E. Marlitt
Die zweite Frau
E. Marlitt

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21.

Bitter lächelnd und die emporquellenden Thränen gewaltsam niederkämpfend, stieg die junge Frau die Treppe hinab. Die drei, die sie da oben zurückließ, blieben vielleicht einige Tage lang auf gespanntem Fuße, dann aber nivellierten Zeit und Etikette die aufgerüttelten feindlichen Elemente, und über dem Opfer, das bei der Katastrophe in die aufgerissene Kluft stürzen mußte, schloß sich der Boden – wer dachte dann noch an die geschiedene Frau? – In der vornehmen Welt wächst das Gras unglaublich schnell über unliebsame Vorfälle.

Vor dem großen Spiegel im Ankleidezimmer brannten die Lampen – Hanna hatte jedenfalls vorausgesetzt, ihre Dame werde noch vor dem Thee die leichte Sommertoilette mit einem warmen Hauskleid vertauschen – es war ja abscheulich feucht und kalt geworden. Der weiße Porzellanofen, der ausnahmsweise in dieser Jahreszeit geheizt worden war, strömte behagliche Wärme aus und ließ durch die Oeffnung der blanken Messingthür den rotglühenden Schein des Kohlenfeuers über den Fußboden spielen. Und in dieses behagliche Heim, das sie still und traulich umfing, trat die junge Frau mit fieberisch kreisendem Blut und umflorten Blicken zum letztenmal, um sich zum Weggehen zu rüsten ... Sie schickte die Kammerjungfer zum Abendbrot in das Domestikenzimmer und verschloß hinter ihr die Thür, die nach dem Säulengange führte.

Vor allen Fenstern lagen bereits die Läden, nur im blauen Boudoir standen noch beide Fensterflügel weit offen – Liane schloß sie selbst, aus Besorgnis, ihre schönen Azaleenbäume könnten durch fremde, ungeschickte Hände beschädigt werden ... Wie das draußen unermüdlich rauschte und niederschoß vom dämmernden Himmel! Und wie feuchtschwer die Luft hereinschlug und mit triefendem Atem die gleißenden Atlaswände behauchte! In längeren Pausen stöhnte der Sturm noch immer grollend auf – dann trommelte und schüttete es mit doppelter Vehemenz auf den schwimmenden Kies nieder; in den Windharfen wurden die Akkorde lebendig und zogen, halb getragen vom Sturm, halb erstickt durch die stürzenden Wassermassen, ersterbend über die Gärten hin.

Liane stand einen Augenblick am offenen Fenster – sie schüttelte sich unwillkürlich – in dieses Unwetter, in die hereinbrechende Nacht mußte sie hinaus, und zwar – wandernd. Sie wollte Schönwerth so still und geräuschlos verlassen, daß niemand sagen konnte, wann sie gegangen ... Unter dem Dach dessen, der sie der Hinneigung zur Treulosigkeit beschuldigt, der sie für unrettbar verloren erklärt hatte, durfte sie auch nicht eine Nacht mehr bleiben – man hatte so viel ehrverletzende Anklagen auf ihr Haupt gehäuft, und durch die perfide Handlungsweise des Hofpredigers war sie so vollkommen aller Beweismittel beraubt worden, daß sich nur eine in eigenen Ränken und Hinterlisten geübte Frauenseele der Situation gewachsen zeigen konnte – ihr, der durch ihre Seelenreinheit Hilflosen, blieb eben nur der Ausweg, zu den Geschwistern zu flüchten und in deren Hände ihre Verteidigung zu legen.

Sie schloß das Fenster und ließ das Rouleau nieder – da kamen plötzlich rasche Schritte durch das anstoßende Vorzimmer, und eine ungestüme Hand ergriff das Thürschloß, aber das blaue Boudoir war verschlossen ... Liane preßte beide Hände auf ihr wild schlagendes Herz – Mainau stand draußen und begehrte Einlaß ... Nein, um keinen Preis wollte sie ihm noch einmal gegenüberstehen. – Er hatte all und jedes Entgegenkommen ihrerseits verwirkt.

Mit hartem Finger klopfte er an die Thür. – »Juliane, öffne!« rief er gebieterisch.

Sie stand wie zu Stein erstarrt – auch nicht der leiseste Atemzug säuselte von den Lippen, nur die Augen glitten angstvoll am Kleide nieder, daß auch nicht das schwächste Rauschen einer Falte ihre Anwesenheit verrate.

Zweimal wiederholte er seinen Anruf, wobei er heftig an der Thür rüttelte; dann hörte sie ihn zurückschreiten und die große Ausgangsthür nach dem Säulengang öffnen – sie bemerkte, daß der Flügel nicht wieder geschlossen wurde; Mainau war offenbar in heftiger, zorniger Aufregung fortgestürmt.

Tief aufseufzend ging sie nach dem Ankleidezimmer zurück – warum weinte sie? – Sie schämte sich dieser Thränen. Gibt es auf Gottes weiter Erde etwas Inkonsequenteres, Rätselvolleres, als das Frauenherz? Drohte es nicht in diesem Augenblicke zu brechen in stummer Qual? Sie verbarg das Gesicht in den Händen, als könne ein höhnender Blick in die Wandlung ihrer Seele eindringen – mit dem Selbstbelügen war es vorbei. Wäre er jetzteingetreten, sie wäre wohl schwach genug gewesen, ihm zu sagen: »Ich gehe zwar, aber ich weiß, daß ich dich nie vergessen werde« ... Welcher Triumph für diesen dämonischen Charakter! Ihm widerstand also wirklich kein Weib. Selbst die Gemißhandelte, die er, in beleidigt reservierter Haltung und sich ernstlich gegen jede Annäherung ihrerseits verwahrend, dennoch neben sich gerissen, um seine Rache an einer anderen, immer noch Heißgeliebten zu kühlen – diese Frau, der er wohl seinen Namen, in Wirklichkeit aber nur die Stellung einer Gouvernante in seinem Hause zugestanden, selbst sie warf die Waffen des Stolzes, der mädchenhaften Würde von sich, um ihm zuzurufen: »Ich werde dich nie vergessen« ... Nein – Gott sei Dank, er war fort. Er sah diesen Sieg nicht – er erfuhr ihn nie. Ein harter, fremder Zug grub sich um ihre Lippen. Sie sah im Geiste die Apfelschimmel vor dem Portale des herzoglichen Schlosses halten; sie sah den kühnen Lenker im dunklen Mantel am Schlage stehen, und die höchstgestellte, stolzeste Frau des Landes, von seinem Arm gehalten, den Wagen verlassen – vielleicht war diese Heimfahrt entscheidend für beide gewesen – die junge Frau war jetzt verbittert und mißtrauisch genug, um zu vermuten, Mainau habe sie droben absichtlich und gegen seine Ueberzeugung der Treulosigkeit beschuldigt, um – die Trennung zu beschleunigen ... Ach Gott, wozu denn dieses schmerzliche Grübeln! – Liebe war es ja noch lange nicht, was sie empfand, ganz gewiß nicht – davor bewahrte sie denn doch – ihr Trachenbergischer Familienstolz – sie konnte sich nur des seltsam warmen Wunsches, seine Freundschaft zu besitzen, augenblicklich nicht erwehren; aber, war sie nur erst wieder daheim, da lernte sie rasch überwinden ...

Sie schloß den Schmuckkoffer auf und verglich noch einmal seinen Inhalt mit dem Verzeichnisse; ebenso überzählte sie die Geldrollen im Schreibtische – sie hatte nie eine derselben berührt. Sodann versiegelte sie die beiden Schlüssel in einem Kouvert, das sie an Mainau adressierte und auf dem Schreibtische liegen ließ. Die Gegenstände, die sie nicht von fremden Händen betastet wissen mochte, packte sie in einen kleinen Koffer; alles andere überließ sie zur Nachsendung der Kammerjungfer.

Während dieser Vorbereitungen waren nahezu zwei Stunden verstrichen. Sie hob das Rouleau im blauen Boudoir: es war sehr dunkel draußen geworden; der Schein der hinter ihr stehenden Lampe streckte sich über den Kiesplatz hin und zeigte große, trübe Wasserlachen in jener tummelnden Bewegung, wie sie leicht niederplätschernde Tropfen erregen – der Regen hatte nachgelassen, aber der Sturm kam eben wieder um die Ecke, so wild und johlend, als habe er sich in all den Höfen und Höfchen und offenen Säulengängen des ungeheuren Schlosses verirrt und brause nun, neu ausatmend und befreit, über die weiten Gärten hin.

Jetzt war es Zeit zu gehen. Liane vertauschte ihr helles Kleid mit einer dunklen Robe, warf einen schwarzen Samtmantel um und zog die Kapuze über den Kopf. Schmerzlich aufweinend trat sie in Leos Schlafzimmer und legte die Wange auf das Kissen, neben welchem sie bisher jeden Abend wachend und behütend gesessen, bis dem tief und behaglich hingeschmiegten wilden Lieblinge die glänzenden Augen im süßen Schlummer zugefallen waren. Er saß jetzt oben beim Großpapa und ahnte nicht, daß ihre Thränen auf sein Schlummerkissen fielen, daß sie, an der sein ganzes unbändiges Knabenherz vergötternd hing, in stürmischer Nacht das Schloß verlasse, um nie zurückzukehren.

Geräuschlos schob die Frau den Riegel an der Thür des blauen Boudoirs weg und trat hinaus, aber bestürzt und geblendet wich sie zurück – sie hatte gemeint in das tiefdunkle Vorzimmer zu treten, und da brannte nun die große Hängelampe am Plafond, und durch die weit zurückgeschlagenen Flügel der Hauptthür quoll das grelle Gaslicht des Säulenganges herein ... Sie setzte den Fuß nicht weiter – in atemlosen Schrecken stand sie da – von Licht überschüttet, hob sich ihr zartes bleiches Gesicht in feenhafter Lieblichkeit aus den schwarzen Samthüllen – aber der harte, fremde Zug, der sich vorhin um ihre Lippen geschlichen hatte, trat verschärft hervor, während die stahlfarbenen Augen, halb verwirrt, halb trotzig zurückweisend, seitwärts die Fensternische streiften, in welcher Mainau mit verschränkten Armen stand.

»Du hast mich lange warten lassen, Juliane,« sagte er ruhig, fast eintönig, als handle es sich um eine verabredete gemeinschaftliche Fahrt ins Konzert oder Theater. Dabei schritt er rasch nach der offenen Thür und schlug beide Flügel zu – es war klar, er hatte sie so weit geöffnet, um den Säulengang übersehen und so das Entweichen der jungen Frau auch vom Ankleidezimmer aus verhindern zu können.

»Du willst noch eine Promenade machen?« – Er sagte das, vor sie hintretend, mit dem an ihm gefürchteten Sarkasmus, in seinem Blicke aber glomm ein unheimlicher Funke.

»Wie du siehst,« versetzte sie kalt – sie bog seitwärts aus, um unbeirrt nach der Thür zu schreiten.

»Ein wunderlicher Einfall bei dem Wetter – hörst du, wie der Sturm heult? Er läßt dich nicht bis an das erste Rasenrundell des Gartens kommen; darauf verlasse dich! Die Wege schwimmen – ich warne dich, Juliane! ... Diese kleine Kaprice wird dir Schnupfen und Rheumatismus einbringen.«

»Wozu diese Komödie?« sagte sie stehenbleibend vollkommen gelassen. »Du weißt sehr gut, daß es sich nicht um ›eine kleine Laune‹ handelt – ich habe dir oben gesagt, daß ich gehe, und du siehst mich auf dem Wege.«

»Wirklich? Du willst so, wie du da bist, im Samtmantel und den Regenschirm in der Hand, bis – nach Rudisdorf promenieren?«

Sie lächelte schwach. »Nur bis zur Residenz – der Zug geht um zehn Uhr ab.«

»Ach so! Köstlich! Schönwerth hat die Ställe voll Pferde und in der Remise steht eine lange Reihe bequemer und hübscher Wagen. Aber die Frau Baronin zieht es vor, per pedes das Haus zu verlassen, weil –«

»In dem Momente, wo ich droben den Saal verließ mit dem Entschlusse, heute noch zu gehen, hörte ich auf, ein Familienmitglied des Hauses zu sein, und entäußerte mich selbst des Rechtes, hier noch etwas zu verfügen –«

»Weil es« – fuhr er unbeirrt und den Einwurf kalt belächelnd mit erhobener Stimme fort – »doch gar so herzerschütternd und todestraurig klingen würde, wenn man sich morgen früh in der Residenz erzählte: ›Die arme, junge Frau von Mainau! Man hat sie in Schönwerth dergestalt mißhandelt, daß sie in die Nacht hinaus geflohen ist; vom rasenden Sturme gegen die Stämme des Waldes geschleudert, ist sie bewußtlos am Wege des Waldes liegen geblieben, das bleiche Duldergesicht und die prachtvollen Goldflechten von Blut überrieselt‹« – er vertrat ihr den Weg; denn sie hatte, tief empört, mit einem Ausrufe des Unwillens eine rasche Bewegung gemacht.

»Bei einem so starken, gereiften Geiste, bei einer so gesunden, klaren Anschauung der Dinge, eine solch unglaubliche Naivität, Juliane!« fuhr er fort. Der Spott war wie weggewischt aus seinen Zügen, von seiner Stimme. »Du denkst wie ein Mann und handelst urplötzlich wie ein erschrecktes Kind. Wenn es gilt, die Wahrheit zu sagen oder anderen zu nützen, bist du heldenhaft und hast die scharfe Schneide eines Dolches in der Zunge – aber der Selbstverteidigung gehst du aus dem Wege, wie der Vogel Strauß, der den Kopf versteckt. – Du fühlst dich schuldlos und fliehst dennoch? ... Weißt du nicht, daß du mit diesem Schritte das Urteil der ganzen Welt gegen dich herausforderst? – Eine Frau, die bei Nacht und Nebel das Haus ihres Mannes allein, auf Nimmerwiederkehr verläßt, ist und bleibt – eine Entlaufene! Dies klingt stark und beleidigend für dein zartes Empfinden, nicht wahr! ... Allein ich kann es dir nicht ersparen.«

Er griff nach ihrer Hand, die bereits auf dem Thürgriff lag, aber ihre Finger umklammerten ihn fest – nur mit rauher Gewalt hätte er sie herabzureißen vermocht. Ein Ausdruck erschien plötzlich auf seinem Gesichte, so eigentümlich gespannt und dabei so wild zornig, daß sie erschrak – dennoch sagte sie gefaßt und gelassen: »Vergiß nicht, daß ich dir vor zwei Zeugen Lebewohl gesagt und dich von meinem Weggange unterrichtet habe – von einem ›Entlaufen‹ oder böswilligen Verlassen deines Hauses kann mithin nicht die Rede sein ... Und wenn die bösen Zungen über mich herfallen? Mögen sie es doch ... Mein Gott, welche Bedeutung hat denn meine Person für die Welt? Ich bin nicht eitel genug, um vorauszusetzen, sie werde sich andauernd mit mir beschäftigen – sie könnte es auch beim besten Willen nicht, denn ich verschwinde vom Schauplatze ... Und nun bitte ich dich, gib mir den Weg frei! Lebewohl sage ich dir noch einmal – wir sind beide nicht sentimental.«

»Nein – nur ich armer Gesell habe so ein dummes, störrisches Etwas in der Brust, das aufschreit ...« Er trat einen Schritt von der Thür weg. »Der Weg ist frei, Juliane – das heißt: er ist frei für uns beide. Du wirst doch nicht denken, daß ich dich allein vor den Richter treten lassen, der noch dazu Partei nimmt für die Klägerin? Du willst die Auseinandersetzung mit mir in die Hände deiner Geschwister legen – gut – ich will aber auch dabei sein ... Ich werde den Wagen bestellen, denn ich begleite dich – Ulrike, die Verständige, die Weise soll entscheiden.«

»Mainau, das wolltest du wagen?« rief sie erschreckt – bei der heftigen Bewegung, mit der sie emporfuhr, glitt der Capuchon von ihrem Kopfe; das halbgelöste Haar quoll wogend, in schweren, glänzenden Ringeln auf den schwarzen Samt – der Regenschirm fiel zu Boden. – Sie verschränkte die Hände und drückte sie gegen die Brust. »Es ist mir viel Weh zugefügt worden in deinem Hause, und dennoch möchte ich dich nie und nimmer vor Ulrikes streng richtenden Blicken stehen sehen, ich – ertrüge es nicht ... Was willst du antworten, wenn sie dich fragt, aus welchem Grunde du die Hand ihrer Schwester verlangt hast? Du wirst sagen müssen: ›Aus Rache gegen eine andere – ich habe die Verlobung mit der Gräfin Trachenberg einzig deshalb in Szene gesetzt, um angesichts des ganzen Hofes der Herzogin einen Dolch in die Brust zu stoßen.‹«

Er stand vor ihr mit aschbleichem Gesichte – langsam, mechanisch hob er die Rechte, um sie auf der Brust in den halb zugeknöpften Rock zu stecken – sein Schweigen und diese Haltung gaben ihm das Ansehen eines Mannes, der sehr gut weiß, daß er verloren ist, und mit gemachter Ruhe den Verlauf erwartet. – »Und wie dann weiter, Mainau?« fragte sie unerbittlich. »Du wirst fortfahren müssen: ›Darauf habe ich die unglückliche Statistin, die sich anstandshalber nicht so rasch wieder abschütteln ließ, mit Schmuck und kostbaren Stoffen beladen, in mein Haus geführt und ihr ein Verhaltungsprogramm aufgestellt, so ungefähr, wie man eine Uhr aufzieht und von ihr verlangt, daß sie auf der vorgeschriebenen Zeitbahn ihr einförmiges Ticktack pflichtschuldigst abarbeite ... Ich habe gewußt, daß die Seele meines Hauses ein alter, kranker, verbitterter Mann ist; ich habe gewußt, daß gerade ihm gegenüber das Festhalten an meiner Vorschrift eine Riesenaufgabe sein mußte, daß dazu eine beispiellose Selbstverleugnung, ein völliger Mangel an empfindlichen Nerven, an stolz aufwallendem Blut nötig sei – o, das verstand sich von selber bei der Puppe, die meinen Namen trug, an meinem Tisch aß und das Dach meines Schlosses über dem Haupte hatte.‹« – Sie verstummte – atemlos, die Lippen geöffnet, warf sie den Kopf in den Nacken, wie befreit von einer unglaublichen Last, wie erlöst von dem heißen Schmerz, der ihr viele Wochen lang die Kehle zugeschnürt, das Herz zusammengekrampft hatte.

»Bist du zu Ende, Juliane? Und willst du mir vergönnen, Ulriken zu antworten?« fragte er tonlos, mit einer unbeschreiblichen Sanftheit in der Stimme, vor welcher bisher die Damen »wie die Lämmer gezittert«.

»Noch nicht,« sagte die junge Frau hart – jetzt hatte sie genippt an der Rache; sie fühlte zum erstenmal, daß es süß sei, Wiedervergeltung zu üben, Kälte gegen Kälte, Verachtung gegen Mißachtung zu setzen – es riß sie hin, das berauschende Gift weiterzuschlürfen; sie ahnte nicht, daß gerade dieses heiße Rachegefühl auf eine andere tiefe, hoffnungslose Leidenschaft schließen ließ. – »Dieser arme Automat mit den ewig stickenden Händen und den Vokabeln auf den Lippen beging bei allem guten Willen dennoch eine Taktlosigkeit – er kürzte sein Debüt im Hause Mainau nicht rasch genug ab,« fuhr sie bitter fort. »Er verpaßte den richtigen Moment, wo er sich mit Anstand zurückziehen konnte, und da mußte er es sich gefallen lassen, daß man zu dem rauhesten Mittel, zu ehrverletzenden Anklagen griff, um – rasch mit ihm fertig zu werden.«

»Juliane!« – Er bog sich über ihr Gesicht und sah in die weit geöffneten Augen, die ihm in der unheimlichen Starrheit höchster Nervenaufregung begegneten. »Wie traurig, daß sich dein reiner Sinn in den Abgrund eines so häßlichen Mißtrauens verirren konnte! Aber ich bin schuld – ich ließ dich zu lange allein, und wenn ich alles vor Ulriken verantworten will, das kann ich nicht ... Juliane, sieh mich nicht so starr an!« bat er, ihre Hände gegen sich ziehend; »diese furchtbare Aufregung muß dich krank machen –«

»Darum lasse mich allein – du kannst keinen kranken Menschen sehen.« Sie entzog ihm ihre Hände – ihre Lippen zuckten in trotzigem Weh.

Er wandte sich entmutigt ab. Wohin er sich auch wenden mochte, sie hielt ihm grausam einen Spiegel vor, aus welchem ihm sein Charakterbild in häßlichen, unheimlich genauen Strichen entgegentrat; sie hatte jeden seiner herzlosen Aussprüche sorgsam notiert. Er konnte so glänzend Konversation machen; für ihn gab es keine Klippe, keine Kluft in der Gesellschaft – er schlug über alles die leichte Brücke des geißelnden Spottes, des funkelnden Witzes – und hier, im Konflikt mit einer ehrlichen, aber durch sein Verschulden herb gewordenen weiblichen Natur, litt er kläglich Schiffbruch, der brillante, weltgewandte Kavalier. Schweigend wollte er die Hand nach dem Klingelzug ausstrecken, um zu schellen, aber die junge Frau wußte es durch eine rasche Bewegung zu verhindern. »Thue das nicht, Mainau! Ich fahre nicht mit dir,« erklärte sie entschieden, mit finsterem Ernst. »Wozu den häßlichen Streit nach Rudisdorf tragen? Das dürfte ich schon meinem lieben, scheuen Magnus nicht anthun – er würde unter dem rauhen, lauten Konflikt schwer leiden. Und die Mama? ... Mit ihr habe ich einen harten Kampf zu bestehen, wenn ich zurückkehre – das verhehle ich mir nicht; aber ich will ihn doch tausendmal lieber allein auf mich nehmen, als dich dabei sehen. Sie wird sich sofort auf deine Seite stellen – in ihren Augen werde ich bis in alle Ewigkeit die Schuldige sein; du bist der gefeierte, vielbeneidete Kavalier, der Herr von Schönwerth, Wolkershausen etc. und ich bin das verarmte Mädchen, das kaum Anspruch auf eine Stiftspfründe hat – was liegt da näher, als daß ich nicht verstanden habe, mich in die Verhältnisse zu schicken und meine beneidenswerte Stellung würdig einzunehmen?« – welch ein bitteres, herzzerreißendes Lächeln flog um ihre Lippen! – »Aber aus eben diesen Gründen wird Mama auch alles aufbieten, die völlige Trennung zu verhindern, und dagegen verwahren wir uns doch beide –«

»In der That, Juliane?« – Er lachte zornig auf. – »Widerstrebt es mir nicht, da rauh und gebieterisch zu nehmen, wo man mir durchaus nicht geben will, da könnte ich allerdings nichts Besseres thun, als die Entscheidung in die Hände der Mama zu legen – so aber muß und soll Ulrike die höchste Instanz bleiben ... Ich werde nicht ein Jota von meiner großen Schuld leugnen. Ich werde ihr erzählen, wie die fürstliche Kokette mit mir gespielt, wie sie mich durch ihren Treubruch zu dem gemacht hat, was ich geworden bin – zum frivolen Spötter, zum gewissenlosen Frauenverächter, zu einem zerfahrenen, ruhelosen Flüchtling, den die ungesühnte tiefe Demütigung seines Mannesstolzes in den Taumel unwürdiger Genüsse gehetzt hat. Ulrike soll wissen, daß ich, wenn auch längst kein Funken von Neigung mehr für die Treulose hegend, dennoch unausgesetzt nach einer eklatanten Genugthuung gelechzt habe – vielleicht vermag sie besser als du sich in die Seele eines tiefgereizten und gekränkten Mannes zu versenken ... Ich werde ihr sagen: ›Es ist wahr, Ulrike, ich habe deine Schwester in der That heimgeführt, um die Herzogin zu züchtigen und meine Rache zu kühlen, aber auch, um der wahnsinnigen Leidenschaft dieser Frau für mich, die mich anwiderte, Schranken zu setzen.‹«

Er schwieg für einige Sekunden, als hoffe er auf ein ermutigendes Wort, aber die Lippen der jungen Frau bewegten sich nicht – sah es doch fast aus, als erstarre sie gegenüber diesen Enthüllungen.

»›Das junge Mädchen, das ich beim ersten Begegnen kaum mit einem halben Blicke angesehen, war mir gleichgültig,‹« fuhr er mit bewegter Stimme fort. »›Hätte ich damals den Eindruck der Schönheit, des Geistes empfangen – ich wäre sofort zurückgetreten – ich wollte keine innere Fessel wieder auf mich nehmen und suchte nur einen sanften, weiblichen Charakter mit dem Wunsche, daß er sich als repräsentierende Hausfrau, als geduldige Pflegerin des grilligen Onkels und meines Knaben in die gegebenen Verhältnisse hineinleben möge – ich war ein grausamer Egoist ... Der Reisetrieb erwachte aufs neue in mir – ich sehnte mich hinaus nach Abenteuern aller Art, auch nach denen mit – schönen, pikanten Frauen – ich war wie mit Blindheit geschlagen ... Die weiße Rose aus Rudisdorf zeigte mir allerdings schon am ersten Tage einen scharfen Dorn, der mich erschreckte – ich stieß auf einen unbändigen Stolz ... Aber sie war auch klug und mir an Geistesschärfe weit überlegen – sie verstand es, ihre körperliche Schönheit, ihren hochgebildeten Geist in die Nonnentracht der strengsten Zurückhaltung zu hüllen – es fiel ihr nicht ein, auch nur einen Finger zu rühren, um den Mann zu gewinnen, der sie verschmäht, mißachtet hatte ... Und so ging ich neben ihr, kalt, spöttisch, über sie hinwegsehend, und nur manchmal durch einen aufsprühenden Blitz erschreckt ... Ich müßte über den Humor der Nemesis lachen, wäre er nicht so entsetzlich bitter ... Ist es nicht kläglich, Ulrike, daß der Mann, der in unverzeihlichem Dünkel sagen konnte: ›Liebe kann ich ihr nicht geben‹ – nun das Knie vor deiner Schwester beugen und sie um Verzeihung bitten will? Ist es nicht jammervoll, daß er nun wirbt und fleht um das, was er zuerst schnöde und achtlos weggeworfen? ... Sie will mich verlassen – von gerechtem Mißtrauen gegen mich erfüllt, versteht sie mich absolut nicht. Ein anderes, geübteres Frauenauge hätte längst erkannt, wie es um mich steht, und milde verzeihend und schonend dem Frevler das schwere Eingeständnis seiner totalen Niederlage erspart – aber sie schreitet unbeirrt weiter, ohne zu erwägen, was sie dabei zertritt, und so bleibt mir nichts übrig, als in klaren Worten auszusprechen, daß ich – geistig und moralisch den Tod erleide, wenn Juliane von mir geht.‹«

Er war schon bei Beginn seiner Beichte einmal rasch nach dem Fenster zugeschritten – dort stand er noch – kein Blick war auf die junge Frau gefallen. Jetzt wandte er den Kopf nach ihr. Mit der Rechten die Augen bedeckend, tastete sie nach dem neben ihr stehenden Sessel – sie schien vor Bestürzung in sich zusammensinken zu wollen.

»Soll der Wagen vorfahren?« fragte er, näher an sie herantretend, mit entfärbten Lippen, in atemloser Spannung. »Oder hat Juliane mich gehört und will selbst entscheiden?«

Sie verschlang krampfhaft die Finger ineinander und ließ die Hände sinken – stürzte nicht die Decke auf sie nieder bei diesem jähen Umschwunge?

»Nur ein Ja oder Nein – mache der Qual ein Ende! – Du bleibst bei mir, Juliane?«

»Ja.« – Dieses »Ja« kam freilich wie ein zitternder Hauch von ihren Lippen und doch übte es eine wahrhaft berauschende Wirkung auf den Mann. Mit einem stummen Aufblicke, als werde die Marter einer tödlichen Angst von ihm genommen, hielt er die junge Frau in den Armen – dann löste er den Reisemantel von ihren Schultern und schleuderte ihn weithin auf den Boden.

Er küßte sie auf den Mund. »Das ist die Verlobung, Juliane – ich werbe um dich in tiefer, inniger Liebe,« sagte er feierlich ernst. »Nun mache aus mir, was du willst! Du sollst Zeit und Gelegenheit haben, dich zu prüfen, ob du mich dereinst auch wirst lieben lernen, die du jetzt nur in echt weiblicher Milde und Barmherzigkeit verzeihst ...Wer mir noch vor einem halben Jahre gesagt hätte, daß ein Frauencharakter mich bezwingen würde! ... Nun, Gott sei Dank, noch bin ich jung genug, um mein Lebensschiff zu wenden und glücklich zu werden! Sie, so wie ich deine schmiegsame Gestalt jetzt halte, wie sie mich nicht mehr zurückweist mit Händen und Augen, so hingebend bist du nun auch meine – Liane.«

Er führte sie in das blaue Boudoir. »Himmel, wie magisch!« rief er. Sein Blick flog über die glänzenden Wände, um dann wie trunken auf dem lieblichen Antlitze seiner jungen Frau zu ruhen. »Ist das wirklich das verhaßte Zimmer mit den penetranten, erstickenden Jasmindüften und den Polstern der Faulheit?«

Auf dem Tische brannte nur eine Lampe unter rotem Schleier – ein rosiger Schein färbte schwach die Atlasfalten, Mainau hatte früher dieses Zimmer ganz anders, ja feenhaft beleuchtet gesehen – Liane wußte von Leo, daß die Appartements der »ersten Mama« stets in einem Lichtermeer geschwommen hatten. Mit stürmisch klopfendem Herzen sagte sie sich, daß es nur die Morgenröte der neuen Glückseligkeit sei, die dem Mann an ihrer Seite plötzlich alles verkläre. War ihr doch auch, als flimmere es magisch um jeden weißen Azaleenkelch in der dunkelnden Fensternische, ja, als müsse ein Flüstern von dort ausgehen, ein seliges Flüstern der kleinen Blumenseelen, die sie, umstürmt von Kämpfen aller Art, dennoch treu gepflegt, und die nun ihr verschämt schweigendes Glück sehen konnten, besser als er, der sich noch ungeliebt glaubte.

»Und nun die einzige und letzte Frage bezüglich des Vergangenen, Liane!« sagte er, in leidenschaftlicher Bitte ihre Hände an seine Brust ziehend. »Du weißt nun, was mich vorhin droben im Salon so hart, so wahnwitzig ungerecht gegen dich gemacht hat; du weißt auch, daß ich in Wirklichkeit an eine Schuld deinerseits nie geglaubt – stünde ich sonst hier? ... Der vergiftende Hauch des verhaßten Schwarzrockes hat dich nicht berühren dürfen – darauf will ich schwören, und doch – ich kann nicht ruhig werden, Liane! ... Ich habe das Gefühl, als würde mir der Hals zugeschnürt, wenn ich mir, inmitten meines Glückstaumels, den rätselhaften Augenblick vergegenwärtige, wo ich dich mit erschrecktem Gesicht in der halben Dämmerung stehen sah und seine Stimme hörte, die dem Onkel Schweigen auferlegen wollte ... Was führte dich zu so ungewohnter Stunde in den halbdunklen Salon?«

Und sie erzählte ihm mit fliegenden Atem, aber klar und besonnen, alles. Sie beschrieb ihm, wie sie die Fälschung, die sie auf den Wink der Löhn hin vermutet, entdeckt hatte. Bei der Schilderung dieses abscheulichen Betruges, den er unfreiwillig jahrelang begünstigt, stand Mainau wie eine Bildsäule, keines Wortes mächtig – er war auf schamlose Weise düpiert worden; der intrigante Jesuit hatte ihn spielend am Gängelband geführt, und er hatte agieren müssen, wie es diesem schlauen Kopf beliebte. Und der arme Knabe, den jener Zettel kurz und bündig als Bastard von niedrigster Herkunft bezeichnet und verstoßen, er hatte unter dem furchtbarsten Druck, unter allseitiger Verachtung und Schmähung seine schönsten Kinderjahre hinschleppen müssen; er war getreten und in den Ecken herumgestoßen worden, in den Ecken des Schlosses, das dem Manne gehört, dessen einziges Kind er gewesen ... Liane meinte, das Knirschen der Zähne zu hören, ein so gewaltsam verbissener Grimm entstellte Mainaus Gesicht – es war aber auch ein allzu jähes Aufrütteln aus dem blindesten Glauben und Vertrauen.

Nun kam sie an jenen Moment, wo der Hofprediger Brief und Zettel in das Kaminfeuer geworfen. Schamhaft vermied sie, ihre Lippen mit der Wiederholung seiner leidenschaftlichen Bitten und Klagen zu beflecken; sie deutete kaum die Motive seiner verbrecherischen Handlungsweise an, und doch war es um Mainaus Selbstbeherrschung geschehen. Er stürmte wie ein Rasender um anstoßenden Salon auf und ab – dann kam er plötzlich herüber und zog die junge Frau in seine Arme. »Und ich ließ dich allein in den Klauen des Tigers, während ich jenes verachtete Weib schützend heimgeleitete!« klagte er.

Sie redete ihm sanft und beschwichtigend zu, und mit diesem Moment begann ihre Mission als Frau, als treue Gefährtin und Beraterin. Doppelt süß klang diese besänftigende Frauenstimme gerade in den Räumen, die einst Zeugen heftiger ehelicher Auftritte gewesen waren. Wie keusch zurückhaltend und doch wie mild stand diese zweite Frau unter dem blauatlassenen Wolkenhimmel, der auch auf jenes launenhafte, verzogene Wessen niedergesehen, wenn es bald wie eine kleine Katze geschmeidig zusammengerollt, nichts denkend und träumend, halbe Tage lang zwischen den Polstern geruht, bald als graziöser, schöner, aber bitterböser Engel umhergeflattert war, um Blumen unter dem kleinen Absatz zu zertreten, oder mißliebige weibliche Dienerschaft mit höchsteigenen, aristokratischen Händen zu züchtigen ... Das mochte wohl alles durch Mainaus Seele gleiten – er gab sich dem neuen Zauber überwältigt hin und wurde ruhiger.

»Vorhin noch hatte ich nur den Gedanken, dich und Leo sofort nach Wolkershausen zu bringen und dann hierher zurückzukehren, um Schönwerth für immer von dem unreinen Geist zu säubern,« sagte er – freilich diese Töne trugen noch die Spuren des inneren Kampfes mit der leidenschaftlichsten Erbitterung. – »Mir kocht das Blut, wenn ich mir denke, daß dieser Schurke beschützt und gehätschelt droben im Schlafzimmer des Onkels sitzt, während er doch ohne weiteres über die Schwelle, in Sturm und Nacht hinausgestoßen werden müßte ... Aber ich muß mir selbst sagen, es nützt nichts, wenn die rächende Faust des empörten ehrlichen Mannes in diese Fuchsgesellschaft niederfährt; sie stiebt auseinander, um sich im nächsten Augenblick erstickend über ihm zu schließen; er ist der Verlorene, und wenn ihm alle Gesetzbücher der Welt zur Seite stehen ... Sieh', mein holdes Weib, die erste eklatante Wirkung deines Einflusses – ich will mich mäßigen; aber diese Mäßigung soll dem Schwarzrock teuer zu stehen kommen. – Auge um Auge, Zahn um Zahn, mein Herr Hofprediger! Ich will auch einmal den Fuchskopf aufsetzen, um Onkel Gisberts willen, an dessen Kind ich mich schwer versündigt habe ... Der Onkel Hofmarschall ist mit dem Zettel genau so düpiert worden, wie ich – er, mit seinen klugen, scharfen Höflingsaugen, – darin liegt ein ganz klein wenig Trost für mich.« – Sein Glaube an die Rechtlichkeit des alten Mannes war unerschütterlich. Liane zitterte, denn in dem Augenblicke, wo er sich Gabriels annahm, fiel auch der Riegel vor Frau Löhns Lippen – welch schwere, bittere Enttäuschung stand ihm bevor! – »Wollte ich ihm aber den wahren Sachverhalt mitteilen, er würde mich einfach auslachen und die vollgültigsten Beweise fordern,« fuhr Mainau fort. »Nun werde ich die Sache umkehren ... Liane, so schwer es mir auch wird, wir müssen noch nebeneinander gehen wie bisher. Kannst du dich überwinden, morgen deine Hausfrauenpflichten wieder aufzunehmen, als sei nichts vorgefallen!«

»Ich will es versuchen – ich bin ja dein treuer Kamerad!«

»O nein! Mit der Kameradschaft ist's vorbei – der Pakt, den wir am ersten Tag geschlossen, ist längst null und nichtig, zerrissen, verweht in alle vier Winde. Unter guten Kameraden gilt eine gewisse Toleranz; aber ich bin ein merkwürdig mißgünstiger Gesell geworden – in dem Falle dulde und gestatte ich nicht. Selbst Leo gegenüber kämpfe ich mit feindseligen Regungen, wenn er so selbstverständlich ›meine Mama‹ sagt, und die Namen ›Magnus‹ und ›Ulrike‹ kann ich von deinen Lippen nicht hören, ohne den häßlichsten Neid zu fühlen – ich glaube, ich kann ihnen nie gut werden, diesen Namen ... Uebrigens sei ohne Sorge – ich wache über dich, wie es dein Schutzgeist nicht besser vermöchte; nicht auf Sekunden werde ich dich verlassen, bis die Luft rein ist von dem Raubvogel, der über meinem schlanken Reh kreist.«

Die Dienerschaft, die ihm wenige Minuten darauf in den Gängen des Schlosses begegnete, ahnte nicht, daß auf seinen streng geschlossenen Lippen die Verlobungsküsse fortbrannten, und daß eben die bemitleidete zweite Frau zur Herrscherin über »alles was sein« geworden war ... Und als der Hofprediger eine halbe Stunde später trotz Sturmestoben und Regen das Schloß umkreiste, da sah er Mainaus Schatten im hellerleuchteten Arbeitszimmer auf und ab wandeln, und drunten im Salon saß die junge Frau am Schreibtische – diese zwei Menschen hatten also nicht das Bedürfnis nach gegenseitigem Aussprechen gehabt – der Herr Hofprediger, der wie ein scheues, aber beharrlich lauerndes Raubtier mit heißem Blicke immer wieder das rotgoldene Haargewoge hinter dem leichtklaffenden Fensterladen suchte, er behielt das Heft in der Hand.

22.

Der Sturm, der sich gestern im Verlaufe des Abends zum Orkan gesteigert, hatte bis nach Mitternacht fortgetobt. Von den Schloßleuten waren nur wenige zu Bett gegangen. Man hatte selbst den schweren Mosaikdächern des Schlosses nicht getraut und gefürchtet, der heulende Wüterich werde sie herabstoßen – kein Wunder, daß da das schwache Bambusdach des indischen Hauses in Stücke zerpflückt worden war.

Nun breitete sich der Morgenhimmel so schuldlos klar und glänzend über die gemißhandelte Erde, und die zerzausten Bäume standen beruhigt und kerzengerade; sie verschmerzten die entrissenen Aeste, die abgeschüttelten, alten, weithin verstreuten Vogelnester, die sie treulich geschirmt, und ließen versöhnend ihre Blätter mit dem schmeichelnden Windhauche spielen, zu welchem sich der Unhold gesänftigt hatte ... In der Schloßküche aber standen die Leute zusammen und erzählten sich, die Löhn sähe aus wie ein Gespenst – selbst diesem derben Weibe, das sich doch durch nichts in der Welt aus der Fassung bringen ließe, sei der Spuk zu toll geworden; sie habe die Nacht hindurch in dem indischen Hause gewacht, da sei ihr das Dach buchstäblich über dem Kopfe weggerissen worden; die Sterne am Himmel hätten durch große Löcher in der Zimmerdecke hereingesehen, und das sei bis zum anbrechenden Morgen die einzige Beleuchtung gewesen, denn der Sturm habe keine Lichtflamme aufkommen lassen. Und nun könne man den angerichteten Schaden nicht einmal ausbessern, denn das gäbe Lärm, und – die Inderin läge ja im Sterben ... Die Strenggläubigen des Hauses meinten, da brauche man sich freilich über das unerhörte Toben und Stürmen nicht mehr zu verwundern – wenn solch eine ungetaufte Seele »geholt« werde, da gebe es immer Kampf.

Liane hatte auch bis gegen Morgen gewacht. Der Sturm hätte sie wohl schlafen lassen, aber durch ihre Seele war es wie ein Fieber gegangen – es war doch eine nicht zu beschreibende Glückseligkeit, sich so geliebt zu wissen ... Wie schnell hatte sie den kleinen Koffer wieder ausgepackt und jeden Gegenstand an seinen Platz zurückgelegt, den er fortan behaupten sollte, wie die zweite Frau den ihrigen am Herzen des teuren Mannes! Ebenso waren die beiden Schlüssel eiligst ihrer Haft entlassen und das an Mainau adressierte Kouvert verbrannt worden – es sollte niemand mehr auch nur ahnen, daß sie bereits auf der Flucht gewesen ... Dann hatte sie an Ulrike geschrieben, mit fliegender Feder alle Stadien ihrer Leiden und Anfechtungen durchlaufend, bis – zum glückseligen Ausgange.

Der darauffolgende Schlaf in den Morgenstunden hatte sie unbeschreiblich erquickt, und als die Jungfer die Vorhänge auseinanderschlug und die Fensterflügel öffnete, da meinte die junge Frau, der Himmel habe noch nie in solch kristallenem Blau über ihrem Leben gestanden, die Morgenluft nie so balsamisch ihr Gesicht umschmeichelt, selbst nicht in Rudisdorf, wo sie die frühen Tagesstunden stets allein mit den teuren Geschwistern verbracht hatte ... Mit Vorbedacht legte sie ein veilchenfarbenes Kleid an, von welchem Ulrike gesagt, daß es ihr gut stehe – o, sie war kokett geworden. Sie wollte Mainau gefallen.

Wie gewöhnlich Leo an der Hand führend, trat sie in den Frühstückssaal. Sie wußte, daß ihr gehässige Demütigungen von seiten des Hofmarschalls bevorstanden, denn sie hatte ihm gestern verachtend den Rücken gewendet, und nun kam sie, ihm seine Morgenschokolade zu kredenzen. Es galt, die Zähen zusammenzubeißen und einen gewissen stoischen Mut herauszukehren ... Wie der Hofprediger gestern Abend im Schlafzimmer des alten Herrn die Karten gemischt, um sich selbst aus der Affaire zu ziehen, das war ihr freilich dunkel. Hanna hatte ihr in der neunten Stunde Leo gebracht – er war ja bis dahin auch im Schlafzimmer des Großpapa gewesen; aber aus allem, was er plauderte, mußte sie schließen, daß es keineswegs laut und leidenschaftlich zwischen den beiden Herren zugegangen war; ja, sie hatten sogar Schach gespielt.

Beim Eintritte in den Saal mußte sie an den ersten Morgen denken, den sie in Schönwerth verlebt. Der Hofmarschall saß am Kaminfeuer, und Frau Löhn, die allem Anscheine nach eben erst eingetreten, stand einige Schritte von ihm entfernt. Ohne die ungeschlachte Verbeugung der Beschließerin zu beachten, stemmte er beide Hände auf die Armlehnen seines Stuhles, und den Oberkörper ein wenig emporhebend, bog er sich blinzelnd vor, als traue er seinen Augen nicht.

»Ei, da sind Sie ja, meine Gnädigste!« rief er. »Dachte ich mir doch gleich, als Sie uns gestern Abend so – so brüsk verließen und Ihren längst beabsichtigten Besuch in der Heimat zu einer so ungewöhnlichen Zeit antreten wollten, daß Sie sich bei kälterem Blute denn doch anders besinnen würden ... Freilich, bei dem Sturme aber auch! Und dann haben Sie sich doch wohl auch ein wenig überlegt, daß ein solch plötzliches freiwilliges Verlassen unseres Hauses bei einer etwaigen gerichtlichen Entscheidung schwer in die Wagschale fallen und – die Abfindungssumme bedeutend schmälern dürfte – klug genug sind Sie ja, kleine Frau.«

Sie war im Begriffe, wieder hinauszugehen; sie fühlte sich der Aufgabe nicht gewachsen. Wo war Mainau? Er hatte ihr versprochen, sie nie allein zu lassen ... Leo bemerkte erstaunt ihr Zögern – das Kind begriff ja noch nicht, welche Beleidigungen der Mama als Morgengruß in das Gesicht geworfen wurden. Mit seinen beiden kräftigen Händchen ihre Rechte umklammernd, zog er sie lachend tiefer in den Saal herein.

»Recht so, mein Junge!« lachte auch der Hofmarschall heiter auf. »Führe die Mama zum Frühstückstische und bitte für den Großpapa um eine Tasse Schokolade. Er nimmt sie ja doch am liebsten aus ihren Händen, und sollten auch diese schönen Hände einen leichten Duft von – verbranntem Papier ausströmen ... Na, Löhn,« wandte er sich rasch an die Beschließerin, als wolle er jede Replik auf den Lippen der gemarterten jungen Frau verhindern – »ist's wahr? Der Sturm soll ja in dieser Nacht das Dach des indischen Hauses zertrümmert haben?«

»Ja, gnädiger Herr – wie es geht und steht, hat er's weggefegt.«

»Auch der Plafond ist beschädigt?«

»Voller Löcher – ein Regen darf nicht kommen.«

»Sehr fatal! ... Aber erneuert oder ausgebessert wird im indischen Garten absolut nichts – je früher diese Spielerei zerfällt, desto besser! ... Sorgen Sie dafür, daß die Kranke in den kleinen, runden Pavillon gebracht wird –«

Liane sah bei diesem Befehle nach der Beschließerin – die Leute hatten recht, »das derbe Weib« sah aus wie ein Gespenst. Dem feinen Ohre der jungen Frau entging es nicht, daß sie die Antwort nur so kurz und rauh herauspolterte, um ein Brechen der Stimme zu verhindern.

»Ist nicht vonnöten, gnädiger Herr – die Frau geht von selber,« antwortete sie auf den Befehl hin, mit einer eigentümlichen Starrheit im Blicke.

»Wie – was! Sind Sie toll?« fuhr der Hofmarschall herum – zum erstenmal sah Liane dieses greisenhafte Gesicht in tiefer, dunkler Röte aufflammen. »Dummheit! Wollen Sie mir weismachen, daß sie sich je wieder erheben, oder gar – ihre gelähmte Zunge zu gebrauchen imstande sein würde!«

»Nein, gnädiger Herr, was tot ist, das ist und bleibt tot, und – das übrige, das löscht heute auch noch aus, ehe die Sonne untergeht.« Die Frau sagte das eintönig, und doch klang es erschütternd, herzzerschneidend.

Der Hofmarschall wandte den Kopf weg und sah in die Kaminflammen. »So – ist's so weit?« warf er mit gepreßter Stimme hin.

Liane stellte die Schokoladentasse, die sie ihm eben reichen wollte, wieder auf den Tisch – sie konnte sich nicht überwinden, sich jetzt dem Gesichte des mörderischen Mannes zu nähern, das wiederholt so sonderbar lechzend die Lippen öffnete und dann einen Moment völlig geistesabwesend niederstarrte auf die gekrümmten, krankhaft gebleichten Finger, die den Krückstock umklammerten ... Richtete sich die zertretene Lotosblume vor ihrem gänzlichen Auslöschen doch noch einmal von ihrem Marterroste auf, anklagend auf die blauen Streifen an ihrem zarten Halse deutend? ... Er sah plötzlich auf, als fühle er die Augen der jungen Frau auf sich ruhen – sein Blick verschärfte sich sofort. »Nun, meine Gnädigste, Sie sehen, ich warte auf meine Schokolade – warum haben Sie sie denn wieder weggestellt? Vielleicht weil ich ein klein wenig nachdenklich ausgesehen? ... Ah bah – mir war nur so, als gucke dort aus der Asche in der Kaminecke ein kleiner rosenfarbener Rest.«

Es war schrecklich! Aber jetzt wurde die junge Frau erlöst – sie hörte Mainau kommen. Er trat rasch ein – welch ein Unterschied zwischen heute und jenem ersten Morgen! Sein Blick streifte nicht über sie hinweg, wie damals. Alle Vorsicht vergessend, ruhte dieser feurige Blick auf ihrem Gesichte, als könne er sich nicht losreißen ... Der alte, kranke Mann in seinem Lehnstuhle bemerkte das nicht; er saß mit dem Rücken nach der Thür – aber Frau Löhn sah plötzlich ganz bestürzt aus; sie strich aus allen Kräften mit ihren rauhen Händen über die steife, rauschende Schürze und schlug die Augen zu Boden.

»Du schon hier, Juliane?« fragte Mainau leichthin – er sah nach seiner Uhr, als meinte er, sich in der Zeit geirrt zu haben. »Hier – weshalb ich abgerufen wurde, Onkel,« wandte er sich an den Hofmarschall und reichte ihm eine Karte hin. »Ein reitender Bote der Herzogin ist drunten und hat die Einladung zum Hofkonzert für heute abend gebracht ... Die Herzogin sprach schon gestern davon, daß ihre Lieblingsprimadonna die Residenz passieren werde, und sich bereit erklärt habe, bei Hofe zu singen. Nun ist sie einen Tag früher eingetroffen und reist morgen weiter – daher diese rasche Improvisation – nimmst du an?«

»Ei, das versteht sich! Habe lange genug in diesem einsamen Schönwerth hocken und verkümmern müssen. Du weißt auch, daß ich stets zur Stelle bin, wenn mein Hof befiehlt und sollte ich mich auf allen vieren hinschleppen.«

Mainau öffnete ironisch lächelnd die Thür und gab dem draußen harrenden Lakai den Bescheid.

»Mir kommt diese Zerstreuung sehr gelegen,« setzte der Hofmarschall hinzu. »Die Verwüstung, die der Sturm diese Nacht in den Gärten angerichtet hat, verstimmt mich – dazu kommen noch allerlei unerquickliche Dinge ... Da, die Löhn« – er zeigte, ohne hinüberzusehen, mit dem Daumen über die Schulter weg nach der Beschließerin – »zeigt mir eben an, daß es mit ›der‹ im indischen Hause heute noch zu Ende gehen wird ... Ich alteriere mich immer, wenn ich eine – eine Leiche auf meinem Grund und Boden weiß; deshalb habe ich auch vor zwei Jahren den verunglückten Hausburschen sofort in die Leichenhalle der Stadt schaffen lassen – wie machen wir das nun im dem Falle?«

»Ich muß dir sagen, Onkel – das klingt abscheulich! Das empört mir jeden Blutstropfen,« sagte Mainau entrüstet. »Wie kannst du über einen Menschen, der noch atmet, in einer solchen Weise verhandeln? ... Haben Sie nicht sofort zum Arzt geschickt, Frau Löhn?« wandte er sich mit sanfterer Stimme zur Beschließerin.

»Nein, gnädiger Herr – wozu denn auch? Er kann ihr nicht mehr helfen und martert sie nur mit seinen Kunststückchen ... Ich sage, von ihrer Seele ist schon nichts mehr auf der Erde, sonst würde sie nicht mit so stillen, starren Augen vor sich hinsehen, wenn der Gabriel so entsetzlich weint und jammert –«

»Hören Sie mir auf mit dieser larmoyanten Tonart, Löhn!« rief der Hofmarschall tief erbittert. »Wenn Sie wüßten, wie Ihrer groben Stimme das Gewinsel ansteht, da hielten Sie Ihren Mund. Ob sich dir nun jeder Blutstropfen empört oder nicht, Raoul, darauf kann ich nicht die mindeste Rücksicht nehmen,« sagte er in steigender Erregung zu Mainau. »In einem solchen Falle bin ich mir selbst der Nächste – meine Aversion läßt sich nicht beschreiben. – Mir graut vor jedem Atemzuge Luft, den ich einschlucken muß in solcher Umgebung ... Du sollst sehen, daß ich ein todkranker Mensch werde, wenn du nicht nach eingetretener Katastrophe sofort dafür sorgst, daß die Ueberreste dahin geschafft werden, wo sie für immer bleiben sollen – nach dem Stadtkirchhofe.«

Liane begriff seine Angst, das namenlose Grauen, das so wahr aus der Stimme, aus dem nervösen Schütteln des Körpers sprach. Er hatte die gemarterte Seele des unglücklichen Weibes nicht gefürchtet, solange der schwer verletzte Körper sie niederhielt – nun sollte sie befreit aufflattern und, wie der Volksglaube annimmt, über dem verlassenen Leichnam frohlockend kreisen, bis die Erde ihn deckte – nur das nicht auf »seinem Grund und Boden!«

»Die Frau wird in der Gruft unter dem Obelisken schlafen,« sagte Mainau mit ernstem Nachdruck. »Onkel Gisbert hat sie ihrer Heimat entrissen, und sie ist die einzige Frau gewesen, die er geliebt hat – sie gehört von Rechts wegen an seine Seite; und damit sei diesen herzlosen Erörterungen ein Ende gemacht!«

»Sie gehört von Rechts wegen an seine Seite?« wiederholte der Hofmarschall unter einem heiseren Auflachen. »Wage es, Raoul, und du sollst mich kennen lernen ... Ich – hasse dieses Weib bis in den Tod. Sie darf nicht an seine Seite, und sollte ich mich dazwischen betten.«

Was war das? ... Mainau sah bestürzt mit großen Augen nach diesem Greise, von dem er gesagt hatte: »Der Onkel ist geizig; er ist vom Hochmutsteufel besessen; er hat seine kleinen Bosheiten, aber einen besonnenen Kopf, eine kühle Natur, an die nie Verirrungen schlimmer Leidenschaften herantreten durften« ... Was war es denn anderes, als lange verhaltene, wahnwitzige Leidenschaft, die aus diesen wild protestierenden Gebärden, diesen fieberlodernden Augen so abschreckend jäh hervorbrach?

De Hofmarschall erhob sich und ging ziemlich raschen sicheren Schrittes nach dem nächsten Fenster. Er kam dicht an Frau Löhn vorüber und streifte fast diese seine heimliche, aber unerbittliche Feindin – allein seine Augen strebten vorwärts, ins Leere; er sah nicht, daß dieses starre, eingerostete Dienstbotengesicht auch Geist haben konnte, einen unheimlichen Geist, der dem hochgeborenen Herrn Hofmarschall auf der Ferse folgte und bedeutungsvoll auf jede seiner Fußspuren hinwies.

Der Morgenwind blies durch das halboffene Fenster herein und hob dem alten Manne das sorgfältig geordnete greise Haar auf der Stirn; aber er, der sonst jedem Luftzuge wie seinem tödlichsten Feinde auswich, er fühlte das nicht.

»Ich begreife dich nicht, Raoul,« sagte er, schwer mit seiner Aufregung kämpfend, vom Fenster herüber. »Willst du meinen Bruder in der Gruft noch beschimpfen?«

»Hat er es nicht für einen Schimpf gehalten, das Hindumädchen an sein Herz zu nehmen und ihr eine abgöttische Liebe zu weihen, so« – der Hofmarschall lachte gellend auf. »Onkel!« rief Mainau und wies ihn mit finster gerunzelten Brauen in die Schranken der Selbstbeherrschung. »Ich bin nur ein einziges Mal zu jener Zeit in Schönwerth gewesen; aber ich weiß, daß mir damals die Erzählungen der Schloßleute das Herz fieberisch klopfen gemacht haben. Ein Mann, der den Gegenstand seiner Leidenschaft mit solch angstvoller Zärtlichkeit hütet« – er verstummte unwillkürlich vor der Flamme, die drohend aus den sonst so kühl und scharf blickenden Augen des Hofmarschalls brach. Er ahnte ja nicht, an was er da mit unvorsichtiger Hand rühre. Die verführerische Hülle der unglückseligen Lotosblume lag drüben »mit stillen, starren Augen«, um zu sterben, in Staub zu zerfallen, und der Mann, der sie einst mit angstvoller Zärtlichkeit auf seinen Armen durch die Gärten getragen, damit kein Kiesel ihre wunderfeine Sohle drücke, er schlief längst unter dem Obelisken – und dennoch überwältigte eine rasende Eifersucht den Verschmähten dort; er gönnte dem toten Bruder bis heute nicht, daß das glühend begehrte Weib sein eigen gewesen ...

»Diese ›angstvolle Zärtlichkeit‹ war glücklicherweise nicht von Dauer,« sagte er heiser. »Der gute Gisbert ist noch rechtzeitig zur Vernunft gekommen; er hat die ›berühmte Lotosblume‹ als – eine Unwürdige verstoßen.«

»Dafür fehlten mir die vollgültigen Beweise, Onkel –«

Als quelle die Windsbraut von gestern durch das Fenster und treibe die verdorrte, gebrechliche Höflingsgestalt vor sich her, so plötzlich verließ der Hofmarschall den Fensterbogen und stand vor seinem Neffen.

»Die vollgültigen Beweise, Raoul? Sie liegen drüben im weißen Saale im Raritätenkasten, der gestern leider das Opfer einer Attacke gewesen ist. Ich werde dir doch wahrhaftig nicht wiederholen sollen, daß du Onkel Gisberts fest und unwiderruflich ausgesprochenen letzten Wunsch und Willen gestern nachmittag erst prüfend in den Händen gehabt hast?«

»Ist jener Zettel das einzige Dokument, auf welches du dich stützest?« fragte Mainau kurz und rauh – der impertinente Ausfall gegen Liane hatte ihm das Blut in die Wangen getrieben.

»Das einzige allerdings – Raoul, wie kommst du mir vor? Was soll noch gelten auf Erden, wenn nicht die eigenhändige Niederschrift des Sterbenden?«

»Hast du ihn schreiben sehen, Onkel?«

»Nein – das nicht – ich war selbst krank. Aber ich kann dir einen Zeugen beibringen, der es mit gutem Gewissen beschwören wird, daß er Buchstaben für Buchstaben hat niederschreiben sehen – schade, daß er vor einer Stunde nach der Stadt zurückgefahren ist. Du hast dich zwar in neuester Zeit seltsam zu unserem Hofprediger gestellt –«

Mainau lachte fast heiter auf. »Lieber Onkel, diesen klassischen Zeugen verwerfe ich hier und vor dem Gesetze. Zugleich erkläre ich die Wirksamkeit jenes sogenannten Dokumentes für null und nichtig und außer aller Kraft. O ja, ich glaube, daß der Herr Hofprediger bereit ist, zu schwören – er schwört bei seiner Seelen Seligkeit, daß er dem Sterbenden die Feder eingetaucht hat – warum denn nicht? Den Herren Jesuiten ist ja ein Schleichpförtchen in den Himmel garantiert, wenn sie das große Entree der Seligen allzusehr verwirken sollten ... Ich muß mich selbst anklagen, gehandelt zu haben, wie ein Mann von Gewissen nicht handeln soll. Ich war nicht zugegen, als der Onkel gestorben ist – als Miterbe seiner reichen Hinterlassenschaft mußte ich doppelt vorsichtig sein und durfte nicht Anordnungen sanktionieren, lediglich gestützt auf ein kleines Stück Papier, das kein gerichtlicher Zeuge beglaubigt. In einem solchen Falle soll und darf man sich nur an den klaren Wegweiser des Gesetzes halten.«

»Gut, mein Freund,« nickte der Hofmarschall – er war unheimlich ruhig geworden. Den Krückstock vor sich auf das Parkett stemmend, stützte er beide Hände darauf und ließ seine kleinen, funkelnden Augen über das schöne Gesicht des Neffen hinspielen. »Nun bezeichne mir aber auch das Gesetz, unter dessen Schutze die Frau im indischen Hause steht. Sie ist vogelfrei, denn sie war nicht meines Bruders eheliches Weib ... Wenn wir uns also an ›den klaren Wegweiser‹ halten wollten, dann hatten wir das Recht, sie sofort über die Schwelle zu stoßen, denn es existierte kein gerichtlich beglaubigtes Testament, das ihr auch nur einen Bissen Brot oder ein Nachtlager auf Schönwerther Grund und Boden zusicherte. Haben wir in dem Punkt nicht nach dem eisernen Gesetze gefragt, so sind wir in dem anderen Falle auch davon entbunden.«

»Onkel, soll das Logik sein? Also weil wir nicht teuflisch erbarmungslos gewesen sind, darum steht uns nun das gute Recht zu, nach einer unverbürgten letztwilligen Verfügung zu handeln, die eine grausame ist? ... Gesetzt aber, Onkel Gisbert habe in der That das Dokument verfaßt und geschrieben und die Frau verstoßen, weil Gabriel nicht sein Kind gewesen, was, frage ich, gab ihm dann die Befugnis, über das Schicksal des ihm völlig fernstehenden Knaben aus eigener Machtvollkommenheit zu entscheiden? ... Ich war noch ein junger, unbesonnener Kopf, als Onkel Gisbert starb. Was frug ich damals nach Gesetz und gründlicher Prüfung! – Mit genügte deine Mitteilung, daß die Indierin eine Treulose gewesen, um mich toll und blind zu machen, denn ich hatte den Onkel innig geliebt ... Nur das entschuldigt mich einigermaßen. Später bestärkte mich der Knabe durch seine sklavische Fügsamkeit in dem festen Glauben, daß er keinen Tropfen des herrischen, stolzen Blutes der Mainaus in seinen Adern habe – ich stieß ihn wie einen Hund mit dem Fuß aus meinem Wege und habe die Verfügung, daß er Mönch werde, als vortrefflich passend, stets gebilligt – das widerrufe ich hiermit als einen beklagenswerten Irrtum meinerseits.«

Auf diese letzten feierlichen Worte folgte eine sekundenlange, atemlose Stille. Selbst Leo mochte instinktmäßig fühlen, daß im nächsten Augenblicke ein Riß durch das Haus Mainau gehen werde – er bog, seitwärts an die junge Frau geschmiegt, den Kopf vor und sah mit weitoffenen, ängstlichen Augen in das tiefernste Gesicht seines Vaters.

»Willst du die Güte haben, dich deutlicher auszusprechen? Du weißt, mein Kopf ist alt; er faßt nicht mehr rasch; am wenigsten aber das, was nach modernem Umsturze aussieht,« sagte der Hofmarschall. Seine hagere Gestalt streckte sich steif und fremd, in einer Art von eisiger Unnahbarkeit – in diesem Moment bedurfte er des stützenden Stockes nicht; die Spannung hielt ihn aufrecht.

»Mit Vergnügen, lieber Onkel. Ich sage kurz und bündig: Gabriel wird nicht Mönch, nicht Missionär.« Er hielt inne und trat rasch auf die Beschließern zu: diese robuste, vierschrötige Gestalt wankte und taumelte plötzlich, als erliege sie einem Schlaganfalle. Liane hatte bereits ihren Arm stützend um sie gelegt und führte sie zu einem Stuhl.

»Ist Ihnen übel, Frau Löhn?« fragte Mainau, sich besorgt über sie beugend.

»I Gott bewahre, gnädiger Herr – in meinem ganzen, langen Leben ist mir nicht so wohl gewesen,« murmelte sie halb lachend, halb weinend. »Es flimmerte mir nur so vor den Augen, und ich dacht in meinem dummen Kopfe, der Himmel müßte einfallen ... O du mein Herr und Vater droben!« seufzte sie aus tiefster Brust und bedeckte das dunkelrot gewordene Gesicht mit der Schürze.

Der Hofmarschall warf ihr einen stechenden Blick zu. Bei aller Aufregung, die in ihm tobte, verwand er es nicht, daß diese Untergebene in seiner Gegenwart saß, und nach ihrer Erklärung, daß ihr wohl sei, nicht sofort wieder aufstand.

»Also Gabriel wird nicht Mönch, nicht Missionär?« fragte er höhnisch, indem er den Kopf wegwandte, um die Taktlosigkeit der Beschließerin nicht mehr zu sehen. »Darf man fragen, welche hohe Bestimmung du für dieses kostbare Menschenexemplar im Auge hast?«

»Onkel, der Ton verfängt nicht mehr bei mir. Ich bin so lange so schwach gewesen, diesen ›guten Ton‹ zu fürchten – ich habe mich auf den herzlosen Spötter gespielt, um nur ja nicht als ›Gefühlsmensch‹ dem Fluch der Lächerlichkeit zu verfallen. Aber ich zerschneide das Tischtuch zwischen mir und denjenigen meiner Standesgenossen, unter denen dieser Ton fortlebt ... Ich bin fest davon überzeugt, daß Gabriel mein Vetter ist. Willst du als erster Erbe seines Vaters nicht einen Teil der unermeßlichen Hinterlassenschaft herausgeben – wohl, es kann dich niemand zwingen, denn Gabriel ist kein legitimes Kind ... Ich aber halte mich hier nicht an den ›klaren Wegweiser‹ der weltlichen Gerechtigkeit, sondern an den meines Rechtsgefühles und werde dem Knaben den Namen seines Vaters und die Mittel zu einer standesgemäßen Stellung geben, indem ich ihn adoptiere.«

Der Riß war geschehen, auch hier das Tischtuch zerschnitten. Aber der gewiegte Höfling, der bei bedrohlichen Disputen sehr bissig werden konnte, um das Heft in die Hand zu bekommen, er hatte gelernt, einer vollendeten Thatsache äußerlich völlig gefaßt gegenüberzustehen.

»Hier lassen sich nur zwei Momente denken,« sagte er kalt und schneidend. »Entweder du bist krank,« – er griff mit einer beleidigenden Gebärde nach der Stirn, – »oder du bist, was ich längst geahnt, rettungslos in die Schlingen der roten Flechten dort gefallen; ich glaube das letztere – zu deinem Unheil. Wehe dir, Raoul! Ich kenne diese Frauengattung auch – gottlob, sie ist selten! Von dem brennenden Haar und der weißen Haut geht ein Phosphorlicht aus, wie von Nixenleibern; sie fachen mit kühlem Atem Flammen an, ohne sie zu löschen ... Geist, aber keine Inbrunst der Seele – blendende Floskeln auf den Lippen, aber nie den holden Wahnsinn der Liebe, die leidenschaftliche Hingebung des Weibes im Herzen! Du wirst schon auf Erden im Fegfeuer brennen – denke an mich! ... Sie, wie du blaß wirst –«

»Das glaube ich – das Blut stockt mir vor Bestürzung über deine Sprache! Mein Ohr ist allerdings nicht allzu diffizil – leider – aber hier trifft mich jedes deiner Worte wie ein Schlag in das Gesicht ... Muß ich dich an dein weißes Haar erinnern?«

»Bemühe dich nicht – ich weiß sehr wohl, was ich thue und sage. – Ich habe dich gewarnt vor der Stiefmutter meines Enkels. Und nun nimm sie an dein Herz, das nie Verständnis für mein inbrünstig frommes, mein inbrünstig liebendes Kind, meine Valerie gehabt hat! ... Bezüglich deines neuen Protegé – ich meine den Burschen im indischen Hause – verliere ich kein Wort – das ist Sache der Kirche. Leib und Seele des Knaben sind ihr spezielles Eigentum – sie wird dir zu antworten wissen, wenn du es wagen solltest, ihn zu reklamieren. Preis und Ehre dem Herrn, dem sie dient! Mit seiner Hilfe hat sie noch stets die Widerspenstigen zu ihren Füßen niedergezwungen, die einzelnen sowohl, wie die Nationen – du verlierst das Spiel, wie alle, die sie jetzt anfeinden und ihre Diener zu Märtyrern machen – schließlich bleiben wir oben!«

Er wandte Mainau den Rücken, um zu gehen, aber den Krückstock auf den Boden stampfend, blieb er schon nach dem ersten Schritt stehen.

»Na, Löhn, haben Sie sich noch immer nicht genugsam ausgeruht? Es sitzt sich wohl recht schön auf den seidenbezogenen Stühlen der Herrschaft?« schalt er.

Die Beschließerin, die in unbeschreiblicher Spannung und völliger Selbstvergessenheit dem Verlaufe der heftigen Szene gefolgt war, sprang tödlich erschrocken auf.

»Ordnen Sie mir mein Frühstück auf einer Platte,« befahl er, mit dem Kopfe nach dem Tische hinübernickend, »und tragen Sie es mir nach in mein Arbeitszimmer – ich will allein sein.«

Er ging hinaus. Der Stock stampfte das Parkett, und der Schlüsselbund der Beschließerin und das Geschirr auf dem Silberteller, den sie trug, klirrten heftig dazu. In der Seele des Vorangehenden tobte der Ingrimm, und die Frau, die ihm pflichtschuldigst, mit schweigendem Munde folgte, zitterte vor innerem Jubel, aber auch vor »Gift und Galle« – am liebsten hätte sie ihm seine Schokolade vor die Füße geworfen, »dem gelben Gerippe im Fracke, weil er vor dem lieben, reinen Engel da drin so ganz niederträchtige Dinge gesagt hatte«.

In dem Augenblicke, wo die Thür hinter dem Hinausgehenden schallend ins Schloß fiel, kam Liane aus der fernen Fensterecke, wohin sie sich vorhin geflüchtet, auf Mainau zugeflogen – sie ergriff seine Rechte und zog sie an ihre Lippen.

»Was thust du, Liane?« rief er, in jäher Ueberraschung die Hand wegziehend. »Du mir?« – Dann aber ging es wie eine Verklärung über sein Gesicht, und er breitete die Arme aus – die junge Frau schmiegte sich zum erstenmal freiwillig an seine Brust.

Leo stand, die Hände auf dem Rücken verschränkt, ganz blaß vor Ueberraschung; aber so ungeniert er sonst seine Meinung herauspolterte, diesem ungewohnten Anblicke gegenüber blieb er sprachlos. Lächelnd zog ihn die junge Frau zu sich herüber, und er legte, halb in Eifersucht trotzend, halb schmeichelnd die kleinen Arme um ihre Hüfte. Diese drei schönen Menschen bildeten eine Gruppe, wie man sie zur Verkörperung des häuslichen Glückes, der süßesten Eintracht nicht anmutiger zusammenstellen konnte.

»Ich werde mich doch morgen von euch beiden trennen müssen,« sagte Mainau im Tone der Entmutigung. »Nach dem Auftritte mit dem Onkel darfst du nicht hier bleiben, Liane. Ich aber kann Schönwerth nicht verlassen, bevor die offenen Fragen erledigt, die angebrochenen Kämpfe geschlichtet sind.«

»Ich bleibe bei dir, Mainau,« sagte sie entschieden. Sie wußte ja, daß ihm noch niederschmetternde Enthüllungen unvermeidlich bevorstanden – in diesen schweren Momenten gehörte sie an seine Seite. »Du sprichst von Kämpfen, und ich sollte dich allein lassen? ... Ich kann mich hier genau so isolieren wie in Wolkershausen – dem Hofmarschall brauche ich nie mehr zu begegnen –«

»Einmal noch wirst du es müssen,« unterbrach er sie, indem er ihr zärtlich das schwere, wuchtige Haar aus der Stirn strich, »du hast gehört, er wird heute zu Hofe gehen, und müßte er sich ›auf allen vieren hinschleppen‹. Ich gehe aber auch – es ist das letzte Mal, Liane – wirst du dich überwinden können, mich zu begleiten, wenn ich sich herzlich darum bitte?«

»Ich gehe mit dir, wohin du willst.« – Sie sagte das mutig, wenn auch die Flamme eines lebhaften Erschreckens über ihr zartes Gesicht hinflog. Das Herz klopfte ihr doch bang und angstvoll bei dem Gedanken, daß sie noch einmal vor die Frau hintreten sollte, die ihre ergrimmteste Feindin war, die Himmel und Erde in Bewegung setzen wollte, um sie aus ihrer Stellung zu verdrängen, ihr das Herz zu entreißen, das sich ihr gestern unter den heiligsten Beteuerungen für immer zu eigen gegeben.

23.

Der Hofmarschall blieb den Tag über in seinem Zimmer – er aß allein und verlangte nicht einmal nach Leo. Die Schloßleute aber waren plötzlich wie aus den Wolken gefallen, denn der junge Herr hatte mit Leo und dem neuen Hofmeister drunten im Salon der gnädigen Frau gespeist ... Er hatte auch den Arzt aus der Stadt holen lassen und war selbst mit ihm in das indische Haus zu der Sterbenden gegangen. Auf seinen Befehl und in seinem Beisein hatte man mit lautloser Behutsamkeit die schadhaften Stellen im Plafond des verwüsteten Hauses zudecken müssen, damit kein belästigender Sonnenstrahl hereinfalle – die exotische Tierwelt, die das Thal von Kaschmir bevölkerte, war in ihre Hütten und Schlupfwinkel eingesperrt worden, und »der junge Herr« hatte die Röhre des nahen, rauschenden Laufbrunnens eigenhändig geschlossen – die scheidende Menschenseele sollte auch nicht durch das leiseste Geräusch beunruhigt werden.

Diese Anstalten genügten, um das wandelbare Völkchen der Bedientenseelen sofort umzustimmen. Die sterbende Frau, die man so lange Jahre eine unnütze Brotesserin gescholten, war mit einemmal eine arme Dulderin, und weil Baron Mainau mit einem so feierlichen Ernste aus dem indischen Hause zurückgekehrt war, schwebten die Lakaien noch leiser als sonst auf den Zehenspitzen durch die Gänge, und in den Remisen wurde alles unnötige Poltern, alles Singen und Pfeifen vermieden, als ob die Sterbende im Schlosse selbst läge ... Auch Hanna ging mit rotgeweinten Augen umher. Sie hatte heute zwei merkwürdige Dinge erlebt; einmal hatte sie durch das Schlüsselloch des Speisesalons gesehen, wie der Herr Baron »ihre Dame« geküßt hatte – und dann war sie zum erstenmal im indischen Garten gewesen. Eine Tasse Bouillon für die Löhn in den Händen, war sie in das Sterbezimmer eingedrungen – seitdem weinte sie unaufhörlich und behauptete in der Küche, sie sei hier unter lauter Barbaren und Einfaltspinseln geraten, denn niemand, die harte, grobe Löhn ausgenommen, habe sich um die arme Kranke gekümmert, die doch, das sehe der gebildete Mensch auf den ersten Blick, ein aus der Fremde hergeschlepptes Fürstenkind sein müsse.

Auch Mainau hatte einen tieferschütternden Eindruck im indischen Hause empfangen. Das Antlitz, nach dessen verhüllendem Schleier er einst in brennender Neugier vergeblich die Hand ausgestreckt, und welches er dann voll Abscheu geflohen, in dem Wahn, es müsse das Kainszeichen des tiefen Falles, das Grinsen des Irrsinns in seinen verheerten Zügen tragen – es hatte vor ihm auf den Kissen gelegen, bleich, in friedlicher, unentstellter Schönheit – nicht Onkel Gisberts treulose Geliebte, nicht Gabriels Mutter – ein sündenlos sterbendes Kind, ein weißes Rosenblatt, das ein Lüftchen sanft aus dem heimischen Kelche gelöst und zum Sterben auf die Erde niedergestreut hat ... Der scharfe, unbestechliche Geist der zweiten Frau hatte eine grellleuchtende Fackel in das verschüttete Dunkel einer fernen Zeit geworfen; ein noch intensiveres Licht aber ging von diesem stillen Gesichte aus. Mainau wußte jetzt, daß sein tadellos ehrenhaftes Schönwerth Fallthüren des Verbrechens genug aufzuweisen habe – sie waren der Boden unter seinen Füßen gewesen, und er hatte es nie für nötig gefunden, auch nur einmal prüfend auf diesen Boden zu klopfen, so abenteuerlich auch die Dinge, die sich auf demselben abgespielt, damals seinen jugendlichen Augen erschienen waren. Er fühlte sich tief schuldig, der frivole Mann, der nur allzugern sein blindes Vertrauen auf des Onkels unbestechliches Rechtsgefühl innerlich kajoliert hatte, um sich durch unliebsame Gründlichkeit, langweilige Untersuchungen im Lebensgenuß nicht stören zu lassen ... Hier hatte er in der That kein Mißtrauen gehegt; aber bei dieser augenblicklichen, unerbittlich richtenden, inneren Einkehr mußte er sich zu seiner Beschämung sagen, daß er noch vor wenigen Monaten bei dem ersten beleuchtenden Blitze auch »dieser unangenehmen Geschichte« möglichst aus dem Wege gegangen sein würde ... Daß er nun, durch ein charaktervolles Weib aufgerüttelt, Urteil und Willenskraft zusammenraffte und handelnd eingriff, änderte nicht viel mehr an dem, was er durch Indolenz und Egoismus gesündigt. Die Augen unter den zugesunkenen Lidern sahen nicht mehr, wie er das gemißhandelte Kind, das im thränenlosen Schmerze die letzten Atemzüge der Mutter bewachte, emporzog und an sein Herz nahm – die Frau hörte nicht, wie der arme »Bastard« liebevoll »mein Sohn« genannt wurde – sie empfand das so wenig wie der Knabe selbst, der keines anderen Kind sein wollte, als ihr, der Scheidenden, an deren Herz ihn die harte, kalte, abscheuliche Welt draußen zurückgestoßen hatte ... Noch konnte Mainau dem Hofmarschall keinen anderen Vorwurf machen, als daß auch er blind geglaubt habe. Bei der Unterschiebung des Dokumentes war er nicht beteiligt gewesen – er hatte sich heute unbefangen und sicher auf das Papier berufen, das nicht mehr existierte. Der Hofprediger ging hier auf eigenen Wegen, wie er auch der Briefaffaire jedenfalls eine zufriedenstellende Wendung dem Hofmarschalle gegenüber zu geben gewußt hatte, ohne die Wahrheit zu verraten. Das sagte sich Mainau zu Selbstbeschwichtigung und doch konnte er den Verdacht, ja, die schmerzliche Ueberzeugung nicht abschütteln, daß der Ruf der Mainaus geschädigt werde, sobald man fortfahre, den Schutt von jener halbverschollenen Zeit wegzuräumen ...

Zur späten Nachmittagszeit ging Liane auch in das indische Haus. Mainau hatte dringende Botschaft aus Wolkershausen erhalten und mußte sich für einige Stunden in sein Arbeitszimmer zurückziehen – Leo aber befand sich vortrefflich und der Aufsicht des neuen Hofmeisters, an den er sich merkwürdigerweise sogleich attachiert hatte ... Eine ungewohnte Stille umfing die junge Frau, als die Thür des Drahtgitters hinter ihr zugefallen war – ein so atemloses Schweigen, als habe die über dem Bambushause kreisende dunkle Gewalt auch alles pulsierende Leben aus der Luft und von der Erde weg aufgesogen. Seltsam – Onkel Gisberts Lieblinge gingen zusammen heim. Seine prachtvolle Musa, die so mutig in den fremden, nordischen Himmel hinaufgestiegen war, lag wie hingemäht auf dem Rasenplatze – der Sturm hatte sie grausam zerpflückt –, je eher diese Spielerei zerfiel, desto besser, hatte ja der Herr Hofmarschall gesagt ... Die junge Frau mußte über weithin geschleuderte Baumäste wegsteigen, die quer die Wege versperrten; sie ging ganze Strecken lang auf abgeschüttelten Rosenblättern, und da, wo sie vereinzelt auf freien, weiten Rasenflächen standen, waren die Kronen alter, dickstämmiger Rosenbäume scheinbar so mühelos abgeknickt wie ein Kinderfinger einen mürben Blumenstengel zerbricht ... Zerstörung wohin der Blick fiel – nur der Hindutempel strahlte nach dem Regenbade frischer und goldiger als je, und der Teich breitete sich glatt und blauglänzend zu seinen Füßen, als sei er der falsche Nachbar nicht gewesen, der gestern den Gischt seiner gepeitschten Wellen über die Marmorstufen hinweg bis in die Tempelhalle hineingeschleudert hatte. An seinem sumpfigen Ufer aber waren über nacht Hunderte von weißen Seerosen aufgegangen – die nordischen Wasserblüten lagen frisch und lebenatmend auf dem hingebreiteten Blätterpfühle, während die indische vergehend das Haupt senkte.

Was würde wohl im Inneren des mörderischen Verfolgers drüben im Schönwerther Schlosse vorgegangen sein, wenn er einen Blick auf dieses Rohrbett hätte werfen können! O, dagegen war er geschützt! Liane hatte gesehen, daß selbst die Fenster seiner Wohnung, die nach dem indischen Garten gingen, förmlich verbarrikadiert waren ... Von leuchtenderer Schönheit konnte die Bajadere auch damals nicht gewesen sein, wo sie ihm die vertrocknete Höflingsseele in verzehrender Leidenschaft aufgestürmt, als jetzt in der Verklärung der letzten Lebensstunde. Frau Löhn hatte den leichten Körper, »diese Schneeflocke«, noch einmal in die frischeste, weiße Musselinwolke gehüllt, »weil sie das immer so gern gehabt«. Auf der unmerklich atmenden Brust lag der Schmuck der Goldmünzen, und die linke Hand umschloß das an einer Kette hängende Amulett. Diese durchsichtigen bläulichen Lider hoben sich wohl noch einmal – wenn die Augen verglasten, aber den lieblichen Zug von Glückseligkeit, in welchem die halboffenen Lippen bereits erstarrt waren, nahm sie mit hinab unter den roten Obelisken.

»Denken Sie um Gottes willen nicht, daß ich um die arme Seele da weine, gnädige Frau,« sagte die Löhn mit gedämpfter Stimme, als ihr Liane liebevoll unter die stark geschwollenen Lider sah.

»Ich hab' sie lieb gehabt,« fuhr Frau Löhn fort, »so recht herzlich lieb, als wär' sie mein Kind; aber gerade deswegen mache ich ein Kreuz darüber und sage: ›Gott sei gelobt! Die Qual ist von ihr genommen‹ ... Heute morgen im Frühstückssaal, da kamen mir die Thränen, und ich meinte, ich müßte gleich ersticken vor Freude, wenn ich nicht aufschreien dürfte – sehen Sie, das war's! Ich bin dann 'rüber gegangen in das Haus, das so viel Marter und Herzeleid mitangesehen hat, und da hab' ich mich so recht von Herzen ausgeweint – nun darf ich's ja. Nun heißt's nicht mehr Komödie spielen und der Gesellschaft da drüben ein X für ein U vormachen; nun wird die Larve in die Ecke geworfen, die ein ernsthaftes Gesicht machen mußte, wenn ich den Spitzbuben, den Halunken am liebsten die Augen ausgekratzt hätte. Nichts für ungut, gnädige Frau, denn heraus muß es! Aber ich befühle mir noch manchmal den Kopf, ob's auch wahr ist, was ich jetzt erlebte, und nachher kommt mir die Angst, weil der mit dem geschorenen Kopfe die Sache doch wieder dreht, wie er will, und wenn der junge Herr auch den allerbesten Willen hat. Da heißt's nun schnell sein und zuerst kommen ... Was hab' ich gesagt, gnädige Frau? Sie sind richtig der gute Engel gewesen, den der liebe Gott geschickt hat – seine Langmut war zu Ende, und dem jungen Herrn Baron sind endlich die Augen aufgegangen – wie er heute morgen in den Saal trat und Sie ansah, da wußte ich auf einmal, was die Glocke geschlagen hatte ... Also, um's kurz zu machen: Ihnen ganz allein verdankt der Gabriel sein Glück, Ihrer Klugheit und Ihrem guten Herzen, und da müssen Sie nun auch die Sache zu Ende bringen ... Mit dem jungen gnädigen Herrn ist's nichts – nehmen Sie mir's nicht über! Aber er ist zu lange böse und hart gewesen, als daß ich und der Gabriel so schnell ein Herz zu ihm fassen könnten. Ich hab's heute morgen versucht; aber es ging absolut nicht; der Doktor war auch dabei, und da stand ich wie auf den Mund geschlagen ... Gabriel, gehe einmal hinaus. Die frische Luft ist dir nötig wie das liebe Brot, und ich hab' der gnädigen Frau mancherlei zu sagen!«

Der Knabe, um dessen Schultern die junge Frau tröstend ihren Arm gelegt hatte, stand auf und ging in den Garten, um sich auf die Bank unter das Rosengebüsch zu setzen – von dort aus konnte er durch das zertrümmerte Glasfenster der Thür bis auf das Rohrbett sehen.

»Also der junge Herr Baron läßt den Zettel nicht mehr gelten, den der selige gnädige Herr geschrieben haben soll; warum er das auf einmal thut, weiß ich nicht. Ich kann nur dem lieben Gott danken, daß es so ist,« fuhr die Beschließerin fort. »Das Schlimme ist nur, daß es nun einen heillosen Krieg mit den – Gott verzeih' mir's! – mit dem Pfaffen gibt, und daß wir da nicht recht behalten, das steht so fest wie der Himmel droben. Sie haben's ja heute vom Herrn Hofmarschall gehört; er lachte dem jungen Herrn geradezu ins Gesicht ... Nun weiß ich aber was,« – sie dämpfte ihre Stimme zum leisesten Flüstertone – »gnädige Frau, es ist etwas Schriftliches da, auch ein Zettel vom seligen Herrn, den er vor meinen Augen, wirklich Buchstaben für Buchstaben, geschrieben hat. Dort,« – sie zeigte auf die linke Hand der Sterbenden – »sie hat es in ihrer Hand. Es ist eine kleine Büchse, sieht aus wie ein Buch von Silber, und da drin liegt der Zettel ... Die arme, liebe Seele – soll einem da das Herz nicht brechen? Da sagen die Unmenschen, sie sei ihrem Herzliebsten untreu geworden, und da liegt sie nun seit dreizehn Jahren und behütet den armseligen, kleinen Zettel ängstlicher als ihr Kind und leidet Schmerzen in den kranken Fingern, die sie in der Angst darum klammert, weil es das Letzte ist, was er ihr gegeben hat, und weil sie denkt, jeder, der ihr nahe kommt, will es ihr nehmen.«

Der Moment trat der jungen Frau vor die Augen, wo der Hofprediger nach dem Schmucke gegriffen hatte. Jetzt verstand sie die folternde Angst des armen Weibes, das kühne Auftreten der Löhn, ihre wildverzweifelte Abwehr, mit der sie sich zwischen die Kranke und den Hofprediger gestellt hatte. Ein Nervenschauer überlief sie bei dem Gedanken, daß dort zwischen den dünnen, blassen, halberkalteten Kinderfingern ein Zeuge auf die Stunde der Auferstehung wartete. Der Priester hatte ihn unwissentlich halb und halb in der Hand gehabt, ohne daß ihm der hilfreiche Geist seines Herrn und Meisters ein »Zermalme ihn!« zugeflüstert.

»Sehen Sie, gnädige Frau, das Unglück und die Not mußten erst kommen, ehe das arme Ding dort mich auch nur mit einem Auge ansah,« sagte die Beschließerin weiter. »Ich bin immer ein häßliches, unfeines Weib gewesen, und da konnte ich's ja auch gar nicht verlangen. Wie sie der selige gnädige Herr nach Schönwerth brachte, da war's ein Gethue in dem Schlosse, als dürfte ein anderes Menschenkind zu dem indischen Hause nur auf den Knieen rutschen. Der Herr war ja selbst wie närrisch und verlangte es so von seinen Leuten. Unsereins durfte sie kaum ansehen, geschweige den anreden, wenn sie wie ein kleines Kind durch die Schloßgänge lief und ihr Reh nachzerrte und sich von ihrem Schatze nicht haschen ließ, und wenn er wie toll hinterdrein brauste, bis sie sich auf einmal wie ein flinkes Bachstelzchen schwenkte und husch mit beiden Armen an seinem Halse hing – da mußte ich manchmal die Zähen zusammenbeißen, um nicht hinzulaufen und das federleichte Ding im roten Jäckchen und Florkleidchen vor Liebe zwischen meinen groben Händen zu zerdrücken. Sehen Sie sie doch an! So was Wunderschönes sieht die Welt so bald nicht wieder.«

Jetzt brach ihre Stimme; sie stand auf und schob ordnend wie eine zärtlich stolze Mutter an den schweren schwarzblauen Flechten, die zu beiden Seiten der leise veratmenden Brust niederhingen.

»Ja, die Haare, die hat er manchmal auf der Hand gewogen und geküßt,« seufzte sie auf – sie blieb am Bette stehen. »Er mag wohl auch gedacht haben wie ich, daß sie schwerer seien, als das ganze kleine Mädchen selbst. Perlen und Rubinsteine und Goldstücke sind nur immer so drüber hingestreut gewesen; das alles hab' ich dem Herrn Hofmarschall herausgeben müssen ... Sie hatte eine feine Kammerjungfer, die der Herr Baron aus Paris oder Gott weiß woher mitgebracht hatte; die mußte sie bedienen, und mit der war sie gut wie ein Engel – die gelbhäutige Hexe hat's ihr schlecht genug vergolten ... Der gnädige Herr ist einmal früh umgefallen und für ein paar Stunden so gut wie tot gewesen, und nachher beim Aufwachen, da hat es sich gezeigt, daß die Dunkelheit in seinem Kopfe – sie sagen, die Melancholie – sie schon vorher angefangen hatte, vollends ausgebrochen ist. Von dem Augenblicke an waren der Herr Hofmarschall und der Kaplan, der jetzige Herr Hofprediger, die Herren im Schönwerther Schlosse.

Ich hab' Ihnen ja schon einmal erzählt, daß die ganze Schloßgesellschaft zu den zwei – Spitzbuben gehalten hat – nichts für ungut, gnädige Frau – und die Schlimmste ist die noble Kammerjungfer gewesen. Sie hat die schändliche Geschichte, daß die arme Frau den schönen Reitknecht Joseph lieb habe, ausgeheckt und dem kranken Herrn weisgemacht. Dafür hat sie auch ein paar tausend Thaler mitgenommen, wie sie nach Hause gereist ist ... Nun bin ich 'nübergegangen ins indische Haus – heimlich, denn mein Mann durfte es ja nicht wissen. Sie kauerte dazumal hier auf dem Bette, verwildert und halb verhungert; aus Angst vor dem Hofmarschall wollte sie lieber nicht essen und im unordentlichen Bette schlafen, um nur die Riegel nicht wegzuschieben ... Ich weiß bis heute nicht, wie es gekommen ist, aber er hat nie gemerkt, daß sie an mir eine Stütze gehabt hat; vielleicht bin ich doch nicht so dumm, wie er immer sagt ... Sechs Monate lang hat sie wie eine Gefangene hier im Hause gesteckt. Das Jammern und Weinen vor Sehnsucht nach dem Manne, der nichts mehr von ihr wissen wollte, vergesse ich in meinem Leben nicht ... Nachher ist der Gabriel geboren worden, und von da an wurde ›die harte, grobe, unbarmherzige Löhn‹ als Zuchtmeister im indischen Hause angestellt ... Manchmal bin ich auch bei dem kranken gnädigen Herrn gewesen, wenn mein Mann seine Schwindelanfälle hatte, da mußte ich bedienen, denn ich wußte, wie er's gern hatte ... Wie oft habe ich da ihren Namen auf der Zunge gehabt, um ihn nur einmal an sie zu erinnern und ihm zu sagen, daß er einen Sohn habe, und daß alles niederträchtige Lüge sei, was sie ihm weisgemacht hatten, aber es mußte tapfer wieder hinuntergeschluckt werden, denn wenn er auch noch so gut und gescheit war, sobald seine schwarze Stunde kam, da beichtete er dem Kaplan alles, und da wäre ich ohne Gnade an die Luft gesetzt worden, und die beiden im indischen Hause hätten gar niemand mehr auf der Welt gehabt.«

Liane griff nach ihrer Hand und drückte sie innig; diese Frau hatte einen unglaublichen Fond von Liebe, Selbstverleugnung und zärtlicher List für die beiden Unglücklichen entwickelt, wie kaum eine Mutter für ihr eigen Fleisch und Blut ... Sie wurde ganz rot und schlug förmlich erschrocken die Augen nieder, als die schöne Hand sich so weich und lind um ihre groben Fingerknöchel legte.

»Nun ging's aber bei dem kranken Herrn aufs Sterben los,« fuhr sie unsicher, fast bewegt fort. »Der Herr Hofmarschall und der Kaplan waren die ganze lange Zeit nicht von seiner Seite gewichen. Einer war immer da und sah drauf, daß alles am Schnürchen ging, wie sie's eingefädelt hatten, und da mußte es doch passieren, daß der Herr Hofmarschall sich erkältete und krank wurde, und der Kaplan mußte in die Stadt, um dem katholischen Prinzen Adolf die Sterbesakramente zu reichen – und das war eine Fügung vom lieben Gott, es mußte alles so kommen; denn wie der geschorene Kopf zum Schloßthor 'naus war, da kriegte mein Mann seinen Schwindelanfall so derb, daß er nicht vom Kanapee aufstehen konnte. Na, ich war ja da! ... Ich stand im roten Zimmer neben dem kranken Herrn und reichte ihm die Medizin – und die dunklen Vorhänge hatte ich von den Fenstern wegziehen müssen; da fiel die liebe Sonne herein auf sein Bett, und da war's doch gerade, als wäre auch ein Vorhang von seinen Augen weggezogen worden; er sah mich ganz hell an, und auf einmal streichelte er meine Hand, als wollte er mich loben für meine Bedienung – da ging mir's wie Feuer durch den Kopf. ›Du riskierst's‹, sagte ich mir und rannte fort. Zehn Minuten drauf kroch ich mit der armen Frau durch das Maßholdergebüsch drüben beim rechten Flügel und durch die kleine Bohlenthür an der eisernen Wendeltreppe. Niemand sah uns; kein Mensch hatte eine Ahnung, daß da etwas passierte, wofür die ganze Schloßgesellschaft vom Herrn Hofmarschall ausgepeitscht worden wäre, wenn er's gewußt hätte ... Ich machte die Thür im roten Zimmer auf – mein Herz hämmerte ordentlich vor Angst – und sie flog mir voraus – den Aufschrei vergess' ich nicht, solange mir die Augen im Kopfe stehen. Das arme Weib! Aus ihrem schönen Herzallerliebsten, aus dem stolzesten Herrn war ein Gespenst geworden ... Sie warf sich über sein Bett hin. Ach, neben seinem gelben hohlen Gesicht sah man erst, wie frisch und schön sie war; wie eine rotweiße Apfelblüte lag sie auf den grünseidenen Decken ... Er sah sie zuerst ernsthaft an, bis sie ihre Arme um seinen Hals legte und ihr kleines Gesicht an seines drückte, ganz so wie früher. Da streichelte er ihr das Haar, und sie fing an zu sprechen, in ihrer Sprache – ich verstand kein Wort – und das ging immer schneller, und sie mußte wohl alles 'runter sagen, was sie auf dem Herzen hatte, denn seine Augen wurden immer größer und funkelten, und das bißchen Blut, das er noch in den Adern hatte, trat ihm in die Stirn ... Und was ich auf dem Herzen hatte, das sagte ich auch ... Herr Gott, mir wurde aber doch angst und bange; ich dachte, er stürbe auf der Stelle.

Er wollte mit aller Gewalt sprechen – es ging nicht. Da schrieb er auf ein Papier: ›Können Sie mir Gerichtspersonen herbeischaffen?‹ Ich schüttelte den Kopf; das war unmöglich; er mochte es wohl selbst am besten wissen ... Da schrieb er nun wieder. Wie mich das dauerte! Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, und in den Augen hatte er Angst, ich sah's wohl, wahre Seelenangst um das schöne, liebe Wesen, das ihm fortwährend das Gesicht streichelte und so selig war, daß es wieder bei ihm sein durfte ... Er war fertig, und ich mußte ein Licht anbrennen und Siegellack bringen. Mit dem kostbaren Ringe, den er dem Herrn Hofmarschall geschenkt hat, machte er zwei große Siegel unter das Geschriebene – er that es selbst; aber weil er zu schwach war, so mußte ich seine Hände derb niederdrücken, damit das Wappen ja recht klar und scharf in dem Lacke ausgeprägt wurde. Er sah es nachher durch ein Glas an, und es mußte recht sein, denn er nickte mit dem Kopfe. Er hielt mir den Zettel hin; ich sollte die Aufschrift laut lesen, und da buchstabierte ich denn auch heraus: ›An den Freiherrn Raoul von Mainau‹, und da übergab er mir das Papier zur Besorgung; aber sie sprang auf und riß es mir weg und küßte es in einem fort; nachher schüttete sie das, was in dem kleinen silbernen Buche lag, auf die Erde und legte den Zettel dafür hinein ... Wie ein Lachen ging es dabei über sein Gesicht, und er winkte mir zu, als wollte er sagen, es sei da einstweilen gut aufgehoben. Er hat sie nachher noch geherzt und geküßt – zum letztenmal auf Erden; er hat's gewußt, aber sie dachte es nicht ... Sie wollte auch nicht fort, als er mir ein Zeichen machte, daß ich sie heimbringen sollte. Sie fing zu weinen an wie ein Kind; aber sie war ja so sanft und folgsam – er sah sie nur ernsthaft an und hob den Finger, und da ging sie hinaus ... Wenn sie nur immer so gefolgt hätte! Aber nun, wo sie ihn wiedergesehen hatte, sehnte sie sich krank; sie sah nicht einmal den kleinen Gabriel an, so sehr setzte ihr der eine Gedanke zu – und da geschah's eben. Sie entwischte mir und war ohne mich in das Schloß gelaufen, und der Herr Hofmarschall hat sie im Gange vor dem Krankenzimmer ertappt ... Wie es dann gekommen ist, ob sie hat schreien wollen, und er ihr deshalb die Kehle zugedrückt hat, oder ob er's in der wütenden Eifersucht gethan hat, das weiß niemand, und an die Sonne wird's auch niemals kommen; aber gethan hat er's, ich weiß es von ihr selber, denn ich verstand ihr Wesen und ihre Augen so gut, als ob sie spräche. Im Anfange war ja ihr Kopf auch noch ganz klar, bis der Hofprediger gekommen ist und immer so in sie hineingeredet hat – da schrie sie endlich einmal auf, so gräßlich, wie jemand, der gefoltert wird. Herr Gott, der ist gelaufen! Er hat's nicht wieder probiert; aber sein Schönthun verfing auch nicht mehr – das arme Gehirn war nicht wieder in Ordnung zu bringen ... Nun habe ich alles gesagt, und nun bitte ich Sie, nehmen Sie die Kette mit dem silbernen Büchelchen an sich.«

»In diesem Augenblicke doch nicht?« rief Liane entsetzt. Sie trat an das Bett und bog sich über die Sterbende. Aus den geöffneten Lippen wehte es ihr schon wie aus einer Gruft entgegen; aber der Busen hob und senkte sich immer noch fast gleichmäßig. »Ich würde mich nie beruhigen, wenn sich ihre Augen im Momente der Berührung doch noch einmal öffneten und die Wegnahme ihres Kleinods als letzten Eindruck in sich aufnähmen,« sagte die junge Frau zurücktretend. »Wenn alles vorüber ist, dann holen Sie mich, und sei es in tiefster Nacht. Ich will ihr das Dokument aus der Hand nehmen; Sie haben recht, das muß ich selbst thun; aber bis dahin darf diese arme Hand nicht berührt werden ... Frau Löhn, es thut mir leid, allein ich muß Ihnen einen Vorwurf machen: Sie mußten damals den Zettel auf alle Fälle an die Adresse abgeben.«

»Gnädige Frau!« fuhr die Beschließerin fast wild empor. »Das sagen Sie jetzt, wo alles gut ausgeht – aber damals? Ich stand mutterseelenallein; die ganze Gesellschaft hatte ich gegen mich. Männern, wie dem alten Herrn und dem Pfaffen, war ich nicht gewachsen, da werden gescheitere Köpfe als ich zu Schanden – und der junge Herr, der die Sache hätte ausfechten sollen? Du lieber Gott! Ja, wenn man sie, wie den blauen Schuh, unter die Glasglocke hätte legen können!« Eine tiefe Glut schoß der jungen Frau in die Wangen, und die Beschließerin verstummte erschrocken. »Ach, was schwätz' ich da! Es ist ja alles gutgemacht,« verbesserte sie sich kleinlaut. »Aber damals war's schlimm. Gnädige Frau, Sie haben's ja heute selbst gehört, daß er den armen Jungen wie einen Hund aus dem Wege gestoßen hat ... Ich will Ihnen sagen, wie die Sache gekommen wär': Der gnädige Herr hätte mir den Zettel aus der Hand genommen und ihn den beiden anderen Herren gezeigt; die hätten hell aufgelacht und ihm gesagt, daß sie das besser wissen müßten, denn sie seien Tag und Nacht um den Kranken gewesen. Und der Betrug wär' auf mir sitzen geblieben, so gewiß, wie zwei mal zwei vier ist, so gewiß, wie sie mich zum Schloßthore ?nausgepeitscht hätten ... Nein, nein, da hieß es aufpassen und warten ... Ja, wenn ich wüßte, was auf dem Zettel steht, das wäre noch anders; aber ich stand dem sel'gen Herrn nicht so nahe beim Schreiben, und wie er mir das Papier hinhielt, da hatte ich vollauf zu thun, um die Adresse herauszubuchstabieren ... Es ist noch gar nicht lange her, da hab' ich der Frau einmal in ihrem tiefsten Morphiumschlafe das Büchselchen abgenommen, um mir die Sache anzusehen; aber das Ding ist nicht aufzubringen; man mag es ansehen, wo man will, es ist wie zusammengehämmert; kein Schloß, kein Drücker ist zu finden – ich glaube, es wird aufgebrochen werden müssen.«

»Desto besser,« sagte Liane. Sie trat an die Glasthür und winkte Gabriel herein. Es war spät geworden, viel zu spät für die junge Frau, um Mainau noch Mittheilung zu machen, bevor er zu Hofe ging, und er hatte ihr ja gesagt, er müsse aus besonderen Gründen der Einladung folgen. Fast war es auch für sie zu spät, noch Toilette zu machen. Ihr ganzes Gefühl empörte sich: schmücken sollte sie sich, vor dem Spiegel stehen in diesen furchtbaren Stunden, wo alte, verschollene Sünden zum Austrag kommen mußten ... Sie verließ rasch das indische Haus, um dennoch Mainau aufzusuchen und ihm in flüchtigen Umrissen das Nötigste mitzuteilen; aber er war nicht zu finden, und ein Lakai sagte ihr, der gnädige Herr sei infolge der Wolkershäuser Nachrichten noch einmal fortgegangen, wohin wisse er nicht, vielleicht zum Schloßgärtner. Sie ging mit schwerem Herzen in ihr Ankleidezimmer.


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