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Erster Akt

Salon bei Bourrienne. Die Rokokomöbel sind nicht mehr neu, der Raum selbst ist in noch älterem Stil. Rechts vorn ein großer Kamin mit Spiegel, Stutzuhr, Kandelabern, weiterhin ein Fenster, noch weiterhin der Eingang in eine breite Galerie mit einem zweiten Fenster rechts, einer Tür links, einem Frauenbildnis auf der Rückwand. – Zu der Galerie führen zwei Stufen. Links von den Stufen, an der Rückwand des Salons steht eine Kommode mit aufgesetztem Schrank, neben dem linken Zimmerwinkel ist eine Tür. Vorn links ein Tisch mit Stühlen; vor dem Kamin fünf Sessel. Es ist abends zwischen neun und zehn. Im Kamin brennt Feuer und beleuchtet, zusammen mit den angezündeten Kandelabern auf dem Kaminsims, hell die rechte Hälfte des Raumes und die Gruppen der Personen am Kamin. Im Hintergrund liegt Dämmerung; links, zwischen Tür und Schrank, ist ein tiefdunkler Winkel.

 

Erste Szene

Vor dem Kamin sitzen: vorn, mit dem Rücken nach der Tür links, Madame de Bourrienne, dreißigjährig, elegant. Dann Madame Thureau, zweiundzwanzigjährig, schlicht. Einander gegenüber: Bourrienne, fünfunddreißig, blond, und Thureau, fünfundvierzig, ergraut, dieser bürgerlicher als jener. Collot, kräftiger Vierziger von gediegener Kleidung, lehnt am Kamin. Der junge Muscat, im ausschweifenden Kostüm des »Incroyable«, zeigt sich in häufig wechselnden Stellungen.

Muscat: Einige, auf jenem Ballfest, trugen rings um den Hals einen roten Streifen, als hätten sie schon einmal den Kopf verloren. Bei mehreren Damen bemerkte man nur im Nacken eine blutige Rinne, die Guillotine schien sie vergebens gekitzelt zu haben.

Madame de Bourrienne: Entsetzlich.

Bourrienne: Der Ball der Opfer.

Madame Thureau: Thureau, zeige den Unfug dem Konvent an! Noch lebt die Republik.

Collot zu Muscat: Adolf, wer war dabei? Ich sehe es gern, daß mein Kommis viel mitmacht.

Muscat: Die Tallien – ah! eine Königin, umringt von Sklaven. Ein Gürtel aus Gaze, das Kleid noch weniger als Gaze, und dann der rote Streifen.

Madame Thureau: Hätte Robespierre wenigstens sie noch im Ernst auf den Richtplatz geladen.

Bourrienne: Bevor er selbst dahin mußte.

Madame de Bourrienne: Ich haßte Ihren Robespierre, Herr Thureau. Aber nicht durch eine Tallien hätte er sterben dürfen.

Thureau: Dafür danke ich deiner Frau, Bourrienne.

Madame de Bourrienne zu Madame Thureau: In der Regierung sitzen dein Mann, Luise, der meine, und dann der Gatte einer Dirne.

Muscat ironisch: Nicht eifersüchtig, meine Damen, auf die Königin unserer Republik.

Collot: Mein Muscat ist Royalist. Ich sehe es gern, daß er auch bei dem ehemaligen Adel zu Hause ist.

Thureau: Collot, diese Republik ist nur deine. Wir ließen so viel Blut nicht fließen, damit endlich nur Geld daran verdient werde.

Bourrienne: So ist es aber gekommen mit euren Taten, Thureau! Damit einige reich wurden, mußten so viele sterben.

Thureau: Wir wollten die Idee. Reinheit und Einheit, dafür starben wir und töteten.

Bourrienne: Ich, dein Freund, mußte auswandern mit den Meinen. Zurückgekehrt kämpfte ich als Soldat für die Republik, indes sie meine Frau gefangen hielt. Willst du noch mehr Einheit? Noch mehr Reinheit?

Madame Thureau zu Madame de Bourrienne: Du warst gefangen, Emilie?

Madame de Bourrienne: Im Gefängnis gab es Spioninnen aus euren Reihen, die uns küßten, unsere Tränen tranken und mit unseren Seufzern die Namen unserer Liebsten auffingen, um sie auf das Schafott zu bringen.

Madame Thureau: Du gingst zu den Empfängen der Königin, ich aber war die Kammerfrau ihrer Kammerfrau. Ich war erst fünfzehn, ein Jahr vor der Erstürmung der Bastille. Die Nadeln aus dem Kleid der Königin steckte meine Herrin mir in den Arm, wie in ein Kissen. Ich zuckte zuletzt nicht mehr. Drum habe ich auch nicht mehr gezuckt, als auf dem Platz die Köpfe fielen.

Thureau: Auch wir waren in Gefahr, als ihr Robespierre tötetet. Hätte ich ihn doch auf das Schafott begleitet! Wenn sein Blut vergossen wurde, war alles frühere umsonst geflossen.

Bourrienne: Da haben dann wir Gemäßigten euch nach Kräften massakriert.

Thureau: Es droht noch wieder anzufangen.

Bourrienne: Von beiden Seiten.

Thureau: Aber da du mich in dein Haus ludest, Bourrienne, bin ich gekommen.

Collot: Nur vernünftig. Man lernt wieder leben, wenn man die Geschäfte bespricht. Man kann nicht ewig die Höchstpreise mit der Guillotine aufrechterhalten.

Thureau: Leben? Wir sitzen und dünsten das Blutbad aus.

Bourrienne: Bis wir wieder Kraft genug haben, zu hassen.

 

Zweite Szene

Die Vorigen. Bonaparte (sechsundzwanzig Jahre, kaum mittelgroß, gelb, mager, maurischer Typ; sein Haar fällt in pomadisierten schwarzen Strähnen bis auf die Schultern, seine Augen brennen düster, er hat gute weiße Zähne. Seine Kleidung ist dürftig. Dunkler Uniformrock, die schwarze Halsbinde verdeckt den weißen Kragen fast ganz. Zivilhose in hohen Stiefeln, die verbraucht und nicht sauber sind. Wenn er nicht starr und unbeteiligt dasteht, hat er manche weite, wilde Bewegungen. Seine kleinen Hände drücken aus, was er will, sein Mienenspiel ist überaus beweglich, er kann bezaubern. Die Stimme ist klangvoll im Affekt, mit rollendem R).

Bonaparte lautlos von links, drückt sich, den anderen unsichtbar, in den dunkelsten Winkel.

Madame de Bourrienne zuckt, ohne sich umzuwenden, heftig auf.

Madame Thureau: Du bist erschrocken, Emilie?

Madame de Bourrienne: Ich habe Anwandlungen von Furcht. Sie sind mir geblieben. Früh beim Erwachen höre ich noch manchmal die Räder des Karrens kreischen und die Verurteilten singen.

Bourrienne: Wer von uns wird wieder anfangen?

Thureau: Ihr Royalisten habt euch der Wahlen bemächtigen wollen, die Erlasse des Konvents haben euch daran verhindert. Eure Wut ist ungeheuer. Steht auf. Auf wann der Aufstand?

Bourrienne steht ihm gegenüber auf: Ich bin ein gemäßigter Republikaner. Heute abend übrigens regnet es.

Muscat: Wer weiß, ob Helden wie wir sich nicht sogar in den Regen getrauen.

Collot: Ihr werdet hoffentlich bedenken, wieviel Geld verlorengeht in einer Revolutionsnacht.

Muscat: Und gewonnen wird, Herr Collot.

Collot: Ich sehe es nicht gern, wenn mein Kommis gegen mich spielt.

Madame de Bourrienne wie abwesend: Ach, zittern ohne Ende um das Leben des einzigen Gutes, geliebter als das eigene Leben.

Madame Thureau: Du mußt um deinen Gatten nicht mehr zittern.

Madame de Bourrienne: Wo ist er? Welche Gefahren braut um ihn nun wieder die Nacht?

Madame Thureau: Um Herrn Bourrienne?

Thureau: Wir werden euch zuvorkommen, Bourrienne. Die Sache wird zwischen uns beiden ausgetragen, Collot. Die schwache Republik der Geschäftsleute wird erobert werden von der stärkeren der Menschenfreunde.

Bourrienne: Und der Guillotine.

Thureau: Kein Blut mehr! Ich rechtfertigte es einst mit meiner Wissenschaft. Was Leben, was Tod. Es sind nur wechselnde Phasen desselben ewigen Kreises, nur Operationen der Weltchemie.

Bourrienne: Und jetzt so empfindsam?

Thureau: Nicht die größten Gedanken von Menschen rechtfertigen es, daß andere Menschen sterben.

Collot: Meine Herren! Bürger! Die jetzige Regierung führt siegreiche Kriege. Könige schließen mit ihr Verträge. Wir haben den Kommunismus aus der Öffentlichkeit vertrieben. Die Kunst, die Feste leben auf. Kein Zweifel, daß diese Zeit uns bereichert hat.

Muscat: Welch ein Wort, von meinem Prinzipal!

Bourrienne: Ein einziger Makel an deinem Paradies.

Thureau: Die Masse hungert.

Madame Thureau: Gern würden wir alles fünffach bezahlen, wüßten wir nicht zu gut, wem es anschlägt.

Thureau: Ein Dieb, euer Barras.

Bourrienne: Das Haupt der Regierung ein gemeiner Dieb.

Muscat: Mit seinem Tallien, – leise – mit seinem Collot.

Thureau: Das der Nachfolger des unbestechlichen Robespierre!

Bourrienne: Und unserer Könige!

Collot zu Thureau: Er siegt öfter als dein Maximilian. Zu Bourrienne: Öfter als dein Heinrich der Vierte.

Thureau: Mit Generalen, die reich werden.

Collot: Siegt ohne Geld, wenn ihr könnt!

Thureau: Ein General wird kommen, der selbstlos für die wahre Republik siegt.

Bourrienne: Selbstlos für seinen – leise und verzückt – König.

Bonaparte aus seinem Winkel hervor.

Madame de Bourrienne fährt mit einem Schrei aus ihrem Sessel, wendet sich um und sieht Bonaparte entgegen.

Erwartungsvolle Stille.

Madame Thureau: Der Schrecken saß dir schon längst im Nacken, Emilie.

Bourrienne Bonaparte entgegen: Unser Freund Bonaparte! Umarmt ihn. Leise: Heute heißt es noch einmal heucheln.

Bonaparte verneigt sich vor Madame de Bourrienne.

Thureau: Mein Freund Bonaparte. Umarmt ihn. – Zu Madame Thureau: Du hast unseren General nicht vergessen, Luise.

Madame Thureau: Er wird nicht mehr wissen, wer vor einem Jahr die Frau des Kommissars der Republik war, der er am Col di Tenda seinen Krieg zeigte.

Bonaparte schweigt.

Madame Thureau: Obwohl er doch der Freundschaft des Konventskommissars seine ganze Stellung bei der italienischen Armee verdankte.

Bonaparte: Seiner Freundschaft und meinem Talent.

Thureau: So ist es.

Madame Thureau: Aber er hat es uns nicht vergessen, daß er nach unserem Sturz verhaftet wurde, unter dem Verdacht, unser Freund zu sein.

Thureau: Und der Freund Robespierres.

Bourrienne: Ich habe für ihn gebürgt. Ich bürgte für ihn schon auf der Militärschule, wenn der soviel kleinere den Kameraden verdächtig war durch sein fremdes Gesicht.

Collot: Er hat viele Freunde.

Muscat: Aber man möchte ihm nicht allein in einem Wald begegnen.

Collot: Er ist General. Wohl entlassen. Was hat er geleistet?

Muscat: Unbekannt.

Thureau: Wärest du doch damals aus Italien mit mir nach Paris gekommen, Bonaparte, um Robespierre zu retten!

Bonaparte: Mein Entschluß konnte die Weltgeschichte ändern.

Muscat schlägt Bonaparte auf die Schulter: Jetzt weiß ich, dies war der Kleine, der neulich im Theater so lächerlich verliebt in die Tallien war.

Madame de Bourrienne: Wie?

Bonaparte starrt Muscat an, bis sein Lachen erstirbt.

Madame de Bourrienne: Warum erfinden Sie Albernheiten, Herr Muscat?

Muscat: Es ist die Wahrheit, schönste Gottheit.

Madame Thureau zu Madame de Bourrienne: Nimm meinen Arm, Emilie. Die Schwäche befällt dich wieder.

Madame de Bourrienne: Laß! Nach links mit Madame Thureau.

Collot zu Bonaparte: Sie gaben also, als Sie ihren Freund Robespierre nicht retteten, Ihre Grundsätze preis, General.

Bonaparte emphatisch: Der Nutzen des Vaterlandes bestimmt den Wert aller Dinge, nicht Grundsätze.

Collot: So weltgewandt und doch entlassen. Hier geschieht ein Unrecht.

Bonaparte burlesk: Erfolg, nichts weiter, sagt sich ein General, der, die Guillotine im Rücken, eine Armee kommandiert.

Collot: Keine schlechte Erziehung.

Madame de Bourrienne mit erzwungener Heiterkeit: Herr Muscat! Wie war das Theater?

Muscat: Welches Theater? Ich war zuletzt mit der Tallien dort. Man gab »Der Taube oder Der volle Gasthof«. Baptist war so komisch, daß das Publikum ihn vor Lachen nicht weitersprechen ließ.

Madame de Bourrienne: Die Tallien unterhielt sich gut?

Muscat: Unvergleichlich.

Madame de Bourrienne: Mit wem?

Muscat: Mit mir.

Madame Thureau: Sie übertreiben. Gewiß war, wie gewöhnlich, die ganze Loge voll junger Leute. Auch der General Bonaparte war dabei.

Muscat: Der? Ah! zu komisch. Er war der einzige im Hause, der nicht lachte. Dann war er verschwunden, und einsam auf der Galerie fanden wir ihn wieder. Er saß, als brütete er Unheil, so verliebt war er. General – Dingsda, ist es wahr?

Bonaparte bei Collot, Bourrienne, Thureau: Mein Name ist in aller Mund seit Toulon.

Muscat führt Bonaparte am Arm: Ist es wahr, General Dingsda?

Madame Thureau: Daß Sie der eigentliche Sieger von Toulon sind?

Madame de Bourrienne: Ihr Herz, General Bonaparte, gab Ihnen die großen Gedanken ein, durch die Sie siegten.

Bonaparte brutal: Die Straßenräuber trachten immer, drei gegen einen zu sein. Das ist auch meine ganze Kunst.

Madame de Bourrienne leise: Ich hasse Sie. Wendet sich nach links.

Madame Thureau: Am Col di Tenda ließen Sie mich einen Vorpostenangriff sehen. Er schien nicht vorbereitet, aber er glückte.

Bonaparte: Er war vollkommen zwecklos.

Madame Thureau: Warum befahlen Sie ihn dann?

Bonaparte: Sie sahen zu.

Madame Thureau: Einige fielen.

Bonaparte: Noch heute werfe ich es mir vor.

Madame Thureau: Und wenn Sie es mit einer Frau zu tun gehabt hätten, der Ihre – Huldigung Eindruck machte?

Bonaparte: Dann würde ich sie verachten. Düster: Was aber macht Ihnen Eindruck?

Madame Thureau: Ein grades Herz. Wendet sich ab. Thureau!

Collot zu Bourrienne und Thureau: Sei die Regierung wie immer, meine Herren, ihre Erhaltung ist unsere Pflicht, denn wir gehören ihr an. Wir werden daher im Ausschuß beantragen, daß gegen den erwarteten Aufstand ein zuverlässiger General gewählt wird.

Bonaparte in die Mitte.

Bourrienne: Der ist zur Hand.

Thureau: Der könnte zur Hand sein.

Collot: Es wird sich erweisen. Aber unsere Kartenpartie?

Bourrienne: Ein guter Gedanke. Solange wir Karten spielen, werden wir einander nicht umbringen. Nach hinten ab, mit Collot und Thureau.

Muscat nimmt im Abgehen den Arm Bonapartes: Verlassen Sie sich nur nicht auf meinen Prinzipal. Der ist nicht ernst zu nehmen, außer wenn er verdienen will; und mit Ihnen –. Mich sehen Sie an! Ich kann Ihnen nützen. Soll ich Sie bei Barras einführen?

Bonaparte: Ich bin Ihr Diener, mein Herr.

Muscat: Oh! ich kenne es, wenn man entlassen ist und auf dem Pflaster liegt.

 

Dritte Szene

Madame Thureau. Thureau (indes die andern langsam nach hinten abgehen).
Madame de Bourrienne (links im dunkelsten Winkel).

Madame Thureau: Thureau!

Thureau wendet sich, kehrt zurück: Frau?

Madame Thureau: Laß dich nicht mit jenem Bonaparte ein!

Thureau: Was weißt du?

Madame Thureau: Er hat Heimlichkeiten hier im Hause.

Thureau: Gewiß nicht mehr als bei mir.

Madame Thureau: Doch!

Thureau: Er wartet auf Verwendung. Er ist noch farblos, aber zu allem Guten bereit. Er ist jung.

Madame Thureau: Jung? Ein Ehrgeiziger? Er hat Bourrienne umarmt, und er betrügt ihn.

Thureau: Verstehe ich dich?

Madame Thureau: Aber auch die Frau betrügt er.

Madame de Bourrienne schluchzt verhalten auf.

Thureau: Nennen wir ihn nicht schlecht! Verzeihen wir dem Knaben seine Leidenschaft!

Madame Thureau: Sage nicht zuviel!

Thureau: Ich liebte ihn.

Madame Thureau: Sage mir nicht zu viel!

Thureau sieht sie an: Ich schweige – und wende mich von ihm.

Madame Thureau: Jetzt ist es gut, mein lieber Mann. Jetzt magst du ihn benutzen, wie es dir recht scheint.

Thureau: Ich muß erfahren, wann sie den Aufstand machen. Deswegen bin ich hier. Um zu horchen, komme ich zu meinem Freund Bourrienne. Ist auch jener andere ein Verräter, dann ist er eingeweiht. Er soll reden.

Madame Thureau: Glaubst du, die Republik wird stehenbleiben?

Thureau: Auch diesmal. Wir leben immer noch.

Madame Thureau: Sollen wir aber sterben – tröste mich nicht, ich bin stark.

Thureau: Wir wollen uns vorbereiten.

Madame Thureau: Gib deine Hand!

Zusammen nach hinten ab.

 

Vierte Szene

Madame de Bourrienne. – Bourrienne.

Madame de Bourrienne schluchzt heftig.

Bourrienne von links: Ich habe mich davongeschlichen. Du weinst? Süße Emilie, nicht weinen. Alles steht gut.

Madame de Bourrienne: Nicht für mich.

Bourrienne: Du fürchtest immer Unheil.

Madame de Bourrienne: Noch nie umsonst.

Bourrienne: Heuchle ich nicht vortrefflich? Betrüge ich nicht alle, daß es eine Lust ist? Ich spiele den Gemäßigten, der nur schwätzt. Sie sollen noch sehen, was handeln heißt.

Madame de Bourrienne: Du möchtest dich furchtbar machen.

Bourrienne: Die Welt mit Schlechtigkeit übertrumpfen – sie will es nicht anders. Ich lade Thureau zu mir, damit er nicht sieht, wie draußen sein Grab geschaufelt wird. Das verzeihe ich meiner Zeit zuletzt, daß sie mich zwingt, zu lügen.

Madame de Bourrienne: Du hast doch Gewissen. Wen du mit hineinziehst in dein Unternehmen, der geht mit unter.

Bourrienne: Ich schone unsern Freund Bonaparte. Übrigens besser, ich traue auch ihm nicht. Niemandem ganz, das soll feststehen.

Madame de Bourrienne: Siehst du denn, daß er falsch ist?

Bourrienne: Er hat sich geweigert, gegen die Royalisten ins Feld zu ziehen, dafür ist er entlassen. Das weist auf ihn, als unseren Mann. Heilig hat er mir versprochen, die Republik zu verraten. Trotzdem.

Madame de Bourrienne: Trotzdem?

Bourrienne: Er liebt Frau Thureau.

Madame de Bourrienne: Du täuschest dich.

Bourrienne: Ich fürchte, nein. Verschaffe dir Klarheit darüber! Nach dem, was du sagst, weihe ich ihn ein oder nicht.

Madame de Bourrienne: Nach dem was ich sage, wird er der General sein –?

Bourrienne: Oder nicht. Aber ich wünsche es. Ich wünsche, daß mein lieber Freund sich bewährt.

Madame de Bourrienne: Du liebst ihn so sehr?

Bourrienne: Und nicht du auch? Umarme mich!

 

Fünfte Szene

Die Vorigen. Bonaparte.

Bonaparte von hinten.

Bourrienne Bonaparte entgegen, umarmt ihn: Gutes Vorzeichen, da bist du! Grade sagte ich zu Emilie: Mit ihm, kein Schwanken. Vertrauen um Vertrauen.

Bonaparte: Das darfst du sagen, Freund.

Bourrienne: Siehst du, wie leicht wir alle täuschen? Übernimm du besonders den ehrlichen Thureau! Er selbst soll dich zum General machen und seiner Republik den Hals abschneiden.

Bonaparte: Ich übernehme ihn. Was ist es mit Collot?

Bourrienne: Die Partei der Schwachen. Die Gier nach dem Geld läßt sie nicht links noch rechts sehen. Wir fangen sie im Fluge.

Bonaparte: Wann endlich fällt die Entscheidung?

Bourrienne: Glaube mir, diese Republik ruft ihren Retter, den sie mehr fürchtet als die Gefahr, erst in der allerletzten Stunde.

Bonaparte: In welcher Stunde?

Bourrienne: Wir werden sehen.

Bonaparte: Du verheimlichst es mir.

Bourrienne: Dir! Meinem Freund!

Bonaparte: Ich warte und verzehre mich. Ein Unbekannter, in Dunkelheit und Kälte gehe ich unter.

Bourrienne: Undank!

Bonaparte: Hüte dich, mich zu täuschen!

Bourrienne: Drohe Schwächeren!

Madame de Bourrienne: Um Gottes willen, keinen Streit! Eure Erbitterung, euer Ehrgeiz werden uns alle ins Unglück bringen. Laßt euch warnen, noch einmal, das letzte Mal! Was wollt ihr? Lebten wir nicht glücklich?

Bourrienne: Nicht Macht und nicht Erfolg sind eine solche Freundschaft wert.

Bonaparte: Bewahrt sie mir! Ich war heftig.

Bourrienne: Er hat seinen melancholischen Tag, er hat Werther gelesen.

Bonaparte: Laßt es mich nicht entgelten.

Bourrienne: Nach vollbrachter Tat wirst du königlicher Oberst.

Bonaparte: Nachdem ich nur General der Republik war.

Bourrienne: Ich schütze dich bei Hofe.

Bonaparte: Ich bin meines Lohnes sicher.

Bourrienne nach links: Lebt wohl, ich gehe dort hinaus! Es ist besser, wir kehren einzeln zurück zu dem ehrlichen Thureau, dem noch ehrlicheren Collot. In der Tür: Die Republik geht unter, indes sie Karten spielt. Es ist leicht, zu verraten.

Ab.

 

Sechste Szene

Bonaparte. Madame de Bourrienne.

Bonaparte: Auch vor dem Gecken Muscat bin ich gekrochen.

Madame de Bourrienne: Verzeih es mir!

Bonaparte: Dein Mann weiht mich nicht ein.

Madame de Bourrienne: Verzeih es mir! Auch meine Geduld währt nicht ewig. Tage und Tage sehe ich dich nicht und muß dann hören, mit der Tallien warst du im Theater, ein Höfling unter vielen. Aber du liebst nicht sie. Eine andere liebst du.

Bonaparte zuckt die Achseln.

Madame de Bourrienne: Ich laß mich nicht treten. Mißbrauche meine Liebe nicht, ich kann sie zurücknehmen. Ich kann deine Feindin werden. Du glaubst doch, daß ich es kann? Wenigstens höre mich! In welche Welt blickst du nur mit solchen Augen?

Bonaparte: Ich habe Hunger.

Madame de Bourrienne: Himmel! und ich quäle ihn. Zum Schrank: Das ist alles, was ich bekommen konnte, ein Huhn und sogar weißes Brot. Deckt den Tisch, stellt Licht hin, bedient ihn: Das Mehl hat unser Pächter des Nachts hereingebracht, und unser Konditor bäckt es uns heimlich. Ich wage die Guillotine, wie schön, damit du essen kannst.

Bonaparte ißt.

Madame de Bourrienne: Du hungerst schon lange.

Bonaparte: Seit gestern.

Madame de Bourrienne: Und vorher hattest du Geld? Von wem? – da ich es nicht sein darf.

Bonaparte: Du nicht.

Madame de Bourrienne: Grade ich nicht?

Bonaparte: Grade du nicht. Du weißt schon zu viel.

Madame de Bourrienne küßt ihm die Hand auf dem Tisch: Iß! Ich bin nur deine Dienerin. Schenkt ihm Wein ein. Ich muß nichts wissen.

Bonaparte: Ich ging am Fluß hin, da schenkte es mir jemand, der vorbeikam. Du möchtest wissen, wer. Ein Kamerad von Toulon her, Sergeant Junot. Was je aus mir wird, den vergeß ich nicht.

Madame de Bourrienne: Was wolltest du am Fluß?

Bonaparte: Fürchte nichts! So gut bin ich nicht mehr. So gut, so rein war ich mit fünfzehn Jahren. Damals wollte ich sterben – aus Freiheitsliebe und weil ich fühlte, in dieser Welt muß sie verlorengehen.

Madame de Bourrienne: Versprich mir –. Ach! laß mich nur weinen.

Bonaparte: Man sollte im Frieden leben. Was braucht es viel. Junot hat Geld im Getreidehandel. Geht zum Fenster. Das Haus gegenüber steht leer. Er und ich könnten es zusammen mieten. Das Haus dir gegenüber, meine Freunde, ein Wägelchen, und ich wäre der glücklichste Mensch.

Madame de Bourrienne bei ihm: Ich atme auf. Dann denkst du an mich, auch wenn du mich vor den anderen zu übersehen scheinst?

Bonaparte öffnet das Fenster: Hörst du keinen Lärm? Was geht vor?

Madame de Bourrienne: Nichts, sonst wüßtest du es.

Bonaparte: Von deinem Mann? Mir sagt es keiner. Regen. Immer nur im Regen irren wie ein Wolf und nach Neuigkeiten schnappen. Warten auf die Stunde, ein Jahr schon bald. Wenn dort die Katze nach links läuft, soll das Jahr nicht umsonst vergehen.

Madame de Bourrienne: Daran glaubst du?

Bonaparte: Sie bleibt stehen. Es gibt Vorbedeutungen. Ich weiß im voraus, wen die Kugel trifft. Lacht. – Bricht ab. Nichts, die Katze kriecht in den Keller. Schließt das Fenster. Neun Uhr, und es regnet. Auch heute geschieht nichts.

Madame de Bourrienne: Du bist so jung, und hast so viel schon getan.

Bonaparte: Wer kennt mich.

Madame de Bourrienne: Was ist ein Jahr?

Bonaparte: Ich habe mir geschworen: über ein Jahr bin ich berühmt oder tot. Sie werden mich durchlassen müssen, meine Vorgesetzten, die nie im Feuer waren, der Minister, der mein Manuskript über Italien unterschlägt. Die Republik verlangt nach mir! Ich bin ein besserer Republikaner als alle, denn ich liebe den Ruhm mehr als alle.

Madame de Bourrienne: Wie schön bist du so!

Bonaparte: Auf wann der Aufstand, sage es!

Madame de Bourrienne: Liebst du nur den Ruhm? Nicht ein wenig auch mich?

Bonaparte: Weißt du es denn wirklich nicht?

Madame de Bourrienne: Oh! Du liebst mich!

Bonaparte: Den Aufstand meine ich.

Madame de Bourrienne: Wieder betrogen. Aber merke dir, davon hängt es ab, ob du der General gegen den Aufstand wirst. Du darfst nicht Luise lieben!

Bonaparte: Nicht Luise?

Madame de Bourrienne: Du erschrickst. Du kennst ihren Namen. Du liebst sie.

Bonaparte: Ich verstehe. Dein Mann hat Furcht, ich könnte mit Thureau gehen. Er mag sich hüten. Die wahrste Freundschaft habe ich nur für Thureau, der noch immer so ehrlich ist wie ich mit fünfzehn Jahren.

Madame de Bourrienne: Wird er dir sagen können, wann der Aufstand beginnt? Das erfährst du, wenn ich Herrn de Bourrienne dafür bürge, daß du Luise nicht liebst.

Bonaparte stutzt. – Lachend: Wie du scherzen kannst! Den Arm um ihre Hüfte: Böse kleine Emilie, führt mich an der Nase. Und du weißt genau, daß ich nur dich liebe. Ich stoße die Frauen ab, außer dir.

Madame de Bourrienne: Ich bin in deiner Hand.

Bonaparte: Ich brauche deine Hilfe, ich muß mich rächen, an Thureau und an ihr, ja, an Luise. Ich will sie haben. Verschaffe sie mir!

Madame de Bourrienne: Schweig!

Bonaparte: Es bleibt dir nicht erspart. Sie soll mich nicht länger verachten. Er soll nicht länger ungestraft so sein dürfen, wie ich nicht sein konnte.

Madame de Bourrienne: Unmensch! Von mir verlangst du deine Geliebte.

Bonaparte nach links: Es war die Probe auf deine Liebe.

Madame de Bourrienne ihm nach. Über seiner Hand: Geh nicht!

Bonaparte: Willst du noch mit mir spielen? Mir noch Bedingungen stellen?

Madame de Bourrienne: Mein Gebieter.

Bonaparte: Führe sie mir ruhig zu. Was hab ich denn. Ich will Erfolge sehn.

Madame de Bourrienne: Ich will mich nicht schämen, daß ich dein bin. Links ab.

 

Siebente Szene

Bonaparte. Thureau.

Bonaparte überlegt. – Entschließt sich: Zu Thureau! Nach hinten.

Thureau ihm entgegen: Du suchst mich?

Bonaparte: Warum dich? Ich gehe.

Thureau: Denn ich suche dich.

Bonaparte: Ich habe Eile.

Thureau: Womit wohl?

Bonaparte: Meine Dienste den Türken anzubieten. Hier braucht sie niemand.

Thureau: Du wirfst mir vor, daß ich dich warten lasse. Aber deinen Brief konnte ich nicht beantworten. Ich war nicht der erste, der ihn öffnete und las. Vergessen wir niemals, in welcher Zeit, unter was für Menschen wir leben. Die besten Freunde tun gut, vor einander in verdeckten Worten zu reden.

Bonaparte mit hingestreckter Hand, aufrichtig: Nur zwei dürfen sich ganz vertrauen: der ehrliche Thureau und sein Freund Bonaparte.

Thureau: Ich habe dein Manuskript gelesen, General. Es ist bemerkenswert. Du machst den Verproviantierungsschwierigkeiten unserer italienischen Armee ein Ende, indem du Vado besetzest.

Bonaparte: Hilf mir, durchzudringen! Ich zähle nur auf dich.

Thureau: Ich habe dein Manuskript sogleich dem Minister gebracht. Er ließ sich grade rasieren. Dabei ward es ihm vorgelesen, und er soll mir nachgelaufen sein bis auf die Treppe. Ich war schon fort.

Bonaparte atemlos: Und dann? Aus?

Thureau: Wie leicht kommt etwas dazwischen. Ich habe gedrängt, da hieß es wieder: zu rasch aufgerückt, hat weder Kenntnisse noch Erfahrungen. Der, in Italien kommandieren? Eine Infanteriebrigade ist noch zu viel für ihn.

Bonaparte: Die Schurken siegen.

Thureau: Die Schurken besiegen die ehrlichen Leute immer nur im kleinen und vorläufig. Auf die Dauer siegen doch wir.

Bonaparte: Der Augenblick, die Gelegenheit sind das Wichtigste. Ich kenne niemand, ich gehöre keiner Partei an. Solche Soldaten braucht die Republik an ihren Entscheidungstagen.

Thureau nach einer Pause: Die Frau unseres Freundes Bourrienne ist zu beklagen, er läßt sie viel allein.

Bonaparte: Vielleicht hat Bourrienne Geschäfte, die jetzt sich entscheiden.

Thureau: Jetzt?

Bonaparte: Das möchtest du wissen.

Thureau: Von meinem Freund Bonaparte. Du bist vertraut mit der Frau und dem Mann.

Bonaparte: Du möchtest von mir wissen, wann deine Feinde losschlagen – und mißtraust mir doch. Tätest du es lieber nicht! Ich bin vielleicht am Scheidewege.

Thureau: Wem gehörst du!

Bonaparte: Meine Dienste gehören der öffentlichen Sache. Möchten sie genutzt werden. Die Republik könnte bereuen.

Thureau: Du drohst der Republik.

Bonaparte: Dich warne ich, Bürger Thureau. Du kennst deinen Freund seit Italien.

Thureau: Ich kannte dich als rauhen Soldaten und grades Herz. Du stelltest noch nicht der Frau deines Freundes nach.

Bonaparte gibt es auf. Veränderter Ton: Wann kann ein armer junger Mann sich das erlauben? Zur Not bei einem Freunde, der ihm nicht dem Erfolg bestimmt scheint.

Thureau: Ah!

Bonaparte: Mit dem er daher nie sich tiefer einlassen wird.

Thureau: Ah!

Madame de Bourrienne erscheint hinten.

Bonaparte emphatisch: Deine Frau, Thureau, achtete ich immer so hoch, wie dich.

Thureau: Soll ich dir danken?

Bonaparte burlesk: Auch war es mir bekannt, daß der keusche Robespierre dich mit meiner Beobachtung betraut hatte.

Thureau: Du hieltest mich für einen Spion! – indes wir zusammen aßen, indes wir zusammen vor Feind und Tod standen.

Bonaparte: Man muß mit Menschen zu leben wissen.

Thureau: Meinesgleichen stirbt lieber.

Bonaparte: Du wirst nicht für mich stimmen, ehrlicher Thureau.

Thureau: Du wirst mir nicht sagen, was du weißt, kluger Bonaparte. Nach hinten ab.

 

Achte Szene

Bonaparte. Madame de Bourrienne.

Madame de Bourrienne nähert sich Bonaparte.

Bonaparte sieht Thureau nach: Ich habe ihn verloren. Was wird aus mir. Ich lüge zu oft. Ich verrate zu viel. Ich verliere die Besten. Erblickt Madame de Bourrienne. Dich will ich nicht verlieren.

Madame de Bourrienne: Wie du gut bist!

Bonaparte: Es gilt zu handeln. Hat dein Mann dir geglaubt?

Madame de Bourrienne: Er hat mir geglaubt, du liebest Luise nicht.

Bonaparte: Und hat dir sein Geheimnis gesagt?

Madame de Bourrienne: Hörst du es noch regnen?

Bonaparte: Es weht. Der Mond!

Madame de Bourrienne: Es ist für heute Nacht. Sei im Konvent.

Bonaparte: Ein Stelldichein so süß gabst du mir noch nie. Ich bereue keine verlorene Zeit mehr.

Madame de Bourrienne: Die Zeit, die du an meine Liebe verlorst.

Bonaparte: Sprich! Bourrienne ist sicher, daß ich der Befehlshaber werde?

Madame de Bourrienne: Deine Sache ist es, die Truppen zu gewinnen.

Bonaparte: Mein Handwerk.

Madame de Bourrienne: Du sollst schwören, daß du sie zu den Unseren hinüberführst. Schwöre es mir.

Bonaparte: Nicht dir. Es könnte so kommen, daß ich dich belogen hätte.

Madame de Bourrienne: Mich niemals. Ich habe meinen Auftrag erfüllt. Ich selbst aber sage dir: Tu, was du willst, geh, wohin [du] bestimmst, ich halte dich nicht zurück, ich folge dir.

Bonaparte: Weißt du denn, wohin? Käme doch Talma! Einen Freund, dies alles auszusprechen! Das Land will mehr, als ihr ahnt. Einen König? Und warum nicht die Guillotine des Herrn Thureau? Ich muß hinweg über beide. Das Land erträgt ihren Zank nicht länger. Ich komme zwischen ihnen nicht vorwärts.

Madame de Bourrienne: Das Land und du. Hier bin ich, niemand wird jemals dein sein wie ich.

Bonaparte: Sei getrost, ich behalte dich.

Madame de Bourrienne: Fürchte nicht, du müssest uns schonen, Bourrienne oder mich. Geh über ihn dahin! Zerbrich auch mich! Aber wirf die Stücke meines Herzens nicht fort!

Bonaparte: Du sprichst, als sei ich zum Töten geboren. Emilie, verzeih mir! Über ihrer Hand: Verzeih im voraus!

Madame de Bourrienne: Töte nur eins nicht, deine Seele.

 

Neunte Szene

Bonaparte. Talma (fünfundzwanzig Jahre, blauer Rock, schwarze Beinkleider und Strümpfe. Bühnenstimme, tragische Gebärden, Stellungen wie nach Raphael).

Bonaparte steht, das Gesicht in den Händen.

Talma von links.

Bonaparte stürzt Talma entgegen: Talma! Bleibe bei mir!

Talma: Was gibt es?

Bonaparte: Ich leide Versuchungen, – im Augenblick, da ich handeln muß.

Talma: Du hast dich noch einmal geprüft. In unserer Lage tue ich dasselbe. Draußen unter den Menschen heißt es nur immer: heuchle, gedulde dich, dränge dein Herz zurück!

Bonaparte: Talma! Bin ich denn schlecht?

Talma: Wir sind die Besten. Die Welt nehme uns zu Meistern, sie wird es nicht bereuen.

Bonaparte: Die Menschen wollen das Gute nicht.

Talma: Schurken sind es, die mir, mir die erste Bühne der Nation verschließen. Meine nie erlebten Gaben bringen eine elende Vorstadt von Sinnen.

Bonaparte: Wer weiß, wie bald ich dich zum Mitglied des Nationaltheaters mache. Hast du das Freibillett?

Talma: Hier. Mein Gastspiel auf Anstellung ist am Freitag. Ich spiele den Brutus. Cäsar wird umgebracht von meinem Organ. Er soll mir nicht länger im Wege stehn.

Bonaparte: Mach es wie ich! Ich lege die Alten hinein. Siegen ist nicht genug, hineinlegen ist das Wahre.

Talma beginnt zu laufen: Bis Freitag! Drei Tage, drei Ewigkeiten.

Bonaparte läuft an ihm vorbei: Niemand kann fassen, welche Eile wir haben. Unwiederbringliches Heute! Eine flüssige Feuermasse sind Staat und Gesellschaft – forme sie!

Talma: Wer will mich aufhalten. Ich bin das Theater.

Bonaparte: Die Republik ist nur noch in mir.

Talma: Ich muß Cäsar spielen.

Bonaparte: Sie sollen ihn sehen.

Talma: Die Tallien soll mich sehen. Das Weib, das immer nur den größten Erfolg sieht.

Bonaparte hält an: Die Liebe ist ein Zeitvertreib. Ich habe Eile.

Talma hält an: Heuchle nicht, du begehrst sie genauso sehr.

Bonaparte: Ich begehre alle. Einer, der einst mein Freund war, hatte eine Frau, sie war rein wie keine, und mich verachtete sie. Talma! Hatte sie Recht, mich zu verachten?

Talma: Auch sie wird uns kennenlernen.

Bonaparte: Wie viel läßt sich tun für dies Land, für die Menschheit! Die Vernunft soll zur Macht gelangen. Wenn an der Spitze der Bajonette der Geist blitzt, wenn die Stimme der Jugend über die Welt hinschallt –

Talma: Meine Stimme.

Bonaparte: Wir werden stürmen, mitreißen, bezwingen.

Talma: Wir werden groß sein.

Bonaparte: Groß – welch ein Wort!

 

Zehnte Szene

Bonaparte. Talma. – Collot.

Collot von hinten: Ich störe die Herren?

Talma: Was will der? Er sieht aus wie mein Hausherr am Ersten.

Bonaparte: Sie kommen ungelegen, Herr Collot. Wir haben eine wichtige Unterredung.

Collot: Wir werden sehen, ob sie wichtiger ist als meine Vorschläge. Herr Talma!

Talma: Sie kennen mich?

Collot: Wie denn nicht? Die ganze Stadt spricht von Ihrem Brutus.

Talma: Auch mich hat er befriedigt.

Collot: Unsere Damen wünschen sich sehnlich, Ihre berühmte Stimme zu hören.

Talma: Ich eile. Nach hinten ab.

Collot: Zu Ihnen, General. Sie sind ein gefährlicher Mann. Vom belagerten Toulon haben Sie Ihren eigenen höchsten Vorgesetzten beim Wohlfahrtsausschuß verdächtigt. Sie sind erstaunt. Ich habe Sie schon längst im Auge.

Bonaparte: Ich kenne Sie auch, Herr Collot. Sie haben unseren Armeen zwölfmalhunderttausend Paar Schuhe geliefert, und die Armeen gehen im Wasser.

Collot: Sie gehen im Wasser, aber sie gehen doch. General, Sie sind ein Feind der Heereslieferanten.

Bonaparte: Ich mache kein Hehl daraus. Ich hasse Leute, die das Feuer scheuen und sich an armen Soldaten bereichern.

Collot zieht ein Manuskript hervor: Ganz recht, hierin steht es.

Bonaparte: Mein Manuskript in Ihren Händen!

Collot: Sie sehen, General, wohin alles ausmündet, und an wen Sie zuletzt doch geraten. Ich habe Geld. Sie haben Talent. Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor.

Bonaparte: Ich bin Soldat.

Collot: Sie wollen sagen: ein Held. Trotzdem machen Sie mir einen guten Eindruck – wie jemand, der die Welt nimmt wie sie ist, und seinen Weg geht, gleichgültig, wer dabei ist.

Bonaparte: Mit Ihnen?

Collot: Noch heute nacht. Wozu sonst Ihr Putsch?

Bonaparte: Ich verstehe Sie nicht.

Collot: Mein alberner Kommis ist nicht umsonst dabei. Aber versäumen wir die Stimme Ihres Freundes Talma nicht!

Talma erscheint hinten. Aus der offengebliebenen Tür fällt ein Lichtschein über ihn. Er spricht die Verse singend und scharf rhythmisch. Für manches Wort braucht er eine Sekunde. Große Gesten:

Heut, Freunde, sprach ich, ist der große Tag erfüllt,
Da unser edler Plan Tat wird und sich enthüllt,
Das Schicksal Roms hat uns der Himmel aufgetragen,
Sein Heil verlangt, daß wir Einen zu töten wagen,
Für den der Name Mensch zu menschlich ist, zu gut,
Den Tiger, vollgesaugt mit allem Römerblut.

Noch sprechend ab, seine Stimme verklingt.

Collot: Sehr gut. Die Kunst ist unvergleichlich als Begleitung zu einem guten Geschäft.

Bonaparte: Cinna!

Collot: Von Corneille, ich weiß es. Ihr edler Plan, General, soll heute nacht Tat werden, und noch wissen Sie nicht: sollen Sie die Republik ermorden? Ich rate Ihnen ab. Es würde nicht gelingen – noch nicht.

Bonaparte: Sie kennen die Zukunft?

Collot: Ich habe Geld – zu verlieren und zu gewinnen. Gehen Sie also nicht mit dem leichtsinnigen Bourrienne – aber ebensowenig mit dem strengen Thureau. Was würde eine starke und ehrenhafte Republik Ihnen zu bieten haben? Gehen Sie heute nacht ganz einfach mit uns, die wir das Geld haben. Dafür, auf Ehre, mach ich Sie zum Herrn von Paris.

Bonaparte: Sie? Eher mach ich mich selbst zum Herrn der Welt.

Collot: Wer weiß. Es braucht Geduld und Geld.

Bonaparte: Es braucht Kraft.

Collot: Und Geld.

Bonaparte: Begeisterung.

Collot: Und Geld.

Bonaparte: Soldat des Geldes!

Collot: An den Klang des Wortes gewöhnt man sich. Hören wir Talma! Er wird uns die schrecklichen Folgen des römischen Bürgerkrieges schildern. Ich kenne meinen Corneille.

Talma erscheint hinten, tritt sprechend auf:

– die schmachbedeckten Schlachten,
All wo die Hände Roms sein Herz zum Bluten brachten.
Wo der Adler schlug den Aar, und gegen die Freiheit im Land
Unser Heer so drüben wie hier in Waffenrüstung stand:
Wo der tapferste Soldat, der beste General
Seine Ehre, seinen Ruhm der Sklaverei befahl. –
Daß ihre Kettenschmach nichts mehr solle bewegen
Begehrten sie sie auch dem Weltall anzulegen.
Wenn es nur, frevler Ruhm, von ihnen nahm den Herrn,
Hörten sie selbst den Schimpf des Worts Verräter gern.
Römer vom gleichen Stamm und blutsverwandte Mannen
Kämpften nur um die Wahl des härtesten Tyrannen.

Noch sprechend ab.

Bonaparte: Das Geld.

Collot: Eine schwache Regierung sollten wir beide nicht stürzen. Unter ihr verdiene ich, und Sie können erobern. Mir der Reichtum, Ihnen überdies noch der Ruhm. Und uns beiden die Macht.

Die Stimme Talmas hinter der Szene:

Und mit der Freiheit wird aufs neue Rom geboren,
Den wahren Römer zeigt aufs neue dein Gesicht,
Wenn erst dein Arm das Joch, das Rom belastet, bricht.

Collot: Für seine Zukunft gebe ich eine Million.

Bonaparte: Und für meine?

Collot: Nicht zu errechnen. Bedenken Sie, daß Sie die anständigen Leute vor dem Umsturz schützen werden.

Bonaparte: Die Leute sind es nicht wert. Für die Menschen will ich kämpfen!

Collot: Sie sind ein Held. Sie werden der bürgerliche Held sein. Auf heute nacht. Nach hinten ab.

Bonaparte steht düster gebeugt.

Die Stimme Talmas:

Wenn mich verraten will ein schlechtgesinnter Wicht,
Meine Tugend, meine Ehr verraten mich doch nicht.
Sie wirst du sehen am Rand des Höllenschlundes glänzen
Und sich der Höllenpein zum Trotz mit Ruhm bekränzen.

Beifall hinter der Szene.

Talma nach vorn, zu Bonaparte: Kein Wort! Ich bin zerschmettert. Mit hochgemuten Träumen ist nichts getan. Die Leistung ist furchtbar. Ich bin ein Mensch, ein Rohr im Winde, – und soll ein Leben lang kämpfen.

Bonaparte sinkt aufweinend an die Brust Talmas.

Vorhang.


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