der Arbeit im 14. und 15. Jahrhundert, wo es noch keine Kolonien gab, wo Amerika für Europa noch nicht existierte, wo Ostasien nur durch Vermittlung von Konstantinopel existierte, nicht von Grund auf unterscheiden von der Teilung der Arbeit des 17. Jahrhunderts, das bereits entwickelte Kolonien hatte? Das ist nicht alles. Die ganze innere Organisation der Völker, alle ihre internationalen Beziehungen – sind sie etwas anderes als der Ausdruck einer gewissen Teilung der Arbeit? Müssen sie sich nicht zusammen mit der Änderung der Arbeitsteilung ändern?

Herr Proudhon hat die Frage der Arbeitsteilung so wenig verstanden, daß er von der Trennung zwischen Stadt und Land, die sich z. B. in Deutschland vom neunten bis zum zwölften Jahrhundert vollzog, nicht einmal spricht. So muß für Herrn Proudhon diese Trennung ein ewiges Gesetz sein, weil er weder ihren Ursprung noch ihre Entwicklung kennt. Er wird in seinem ganzen Buch so sprechen, als ob diese Schöpfung einer bestimmten Produktionsweise bis ans Ende der Tage dauern würde. Alles, was Herr Proudhon von der Teilung der Arbeit sagt, ist bloß eine Zusammenfassung und dazu noch eine sehr oberflächliche, sehr unvollständige dessen, was vor ihm Adam Smith und tausend andere gesagt haben.

Die zweite Evolution sind die Maschinen. Der Zusammenhang zwischen der Teilung der Arbeit und den Maschinen ist bei Herrn Proudhon ganz mystisch. Jede Art und Weise der Teilung der Arbeit hatte spezifische Produktionsinstrumente. So machten z. B. die Menschen von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht alles mit der Hand. Sie besaßen Instrumente, und zwar sehr komplizierte Instrumente, wie die Webstühle, die Schiffe, die Hebel usw. usw.

Es gibt daher nichts Lächerlicheres, als die Maschine als Folge der Arbeitsteilung überhaupt hinzustellen.

Ich will Ihnen noch nebenbei sagen, daß Herr Proudhon, da er den Ursprung der Maschinen nicht begriffen hat, noch weniger ihre Entwicklung begriff. Man kann sagen, daß bis 1825 – der Epoche der ersten allgemeinen Krise – die Bedürfnisse der Konsumtion im allgemeinen sich schneller entwickelten als die Produktion und daß die Entwicklung der Maschinen die notwendige Folge der Bedürfnisse des Marktes war. Seit 1825 ist die Erfindung und Anwendung der Maschinen nur das Resultat des Krieges zwischen Unternehmern und Arbeitern. Und das gilt nur für England. Was die europäischen Nationen anbelangt, so wurden sie zur Anwendung der Maschinen durch den Konkurrenzkampf gezwungen, den die Engländer sowohl auf ihrem eigenen Markt als auch auf dem Weltmarkt gegen sie führten. Endlich was Nordamerika anbelangt, so wurde die Einführung der Maschinen sowohl durch die Konkurrenz mit den anderen Völkern als auch die Seltenheit der Arbeitskräfte, d. h. durch das Mißverhältnis zwischen der Bevölkerungszahl und den industriellen Bedürfnissen Nordamerikas, herbeigeführt. Aus diesen Tatsachen können Sie schließen, welchen Scharfsinn Herr Proudhon entwickelt, wenn er das Gespenst der Konkurrenz als dritte Evolution, als Antithese der Maschine, beschwört.

Schließlich ist es überhaupt eine wahre Absurdität, aus den Maschinen eine ökonomische Kategorie neben der Arbeitsteilung, der Konkurrenz, dem Kredit usw. zu machen.

Die Maschine ist ebensowenig eine ökonomische Kategorie wie der Ochs, der den Pflug zieht. Die gegenwärtige Anwendung der Maschinen ist eine der Beziehungen unserer gegenwärtigen Wirtschaftsordnung, doch die Art und Weise der Benutzung der Maschinen ist etwas, was von den Maschinen selbst durchaus unterschieden ist. Das Pulver bleibt das gleiche, ob man sich seiner zur Verwundung eines Menschen oder zur Heilung der Wunden des Verwundeten bedient.

Herr Proudhon übertrifft sich selbst, wenn er im Innern seines Kopfes die Konkurrenz, das Monopol, die Steuer oder die Polizei, die Handelsbilanz, den Kredit, das Eigentum in der Ordnung, wie ich sie anführe, schafft. Fast alle Krediteinrichtungen waren in England zu Anfang des 18. Jahrhunderts vor Erfindung der Maschine bereits entwickelt. Der öffentliche Kredit war bloß eine neue Art, die Steuern zu erhöhen und die durch den Übergang der Regierung an die Bourgeoisklasse geschaffenen neuen Bedürfnisse zu befriedigen. Das Eigentum bildet schließlich die letzte Kategorie im System des Herrn Proudhon. In der realen Welt hingegen sind die Teilung der Arbeit und alle übrigen Kategorien des Herrn Proudhon soziale Beziehungen, deren Gesamtheit das bildet, was man gegenwärtig das Eigentum nennt; außerhalb dieser Beziehungen ist das bürgerliche Eigentum nichts als eine metaphysische oder juristische Illusion. Das Eigentum einer anderen Epoche, das feudale Eigentum, entwickelt sich in einer Reihe von sozialen Beziehungen ganz anderer Art. Indem Herr Proudhon das Eigentum als eine selbständige Beziehung festlegt, begeht er mehr als einen methodologischen Fehler; er beweist klar, daß er das Band nicht erkannt hat, das alle Formen der bürgerlichen Produktion verbindet, daß er den historischen und vorübergehenden Charakter der Produktionsformen in einer bestimmten Epoche nicht begriffen hat. Herr Proudhon, der in unseren sozialen Einrichtungen keine historischen Produkte erblickt, der weder ihren Ursprung noch ihre Entwicklung versteht, kann nur eine dogmatische Kritik an ihnen üben.

Herr Proudhon ist denn auch gezwungen, zu einer Fiktion Zuflucht zu nehmen, um die Entwicklung klarzumachen. Er bildet sich ein, daß die Teilung der Arbeit, der Kredit, die Maschinen usw., daß alles im Dienste seiner fixen Idee, der Idee der Gleichheit erfunden wurde. Seine Erklärung ist äußerst naiv. Man hat diese Dinge für die Gleichheit erfunden, doch haben sie sich unglücklicherweise gegen die Gleichheit gewandt. Das ist seine ganze Argumentation. Das heißt, er macht eine völlig haltlose Annahme, und da die wirkliche Entwicklung und seine Fiktion sich auf Schritt und Tritt widersprechen, schließt er daraus, daß es einen Widerspruch gibt. Er leugnet Ihnen, daß nur ein Widerspruch zwischen seinen fixen Ideen und der wirklichen Bewegung besteht.

So hat Herr Proudhon, hauptsächlich wegen des Mangels an historischen Kenntnissen, nicht gesehen, daß die Menschen, indem sie ihre Produktivkräfte entwickeln, d. h. indem sie leben, gewisse Beziehungen untereinander entwickeln, und daß die Art dieser Beziehungen sich mit der Veränderung und dem Wachstum dieser Produktivkräfte ändert. Er hat nicht gesehen, daß die ökonomischen Kategorien nur Abstraktionen dieser realen Beziehungen, nur insofern Wahrheiten sind, soweit diese Beziehungen bestehen. So verfällt er in den Irrtum der bürgerlichen Ökonomen, die in diesen ökonomischen Kategorien ewige Gesetze und nicht historische Gesetze erblicken, die nur für eine gewisse, bestimmte Entwicklung der Produktivkräfte Gesetze sind. Statt daher die politisch-ökonomischen Kategorien als etwas von den wirklichen, vorübergehenden, historischen, sozialen Beziehungen Abstrahiertes zu betrachten, erblickt Herr Proudhon infolge einer mystischen Umkehrung in den wirklichen Beziehungen nur Verkörperungen dieser Abstraktionen. Diese Abstraktionen selbst sind Formeln, die seit Weltbeginn im Schoße Gottes geschlummert haben.

Doch hier verfällt der gute Herr Proudhon in starke geistige Krämpfe. Sind alle diese ökonomischen Kategorien Ausströmungen des Herzens Gottes, sind sie das verborgene und ewige Leben der Menschen, wie kommt es dann, erstens, daß es eine Entwicklung gibt, und zweitens, daß Herr Proudhon nicht ein Konservativer ist? Er erklärt diese offenbaren Widersprüche durch ein ganzes System des Antagonismus.

Nehmen wir, um dieses System des Antagonismus zu klären, ein Beispiel.

Das Monopol ist gut, denn es ist eine ökonomische Kategorie, also eine Ausströmung Gottes. Die Konkurrenz ist gut, denn sie ist ebenfalls eine ökonomische Kategorie. Was aber nicht gut ist, das ist die Wirklichkeit des Monopols und die Wirklichkeit der Konkurrenz. Was noch schlimmer ist, das ist der Umstand, daß das Monopol und die Konkurrenz sich gegenseitig auffressen. Was tun? Da diese beiden ewigen Gedanken Gottes sich widersprechen, scheint es ihm offensichtlich, daß es im Schoße Gottes gleicherweise eine Synthese dieser beiden Gedanken gibt, in der die Übel des Monopols durch die Konkurrenz wettgemacht werden und umgekehrt. Der Kampf zwischen den beiden Ideen wird dazu führen, daß nur ihre schöne Seite in die Erscheinung tritt. Man muß Gott diesen geheimen Gedanken entreißen, ihn dann anwenden, und alles wird in schönster Ordnung sein. Man muß die in der Nacht der unpersönlichen Vernunft der Menschheit verborgene synthetische Formel entdecken. Herr Proudhon zögert keinen Augenblick, sich zum Entdecker zu machen.

Aber werfen Sie für einen Augenblick einen Blick auf das wirkliche Leben. Im gegenwärtigen ökonomischen Leben werden Sie nicht nur die Konkurrenz und das Monopol, sondern auch ihre Synthese finden, die keine Formel, sondern eine Bewegung ist. Das Monopol erzeugt die Konkurrenz, die Konkurrenz erzeugt das Monopol.

Doch hat diese Gleichung, weit davon entfernt, die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Lage, wie die bürgerlichen Ökonomen sich das vorstellen, zu beheben, eine schwierigere und verworrenere Lage zum Resultat. Indem Sie also die Grundlage, auf die sich die gegenwärtigen ökonomischen Beziehungen stützen, ändern, die gegenwärtige Produktionsweise vernichten, vernichten Sie nicht nur das Monopol, die Konkurrenz und ihren Antagonismus, sondern auch ihre Einheit, ihre Synthese, die Bewegung, die das wirkliche Gleichgewicht der Konkurrenz und des Monopols ist.

Nun will ich Ihnen ein Beispiel der Dialektik des Herrn Proudhon geben.

Die Freiheit und die Sklaverei bilden einen Antagonismus. Ich habe es nicht notwendig, von den guten noch von den schlechten Seiten der Freiheit zu sprechen. Was die Sklaverei betrifft, so habe ich es nicht notwendig, von ihren schlechten Seiten zu sprechen. Die einzige Sache, die erklärt werden muß, ist die schöne Seite der Sklaverei. Es handelt sich nicht um die indirekte Sklaverei, um die Sklaverei des Proletariers; es handelt sich um die direkte Sklaverei, um die Sklaverei der Schwarzen in Surinam, Brasilien, den südlichen Teilen Nordamerikas.

Die direkte Sklaverei ist die Achse unseres gegenwärtigen Industrialismus, genau so wie die Maschinen, der Kredit usw. Ohne Sklaverei gibt es keine Baumwolle, ohne Baumwolle keine moderne Industrie. Die Sklaverei verlieh den Kolonien Wert, die Kolonien haben den Welthandel geschaffen, der Welthandel ist die notwendige Bedingung der großen Maschinenindustrie. So haben denn auch vor dem Handel mit Negern die Kolonien nur sehr wenig Produkte geliefert für die alte Welt und das Gesicht der Welt nicht sichtbar geändert. Die Sklaverei ist also eine ökonomische Kategorie von der höchsten Bedeutung. Ohne die Sklaverei würde sich Nordamerika, das fortschrittlichste Volk, in ein patriarchalisches Land verwandeln. – Streichen Sie bloß Nordamerika aus der Karte der Völker, und Sie werden die Anarchie, den völligen Verfall des Handels und der modernen Zivilisation haben. Doch die Sklaverei verschwinden lassen, hieße Amerika aus der Karte der Völker streichen. So findet sich denn die Sklaverei, weil sie eine ökonomische Kategorie ist, seit Beginn der Welt bei allen Völkern. Die modernen Völker vermochten nur die Sklaverei bei sich zu Hause zu bemänteln und sie offen nach der neuen Welt einzuführen. Was soll nun der gute Herr Proudhon nach diesen Betrachtungen über die Sklaverei tun? Er wird die Synthese der Freiheit und der Sklaverei, das wahre juste milieu (goldene Mitte), mit anderen Worten: das Gleichgewicht zwischen Sklaverei und Freiheit suchen.

Herr Proudhon hat sehr gut begriffen, daß die Menschen das Tuch, das Leinen, die Seidenstoffe machen, und es ist ein großes Verdienst von ihm, diese einfache Sache verstanden zu haben! Was Herr Proudhon nicht verstanden hat, ist, daß die Menschen ihren Fähigkeiten gemäß auch die sozialen Beziehungen produzieren, in denen sie das Tuch und das Leinen produzieren. Noch weniger hat Herr Proudhon begriffen, daß die Menschen, die die sozialen Beziehungen, ihrer materiellen Produktion gemäß, produzieren, auch die Ideen, die Kategorien, d. h. die ideellen abstrakten Ausdrücke dieser selben sozialen Beziehungen hervorbringen. Demnach sind die Kategorien genau so wenig ewig wie die Beziehungen, deren Ausdruck sie sind. Sie sind historische und vorübergehende Produkte. Für Herrn Proudhon sind ganz im Gegenteil die Abstraktionen, die Kategorien die primäre Ursache. Seiner Meinung nach sind sie es und nicht die Menschen, die die Geschichte machen. Die Abstraktion, die Kategorie, als solche genommen, d. h. getrennt von den Menschen und ihrer materiellen Aktion, ist natürlich unsterblich, unveränderlich, unwandelbar, sie ist nicht nur ein Sein der reinen Vernunft, was bloß heißt, daß die Abstraktion, als solche genommen, abstrakt ist. Bewundernswerte Tautologie! So sind denn auch die ökonomischen Beziehungen, in der Form von Kategorien gesehen, für Herrn Proudhon ewige Formeln, die weder Ursprung noch Fortschritt haben.

Sagen wir es in anderer Weise: Herr Proudhon behauptet nicht direkt, daß das bürgerliche Leben für ihn ewige Wahrheit ist. Er sagt es indirekt, indem er die Kategorien vergöttlicht, die die bürgerlichen Beziehungen in der Form des Gedankens ausdrücken. Er nimmt die Produkte der bürgerlichen Gesellschaft für selbständige, mit eigenem Leben ausgestattete, ewige Wesen, sobald sie sich ihm in der Form von Kategorien, in der Form des Gedankens, darbieten. So erhebt er sich nicht über den bürgerlichen Horizont. Weil er mit bürgerlichen Gedanken operiert, indem er sie als ewig wahr voraussetzt, sucht er die Synthese seiner Gedanken, ihr Gleichgewicht, und sieht nicht, daß ihre gegenwärtige Art und Weise, sich das Gleichgewicht zu halten, die einzig mögliche Art und Weise ist.

In Wirklichkeit tut er das, was alle guten Bourgeois tun. Sie alle sagen Ihnen, daß die Konkurrenz, das Monopol usw. im Prinzip, d. h. als abstrakte Gedanken genommen, die einzigen Grundlagen des Lebens sind, daß sie aber in der Praxis viel zu wünschen übriglassen. Sie alle wollen die Konkurrenz ohne die traurigen Folgen der Konkurrenz. Sie alle wollen das Unmögliche, d. h. die bürgerlichen Lebensverhältnisse ohne die notwendigen Folgen dieser Verhältnisse. Sie alle verstehen nicht, daß die bürgerliche Produktionsform eine historische und vorübergehende Form ist, genau so, wie es die feudale Form war. Dieser Irrtum stammt daher, daß für sie der bürgerliche Mensch die einzig mögliche Grundlage aller Gesellschaft ist, daher, daß sie sich keinen Gesellschaftszustand vorstellen, in dem der Mensch aufhört, Bourgeois zu sein.

Herr Proudhon ist also notwendig doktrinär. Die historische Bewegung, die die gegenwärtige Welt umwälzt, löst sich für ihn in das Problem auf, das richtige Gleichgewicht, die Synthese zweier bürgerlicher Gedanken zu entdecken. So entdeckt der geschickte Junge durch Pfiffigkeit den verborgenen Gedanken Gottes, die Einheit der zwei isolierten Gedanken, die nur deswegen zwei isolierte Gedanken sind, weil Herr Proudhon sie vom praktischen Leben isoliert hat, von der gegenwärtigen Produktion, die die Verbindung der Wirklichkeit ist, die sie ausdrücken. An Stelle der großen historischen Bewegung, die aus dem Konflikt zwischen den bereits erworbenen Produktivkräften der Menschen und ihren sozialen Beziehungen, die diesen Produktivkräften nicht mehr entsprechen, entsteht; an Stelle der schrecklichen Kriege, die sich zwischen den verschiedenen Klassen einer Nation, zwischen den verschiedenen Nationen vorbereiten; an Stelle der praktischen und gewaltsamen Aktion der Massen, die allein diese Zusammenstöße wird auflösen können; an Stelle dieser ungeheuer weiten, dauernden und komplizierten Bewegung setzt Herr Proudhon die grillenhafte Bewegung seines Kopfes. So machen die Gelehrten, die Menschen, die imstande sind, Gottes intime Gedanken zu erlauschen, die Geschichte. Die kleinen Leute haben bloß ihre Offenbarungen anzuwenden. Sie verstehen jetzt, warum Herr Proudhon erklärter Feind jeder politischen Bewegung ist. Die Lösung der gegenwärtigen Probleme besteht für ihn nicht in der öffentlichen Aktion, sondern in den dialektischen Drehungen seines Kopfes. Da für ihn die Kategorien die treibenden Kräfte sind, braucht man das praktische Leben nicht zu ändern, um die Kategorien zu ändern. Ganz im Gegenteil: man muß die Kategorien ändern, und die Änderung des wirklichen Lebens wird die Folge davon sein. Von dem Wunsch beseelt, die Widersprüche auszusöhnen, fragt sich Herr Proudhon gar nicht, ob nicht die Grundlage dieser Widersprüche selbst umgestürzt werden muß. Er gleicht in allem dem doktrinären Politiker, der den König und die Abgeordnetenkammer und das Oberhaus als integrierende Teile des sozialen Lebens, als ewige Kategorien will. Nur sucht er nach einer neuen Formel, um diese Mächte ins Gleichgewicht zu bringen (deren Gleichgewicht gerade in der gegenwärtigen Bewegung besteht, wo die eine dieser Mächte bald der Besieger, bald der Sklave der anderen ist). So kommt es, daß im 18. Jahrhundert eine Menge mittelmäßiger Köpfe damit beschäftigt war, die wahre Formel zu finden, um die gesellschaftlichen Stände, den Adel, den König, die Parlamente usw. ins Gleichgewicht zu bringen, und am nächsten Tag gab es weder König noch Parlament noch Adel. Das richtige Gleichgewicht in diesem Antagonismus war der Sturz aller sozialen Verhältnisse, die diesen feudalen Existenzen und dem Antagonismus dieser feudalen Existenzen als Grundlage dienten.

Da Herr Proudhon auf der einen Seite die ewigen Ideen, die Kategorien der reinen Vernunft setzt, auf der anderen Seite die Menschen und ihr praktisches Lehen, das nach ihm die Anwendung dieser Kategorien ist, finden Sie bei ihm von Anfang an einen Dualismus zwischen dem Leben und den Ideen, zwischen der Seele und dem Körper – einen Dualismus, der sich in vielen Formen wiederholt. Sie sehen jetzt, daß dieser Antagonismus nur die Unfähigkeit des Herrn Proudhon ist, den weltlichen Ursprung und die weltliche Geschichte der Kategorien, die er vergöttlicht, zu begreifen.

Mein Brief ist bereits zu lang, um noch von dem lächerlichen Prozeß zu sprechen, den Herr Proudhon dem Kommunismus macht. Jedenfalls werden Sie mir zugeben, daß ein Mensch, der den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft nicht begriffen hat, noch weniger die Bewegung, die diesen Zustand stürzen will, und die literarischen Äußerungen dieser revolutionären Bewegung verstehen kann.

Der einzige Punkt, in dem ich vollständig mit Herrn Proudhon einverstanden bin, ist sein Widerwille gegen die sozialistische Gefühlsduselei. Bereits vor ihm habe ich durch die Persiflagen des schafsköpfigen, sentimentalen, utopistischen Sozialismus viel Feindseligkeit hervorgerufen. Doch gibt sich Herr Proudhon nicht sonderbaren Illusionen hin, wenn er seine Sentimentalität eines Kleinbürgers, ich meine seine Deklamationen über den Haushalt, die eheliche Liebe und alle diese Banalitäten, der sozialistischen Sentimentalität gegenüberstellt, die z. B. bei Fourier viel tiefer ist als die anmaßenden Plattheiten unseres guten Proudhon? Er selbst fühlt so gut die Nichtigkeit seiner Beweisgründe, seine völlige Unfähigkeit, von diesen Dingen zu sprechen, daß er sich kopfüber in Wut, Ausrufe, in den Zorn des rechtschaffenen Mannes stürzt, daß er schäumt, daß er flucht, daß er anklagt, daß er über Infamie schreit, daß er schimpft, daß er sich in die Brust wirft und sich vor Gott und den Menschen rühmt, von den sozialistischen Infamien rein zu sein! Er kritisiert nicht ernsthaft die sozialistischen Sentimentalitäten oder das, was er für Sentimentalitäten hält. Er exkommuniziert als Heiliger, als Papst die armen Sünder und singt den Ruhm der Kleinbourgeoisie und der elenden Liebesund patriarchalischen Illusionen des häuslichen Herds. Und das ist keineswegs ein Zufall. Herr Proudhon ist vom Scheitel bis zur Sohle Philosoph, Ökonom der Kleinbourgeoisie. Der Kleinbürger wird in einer fortgeschrittenen Gesellschaft, und notwendig durch seine Lage, einerseits Sozialist, andererseits Ökonom, d. h. er ist geblendet durch die Großartigkeit der großen Bourgeoisie und durch das Mitgefühl für die Leiden des Volkes. Im Innern seines Bewußtseins ist er stolz darauf, unparteiisch zu sein, das richtige Gleichgewicht gefunden zu haben, das Anspruch darauf erhebt, sich vom juste milieu Hier: gewöhnliche Mittelmäßigkeit. zu unterscheiden. Ein solcher Kleinbürger vergöttlicht den Widerspruch, denn der Widerspruch ist die Grundlage seines Seins. Er ist bloß der in Aktion gesetzte soziale Widerspruch. Er muß das, was er in der Praxis ist, durch die Theorie rechtfertigen, und Herr Proudhon hat das Verdienst, das wissenschaftliche Sprachrohr der französischen Kleinbourgeoisie zu sein, was ein wirkliches Verdienst ist, da die Kleinbourgeoisie ein integrierender Bestandteil aller sich vorbereitenden sozialen Revolutionen sein wird.

Ich hätte Ihnen gerne zusammen mit diesem Brief mein Buch über die politische Ökonomie geschickt, doch war es mir bisher unmöglich, dieses Werk und die Kritik an den deutschen Philosophen und Sozialisten, von der ich Ihnen in Brüssel gesprochen habe, drucken zu lassen. Sie würden niemals glauben, auf welche Schwierigkeiten eine solche Veröffentlichung in Deutschland stößt, einesteils von Seiten der Polizei, andernteils von seiten der Buchhändler, die die interessierten Vertreter aller Richtungen sind, die ich angreife. Und was unsere eigene Partei anbelangt, so ist sie nicht nur arm, sondern ein großer Teil der deutschen kommunistischen Partei ist auch böse auf mich, weil ich mich ihren Utopien und ihren Deklamationen widersetze.

Aus dem »Sozialdemokrat« Nr. 16, 17 und 18, Jahrgang 1865


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