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Das kleine Hausmittel

»Ich versichere dir, mein Freund,« sagte Frau Oreille, »es ist die einfachste Sache von der Welt!«

»Sprich nicht so laut!« machte ihr Mann.

Er war sehr schamhaft und fürchtete, daß seine Schwiegermutter im nächsten Zimmer, oder die Bonne, die vor der Türe auskehrte, hören könnten, welchen Rat seine Frau ihm gab. Die Lippen zusammengepreßt, strich er sich mit zweifelnder Miene über die Stirn und überlegte:

»Soll ich es nehmen? Soll ich es nicht nehmen?«

»Ein Abführmittel,« sagte Frau Oreille mit aller suggestiven Grazie einer jungen Frau, bestrebt, von den Dingen heimlichster Intimität ohne Erröten zu sprechen, »ein Abführmittel ist begreiflicherweise schlecht zu trinken. Aber das, das ist so rasch geschehen! Und du wirst dich nachher viel wohler fühlen!«

»Nämlich –« stammelte er geniert, »nein, nein, es ist zu dumm für einen erwachsenen Mann, es ist einfach lächerlich. Du würdest dich nachher zuerst über mich lustig machen.«

»Ich?! Aber, Liebster, geniere ich mich etwa, selbst eines zu nehmen? Alle Welt nimmt das doch, es gehört zur Gesundheit!«

»Sprich nicht so laut!« sagte Herr Oreille.

»Hör zu, laß mich nur machen. Ich will nur rasch eine Schale warmes Wasser holen und die kleine Maschine herrichten. Eine Sekunde, nicht länger.«

»Nein,« sagte Herr Oreille entschlossen, »es ist unmöglich.«

Sie sah ihn verblüfft an und wollte noch nicht glauben, daß es sein Ernst sei.

»Du willst es nicht nehmen?«

»Nein, Liebste.«

»Selbst mir zuliebe nicht?«

»N … nein!«

»Du willst also lieber krank sein, du willst lieber leiden, ja, willst du das lieber? Wart, ich sag' es meiner Mama und lasse den Arzt holen.«

»Leise!« sagte er flehend. »Mach mir vielleicht lieber einen erfrischenden Saft, kleine gedünstete Pflaumen zum Beispiel!«

Sie zuckte die Achseln, legte ihre Hände flach auf seine Schultern und erklärte, die Augen fest auf die seinen gerichtet:

»Du wirst das nehmen!«

Sie betonte:

»Du wirst es nehmen, oder ich liebe dich nicht mehr, also!«

Dann, überredend:

»Lächerlich! Aber, um Gottes willen, warum soll das lächerlich sein? Es wundert mich, daß du nicht auch gesagt hast, es ist unrein, als ob es nicht noch viel unreiner wäre, zu ... Nein, schau, ihr Männer seid wirklich Narren mit eurem Stolz. Warte hier, es muß noch ein wenig Kleienwasser auf dem Herd sein.«

»Daß aber wenigstens,« bat er, »niemand ahnt, daß es für mich ist! Verstecke die Schale unter der Schürze.«

»Du kannst beruhigt sein.«

Aber Herr Oreille war es ganz und gar nicht. Sicherlich, die hartnäckige Fürsorglichkeit seiner Frau rührte ihn. Schließlich lag, alles in allem, in dem, was sie ihm vorschlug, nichts Beschämenderes, als in anderen sehr intimen Details ihres Lebens, in den Geheimnissen des Alkovens. Aber, sein Zartgefühl sträubte sich doch gegen diese Sache. Es erschien ihm grotesk, und er mußte, ohne zu wissen warum, immer an die Störche denken, die sich selbst mit ihren Schnäbeln klistieren; oder auch, denn er war belesen, an jenen Abschnitt aus Saint-Simon, in dem erzählt wird, wie die Herzogin von Burgund, in großer Hofgala, vor den Augen Louis XIV. und der Maintenon, die gar nichts davon sahen, sich von ihrer Kammerfrau ein Klistier geben ließ. Er erinnerte sich auch, daß, wie die Memoiren des Fräuleins de Launay erzählen, Herr de Laval, der zur Zeit der Verschwörung in die Bastille geworfen worden war, sich dort mit der Bereitung ausgezeichneter Tränke befaßte, die er von hinten einnahm. Schließlich, auch bei Molière spielen die Spritzen eine große Rolle. Hatte er nicht selber lachen müssen bei der Verfolgung der Apotheker in »Pourceaugnac«?

»Da!« sagte Frau Oreille, die nun zur Türe hereintrat, einen Topf kochenden Wassers in der Hand.

»Glaubst du,« warf er ein, »glaubst du wirklich, daß es der Mühe wert ist?«

Sie würdigte ihn keiner Antwort mehr, suchte in ihrer Lade eine schöne Schachtel aus Eichenholz und nahm daraus eine ganz neue vernickelte Klistierspritze, deren symbolischer Glanz, übereinstimmend mit der Nettigkeit des Schlafzimmers und seiner Möbel, wohl die Verheißung eines neuen Lebens, die frische, lächelnde Zukunft des Eheglückes zu verkünden schien.

»Mach dich fertig,« sagte sie.

»Aber, du denkst doch nicht daran, es mir selbst zu geben. Geh doch, laß mich wenigstens allein.«

»Ah, freilich, damit du den Hahn abbrichst! Mach dich nur fertig!«

»Wenn du hier bleibst, nehme ich es nicht,« sagte Herr Oreille mit der entschlossenen, wiewohl resignierten Festigkeit der Verzweiflung und setzte sich auf einen niederen Stuhl, den Kopf zwischen den Händen, in der Haltung eines so ausgesprochenen passiven Widerstandes, daß Frau Oreille, wenn sie nicht einen wirklichen Kampf eingehen wollte, ihn nicht überwunden hätte.

»Gut also, ich gehe hinaus. Du siehst, der Apparat ist hergerichtet. Du brauchst nur den kleinen Hahn zu drehen.«

»Gut, geh nur.«

»Jetzt ist es gerade wie es sein soll, beeile dich.«

»Ja, ja, aber geh nur hinaus.«

»Wenn du es nicht gleich nimmst, hat es gar keinen Zweck mehr.«

»Ja, ja, schon gut, ich bitte dich, geh.«

Es klopfte an die Tür. Er sprang auf.

»Was gibt's?« fragte Frau Oreille.

Das Dienstmädchen war es.

»Gnädige Frau, der Lehrling vom Zuckerbäcker Chiboust ist da, er bringt eine Rechnung.«

»Ich komme schon.«

Herr Oreille, der sich hinter den Kleiderständer gedrückt hatte, damit ihn die Magd nicht sehe, hielt seine Frau zurück.

»Mir scheint, es fühlt sich zu heiß an!«

»Nein, es ist ganz recht.«

»Mir scheint aber, daß es äußerst heiß ist.«

»Nein, es ist gut! Laß mich nun den Zuckerbäcker bezahlen gehn!«

»Geh vorsichtig zur Türe hinaus,« sagte Herr Oreille, »man braucht nichts zu merken und nichts zu vermuten.«

Als die Frau draußen war, schob er den Riegel vor und schüttete, mißtrauisch, etwas kaltes Wasser zu, dann machte er sich zurecht, um das Mittel zu nehmen. Beim ersten Eindringen des Strahles stieß er ein Gebrüll aus; er war verbrannt. Ein rotglühender Bohrer hätte ihm nicht ärger in den Eingeweiden gewütet.

»Huu! Verflucht noch einmal! Dieses verdammte Klistier meiner Frau! Ah! O! Auweh! Huu! Zum Teufel hinein, auweh!«

In seiner Verwirrung vergaß er, den Hahn zu schließen und, den Bauch mit der einen Hand, das Kautschukrohr in der anderen haltend, wand er sich und brüllte fürchterlich.

Seine Frau ließ den verblüfften Zuckerbäcker auf dem Gang stehen und stürzte herbei.

»Mach auf, so mach doch auf!« schrie sie. »Was ist denn geschehen?«

Er öffnete. Das Klistierbecken war umgeworfen und verbogen, das Kautschukrohr wand sich, wie eine Schlange in Krämpfen, am Boden. Er schrie:

»Du hättest mich fast getötet. Es war kochend, dein Wasser, hörst du, kochend! Kochend!«

»O,« sagte sie beruhigt, »du hast mir aber Angst gemacht.«

Aber er wand sich noch immer und alarmierte mit seinem Geschrei das ganze Haus.

»Wenn man schon jemanden zwingt, ein Klistier zu nehmen, so darf man es nicht auf hundertdreißig Grad Celsius erhitzen!«

»Aber was gibt es denn? Was habt ihr denn? Dieses Schreien! Und vor allen Leuten!« rief jetzt eine essigsaure Stimme, während eine umfängliche Dame ins Zimmer drang, ungeachtet des Widerstandes ihrer Tochter.

»Bitte, urteilen Sie selbst,« heulte Herr Oreille, »stecken Sie einmal den Finger in diesen Topf, bitte!«

Und als sie vorsichtig den Zeigefinger hinhielt, drückte er ihr gewaltsam die ganze Hand in das kochende Wasser.

»Au, au!« schrie sie, wurde feuerrot und zwei Tränen stiegen ihr in die Augen. Aber stoisch schüttelte sie die Hand, die wie die Schere eines gesottenen Hummers gefärbt war, und aus mütterlicher Liebs gab sie mit einem unbeschreiblichen Lächeln zur Antwort:

»Es ist wohl ein wenig heiß, aber es war nicht zu heiß für Sie.«

»Aber gewiß!« rief die junge Frau verzweifelt, »es war nicht zu heiß. Mußt du denn soviel Umstände machen? Ich hätte nicht geglaubt, daß du so ein verzagtes Hühnchen bist.«

Aber Herr Oreille antwortete gar nicht. Hinkend ging er zu seinem Bett und warf sich hinein; drei Stunden seufzte er dort noch.

Während dieser Zeit war das Haus in Aufregung. Die Magd teilte den Vorfall den anderen Mägden mit. Der kleine Zuckerbäcker sagte es dem Hausmeister. Das ganze Viertel erfuhr, daß Frau Oreille ihren Mann gezwungen hatte, ein Klistier zu nehmen, das zu heiß war. Man fragte sich nach den Beweggründen, und bald war das Gerücht von einem Verbrechen bis zum Polizeikommissär gedrungen. Der Gedanke an diesen Tratsch erhöhte die Verzweiflung des armen Mannes noch. Er sah sich mit Lächerlichkeit bedeckt, an seiner Ehre gekränkt und dachte daran, auszuziehen. Da er große Schmerzen hatte, mußte ein Arzt kommen, der ihm Umschläge und ein zweites Klistier verordnete, aber lauwarm und mit Reismehl versetzt. Aber Herr Oreille wollte es absolut nicht nehmen und nahm auch in seinem Leben keines mehr.

Seltsamerweise erbten seine Kinder, deren er fünf hatte, diese sonderbare Abneigung von ihm. Man mochte sie halbtot prügeln, sie konnten dennoch niemals auch nur den Anblick einer Klistierspritze ertragen. Für Frau Oreille war das ein großer Ärger. Sie sah darin einen indirekten und greifbaren Beweis des Eigensinns ihres Gatten. Und zwanzig Jahre später noch wurde sie nicht müde, ihm zu versichern:

»Aber nein, mein Freund, es war gewiß nicht zu heiß!«


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