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Eine schlimme Nacht

Herr und Frau Fritz lagen in tiefem Schlafe, als ein leichtes Geräusch in der Küche die Gnädige weckte. Sie gab ihrem Mann einen heftigen Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite und flüsterte entsetzt:

»Diebe!«

Das Nachtlämpchen war ausgegangen. Herr Fritz tappte auf dem Nachttischchen nach Zündhölzern. Seine Frau wiederholte zitternd:

»Keinen Lärm! Hörst du? Hörst du? O!«

Herr Fritz hatte endlich die Kerze angezündet und starrte, unbeweglich dasitzend, mit großen erschreckten Augen seine Frau an, die so bleich war wie er. Es war ein Augenblick unsäglicher Angst, währenddessen ihr Herz in starken Schlägen pochte. Das Geräusch in der Küche dauerte fort.

»Man muß nachsehen,« sagte endlich der Steuereinnehmer, der einer der furchtsamsten und vorsichtigsten Menschen war. Aber der Selbsterhaltungstrieb stachelte ihn auf. Man könnte sie ja in ihren Betten ermorden!

Eilig zog er die Hose an, schlüpfte in die Pantoffel, bewaffnete sich mit einem kleinen Revolver, der immer geladen im Schubfach lag. Frau Fritz, die keinesfalls allein im Bett bleiben wollte, hatte einen Unterrock und die Strümpfe übergestreift. Als ihr Mann in den Korridor schleichen wollte, raunte sie ihm zu:

»Warte!«

Und einem teuflischen Gedanken folgend, goß sie den Inhalt einer Flasche mit Karbolsäure, die sie zu ihren Waschungen brauchte, in die Rasierschale ihres Mannes, fest entschlossen, die ätzende Flüssigkeit den Dieben in die Augen zu schütten, während er alle Kugeln aus seinem Revolver abfeuern würde. Bum! Bum! Bum!

Im Korridor stellte sich der Steuereinnehmer, dem seine Gattin, die Schale und die Kerze tragend, folgte, hinter einem Kasten auf die Lauer und rief mit seiner stärksten Stimme, die aber doch zitterte:

»Werda? Antwortet, oder ich schieße!«

Dann setzte er hinzu:

»Wir sind sehr viele, und bewaffnet! Werda?«

Niemand zeigte sich. Aber aus der Küche, drei Schritte weiter, kam Licht, ein Schatten glitt über die Schwelle, dann hörte man das Geräusch der Wasserleitung, das singende Glucksen, den tiefen und den hellen Ton des Wassers, das ins Becken rinnt.

Zu aufgeregt, um länger zu warten, ging das Ehepaar, den Revolver und die Schale mit Säure hoch erhoben, lautlos an der Mauer hin, und als sie vorsichtig den Kopf in die Küche gesteckt hatten, blieben sie starr vor Staunen stehen, da sie niemanden bemerkten, als ihre Magd Rosalie. Wieviel Uhr war es denn? Die Küchenuhr schlug zwei, wozu war sie aus ihrer Dienstbotenkammer im fünften Stock heruntergekommen? Jetzt stellte sie gar Wasser auf den Herd, in dem schon das Feuer prasselte. War sie verrückt?

»Rosalie!« sagte Frau Fritz befehlend.

Die Magd wandte sich nicht um. Sie war im Hemd und Unterrock, mit bloßen Füßen. Eben nahm sie ein Messer und schabte Rüben.

»Um Gottes willen!« hauchte Frau Fritz entsetzt. Und mit erstickter Stimme wiederholte sie:

»Rosalie!«

Aber die Magd blieb taub. Herr Fritz riß erschrocken den Mund auf. Dieses Mädchen, das seit acht Tagen bei ihnen im Dienst war, hatte noch keinen Anlaß zur Klage gegeben. Sie hatten aber, wegen ihrer krankhaft blassen Farbe und ihrer offenbaren Schwächlichkeit, gezögert, sie aufzunehmen. Frau Fritz streckte die Hand aus, um die Magd am Arm zu schütteln, er aber hielt seine Frau vorsichtig zurück. Im selben Moment drehte sich Rosalie um und zeigte ein versteinertes, hypnotisch-starres Gesicht, aus dem zwei unbewegliche stahlblaue Augen in unerträglichem matten Schimmer glänzten.

»Sie ist eine Nachtwandlerin!« flüsterte der Einnehmer und zog sich jäh zurück, denn dieser Blick, der übrigens nicht ihn anzusehen schien, hatte ihn ganz verstört. Frau Fritz, beeinflußt von dem geheimnisvollen Ton ihres geängstigten Gatten, folgte ihm so schleunig, daß sie die Hälfte aus ihrer Schale auf ihre Strümpfe vergoß. In ihrem Zimmer, bei dem zerstörten Bett, erklärte dann Fritz:

»Es ist klar, sie ist eine Nachtwandlerin!«

»Aber ich will sie aufwecken!« schrie die Frau, ärgerlich über den ausgestandenen Schrecken und gereizt, daß die dumme kleine Magd die Ursache war.

»Nein, nein,« sagte er. »Nachtwandler darf man niemals aufwecken.«

»Bah, man legt ihnen einen sehr kalten Schlüssel auf den Rücken!«

»Niemals!« sagte er ernst und verständnisvoll. »Es ist zu gefährlich.« Und er hob einen Finger und setzte hinzu: »Man weiß nie, was da passieren kann.«

Im selben Moment glitten ganz leichte Schritte von nackten Füßen durch den Korridor.

»O Gott!« sagte Frau Fritz. »Da ist sie wieder! Was wird sie denn noch anstellen?«

Und aus Furcht oder vor Kälte klapperte sie mit den Zähnen.

»Still, still!« sagte der Mann, dessen Hand am Revolver konvulsivisch zitterte.

Die Magd trat geräuschlos ein, streifte an ihnen vorbei, ohne sie zu sehen und zu hören. In ihrem aufgeschürzten Unterrock trug sie Scheite und kleines Holz. Sie kniete vor dem Kamin nieder und machte Feuer.

»Ist das glaublich?« fragte der Blick der Frau Fritz.

Er schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: »Seltsam! Sehr seltsam!«

Die Flamme stieg auf, es prasselte, und der Feuerschein, der sich auf dem Teppich ausbreitete und über die Kupferbeschläge des Bettes und die geschliffene Fläche des Spiegelkastens tanzte, umgab Rosalie mit einem hellen Nimbus, ließ ihr anämisches Gesicht, die blutleeren Ohren schärfer hervortreten.

Unwillkürlich betrachtete Herr Fritz die kaum Bekleidete eingehender, folgte mit dem Blick der Linie des gekrümmten Beines, das nackt und von kränklich weißer, blau schimmernder Färbung war. Frau Fritz jedoch fand dies sehr unpassend, und sie wollte schon mit lauter, starker Stimme zu Rosalie reden, sie sogar schütteln, um sie zu erwecken, als die Magd sich erhob, und im gleichen, automatischen Schritt, den Kopf erhoben, die Augen starr, wiederum an ihnen vorbeistreifte, dann die Mauer entlang und zur Türe hinausging.

Das Ehepaar sah sich eine lange Meile an und wagte nicht zu sprechen.

»Ah, ah,« machte endlich die Frau, ganz sprachlos. Dann brummte sie: »Die Nachtwandler sollten sich doch wenigstens anständig anziehen!«

Er machte eine abwehrende Handbewegung:

»Pst!«

Von neuem schlürften Schritte im Korridor, ein Schlüssel knarrte an der Eingangstüre. Die beiden Fritz stürzten hin, sahen Rosalie, die Kerze in der Hand, die Eingangstüre öffnen; sie trug einen leeren Korb. Sie ging hinaus und schloß hinter sich ab.

Mit einem Sprung war Frau Fritz bei der Türe, verriegelte sie, legte die Sicherheitskette an, schob die Schmutzwäschekiste und zwei Sessel als Barrikade hin.

»So!« sagte sie dann.

Und von einer boshaften Lustigkeit erfaßt, die nun als Reaktion auf den großen Schrecken kam, sagte sie höhnend:

»O, wenn sie jetzt auf den Markt geht!«

Und mit echt weiblicher Grausamkeit setzte sie hinzu:

»Übrigens, sie soll meinetwegen zum Teufel gehn!«

»Ah, die Angst!« sagte Herr Fritz. »Wir haben eine schöne Angst gehabt.«

»Was hast du dir denn gedacht?« fragte sie.

»Ich dachte, daß es Räuber wären. Aber,« sagte er, wieder mutig, mit dem unverwüstlichen Hang nach Prahlerei, der im Manne ist, »sie wären nicht weit gekommen, mit meinem Revolver!«

»Ich hätte ihnen die Schale ins Gesicht geschüttet,« sagte Frau Fritz. Und noch zitternd, setzte sie gleich hinzu: »Wenn wir uns nur keinen Schnupfen geholt haben!«

»Eher noch sie,« meinte er scherzend. »Sie war ein wenig leicht gekleidet für einen Spaziergang im Freien um diese Zeit, was?«

Aber Frau Fritz lächelte nicht.

»Ich hätte auf der Hut sein sollen. Sie hat einen so wächsernen Teint und sonderbare Augen.«

Herr Fritz rieb sich sanft den Bauch, als plagte ihn schon eine kleine Kolik.

»Hast du nicht Hunger? Aufregungen machen mir immer den Magen so öd.«

Sie gingen zum Büfett des Speisezimmers und aßen kalten Kalbsbraten, der noch übrig war. Da der Herd in der Küche schon tüchtig geheizt war, benützten sie gleich die Gelegenheit, um einen heißen Grog zu trinken. Dann gingen sie zu Bette, konnten aber noch lange nicht schlafen.

Am nächsten Morgen erhielt Rosalie die Kündigung.


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