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Briefe der Margaretha von Valois

Liebesbriefe an und von Monsieur de Chanvallon

Die Liebesintrige mit dem schönen Chevalier begann 1580 und dauerte Jahre. Als der »Ritter des heiligen Geistes« 1630 gestorben war, hatte ihm Margaretha einen Sohn geschenkt, der Kapuzinermönch werden und im puritanischen Dunkel hatte untertauchen müssen. Wir wissen nur, daß er, recht im Stil dieser Briefe, »Père Ange« hieß. Den Stil dieser Briefe an diesen Geliebten aber, die wir wiedergeben, weil sie für den Ton der Zeit und diese sonst doch kluge und lebenssichere Frau charakteristisch sind, hat Sainte-Beuve, wie man sehen wird, mit Recht verhöhnt; er nennt sie »de la haute metaphysique et du pur phébus presque inintelligible et des plus ridicules«.

I

An Herrn von Chanvallon

Verliebte Leute pflegen, weil sie zur Leidenschaft das Leid als unerwünschtes Geschenk mitbekommen, die Liebe selbst als Quelle ihrer Schmerzen anzuklagen. Undank sei der Lohn für ihre Treue. Auch ich, standhafter und elender als irgend eine sonst, hätte das gleiche getan, wenn ich nur die Unermeßlichkeit meines Verlustes und die Trauer meiner Verlassenheit bedächte, nur einer Partei zuhören wollte und das Ohr jenem Gotte verschließen, den man so oft anklagt und der sich immer wieder zu rechtfertigen weiß. ER nun, der all mein Sinnen lenkt, hat mich denn auch zum Verstand gebracht. Ich habe eingesehen, wie recht ER hat, wie ich gar kein Recht habe, und ich wurde jäh anderer Meinung; indes ich IHN anklagen wollte, sah ich plötzlich alles anders: ich dankte IHM für seine Gnaden, die ich nie verdient habe, und daß ER mich in seiner Güte zu den Seligen, den Erkorenen gesellte. Ich erinnerte mich eben, daß Gott auch die heiligen Väter, wenn er sie sich erwählte, bevor er sie in den Himmel eingehen ließ, an einem einsamen, von aller Menschlichkeit entfernten Orte sich versammeln hieß, auf daß sie fern von der verderbten Menge in stetem Versenken in die eigenen Seelen die Stunde vollkommener Seligkeit erwarten mögen.

So bin auch ich in diese einsame Stätte verschickt, wo ich den hohen Bergen das Glück neide, mit ihren Gipfeln dem Himmel so nahe zu sein. Ich lebe dahin ohne Zerstreuung in unaussetzenden Gedanken an mein höchstes Glück oder in Erwartung der Stunde meiner Seligkeit. Ein besserer Ort hätte mir nicht erwählt werden können. Wärest Du, mein liebes Herz, nicht so vollkommen, daß ich fest glauben muß, Du seist ein göttlich Wesen, dem nichts unbekannt ist, ich würde Dir bekennen: die härtesten Felsen, auf deren Stein ich an tausend Stellen Deinen Namen, Deine Schönheit und meine leidenschaftliche Liebe geschrieben habe, müßten Dir bezeugen, ob meine Seele aus Wachs ist, daß Zeit und Trennung sie jeden Tag hundertmal neuformen und ändern könnten.

Die Nymphe des Echos dieser höhlenreichen Gebirge müßte immerzu von meiner Stimme, meinen Seufzern wiederschallen, allein sie hört ja nur auf ihren Narzissus, den Schönen; so bekomme ich zwar Antwort, aber nur eine, die erfüllt ist von hoffnungslosem Zorn, weil ich besitze, was ihr ewig grausam versagt geblieben ist. So hallt kein Donnerschlag so lange, wie man des Echos lärmendes Grollen hört, und in seine Schreie mengt sich der schreckliche Schall eines stürmischen, wilden Sturzbaches, der am Fuße der Wohnung des unglücklichen Echos vorbeieilt und der, fürchte ich, bald überfließen wird von den allzuvielen Tränen, die ich in ihn vergieße. Die Verzweiflung dieser Armen, der nichts geblieben ist als die Klagen, ist mir ein wenig Trost, lindert ein wenig meinen Gram; denn wenn man auch meinen Sinnen wie den ihren das einzige, was sie begehren, geraubt hat, meine Seele ist besser dran als die ihre, denn mein Narzissus wird nie taub sein, nie zögern, leidenschaftlichen Klagen zu antworten. Ich will dessen sicher sein, geliebtes, schönes Herz; ach, du lieber Gott, habe ich nicht das beste Recht dazu? Irrte ich aber auch – nur der Tod könnte mich von solchem Glauben befreien, mich erlösen. Wenn die Götter in ihrem Neide, damit wir ihnen nicht gleich sind, all Deine Vollkommenheit durch die Treulosigkeit gleichsam beflecken werden, wenn Ihr einer Andern Eure Liebe schenken werdet, denkt nicht: Ihr habt mich verlassen. Nie werde ich dulden, daß Ihr dann Gewissensbisse spüret, ich solche Kränkung. Sagt dann: ›Ich habe sie geliebt bis zum Tode‹ und seid versichert, die Stunde Eurer Untreue wird auch die meines Endes sein. Ihr allein habt es zu bestimmen. Laßt also mein Glück, meine Liebe und mein Leben währen oder beide im gleichen Augenblick jäh enden. Mein Lebensfaden ist nicht in Atropos Händen; er ruht in den Euren schönen, die ich millionenmale küsse.

Ha de ser una de dos
O' l'edad, o sola vos. Nur eins von zweien kann es sein,
Die Lebenszeit oder Ihr allein.

Meine Gedanken sind immer bei Dir. Und da ich sicher bin, Du kennst mein Gefühl für Dich, mein Wissen um Deinen Wert und meine Treue, so brauchts fürwahr kein anderes Zeugnis als dieses einfache Wort, damit Du mir glaubst. Allein wenn Du Dich auch mit dieser simplen Versicherung zufrieden gibst – ich selbst bekäme keine Ruhe im Herzen, bevor ich Dir nicht alle die Beweise dafür gebe, die Du von dem Menschen erwarten darfst, der am heißesten für Dich empfindet.

Ich weiß, Du hast einmal eine Heirat gewünscht, die Deine Tochter Dir vorschlug, weil das günstig für Dich, gut für unsere Liebe sei, wir dann leichter Gelegenheit hätten, uns zu sehen. Die von damals hatte nur dreißigtausend Livres Rente, und über die kann sie nicht verfügen, weil sie all ihr Gut ihren Kindern geschenkt hat. Ihr seliger Mann hat aber unendlich viel von ihr zu leiden gehabt, weil sie von eifersüchtiger und hochfahrender Art ist; er hats nie gut mit ihr gehabt, sie gehört zu den Frauen, die mehr ausgeben, als sie haben. Nun – ich habe eine andere gefunden; meine Reise hierher hat mir ihre Bekanntschaft geschenkt, und deshalb werde ich diese Fahrt immer segnen. Die nämlich hat dreißigtausend Livres Rente und zweihunderttausend Franken auf der Bank, auf die weder ihr Sohn noch ihre Tochter irgendein Recht haben (denn auch sie hat nur zwei Kinder, also nicht mehr wie jene andere). Sie wurde nämlich verheiratet, als ihr Vater noch am Leben war, der gab ihr hunderttausend Franken, die Hälfte davon wurde den Kindern zugeeignet – ohne jedes Anrecht auf mehr! – und ihr Gemahl erhielt das Geld damals sogleich. An dem Vermögen, das ihr durch den Tod ihres Vaters dann zugefallen ist, haben die Kinder also keinen anderen Teil, als was ihr selbst belieben mag, ihnen zu geben. Sie ist schöner als jene andere, von weit sanfterer Natur, und sicherlich ist sie eine anständige Frau und spricht überdies gut italienisch. Ich habe ihr in vorausschauender Absicht einen Dienst erwiesen, den ihr niemand sonst so zu Gefallen tun könnte. Sie selbst wünscht mir ergeben zu sein und mir auch ihre Tochter, die erst zehn Jahre alt ist, anzuvertrauen. Ihr könnt Euch vorstellen, daß ich das nicht abweisen werde und gut aufpassen, daß dieses Unternehmen bald zu gutem Ende komme. Denn all ihr Besitz liegt in Frankreich, in der Gegend, wo wir uns aufhalten. Ich bin also ganz gewiß, wenns Euch paßt und Ihr meinem Rat folgen wollt, daß Ihr immer Anlaß haben werdet, darob zufrieden zu sein. Ich sage Euch noch nicht, wie sie heißt; denn ich habe Angst, Ihr könntet doch davon sprechen; und wenn man nur Wind davon bekommt, kann ich Euch in der Sache nicht mehr helfen. Sprecht auch dem Überbringer dieses nicht davon! Ich habe ihm diesen Brief nicht aus Vertrauen, sondern aus Not gegeben. In drei Wochen will ich Euch Gewisseres darüber schreiben, auch Genaueres. Vor allem aber: es darf nichts von der Sache bekannt werden.

M.

II

An Herrn von Chanvallon

An dem Grade der Vollkommenheit eines Werkes erkennt man nicht nur die Fähigkeit des Arbeiters, sondern auch, wie viel Aufmerksamkeit er darauf verwendet hat. Sicherlich erfordern die schwierigeren Werke ein volles Versenken des Geistes; ist es doch leicht, den Unterschied zu erkennen zwischen solchen, mit denen man sich nur leichthin und oberflächlich beschäftigt hat, und denen, so man sich, da man Gefallen daran findet, mit ganzem Herzen widmet. Also darf man wohl aus der feinen und getreuen Schilderung, die Ihr von der Natur, der Wirkung und Gegenwirkung meiner – – Eurer Liebe, gebt, schließen, daß dies das einzige ist, an dem Eure Seele Gefallen findet: bei solchem Tun verachtet sie alle die irdischen und niedrigen Dinge und schwingt sich auf zu den höchsten und schönsten Erkenntnissen. Gerade dadurch jedoch begrenzt Eure Seele ihre Vortrefflichkeit, daß sie sich, trotz allen körperlichen Fesseln, die man ihr auch anlegen kann, so rein bewahrt hat; daß von allen ihren Funktionen die des Verstandes von ihr auserwählt worden ist, um damit so große Wunder zu wirken, wie ich es täglich erlebe: denn wie die seligen Geister, die in den Schoß der Ewigkeit eingekehrt und aufgenommen sind, freue ich mich alle Tage an irgend etwas neuem Bewunderungswürdigen, das ich entdecke, und werde in einer so lustvollen Verzückung erhalten, daß ich, wenn wirklich die Heiligen einen gleichen Zustand erleben, mit den Hugenotten glauben möchte, daß sie auf unsere Gebete nicht hören. Zu mir wenigstens dringen die Bitten und Wünsche aller anderen nicht, mich rühren sie nicht.

Ich bin taub, blind und gefühllos allem gegenüber, was nicht von Dir kommt. Meine Seele, ganz erfüllt von so sublimen Gedanken, wird nie davon abgelenkt werden; und wenn es mir vergönnt wäre, allein meinem Gefühl zu gehorchen, ich würde in stetem Denken oder Schreiben der Liebe dienen mit tieferer Hingebung und heiligerer Weihe als irgendein Eremit, der sich je von der Welt zurückgezogen hat, um ganz frommer Beschaulichkeit zu leben. Ach, warum, o mein Leben, steht es nicht in meiner Macht, wenn ich des Tages Eurer göttlichen Gegenwart beraubt bin, meine Seele befriedigen zu können durch die unersättliche Lust und Wonne solcher lustreicher Betrachtung! Dann wünschte ich mir kein anderes Glück mehr! In Übereinstimmung mit Eurer Ansicht und dem Worte des heiligen Paulus würde ich vermeinen, in mir allein die höchste Seligkeit genießen zu können; ja, fürwahr es ist so, daß der Liebende sich in den Geliebten verwandelt, daß ich mich nur noch in Euch besitzen kann. Nur in Euch lebe ich noch, und von keinem andern als von Euch wird meine Seele gelenkt. So stimmt mein Tun zu jener altehrwürdigen Meinung, und dies durch das angenehmste aller Erlebnisse. Ich genieße voll das Glück meines Lebens, sein Sinn und seine Richtung wird aber immer von Eurer schönen Hand gelenkt werden.

M.

III

An Herrn von Chanvallon

Ich hasse mein Leben, denn es ist voll Elend; aber meinen Namen liebte ich, wenn ihn auszusprechen Euch nur das geringste Glück bereiten könnte.

Mein liebes Herz, oft genug versuche ich in meinem Gram dieses Mittel; aber mein Unglück wird dadurch nicht gemildert, ja mehr noch, es scheint mir, daß Eifersucht, Grimm und Bitterkeit meines Leidens so nur noch gesteigert werden; niemals wird die Gewalt Eures Namens in meinem Innern schwächer werden, sie entspringt ja einer so reichen und herrlichen Quelle. Von Euch wird mich nie etwas treffen, das ich nicht segnete. Zu viel zu vollkommene Eigenschaften sind es, die meine Liebe zu Euch entfacht haben, und zu groß ist die Treue, die ihrem Feuer gleichsam als Öl dient, als daß je mein Gefühl für Euch dem Untergang geweiht sein könnte. Mein Ein und Alles, ich bin glücklich; und bin ich unglücklich, so finde ich unsäglich großen Trost in dem Gedanken, daß ich den Namen einer Märtyrerin der Liebe verdiene; und daß ich mich würdig erachten kann, das zu besitzen, was ich bei geringerer Mühe und Qual nicht für voll und recht erworben angesehen hätte: – Euch nämlich; denn ich glaube, nur der Himmel darf über die Schätze verfügen, die er in Euch gelegt hat …

Ihr werdet sicherlich nicht wenig erstaunt sein über den traurigen Ton meines heutigen Briefes, den Grund davon werdet Ihr von …, den Ihr in wenigen Tagen sehen werdet, erfahren. Bis dahin vergebt einer Seele, die so von Weh erfüllt ist, daß alle ihre Kräfte gebrochen sind. Nur eine Kraft lebt noch in ihr: jene, mit der sie Euch bewundert und Euch ewig lieben wird. Lebt wohl, mein Ein und Alles, lebe wohl, Du Einziges und vollkommen Schönes, das ewig über mein Herz herrschen wird! Ich küsse millionenmal die holden Fesseln, in denen es liegt, holde Strahlen Apollos …

Faßt keinen Entschluß, weder den, zurückzukehren noch zu bleiben, bevor Ihr nicht gesehen habt, was bald geschehen wird.

M.

IV

An Herrn von Chanvallon

Da Bangen und Furcht einer Seele die Freiheit rauben, und ein geängstigter Geist in allen seinen Äußerungen wirr ist, so müßt Ihr, mein liebes Herz, entschuldigen, wenn ich Euch nun dieses sage, was Ihr hier lesen werdet; weil ich jedoch meine Fehler selbst kenne, will ich nicht bis zum Schluß warten, um Euch mitzuteilen, warum es geschieht, und zwar schon aus Furcht, daß der schlechte Eindruck, den Ihr von meinen törichten Reden bekommen müßtet, so stark ist, daß Ihr keine hinreichende Entschuldigung finden könntet, um mir zu vergeben.

Wenn Leute, die ihre Liebe auf mehrere Gegenstände gerichtet haben, einen davon verlieren und diesen Verlust beklagen und sich darum betrüben und ihn bejammern, – wie viel mehr Angst, Kummer und Schmerz muß nicht meine Seele gefangen nehmen, wenn ich, die ich mein Wünschen und Begehren nur auf einen einzigen Schatz gerichtet habe und die Gefahr sehe, durch die er mir entrissen werden kann!

Großer Gott! Werde ich leben können, Du mein Leben, in der Furcht vor diesem Unglück! Wenn noch überdies mein Leid alle Tage durch irgendein neues Gerücht gesteigert wird und auch durch den Bericht von dem Unglück, das dem Atlas Pseudonym. zugestoßen ist! Meine entsetzlichen Vorstellungen werden noch furchtbarer, wenn ich denke, wie mich diese Nachricht getroffen, wenn ihm dieses Schicksal zuteil geworden wäre zur Zeit, da ich ihm blind zugetan war. Vergleiche ich dann mit seiner Unvollkommenheit Eure Vorzüge und mit diesen so verschiedenen Ursachen ihre entsprechend verschiedenen Wirkungen, dann, dann gerate ich in höllische Verzweiflung, dann sterbe ich tausendmal vor Weh; kein Verbrecher erwartet sein Todesurteil mit so rasender Ungeduld und in so tödlichen Qualen, wie ich die Nachricht von dieser Schlacht erwarte; von ihr hängt das Glück oder Unglück meines Lebens ab, je nachdem, ob in ihr das Eure erhalten bleibt oder ihm ein Ende gesetzt wird. Ich kann nur beten, daß der Himmel Eurem Leben die gleiche glückliche Dauer geben wolle, als in dem unsterblichsten Teile meines Wesens unsere schöne und heilige Liebe dauern wird.

Entschuldigt, bitte, dies elendige Papier: aus Gründen, die man nicht sagen kann, bin ich gezwungen, darauf zu schreiben.

M.

V

An Herrn von Chanvallon

Wer erfährt, daß die Hitze, die die Erde zur Zeit der Sommersonnenwende zu ertragen hat, nicht von der Erde ihren Ursprung hat, sondern ihren Grund hat in der Gegenwart der Sonnenstrahlen, wird sich nicht darob verwundern, daß, wenn er die Sonne sich entfernen sieht, um ihre Kraft der entgegengesetzten Zone zuzuwenden, mit der verschwindenden Ursache auch die Wirkung aufhört, also die glühende Hitze in eisige Kälte sich verwandelt. Wer die Absicht kennt, in der das heilige Feuer der Vestalinnen eingesetzt wurde, das nämlich angezündet wird zum Zeugnis der heiligen Beobachtung ihres Gelübdes, der wird, wenn es von selbst ausgeht, keinen anderen Grund für solches Geschehen suchen als Sünden gegen das Gelübde, welches sie abgelegt hatten.

Feuer braucht Nahrung, und fehlt die Wärme, so verliert es bald seine Kraft. Auch meine Seele hat für ihre Liebe dieses Naturgesetz empfunden; erst ward zu lustreicher Leidenschaft ihre Flamme an der Eurigen entzündet und genährt; nun aber, da ich an der Erkaltung der Sprache Eurer Briefe und an der Art, wie Ihr seit drei Monaten fortgesetzt handelt, erkennen muß, daß Euer Verlangen sich von mir entfernt, da ich sehe, wie Eure Neigungen wieder zurückkehren in ihre alten Bahnen, aus denen sie sich so glorreich aufgeschwungen hatten, habe ich andere das Licht genießen lassen, die es wohl mehr brauchen als ich – ich kann ja dem Schicksal nicht trotzen und nehme ruhig nach dem Gesetze jenes Wechsels die bei solcher Entfernung gewöhnlich eintretende Kälte hin. Dies alles hat aber nicht nur mein Herz in Eis verwandelt, sondern auch meine Hand völlig zu Stein werden lassen; oft habe ich deshalb, da ich mit Euch Eurer selbst zu spotten gedachte und des Glücks Eures »Wechsels«, die Feder zur Hand genommen, nie aber sie wirklich gebrauchen können. Endlich hat die zudringliche Werbung dieses Ehrenmannes, dem seine Freunde lieber sind als die Wahrheit, dieses Wunder dennoch an mir vollbracht, und ich habe mich leichter darein ergeben, weil ich hoffte, aus ihm ein Werkzeug der einstigen Rache zu machen, die ich an Eurer Untreue nehmen will, nämlich mein Bild dem Trugbild Eurer Augen gegenüberzustellen, damit in ewiger Reue Euer Herz die Pein des unseligen Prometheus spüre.

Meinen Zeilen füge ich die Schärpe bei, die ich Euch versprochen habe; nur um mein Versprechen einzulösen, das ich höher achte als den Zorn, den Eure Verfehlung mich beleidigend erregt: gegen diese wird meine Schönheit immer Mittel genug finden. Und wenn Ihr an meinen Worten zweifelt, gut, ich habe dem Überbringer aufgetragen, Euch die Beweise mitzuteilen, die er selbst dafür hat. Ich lasse ihn selbst sprechen, was er mag.

M.

VI

An Herrn von Chanvallon

Klaget nicht, daß ich grausam sei! Mein Tod, mein Untergang, das sind die Bande, die ich künftig mit Euch haben muß. Eure Grausamkeit, die ist zu überwinden, sie quält mich noch viel unmenschlicher als die des Tereus. Wenn ich Euch Schmerz verursacht habe, so habt Eure Genugtuung und Rache darin, daß Ihr mich an die beiden äußersten Grenzen des Leids habt gehen lassen, wie Ihr es nur Eurem ärgsten Feinde wünschen könnt. Findet es nicht sonderbar, daß ich meinem Verdacht Glauben geschenkt habe: Die unvergängliche Reue, die mir bleiben wird, wird machen, daß ich argwöhnischen Gedanken in Zukunft noch mehr Glauben schenke. Da, wo man eine so große Feindschaft weiß, kann man wohl Untreue vermuten. Wollte Gott, das wäre das Böseste, worüber ich zu klagen Grund hätte! Wenn schon die Glut meiner aufrichtigen und allzu treuen Leidenschaft nicht Erwiderung durch Liebe verdiente, sollte sie wenigstens nicht durch die Äußerungen eines so grausamen Hasses belohnt werden. Leb wohl, Du Quelle meines ewigen Unglücks! Könnt ich nur ebenso schnell meinem Leben »Leb wohl« sagen, nach Euch verabscheue ich es am meisten.

M.

VII

An Herrn von Chanvallon

So gibt es denn keine Gerechtigkeit mehr im Himmel, keine Treue auf Erden, o ihr Götter! Was muß meine Seele alles kennen lernen, was meine Zunge alles bekennen? Mein Schmerz, mein Empfinden, das Übermaß der Gründe zu klagen, nehmen meiner Feder die Macht, meinem nur zu gerechtfertigten Kummer Worte zu leihen. Was gibts denn noch, du grausamer Himmel, um mich zu demütigen, nach so mannigfachem Elend? Habe ich nicht alle Leiden ausgekostet für den, der, allzu undankbar und grausam, ihnen noch die Krone aufsetzt durch seine Treulosigkeit, die härteste Rache, die man an seinem schlimmsten Feind nehmen könnte? Triumphiert nur, triumphiert über meine allzu ehrliche und glühende Liebe! Rühmt Euch nur, mich betrogen zu haben; lacht darüber, spottet darüber zusammen mit der, die den einzigen Trost, den ich noch habe, mir schenkt, daß nämlich ihre geringe Natur Euch Euer Unrecht schnell genug bereuen lassen wird.

Ich werde die Zahl derjenigen vermehren, die der Nachwelt die Treulosigkeit Eures Geschlechtes bezeugen werden. Zwar sind die Bücher nur zu voll von solchem Tun, die schlimmen Erfahrungen dieser Art allzu gemein, und dennoch habe ich Törin, die ich bin, – mehr noch: ich Unselige – mich vor dem Fall in einen so deutlich und viele Male schon gekennzeichneten Abgrund nicht bewahren können! Wie groß war meine Torheit! Wie viel Gründe hätte ich, mich zu tadeln, wenn je wer der Liebe hätte Widerstand entgegensetzen können! Aber alle Erschütterungen der Leidenschaft geben keine ausreichenden Argumente für die Leute, die haben untersuchen und feststellen wollen, wie es um die Freiheit und Unfreiheit des Willens steht. Denn ohne Zwang von außen, vielmehr einzig nach der Stimme in unserem Innern entscheidet sich unser Wollen und Wählen; der Ausgang, den das Geschick nimmt, kann darum nur uns selbst zugeschrieben werden. So bin ich also ganz allein die Ursache meines Leidens, ich Unbesonnene, Unselige! Und daß mein Schmerz noch bitterer sei, muß ich über mich allein mich noch beklagen! Ich selbst habe meinen Feind aufgenommen, habe ihm die Herrschaft über meine Seele eingeräumt. Froh und voll Lust habe ich sein Feuer angefacht, mit Eifer die Schlingen seiner grausamen Fesseln selbst geknüpft, aus denen die Verachtung allein mich dann befreien konnte. Keine Verachtung hat ja gerechteren Grund als solche, die aus der Selbsterkenntnis entspringt, daß man nämlich das Wichtigste verkannt hat: die Quellen für Liebe und Achtung. Denn ein Fehlgehen des Urteils ist es, wenn man vom Himmel herabsteigt, um auf Erden der Eroberung irgendeines unwürdigen und gemeinen Neuen nachzujagen, und Mangel an Urteil ist es, umherzuirren, wo's nur das Urteil der Sinne gilt. So setzt man nämlich zwei Dinge gleich, die keine Vergleiche vertragen. Aus solcher Erkenntnis heraus hat die in meinem Innern wachsende Verachtung die Liebe verbannt, und Ihr dürft Euch nicht einbilden, sie je wieder in meinem Herzen entfachen zu können. Ich bedauere nur Eines an diesem Entschluß: daß ich ihn zu spät gefaßt habe; daß ich nicht die kalten Wasserstrahlen, die Ihr aus Mißachtung und um die jetzt Eure Seele beherrschende Niederträchtigkeit zu befriedigen, über mich ausgeschüttet habt, ihre Wirkung tun ließ. Es hätte die Flammen gelöscht, die zu meinem Unglück mit allzu großer Heftigkeit entbrannten – wirkten sie doch auf eine Person, die zur Liebe fähiger war als ihr Urheber. Mein Herz ist voll Zorn, Reue und Schmerz; es hat mich gezwungen, noch einmal Euren blinden Augen die jämmerliche Spur meiner vergangenen Irrungen zu zeigen. Aber all das Leid, das aus ihnen entspringt, ertrüg ich mit viel heftigerer Ungeduld, erhoffte ich nicht als Ende meines Schmachtens nach so langer Buße den Tod. Er ist der einzige Wunsch meines Herzens. Und so sicher erwarte ich ihn, daß mich diese Hoffnung tröstet, und nur der eine Gedanke quält mich, daß Ihr darüber nicht weniger als ich befriedigt sein werdet. Doch wie er mich auch treffen mag, er komme bald! Ich wünsche, ich ersehne ihn, und flehe die Götter an, seinen allzu säumigen Schritt zu beschleunigen.

Ich bitte Euch flehentlich, wenn Ihr diesen Brief als den letzten von meiner Hand empfangen habt, schickt ihn mir umgehend wieder zurück zusammen mit jenem, den ich Euch gestern schrieb. Ich will nicht, daß sie bei der lieblichen Zusammenkunft, die Ihr heute abend haben werdet, dem Vater und der Tochter helfen, auf meine Kosten sich zu unterhalten.

M.

VIII

An Herrn von Chanvallon

Ihr, einzige Sonne meiner Seele, überlaßt den Elenden die Furcht, Eure Seele auf unstäter Irrfahrt zu sehen, jenen Elenden, die, nur geboren als Zielscheibe der Geringschätzung, der Härte, der Verachtung, ihre schönste Hoffnung darein setzen, ihre Namen unter den glorreichen Trophäen unserer Siege verzeichnet zu finden. Petrarca meinte, viele bedeutende und hervorragende Persönlichkeiten zu ehren, da er sie als Sklaven Amors, die seinen Triumph verherrlichen, darstellte: ebenso wird Euren Triumphzug jene unendliche Zahl verlorener oder zurückgestoßener Seelen begleiten, die Hymnen Eures Ruhmes und die Klagen Eurer vergeblichen Taten singend; das wird der einzige Lohn für ihre Mühen sein. Sie müssen, wenn sie ihre Seele von einem mit wächsernen Schwingen beflügelten Vogel emporgehoben sehen, – denn für sie darf er nicht »Gott« heißen, ich aber kann ihn mir nicht anders vorstellen – sie also müssen das allerdings rühmlichere Schicksal des Ikarussturzes fürchten, mehr jedoch noch den unfehlbaren Untergang ihrer Seelen; jene muß das Schicksal erwarten, mit dem Ihr die Eurige bedroht; die aber ist trotz allem zu gut gehegt, zu sehr geehrt und zu vollkommen mit der meinen vereint, als daß sie fürchten müßte, daraus verbannt zu werden. Denn sie befiehlt darinnen und wird darin unbeschränkt befehlen; diese Herrschaft ist ihr für alle Ewigkeit zugefallen, ein heiliger Tempel in dem sie ewig fromm verehrt werden wird, ist ihr auf solche Art geweiht.

Doch sagt mir, wie hat es geschehen können, daß Ihr, mein Ein und Alles, in jähem Zorn mich anklagt, Mord, Raub und Frevel begangen zu haben? Ich leugne meine Schuld nicht; doch laßt die sich zum Kläger aufwerfen, die davon betroffen sind, jene, denen ich die Seele, den Körper und was damit verbunden ist, entrissen habe, und die nun gerechterweise Rechenschaft verlangen könnten, allerdings nicht hoffen, sie zu erlangen. Denn nachdem ich all meine Liebe und mein Begehren Euch überlassen, nachdem ich meine Freiheit Eurer Schönheit unterworfen habe, ist meine Seele, mein Herz und mein Leben in Eurer Macht. Ich gehöre nicht mehr mir: in Euch ist mein alles beschlossen. Ihr werdet ihr und mein Richter sein. Aber Ihr werdet auch jenen über Euer Herz die Macht gewähren müssen, die sie zu verdienen vorgeben werden, wenn Ihr solchen Ausspruch für berechtigt haltet. Würdet Ihr wohl so viel Billigkeit besitzen, Euch ihrer zu entledigen, wenn ihre Liebe und Treue, ihre Not und Pein so groß und so voller Verdienst wäre, daß man ihnen einige Freundschaft schuldete? Groß wäre dann die Tugend Eurer Gerechtigkeit, aber nicht die christliche Nächstenliebe, die man, bevor an sich selbst, erst an anderen zu üben hat; mir wenigstens würde doch die Vollstreckung solches Urteils sehr schwer werden, denn meine Seele hat nur den einen Willen, Euch zu lieben, und mein Herz vermag nichts anderes zu begehren als Euch. Vergewaltigt also Eure natürliche Neigung nicht. Liebt nach dem allen Menschen gewohnten Brauche, was Euch ganz gehört und was Euch weder die Zeit noch das Schicksal noch selbst der Tod zu entreißen vermag.

Wenn Ihr den tausendsten Teil meines Kummers kenntet, würdet Ihr es nicht seltsam finden, daß mein Brief wie mein Geist verworren ist. Entschuldigt also seine Fehler und urteilt, ob ich, fürwahr eine Märtyrerin der Liebe, in diesen vielen Worten noch Euren Ruhm singe, wie ich es würdig zu tun vermöchte, wenn ich frei von Pein und Schmerzen wäre.

Lebt wohl, mein Leben, ich küsse millionenmal diese schönen Augen und die schönen Haare, meine teuren, süßen Fesseln …

M.

IX

An Herrn von Chanvallon

Ihr fragt mit Recht, mein liebes Herz, ob denn die Sonne ihren Lauf geändert habe, da Ihr seht, daß ich sogar an den Tagen ausbleibe, die den heiligen Liebesopfern bestimmt sind, zur Zeit, wo unsere Seelen, in den Feuerhimmel entrückt, mit eigenen Augen die einzig ersehnte und aufs letzte beseligte Vision schauen dürfen? Denn eher wird wahrlich die von der ewigen Vorsehung festgegründete Ordnung der Natur aufhören als jene Sorge, die die Liebe mir schafft, nämlich nicht Augenblicke zu versäumen, die bestimmt sind, ihr so angenehmen Tribut zu zollen. Ich suche gleich Euch den Grund dieses ärgerlichen Hindernisses Eures Glückes, und wenn ich daran denke, wie oft Venus von Juno in ihren meisten Plänen gehindert worden ist, dann muß ich glauben, daß auch hienieden irgendeine böswillige, nach ihrem Bilde geformte mächtige Seele uns solches Ärgernis bereitet. Aber vergebens tritt sie uns entgegen: Auch Äneas kam endlich im sicheren Port an, von der ihm holden Venus geleitet; er litt viel, doch er ging nicht zugrunde. So wird auch unsere Liebe in diesem unbeständigen, grausamen Meere des Kummers vielerlei leiden, aber nur durch Mühen erringt man den Preis. Am Ende wird sie siegreich und ruhmvoll bleiben, und wir werden uns glücklichen Einvernehmens erfreuen. Wir müssen eben in der Zukunft den Trost suchen, wenn die Gegenwart uns nur Ungemach bietet.

Ach wie böse steht es doch mit uns! Wie unser Glück alle Seligkeit übertrifft, so sind auch unsere Leiden über alles Maß groß. Wundert Euch nicht, Ihr mein Ein und Alles, wenn Ihr diese Überlegung von mir hört! Denn wahrlich, von so viel Schlägen niedergedrückt, erliegt meine Seele der unerträglichen Last ihres Leids, erfüllt wie sie ist von der Pein, sich immer wieder das Paradies Eurer göttlichen Gegenwart rauben lassen zu müssen, um in die Hölle der Tyrannei geschleudert zu werden von jenem grausamen und nur zu meiner Geißel geschaffenen Cerberus. Und dieses Geschick führen gerade alle jene herbei, von denen ich gerechterweise ebensoviel Gutes erfahren müßte, als ich Schlechtes erfahre: ein verwünschtes, teuflisches Volk von Menschen, die meine Augen durch die Flut ihrer Tränen trübe werden lassen, die meiner Schönheit – ich darf es ja sagen, da ich Euch gefallen habe –, ihren Glanz rauben, mir den Verstand und meinen Geist derart verwirren, daß man solche Unordnung nur einem Chaos vergleichen kann.

Nie hätte ich geduldet, mein einziger Schatz, daß ein so schrecklich verworrenes Bild heute Eure schönen Augen beleidigte; die sind ja für mich wie das rettungbringende Zwillingsgestirn für die Seefahrer, doch fühle ich mehr Besorgnis, Euch Kummer zu bereiten, als Verlangen, meinen Schmerz zu erleichtern. Und ich will lieber meine Klage zurückhalten, daß ich allein von ihr weiß, und mein Leben ersticken, anstatt mein Leid noch zu verdoppeln durch das Nachfühlen des Euren. Bedauert also nicht, mich nicht gesehen zu haben! Aber wünschet und bittet den Himmel beständig um eines: Ist schon die Liebe nicht stark genug, mich zu verteidigen, dann möge wenigstens der Tod mir seine Hilfe nicht versagen!

Ach Gott! wie wenig Freude wird Euch dieser Brief machen! Mein lieber Engel, verzeiht die Heftigkeit meines Schmerzes, der stärker war als die Absicht, mich zu bezwingen. Aber der Gefangene spricht nur von seiner Gefangenschaft, der Liebende von seiner Leidenschaft und der Unglückliche von seinem Elend. Drum ist es besser, ich schließe; denn Euren Verdruß verlängern, heißt nur ihn vermehren. Laßt ihn für immer fahren, meine Seele, und wenn ich nicht zustande zu bringen vermag, was ich möchte, dann komme all Euer Unglück auf mein Haupt. Ich küsse millionenmal Deinen geliebten und schönen Mund.

M.

X

An Herrn von Chanvallon

Mein liebes Herz, unser Lieben und Leiden verbindet so viel Sympathie, daß ich glauben muß, ein und dieselbe Seele lebt in unseren beiden Körpern, mit demselben Pfeil hat Amor unsere Herzen durchbohrt, und auch das Schicksal, das uns beide mit gleichem Grolle verfolgt, bedient sich des gleichen Mittels, um sich unserem Ruhm entgegenzustellen und unsere Zufriedenheit zu stören. Dieser Gedanke läßt mich mein Unglück geduldig ertragen. Denn da ja die Philosophen unter die hauptsächlichsten Gründe der Liebe die Sympathie rechnen, kann mir das Leiden nur willkommen sein; ist es mir doch ein Zeichen dafür, daß unser unvergänglicher Bund um so fester gegründet ist! Für mich werden alle Widrigkeiten und Hindernisse nur wie ein Tropfen Wasser auf eine Flamme sein. Die Trennung, die verschiedentlichen Schwierigkeiten, die Unbequemlichkeit, der Zwang entfachen meine Liebe in dem nämlichen Maße, als sie sie in einem schwachen Herzen, in einer von gewöhnlichem Feuer entbrannten Seele erlöschen würden.

Gestern bei einem Ballett, während alle die Kavaliere des Hofes mein Zimmer erfüllten, bin ich eingeschlafen. Ein solcher Tanz, der jeder anderen Leidenschaft erregen würde, hat auf die meine nicht mehr Wirkung als die Wogen des Meeres auf den unbeweglichen Felsen. Ich bin dann nur aufgewacht, um zu bewundern, wie groß mein Glück ist, den zu besitzen, der jenen, die als die Blüte und der Ruhm des Hofes geschätzt werden, so viel überlegen ist wie die Götter den Menschen. So ziehe ich, den Geist auf dieses eine Ziel nur gerichtet, aus allem, was ich sehe, nur das, was dienen kann, mein Feuer zu nähren und zu unterhalten, meine Liebesglut, die ich liebe und hege wie die wahre Kraft und das eigentliche Leben meines Lebens, das sich von neuem Euch, mein Ein und Alles, ganz ergibt und für alle Zukunft gelobt, ein ständiger Hort der Liebe und Treue zu sein. Lebt wohl, meine geliebte Sonne, lebt wohl, mein lieber Engel, Du herrliches Wunder der Natur. Ich küsse millionenmal die Million edler Eigenschaften, die die Götter in Euch legen wollten, damit die Menschen sie bewundern müssen.

M.

XI

An Herrn von Chanvallon

Ihr, die Ihr mein Leben seid, sündigt gegen unsere Liebe und widersprecht ihrer Vollkommenheit, die Ihr in Euren Versen so gepriesen habt, wenn Ihr behauptet, mein Gefühl sei geringer als Eures. Denn da die Liebe nur durch die Übereinstimmung zu gleichem Wollen vereinter Seelen vollkommen sein kann, dann würde, wenn ich es an Zuneigung fehlen ließe, diese Gleichheit nicht mehr bestehen und folglich auch die Vollkommenheit nicht, die nur aus solcher Harmonie erwachsen kann. Und ich glaube, Euch fürwahr bewiesen zu haben, mein liebes Herz, daß ich um die Erhaltung dieses Gefühls mehr bange als Ihr, da ich mich doch gewehrt habe, als Ihr unsere Vereinigung in ihrem tiefsten Wesen vernichten wolltet. Ich glaube nämlich, ihre Unsterblichkeit ist, wie die des Achill, nur dem Verhängnis eines gewissen Zufalles unterworfen, vor dem ich es jedoch besser zu schützen wissen werde, als jener seine Ferse zu wappnen wußte. Wenn es noch einen Salomon gäbe, er würde unseren Streit wie den der beiden Frauen entscheiden, die um ein und dasselbe Kind stritten; er gab es derjenigen, die nicht ertragen konnte, es in zwei Stücke geschnitten zu sehen. Ebenso würde er nicht dulden können, daß Ihr in noch grausamerer Weise alle Tage von unserer Liebe ein Stück ihres Leibes oder ihres Lebens abschneidet, sondern würde sie ganz erhalten wollen und meine Liebe als die wahre, vollkommene und den Vorzug verdienende anerkennen. Das werdet auch Ihr sicher zugeben angesichts der Verschiedenheit, die ich Euch in unserer Liebe aufdecken will. Nämlich: Eure Liebe, im Anfang ganz göttlich, da sie ihren Ursprung aus dem Himmel und aus meiner Schönheit nahm, hat in mir eine von gleicher Art erzeugt; und diese hat sich so bewahrt, denn meine Seele, in die sie einzog, fand sie für ihren Dienst schon gewöhnt und eingerichtet, und dieser Dienst heißt nichts anderes als: mit der Vernunft dem Fleisch gebieten und ihm Gehorsam finden. Meine Liebe nun aber, in ein ganz anders geartetes Wesen kommend, fand Eure Seele verdorben durch niedrige Liebschaften, die sie bisher beherrscht hatten. Sie hatte also nicht nur die lasterhaften Begierden Eures Fleisches zu bekämpfen, sondern auch Eure von ihren Lockungen gefangene und unterjochte, von so vielen Versuchungen besiegte Seele. Und so hat meine Liebe denn die Tugend, die Begleiterin aller göttlichen Dinge, vergessen und würde, sich von jenen fortreißen lassend, ihre Unsterblichkeit ohne Zweifel verlieren, wenn ihr Bruder Castor ihr nicht die seine mitteilte, so daß sie der Nachwelt als leuchtender und schöner Stern erhalten bleiben wird. Erkennet drum also, Ihr mein Alles, wie ungerecht Eure Anklage ist, erwägt, welch schwere Strafe Ihr erleiden müßtet, wenn ich mich auf das Recht des Gesetzes berufen wollte, das den Kläger, der zu Unrecht beschuldigt hat, zu derselben Strafe verurteilt, die den Angeklagten getroffen hätte. Aber ich will mich nicht auf ein anderes, fremdes Recht stützen, sondern vielmehr das meine Euch beweisen. Ich halte es für keinen kleinen Gewinn, einen Ketzer zu bekehren, und ich habe um so mehr Lust, ihn zu bekehren, als ich seine Hartnäckigkeit kenne. Und da ich das Recht mit meiner Macht verbinden kann, zweifle ich nicht an meinem Unternehmen, und aus Freude über eine so heilige Bekehrung küsse ich tausend- und abertausendmal Deine schönen Augen, diese einzigen Sonnen meiner Seele, die durch sie ganz Feuer, ganz Flamme ist.

M.

XII

An Herrn von Chanvallon

Kein Zweifel, mein liebes Herz, die Liebe ist sophistisch und reich an Überredungskünsten; darum gewährt sie Euch so viele Beweisgründe, daß Ihr fast die Wahrheit in Zweifel ziehen, zur Lüge machen könntet. Ich bin jedoch nicht entschlossen, mich zu ergeben, sondern halte es für einen größeren Ruhm, da zu siegen, wo größerer Widerspruch vorhanden ist. Ich weiß, Ihr werdet sagen – wie Ihr es schon getan, nachdem Ihr es von mir gelernt habt –, daß es leicht ist, dem Feind in der Ferne zu trotzen. Gewiß, ich gebs zu. Auch daß Eure Gegenwart stets von mir erlangen wird, was nichts sonst erzielen könnte. Allein was mir Sicherheit und Kühnheit gibt, ist der Umstand, daß ich Eure eigene Meinung für mich zum Zeugen anrufen kann. Denn da die Vernunft in allen Menschen gleich ist, herrscht sie überall nach gleichen Gesetzen, und wenn sie irgendwo keinen Gehorsam findet, so ist das doch nicht der Fall bei Menschen, die Euch gleichen; solche, wohlgeleitet, fügen sich ihr stets. Eure Seele will das, was ich will, und ihr gefallen heißt Euch gefallen; denn die Seele allein macht den Menschen aus. Zu einem Ganzen verbunden mit dem Körper, wie sie nun einmal ist, genügen ihr die beiden Sinne des Gesichts und des Gehörs, um ihr Begehren zu stillen, das, ganz und gar verschieden von den Begierden des Körpers um so weniger Lust hervorbringt, je mehr man jenen anderen nachjagt, die keine wahre Liebe erzeugen können; denn in ihnen ist kein Verlangen nach Schönheit (Liebe aber ist nichts anderes), und die Schönheit kann nur begehrt und geliebt werden von dem, der sie kennt. Es gibt jedoch zwei Arten von Schönheit: die der Seele und die des Körpers. Die der Seele besteht in der Verbindung mehrerer Tugenden, die des Körpers in Verbindung verschiedener Linien und Farben. Die eine erfaßt man nur mit der Seele, unterstützt von dem Gehör, die andere nur mit den Augen, da wir keinen anderen Sinn haben, sie zu prüfen. Und das Ziel der übrigen Begierden ist so weit entfernt von der Schönheit, daß man es ihr geradezu entgegen gesetzt nennen kann. Denn sie bringen die Vernunft in Verwirrung, ja vertreiben sie fast aus ihrem eigenen Sitz und verbannen durch die Maßlosigkeit alle Harmonie und folglich alle Schönheit. Überlegt nur, wie verschieden diese Regungen sind, damit Ihr nicht mehr mit den Begriffen so verschiedener Dinge Mißbrauch treibt, und erkennet, daß Ihr, ob Philosoph, ob Geliebter, meiner Vernunft nachgeben müßt. Sie findet so ganz in Euch den wahren Gegenstand der wahren Liebe, daß ich gezwungen bin, Euch vollkommen und ewig zu lieben. So erfüllt von dieser göttlichen und nicht gemeinen Leidenschaft, gebe ich Euch in Gedanken tausend Küsse auf Euren schönen Mund, der allein an der der Seele vorbehaltenen Wonne teilhaben soll, denn er verdient es als Vermittler so vieler schöner und wohlverdienter Worte süßen Lobes, an denen ich mich hoffentlich recht bald entzücken kann – – – – – – – –

M.

XIII

An Herrn von Chanvallon

Obgleich die Himmelskörper, von ihrer Sphäre getragen und von den sie begleitenden Geistern gelenkt, unseren Augen nicht immer an denselben Punkten erscheinen, an die der Kreislauf ihrer gewohnten Bahnen sie führt, darf die Schuld daran weder dem Geiste zugeschrieben werden, der, allein für diese Aufgabe bestimmt, nie fehlen kann, noch ihnen selbst, die infolge ihrer natürlichen Gestalt ihre geordnete Bahn nicht verlassen können; nur unsere Augen verlieren ihren Anblick durch das Dazwischentreten dichter Wolken. Ebenso, mein liebes Herz, wenn ich für einige Tage die sichtbaren Äußerungen unterlassen habe, die die Liebe in die Ferne richten muß, – die Liebe, die ich für den Schutzengel meiner Seele halte – so klagt sie nicht an, ihre Pflicht versäumt zu haben, noch viel weniger meine Seele, ausgesetzt zu haben in der Verfolgung der Aufgabe, für die ich glaube, daß sie überhaupt geschaffen ist. Nämlich Euch zu lieben. Denn wie die Sphären sich drehen und in beständiger Bewegung um einen unbeweglichen Punkt sind, so kreisen in dauernder Bewegung meine Gedanken, meine Wünsche, meine Neigungen, geführt von jenem großen Dämon, um den Gedanken an Euch, also um Anfang und Ende aller meiner Wünsche. An den Tätigkeiten des Körpers kann man gehindert werden; aber der Geist kann von dem Gegenstand seiner Neigung weder abgelenkt noch fortgewendet werden. Er sucht mit glühendem Eifer die Vollkommenheit. Und wie könnte er, nachdem er Euch gekannt hat, sie in einem anderen suchen? Je mehr mannigfaltige Gegenstände sich meinen Augen darbieten, um so mehr steigern sie das Verlangen, Euch zu sehen. Denn durch die Vergleichung der Dinge erkennt man ihre Verschiedenheiten. Darum fürchtet nicht die Gesellschaft noch die Männer, die, je mehr sie Euch nachzuahmen suchen, Euch und die Natur ehren, da sie zeigen, daß es ebenso schwierig ist für den einen, die Vortrefflichkeit zu erreichen, wie für den anderen, ihm gleichzukommen. Solch Hindernis war es also nicht, das mir die Gelegenheit raubte, Euch zu schreiben; andere ärgerliche Umstände haben mir die Muße genommen, Eurem geliebten Zorn zu antworten.

Nein, mein liebes Herz, ich glaube wahrlich nicht, daß die Liebe Euch auserwählt hat, um sich in Euch in allen ihren schönsten Eigenschaften zu zeigen. Denn wenn sie wie Gott ihre Macht offenbaren will, dadurch, daß sie überwindet, was ihr am meisten widerstehen möchte, wer könnte besser als Eure göttliche Gegenwart sie uns darstellen? Sie, die im nämlichen Augenblick Mut und Entschlossenheit zeigt? Oh, nein! wer Euch sieht, wird sogleich jene himmlische Majestät erkennen, die Merkur vor der neidischen Aglauros nicht verbergen konnte. Und wenn er sich als Venus und Amor zugleich zeigen wollte, wer könnte ihm so viel Reize, so viel Anmut, Feuer, Liebesfesseln, Schönheit liefern, wenn er nicht die nähme, die der Himmel, aus seinem Vollkommensten wählend, in Euch vereint hat, um die Welt zu beglücken? Aber sieht man jene liebliche Kindergestalt an, in der man ihn so gerne darstellt, – wer kann ihm so sehr gleichen als Euer kindlicher Zorn, der mir so viel Spaß macht? Wie die Mütter scherzend ihre Kinder zum Streit reizen, um Vergnügen beim Anblick ihres sanft-törichten Zornes zu haben, so empfinde auch ich, wenn ich sehe, wie Eure Liebe das Beispiel solcher Kindlichkeit befolgt, ein so großes Vergnügen, daß ich mich am liebsten immerfort an einem so lieblichen Spiel erfreuen möchte. Seid also meine Liebe, da es keine andere auf der Welt gibt. Seid meine einzige Wonne, mein einziger Engel und mein einziges Leben.

M.

XIV

An Herrn von Chanvallon

Die Schrecklichkeit Eures Elends hat mir die Möglichkeit genommen, Euch zu trösten; es ist ja schwer für den, der selber Hilfe braucht, sie anderen zu gewähren. Dieser Vorfall war zwar nichts Neues für mich, da ich von der Ehe alles Leid empfangen, das ich je gehabt habe, und sie für die einzige Geißel meines Lebens halte. Aber diesmal hat sie ihre Grausamkeit derart verdoppelt, daß ich ebenso gepeinigt werde, als hätte ich noch nie ihre Bosheit zu fühlen gehabt. Ich wundere mich nicht, wenn Jupiter aus solchem Grund seine Schwester gehaßt hat; aber ich bin erstaunt, daß jener glückliche, aber unwürdige Ixion nicht wie dieselbe Verwegenheit so auch dasselbe Schicksal gehabt hat wie Semele, die Jupiter in der Gestalt sehen wollte, in der Juno ihn sah, und dabei ihr Leben büßte. Ein glückliches und glorreiches, aber mehr noch ein wohlverdientes Ende! Bei einem so schönen Unternehmen sterben, ist ein sehr rühmliches Ende; aber ein so verwegener Wunsch verdient auch keine geringere Strafe. Ach Gott, mein Leben, wie verwünsche ich »ihn«. Nein, man sage nicht, daß Ehen im Himmel geschlossen werden: Die Götter brächten eine solche Ungerechtigkeit nicht fertig. Aber es ist doch ein sonderbares Ding, mein liebes Herz, daß die Neuigkeit von etwas Leidigem sich gar so schnell verbreitet; denn den ganzen gestrigen Tag hallte das Wort »Ehe« in meinem Zimmer wieder. Ich weiß nicht, wie ich es von dem Fluch reinigen kann, den ein so häßliches Wort darin zurückgelassen hat; es ist gewiß dadurch befleckt, und ich würde nicht mehr wagen, darin Apoll ein Opfer zu bringen, ehe es nicht durch Euch wieder geweiht ist. Entschließt Euch also, meine liebe Sonne, die Wolken jener störenden Hindernisse zu zerstreuen, die zwar unsere Körper, nie aber unsere Seelen trennen können: die sind durch ein Los vereint und durch ein ewiges Band verbunden.

Der Gegenstand dieses Briefes verwirrt mir den Geist noch mehr, als er schon verworren ist. Dabei wäre er vielleicht noch nicht einmal so blöde geworden, hätte mich nicht lästige Gesellschaft gestern den ganzen Tag so festgehalten, daß ich kaum einen freien Gedanken hatte. Und heute morgen habe ich so große Eile, mich anzukleiden, um nicht den glücklichen und ersehnten Augenblick zu versäumen, daß ich den Brief nicht mehr abschreiben kann. Ich bin ja auch sicher, daß meine Gegenwart angenehmer sein wird als der Anblick eines schön geschriebenen Briefes.

M.

XV

An Herrn von Chanvallon

Niemals, mein liebes Herz, werde ich glauben, daß eine Seele, die von so treuer Liebe zu würdiger Schönheit erfüllt ist, so wenig fruchtbar sein sollte, daß in ihr auch nur der leiseste Wunsch entstehen könnte, von einer so angenehmen Übung zu lassen; auch wird sie ja durch das Studium schöner Bücher nicht gestört, denke ich, sondern das Vergnügen an denselben wird vielmehr dadurch gesteigert. Da also die Bücher dazu dienen, die Verliebten bei der Betrachtung der Ursachen und Wirkungen ihrer Leidenschaft zu erhalten, so werde ich, wenn Ihr Euch beim Lesen zu langweilen anfangt und ich bemerke, daß Ihr einen anderen Zeitvertreib nötig habt, den Schluß ziehen müssen, daß die Schuld an Eurer abnehmenden Neigung liegt und nicht an der Beschäftigung mit gelehrten Dingen. Diese schenkt vielmehr einer verliebten Seele immer neue Mittel, sich in ihrem Schmerz zu trösten, ihr Feuer zu nähren, ihrem Trachten zu Ruhm und Vollendung zu verhelfen. Haben doch die Philosophen, als die vollkommensten und erlesensten Geister ihrer Zeit, mehr und tiefer von dieser göttlichen Leidenschaft gerührt als die anderen, so Vieles und so Verschiedenartiges darüber geschrieben, daß man stets etwas darunter finden muß, das jenem gleicht, was man selbst empfindet. Und das bringt Trost genug, um nicht zu sehr die Trennungszeit zu beklagen. Hätte ich allein Macht über mich, ich wollte mich beständig so beschäftigen; denn ich kenne nichts, was mir, wenn ich Eurer lieben Gegenwart beraubt bin, Freude bereiten könnte außer solcher Lektüre, die sie mir durch die schönen, leidenschafterfüllten Worte ins Gedächtnis ruft. Ich habe gesehen, daß Ihr früher der gleichen Meinung waret, und wenn Ihr sie jetzt ändern solltet, so muß schon irgendeine ganz besondere Schönheit in der Gesellschaft, die Ihr aufsuchen mögt, Euch gefallen; sonst bringt das Treiben der Menge ja weder Freude noch Linderung, und meistenteils bleibt nur Verwirrung und Beschämung in uns zurück. Indessen, wenn das Vergnügen der Abwechslung Eure Seele auch nur ein wenig angestachelt hat, folgt bitte getrost Eurem Verlangen. Ich fürchte nicht, daß etwas Besseres Euch festhalten wird, denn ich bin fest überzeugt, wenn wir alles und alle um uns geändert hätten, würden wir doch wieder zu uns zurückkehren.

Es ist auch nicht nötig mir solchen Schreck zu bereiten, um mich weniger träge zu machen. Wenn unser Liebesbote ohne Antwort zurückgekehrt ist, dann wird er mich nicht ohne Bedauern lassen darüber, daß ich Euch durch ihn nicht die Freude bereiten konnte, an der ich wie an allem, was Euch betrifft, zu großen Anteil habe, um nicht selbst Mühe daran zu verwenden. Aber Ihr wißt das alles ja nur zu gut, mein Leben, und ich brauche nicht vieler Worte, um es Euch zu versichern, ebenso wie Ihr auch wißt, daß ich hier eine Gesellschaft habe, die mir den Geist verwirrt wie diesen Brief. Entschuldigt das, bitte, und laßt mich noch diesen Augenblick wissen, ob Ihr mich heute besuchen werdet. Lebt wohl, mein Alles, ich küsse Euch millionenmal.

M.

XVI

An Herrn von Chanvallon

Wenn man durch Beschönigen unser Unglück lindern oder beseitigen könnte, dann, mein liebes Herz, wäre es auch meine Meinung, ich müßte handeln wie Ihr: nämlich alle Anzeichen der Gefahr, die sich zeigen, übersehen, alle Warnungen, die wir empfangen, überhören. Aber so viele Beispiele lehren uns die schlimmen Folgen, die solche Sorglosigkeit nach sich zieht, daß ich nicht einwilligen mag, ihre Zahl noch vermehrt zu sehen durch den Untergang dessen, was mir auf dieser Welt das Liebste ist. Denn nach der Vernichtung unserer Liebe oder Eures Lebens hätte ich keinerlei Verlust mehr zu fürchten; mein Leben, meine Ruhe und mein Glück hängt ja nur an diesen beiden Gütern, es sind die einzigen, die ich bewahren will. Findet also darum, ich bitte Euch, die ungeheure Furcht nicht erstaunlich, die mich bei dem Gedanken, sie verloren gehen zu sehen, erfaßt. Und da ich glaube, daß das eine Gut, unsere Liebe, nach all den Jahren und Zeiten über jede Unbeständigkeit und jeden anderen Zufall erhaben ist, wende ich meine ganze Sorge dem anderen Gute – Eurem Leben – zu. Ich kann mich der schrecklichen Angst um Euer Leben nun einmal nicht erwehren, und sie läßt mich tausendmal mein Leben verabscheuen und verwünschen, weil es so elend ist, daß es anstatt dem, dem es geweiht ist, zu dienen, ihm nur Leid und Unannehmlichkeit verursacht. Wollte Gott, daß das Ungewitter über mich allein herniedergehen wollte; dann würdet Ihr erkennen, wie viel leichter ich das Unglück am eigenen Leibe ertragen wollte, als es Euch um meinetwillen leiden zu sehen. Wäre die Entscheidung nur bei mir gelegen, nie hätte meine Hand dieses grausame Urteil unterzeichnet; immer habe ich den Tod für eine so göttliche Sache gering geachtet, aber Euch in Gefahr bringen! oh nein! mein Leben, es gibt keine noch so große Pein, der ich mich nicht eher hätte unterwerfen wollen! Ich gebe Euch keinen geringen Beweis dafür, indem ich mir das Vergnügen Eures lieben Anblicks versage, der mir doch ebenso notwendig ist wie die Sonne den Frühlingsblüten. Sie welken nicht schneller, wenn die Sonne sich von ihnen wendet, als mein Leben und meine Schönheit, muß ich Eurer schönen Augen Anblick entbehren, Glanz und Kraft verlieren. Urteilt also selbst, Ihr mein Alles, welche Furcht ich um Euch habe, und ob ich ohne Bedauern und ohne Anstrengung mich dazu zwinge die schöne Gelegenheit, die sich bot, vorbeigehen zu lassen; – diese Gelegenheit, die sich noch bieten würde, wenn von Eurer Seite alles so vorbereitet worden wäre, wie von meiner. Doch da es nicht an mir liegt und durch Eure Schuld allein uns ein solches Glück genommen worden ist, ertrage ich es, ohne aufzuhören, Eure Hände mit jener Liebe zu küssen, die zu allerletzt in mir sterben wird. Ich bitte Euch diesen verworrenen Brief zu entschuldigen. Ich bin von Jammer und Schmerz so niedergedrückt, daß ich ihn nicht abzuschreiben vermag.

M.

XVII

An Herrn von Chanvallon

Das ist fürwahr zu viel, mein liebes Herz: mit einem Schlage sich der wirklichen Gegenwart seines Glückes beraubt zu sehen und des Mittels, das leidenschaftlich erregte Herz durch Schreiben zu erleichtern. Es heißt eine Seele ersticken und ihr nicht nur die Möglichkeit zum Seufzen, nein zum Atmen zu nehmen, wenn man das Herz mit so viel Kummer bedrückt. Wollte Gott, Ihr sähet, wie mein Leben ist, ach, dann würdet Ihr meine Hölle nicht Paradies nennen, würdet mich nicht anklagen, zu stolz das zu besitzen, was die Bewunderung der Menschen und den Neid der Götter erregt, diesen unwürdigen Kreaturen Trotz bieten zu wollen. So unwürdig und unvollkommen sind diese Menschen ja, daß ich, auf Euch zum Vergleiche aufblickend, ganz starr vor Staunen bin, daß ein so großer Schöpfer, der Euch in die Welt gesetzt hat, auch so gemeine und elende Wesen, die in mir nur Verachtung und Mitleid zu erwecken vermögen, hat schaffen können. Mein Geist zum Himmel Eurer Vollkommenheit erhoben, kann an nichtigen Wesen und irdischem Tand keinerlei Stolz und Vergnügen mehr finden; und dies umso weniger, da man Euch mit allen diesen hier gar nicht einmal vergleichen kann, wobei wenigstens Eure Verdienste heller leuchten würden! Das muß Euch überzeugen, wie fest Euer Bild in meinem Herzen eingeschlossen ist, muß Euch beruhigen, nicht bloß dieses Bacchus Pseudonym. wegen, sondern auch aller derer, die – neue Phaetons – einer nichtigen Ähnlichkeit wegen so verwegen sein möchten, sich fähig zu glauben, den Schritten des einzigen Phöbus zu folgen; wäre es auch nicht gewiß, daß die Erde nur eine Sonne haben kann, sicherlich ist es wahr, daß meine Seele von Eurer Schönheit allein ihr Licht und Leben erhält. Ihr wißt es ja, mein liebes Herz! in Eurem letzten Brief habt Ihr mir das ja eingestanden. Aber, ich bitte Euch, seid überzeugt, daß Ihr nicht so viel Freude habt es zu glauben, als ich beim Hören eines so herrlichen Geständnisses empfinde. Meine Vollkommenheit ist nichts als meine Liebe. Nicht als wäre ich deswegen der Meinung Platos, der den Liebenden, gleichsam von einem göttlichen Geist erfüllt, für vollkommener hält als den Geliebten. Denn da ich beides bin, werde ich immer diese beiden Eigenschaften bewahren und sie schätzen, wie's ihnen zukommt, wenn ich auch die Ursache der Wirkung vorziehe. Dies wäre ja so, wie ein Kind undankbar gescholten werden müßte, das seine Mutter nicht anerkennen und ihr nicht nachstehen wollte.

Unsere Schönheit aber ist es, die unsere gegenseitige Liebe erzeugt hat. In endlosem Kreislauf wird sie ihre Bahn gehen, die unvergänglich ist, wie unvergänglich auch das Wesen ihrer Ursache.

M.

XVIII

Herr von Chanvallon an die Königin

Ich hätte nicht gewagt Euch zu stören, während Ihr so vertieft in Eure fromme Andacht wart; aber heute, meine Königin, wo ich glaube, daß Ihr, wie man sagt, den lieben Gott nach Galiläa schicken könnt, mag ich nicht fürchten die Fährte wieder aufzunehmen: Ich will Euch daran erinnern, was ich für Euch bin, und glaube, um mein Glück zu krönen, nicht besser tun zu können, als es Euch in diesem Brief darzutun, damit Ihr durch Recht und Billigkeit, die immer auf meiner Seite sein werden, so kräftig angetrieben werdet, daß alle die Hindernisse, die sich Euch etwa entgegenstellen, keine Gewalt über Eure Tugend bekommen können. Ihr hattet geruht, mir zu versichern und zu versprechen, daß ich gestern die Ehre haben würde, Euch zu sehen. Ich bitte Euch untertänigst und flehentlich, es wenigstens heute abend für passend zu halten, mich zu empfangen. Und ich versichere Euch schon jetzt, daß ich Euch eine Unmenge von Dingen zu erzählen habe, die ich erfahren habe und die von nicht geringer Wichtigkeit sind. Ich glaube, Ihr habt noch nichts von einem Streit, der sich zugetragen hat, gehört; ich muß aber noch mehr darüber erfahren. Also gewährt, mein Herz, mir heute abend das Glück, Euch zu sprechen, und entschuldigt Euch nicht mit Euren Schmerzen, die Euch gewiß nur so lange hindern, als es Euch gefällt. Und dann, die allgemeine Aufregung wird es gewiß dahin bringen, daß alle Leute früher zu Bett gehen und fester schlafen werden … Lebt wohl, meine liebe Herrin, ich küsse untertänigst Eure schönen Hände.

XIX

Herr von Chanvallon an die Königin

Ihr habt mich der Untreue anklagen wollen, meine Königin, obwohl Ihr nicht zweifeln könnt, was ich Euch bin, und so gut wißt wie ich, daß Eure große Härte mich allzu grausam leiden läßt. Auch versteht Ihr sehr wohl, daß ich, wollte ich mich selbst geringschätzen, alles das verachten könnte, was mich hindern möchte, Euch meine unendliche Liebe zu bezeugen. Denn, wenn solche »Gründe« Euch bis zu dieser Stunde dazu gedient haben, mich zu quälen und zu martern und das letzte von dem, was ich im Herzen und in der Seele trage, herauszupressen, so habt jetzt Erbarmen mit mir, wo Ihr doch aus so vielen gerechten und offenkundigen Beweisen erkennen müßt, daß ich ganz Euch gehöre. Macht bitte, Herrin, wenn Ihr schon nicht wollt, daß ich etwas von dem zu fühlen bekomme, was meiner Treue und meiner Geduld Lohn hätte sein sollen, macht, daß Ihr wenigstens an Stelle eines Lohnes mit den unerträglichen Qualen aufhört, durch die Ihr mich gepeinigt habt, seit Eure Tugenden mich zu Eurem Sklaven machten. Erinnert Euch, meine Königin, der Schwüre, die ich gestern so feierlich in Eure schönen Hände erneuerte, und Ihr werdet gestehen, daß Ihr in mir die Lauterkeit meiner Gesinnung last, wenngleich Ihr denken müßt, daß alles, was ich Euch auch sagte, doch nicht den geringsten Teil meiner Liebe auszudrücken vermag. Ich weiß, Ihr werdet es seltsam finden, wenn ich Euch flehentlich zu bitten wage, mir die Ehre zu gewähren, daß ich Euch morgen ein Viertelstündchen sprechen darf. Aber ich habe heute etwas erfahren, was Ihr wissen müßt, etwas Wichtiges, etwas, das man nicht schreiben kann, wie Ihr selbst werdet beurteilen können. Eine Freundin hat mir gesagt, Ihr zeigtet Euch unzufrieden mit mir. Ihr wißt, Herrin, ob Ihr Gelegenheit dazu habt, da Ihr nur die Äußerungen meiner glühendsten Leidenschaft kennt. Habt also Mitleid mit mir, mein Herz, und duldet für ein Wesen, das Euch so liebt, das bißchen Ungemach. Ich küsse untertänigst Eure schönen Hände.


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