Eugenie Marlitt
Die zwölf Apostel
Eugenie Marlitt

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Ein Geräusch hinter Magdalene ließ sie erbeben, sie wandte sich um. Auf der untersten Stufe stand eine alte Magd, Staubtuch und Besen in den Händen, starr vor Erstaunen, während ihre Blicke wie Spinnen über die Gestalt des jungen Mädchens liefen.

»Na, da seh mir einer an!« rief sie endlich. »Das nenn' ich doch frech, am hellen lichten Tage sich in die Häuser zu schleichen. Wenn man betteln will, da ist da vorn ein Hausflur, da bleibt man hübsch stehen und wartet, bis die Leute kommen, aber man läuft nicht so mir nichts, dir nichts in den Garten hinein, das ist ja schlimmer wie bei den Zigeunern... Na, warte, das will ich doch gleich der Frau Rätin sagen.«

»Ich bitte Sie um Gottes willen, liebe Frau!« bat Magdalene in Todesangst.

»Ach was, ich bin keine Frau!« entgegnete die Alte grämlich. »Wenn Sie mir etwa schmeicheln will, da ist Sie an die Rechte gekommen, sag' ich Ihr!... Ihre Strafe muß Sie haben«, fuhr sie fort, indem sie den Kehrbesen auf die Erde stampfte. »Wenn doch nur lieber gleich der junge Herr da wäre!«

»Was willst du denn von mir, Katharine?« fragte Werners Stimme in dem Augenblick. Er bog um die Ecke und sah ebenso erstaunt ins Zimmer wie vorher die alte Magd.

Magdalene stand bewegungslos und verbarg ihr Gesicht in beiden Händen. Werner sprang die Stufen hinauf.

»Sie wollten zu Jakob und haben sich verirrt, nicht wahr?« fragte er hastig.

Magdalene schwieg.

»Ach was, zum alten Jakob geht man nicht durch den Garten, Herr Werner!« sagte die Alte ärgerlich. »Das lustige Jüngferchen da wird schon wissen, warum es sich verirrt hat.«

»Ich habe dich nicht um deine Meinung gefragt, Katharine!« sagte Werner streng. »Gehe jetzt vor in das Haus und sage niemand, daß du diese junge Dame hier getroffen hast; ich werde selbst mit meiner Tante darüber sprechen.«

Die Magd entfernte sich stillschweigend.

»Jetzt«, wandte sich Werner an Magdalene, »sagen Sie mir, was Sie hierher zu mir führt.«

Um keinen Preis hätte das junge Mädchen in diesem Augenblick erzählen mögen, wie sie hierhergekommen. Sie dachte an die Beweggründe, die sie veranlaßt hatten, in die Tiefe hinabzusteigen. Sie fühlte überhaupt, daß sie nicht andauernd ihm gegenüber sprechen könne, ohne in die heftigste Aufregung zu geraten; hatte sie doch Mühe, den Kopf aufrecht zu erhalten und ihre Züge zu beherrschen. Sie sagte deshalb kurz: »Ich habe nicht zu Ihnen gewollt und glaube auch nicht, daß ich genötigt bin, mich Ihnen gegenüber meines Hierseins wegen zu verteidigen. Die Versicherung wird Ihnen genügen, daß mich in der Tat ein Irrtum hierhergeführt hat.«

»Wenn ich mich nun aber mit dieser Versicherung durchaus nicht zufriedengestellt erkläre?«

»So steht Ihnen frei, zu denken, was Sie wollen.«

»Ah, immer kampfgerüstet, selbst in der peinlichsten Lage!«

»Wenn Sie meine Lage peinlich finden, so versteht es sich von selbst, das Sie mich so rasch wie möglich aus derselben befreien. Es wird Ihnen ein leichtes sein, mir einen Weg zu zeigen, auf dem ich mich unbemerkt entfernen kann.«

»Sie wollen den Damen da draußen nicht begegnen?«

Magdalene schüttelte heftig mit dem Kopfe.

»Dann tut es mir leid, Ihnen nicht helfen zu können. Sie sehen, dies Zimmer hat nur diesen einen Ausgang. Sie müssen schlechterdings durch den Garten, wenn Sie in den Hofraum wollen, und sehen Sie dort hinüber« – er schob einen Vorhang ein wenig zurück –, »dort promenieren die Damen eben vor der Gartentür!«

»Nun, dann seien Sie wenigstens so rücksichtsvoll, mich hier allein zu lassen, bis die Damen sich aus dem Garten entfernt haben.«

»Auch das kann ich nicht. Das Schloß an dieser Tür ist seit heute morgen defekt, sie kann deshalb nicht verschlossen werden. Ließe ich Sie hier allein, dann wären Sie nicht sicher vor ähnlichen Anfechtungen, wie Sie sie eben durch die alte Katharine zu erleiden hatten... Es läßt sich durchaus nicht ändern, ich muß hierbleiben zu Ihrem Schutz.«

»Nun, da will ich lieber draußen zehnfach Unrecht leiden, als auch nur einen Augenblick länger hierbleiben!« rief Magdalene außer sich und eilte nach der Tür.

In demselben, Augenblicke wurde draußen Werners Name gerufen. »Was gibt es?« rief er aufgeregt und öffnete ein Fenster.

»Es fängt an zu regnen«, antwortete Antonie. »Wir möchten aber nicht hinauf in die schwülen Zimmer und bitten dich recht sehr, uns zu erlauben, daß wir ein wenig in deinem Atelier bleiben dürfen.«

»Bedaure unendlich, aber dieser Raum hat einen Marmorfußboden. Ich wäre untröstlich, wenn sich die Damen den Schnupfen holten, und muß deshalb meine Einwilligung verweigern.«

»Auch mir, liebster Egon?« fragte Antonie in den schmelzendsten Tönen.

»Auch dir, verehrteste Antonie.«

»Aber das ist wirklich sehr unliebenswürdig, Herr Werner«, rief eine andere Mädchenstimme, »wir hätten so gern das Bild der schönen Italienerin gesehen, von dem uns Antonie erzählt hat!«

»Ah, ich entdecke in diesem Augenblick ein reizendes Spioniertalent an meinem Mühmchen!... Nun ja, ich will's nur gestehen, ich habe eine engelschöne Italienerin hier; aber ich spüre nicht die mindeste Lust, sie irgend jemand zu zeigen, aus dem einfachen Grunde, weil ich sie für mich ganz allein behalten will!«

»Pfui, wie ungalant!« riefen alle zugleich und huschten schnell vorüber, denn es fielen schon große Tropfen. Gleich darauf wurde die Gartentür zugeschlagen.

Jetzt drehte sich Werner rasch um und zog Magdalene, die eben hinauseilen wollte, in das Zimmer zurück. Es war eine merkwürdige Veränderung plötzlich mit ihm vorgegangen. Wo war die Marmorglätte seiner Züge, die kalte Ruhe seiner Augen geblieben?... Die Hand des jungen Mädchens festhaltend, sagte er mit bebender Stimme: »Sie dürfen dies Zimmer nicht verlassen, bevor Sie mir eine Bitte erfüllt haben.«

Magdalene sah erstaunt und erschreckt auf. Aber er fuhr fort: »Vor einigen Stunden haben Sie mir erklärt, daß Sie mich hassen... Jetzt bitte ich Sie, mir hier diese wenigen Worte zu wiederholen.«

Magdalene entzog ihm heftig die Hand und stammelte kaum hörbar: »Wozu das?«

»Das will ich Ihnen nachher erklären – wiederholen Sie!«

Das junge Mädchen lief in heftigster Bewegung tiefer in das Zimmer hinein. Sie kehrte Werner den Rücken zu und rang in stummer Angst die Hände. Plötzlich drehte sie sich um, drückte die verschränkten Hände vor die Augen und rief mit erstickter Stimme: »Ich – kann es nicht!«

Da fühlte sie sich stürmisch von zwei Armen umschlungen.

»Du kannst es nicht, und warum nicht?... Weil du mich liebst, Magdalene! Ja, du liebst mich!« rief Werner jubelnd und löste ihr die Hände vom Gesicht. »Laß mich deine Augen sehen!... Ist das ein Gefühl, dessen du dich zu schämen hättest?... Sieh mich an, wie glücklich und stolz ich bin, indem ich dir sage: Ich liebe dich, Magdalene!«

»Das ist unmöglich!... Jene Eiseskälte, die mich zur Verzweiflung brachte...«

»War genauso gemeint wie deine Schroffheit, die mich jedoch durchaus nicht verzweifeln ließ«, unterbrach sie Werner lächelnd. »Kind, mit deiner Verstellungskunst war es nicht weit her. Was deine Lippen mit herben, bitteren Worten gegen mich sündigten, das sühnten deine Augen... Ich habe dich geliebt seit jenem Augenblick, wo ich dich auf dem Turme sah. Die Erzählungen des alten Jakob, die ich herauslockte, ohne daß er es merkte, enthüllten mir deine ganze innere Welt und ließen mich erkennen, daß es mir beschieden sei, einen kostbaren Schatz zu heben, an welchem Hunderte vorübergegangen waren, ohne ihn zu bemerken... Aber ich wußte auch, daß der Vogelsteller, der dies seltene Vöglein einfangen wollte, auf seiner Hut sein müsse, denn es war scheu und blickte mit mißtrauischen Augen in die Welt. Deshalb hatte ich den Panzer einer kalten Ruhe angelegt und vermied jede heftige Bewegung, sowohl in dem, was ich sagte, wie in meinen Zügen... Ich habe dich unzähligemal beobachtet, während du keine Ahnung von meiner Nähe hattest. In der alten stillen Kirche, im Klostergarten, in Jakobs Stube, wo du meine Orangen verschmähtest, und auf dem Mauergärtchen, wenn du den Nachbarskindern Blumen hinabwarfst... Willst du mein Weib sein, Magdalene?«

Sie richtete sich hoch, mit strahlenden Augen, in seinen Armen auf und hielt ihm, ohne ein Wort zu reden, beide Hände hin. Und so war der Bund zwischen zwei Menschen geschlossen, von denen noch vor wenigen Augenblicken jeder fremde Beobachter geglaubt haben würde, daß sie sich abstießen wie Eis und Feuer.

Magdalene verbarg dem Geliebten nun nicht länger, wie tief sie in der letzten Zeit gelitten, und erzählte ihm ihr unterirdisches Abenteuer, wobei sie auch nicht einen Gedanken verschwieg, der ihr da drunten durch die Seele geflutet war.

»Also den sagenhaften zwölf Aposteln habe ich's zu danken, daß ich schneller an mein glückliches Ziel kam, als ich zu hoffen wagte!« rief Werner lachend. »Weißt du auch noch, was ich dir bei unserem ersten, so stürmisch endenden Gespräch wünschte?«

»Gewiß – jener Apostel...«

»Ist die Liebe.«

»Aber die schöne Italienerin, von der Jakob sagte...«

»Daß ich sie heiraten würde?« unterbrach sie Werner lächelnd. »Nun, ich will sie dir zeigen, diese kleine Neapolitanerin mit den abstoßenden Zügen und dem häßlichen Haar, das trotzdem ein unzerreißbares Netz um mein Herz geschlungen hat.«

Er streifte die Leinwand von der Staffelei. Da saß eine liebliche Mädchengestalt auf der Brüstung eines Turmfensters und blickte sehnsüchtig und träumerisch hinaus in die Ferne. Die Kopfbedeckung der Neapolitanerin lag auf ihren reichen, bläulich-schwarzen Flechten; ein weißes Spitzentuch schmiegte sich um den Nacken und verschwand in einem feuerfarbenen Mieder, das die schlanke Gestalt eng umschloß. Das Bild war noch nicht vollendet, aber es versprach, ein Meisterstück zu werden.

»Siehst du, mein Mädchen, das ängstlich den Spiegel meidet, weil es meint, vor sich erschrecken zu müssen, das bist du!« sagte Werner. »Aber ich habe oft den Pinsel mißmutig hingeworfen, denn der eigentümliche Zauber, der so plötzlich das helle Licht in mir angezündet, spottet aller Farben.«

Ein heftiger Platzregen schlug jetzt prasselnd gegen die Glaswände. In dem Augenblick lief der alte Jakob vorüber, so schnell seine alten Beine es erlaubten. Sein weißes, unbedecktes Haar flatterte im Winde, und keuchend trat er ins Zimmer.

»Ich wollte...«, begann er atemlos.

»Nachsehen, ob alles in Ordnung sei, alter Jakob?« unterbrach ihn lächelnd Werner. »Gewiß«, fuhr er fort, indem er Magdalene dem Alten entgegenführte, »alles, bis auf das Aufgebot und die Hochzeit... Jakob, was meinst du, habe ich mir nicht eine schöne Braut ausgesucht?«

Jakob stand wie eine Bildsäule. Er griff zuerst wie geistesabwesend nach seinem Kopfe und lächelte dann wie einer, der auf einen unverstandenen Spaß einzugehen sucht. Magdalene trat ihm näher und legte, wortlos vor Glück und Seligkeit, den Arm um seinen Hals.

Da erst erwachte er aus seiner Erstarrung und sagte, indem Tränen in seine Augen traten: »Ach, du Unglückskind, da bist du ja! Drüben sitzt die Muhme und weint sich die Augen aus. Wie sie nach Hause gekommen ist, hat die Tür offengestanden, und du warst im ganzen Kloster nicht zu finden. Alles sucht nach dir, und ich habe deinetwegen zum erstenmal meine Pflicht vergessen, denn ich habe vor lauter Angst und Schrecken das Gewitter gar nicht gehört, und da hätte der Regen hier schön auswaschen können... Komm nur gleich mit – die Muhme glaubt dich womöglich schon im Mohrenlande... Daß Gott erbarm, wie kommst du nur hierher?«

»Ich habe dir ja schon gesagt, als meine Braut«, sagte Werner mit Nachdruck.

»Ach, Herr Werner«, entgegnete bittend der Alte, »Sprechen Sie nicht so. Das junge Mädchen versteht keinen Spaß, das habe ich Ihnen schon oft gesagt.«

»Jawohl, lieber Jakob, und ich könnte mich beinahe fürchten, wenn es mir nicht gar so ernst wäre!« rief Werner lachend und zog das Mädchen an sein Herz.

Man muß in der Welt gar vieles glauben lernen, und so gelangte denn auch endlich der alte Jakob zu der glückseligen Überzeugung, daß Werner sein liebes Lenchen wirklich zur Frau Werner machen wolle. Als auch bei der Seejungfer der noch viel länger anhaltende Unglaube, den sie durch Kopfschütteln und ein beständiges Abwehren mit den Händen an den Tag legte, besiegt war, da gab es eine Szene der freudigen Rührung und Überraschung in Jakobs Stübchen, wie sie wohl die alten Mauern in ihrem Leben noch nicht gesehen hatten.

Wie Werners Tante und Antonie über diese wie aus heiterem Himmel hereinbrechende Verlobung dachten, wird sich der Leser vorstellen können, da er selbst die Bekanntschaft dieser Persönlichkeiten gemacht hat. Ich meinerseits glaube nicht, daß die Frau Rätin sehr bereitwillig war, zur Vermählungsfeier des unbegreiflichen Neffen Kapaunen zu braten, die unglücklichen Teppiche ausklopfen zu lassen und das Haus vom Dachboden bis zum Keller herab spiegelblank zu machen, wie sie bei ihren großen Gesellschaften zu tun pflegte, und denke mir, Antonie wird schleunigst eine Besuchsreise zu einer fernen Freundin angetreten haben.

Die Rätin Bauer bezog später eine andere Wohnung, die der Neffe für sie bezahlte. Dafür schlug die Seejungfer ihren Wohnsitz in Werners Hause auf und behütete es im Verein mit Jakob treulich, bis das junge Paar, das gleich nach der Trauung eine Reise nach Italien angetreten hatte, zurückkehrte.

Den unterirdischen Gang, der nach seinem Garten führte, hat Werner zumauern lassen. Er meinte scherzend, auf diesem Wege sei das Glück zu ihm gekommen, er müsse ihm für alle Zeiten den Rückzug abschneiden. Er war überhaupt so berauscht von diesem Glück, daß er nicht daran dachte, dem geheimnisvollen Gang irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken. Anderweitige Nachforschungen durften sich hinsichtlich des Erfolges nicht mit Magdalenes Entdeckungsreise messen; denn sie fanden nichts da, wo das junge Mädchen seiner Aussage nach Silber gesucht und Gold gefunden hatte.

Frau Sage kauert nun aufs neue in den Klosterecken und deckt ihren grauen Mantel über die geheimnisvollen zwölf Apostel.


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