Eugenie Marlitt
Die zwölf Apostel
Eugenie Marlitt

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Während die Seejungfer in die anstoßende Kammer eilte, um den begehrten Schlüssel zu holen, näherte sich Werner Magdalene. Die Abendsonne fiel in dem Augenblick auf seine Züge – sie waren wie von Marmor, so edel, fest, aber auch so ruhig und so kalt. Er schien das Zurückweisende in der ganzen Haltung des jungen Mädchens nicht zu bemerken und sagte höflich: »Ich habe Sie neulich erschreckt, wie ich mit Bedauern sehen mußte.«

»Ich hatte eben Herrliches geträumt und war nicht darauf vorbereitet, einen Menschen zu sehen.«

»Es ist traurig, so unsanft geweckt zu werden.«

»Ich bin mit Enttäuschungen vertraut, seit ich denken gelernt habe.«

»So jung – und schon so bitter?«

»Erfahrungsreich, wollen Sie sagen.«

»Nein, das wollte ich durchaus nicht sagen, ich müßte denn diese Erfahrungen doch erst kennen – von Ihrer Vergangenheit aber weiß ich sehr wenig.«

»Es ist auch der Mühe gar nicht wert, sie näher zu besichtigen.«

»Wenn ich mir nun aber doch diese Mühe nehmen wollte?«

»So werden Sie alsbald finden, daß Sie schon viel zu lange mit mir gesprochen haben.«

»Ich könnte in diesem Augenblick leicht in den Fall kommen, Ihre Bitterkeit für Unhöflichkeit zu halten, die mir die Tür weist.«

»Wenn Sie vielleicht wissen, daß ein armes, unbedeutendes Mädchen auch Takt haben kann, so brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen, daß eine solche Unhöflichkeit in diesem Augenblick nicht denkbar ist.«

Magdalene hatte während dieses Gespräches die linke Hand auf den Fenstersims gelegt. Sie stand halb abgewendet und bog nur den Kopf stolz nach dem Sprechenden zurück. An das, was er sagte, reihte sich ihre Antwort stets wie ein Blitz; nur ihr Auge und ein jäher Farbenwechsel auf den Wangen verrieten ihr rasches Denken, ihre innere Bewegung, sonst blieb das Gesicht völlig ruhig.

Die Seejungfer war indessen ängstlich hin und her getrippelt, dann und wann einen scheuen Blick auf die Sprechenden werfend. Magdalenes Haltung, ihre kurzen Antworten wollten ihr ganz und gar nicht gefallen. Wo in aller Welt nahm dies junge Ding den Mut her, dem Herrn, der so vornehm und in so feinem Rock vor ihr stand, so knapp und bündig auf alles, was er sagte, zu dienen? Die unglückliche alte Jungfer verstand von dem, was gesprochen wurde, nicht ein Wort. Es summte um ihre Ohren, bis das verhängnisvolle »die Tür weisen« ihr Licht über Lenchens unseliges Beginnen verschaffte. Sie verließ eiligst das wohltätige Dunkel hinter dem Kachelofen, das sie soeben aufgesucht, und sagte mit einem Anflug von Strenge, der aber sehr kläglich ausfiel: »Ja, Lenchen, was fällt denn dir ein, daß du so grob bist mit dem Herrn?«

»Beruhigt Euch, Jungfer Hartmann«, sagte Werner, gelassen lächelnd, während er das große, blaue Auge auf Magdalene richtete. »Ich bin so eine Art Schatzgräber und lasse mich nicht so leicht zurückschrecken, wenn es sich darum handelt, Gold zu finden.«

Du lieber Gott, der sprach ja noch verwirrter als das Lenchen!... »Ein Schatzgräber«, hatte er gesagt, einer, der's mit der Schwarzen Kunst hielt!... Arme Seejungfer! Ihr wirbelte der Kopf, und sie zog sich schleunigst in ihr Versteck zurück, denn ihre Prüfung war noch nicht am Ende.

»Wenn Sie Gold suchten, mein Herr«, nahm Magdalene das Wort, und ein ironischer Blick glitt über das enge Stübchen mit der verräucherten Decke und den getünchten Wänden, »so werden Sie sich nun wohl überzeugt haben, daß Ihre Wünschelrute den Ort schlecht angezeigt hat... Indes, die Sage wird Ihnen vielleicht nicht unbekannt sein, daß dies Kloster unterirdische Gänge hat, in denen die zwölf Apostel, massiv von Silber, versteckt liegen, bis ein glücklicher Finder sie ans Tageslicht bringt... Wenn ich Ihnen raten dürfte...«

»Ich danke Ihnen für den freundlichen Wink. Da ich jedoch bis jetzt nicht den mindesten Appetit nach diesen toten Schätzen hege, so werde ich mich an den Apostel halten, in dessen wundervoller Lehre mir ein neues Leben aufgeht, der zu allen Zeiten die Welt durchstreift und liebliche Botschaft bringt. Er entzündet plötzlich ein strahlendes Licht in den armen Menschenkindern, die bis dahin in Blindheit wandelten.«

Die Seejungfer dachte in ihrer dunklen Ecke, das sei geradezu gottlos gesprochen; denn die zwölf Apostel, die jeder Christenmensch schon in der Schule auswendig lernen müsse, seien längst im Himmelreich, und Zeichen und Wunder geschähen nicht mehr. Sie hütete sich indes wohlweislich, ihre Selbstbetrachtungen laut werden zu lassen, und begnügte sich in ihrer Aufregung, mittels des Schürzenzipfels die dicke Rostschicht von dem alten Kirchenschlüssel abzureiben – eine Restauration, die sie später bei ruhigem Nachdenken bitter bereute, denn sie kostete eine frische Schürze.

Magdalene sah den jungen Mann an, als er so mit tiefer, wohlklingender Stimme sprach. Auf seiner mehr breiten als hohen Stirn, die aber glatt und fest wie von Erz sich wölbte, lag eine merkwürdige Klarheit und Ruhe; das ganze übrige Gesicht trug dasselbe Gepräge, und nur ein leises Zucken der sehr beweglichen feinen Nasenflügel und ein leichtes Beben der festgeschlossenen Lippen ließen dann und wann einen erhöhten Wellenschlag in seinem Innern vermuten. Auch jetzt erschien jener eigentümliche Zug, begleitet von einem seltsamen Aufleuchten seiner Augen, und Magdalene, die durchaus, trotz allen Nachdenkens, den Sinn seiner Worte nicht zu erforschen vermochte, fand in dieser einen Bewegung den Schlüssel zu seinen Reden – es war Spott, abscheulicher Spott. Er sprach absichtlich in nebelhaften Bildern, auf die sie nichts erwidern konnte, um sie für ihre ersten, raschen Antworten büßen zu lassen. Ihr südliches Blut wallte auf.

Sie wandte sich hastig und unmutig ab und sagte, indem sie die kleine, naseweise Weinranke von draußen abriß: »Ihr Apostel scheint sehr parteiisch zu sein, was seine Gnadenbeweise betrifft. An unserem armen Kloster wenigstens ist er bis jetzt vorübergegangen, und doch täte gerade hier mancher belasteten Menschenseele ein wenig Sonnenschein recht not.«

Jetzt erschien in der Tat ein schelmisches Lächeln auf den Lippen des jungen Mannes.

»Wahrhaftig? Ist er bis jetzt vorübergegangen?« fragte er. »Nun, dann kann ich Ihnen wohl versichern, daß ich von ganzem Herzen wünsche, er möge so schnell wie möglich hier einkehren.«

Er bog sich bei diesen Worten nieder, um in ihr Gesicht zu sehen. Mit einer heftigen Bewegung fuhr sie in die Höhe, wobei eine ihrer langen Flechten sich löste und am Fensterkreuz hängenblieb.

»Sieh da, Ihr schönes Haar!« sagte Werner, indem er sie befreite. Magdalenes Gesicht aber war plötzlich mit einer flammenden Röte übergossen. Sie warf dem jungen Mann einen zornsprühenden Blick zu und war mit zwei Sprüngen zur Tür hinaus.

Werner sah ihr erstaunt nach. Die Seejungfer aber kam aus ihrem Winkel hervor und sagte schüchtern und verlegen, indem sie ihm den Kirchenschlüssel hinhielt: »Nehmen Sie's ja nur nicht übel, Herr Werner, daß das Lenchen so fortgelaufen ist. Aber so was wie von schönen Haaren, das darf man dem Mädchen nicht sagen... Sie weiß wohl, daß sie von Kindesbeinen an der arme, häßliche Tater gewesen ist, und aus einem Raben kann sein Lebtag keine Taube werden – das weiß sie auch... Die Nachbarsleute können die hellen Haare meiner seligen Schwester nicht vergessen – ich freilich auch nicht –, und da hat's das Lenchen gar manchmal anzuhören gekriegt, daß sie so aus der Art geschlagen ist. Sie kann ihre pechschwarzen Haare nicht ausstehen, und wenn ihr manchmal so ein Zopf vornüberfällt, da erschrickt sie ordentlich... Sie guckt das ganze Jahr in keinen Spiegel, und wir haben auch keinen im ganzen Hause. Je nun, warum denn auch? Setze ich am Sonntag meine Kirchenhaube schief auf, so rückt sie 's Lenchen wieder gerade.«

Werner lächelte und nahm schweigend den Schlüssel in Empfang. Die Seejungfer begleitete ihn an die Treppe und knickste, bis er drunten im dunklen Gang verschwunden war. Gleich darauf trat Magdalene wieder in die Stube. Ihr Gesicht glühte, und ihre Züge waren in heftiger Bewegung. Die Seejungfer sah sie ängstlich von der Seite an, wie sie sich schweigend ans Fenster setzte und ihre Arbeit wiederaufnehmen wollte; aber die sonst so feste Hand zitterte, und nach allen Seiten flogen Fingerhut, Schere und Arbeit vom Tisch herunter. Als sie sich danach bückte und etwas von »ungeschickt« und dergleichen murmelte, sagte die Muhme: »Laß jetzt gut sein, Lenchen; du bringst im Augenblick doch nichts zurecht... Wie kannst du nur aber auch gleich so wild werden!... Er hat dir ja doch eigentlich nichts getan.«

»Ausgespottet hat er mich!« rief jetzt das Mädchen mit ausbrechender Heftigkeit, und in ihren glühenden Augen funkelten Tränen. »Verhöhnt hat er mich!... oh, diese Herzlosen, da stehen sie auf ihren Geldsäcken und sehen vornehm und spöttisch auf die herab, die, wie sie wähnen, im Staube ihr elendes Dasein hinschleppen!... Weil ich mit diesen meinen Händen mir mühsam den Unterhalt gewinnen muß, darum bin ich schlechter als der, den das Glück in eine goldene Wiege legte, der seine feinen Finger bedachtsam ansieht und meint, sie seien nur da, um seinen hochgeborenen Körper zu vervollständigen... Weint und lacht das reiche, in Spitzen gewickelte Kind etwa anders als das im groben Kissen?... Und sieht das brechende Auge des reichen Sterbenden in einen anderen Himmel als das des Bettlers?... Ich kann bewundernd zur Geistesgröße aufblicken, kann mich demutsvoll vor der Tugend beugen, kann das Talent verehren – aber niemals werde ich dem Mammon huldigen, der seinen Fuß grob und schwerfällig allem und jedem auf den Nacken setzen will und da schonungslos und kalt hintritt, wo der wärmste und weichste Punkt im Herzen des Armen sitzt!... Und darum wehre ich mich auch bis zum letzten Atemzug, wenn solch ein Gewaltiger daherkommt und meint, mich beleidigen zu können.« Nach diesem leidenschaftlichen Ausbruch schwieg Magdalene einen Moment. Die Seejungfer, gewöhnt, alles, was das junge Mädchen in solcher Aufregung sprach, unverstanden an ihren Ohren vorüberbrausen zu lassen – es war aber auch für diese Ohren eigentlich nicht gesagt –, hatte ihre Arbeit wiederaufgenommen und benutzte nur diesen stillen Augenblick, indem sie sagte: »Ja, siehst du, Lenchen, so geht's, wenn man vornehmen Leuten allzu dreist antwortet. Hättest fein artig deinen Knicks machen sollen und weiter nichts – so war's zu meiner Zeit, und darum ist mir auch keiner zu nahe gekommen.«

»Muhme«, rief das junge Mädchen wie außer sich, »wenn Ihr mich ein wenig lieb habt, so sagt mir nicht solche Dinge! Bedenkt Ihr denn nicht, daß Ihr mich damit schwer kränkt?... Inwiefern habe ich den Mann herausgefordert?... Ich habe ihm geantwortet, wie ich antworten mußte!... Was hat er hier in unserer armen Wohnung zu suchen?... Ist noch je einer der Herren selbst gekommen, den Schlüssel von Euch zu holen?... Das ist so einer, der sich das Elend ansieht, um es nachher beschreiben zu können. Man muß nur in dies Gesicht blicken. So mag seine Tante, die alte Rätin Bauer, in ihrer Jugend ausgesehen haben – das sind Züge von Erz und Eis, an denen mag wohl die Glut und das Empfinden anderer Herzen ungefühlt und unverstanden zerstieben.«

»Es kann schon sein, wie du sagst; davon verstehe ich nichts«, meinte die Seejungfer, »aber ein schöner Herr ist er doch, und gegen den Jakob ist er auch gut«, fuhr sie fort. »Der Alte weiß vor Freude über sein neues Logis nicht aus noch ein, und ich habe ihm in die Hand hinein versprochen, daß ich heute abend, wenn es dunkel ist, mit dir hinkommen will – er hat keine Ruhe, bis wir alles gesehen haben.«

Magdalene antwortete nicht. Sie hatte das Heft mit Leberechts Gedichten leise in das große Buch gelegt, und als sie die Klammern schloß, da rollten ein paar heiße Tränen auf den alten Folianten herab – da drinnen lagen ja die ganzen Qualen eines gebrochenen Herzens eingesargt!

Werners Haus, in der hübschesten und breitesten Straße des Städtchens gelegen, war ehemals auch ein Kloster gewesen. Es hatte jedoch, nachdem es in Privatbesitz gelangt war, beträchtliche Veränderungen erfahren. Der ganze vordere, nach der Straße gerichtete Flügel wurde niedergerissen, an seiner Stelle erhob sich ein stattliches Wohnhaus mit Mauern, so massiv und dick, daß jede Nische der breiten Fenster ein kleines Kabinett vorstellen konnte. Die Fensterreihe im Erdgeschoß steckte hinter jenen dichten, bauchigen Eisengittern, die stets einen gewissen Respekt einflößen und erkennen lassen, daß es ihre Aufgabe sei, ansehnliche Kapitalien und Wertgegenstände zu beschützen, zugleich aber auch deren gesichertes Vorhandensein verraten zu dürfen. Einige Hintergebäude, welche den weiten Hofraum umschlossen, waren jedoch ihrer Festigkeit und des späteren Datums ihrer Erbauung wegen stehengeblieben, ebenso die hohe, ungemein starke Mauer des Klostergartens, an der noch hier und da kolossale, von uralten Linden umrauschte Steinbilder verschiedener Heiliger unangetastet standen.

Die Nacht brach heute früh herein. Ober der Stadt hing ein dunkler Himmel voll schwerer Gewitterwolken. Kein Lüftchen regte sich, wohl aber quollen ganze Ströme von Blütenduft aus den Hausgärten in die stillen, schwülen Straßen.

Es hatte eben neun geschlagen, als die Seejungfer in Magdalenes Begleitung vor Werners Hause erschien, um Jakob den verheißenen Besuch abzustatten. Der große Chorflügel war leicht angelehnt, aus der schmalen Spalte aber drang ein so heller Lichtstrom, daß die Seejungfer sich nicht entschließen konnte, diesen lichten Streifen eigenmächtig zu erweitern und ihre schüchterne Gestalt in der vornehmen Atmosphäre da drinnen beleuchten zu lassen. Allein Magdalene schob ruhig den Flügel zurück und folgte der schnell hineinhuschenden Muhme durch den großen, gewölbten Hausflur nach der Hoftür. Ein gegenüberliegendes, erleuchtetes Bogenfenster im Erdgeschoß zeigte ihnen den Weg nach Jakobs Wohnung. Die Gardinen waren nicht zugezogen und ließen den Einblick in die kleine, traute Häuslichkeit völlig frei. Der Alte stand vor der altväterischen Wanduhr und zog sie mit großer Sorgfalt auf, seine Frau saß still bei der kleinen blanken Lampe am weißgescheuerten Tisch und strickte. Neben ihr vor dem Sorgenstuhl mit der hohen, gepolsterten Lehne lag das aufgeschlagene Gesangbuch, aus welchem Jakob vermutlich das Abendgebet vorgelesen hatte.


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