Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Die Abkehr

 

Wir treiben es weiter

Sie reisten in das Gebirge, der König und der Großmeister seiner Artillerie. Sie nahmen nach Savoyen vierzig Kanonen mit und wurden begleitet von fünfzehntausend Mann Fußvolk, zweitausend Reitern, dem Marschall Biron, dem Grafen von Soissons, vielen anderen desgleichen. Der tapfere Crillon befehligte die französischen Garden -- endlich wieder winkten Taten, man entbehrte sie längst. Ein wahres Glück, der Herzog von Savoyen hatte den Vertrag gebrochen. Weder die Markgrafschaft Saluces noch die Provinz Bresse gab er heraus. Daher wurde nach Italien gereist, die beiden Länder frischweg zu holen -- Herbst 1600.

Der Herzog von Savoyen hätte seinen Vertrag gewiß eingehalten, wenn Cäsar, der Sohn Gabrieles, noch immer der Erbe der Krone Frankreich und sein Schwiegersohn gewesen wäre. Dieses beides war der Sohn Gabrieles nicht mehr. Vermittels eines Stellvertreters sollte der König demnächst die Prinzessin von Toscana heiraten. Die fremde Königin sollte alsbald aufbrechen zu Schiff nach Frankreich und ungeheuer viel Geld mitbringen auf ihrer Galeere, deren Wände ausgelegt waren, dem Gerücht zufolge, mit einer erstaunlichen Menge von Edelsteinen. Gabriele d'Estrées hatte deren weniger besessen. Die alten Kriegsgefährten des Königs hatten sie geliebt, da er sie liebte; gleichwohl, die Tatsachen läßt man gelten. Ein Schiff mit Reichtümern, dazu dieser schöne Feldzug, weder das eine noch das andere war von der Toten zu erwarten gewesen, weshalb niemand ihr nachtrauerte, besonders vor anderen nicht.

Sie sagten: Der König selbst ist getröstet. Nicht nur, daß er die Fremde heiratet. Vier Monate nach dem Verlust seiner Geliebten nahm er eine neue -- ist keine bessere. Schon ihre Frau Mutter hat einen Pagen erdolcht. Der König führt kein bequemes Leben bei ihr. Er wird recht froh sein, daß er die Marquise einmal los ist und mit uns in das Feld zieht.

Während die Geschütze die steinigen Wege hinangeschleppt wurden, bewunderten die Kriegsmänner in einem Atem das schwierige Unternehmen des Königs und wie glatt es verlief. Eine einzige Nacht, und gewonnen waren in zwei Ländern zwei Plätze; Marschall Biron fand in der Bresse keinen Widerstand von Belang, und Herr de Créqui besetzte das Kleinod Savoyens, Montmélian -- vorerst nur die Stadt, noch nicht das Schloß. Das Schloß war ungeheuer fest, als Festung im Gebirge mit keiner anderen vergleichbar. Auch an sie sollte die Reihe wohl kommen. Jetzt rückten die Kanonen gegen ein anderes Bollwerk.

Die Kanonen wogen auf ihren Lafetten achttausend Pfund, gezogen wurde jede von dreiundzwanzig Pferden, die großen Feldschlangen von neunzehn. Der tapfere Crillon hätte lieber ein offenes Schlachtfeld gesehen anstatt dieses Engpasses zwischen Fels und Wildbach. Er hätte angreifen wollen mit seinen französischen Garden wie eh und je; aber zugegeben, dies ist ein Land, geschaffen für den Großmeister, seine Kanonen tun Wunder, ohne daß man kämpft. Als wir vor Chambéry erschienen, die drinnen machten anfangs Miene, den Platz zu halten. Eine Batterie von acht Stück, Herr de Rosny schoß sie nicht ab, er zeigte sie nur, schon ging das Tor auf, wir zogen ein. Die Bewohner empfingen uns als höhere Wesen, obwohl die Götter der Alten weniger schwerfällig gewesen sind als wir mit unserem Fuhrwerk. Genug, wir machten uns leichtfüßig und gaben sogleich ein Ballfest.

Der einäugige Harambure sagte zu seinem Freund, während sie mühselig kletterten: »Wen haben wir gefeiert auf dem Ball? Madame de Rosny aus Ehrfurcht für die Kanonen ihres Gatten -- die schöner sind als sie. Die Marquise taugt nichts, die neue Königin soll nicht Französisch können. Denk zurück, Crillon!«

»Denk nicht zurück, Harambure. Gewesen ist gewesen. Wir haben schon mehr begraben. Sie war schön und gut.«

»Hat der König sie vergessen?«

»Jeder Tag hat seine Mühe. Jetzt klettert er wie wir.«

Hier mußten sie anhalten; der Zug stockte, so lang er war, nicht abzusehen in allen seinen Windungen, eingeengt zwischen Fels und Wildbach. Die Wolken entluden nunmehr ihren Regen, hatten längst damit gedroht, und da sie zerteilt wurden, stand auf einmal im Himmel ein Schloß, war vorher nicht bemerkt worden. An der Spitze des Heeres sagte der Großmeister zu dem König:

»Sire! Charbonnières. Sobald Eure Majestät befiehlt, nehmen wir's.«

»Ich hab leicht befehlen«, war die Antwort und wurde in den Bart gemurmelt. »Großmeister, Sie, sind schon jetzt durchnäßt in Ihrem schweren Mantel. Führen Sie die Artillerie heran, vergessen auch nicht die Kugeln, das Pulver, das Werkzeug auf allen den vierspännigen Wagen: es gibt Arbeit für drei Regentage.«

Rosny schaffte es noch denselben Tag, bekam von der Anstrengung eine Rötung über den ganzen Körper und mußte zur Ader gelassen werden. Den nächsten Morgen saß er wieder zu Pferd. Er wollte an Erkundungen gehen; das Schloß auf seinem Panzer von hartem Felsen erschien unzugänglich, mehr, als die gewohnte Beschaffenheit der Erdrinde erlaubt. Herr de Rosny dachte die schwache Stelle zu entdecken. Wer endlich die Geduld verlor, war der tapfere Crillon. »Tod und Teufel«, rief er. »Herr Großmeister, Sie fürchten wohl, daß geschossen wird? Auf Sie vielleicht, aber nicht auf mich.«

Den lehrte der Großmeister Jesum Christum kennen -- nahm den Obersten bei der Hand und verließ mit ihm die Deckung. Von droben die Flintenkugeln pfiffen ihnen erbaulich um die Ohren, bis Crillon sich ergab. »Ich seh nun wohl, die Schurken kümmern sich nicht um Ihren Großmeister-Stab noch um mein Kreuz vom Heiligen Geist. Könnten am Ende treffen. Suchen wir Deckung, Sie sind ein tapferer, guter Gefährte«, sagte Crillon und vergaß den gehabten Schrecken in seinem Erstaunen über den Großmeister. Hatte ihn früher nicht anders angesehen als einen Unternehmer von allerhand Fuhrwerk.

Im Heer kam von diesem Rosny ein neuer Begriff auf. Das Königreich lernte während dieses Krieges wirklich kennen, worüber es mit weniger Grund oftmals geklagt hatte, eine tyrannische Herrschaft. Der König hat seinen Rosny allmächtig gemacht, damit er seinen Krieg gewinnt. Die Finanzen und die Artillerie, alles vereint in der Hand desselben Ministers, ergibt eine Gewalt und Wucht der Handlung, vor der man erschrickt. Rosny hatte sämtliche Zahlungen des Staates eingestellt, außer für den Krieg. Er hatte die Leute gezwungen, zu Land und auf den Flüssen die ungeheuren Lasten, die sein Kriegsgerät sind, bis nahe dem Gebiet des Kampfes zu führen.

Das Ungewöhnlichste, er macht Jagd auf die Unfähigen und auf die Verräter. Bei seiner Waffe sind alle Offiziere neu, sind ihm ergeben und haben ein scharfes Auge auf die Herren oben. Ein Marschall und Gouverneur hätte nach herkömmlicher Weise das gute Recht, mit dem Feind sein besonderes Abkommen zu treffen. Besiegte ihn lieber nicht zu sehr, und beide genössen zuletzt den Vorteil: Marschall Biron, der Herzog von Savoyen. Was Savoyen betrifft, er zählt auf Biron, gegen ihn hat er keine Anstrengungen nötig erachtet in seinem Land Bresse. Aber Biron, ob er will oder nicht, muß von Sieg zu Sieg schreiten; die Artilleristen des Großmeisters tun es nicht anders, haben übrigens auf ihn ein scharfes Auge.

Dies ist ein ganz neuer Krieg und gehört dem König allein; wer eigene Wege geht, heißt gleich Verräter. Wartet nur, der Großmeister fängt ihn. Es wird auch weder geplündert noch gemetzelt, man verschont die Bevölkerung. Der König hat gesagt, sein Feind sei der Herzog. Sein verwandeltes Heer bewundert ihn. Von seinem Minister bekommen wir gleichfalls hier den neuen Begriff. Am Ende war er nicht nur der Schreckensmann, sondern der große König hätte einen großen Diener.

Vor dieser Bergfeste Charbonnières machte Rosny geduldige Vorkehrungen genug, bis die Kanonen standen, wo sie sollten. Schwarze Nacht, immer die Stürze von Regen -- vierhundert Freiwillige, Schweizer und französische Garden, jedem hatte der Großmeister einen harten Taler versprochen. Als sie naß bis auf die Haut waren, ließen sie dennoch alles stehen und liegen, er mußte sie aus ihrem Unterschlupf holen, auch getötet wurden ihm einige. Er selbst hatte den Schlamm bis im Gesicht, schlief nur eine Stunde, aber am Morgen waren sechs Feldschlangen in Stellung gebracht. Hiernach bekam der Großmeister es mit dem König zu tun. Der König hatte Eile, die Wirkung des Feuers zu sehen noch vor Einfall der Dunkelheit. Rosny widersprach. Zuerst müßten die Geschütze eine Plattform von Balken bekommen, wären auch unsichtbar zu machen durch Laubwerk, das sie verkleiden sollte. Der König erzürnte sich.

»Überall wollen Sie der Herr sein. Der bin ich.«

Worauf der gute Diener nachgab, wenn auch maulig und nur der Belehrung wegen. Der Versuch mißlang, wie vorauszusehen. »Ich habe nicht Lust, nach Spatzen zu schießen«, sagte der Großmeister und ließ die Majestät im Regen stehen. Am Morgen verlegte ein dichter Nebel den Ausblick mitsamt dem Ziel. Keine Festung mehr, der König lachte seinen Großmeister aus. Der läßt sich nichts verdrießen. Kaum steigt der Dunst, richtet er die Geschütze. Eines, das er mit eigener Hand gerichtet hat, reißt in den Wall droben ein Loch. Sie antworten von oben, die Kanoniere des Königs fallen, er zählt zehn Tote, zwei Artillerie-Kommissäre dabei. Henri spricht zu sich: ›Mein Großmeister war bei Ivry, man sollte es nicht glauben. Dort wurde anders gekämpft, ich hätte damals gesagt: Wir starben wehrhafter. Er war mit Hieb- und Stichwunden bedeckt, ein höchst feierlicher Zug trug ihn nach Hause. Der merkwürdige Mann! Wir sind insgesamt merkwürdig -- und kaum zu begreifen, wie wir's immer weiter treiben mögen nach allem, was geschehen ist und dahinten liegt.‹

Als dort oben ihr Pulverturm in die Luft geflogen war, kapitulierten sie, wonach der Großmeister hoch zu Roß seinen Einzug hielt und alle Bewohner des Platzes ihn auf ihren Knien empfingen. Da sie ihm ihre Verwundeten zeigten, und er erblickte so viele zerrissene, verbrannte Leiber, ließ er sich rühren und gewährte ihnen ehrenvolle Bedingungen. Nur von dem Geld, das er verlangte, war nichts abzuhandeln.

Das Schloß stand über Erdstufen, die dürftiges Gewächs trugen. Der König erging sich mit dem Großmeister; er allein betrachtete im Sprechen das Gebirge klar wie Glas. Den Großmeister kümmerte der Anblick nicht, da er nur darauf bedacht war, jetzt auch Montmélian zu nehmen. Es sei uneinnehmbar, hatten im Kriegsrat alle ihm geantwortet. Dasselbe behauptete der König, während sie sich ergingen; hatte aber vielmehr im Sinn, den Großmeister herauszufordern, damit er seine Künste selbst überträfe. Übrigens betrachtete der König das Gebirge klar wie Glas, die kahlen Gipfel, die kalten, flüchtigen Farben, die der frühe Herbst entlang den fernen Schroffen und Zacken legte. Der Himmel schwebte auf den Schneefeldern blau und leer. Wären es die heimatlichen Pyrenäen gewesen, über dem Kopf des Königs, über seinen Waldbergen hätte das Licht dahingewälzt die Fülle der eulenäugigen Fluten. Hier dagegen ist die Luft leicht und frostig, gut zu atmen und zeichnet mit erwünschter Genauigkeit den Umriß des Zieles, nach dem wir die Kanonen richten.

Der Großmeister erinnerte den König. An dies oder jenes erinnerte er ihn immer. Hatte doch der Herzog von Savoyen die Kanonen des Königs im Arsenal besichtigt, als der Vertrag noch nicht gebrochen, das Verhältnis noch freundlich schien. Der Herzog war von der mächtigen Artillerie sogleich betroffen gewesen, weshalb der Großmeister ihm die richtige Auskunft gegeben hatte. »Mein Herr, damit nehm ich Montmélian.« Oh! hat da der bucklige Fürst den Boden gestampft, weiß war er vor Wut, wenn nicht vor Schrecken.

»Großmeister«, sagte der König. »Fünf Wochen verlangen Sie, um den festen Platz zu nehmen. Er ist der Stolz des Herzogs, so bald bekommen Sie ihn nicht. Gleichviel, die fünf Wochen sollen Sie haben und das Unternehmen leiten: ich seh Ihnen nur zu.«

Herr de Rosny wollte nicht erlauben, daß die Majestät den Gefahren der Belagerung ausgesetzt wäre. Seine wahre Meinung war, daß der König ihm nicht hineinreden sollte. Um so besser, je ferner sein Aufenthalt. Der König verstand, daher begann er von anderen Dingen. Er sagte, daß diese Reise sehr schön sei, wenn man nicht gerade eine Kugel bekäme. Ihm erfrischte sie den Körper wie die Seele, da er vor den Frauen hier seine Ruhe habe und somit vor den Kupplern.

Bei dieser Rede des Königs schielte der Großmeister aus den Winkeln nach ihm, zuerst streng, dann mit Schmunzeln. Er überragte seinen Herrn, fing aber an, im schnellen Gehen den Rumpf steif vorzuschieben, und die Arme hielt er am bequemsten im Rücken. Der König hatte wie je die schlanken Bewegungen; sprang die Erdstufe hinunter, und mit einer Herbstblume in Händen war er zurück, bevor sein Satz noch ausgesprochen war.

»Großmeister, zum erstenmal hier oben fühl ich die Zeit kommen, da die Frauen mich nicht mehr entzücken und darum auch nicht quälen werden. Von allen war nur eine mein Glück und mein Besitz. Das kehrt nie wieder.« Er hatte der Verlorenen in keinem Gespräch bisher gedacht; Schweigen trat ein.

»Sire!« erlaubte Rosny sich hierauf. »Das Schiff mit Ihrer erhabenen Königin und vielem Geld soll Ihnen beides herbeitragen, Besitz und Glück. Sie haben nur die Mätressen satt, was Sie unschwer begreifen werden, wenn ich Ihnen die Geschichte eines vergangenen Königs erzähle.« Und dann erzählte er dem König nichts anderes als seine eigene Geschichte, dies in lehrhafter Absicht. Obwohl jünger als sein Herr, befand der künftige Herzog von Sully sich würdig, ihn in allen Stücken zu belehren, wäre es die Artillerie oder die Liebe.

»Vor sechshundert Jahren«, begann der Großmeister, »starb einem berühmten Herrscher des Morgenlandes seine teuerste Geliebte.« -- ›Es sind sechzehn Monate‹, dachte Henri und merkte die Absicht.

»Der Sultan in seinem Schmerz legte einen Eid ab«, behauptete der Märchenerzähler, »er wollte niemals wieder seinen Harem betreten. Ein solcher Vorsatz widerstrebte indessen seiner Natur, weshalb jeder, der die Ehre hatte, ihm zu nahen, für die Gesundheit des Königs fürchtete.«

»Nein«, rief Henri. »An den Höfen des Morgenlandes treiben Kuppler ihr Gewerbe. Es läßt sich denken, wie sie dem Herrn zugesetzt haben.«

»Jedenfalls ließ er sich nicht lange bitten«, antwortete Rosny trocken. »Er kaufte für sein Frauenhaus eine achtzehnjährige Jungfrau.«

»Die schon keine mehr war«, warf Henri ein.

»Soweit das eine Entschuldigung ist, laß ich sie gelten«, sagte der Protestant. »Nun können Traurigkeit und Vereinsamung sich in eine zügellose Sucht nach Vergnügungen verkehren. Derart erging es unserem Sultan, er ließ es keineswegs bei einem einzigen Kauf bewenden. Er erstand viele Frauen, darunter sogar eine Kusine seiner verstorbenen Herrin, vielleicht um des Andenkens willen. Er führte seine flüchtigen Gefährtinnen, man denke nur, in dasselbe zierliche Lusthaus eines Geldverleihers, das ihn mit seiner teuren Herrin oft empfangen hatte.«

Henri bewegte die Lippen. Ob seine Worte vernehmlich waren oder nicht, Rosny machte eine Pause. »Dieser Sultan«, flüsterte der König, »hat gewußt, daß er nichts mehr zu hoffen hatte von der Liebe. Er warf sich weg, er unterschritt sein eigenes Maß.«

Der Großmeister hatte nichts gehört, denn er betrachtete das erstemal, seit sie lustwandelten, die gebirgige Landschaft.

»Wir haben die Achtzehnjährige vergessen«, bemerkte er endlich.

»Wahrhaftig.« Henri war erstaunt. »Ihr Sultan, Großmeister, ist vergeßlich. Es mag ihm geschehen sein, besonders, wenn er in den Krieg zog, daß seine neue Geliebte ihm aus dem Sinn entschwand, einen Tag oder sieben. Du Stern, den ich verlassen, dein denken, welche Not -- das fiel ihm nicht von weitem ein. Grausames Abschiedgeben -- behüte, er war froh.«

Der Märchenerzähler erwähnte nunmehr eine andere Gestalt, den unbequemen Wesir. »Unser Sultan hatte einen harten, sparsamen Wesir. Dieser Minister hatte schon mit der Verstorbenen im Streit gelegen wegen der Kosten, die nicht nur sie, sondern ihre Familie dem Herrscher machte, und wollte endlich sogar Königin sein. Hiermit aber fing die Neue gleich an. Nicht allein, daß der Vater dieser Dame dem Sultan ihre Tugend verkaufte für hunderttausend Taler und der Wesir mußte sie auszahlen. Wer beschreibt den Schrecken des Ministers, als sein Herr ihm ein Schriftstück zeigte, gesiegelt und unterfertigt, darin war der begehrlichen Person in aller Form die Ehe versprochen. Der Wesir zählte bis drei und dann -- zerriß er das allerhöchste Eheversprechen.«

»Großmeister, Sie erzählen Märchen.« Der König blieb stehen, er faßte seinen Begleiter ins Auge. »Das haben Sie nicht gewagt!«

»Was hätte es genützt«, erwiderte Rosny. »Sie hätten ein anderes geschrieben. Sie waren auf das Fräulein d'Etrangues versessen und besorgten einzig, Sie könnten auch diese versäumen, wie vorher die andere. Ihrem Diener blieb nur übrig, Sie um so schneller mit einer reichen Prinzessin zu verheiraten.«

Der König schnitt ein Gesicht. »Bekommen haben wir nicht die Hälfte der Mitgift, die wir verlangten, aber ich mußte annehmen, damit ich diesen Krieg bezahlen konnte. Dagegen ist mein Eheversprechen in den Händen des Herrn d'Etrangues, desselben, der am Totenbett des vorigen Königs stand und hielt das Kinn, damit es nicht wegklappte. Sie hätten etwas Besseres tun können, Großmeister.«

»Es steht geschrieben --« wollte Rosny einwenden. Niemand erfuhr, was geschrieben steht, denn der Großmeister schloß den Mund, senkte auch die Lider: niemals war das bei ihm bemerkt worden. Der König setzte den Gang fort, schneller als vorher. Durch den kahlen Garten am herbstlichen Abhang liefen sie stumm, der Großmeister zu seiten des Königs, der bei sich fragte, was geschrieben stehe. ›Die Liebe währet ewiglich, das ist es gewiß nicht. Ich liebe Henriette so wenig wie sie mich. Mit ihr hatte ich es eilig, weil keine Zeit mehr ist, wenn man altert. Die Füße der Männer, die dich forttragen sollen, sind vor der Tür: das steht geschrieben.‹

»Großmeister, her mit Ihren Wahrheiten! Sie sollen mir Wahrheiten sagen.«

Die Stimme des Dieners war nicht trocken, wie bei ihm üblich. Höchst wunderbar, sie schien nahe daran, zu zittern. »Sire! Die strengeren Wahrheiten gelten für mich selbst. Ich bin eifersüchtig gewesen auf Ihre teure Herrin, die Sie liebte und Ihr Besitz war. Genug, daß ich meine Pflicht gegen den König tat und darf sie nicht bereuen. Den Rest vollendete der Tod. Jetzt eilen Sie aber auf diesen häßlichen Erdstufen mit mir allein.«

Henri denkt: ›Der gute Diener. Ein musterhafter Diener, um die Wette mit dem Tod befreit er mich von allen, die ich liebe. Wer kommt als Nächster daran?‹

Rosny ließ ihn nicht warten. Er nannte Marschall Biron, den Henri liebte, einen Verräter. Als Henri sich auflehnte, bewies er ihm den Verrat. »Eure Majestät möge geruhen, selbst nach dem Schauplatz seiner verdächtigen Handlungen zu reisen.«

»Großmeister, hier wollen Sie mich los sein.«

»Sire! Hier und überall sollen Sie siegen. Mein Feind ist, wer unseren Weg kreuzt.« Das war der unerschütterliche Ton, den man kannte. »Nehmen Sie meinen Kopf. Wenn Sie ihn mir lassen, fällt der Kopf derer, die den König verraten -- wären es sogar Personen, die von ihm ein besiegeltes unterfertigtes Versprechen haben, und ihre Rachsucht macht sie zu Verschwörern gegen meinen Herrn.«

»Großmeister, Sie halten Ihren Kopf für den einzigen, der fest sitzt. Ich will nicht hoffen, daß Sie recht haben.«

Hiermit schloß dieser Lustwandel. Henri denkt: ›Zuletzt behielt er noch immer recht.‹

 

Verzerrte Wiederkehr

Der König besuchte seinen Marschall Biron auf dem Schauplatz der verdächtigen Handlungen. Gleich die erste war, daß Biron den König vom Feind erschießen lassen wollte. In dem belagerten Platz konnten sie unmöglich ahnen, wo der König stand, außer sie wären benachrichtigt.

»Erklären Sie mir den sonderbaren Zufall«, verlangte Henri, als hätte er nicht gewußt, daß Zufälle unerklärlich sind. Aber noch rätselhafter erschien ihm der Verrat.

»Ihr Vater liebte mich und ich ihn«, sagte er dem Sohn zum hundertstenmal; denn nur das Andenken des Alten rechtfertigte die Gunst, die dem Jungen zufiel. »Er war zuerst mein Feind und darum, als wir uns gefunden hatten, um so sicherer mein Freund. Glauben Sie, Herr Marschall, daß eine unverdiente Freundschaft den, der sie empfängt, zum Haß und zur Rache verführt?«

»Das sind gelehrte Fragen«, knurrte Biron Sohn, und wie er beschaffen war, dickköpfig, gedrungen, mit einem Blick von toter Schwärze, wäre in Stunden aus ihm nichts anderes herausgebracht worden. Henri wettete mit sich selbst, daß er das stumpfe Gefühl dieses Menschen besiegen und ihn gewinnen wollte -- durch Vertrauen. Ein Verräter kann wirklich von einem Unmaß des Vertrauens geschwächt, am Ende sogar überwältigt werden: gesetzt, er wäre nicht eigentlich ausgestattet für den Verrat, sondern beginne ihn einfach, weil der Krieg es ihm erlaubt und zur vernünftigen Pflicht macht. Die Herren selbst führen einen gesetzlosen Zustand herbei, damit jeder mehr Macht nimmt als ihm zukäme. Da ist man als Marschall Biron nicht gern der Dumme.

Die Sache des Großmeisters wird es sein, Biron in seinen eigenen Netzen zu fangen. Henri sah schon hier, was Biron später erkennen sollte, daß ein Gegner wie Savoyen den Verrat nicht lohnte. Seine Festungen verfielen ihrem Schicksal, sein Heer wich der Schlacht aus. Er wäre entehrt, ließ Biron ihm sagen, aber von der Ehre macht jeder sich seinen Begriff.

Die ersten eroberten Fahnen, Henri schickte sie seiner Mätresse, dem Fräulein d'Etrangues, um sie zu trösten. Denn als in ihr Zimmer der Blitz schlug, war sie eines Kindes genesen, und dieses starb alsbald. Dadurch wurde das Eheversprechen hinfällig, die Familie mochte später Lärm schlagen und drohen. Vom Kindbett kaum aufgestanden, reiste die junge Person ihrem alten Liebhaber nach, und er eilte, ihr zu begegnen. Sie war zuerst nur müde und jammervoll, ach, wie sie ihn rührte. Was tut er? An demselben Tage, neunzehnter Oktober, kam Botschaft, daß in Florenz seine Trauung vollzogen wäre. Henri stellt Vollmachten aus, damit Rom seine neue Ehe ungültig erklärt: er sei gebunden gewesen durch das Versprechen an Fräulein d'Etrangues. Das Versprechen war hinfällig geworden, wie er genau wußte.

Die junge Person kürzte seine Rührung ab. Im Besitz der Vollmachten für Rom, forderte sie, daß er die Florentinerin gar nicht erst empfange, wenn sie landete mit ihrem Geldschiff; oder sie selbst wollte als seine Geliebte öffentlich mittun. Unbegreiflich für alle, die dem Auftritt beiwohnten, der König hatte nichts dagegen. Er schien der unmöglichen Lage nicht bewußt, wenn er sie nicht im Gegenteil herausforderte. Bassompierre war im Zimmer, längst kein Anfänger mehr, und stand zu der neuen Mätresse in den besten Beziehungen. Er stutzte dennoch, wie es hier zuging; sogar Herrn de Villeroy wurde es schwül, und weniger als ihm haben die Bedenken des Anstandes keinem zu schaffen gemacht.

Henriette tobte umher, während Henri saß. Gereizt wurde sie gerade von seiner Gefügigkeit und Güte. »Ich soll wohl der fremden Kaufmannstochter die Schuhe ausziehen«, schrie sie mit spröder Stimme, es klang nicht lieblich, ein Knabe in seiner Übergangszeit hat diese Töne. Wild schwang sie ihre langen dünnen Arme, das leichte Gewand fiel von ihnen ab, auch die kleinen spitzen Brüste machten sich Luft. »Die dicke Bankiersfrau kommt mir nicht vor Augen«, schrie sie, sehr im Gegensatz zu ihrer vorigen Auffassung. Den König unterhielt ihre stürmische Natur, weshalb er sitzen blieb und ihr zusah. Entweder gefiel es ihr nicht, oder sie wollte ihre Wirkung steigern. Sie trat ihm nahe, er mußte den Fuß wegnehmen, und sie reckte sich tänzerisch; derart hatte er sie zuerst erblickt.

Damals ruhte im Sessel ihm zur Seite die reizende Gabriele. Man wollte ihn von ihr trennen, vermittels eines Balletts zeigte man ihm ein Mädchen, das auf spitzen Füßen vor ihm schwebte, die seinen mußte er wegnehmen, und sie machte ihren schmalen Umriß lang, noch länger, um ihn von oben anzuglühen mit ihren schwarzen Augen, die übrigens Schlitze waren. Hier dieselbe. Heißt nunmehr Marquise, wozu Gabriele länger bedurft hatte, und hat das Recht, der Königin Namen beizulegen, wie sie mag. Henri zuckte die Achseln. Mit den Herren, die zugegen waren, versuchte er ein stummes Einverständnis herzustellen; sie wendeten aber die Köpfe fort.

Henriette d'Etrangues vollzog einen unvermittelten Übergang von ihrem schrillen Lärmen zu einer gefährlichen Sanftmut. Sie selbst nahm ihren neuen Ton für schrecklich; den König unterhielt er wie der andere. Er sei alt, sagte sie mitleidig und gluckste ein wenig in der Kehle. Er habe sie kaufen müssen, andere hätten sie für nichts. Hier war sie es, die Herrn de Bassompierre zu einem Blick der Verständigung nötigen wollte -- mit so wenig Glück wie vorher der König. Im Gegenteil suchte der Edelmann auf leisen Sohlen den Ausgang. »Aber bleiben Sie doch«, sagte Henri über die Schulter. »Sie haben hier ein Amt.«

Die neue Marquise verharrte bei ihren Beleidigungen durch Milde. Sie hauchte: »Dieses Amt, Sire, Sie lassen es nie unbesetzt. Der Herzog von Bellegarde versah es bei Ihrer vorigen.«

Der König sprang vom Sitz, sein Gesicht veränderte sich. »Das trifft Sie!« rief die Verrückte, wies auf ihn mit den langen spitzen Fingern und rief hocherfreut: »Hahnrei!«

Nach diesem Wort hob sie sich auf die Spitzen der Füße und tanzte Ballett, eine oder zwei Minuten lang, immer unter dem Lüster, aber mit dem Aufwand ihrer sämtlichen Künste. Einmal war die Schlange von Leib rückwärts gekrümmt, bis die Hände auf den Boden stießen, und die langen Beine standen dennoch aufrecht, mit geschwellten Muskeln. Die geschickte Person ging inzwischen der letzten Bekleidung verlustig. Da nun ihr Kopf nicht vorhanden, sondern hinter ihr fortgebogen war, wagten die Herren es und tauschten mit dem König stumm ihre Eindrücke aus. Ein Kind, es ermißt nicht, was es alles redet. Laßt es tanzen, Kopf überquer. Ein Kind, und auch nicht ganz bei Trost.

»Frau Marquise de Verneuil, Sie überbieten sich selbst und gewähren Aussichten -- für das Königreich.« Der Minister Villeroy traf mit oder ohne seinen Willen die Tonart der älteren Herren, denen unverhofft ein Labsal zuteil wird: machen sich in aufgeklärter Weise lustig, vergessen aber auch die Wehmut nicht.

Die Jugend, die sich hier selbst vorführte, ausgesprochen jugendlich, sonst nichts -- sie wirbelte plötzlich die Füße umeinander, und dies während eines Sprunges hoch in die Luft. Der Sprung endete mit einem Kniefall vor dem König -- schwerelos gelangte die Jugend in eine hübsche Haltung, die sie nichts kostete außer etwas Ironie. Die Schlitze der Augen entließen manches Gefunkel, das Schütteln der Arme deutete vielmehr an, wie inbrünstig eine verliebte Sklavin huldigt. Fehlten nur sichtbarlich die Sklavin und ihr Herz.

Der König lachte, ließ alles gut sein und warf der geistreichen Blöße das Gewand über. Kaum war sie in Gnaden aufgenommen, befahl sie schon das Nachtmahl für sich und den König allein. Sie winkte, die Herren waren entlassen.

Draußen sagte der eine zu dem anderen:

»Mit dieser hätten Sie nicht schlafen sollen.«

»Warum nicht«, erwiderte der andere. »Erstens habe ich es ihr abgeschlagen. Zweitens ist der König dergleichen gewöhnt und darüber erhaben. Drittens bin ich es, der sie ihm gebracht hat. Dem Verdienst seine Krone. Wollten Sie mich aber vor einer Verrückten warnen, dann haben Sie nicht bedacht, wie schwer ein König zu befriedigen ist, wenn er im Grunde kein Verlangen mehr trägt. Das kann nur noch diese junge Närrin -- wird sich darum lange halten, und ich mit ihr.«

Der Morgen war wie der Abend. Alle Tageszeiten verliefen, für Henri gleich, solange er um sich diese Person litt. Sie belustigte ihn mehr, als er seinem Sinn noch zugetraut hätte. Sie war voll Wechsel, ihr Zauber erinnerte an die schnell veränderlichen Lüfte. Wenn sie schwach tat, war es Komödie, ihre Tränen erpreßte sie. Nur die Frage, wie echt ihre Härte, von welchem Wert ihre Drohungen, die sie unterstützte mit einem gar zu tragischen Spiel. ›Reißerisch begabt‹, dachte Henri, ›und ihre Familie hat sie eingeübt.‹ Da er seine wahre Gefährtin verloren hatte, fühlte sich aber dermaßen ernüchtert und abgenutzt im Gefühl, daß er sie wieder zu ersehnen nicht wagte, vermied sogar ihr Gedächtnis und vergaß sie -- Henri, was bleibt?

Es bleibt der Hang zur Frau, es bleiben die Sinne. Unverlierbar ist das alte Entzücken, Sire, und was es Ihnen eingab lebenslang. Wäre denn anders Ihr Werk? Wären Sie selbst denn anders, der Sie sind? In Ihnen arbeiten die Kräfte; den Reiz hatten diese gebrechlichen Wesen und trieben Ihre Kraft zur Höhe. Folgten den vielen die noch häufigeren, jede vorige wurde übertroffen von der nächsten, bis mit der letzten, wahren erfüllt war, Sire, wieviel Sie haben sollten von Größe und Besitz. Sie hingen am Weibe, was ein Fehler ist und auf die Dauer übel ausgeht: es wurde Ihnen vorher gesagt. Die Macht des Gefühls setzt in Vorteil, solange man jung ist, das waren Sie über das gewöhnliche Maß, und sogar noch später ist man von ihr fruchtbar. Nur, daß kahle Strecken eintreten.

Die ausgleichende Natur gehorcht nicht mehr der eigentümlichen Persönlichkeit, das vergebliche Gefühl ahmt sich selbst nach. Kahle Strecke, der gealterte Liebende gerät an Gegenstände reißerischer Art -- alles geht schnell mit ihnen, nichts lohnt. Erinnern Sie sich, wie langsam Sie Ihre reizende Gabriele erobern mußten, welche Geduld und Mühe Sie aufwendeten, ertrugen Beschämungen und büßten Ihre Leidenschaft. Ihre Aufgabe hatte den Ernst des Lebens, diese muß ich rühren, diese wird mein -- bis sie es war, gerührt von Ihnen und ganz Ihr eigen. Wenn Henriette d'Etrangues, Ihre schnell fertige Marquise, Ihr unverschämter Reißer, überhaupt zu rühren wäre. Sie wollen es gar nicht. Der Gleichgültige sind Sie.

Die junge Person haßt wenigstens, so gut sie kann, da sie zu viel auf einmal will und nicht weiß, wohin mit dem Kopf, womöglich überquer. Sie haßt Sie wegen des Eheversprechens, der unnützen Geburt, der Königin, die landen wird. Die Mißachtung, in der Ihre Geliebte steht, ist Ursache ihres Hasses, mehr als alle Beschwerden zusammen. Um dem Hof seine Mißachtung einzutränken, tanzt sie vor den Herren nackt. Das Unheilvollste bleibt, damit Sie es wissen, Ihre eigene tiefe Gleichgültigkeit. Sie würden um Henriette nicht dienen sieben Jahre noch einen Tag. Sie haben es bei weitem eiliger als die anspruchsvolle junge Person, was begreiflich ist: die kahle Strecke. Sie muß zurückgelegt werden im Laufschritt der Vergänglichkeit. Noch einmal fruchtbar sein! Ihre Kräfte, Sire, warten, Sie sammeln den Vorrat und Rückhalt. Ihnen muß nicht bangen.

Wenige eilige Tage vergingen dem König mit seiner Geliebten, indessen sie von ihren Forderungen nichts nachließ. Aus jeder Nacht mit ihm erhob sie sich als die künftige Gebieterin, es wäre nur komisch gewesen, die Damen und Herren hätten auf ihre Kosten gelacht. Aber Henriette besaß einen bösen Witz. Beim Aufstehen nannte sie den König ihren »Ritter vom guten Willen«. Da es ihm Spaß machte, erfuhren die Damen und Herren nicht, über wen sie sich heimlich erheiterten. Das erschwerte ihnen in der Öffentlichkeit die Würde, die Madame de Verneuil von ihnen verlangte. Übrigens währte es niemals lange, bis Madame ihrerseits die Haltung aufgab und den König anfiel, die schmalen Krallen vorgestreckt. Er habe sie belogen und betrogen. Er und sein Bassompierre spielten gegen sie falsch, zwei Schächer vom Jahrmarkt. Er werde sie kennenlernen.

Was jedem recht war, und deshalb fürchtete man sie längst nicht. Der Gouverneur von Orleans, ihr Herr Vater, konnte dem König unbequem werden, gleichwohl haben die Verlegenheiten der Majestät für manchen ihr Gutes. Heiraten wird er diesmal nicht, die wirkliche Gefahr ist ausgeschlossen; wer wird da finstere Pläne schmieden wie zu den Zeiten der teuren Herrin. Diese Henriette mag es treiben nach Herzenslust. Man ist geradezu neugierig auf die Rache, mit der sie dem König droht. Inzwischen vergnügt sie ihn, ein verzerrtes Vergnügen. Zutage liegt, daß die Gefühle des Königs verirrt sind. Nur immerzu.

Ernst wurde es, sooft die Marquise ihre Beleidigungen auf eine Verstorbene bezog. Sie hatte es bemerkt und ging darin jedesmal weiter. Sie habe nicht die Geduld einer gluckenden Henne, sie sei keine Frau mit Doppelkinn, wagte sie endlich -- und ihre gebrochene, aber frische Stimme begann zu singen: Reizende Gabriele. Da ließ der König sie stehen, er rief: »Bassompierre, unsere Pferde! Ich will zurück zum Großmeister.«

Der Höfling hatte die Kühnheit, allein das Pferd des Königs satteln zu lassen. »Ich«, erklärte er, »nehme Partei für Madame de Verneuil und bleibe bei ihr. Denn ich sehe: Eure Majestät hat selbst nur dies im Sinn.« Tatsächlich lief er so lange von dem einen Zimmer nach dem anderen, bis das verfeindete Paar zuletzt verschwunden war in demselben Schlafgemach.

Dies alles war nichts, bedenkt man, daß Henri seinen sonderbaren Zeitvertreib wird fortschicken müssen, wenn die Königin ankommt. Den dritten November landete sie in Marseille. Das gemeinsame Schlafgemach von Chambéry änderte sich darum nicht. Die Königin führte einen päpstlichen Legaten heran, er hatte Auftrag, den Frieden mit Savoyen zu vermitteln: wofür es höchste Zeit war, Montmélian hielt nicht mehr lange, der Herzog wäre über und über besiegt. Endlich nahten Marie von Medici und Kardinal Aldobrandini bis auf zwei Tagereisen, jetzt konnte es in dem vergnüglichen Ort Chambéry nicht länger so fortgehen.

Wut der Marquise, sie wollte ihr berühmtes Eheversprechen dem Kardinal unter die Augen halten, damit er stracks die Florentiner Trauung ungültig erklärte. Auf der Stelle sollte der König sie heiraten. Man staunte, wie er den Anfall ertrug. Er kam mit Beweisen, er stritt, als ob es lohnte, aber kein Machtspruch erging seinerseits. Ein Untergebener verfährt derart, sie wird davon halbtoll, will er das? Als sie vollends den Verstand verloren hatte und erschrak selbst, wurde er auf einmal der Herr. Noch erstaunlicher, die Szene und Verwandlung bedurften keiner Viertelstunde. Er nahm sie in seinen festen Arm und brachte sie auf ein Schiff, es erfreute mit seiner zierlichen Ausstattung, es lag auf einem hübschen See. Die wilde Person war auf einmal fromm und klatschte in die Hände über ihre angenehme Reise.

Sogleich vergoß sie auch Tränen, wie es sich gehört für einen richtigen Abschied von Liebenden, die eine Trennung erleiden, aber diese soll kurz sein. Henri hat versprochen, bald nachzueilen, was er wirklich einhalten will, und die Geliebte weiß es. Er winkt hinter dem Schiff, bis es entschwindet, und schon vorher haben seine getrübten Augen die Gestalt verloren, als sie noch herüber grüßte. Wann war das alles schon? Wo hat er eine fortgeschickt unter Widerstand, Tränen, Versprechungen, Küssen? Es ging damals nicht eilfertig wie hier, das Herz im Grunde leer und flüchtig der Sinn. Dies alles war voreinst voll Schmerz und Reue, sehr langwierig -- es dauert immer noch. Darum die schnelle, verzerrte Wiederkehr.

 

Die Fremde

Marie von Medici entstieg ihrem Schiff, dessen Wände von Edelsteinen blitzten. Vor Anker ging nicht diese einzelne Galeere: drei Flotten hatten sie begleitet, eine toskanische, eine päpstliche und die von Malta. Die Königin brachte siebentausend Italiener mit, die sollten hierbleiben, sich von diesem Volke nähren und überall laut die Sprache der fremden Königin reden.

Der größte Teil ihres Gefolges hatte es eilig, an den Hof von Frankreich zu gelangen. Die französischen Herren, die mit der Königin angekommen waren, reisten langsamer, am langsamsten der Großstallmeister Herzog von Bellegarde. Der König hatte seinen Feuillemorte vertraulich nach Florenz geschickt, wahrscheinlich erwartete er seine Meldungen mit Ungeduld. Bellegarde drang aber nicht in das Gebirge vor; er fand es zeitig genug, Fragen zu beantworten, wenn der König nach der Stadt Lyon käme und hätte Marie von Medici selbst erblickt.

Ihr erster Schritt war auf das päpstliche Gebiet nach Avignon, wo die Jesuiten sie empfingen in ihrem neuen Stil der überladenen Triumphbogen und blütenreichen Reden. Der Ort lag im Königreich und dennoch außerhalb. Die Ketzer durften hier wenigstens zum Schein verbrannt werden, wie man es der Königin im Theater vorführte und verursachte ihr ein angenehmes Grausen -- nicht allein hiermit. Da ist die Zahl sieben: diese gelehrten Väter haben ihr Geheimnis ergründet. Die Sieben bestimmt besonders den Lebenslauf eines Königs, der nur leider das Dunkle nicht gelten läßt, das Unbewußte über Gebühr begrenzen möchte. Ketzer werden bei ihm nicht verbrannt, sie stehen höher im Wert als die Christen. Man sollte nicht glauben, daß wir das Jahr 1600 schreiben.

Das Königreich ist hinter der Zeit zurück, eigentlich durch Schuld eines einzigen, wenn man es sagen muß. Pater Suarès in der päpstlichen Stadt Avignon überwand seine natürliche Scheu, da die Majestät schlechthin heilig ist. Um so strenger wäre ein Fürst zu nehmen, gesetzt, er mißverstände die Majestät wie auch das Jahrhundert. Wir sind der Fortschritt und die neue Zeit, wir haben ihren Stil und Geschmack, womit das Göttliche sich herabläßt zum Zeitlichen -- lehrte der Jesuit die Königin, als sie im Beichtstuhl kniete.

Das erste, was sie bei der Majestät durchsetzen müsse, wäre die Rückkehr der Gesellschaft Jesu in das Königreich: dies um ihres eigenen Seelenheiles willen. Nochmals empfahl er ihr eine heilsame Strenge -- da er sie ohnedies sowohl herrschsüchtig als beschränkt fand und erkannte in der Fremden das rechte Werkzeug. Die sollte den Mann der Gewissensfreiheit brechen, insofern er selbst noch wußte, wer er war. Die Frauen schwächen die Vernunft eines Greises, und diese gibt ihm hoffentlich den Rest.

Die Frau selbst war beim Verlassen des Ortes halbwegs um ihren Verstand gebracht. Es genügte, daß die Väter ihr zum Abschied ein Kind wünschten, schon verfiel sie in einen mystischen Überschwang, man konnte zufrieden sein.

Ihre eigenen zweitausend Reiter geleiteten sie bis Lyon, wo sie acht Tage lang den König erwartete. Ihn hielt in Savoyen jetzt nicht seine Geliebte zurück, der Legat des Papstes übernahm es. Kaum war die eine verduftet, streckte der andere den Kopf über den Berg. Erste Enttäuschung: Aldobrandini, ein Verwandter der Medici, und dachte dem Herzog von Savoyen in die Hand zu spielen, er erreichte gar nichts.

Der König von Frankreich erwies eine jugendliche Festigkeit. Anstatt vieler Worte ließ er seine Kanonen schießen zur Begrüßung des rot gewandeten Friedensengels. Die Priester bekreuzigten sich. Der König rief gegen den Lärm, daß er von derselben Art vierzig habe, die sollten die Festung Montmélian niederlegen, worauf es für den Herzog nichts mehr zu verhandeln gäbe.

Der Krieg hätte neu angefangen, es fiel aber Schnee in außerordentlichen Mengen. Neue Berge wuchsen ringsum, aus den Belagerern machten sie Gefangene. Der Kardinal sagte, daß der Himmel entschieden habe; wogegen der König nichts einwendete aus Rücksicht auf den Glauben, sondern reiste schneller als die geistliche Kutsche nach Lyon. Auf einmal hatte er Eile, die Königin zu sehen.

Er nahm tausend Bewaffnete mit, denn er hatte gehört, welchen Aufwand die Fremde trieb, und wollte nicht zurückstehen. Nun waren seine Truppen in einem abgenutzten Zustand, beschmutzt, zerrissen, sie kamen aus drei Monaten Krieg im Gebirge. Ihr König trug sein altes Zeug, die Stiefel bespritzt bis oben. Er meinte, sie soll den Anblick von Siegern haben, und erinnerte sich, der beste Triumph eines Liebhabers wäre immer noch der Sieg gewesen. Er hätte wahrhaftig gespornt ihr Zimmer betreten.

Vor dem Haus begegnete er einigen zierlichen Herren, ihre Kleidung war neu geschneidert, ihr Wesen verband die Anmut mit der Gefährlichkeit -- schwer nachzuahmen. Man ist sonst hart oder ist weichlich. Henri sieht plötzlich: ›Die kenn ich. Ihresgleichen liefen genug umher vorzeiten in Schloß Louvre, als ich der Gefangene der alten Katharina von Medici war. Aus demselben Geschlecht kommt jetzt wieder die Königin, und was sie mitbringt, ist der alte Schlag.‹ Da mäßigte er seine Eile.

Er schickte zu ihr seinen de Varennes, den bewährten Boten der Liebe, der auf nichts mehr neugierig war. Der Anblick der Königin erstaunte ihn dennoch. Sie saß bei ihrer Mahlzeit in Pelzen und Decken, den Kopf umwickelt. Dieser erzbischöfliche Palast, ihr erster Aufenthalt in dem neuen Lande, erschien ihr von einer mörderischen Kälte; in den Händen rollte sie zwischen dem Essen eine Kugel, die mit heißem Wasser gefüllt war. Sie hatte der Erwärmung wegen schon viel Wein getrunken, und als de Varennes ihr die Ankunft des Königs begreiflich machte, was infolge der verschiedenen Sprachen nicht leichtfiel, schoß ihr das Blut in die Stirn. Zuerst wollte sie noch das Fleisch verzehren, auf ihrem Teller war es gehäuft, die Diener brachten immer mehr. Eine Art von Entsetzen lähmte sie, de Varennes bezog es auf die Kälte, allenfalls auf die Störung beim Schmausen. Eine große starke Person gegen dreißig sollte Furcht vor dem Mann haben, das war ihm in seiner reichen Erfahrung nicht vorgekommen, er wollte es nicht glauben.

Die Königin versuchte ihre vielfachen Hüllen abzuwerfen, vergebens, man hatte sie fest verpackt. Sie wurde überaus zornig, sie schalt auf Abwesende, die sie allein ließen. De Varennes kannte die Namen nicht bis auf die von zwei älteren Herren, sie hatten vermutlich ihr Bett vorgezogen. Es war acht Uhr abends. Damit keine niederen Bedienten die Königin berühren mußten, übernahm de Varennes es und legte seinen Arm um sie -- derart hatte er eine andere gestützt und nach seinen Kräften erleichtert, solange noch unentschieden war: wird sie in das Grab oder auf den Thron steigen. Den Thron bestieg jetzt eine neue, aber de Varennes war wieder zur Stelle. Diesmal wurde sein Geschäft ihm gelohnt mit einem Backenstreich von kräftiger Hand. Er dankte unterwürfig und merkte sich, eine wirkliche Königin war eingetroffen.

Henri wartete versteckt hinter seinen Edelleuten in einer Galerie, durch die sie kommen mußte. Hier warf er auf Marie von Medici den ersten Blick, notwendig eine abgekürzte Besichtigung. Er fand ihren Schritt majestätisch, obwohl schwer: ihre Wangen, die ein wenig herabhingen, zitterten von dem Schreiten. Das Gesicht wurde schon massig, darin die lange, aber eingedrückte Nase und farblose Augen, die entgeistert starrten. Gleichviel, eine neue Frau mit einem unbekannten Körper ging an ihm vorbei in ihr Schlafzimmer. Er fragte seinen Großstallmeister:

»Was sagst du, alter Feuillemorte, ein Prachtstück.«

Dies mit einigem Zweifel im Ton. Bellegarde ermutigte ihn kaum. Er erklärte, ein Schlachtenroß, das den Bitter in voller Rüstung trägt, sei anders zu bewerten »als Ihre geliebten schlanken Stuten mit dem Tänzeln, das Ihr Herz ergreift, Sire«, sagte er wörtlich.

Henri fragte traurig: »Ihre Füße müssen sehr groß sein. Du antwortest mir nicht? Du hast mit ihr die Reise gemacht, du kennst ihre Füße.«

»Sie kommen dem übrigen gleich«, drückte Bellegarde es aus.

Henri verließ ihn schnell, aber nach einem einzigen Gang durch die Galerie war er wieder da.

»Guter Freund, ich hatte dich nach Italien geschickt, damit du vieles siehst und ich durch dich. Aber seit deiner Rückkehr von Florenz bist du wortkarg wie nie vorher. Wenn einer eine Reise tut, wird er gesprächig. Wovon schweigst du?«

»Sire! Die Königin hat eine Milchschwester.«

»Ich habe von ihr gehört. Meine Gesandten berichten. Die Königin hält Kavaliere vom Dienst nach der Sitte ihres Landes. Es soll ein unverfänglicher Brauch sein, der Beichtvater der Königin tadelt ihn nicht. Dich macht es bedenklich?« fragte Henri, versuchte zu lachen, brach ab und musterte Bellegarde, der befangen beiseite sah.

»Was noch?« befahl der König, es mußte gehorcht werden.

»Sire! Die Königin hat eine Milchschwester«, wiederholte Bellegarde.

Henri stieß seinen alten Fluch aus. »Das ist alles, was du auf deiner Reise gelernt hast? Eine Frau, die bei einer anderen Wache steht, verscheucht ihr entweder die Liebhaber, oder sie bringt sie ihr. Welchen der beiden Berufe versieht die Milchschwester?«

»Sire! Einen dritten, höchst seltenen. Ihre Gesandten berichten nach Gutdünken.« Schon stockte Bellegarde. Die Heirat war von allen gewollt und auf keinen Fall aufzuhalten gewesen.

Henri zuckte die Achseln. »Die Milchschwester hat vielleicht Reize? Sei unbesorgt, die der Königin genügen mir. Jetzt klopf bei ihr an!«

Der Herzog gehorchte, und während er klopfte, rief er: »Es lebe der König!« Die anderen Edelleute unterstützten seine Bemühung; die Fremde sollte begreifen, daß die Stunde geschlagen hatte. Die Tür wurde wirklich geöffnet, der König mit seinen Herren wollte eindringen. Die Königin indessen, umgeben von ihren Damen, begegnete ihm auf der Schwelle, sie raffte ihr Kleid, sehr tief beugte sie ihre beiden Knie zu seinem Empfang.

Sie war größer als er, in ihrer verkleinerten Haltung konnte er sie würdig umarmen, sie auch auf den Mund küssen, was nur er selbst natürlich fand. Ihr war die Sitte neu, vom Schrecken stand sie ohne seine Hilfe aber mit gerafftem Kleid auf den Füßen, und diese betrachtete er etwas länger als erlaubt schien. Dann berichtigte er sein Verhalten und führte sie zu dem Kamin; ihre Hand, die er hielt, war erstarrt. Er sagte ihr mehreres über die strenge Kälte, den beschwerlichen Weg hierher. Ihre Antwort ließ warten, und was sie schließlich plapperte im Ton einer Schülerin, hatte für ihn keinen Sinn; er durfte annehmen, daß sie ihn ebensowenig verstanden hatte.

In Anbetracht der verschiedenen Sprachen und des erschwerten Austausches entschloß er sich zu einer Rede. Sie mußte weder begreifen noch erwidern, man mochte ihr später seine Worte erläutern. Er aber bekam die Muße, ihre Reize abzuschätzen. Zuerst entschuldigte er sich, daß er sie eine Woche habe warten lassen. ›Leider nur eine Woche‹, dachte er, denn sein zweiter Eindruck bestätigte den ersten: ihre Reize waren vorgeschritten, weiter als erwünscht. Wahrhaftig, ihre Bilder zeigen sie zehn Jahre jünger, so beschränkt und starr war damals ihr Ausdruck nicht.

Er habe sie warten lassen, war seine Rede, weil er der Zeit bedurfte, um mit einem Räuber fertig zu werden. Französische Länder zu befreien, daran wäre der französischen Königin gewiß gelegen. Hierbei stellte er fest, daß sie den leiblichen Umfang und ihr Gewicht augenscheinlich ihrer Mutter, Johanna von Österreich, verdankte, ihrer spanischen Erziehung die Dumpfheit und Härte, die ihr Gesicht anzeigte; aber die schöne Stadt, woher sie kam, hatte ihr nichts mitgegeben außer den Lauten des Mundes. Er beschloß, mit dieser Frau nicht lange zu leben. Nur die Nacht konnte sie retten bei besonders günstigem Verlauf. Was alsbald geprüft werden sollte.

Gesprochen hatte er wohl eine halbe Minute, seit seinem Eintritt waren es keine zwei, und er spürte Hunger. Er stellte ihr sein Gefolge vor, sie ihm das ihre. Da sieh, die zierlichen Herrchen von draußen, jeder so scharf wie der andere trotz kunstvoller Glätte. Ein Dolch kann einen geschmiedeten Griff aus Gold halfen und mit Samt überzogen sein. Zwei waren Vettern der Königin, Virginio Orsini und sein Bruder Paolo. Sie sehen, und Henri weiß Bescheid über den fremdländischen Brauch der Kavaliere vom Dienst, woran der Beichtvater nichts zu tadeln fand. Er ist hier spät gekommen, hat sich verspätet nicht um acht Tage, eher um acht Jahre, die sind nicht einzuholen.

Innerlich fluchte Henri, nach außen kehrte er ein Gesicht Voll Ironie; die beiden Orsini sahen einander an, was der Herr an ihnen komisch fände. Er schwor sich, zu bestrafen, daß man ihm die peinlichen Umstände nicht beizeiten berichtet hatte: besonders Bellegarde, der nach Florenz gereist war und hätte ihn warnen sollen. Zugleich entdeckte er, hinter den Damen zum Schein verborgen, den allerschönsten. »Wie heißt er?« fragte der König und winkte dem Mann, der schöner war als die Vettern, nahm aber bis jetzt nur den Hintergrund ein. ›Der hat das Zeug, mich zu rächen, wenn ich selbst, mit grauem Bart und unsauberen Stiefeln dafür nicht der rechte wäre.‹

 

Die Milchschwester

Er hieß Concini. Als er vorkam, seine glänzende Verbeugung machte und vom König den Handschlag erhielt, lächelte Marie von Medici, es war das erstemal. Ihr Gesicht vergaß seine fromme Verschlossenheit, es entfaltete ein dümmliches Entzücken. Sie sprach sogar, sie hatte etwas zu sagen, anstatt des vorigen Geplappers. Diese Worte durften nicht verlorengehen, die Herzogin von Nemours übersetzte sie, da sie beide Sprachen kannte, war übrigens in den Verhältnissen der Personen bewandert. Die Königin hat eine Milchschwester, der edle Concini ist der Gatte der edlen Dame Leonora Galigai. Die Königin selbst nahm wieder das Wort, sie rühmte diese Dame des längeren und mit einem Eifer, der Furcht verriet. Das dümmliche Entzücken war weggewischt von den weißen Wangen, die zitterten.

Merkwürdig, die Milchschwester blieb unauffindbar, nur ihr schöner Gatte schlug sein Rad; die Königin vermied es hinzusehen.

Zwischen die übertragenen Worte der Königin schob Madame de Nemours andere ein, die waren ihre eigenen und für den König allein. »Zwei Abenteurer mit falschen Namen. Hüten Sie sich!«

Hierauf das übertragene Lob der Königin für die Tugend und Frömmigkeit der edlen Dame Galigai: dann wieder Nemours im eigenen Namen.

»Nur die Zwergin ist gefährlich, da sie geistreich ist. Der Mann gibt den dummen Pfau ab. Damit Sie es in der ersten Stunde wissen, Sire, man beherrscht Ihre Frau« -- sprach Madame de Nemours, die den König gewarnt haben wollte.

Daran mußte es genug sein. Die Königin wurde immer unruhiger. Sie schien in ihrem breiten Rock nicht mehr allein zu sein, eine fremde Kraft bewegte ihn hin und her, Henri fürchtete für sie das Schlimmste. Die Königin und ihr breiter Rock rückten aber plötzlich zur Seite, eher als ein Schritt war es ein Sprung und geschah im vollen Schrecken. »Meine Leonora!« kreischte Marie von Medici mit der Stimme eines sprechenden Vogels oder einer Theatermaschine, die einen Menschen nachahmt. Als sie das zweitemal »Meine Leonora« sagte, war es gehaucht und ihre Hand wies nach unten.

Auf dem Fleck, den die Königin verlassen hatte, war etwas zurückgeblieben: um den richtigen Anblick zu haben, bückte man sich.

Henri sieht eine wohlgebildete Person von kleiner Gestalt; Zwergin wird man nicht sagen bei dem vorhandenen Ebenmaß. Ihr war anzusehen, daß sie ungern frei dastand. Wahrscheinlich verbrachte sie ihr Leben hinter den Röcken der Königin, wenn nicht darunter. Sie hatte die ungesunde Farbe eines Geschöpfes, dessen ganze Laufbahn der Alkoven einer anderen Frau ist. Diese Rätsel der Natur sollen außerordentlichen Begierden und Leidenschaften unterliegen. Das gegenwärtige Muster bedeckt die Augen mit einem Schleier. Umsonst, zwei Kohlen glühen durch das Gewebe unheilvoll.

Henri machte eine Bewegung rückwärts. ›Das ist die Milchschwester, und sie fehlte mir noch‹, dachte er, die Brauen erhoben, die Lider weit aufgerissen. Hiervon erschrak die Milchschwester, auch ihre Regung war, zu flüchten. Danach konnte nur das Äußerste die Lage noch retten. Henri hätte das Wesen auf den Mund geküßt, indessen verdrehte es den Hals und sträubte sich. Sobald er sie losließ, ergriff die edle Dame die Flucht.

Das Zimmer war überfüllt von beiden Parteien, der Umgebung der Königin, dem Gefolge des Königs. Die schwächliche Person durchbrach das Gedränge mit der bloßen Kraft ihres Willens. Die Leute des Königs so gut wie der Königin machten eifrig Platz. Jemand stellte ihr ein Bein, aber sie fiel darüber nicht, sie stieg auf ihre Fußspitzen, bis sie seinem Gesicht nahe kam. Da öffnete er selbst ihr die Tür. Es war der tapfere Crillon.

Henri, zu Marie von Medici: »Madame, ich will Ihrer Milchschwester meine Höflichkeit erweisen.«

Sie hat ihn nicht verstanden, erkennt aber seine Absicht und beschwört ihn mit beiden Händen, abzustehen.

Unnütz, der Fremden viel zu erklären. Henri streift Madame de Nemours, ihr sagte er: er will doch sehen, was dahintersteckt.

»Sire! Vielleicht ein Messer«, antwortete die Herzogin.

Hinten angelangt, bemerkt Henri, daß niemand ihm gefolgt ist. Nur der Gatte der Milchschwester, Herr Concini, macht seine glänzende Verbeugung und lädt den König ein, über die Schwelle zu treten. Hinter ihm bleibt die Tür geöffnet.

Henri sah sich in einem kurzen Durchgang, der wenig Licht hatte, es drang am andern Ende zwischen Vorhängen ein. Er schützte seine Brust mit dem Arm wegen der Warnung vor dem Messer. Schnell hin, den Vorhang weggerissen. Die schweren Falten leisteten Widerstand: kein Wunder, die edle Dame war darin eingewickelt. Ihre verschleierten Augen frohlockten ausdrucksvoll, hier hatte sie ihn erwartet. Sie hob den Vorhang von dem Schlafzimmer, zeigte ihm den Alkoven, das Bett der Königin, und belehrte ihn mit wenigen starken Gebärden, was sie wollte oder ihm verbot. Sie sprach nicht und wurde davon rätselhafter im Wesen. So gewagt seine Rolle, das Wesen überwand die eigene Scheu und gebärdete sich zügellos.

Er betrachtete sie fest, was sie mit Mühe ertrug, sie schielte abscheulich. Jetzt deutete auch er nach dem Bett; statt zusammenhängender Worte, die der Auseinandersetzung nur geschadet hätten, sprach er in Abständen drei Namen aus. Die ersten beiden erzeugten bei der Milchschwester alle Anzeichen der Eifersucht, ein unglückliches Gefühl; die Arme machte Miene, nochmals in dem Vorhang zu verschwinden. Als er den dritten Namen sprach, besann sie sich; sie taumelte rückwärts bis gegen das Bett. Dieses wichtige Möbelstück umklammerte sie und bekannte, wie sie dastand, die boshafte Entschlossenheit, es zu verteidigen gegen all und jeden.

Henri erschien schneller als gedacht draußen bei der Gesellschaft der Königin -- wo niemand, trotz der geöffneten Tür, den Vorfall beobachtet haben wollte. Der Vorfall dort innen war noch mehr überstürzt worden durch seine Stummheit. Davon schien es dem Zurückgekehrten, er hätte geträumt. Nun er aufatmete und lachte, befolgte die Königin sein Beispiel. Sie äußerte ihre Erleichterung wegen seines gnädigen Verhaltens zu ihrer Milchschwester, was Madame de Nemours übersetzte, und er bestätigte es.

Jetzt hatte er wahrhaftig hier das Seine getan und ging ohne weiteres essen. Nahm Madame de Nemours bis auf die Schwelle mit, und als sie vermutlich außer Hörweite waren, sagte er ihr, er gedenke dieselbe Nacht bei der Königin zu verbringen, die Herzogin möge sie vorbereiten.

Das Bedürfnis seines Magens war inzwischen zum Heißhunger geworden. »Gewiß bin ich sehr lange in dem Zimmer gewesen«, fragte er seine Edelleute. Bassompierre, für dergleichen zuständig, antwortete: »Sire! Nicht ganz die Hälfte einer Viertelstunde.« Die fremdartigen Begebnisse erscheinen allerdings zeitlos, so überstürzt sie geschehen.

Während des Verschlingens der Mahlzeit sagte er ihnen, daß sie mit all ihrem kriegerischen Ruhm der Königin gar keinen Eindruck gemacht hätten. »Warum seid ihr nicht gebadet und riecht angenehm? Was für Sieger, die geradeswegs aus dem Dreck kommen und sind weder zierlich noch jung.«

Sie begriffen, daß er für sich selbst spräche und fürchtete seine fremde Königin mit ihrer Milchschwester. Daher lachten sie und versprachen ihm, der mutigste Soldat werde heut nacht bei der Zwergin schlafen. Henri antwortete hierauf mit unerwartetem Ernst. »War mir doch, als die Zwergin plötzlich dastand, sie wäre unter dem Rock der Königin hervorgekrochen.«

Hiermit versank er sichtlich in Betrachtungen; seine Edelleute wagten nur noch untereinander zu tuscheln. Er bedachte und sah die Gesellschaft, in die er geraten war, und sollten künftig unter seinem Dach wohnen: die heillose Milchschwester, ihr ungebührlich schöner Mann, die beiden Vettern und Kavaliere vom Dienst, alle im trauten Verein mit der Fremden, die er geheiratet hatte -- das erstemal durch Vertreter. Bei der zweiten Trauung sollte er sie mit eigener Hand zum Altar führen, danach aber war sein Thron der ihre. Nun ist sie eine Masse Fleisch, darüber herrschen statt eines guten Willens nur die Vorurteile. Das Französische hat sie absichtlich nicht gelernt; ihm wurde gesagt, Herr de Bassompierre sagte es, stolz auf seine Wissenschaft: weil sie es die Sprache der Ketzer nennt.

Das verheißt nichts Gutes, übrigens wird ihr sauberer Verein von Hochstaplern sie hin und her rollen wie ein Faß. Anders kann es nicht kommen, solange sie die Milchschwester hat. Die Milchschwester ist von dem Verein die stärkste infolge ihrer verkehrten Natur. Henri hat die vielfältigste Erfahrung mit dem Wahnsinn; die Menschheit ist reich dran. Henri begegnet ihm überall, endlich soll der Wahnsinn, unter dem Rock der Königin versteckt, mit ihr den Thron besteigen. Die Zwergin haßt ihn, sie hat eine verräterische Furcht, seinem Blick zu begegnen. Henri könnte ihre Macht brechen. Sie mit ihren Kohlen, die von einer inneren Hölle glühen, scheut jedes andere Auge: weil es sie durchschauen könnte. Der böse Blick, den sie immer argwöhnt und trägt gegen ihn den Schleier, ist kein anderer als der Blick, der sie durchschaut.

Der Saal des Bischofshauses von Lyon, worin Henri seine Verhältnisse erkannte, war schwach beleuchtet. Seine Kriegsgefährten hatten ihm einige Plätze zu beiden Seiten freigegeben, bei ihrer Kerze tuschelten sie dort unten, und bald verstummten sie. Bellegarde saß als einziger neben Henri, überließ aber den König seiner inneren Schau; er hatte den Armleuchter von ihm fortgerückt.

›Die Macht der Milchschwester über die Königin ist ihr schöner Mann‹, überlegte Henri. ›Wozu hätte sie ihn sonst. Er darf sie selbst nicht berühren, und weh ihm, wenn er es bei der anderen versuchte: die Zwergin würde ihn vergiften. Die Medici soll dümmlich entzückt bleiben, wie ich sie auch fand. Der Concini wird benutzt, um zu blenden, mehr vermag er nicht mit seiner eitlen Person und seinem beigelegten Namen. Im Grunde, wenn wir auf den schwankenden Grund gehen, ist die Macht der Milchschwester nicht ihr schöner Mann, ihre verkehrte Natur ist es selbst. Die Königin fürchtet sie. Öffne ich nachträglich die Ohren: ihre Stimme hat geschaudert, sooft sie die Milchschwester erwähnte und sprach ihren beigelegten Namen. Die Königin ist eine arme Frau.‹

Henri hat Erkenntnisse hier in der schwachen Beleuchtung bei seinem geleerten Glas -- sie sind richtig oder falsch, das wird er erfahren. Sie enden bei dem Mitleid für seine Königin wegen ihrer trüben Umstände, des Vereins der Masken, der sie beherrscht. Zorn -- Henri fühlt keinen mehr: man hat nicht umsonst den grauen Bart und Augen, die zu vieles sahen. Indessen, der Verein und die Umstände sollen abgestellt werden. Fraglich, ob es gelingt. Man müßte der Zwergin beikommen.

Bellegarde glaubte nachgerade, der König habe ihn vergessen. Unversehens neigte Henri das Gesicht hin, er sprach heimlich.

»Feuillemorte, unsere Freunde haben recht gehabt, der mutigste Soldat muß heute nacht mit der Zwergin schlafen.«

»Sire, die haben geprahlt«, sagte der Großstallmeister. »So mutig ist keiner.«

Henri versuchte einen strengen Ton. »Weißt du wohl, daß ich dich zu bestrafen gesonnen war vorhin, als mir aufging, in welch eine Gesellschaft ich geraten bin und wie es durch dein Versäumnis für mich nunmehr bestellt ist?«

»Sire!« bat Bellegarde. »Ich kenne meine Schuld, obwohl es zu spät und ganz vergeblich gewesen wäre, Sie zu warnen. In Florenz wurde ich der Milchschwester nicht ansichtig, sie drückt sich in den Alkoven umher und scheut das Licht.«

»Du lügst, Feuillemorte, dir war bekannt, daß die Königin vor ihr zitterte. Madame de Nemours hat mir's heute gestanden: du nicht. Als Buße aller deiner Sünden solltest du mit der Zwergin schlafen und sie zähmen, du bist dafür der Mann.«

Dies sprach Henri, und sein Feuillemorte begriff sogleich die Absicht. Sie hätte ihm eingeleuchtet, war er nur selbst nicht im Spiel gewesen. Höchst beunruhigt sah er nach Hilfe um -- tatsächlich, da hat hinter ihnen einer gehorcht, ist im Begriff, sich wegzustehlen.

»Sire!« raunte Bellegarde. »Ein Neugieriger. Der ist es, Sie finden keinen Besseren.«

»Holla!« rief Henri in das Dunkel. »Hervorkommen!«

Der Ertappte beeilte sich nicht. Dennoch war er der Rechte, schon wegen seiner Neugier, noch mehr in Ansehen seiner Sucht, überall dabeizusein.

»Bassompierre«, sagte Bellegarde, »der König braucht für sein Vorhaben, das Sie dank Ihren guten Ohren schon kennen, genau den Mann, der Sie sind: jung und hübsch, ehrgeizig und gewandt.«

»Haben Sie begriffen?« verlangte Henri. Der Unglückliche bat:

»Sire! Ich bin bei den Frauen schüchtern.«

Bellegarde übernahm die Antwort; ihm war das meiste daran gelegen, daß der König bedient wurde. »Sie dürfen schüchtern sein, soviel Sie wollen; die Dunkelheit auf dem Schauplatz Ihres Unternehmens wird Sie den Augen Ihrer Schönen entziehen. Sie wählen Ihr Versteck in dem gleichen Saal, wo wir heute von der Königin empfangen worden sind. Man wird Sorge tragen, daß kein Licht brennt. Die Milchschwester verläßt endlich das Zimmer der Königin. Sie müssen horchen, wie Sie es übrigens gewöhnt sind.«

»Nicht nötig zu horchen«, sagte Henri selbst. »Vor der Tür des Schlafzimmers, am Ende eines stockfinsteren Ganges, hängt ein Vorhang. Sie wickeln sich hinein. Sobald die Tür geöffnet wird, strecken Sie das Bein vor, damit die Person Ihnen in die Arme fällt.«

»Die Person hat sogar den tapferen Crillon erschreckt«, wendete das arme Opfer ein.

»Sie sind nicht nur schüchtern«, sagte Bellegarde und löste Henri ab. »Sie haben Furcht. Darüber vergessen Sie die unvergleichliche Ehre, die Ihnen widerfährt.«

»Die ermesse ich und bin von meinem Unwert durchdrungen«, versicherte Bassompierre, schnell und angeregt. »Mir soll es vergönnt sein, auf der anderen Seite der Tür dem königlichen Beilager beizuwohnen.«

»Lieben Sie kleine Frauen?« fragte Henri.

»Diese ist die eigene Milchschwester der Königin«, bemerkte der Ehrgeizige. Man sah ihn unruhig nachsinnen, wieviel gewonnen wäre mit dem allen für seinen Ruhm.

 

Das königliche Beilager

Henri, gebadet mit Duftwassern, ging im seidenen Rock und weichen Schuhen den Weg zu seiner Hochzeitsnacht. Mehrere Armleuchter wurden vor ihm hergetragen. Hinten folgten de Varennes und andere Edelleute, aber den Zug eröffnete der Herzog von Bellegarde.

König Henri dachte auf dem Wege, daß er ihn lieber nicht machen wollte, und tat er es jetzt nicht, dann fände er künftig noch weniger Zeit. Besser gleich als nie. Ein königliches Beilager geschieht nicht wegen der Unterhaltung. Man wird nicht lächerlich, weil man bei Jahren ist. Die Herren, die ihn durch das Haus geleiteten, hätten mit denselben amtlichen Gesichtern auch einem jungen König geleuchtet; würden vergessen haben, daß er zu einer fleischlichen Verrichtung schritt, und nur des hohen Berufes der Majestät hätten sie gedacht. Henri sah nach ihnen um, ob sie den Hochzeitszug wahrhaftig ernst nähmen mitsamt seinem Schlafrock, der nachschleppte. Gewiß, so ist es, oder ihre Gesichter wären außerordentlich beherrscht. De Varennes, der ihm Frauen besorgt hat, ungezählt und aus allen Ständen, hier spielt er den würdigsten Offizier der Krone.

Anstatt zu lachen, seufzt Henri. Er geht dahin und denkt: ›Viel hab ich nicht zu hoffen von dem Beilager. Die Liebe der Königin werde ich mit keiner Kunst erobern und werde umsonst den Ritter vom guten Willen machen‹ -- denkt er, da seine verwegene Marquise ihn vor allen Ohren so genannt hat. ›Den Anhang der Fremden besiege ich nicht‹ -- er meint die beiden Vettern Maries und den dritten, Allerschönsten. Dazu die Milchschwester. ›Die Fremde wird niemals mit dem Herzen auf meiner Seite sein, eine sehr große Gefahr für das Königreich‹ -- dies sieht er besonders deutlich auf seinem Gang zum Beilager. -- ›Alles könnte dennoch gut werden‹, erkennt er zuletzt, ›wenn ich nach ihrer Liebe ein wirkliches Verlangen trüge. Ich habe selbst der Liebe nicht. Abgemacht und nicht zu ändern. Aber wozu das Beilager? Für die Mitgift? Wir wissen es besser. Der Erbe soll gezeugt werden: mein Erbe aus dem Blut der Medici. Da sie mich nicht begehrt und ich sie nicht, wird er alles von ihr haben, nichts von mir, soll aber mein rechtmäßiger Erbe sein.‹

Auf seinem hellsichtigen Gang wäre er infolge innerer Abwesenheit gegen einen Pfosten gestoßen: das war die Tür des Saales, worin die Königin ihn heute empfangen hatte. Er blieb stehen, man fragte warum, und der ganze Zug hielt. Henri denkt: ›Mein Erbe -- ich hatte ihn, und habe nie gefragt, wieviel von seinem Blut meines war oder das Blut seiner Mutter. Unser Blut war eins geworden durch die Vermischung der Herzen und unseren Sinn für dies Land und Königreich. Ich habe alles getan, alles vorgesehen und getan, damit der Sohn Gabrieles des Thrones sicher wäre. Jetzt muß ich selbst ihn entthronen und enterben. Sie haben recht, daß ich zu einer Handlung der Majestät schreite und zu keiner Unterhaltung, oder sie wäre schlecht.‹

Der Herzog von Bellegarde bezog das Zurückbleiben des Königs auf ihre geheime Verabredung mit Herrn de Bassompierre. Er flüsterte dem König zu, er möge unbesorgt sein, niemand werde vorzeitig den gewissen Vorhang aufheben und jemand darin finden. Bis jetzt halte der Bewußte sich anderweitig verborgen, »aber er brennt darauf, das Abenteuer zu bestehen«, sagte Bellegarde.

»Hüten wir uns, ihn zu beneiden«, erwiderte Henri mit einem Blick -- nur sein Feuillemorte hätte ihn verstanden, war er nicht hier im Amt gewesen.

Dergestalt zum Nähertreten ermutigt, durchmaßen der König und sein Gefolge den Saal, den kurzen Gang nach dem Schlafzimmer der Königin; dieses öffneten sie, als auf mehrfaches Kratzen und Klopfen keine Antwort kam. Der Grund wurde alsbald sichtbar, da im Zimmer alle den Kopf verloren hatten. Die Königin lag für tot auf ihrem Bett und wurde mit heißen Tüchern gerieben.

Den König empfingen stumme Vorwürfe, weil er es mit dem Beilager eilig gehabt und die Königin erschreckt hatte. Wahrhaftig war sie am ganzen Körper kalt, er überzeugte sich selbst. Bei der Berührung seiner Hände blinzelte sie, schloß gleich wieder die Augen und lag für tot. Die Milchschwester zwängte sich zwischen den König und das Bett: sie wies ihn ab, wobei sie ihm die entrüsteten Mienen der Versammlung zeigte. Dies waren die Frauen der Königin, ihre mitgebrachten Ärzte, aber auch mehrere hübsche Kavaliere hatten es sich nicht nehmen lassen. Der König entdeckte unschwer die drei, die er meinte.

Ihr Anblick machte ihm heiß. Ganz im Widerspruch mit seiner vorigen Ergebung in das Unabänderliche, kochte er auf einmal vor Wut. Madame de Nemours, die es ihm ansah, kam einem Ausbruch zuvor. Sie bat ihn, zu beachten, daß die Diener der Königin, besonders aber ihre Dienerinnen, keinesfalls ihre Partei ergriffen, sondern entrüsteten sich mehr über sie, als daß sie den König mißbilligten. Die Königin in ihrer Hochzeitsnacht führt sich auf wie ein fünfzehnjähriges Jungfräulein, was ihr schlecht zu Gesicht steht; aber sie tut es in bester Absicht, um die Liebe des Königs herauszufordern -- meinte Madame de Nemours.

Henri hörte sie kaum an. Die Gesichter der beiden Vettern und des schönen Concini gefielen ihm zusehends weniger, Bellegarde, der mit Ungeduld den Befehl des Königs erwartete, las ihn aus seinen verdüsterten Mienen. »Es lebe der König!« rief er, die anderen französischen Herren wiederholten es zornig, indessen sie die fremde Gesellschaft anfielen und aus dem Zimmer vertrieben. Das war nicht leicht wegen des Gewühls, und geriet nicht ganz gelinde, da die Edelleute des Königs viel Unwillen angesammelt hatten. Wohl möglich, daß dieser oder jener hübsche Kavalier der Königin nachher nur das eine seiner Augen offen halten konnte. Die Damen kreischten entsetzlich auf der Jagd durch die Säle und Gänge. Zuletzt gaben sie sich gefangen und belohnten ihren Sieger oder auch nicht.

Als endlich weithin Stille herrschte, ließ Henri der Herzogin von Nemours von dannen leuchten. Es war der einzige noch übrige Lakai, den er ihr mitgab. Sie wendete den Kopf zurück. »Sire!« sagte sie. »Viel Glück bei Ihrer Königin. Der Herzog von Bellegarde hätte Ihnen nicht, damit Sie etwas früher mit ihr allein wären, so viele Feinde machen sollen.«

Dasselbe meinte Henri, als alle fort waren. Geschehen ist geschehen, jetzt war der Ton angegeben und das Verhältnis bestimmt zwischen den Parteien des Königs und der Königin. Alle zusammen werden Schloß Louvre besetzen und darin auf Abbruch hausen, immer die Hand an der Waffe. Den Zweikampf wird er ihnen verbieten, aber auch den Mord? Er sieht unbequeme Zustände kommen dank seiner fremden Königin und ihrem Anhang. Er gedenkt seines Hofes zu den Zeiten einer anderen, als die Frauen geehrt wurden, die Männer aber verlernten das Schmarotzen wie auch das Händelsuchen.

Es sind die Läufte. Wir schreiben das Jahr 1600. ›Nicht der arme Feuillemorte hat die veränderten Läufte beschleunigt, vielmehr ich selbst und meine Heirat, die unausweichlich war mitsamt allen ihren Folgen.‹ Hier erhob er die Stirn aus ihrer versonnenen Haltung. Er fluchte in sich hinein. ›Die Folgen? Ein Dauphin: dafür bin ich hier. Sind das Gedanken einer Hochzeitsnacht!‹

Die Königin lag noch immer erstarrt; anzurühren war sie diesmal aber warm. Auch blinzelte sie jetzt deutlich und in bestimmter Absicht, wäre es, um ihn zu locken oder zu warnen. Das zweite traf zu, denn kaum merklich bewegte sie den Kopf seitwärts, nach dem Gäßchen zwischen Bett und Wand: dort sollte er etwas suchen. Henri blickte vorsichtig hinein. Die Milchschwester, sie hat sich versteckt, ihr Gesicht ist in den Vorhang des Bettes gedrückt, sie weiß nicht, daß sie entdeckt ist. Aber das enge Gäßchen paßt nur gerade ihr. Unmöglich, sie hervorzuholen, man müßte denn Gewalt brauchen. Übereilungen sind in diesem Zimmer genug geschehen, Henri begeht keine. Niemand kann seiner Ehe dermaßen gefährlich werden wie die Milchschwester.

Sie ist mit guter Manier aus dem Zimmer zu entfernen. Draußen droht ihr ein Abenteuer: wahrhaftig, das hatten wir vergessen. Wie kommt man ihr bei? Henri und Marie sehen einander an, das erstemal sind sie im Einverständnis. »Leonora!« bittet Marie. »Meine Leonora!« girrt sie. Ihrer schmelzenden Stimme antwortet niemand.

Da sagt sie, soviel kann jeder von ihrer Sprache verstehen: »Wir sind allein. Der König ist fort.« Ihn aber sieht sie dringend an, und mit einer Gebärde, die Erfahrung verrät, hat sie die zehn Finger ihrer geöffneten Hände verschränkt, gelöst, wieder verschränkt -- dies höchst geläufig. Henri traut seinen Augen nicht, besonders da die ihren ihm sagen, was es bedeutet, falls er es nicht wüßte. Zum Überfluß hebt sie einen Zipfel ihrer Decke. Er folgt der Einladung und kriecht hinein, verschwindet darin ganz, bekommt auch ein Kissen auf die Brust gedrückt.

Was weiter vorging, erriet er mehr oder weniger, in Person war er nicht dabei. Wahrscheinlich verließ die Milchschwester ihr Versteck, suchte den König, und damit sie im Bett nicht nachsähe, stützte die Königin den Arm auf ihren Gemahl, den schon das Kissen beengte, aber von dem Druck der Dame vermeinte er zu ersticken.

Die Milchschwester stieß Reden aus, die Worte verschlangen eines das andere vor Bissigkeit, zu verstehn war keines. Aber was konnte der Schwall bedeuten, wenn nicht Ärger über Marie. Du hast deine Rolle als kalte Frau erbärmlich schlecht gespielt, wird sie gesagt haben. Der Dauphin, was geht mich dein Dauphin an. Solange du keinen hast, gehorcht der König uns. Sie wird gesagt haben: uns, und gemeint haben: mir. Sehr möglich, daß die Königin die Hand ihrer Milchschwester im Gesicht empfing; etwas von dem Geräusch des Schlages gelangte bis unter die Decken und Kissen. Dagegen brachte Marie drei Worte deutlich hervor, es waren: Fieber, Durst, Limonade, und wurden gesteigert von der eindringlichen Stimmlosigkeit bis zum Aufschrei der Not. Hierbei wühlte Marie mehrere ihrer leiblichen Formen in das Kissen, worauf schon manches lastete. Ihr Mann sollte Nachricht erhalten: sie beseitigte Leonora, sie schickte die Ungelegene nach Limonade.

Die edle Galigai verweigerte es, allein durch das dunkle Haus zu irren. Ihr neuer Schwall von Vorwürfen konnte am ehesten bedeuten, daß Marie selbst die Schuld habe, wenn sie einsam und verlassen lag. Warum hatte sie erlaubt, daß ihre Gesellschaft auseinandergejagt wurde. Opfern, die edle Galigai sich opfern für das dumme Stück Fleisch, das den Ketzern und Barbaren dieses Landes die Königin abgibt? Kein Gedanke an eine Limonade, sie wäre mit unbekannten Gefahren verbunden. Deinen Willen bekommst du nicht, Marie, stell es an wie du magst.

Das tat Marie. Ein schwerer Seufzer, und auf den König fiel nunmehr ihr volles Gewicht: nichts ließ sie davon nach, blieb liegen, lag wieder einmal für tot. Die Milchschwester begrüßte dieses Kunststück mit einer gellen Lache. Ihr Atem nahm schlechterdings kein Ende; wenigstens befürchtete man dergleichen, wenn man selbst durch die Umstände um alle Luft gebracht war. Zuletzt hörte Henri das Gelächter dennoch schwächer, wahrhaftig, es entfernte sich. Die Last, die er trug, gab ihn frei. Marie öffnete ihm die Decke, sie erklärte ihm in aller Kürze den Verlauf. Mit der Kante ihrer rechten Hand schlug sie auf ihren linken Arm, das heißt: jemand ist ausgerissen.

Henri sah selbst, daß die andere in ihrer blinden Wut das Feld geräumt hatte. Er stürzte nach der Tür, verschloß sie doppelt, schob den festen Riegel davor und blickte um. Marie lag bereit, wie sie geschaffen war. Sie empfing ihn mit den Worten:

»Nach dem Gebot der Väter, zufolge meinen Pflichten gegen die Religion und weil mein Onkel, der Großherzog, es befiehlt, will ich von Ihnen den Dauphin haben.«

Erst nachträglich wird er bedenken, was sie da gesprochen haben mag, und wird kaum erbaut sein, sofern er es versteht. Hier und jetzt beschäftigten ihn weniger ihre Reden. Er hatte es mit einem umfänglichen Körper zu tun -- würde die ausschweifende Fülle gewiß nicht beanstandet haben, solange er ohne Unterschied begierig auf alles Neue gewesen war. Das war er bei weitem nicht mehr, wie ihm angesichts der Fremden und ihrer dargebotenen Schönheiten bewußt wurde. Er hätte verzichten können; aber das erstemal, daß es vorkam, geschah ihm dies gerade bei der Frau, die seinen Dauphin gebären wollte.

Vor ihm, zwischen den dunklen Vorhängen des Bettes, lag eine Frau, der zu ihrer Erfahrenheit nichts übrigblieb. Die Ohnmächten des furchtsamen Jungfräuleins waren eine Sache gewesen -- gut, es ist notwendig, sie vorzuführen. Eine andere Sache, ohne Umschweife den Mann zu nehmen, damit er seinen Dienst verrichtet. Ihre linke Hand umspannte die eine der gewichtigen Brüste, eine mächtige Welle Fleisches schlug über die Hand. Die andere hing geöffnet herab von einem überaus breiten, merkwürdig flachen Schenkel: eine Neuheit für den Betrachter. Die Töchter der fremden Länder, man wird sie in vieler Hinsicht kennenlernen; sie überraschen vorerst durch die Eigenheit ihrer Glieder. Keine Linie des Körpers, die nicht gefaltet und geschwellt wäre. Die geöffnete Hand drückt Verlangen aus, schwerfälliges, nacktes Verlangen. Der Bauch bebt, seine Masse lädt seitwärts aus, da er liegt. Die gewölbten Hüften beben. Anschaulich über alles ist die geöffnete Hand.

Da das Verlangen schön macht, werden hier Schönheiten angeboten, man muß sie nur verstehen. Der Kopf ist nach hinten über das Polster geschoben, was erstens das Opfer der Hingabe vortäuschte: eine keusche Dame will lieber nicht wissen, wie es weiterhin zugeht. Außerdem erlaubte die Haltung, das Gesicht verkürzt zu sehen, das kam zustatten. Es wurde schmaler; die Wangen, die sonst niederhingen, wurden gehoben, ein Einschnitt lief an ihnen hinauf. Der kann vom Elend des Leibes und Lebens die müde Spur sein, man muß sie nur verstehen. Schatten deckte die Haare, sie hätten leider ein fahles Blond gehabt, und verschloß die Augen, wozu ihr einfältiges Geschau in den hohen Vorgang mischen. Die scharfe Grenze der Beschattung verlieh dem übrigen Gesicht ein zartes Weiß, sonst seine Art nicht. Die Lippen gingen auf, man hätte geglaubt: unwillkürlich. Sie atmeten kaum, aber ihre Sprache, wenn sie eine gehabt hätten, man verstand sie.

›Hier lieg ich, eine Fremde, und bin zu Ihnen, der mir fremd ist, weither gereist. Wir haben zusammen ein Geschäft, die Liebe ist es nicht. Sie haben andere geliebt, wundern Sie sich, daß ich andere liebe? Bin darum nicht glücklicher als Sie. Wollten Sie mich von meinem ganzen Anhang mit einem Schlag befreien, ich würde niemand mehr fürchten müssen, nur Sie allein. Sie wären mir über die Maßen verhaßt -- sind es aber schon jetzt genug, denn ich und mein Sohn sollen Sie beerben. Um so heftiger verlang ich nach Ihnen, daß Sie an mir Ihren Dienst verrichten. Mein Busen, Bauch und Hände lügen nicht. Nehmen Sie zwischen den dunklen Vorhängen, nehmen Sie die viele weiße Leiblichkeit. Es ist die neue Mode des Jahrhunderts, sehr leiblich zu sein. Komm!‹

Er ließ nicht warten. Seinen Eindruck hatte er dahin, und war noch nicht die halbe Minute vergangen -- soviel benötigten andere, hinter der Tür, für ihr Geschäft. Gerade als das königliche Paar in seinen eigenen Angelegenheiten begriffen war, geschahen draußen ein Aufschrei, Sturz, Geräusche des Kampfes, der Flucht, allerlei Unvorhergesehenes, gesetzt, man wäre sonst eingeweiht. Es scheint geboten, nachzusehen. Die fleischliche Gattin hielt aber den Mann, nach vollbrachter Verrichtung, um so enger umschlungen. Sie redete oder lallte, die Augen noch geschlossen -- das meiste blieb bewegte Luft ohne Sinn. Leonora, lallte das Stimmchen eines Kindes. Leonora, die Milchschwester, sollte zur Hölle fahren oder war schon unterwegs dorthin, kein großer Unterschied für die Gesinnung Maries. Ihn wollte sie behalten, er durfte die Gefahren hinter der Tür nicht aufsuchen, bis sie vollends versichert wäre, den Dauphin von ihm empfangen zu haben.

Sie hat ihn empfangen, sie weiß es, der Himmel hat ihnen beiden geholfen. Dauphin und Himmel, die zwei Worte verrieten ihm den Rest. Zum Unglück blieb es bei der geteilten Sorge nicht, obwohl schon diese in Wirklichkeit keine gemeinsame war, sondern die Fremde erwartete den Dauphin vom König und dennoch gegen ihn. In ihren Armen hätte er es erfahren, war er nicht im voraus darüber belehrt. Jetzt stützte sie sich auf und begann ohne weiteres von den Vätern in Avignon: er sollte sie zurückrufen. Ihr schuldete er es für ihre Hingabe; außerdem war es das Gebot der neuen Zeit sowie der seelischen Lage Europas, beiden entsprach allein die Gesellschaft Jesu.

Sie verstärkte die Stimme, weil sie glaubte: wer laut spricht, wird verstanden und dringt durch. Wirklich erfaßte er die Unbeirrbarkeit, mit der eine fremde Macht ihn anredete, forderte und sich zu seinem Gläubiger auf warf -- alles im ehelichen Bett. Sobald er seinen Dienst erfüllt hat an dem Körper der Frau, verwandelt dieser sich in einen feindlichen Agenten. Aus das Lallen, Locken. Abgestellt die Keuschheit mitsamt dem Verlangen. Man ist eindeutig, kehrt offene Herrschsucht hervor und geht an die Dinge, die man weder begreift noch ermißt, mit der überlegenen Einfalt der Fremden.

Nun trägt auf Erden die Dummheit in sich den Sieg, Henri verkennt es nicht. Er selbst, wenn er siegte, hat von Fall zu Fall nur Zeit gewonnen gegen die Dummheit. Hat er jemals geglaubt, es wäre für immer? Für sehr lange? Heute hofft er wenigstens noch: für seine Lebenszeit. Die Jesuiten werden wohl einst zurückkehren in das Königreich; er gibt bisher nicht zu, daß er selbst sie rufen könnte. Sein Volk soll weder vor ihren überladenen Triumphbögen knien noch von ihren blütenreichen Reden betäubt werden. Es soll von ihrem mystischen Theater das angenehme Grausen nicht spüren und sein bißchen Verstand nicht verlieren an die Geheimnisse der Zahl sieben. Verfallen soll es weder den albernen Mißbräuchen des Geistes noch der Liebe zum Tod, die gegen die Natur ist. Wir sind da. Wir wachen. Es wäre noch schöner, ihre zahlreichen Schriften zur Rechtfertigung des Tyrannenmordes in das Land zu lassen. Hier, der König.

Das erkannte Marie von Medici, war darauf nicht gefaßt und erschrak überaus. Auf einmal sah sie den König im umgeworfenen Rock bei ihrem Lager stehen: sein Gesicht versprach das Schlimmste. Daß sie mit der Verbannung in ein Kloster davonkäme! Vor Angst schwankte sie zwischen zwei Ausflüchten. Die eine war, nochmals für tot zu liegen, diesmal so kalt wie Eis. Sie wählte die andere, sie begann französisch zu sprechen. Nun konnte sie es wirklich nicht; aber auf dem Schiff hierher hatte man ihr einen Liebesroman gegeben, damit sie die passenden Wendungen daraus entlieh. Wieder benutzte sie das schwache Stimmchen, das ihrer Leiblichkeit übel anstand. Sie sagte her:

»O schöner Jüngling! Unter deinen Schritten wachsen Rosen. Sogar der harte Fels erinnert sich, daß er ein Herz hat, da du ihm nahest mit diesem edlen Anstand, einer Reinheit, der die ganze Natur erliegt. Der Felsen, eine verzauberte Jungfrau, wie wir wissen, vergießt lautere Tränen. Um deinetwillen rinnt fortan ein Quell, den vorher kein Schäfer erblickte.«

Was kann man dabei tun. Der Schäfer sieht seine Tränke nicht, die Königin nicht ihre Lächerlichkeit. »Madame«, bemerkte Henri, »ich empfehle Ihnen vor allem, Ihre Aussprache zu verbessern. Damit vergeht die Zeit, inzwischen schweigen Sie von einigem, das nicht die verzauberten Jungfrauen angeht.«

Er war bei der Tür, er schob den Riegel fort. »Erlauben Sie mir, endlich nachzusehen, was draußen sich zugetragen hat.«

Draußen war es stockdunkel, Henri tastete durch den kurzen Gang nach dem Saal, wo die Königin ihn zuerst empfangen hatte. Hier regte sich etwas, man schien zu röcheln. »Wer da?« Keine Antwort, oder nur ein tieferes Stöhnen. Henri folgte ihm, endlich unterschied er bei dem letzten Fenster in einem Lehnstuhl die Gestalt, die kauerte und das Gesicht versteckte.

»Bassompierre! So verbringen Sie die Nacht? Warum melden Sie nicht Ihre Gegenwart?«

»Sire! Aus Scham. Ich habe einen Dolchstoß. Ein Mann wie ich von einer Zwergin.«

»Sie ist die Milchschwester«, erinnerte Henri.

Herr de Bassompierre gab zu, daß sein Abenteuer daher ehrenvoll bleibe. Dennoch war es zu einem Nachteil verlaufen. Wie das geschehen konnte? Schwer zu begreifen, ein übereilter Vorgang, wild, ungeordnet, jedem vernünftigen Plan entgegen. Die Absicht war gewesen, daß der Ehrgeizige aus seinem Vorhang den Fuß streckte und brächte die kleine Person zu Fall. Statt dessen sie ihn. Hat sie gewußt, daß in die Falten jemand eingewickelt ist? Sie reißt sie auseinander, er verliert das Gleichgewicht. Gerade, daß er vom Boden her noch ihre Fersen erfaßt, als sie über ihn fortsetzt.

»Wenigstens haben Sie die Milchschwester zu Fall gebracht.«

»Nicht, wie ich es mir dachte. Am Fußboden begann ich ihr meine Liebe zu beteuern, tatsächlich war ich gefaßt auf jedes Opfer. Indessen kämpfte sie mit den Krallen und Zähnen um ihre Ehre.«

»Tapfere Zwergin!« bemerkte Henri, und für sich selbst bedauerte er, daß die andere Milchschwester um so weniger ihre Keuschheit verteidigt hatte, weshalb sie nunmehr im Besitz des Dauphins war.

»Wie ging es weiter? Ist Ihre Verwundung schwer?« fragte er seinen ungleichen Gefährten dieser Nacht. Der Gefährte seufzte.

Er erklärte, wie er seinen kleinen Liebling auf den Arm genommen hatte, um ihn trotz aller Gegenwehr zu einem Lager der Lust zu tragen. Da er das Gebiß der Dame von seiner Nase fern halten mußte, bekam sie die Hand frei, um ein spitzes Ding zu schwingen, und zwar ohne weiteres gegen sein Herz. Ein Glücksfall, daß er die Waffe abfing, sie streifte nur seine Schulter, ohne tief einzudringen. Hierauf hatte er allerdings die edle Dame weit von sich geschleudert. Es tat ihm leid, es war kein zarter Verkehr. Noch hörte er ihr Gewimmer, wie sie nach dem harten Sturz auf allen vieren von dannen jagte und wurde nicht mehr gesehen.

›Ist sie nicht hier im Saal versteckt und hört uns reden?‹ vermutete Henri. Was er für sich behielt: in dem dunklen Gang konnte Marie von Medici stehen und horchen.

»Schmerzt Ihre Wunde?« fragte er. »Wir sollten nach dem Wundarzt rufen.«

»Sire! Ersparen Sie mir die Schande«, bat Bassompierre. »Die Leute würden zusammenlaufen. Gewisse Niederlagen verschweigt man.«

»Man verschweigt sie«, wiederholte Henri. »Bald graut der Morgen, dann geht man seiner Wege.«

Dies gesagt, nahm auch er einen Lehnstuhl, beide erwarteten das Ende der Nacht.

 

Von dem Verrat

Dann folgten Festlichkeiten. Auch folgte ein neuer Anschlag auf das Leben des Königs, wurde aber geheimgehalten. Eines Tages gab der Legat den Neuvermählten seinen feierlichen Segen. Worauf Henri unverzüglich abgereist wäre, die Nächte mit der Fremden bedrückten ihn über Gebühr. Blieb indessen übrig der Friede mit Savoyen, ein schwieriger Abschluß, obwohl der Herzog verloren hatte. Er war bereit, den strittigen Teil seines Stammlandes abzutreten, nur gerade die französische Provinz Bresse hätte er behalten. Darin erkannten Henri und sein Großmeister eine niederträchtige Falle.

In Savoyen waren die Ketzer zahlreich und wurden verfolgt. Setzte der König von Frankreich einen protestantischen Gouverneur ein, bekam er es alsbald mit dem Papst zu tun, sonst aber mit denen von der Religion. Sein Großmeister versicherte ihm schon damals in Lyon: alles wäre abgekartet zwischen Savoyen und Biron.

»Sire! Sie werden sehen, daß Biron unbelehrbar und nicht zu retten ist. Sie machten ihn zum Admiral, Marschall, Herzog, Pair. Sie vertrauten ihm die Regierung von Burgund, dort war der Gouverneur noch jedesmal ein Prinz vom Geblüt. Er hielt in seiner Hand eine Grenze des Königreiches und sollte es schützen. Sie wissen, was er statt dessen getan hat.«

»Ich weiß es nicht, da ich es nicht glauben kann«, erwiderte Henri. »Der Verrat ist gegen die Natur.«

Sully: »Das ist nicht Ihre wahre Meinung. Sie kennen unsere menschliche Verfassung, die des Verrates bedarf, und war er ganz, unnütz, ein bloßer Übermut und Verlockung in das eigene Verderben.«

Henri: »Wie klug, Großmeister. Dennoch denk ich an einen, der niemals --«

Er schloß den Mund. Auch der beste Diener, er hat Gabriele d'Estrées verraten -- wird ewig unbegreiflich sein, warum.

Sully, nach einigem Schweigen, sehr gedämpft: »Gesetzt, es gäbe einen, so sind es keine zwei.«

Dies mit einem Blick aus blauem Emaille, der dem König sagte: Sie selbst haben Ihren Glauben verraten, was genug wäre, und wie viele Menschen, wie oft Ihr Wort! Ob es sein mußte?

Henri fragte in seinem Herzen selbst, ob es hätte sein müssen, fand aber die Antwort nicht-Wenigstens erreichte er bei dem Großmeister, daß sie abwarten und Marschall Biron prüfen wollten. Sully hinterließ dem König eine namentliche Warnung.

»Er wird von Ihnen die Stadt Bourg-en-Bresse verlangen; dann haben Sie den Beweis, daß er verschworen ist, Ihren Feinden das Königreich zu öffnen.«

Als Biron wirklich eintraf, begleitete den Reiter viel Volk. Die ganze Stadt wollte den berühmten Kriegsmann sehen; auch war er durchaus sehenswert, das hochgefärbte Gesicht, die furchtbar starken Schultern und Arme, kein Lastträger hätte mit ihm gerungen, er zerdrückte jeden. Er bekam gern blutige Augen wie ein Stier, am Leibe trug er dreißig Narben, er hatte immer und unfehlbar gesiegt, die Eroberung Savoyens war nur sein Werk. Dies die Meinung der Leute, die ihn meistens mit seinem Vater zusammenwarfen und hielten beide für dieselbe Person. Genug, daß Marschall Biron der volkstümliche Kapitän war, und nicht der König war es.

Der Jubel der Straße trug den Verräter über beides hinweg: Bedenken, falls er sie gehabt hätte, und Befürchtungen -- die hatte er. Der König war dem Hinterhalt ausgewichen, er nahm keinen Fußbreit von Savoyen, er behielt die Bresse, eine französische Provinz. Wieviel wußte er von dem Verrat? Nichts, glaubte Biron nach seinem Empfang beim Volk. Weiter glaubte er, daß einen Volkshelden niemand anrührt.

Mit finsterer Miene trat er vor den König, der heiter und freundlich schien. »Das war eine schöne Belohnung Ihrer treuen Dienste«, sagte Henri und wies aus dem Fenster. Biron streckte prahlerisch seinen breiten Bauch vor. Er entgegnete:

»Das Volk kennt mich. Ich wäre ein Roland, wenn Sie ein Karl der Große wären. Aber mit Ihrem Friedensvertrag, den die Furcht diktiert hat, vertun Sie, was meine Tapferkeit gewonnen hatte. Ich bedaure Sie, Sire« -- stieß Biron wütend aus, weil er vorher Angst gehabt hatte.

Henri ging auf die Anmaßungen nicht ein. Er zeigte dem Marschall eine kleine Statue des Gottes Mars, sie trug die Züge des Königs, die Stirn mit Lorbeer bekränzt. »Vetter, was denken Sie, daß mein Bruder von Spanien hierzu sagen würde?«

Anspielung und Warnung, Biron überhörte beide. »Der!« murrte er. »Sie fürchtet er wohl nicht.«

Henri schlug ihn auf den Bauch und lachte.

»Ein drolliger Junge, wird aber fett. Kurz, ich mag ihn leiden.«

Infolgedessen bekam das Gesicht des Dummkopfes ein noch dunkleres Rot. Sein Blick, bisher stumpf, begann zu irren und zu flackern. ›Ist es möglich?‹ dachte Henri. ›Der Wahnsinn, immer er. Wenn mein Großmeister wüßte, wie bald ein schwacher Geist ausschweift, er würde den Verrat als eine Krankheit behandeln. Im vorgeschrittenen Zustand widersteht sie allerdings der Kunst.‹

»Vetter«, sagte er, »wieviel Geld ist nötig, um Ihre Schulden zu tilgen?«

Biron: »Meine Gläubiger -- ich müßte mächtiger werden als Eure Majestät, damit ich meine Gläubiger befriedigen kann.«

Henri: »Ein gefährlicher Scherz, aber er ist gut. Man mache etwas aus sich, was wäre man sonst.«

Biron: »Geben Sie mir Bourg-en-Bresse!«

Da ist es heraus. Der Verräter hat die Prüfung abgelegt. Henri betrachtete ihn traurigen Gemütes.

Henri: »Wozu benötigen Sie die Stadt?«

Biron: »Ich habe sie erobert.«

Henri -- traurig, obwohl schärfer: »Sie hatten auf Ihren Fersen die Leute des Großmeisters, daher gingen Sie den geraden Weg.«

Biron: »Die Spione Ihres Großmeisters. Ein König, und traut seinem Marschall nicht.«

Verbissene Wut, der Mann wird nichts ablassen, nichts eingestehen. Henri griff zu der Sprache der Majestät. Nahm Abstand von dem Mann und versicherte ihn kalt seines Vertrauens. Das war der rechte Ton, den Besessenen kurz zur Besinnung zu bringen. Er machte seine Stimme frei, blieb aber heiser, stammelte und murrte:

»Sire! Die Versuchung lag nahe. Jeder Große Ihres Königreiches bekommt Gelegenheit, auf Ihre Kosten größer zu werden. Man fürchtet Sie nicht.«

»Bis es zu spät ist«, sagte Henri, nicht laut genug, um verstanden zu werden. Der Verräter betrachtete ihn mißtrauisch: was das heißen will, wieviel er eingestehen muß. Endlich maulte er etwas vor sich hin, von dem Geld, das Spanien ihm allerdings habe zukommen lassen, was verschlägt es für seine durchlöcherten Taschen. Ihn macht niemand reich. »Wenn ich nicht auf dem Schafott sterbe, dann im Hospital.« Hiermit beschloß er sein Geständnis; fügte aber ohne Aufenthalt hinzu, daß der König ihm verzeihen solle, er habe nur verhandelt, nichts wirklich getan, und danach einen Punkt hinzusetzen, wäre besser für sie beide.

Henri, plötzlich stark: »Womit drohen Sie mir?«

Biron, geduckt: »Ich bitte im Gegenteil die Majestät um ihre gnädige Verzeihung.«

Henri: »Was ich bis jetzt weiß, ist Ihnen verziehen.«

Biron: »Alles, ob ich. es beging oder nicht?«

Henri: »Was ich weiß -- und mehr werden Sie nicht begehen.«

Schnell war er bei dem Freund, er umfaßte seine Schulter. »Wir beide«, sagte er ihm in das Ohr.

Henri: »Wir beide -- einander verraten? Um welchen Preis -- da Geld Ihnen nicht helfen kann, und nach meinem Verschwinden wären Sie kein berühmter Marschall Biron mehr; dasselbe Volk, das Ihr Pferd am Zügel geführt hat, es würde Ihnen ausweichen. Sie müßten durch fremde Länder flüchten. Ihr Herr wäre mein armer Bruder von Spanien, der nicht der alte Weltbeherrscher ist.«

Biron -- in Verwirrung, in sichtbarer Not: »Hüten Sie sich, Sire! Philipp der Dritte mag schwach sein, Mörder kann auch er Ihnen schicken!« Kaum war das Wort gefallen, sah er den König erschrecken.

Die Stelle, wo Henri schwach war, der Verräter hatte sie berührt -- nicht in der Absicht, den König einzuschüchtern, er selbst war unsicher genug. Da er den König erschrecken sah, fand er sogleich den Mut zu seiner Sache wieder. Der König fürchtet weder die Feldschlacht noch die Belagerung, an seinem Körper sind Narben, obwohl keine dreißig, aber die hat auch Biron nicht. Er wäre vor dem Feind schon oft gefallen, das letztemal wollte sein eigener Marschall ihn aus der Festung erschießen lassen. Hat Henri es vergessen? Den gewaltsamen Tod kennt man unter mehreren Gesichtern: nur das eine macht ihn schaudern.

Biron, mit der düsteren Stumpfheit vom Anfang des Gespräches, seine Augen sind ohne Anteil: »Bezeugen Sie mir, daß ich Sie gewarnt habe. In Wahrheit ist das der ganze Zweck, weshalb ich mit gewissen Verschwörern halbwegs zum Pakt kam. Ich bin und bleibe Ihr kerniger Marschall.«

Henri: »Mein Wunsch ist, Ihnen zu glauben.«

Biron: »Und mir zu danken. Geben Sie mir Bourg-en-Bresse.«

Henri: »Nein.«

Biron, im Abgehen: »Sire! Bedenken Sie sich gut. Ich bin Ihr kerniger Marschall.«

Nach der geschlossenen Tür sprach Henri: »Wird wirklich einiges Grübeln vonnöten sein, damit ich dich, mein Freund, vor dem Richtblock bewahre.«

Er reiste unverzüglich nach Paris. Sein Vorwand war die geliebte Marquise, er wollte nach allen den amtlichen Nächten mit der fremden Königin seine Französin endlich wiederhaben. Indessen schickte er der Königin, wie es ihr zukam, Briefe mit der Anrede »Teures Herz«. Henriette erhielt immer nur den Titel »Mein Herz« und empfand den Unterschied. Sie machte ihm die bekannten Auftritte, die ihn zerstreuten, ohne daß sie ihm lange den Atem versetzten. Sie war alles, was er für französisch ansah: das hatte sehr an Wert gewonnen seit seiner Heirat. Überdies erwartete sie von ihm ein Kind, wie bald erwiesen war, und Henri freute sich darauf, sein Dauphin selbst konnte ihn nicht lebhafter bewegen.

Beide Frauen betrogen ihn um die Wette von vornherein und ohne Aufschub. Die Untreue der Königin war ihm lästig, aber lästig war sie selbst ihm ohnedies. Er empfing sie nicht einmal bei ihrer Ankunft im Louvre. Es war am Abend, das Königsschloß ganz ohne Licht, ihr Personal verspätete sich, die Fremde mußte allein durch das dunkle Gebäude tasten, die Treppe hinauf, über öde Säle. Was von der Einrichtung hervortrat, war abgenutztes Zeug, der Aufenthalt ärmlich und unwürdig ihres Ranges. Sie hätte die Nacht in Tränen Verbracht, wenn eine so große Prinzessin weinen dürfte. Nach ihrer Natur vergaß sie nie, ihr ganzes Leben nicht, daß sie damals geglaubt hatte, sie wäre gar nicht im Louvre und werde verhöhnt. Ein Anlaß mehr, sich zu rächen, und kam zum übrigen.

Die Rachsucht seiner Marquise hat Henri besser unterhalten, sie ist voll Abwechslung und reich an Stürmen. Henriette wird seinerzeit versuchen, ihren Sohn nach Spanien zu entführen; der Streit um die Nachfolge des Königs soll entbrennen, der alte spanische Feind dem Aufruhr zu Hilfe kommen wie je. Sie steht im Bund mit allen Verschwörern: dies schon hier, als er seinem Marschall Biron auf der Spur ist und bemüht sich dringend, ihn vor dem Henker zu retten.

Nun hat sie einen tollen Kopf; redet, was zu verschweigen wäre, läßt Briefe umherliegen -- alles, damit ihr bejahrter Liebhaber sie ernst nehmen soll. Endlich bekommt sie ihren Willen, er fordert Rechenschaft, anstatt daß er sie tanzen, mimen und billige Scherze verüben läßt. Er droht mit Bestrafung, sie lacht ihn aus. Sie schreit ihm nah am Mund mit ihrer gebrochenen Stimme, in die er nun einmal vernarrt ist: »Verbannen Sie mich doch in ein Kloster, damit ich Ruh vor Ihnen habe. Sind Sie so schön? Riechen Sie vielleicht gut?« Auch das gab sie von sich, keineswegs nur unter vier Augen. Die Folge war, daß Henri mehr Wohlgerüche anwendete, seine böse Marquise aber spielte Szenen nach ihrem Sinn.

Als er von der umfänglichen Verschwörung das meiste durch sie herausgebracht hatte, wünschte er allein noch, ihre Geschwätzigkeit aufzuhalten. »Madame, Ihre gefährlichen« Geheimnisse dürfen nicht an die Öffentlichkeit. Solange nur ich selbst sie kenne, will ich alles tun, damit Sie verschont bleiben. Hüten Sie sich! Auch Graf Essex glaubte an sein Glück, weil eine Königin ihn liebte, und betrieb den Verrat als sein gutes Recht. Zuletzt mußte meine Schwester von England ihm den Kopf abschlagen lassen -- ihr eigener Nacken schmerzt sie seitdem.«

Die verrückte Person reckte sich, so lang sie konnte. Höhnisch rief sie:

»Ja. Aber die ist ein Mann.«

Der König lachte diesmal nicht.

Er bereiste denselben Sommer die Provinzen, wo die Häupter der Verschwörung saßen; kannte nunmehr alle, und soviel hätte sein Großmeister ihnen nicht beweisen können. Epernon in Metz, Bouillon in Sedan, sogar der Gouverneur von Languedoc, sein Connétable Montmorency dabei, alle behaupteten standhaft, daß sie treu wären. Der König hatte Soldaten mitgebracht; sie sahen sich durchschaut, um so standhafter ihre Versicherungen. Indessen war er nicht gekommen, um sie lügen zu hören. Er hatte es durchaus nötig, sie unsicher zu machen, was auch eintraf. Er war überdies begierig nach dem Anblick von Verrätern, eine Übung seiner alten Erfahrungen mit Menschen. Besonders sein Gevatter, der Connétable, vermehrte seine Erkenntnis, wenn nicht sein Herzeleid.

Aber die Spanier belagerten zu der gleichen Zeit das flämische Ostende: daher mußte Henri seine Verschwörer unsicher machen. Seine Freundin von England bot ihm damals dringend an, daß sie den Niederlanden helfen sollten: ein Bündnis zum Angriff, Elisabeth ist damit nicht freigebig. Indessen darf er gerade jetzt sein Königreich nicht verlassen. Wollte er den Rücken wenden, sie würden hinter ihm ihren unsinnigen Aufruhr betreiben, kein feindlicher Einbruch schreckte sie ab. Der König allein reist bis an die Küste. Allein besteigt er die Mauer in Calais, er horcht auf die Kanonen von Ostende; er verzehrt sich, seine Ohnmacht schmeckt ihm sehr bitter.

Wenn er nun in langer Müh und Arbeit dies Land und Volk sowohl besser als glücklicher gemacht hat: sie dulden einander mitsamt ihren Glaubensbekenntnissen, was viel ist, und haben wirklich des Sonntags ihr Huhn im Topf, oder doch mehrere von ihnen als vor diesem König -- stände es für diesmal erträglich, dann keine Zeit verloren, dann wirft sich zwischen ihn und sein Gelingen der Verrat, ein geiferndes Tier von kaltem Blut, man möcht es nicht anfassen. In Calais auf der Mauer, gegen den Sturm hält Henri sich an eisernen Ringen fest; er leidet von Grund auf, weil nichts feststeht, nichts ihn schützt vor dem Abstieg und Verfall. Das Wissen hat niemals ausgereicht, was weiß ich. Aber unsicher wie das Wissen ist die Tat. Bleibt nur sein Mut und Festigkeit, und müssen ihm weiterhelfen von Stunde zu Stunde.

Drüben in Dover war diesen gleichen Tag die Königin, seine Verbündete, eingetroffen und wartete auf ein Wort, das er nicht sprechen durfte. Ihre Schiffe wären abgefahren, hätte er seine Truppen marschieren lassen. Nein, er bedurfte derselben Truppen gegen den Verrat. Elisabeth schickte ihm Botschaft, er sollte alle Verräter fangen und hinrichten, zuerst seinen Marschall Biron. Er sagte: »Sie ist gelehrt, ein Doktor in Verschwörungen, und kuriert den Verrat nach Art des Chirurgen mit dem Beil. Ich bin gegen sie im Nachteil, da ich oft erfahren habe, daß Gewalt nicht entscheidet. Sondern nur die Liebe entscheidet.«

Er sagte für sich: ›Meine beiden Frauen, ich liebe keine von ihnen, und daher ihr Betrug. Ich habe sie gekauft, die Königin wie die Marquise. Wenn sie mich betrügen, wollen sie ihre Erniedrigung vergessen. Die Frauen, die uns Hörner aufsetzen, verteidigen ihre Persönlichkeit. Das ist viel oder wenig; wer sie nicht liebt, mag sich abkehren. Aber Biron? Ihn hab ich geliebt, und retten will ich ihn noch jetzt. Es wird ein schweres Stück sein gegen meine Freundin von England, gegen meinen Großmeister.‹

Von seinen Reisen zurück, ging er in das Arsenal -- nicht mit Freuden; was er zu enthüllen dachte, war nicht ehrenvoll, weder für seine Herrschaft noch für seinen Namen.

Rosny teilte keineswegs das Erstaunen seines Herrn über all den Verrat, einen unsinnigen Verrat, der niemals den Verrätern nützen könnte, sondern war ein Angriff auf den allgemeinen Besitz und Boden. Nicht die Herrschaft eines Königs soll stürzen, das Land, die Nation wären verloren! Widerstreitet es nicht der gesunden Vernunft? Zu schweigen von dem geschuldeten Gefühl.

Der gute Diener dachte sich das Seine. Wer in der Macht ist, begreift wohl nie, warum er bedroht wird. So einfache Erklärungen hatte Rosny. Ihn verwunderte nur, wie viele Einzelheiten der König kannte. Er legte aber den Finger auf die schmerzhafte Stelle, er erwähnte Herrn d'Etrangues, Vater der Marquise. Henri unterbrach ihn sogleich. »Gegen ihn haben Sie keinen Beweis. Im Gegenteil hat die Marquise das meiste getan, um mich aufzuklären.«

Das hatte der Minister hören wollen, er beschloß Haussuchungen bei der Tochter wie bei dem Vater. Henri glaubte seine Marquise geschützt zu haben, jetzt verlangte er Aufschub für seinen Biron. »Erstens haben wir ihn nicht, vielmehr besitzt er ein Heer und Kanonen.«

»Wir werden ihm denn die Kanonen wegnehmen«, versprach der Unbestechliche.

»Viel Glück«, sagte Henri. »Leichter wäre es, zuerst die anderen zu verhaften.«

Der Unbestechliche verlangte dennoch den Kopf des Marschalls Biron. Zuletzt hatte Henri den kalten Schweiß auf der Stirn, so angstvoll kämpfte er um seinen verirrten Freund.

Der Unbestechliche, ruhig und klar wie je: »Sie wissen, Sire, daß Sie nach Flandern mit Ihrer Armee nicht abgehen dürfen. Hinter Ihnen bräche ein bewaffneter Aufstand aus.«

»Sie sprechen die Wahrheit.« Henri war auf einmal nüchtern wie sein guter Diener.

»Meine Freundin von England rät mir, jeden meiner Verschwörer einen Kopf kürzer zu machen: so geschehen mit ihrem eigenen Liebling Essex.«

»Dies und sonst nichts ist die Wahrheit«, wiederholte der Großmeister. »Der erste, den Sie kürzen müssen, ist Biron.«

»Über ihn ist entschieden«, schloß Henri. »Er geht als Gesandter nach London, er meldet meiner Freundin von England, daß ich mich verheiratet habe. Er wird als ein anderer zurückkehren.«

Dies bezweifelte Rosny; er bemerkte indessen, daß der König sein letztes Wort gesprochen hatte.

Biron fuhr wirklich nach England. Die alte Königin rühmte ihm seinen Herrn. Nur einen Fehler habe König Henri, seine Milde. »Sagen Sie ihm, wie man mit Verrätern umgeht.« Sie zeigte dem Gesandten aus ihrem Fenster einen Gegenstand; hat ihn immer vor Augen und kann ihn betrachten: der Kopf des jungen Essex, den sie geliebt hatte. Nur noch der Knochen übrig, aber Biron ist an Totenschädel gewöhnt, er fürchtete sie nicht mehr als Elisabeth selbst. Der Anblick und ihre Erklärungen, sie sah wohl: Biron ließ sich durch gar nichts warnen. Das schrieb sie dem König von Frankreich, bevor Biron noch zurück war.

Während seiner Abwesenheit hatte einer seiner Agenten geredet, und der Verräter war selbst verraten. Seine Mitverschworenen trauten ihm nicht mehr, da er als Gesandter des Königs auftrat. Sie sahen: der König weiß alles, und er trifft sie mit Gegenschlägen: auf einmal entzieht er ihnen den Stadtzoll. Aber wovon wird ein Herr reich genug, um Krieg sogar gegen den König zu führen, wenn das Volk ihm nicht mehr die Zölle zahlt? Der Schrecken fuhr ihnen in die Glieder, sie reisten an das königliche Hoflager, anstatt daß Henri sie heimsuchen mußte. Der mächtige Herzog von Epernon beteuerte Herrn de Rosny, schließlich nur ein Minister, daß der König keinen Grund habe, geheime Beratungen abzuhalten, niemand denke an Auflehnung. Der Großmeister bat ihn, es dem König selbst zu sagen; gerade dies wagte man nicht mehr.

Man hatte den Haß gegen den König besonders bei dem protestantischen Volk genährt: als wäre die Absicht des Königs, die festen Plätze der Hugenotten nicht länger mit seinem Geld zu unterhalten. Wohingegen er in seinem Arsenal die Geschütze ansammelte, um alle Freiheiten der einen und der anderen Religion zu brechen. Der bedeutendste Verschworene war selbst Protestant, Turenne, jetzt Herzog von Bouillon, ein reicher Fürst, und wird seinen Hochmut nie ablegen. War vormals mit Henri arm gewesen, und die Aussichten des Königs hatten nicht besser gestanden als seine. Ein Gefährte aus mageren Jahren ist der letzte, Maß zu halten, wenn die fetten kommen. Wie, der andere Hungerleider von einst sollte nunmehr über ihm stehen? Dieser König ist der Feind jedes freien Herrn im Königreich, zuallererst derer von der Religion, und dankt seinen Protestanten die alten Schlachten nicht. Das wurde geglaubt, weil es aufgebracht wurde von denen, die etwas hatten und meistens zuviel.

Henri, dem von überall berichtet wurde, sah sie abfallen; das protestantische Volk war gegen ihn mehr als das katholische, bei dem er wenigstens soviel gewann, als der Stadtzoll wert war. Außerdem erinnerten die papistischen Gemeinen sich, daß er ihre Bedrücker noch immer besiegt hatte, indessen seine eigenen Gewissensstreiter von einst ihm sogar sein Edikt vergessen hatten. Er hat damals sehr furchtbare Zweifel erlitten -- neigte ohnedies zum Zweifel. Jetzt die umfassende Verschwörung, gewiß fällt sie auf ihn selbst zurück. Man wird nach vielen Taten und der gelungenen Aufrichtung eines Königreiches nicht umsonst von allen aufgegeben und bleibt allein wie am Anfang.

Er bestellte seinen Bosny nach Fontainebleau -- war allerdings versichert, daß seine tiefinnere Unruhe und Bedenken wegen eigenen Verfehlens keine Sache für seinen Großmeister wären. Darüber schweigt Henri, bleibt auch hiermit allein. Bouillon und sein bärtiger Freund de la Trémoille sind abgereist nach ihren Ländern. Weder d'Epernon noch sonst einer hat sich halten lassen. »Ich hätte ihnen denn die Wahrheit ins Gesicht gesagt.« Er schwieg bis jetzt darüber, daß er ihrer aller Verrat als seine Schande fühlte.

Sein guter Diener lobte ihn für die angewendete List und Verstellung. Um so eher werde der Anführer des verbrecherischen Unternehmens in die Falle gehen. Natürlich meint er Biron, er dürstet nun einmal nach seinem Blut. Der König nimmt Schritte, zu lang für diesen kleinen Garten, soviel sah Rosny. Ich muß ihm etwas erzählen. Nicht ungeschickt, der gute Diener verstand die Belehrungen wie auch den schwersten Entschluß unscheinbar zu machen: er entwaffnete den Herrn durch Beispiele von früheren Menschen oder durch einen Bericht der Alltäglichkeiten, die neben dem Ungeheuren immer einherlaufen, und das Ungeheure selbst wird in ihrer Nähe alltäglich.

Marschall Biron hat keine Kanonen mehr, dem Großmeister ist ein Kunstgriff geglückt. Er hat dem Gouverneur von Burgund eingeredet, daß die seinen nicht mehr taugen. Der Gute hat zugelangt, er hat das alte Material den Fluß abwärts geschickt, und wie verabredet ist das Schiff mit den neuen Geschützen entgegen nach Dijon gefahren. Ist nur leider bei Nacht und Nebel verlorengegangen, bis es unversehens beim Arsenal wieder anlegt, dort sind auch die Kanonen des Marschalls schon eingetroffen. Ein guter Streich, dem König bleibt nur übrig, zu lachen.

Rosny, im Gegenteil mit vollem Ernst:

»Sire! Hier geht es um Ihr Königreich. Überwinden Sie alles, Ihre Erinnerungen, Gefühle und --«

»Und die Schande«, ergänzte Henri, worüber sein Diener stutzte; dachte nach, fand aber die Ursache nicht für dies Wort.

»Überwinden Sie alles«, verlangte er um so eindringlicher. »Das Beispiel, das Sie an dem Mächtigsten Ihrer Feinde vollstrecken --«

»Mächtig, ohne Kanonen?« fragte Henri. »Entwaffnet, »arm, ein nackter Bettler?« fragte er. »Ich kann ihn laufen lassen, ihm bleibt nichts übrig als ruhelose Flucht.«

»Nach Spanien.« Sully sprach langsam und schwer. »Sire! Er ist von der Gnade aufgegeben. Sie haben das Recht nicht mehr, ihm gnädig zu sein.«

Henri erschrak heftig. Ein donnerndes Urteil von oben hätte ihn nicht stärker abrufen können, damit er zurückkehrte unter den Befehl und die Pflicht. Sein strenger Diener war klug genug, ihn allein zu lassen, bevor der König gewahr wurde, er wäre abberufen und unter Befehl gestellt.

 

Mitternacht

Hier ist der kleine geschlossene Garten des Schlosses Fontainebleau, ein Garten der Prüfungen: der Geprüfte spricht mit seinem Gewissen. Niemand mag ihn stören, obwohl man von weitem zusieht, die Königin und der Minister aus den Fenstern, und ebenso heimlich spähen Neugierige durch die Hecken.

Mehrere Tage, bis Biron eintreffen kann, hat Henri ihn im Geist begleitet. Manchmal rät er ihm, umzukehren, zu fliehen; öfter bittet er ihn, zu bekennen, an seine Brust zu sinken. Den dreizehnten Juni, morgens früh in diesem Garten, denkt er: ›Der Mann kommt nicht‹, sagt es auch seinen Leuten, die bereit sind und die Hecken umstellen. Biron ist gewaltsam; seinen Feind Rosny will er erdolchen, er hat es geschworen, aber was hätte er sogar als Königsmörder noch zu verlieren? Henri beruhigt hierüber die anderen.

Dies ist der erste Fall, daß er das Messer ohne Furcht erwartet. ›Wär ich nicht mehr begierig zu leben? Ich war es äußerst. Biron -- sein Weg hierher, sein Weg in den Tod, so beschwerlich und lang, ich mach ihn mit ihm. Auch die glücklichen Straßen dieses Königreiches ritten wir vordem vereint.‹ Er meinte noch mehr den Vater als den Sohn, warf sie zusammen wie das Volk. ›Sollt ich mich trennen und abscheiden von den Meinen? Da sie es sicherer finden, zu meinen besiegten Feinden überzulaufen, was ist es mit mir? Nur wer sich selbst verläßt, ist verlassen, und verrät mich keiner, ich hätte mich denn verraten.‹

Er ging in sich, er suchte verzweifelt nach den Ursprüngen des Verrates -- ach! sie erklären nichts.

›Bin ich es, der die geweihte Majestät vom Himmel auf die Erde versetzt hat -- an meine Schöpfung hab ich nie geglaubt. Bei mir ist nicht jeder Tag ein heiliges Fest. Ich war der Tyrann nicht, den sie gehaßt und verehrt hätten. Es ist vergebens, den einen nur ihren Überfluß zu nehmen anstatt gleich alles, und die anderen nur des Sonntags satt zu machen. Wen hab ich von seiner Dummheit befreit, wen von seinem Wahnsinn. Wer daran scheitert, ist ihr Befreier nicht. Meine Art hat es dahin gebracht, daß ich den vorigen Anschlag auf mein Leben geheim behandeln und verschweigen mußte. Biron, erspar mir meine Unehre, sie wäre zu laut. Sie schreit entsetzlich von deinem Blutgerüst!‹

Draußen entstand Bewegung, Henri meinte schon, die gefürchtete Stunde beginne jetzt. Indessen war es ein unbekannter Bürger, der nach dem König verlangte mit einer Inbrunst, einem Schmerz, daß man ihn endlich in die Laube ließ. Er fiel auf die Knie und bat die Majestät um das Leben seines Neffen, den das Gericht verurteilt hatte, zu sterben. Der König hatte unterschrieben, er kannte die Umstände, sie erlaubten Gnade nicht. Er erbleichte während des Jammers dort vor ihm am Boden. Ein armer Junge wird das Gerüst besteigen; König, kämpfst heimlich mit einem Verräter, daß er dich freiläßt.

Zu dem Mann am Boden sprach er:

»Sie tun als Onkel nach Gebühr. Ich muß tun, was dem König gebührt.«

Von Stunde an war er mit Biron im reinen. Der traf dann ein, war auch bestimmt erwartet worden und hatte nichts an seinem Sinn geändert, was gleichfalls vorgesehen war. Von außen wurde beobachtet, wie die beiden umhergingen zwischen den Hecken: der König still und fest, der Marschall in heller Wut wegen des ungerechten Verdachtes, besonders aber, weil er entwaffnet ist. Abwechselnd schlug er mit Schwung seine unschuldige Brust und klagte den treulosen Rosny an, der hat ihn verraten. »Wären Sie gar von mir verraten?« fragte Henri; dem hartnäckigen Lügner verschlug es das Wort.

Darauf umarmte der König ihn, zeigte ihm ringsum, daß sie allein wären, er möge sich ihm anvertrauen. »Ich!« rief Biron. Die finstere Besessenheit rief.

Man sah sie hervorkommen, den einen heiter, aber der zweite schnob von unerträglichen Kränkungen. Bei Tisch mit dem ganzen Hof, Biron gegenüber dem König, war die Rede nur von dem belagerten Ostende. Henri sagte: sein Bruder von Spanien mitsamt den spanischen Ministern müßten alle zittern, daß er seine Verräter bestrafe. Der Krieg in Flandern wäre für Spanien alsbald verloren. Biron schlang die Speisen und blieb verschlossen, so leicht in ihm zu lesen war. ›Wag es!‹ sagte sein gerötetes Gesicht. ›Du bist nicht mehr der König deiner Edelleute. Jetzt ruf dein gemeines Volk, ob es für dich sterben will wie einstmals wir.‹

Nach dem Mittagsmahl führte Henri den Unglücklichen in denselben kleinen Garten. Als wäre noch nichts verloren, rang er um eine Seele: die war schon weggestorben. »Herr Marschall, kommen Sie zur Besinnung, das sind Sie, hier steht Ihr König Henri. Sie haben keinen anderen, der Sie lieben wird. Was immer Savoyen gegen Sie in Händen hat und das Gebot zu schweigen, das Spanien Ihnen hierher mitgab, vergessen Sie's! Ich vergesse alles nach Ihrem ersten freien Wort.«

Frei, das war Biron nicht mehr. In Lyon, bei all seinem Zorn und Hochmut, mag er es noch gewesen sein. Hier will er sein Geschick, obwohl er daran nicht glaubt; ist erstarrt, mit Stummheit geschlagen und schon dem Richtplatz zugewendet. Henri zählte die Viertelstunden, gab sie sich bis zur vierten, und auch die fünfte noch. Plötzlich brach er im Satz ab, ließ die Hand fallen und ging schnell in das Haus. Mit Rosny und der Königin schloß er sich ein.

Der Minister forderte für die Sicherheit des Staates den schuldigen Kopf, hatte aber nicht nötig, viel zu reden: die eifrigste war die Königin. Ihr Gemahl denkt einen Verräter zu schonen; seine Sache, ob er den Thron verlieren will, Marie von Medici ist indessen nicht gesonnen. Sie weiß, daß der König für den Fall seines Todes einst denselben Biron eingesetzt hatte, damit er seine Mätresse und ihren Bastard beschützte. Wählt er den Mann seines Vertrauens falsch, Marie darf dafür nicht büßen, ihr Sohn, der Dauphin, soll unter der Regentschaft seiner Mutter aufwachsen.

Das Wort ist ausgesprochen: Regentschaft. Marie kennt es in jeder Sprache. Mittlerweile drückt sie die Gegenstände, an denen ihr viel gelegen ist, in ihrem Französisch aus -- nicht angenehm zu hören, aber treffend. Henri versteht, daß über die Zeit nach seinem Tode verfügt und mit ihr schon gerechnet wird. Er ist nur vorläufig da. Sterben, sogleich sterben muß sein Jugendfreund, Gefährte seines Aufstiegs und seines abgelaufenen Jahrhunderts. Nicht angenehm zu hören, das Französisch der Fremden beiseite. Was man ihm vorhält, ist die Ordnung, ist das natürliche Gesetz; gleichwohl wird ihm um einiges kälter.

Die Umstände wechseln zu schnell für das empfindliche Alter, in das er eintritt. Vereinsamen, die letzten in den Tod schicken, bevor er ihnen folgt -- und kein Aufschub? Lassen wir die Fremde. »Herr de Rosny?«

»Sire! Da Marschall Biron über Ihre Absichten keinen Zweifel mehr haben kann, würde er fliehen. Er muß verhaftet werden.«

»Nicht vor Mitternacht«, bestimmte Henri.

Den Abend wurden Karten gespielt. Die Gesellschaft ging endlich auseinander, ungebeten blieb Biron bei dem König zurück. Henri sah, daß der Mann an Flucht nicht dachte. War er nicht vollends umnachtet, dann hellte gewiß zu dieser Stunde sein Geist sich auf: dem König klopfte von der Hoffnung das Herz. Noch einmal beschwor er die alte Freundschaft, ach, ihm begegneten trockene Augen, ein Mund, der schweigen mußte -- und Mitternacht schlug.

Henri wendete sich ab, ging Schritt für Schritt in sein Kabinett, zögerte noch, die Tür zu schließen. Nach einer qualvollen Minute öffnete er sie wieder -- Biron stand auf dem Fleck, gebannt von seinem Wahn.

»Gott befohlen, Baron Biron« -- Henri nannte ihn mit seinem alten Namen aus den zwanzig Jahren ihrer gemeinsamen Gefahren und Wunden. Hört nur keiner mehr. »Verstehen Sie, was ich gesagt habe?« Nein.

Gleich im Vorzimmer ist Marschall Biron verhaftet worden, hat ungestüm angegeben, als nahm er es für einen üblen Scherz, und hat weiterhin die Rolle der verratenen Unschuld durchgeführt -- in der Bastille, wo ein Mönch ihm nochmals zu schweigen gebot, wie auch bei seinem Prozeß, trotz allen Beweisen seiner eigenen Handschriften, die wiederzusehen ihn mächtig überraschte, aber er verleugnete sie wütend. Er hat berechnet, der Druck der Verschwörer und fremden Mächte werde den König nötigen, ihn loszulassen. Seine Partei ist stark und kühn, die Richter fürchten ihre Rache, wenn sie Biron verurteilen. Unter ihnen selbst sind Anhänger der alten Liga, und diese ist damals aufgelebt, als hätte der Ketzer sie nie besiegt, und die Herrschaft dieses Königs wäre gar nicht gewesen.

Die Straßen sind auf einmal wieder unsicher geworden, die sechshundert Vettern des Angeklagten sind aus der Gascogne herbeigereist, bewaffnete Banden haben Handstreiche verübt. Der Angeber, der die schriftlichen Beweise gebracht hatte, ist mitten in Paris niedergemacht worden trotz Bedeckung, und seine Mörder hat man entkommen lassen. König Henri hat seines großen Mutes bedurft, um einen Verräter zu richten, eines größeren Mutes, als wäre der Feind selbst gegen ihn angerückt. Der Feind ist am furchtbarsten, solange er von fern mit Geld, gedruckten Erzeugnissen und den Leidenschaften einheimischer Parteien das Land unterwühlt und für sich reif macht.

Henri hat es erlebt; seine Taten, die Befriedung und der Wohlstand seines Königreiches haben ihm dennoch nicht ersparen können, daß er damals seine Hauptstadt verlassen mußte -- wartete draußen mit dem Fuß im Steigbügel. Nicht der Verräter, der König hat die Flucht ergriffen. Seinen Minister Sully hat er dringend gewarnt, sich fangen zu lassen; seine Person, wenn sie ihrer habhaft würden, sollte den Verschwörern für Biron bürgen. Rosny wird sich wohl behütet haben und hat gewiß nach seiner Art erwogen, daß nur die falsche Sache auf Verbrechen baut: die sind ohne Wurzeln. Gewachsen, verwurzelt ist die Größe, ist der Besitz, beide redlich aufgezogen, und der beste Diener pflegt sie. Was alles ein Minister gegenwärtig halten kann, sein Königreich, ist dies nicht. Seine Größe ist die seines Herrn, seine Person würde schlimmstenfalls gefangen werden. Henri allein hat damals mit dem Fuß im Steighügel die Unverläßlichkeit seines gesamten Bestandes erfaßt, das Vorläufige, sein eigenes Dasein, während er es noch durchbringt -- und über ihn hinaus rechnen Narren. Was er in jenen Tagen erlebt hat, sind die endlosen zwölf Schläge einer Mitternacht.

Er empfing dort draußen die Verwandten des Gefangenen, sprach zu ihnen mild und mit Bedauern als der Beauftragte der Gerechtigkeit und Staatsnotwendigkeit, die er nicht ändern kann. Wies sie ab, ohne daß sie ihm anmerkten, was er fürchtete und wirklich erwarten konnte, die gewaltsame Befreiung des Gefangenen, den offenen Aufstand seiner Hauptstadt. Die Gemüter waren hinlänglich vorbereitet. Biron ist ein guter Katholik, dafür leidet er. Ein rührender Brief ging um, Biron hatte ihn nie geschrieben, sagte aber darin dem König alles, was ihn verhaßt machen konnte. Der gute Katholik in seinem Kerker wußte nicht einmal sein Vaterunser, vielmehr betrieb er die Astrologie, da er äußerst zu leben wünschte, war dessen auch versichert. Der König ist schwach, die Furcht wird über ihn siegen. Seine Richter zittern schon jetzt.

Indessen hatte Henri in seinen Parlamenten nicht nur Leute, die den Schnupfen bekamen oder sonst einen Vorwand erfanden, daß sie verhindert wären. Von den großen Herren seinesgleichen verweigerte ohnedies jeder, über Biron zu Gericht zu sitzen. Blieben die alten Rechtsgelehrten des Königs Henri, früher in Tours, als Paris noch der Liga gehörte; früher auf dem Stroh der Gefängnisse, früher arm. Diese verließen jetzt ihre weichen Betten, bequemen Häuser; angesichts der Gefahr wurden sie nochmals wie einst. Sie widerstanden, sie brachten den Mut auf. Ging nachher das Königreich verloren, dann waren zuerst sie es; aber diese Humanisten retteten es, da sie zuschlugen. Sie blickten auf den König, ihn beirrte keine Versuchung, sein Befehl war, daß dem Recht genügt werde.

Es ist wahr, daß mehrere sich seiner annahmen. Wie oft ist Rosny, von Garden stark bedeckt, zu ihm hinausgeritten. Die alte Elisabeth, seine Freundin, hat ihm geschrieben, damit sie von ihrem unerbittlichen Sinn diesem König mitteilt. Sie weiß, daß ihr Bruder von Frankreich vor seinem Fenster nicht gern Totenschädeln begegnet, und das Fleisch, das daran war, er hatte es ehedem geküßt. Sie weiß -- da sie nahe an ihrem Ende ist und ihr Jahrhundert mitnehmen wird, im voraus mitnehmen wird die kleine Auslese von Lebenden, die groß gehandelt haben wie sie.

Dagegen Biron -- ein vollblütiger Mann, Aderlässe braucht er, dachte aber an das Sterben im fernsten nicht. Seinen Wächtern und allen Besuchern, denen seine Zelle geöffnet wurde, hat er die verachteten Gerichtstage vorgespielt, mit Fratzen und Gebrüll. Der Hohn und die Siegesgewißheit entfesselten ihn. Bis zuletzt hat er beides auf seiner Seite geglaubt, die Macht und das Recht. Die Macht, weil unbedingt, während er hier innen von unverbrauchter Kraft raste, draußen die Verschwörung an ihr Ziel gelangen mußte, und spanische Soldaten waren auf dem Wege, ihn von hier herauszuholen. Aber das Recht besaß er aus drei Gründen. Erstens ist der Verrat das gute Recht des Stärkeren: der meinte er zu sein. Zweitens hatte in Lyon der König ihm alles verziehen, ausgenommen allerdings, was Biron nicht bekennen wollte. Nun, das sind Spitzfindigkeiten; wie darf gerade dies die Entscheidung der Richter bestimmen.

Zum dritten und besten besteht für alle Reichen und Mächtigen das unweigerliche Recht und sittliche Gebot, ihren Reichtum zu verteidigen. Der Reichtum, der sie übermächtig werden ließ, beim ersten Angriff sollen sie ihn gegen den Staat und die Nation gebrauchen, so heißt das Recht und sittliche Gebot. Äußersten Endes heißt es: Rufe den Feind ins Land, damit er deinen Besitz rettet. Was nicht gerade häufig die Sorge des Feindes sein wird, aber es ist der Glaube der Reichen. Mit ihrem Glauben und Gewissen sind sie im reinen, können darum zum Abschied noch sprechen wie der Verräter Biron: »Ihr Herren, hier seht ihr einen Mann, den der König in den Tod schickt, weil er gut katholisch ist.« Er kannte sein Vaterunser nicht, hatte aber den Glauben an den Reichtum, in ihm ist er dahingegangen -- nicht ohne vorher gewaltig aufzuführen. Den Henker hätte er erdrosselt, hielt ihn übrigens für einen Betrüger. Ihm wagt der König, ihm mit aller Kraft und Vollblütigkeit wagt er den Henker zu schicken!

König Henri hat gewiß ermessen, wie teuer dieses Schafott war. Der erste Erfolg rechtfertigte ihn: die Verschwörung brach ab, die Verschwörer atmeten nicht. Der Tod des einen Biron vereitelte sowohl den Aufstand als den Krieg, das Gespenst der Liga ist dahingefahren so plötzlich, wie es erschienen war. Bei seiner Rückkehr in seine Hauptstadt wurde der König umjubelt von Mengen Volkes, die alle mit ihm einig waren: er ist der Vater unseres Friedens, Lebens und Anspruches auf das Glück. Gesegnet, gesegnet! Was indessen sehr schnell abgemacht ist und wird vergessen, je eher die Kassen des Königreiches wieder gefüllt und alle Gewerbe im Schwung sind.

Das längere Gedächtnis haben die Besiegten. Für ihren Märtyrer, der das Schafott besteigen mußte, lassen sie zahllose Messen lesen. Im Lauf der Jahre folgen auf diese Verschwörung mehrere, sie werden niedergeschlagen. Rosny wacht, der König wird seinen Rat nie wieder bezweifeln: er hat nur ihn. Dennoch, diese beiden haben sich vergriffen an dem Reichtum, an der Macht des Reichtums. Das letzte Wort des Hingerichteten ist gewesen: »Weil ich gut katholisch war.« Genug, um den König zu zeichnen für einen gewaltsamen Tod, falls er es vorher nicht gewesen wäre. Fortan wird er in seinem Königreich auf Abruf umhergehen. Die gedeihlichste der Herrschaften, aber hinter dem Herrscher sind Schritte: er ahnt sie, ohne daß er etwas hört. Wer umblickte, sähe nichts. Bleibt nur übrig, in den Tag zu leben -- der immer hell genug ist, solange das Herz schlägt.

Einmal, als er durch die volkreiche Straße de la Ferronnerie ritt, wurde vor ihm her eine unbekannte Sänfte getragen. Der Pferde konnten an ihr nicht vorbei, sie mußten halten; das geschah vor einem Haus mit offenem Gewölbe, darüber das Wahrzeichen: ein gekröntes Herz, vom Pfeil durchbohrt. Der König beugte sich vor, er wollte dringend in diese Sänfte blicken, da verschwand sie hinter dem Gewühl. Man wußte nicht, warum der König, nun ihm Platz gemacht wurde, weiter dastand und nachsann.

Er gewöhnte sich damals eine gewisse Beteuerung an: »So wahr Biron ein Verräter war.« Bald nach der Hinrichtung des Verräters besuchte er in dem Arsenal seinen Minister und sprach ihn an: Herr Markgraf von Sully. Wofür der beste Diener dankte, aber nicht mehr, als nach seiner Schuldigkeit: er hatte die Ernennung zum Herzog und Pair erwartet. Das waren die Titel des Verräters gewesen, sie waren ihm unverdient zugefallen durch die Liebe des Königs. Für seinen besten Diener hatte Henri anstatt der Liebe eine Bewunderung, zu fehlerlos, um ganz ohne Sträuben ertragen zu werden. Damit Sully in das volle Licht trat und der große Minister wurde, hatte Gabriele d'Estrées sterben müssen. Biron stirbt, und Sully wird Marquis. Er soll auch Herzog werden, dafür müssen noch mehrere zugrunde gehen. Schwer zu ertragen ein untadeliger Mann, der uns befreit von allen, die wir liebten.

Der ungeheure Tisch des Ministers war mit Arbeiten überladen. Da sitzt er über seinen Rechnungen, wovon das Königreich gedeiht. Henri wendete den Kopf nach seinen Begleitern. »Soviel sitzen, möchtet ihr an seiner Stelle sein? Ich hielte es nicht aus.«

Da er einen Stoß von Handschriften betrachtete, verstummte Henri, er sah: das Waren Denkwürdigkeiten, seine eigenen; sein Rosny hatte nur Erinnerungen, die sich in seine eigenen fügten. Wie zu erwarten, galten die meisten Aufzeichnungen dem Gedeihen des Königreiches, »Königliche Wirtschaft« waren sie benannt. Der Minister, der in Wirklichkeit alles allein schrieb, unterhielt sich auf diesen Blättern zum Schein mit seinen Sekretären;, sie mußten ihm zurückrufen, was er jedesmal vollbracht hatte an Taten, Mühen, Verdiensten, als hätte er es nicht selbst gewußt. ›Hochmut‹, sagte Henri still für sich. ›Wie mag einer seine Denkwürdigkeiten schreiben, ist doch jedes Leben voll Schande.‹

Gleichzeitig wurden ihm, ob er wollte oder nicht, die Augen feucht. Er schickte alle anderen hinaus. Mit Rosny allein geblieben umarmte er ihn, er sprach:

»Von heut an lieb ich nur Sie.«

 

Die Trauer

Als Ihre Britannische Majestät die Augen schloß, April 1603, eine wie große Gestalt des abgelaufenen Jahrhunderts ging unter! Die alte Verbündete des Königs von Frankreich gegen die spanische Weltmacht, sie hatte ihm geholfen seinen Thron zu erobern und ihn zu behaupten. Seine Freundschaft sicherte ihre Insel gegen spanische Landungen. Die beiden Reiche bestanden nur gemeinsam, die beiden Fürsten hatten seit zwanzig Jahren keinen Tag einer des anderen vergessen. Als Elisabeth aber gestorben war, legte Henri keine Trauer an, befahl es auch seinem Hof nicht, da ihm vielleicht nicht ohne Verlegenheiten gehorcht worden wäre. Der Hof tat von selbst ein übriges, wie auf Verabredung wurde vermieden, die Tote je zu nennen.

Der König und die Königin von Frankreich wohnten in ihrem Schloß Louvre, einem reichen Haus, nicht wiederzuerkennen seit kurzem mit seiner neuen glänzenden Ausstattung. Man bedenke, daß ein eigener Juwelier, Nicolas Roger, die Wertsachen der Majestäten bewachte. Die Königin benutzte ein goldenes Waschgeschirr. Ihr Hofstaat betrug vierhundertfünfundsechzig Personen, von denen hundertfünfundsiebzig verpflegt wurden oder »ihren Mund bei Hof hatten«, wie sie sagten. Die anderthalbtausend Hofbeamten des Königs bezogen fast alle ein Gehalt, wenn auch wenig, und jeder führte einen Titel. Der Raum fehlte, daß sie im Schloß hätten wohnen können, des Nachts waren das Innere und die Zugänge von siebenhundert Soldaten besetzt.

Henri schläft schwer ein, seit Elisabeth tot ist. Sein Schlafzimmer ist sein Kabinett, nur daß jetzt im Hintergrund ein geschnitzter und vergoldeter Alkoven erbaut ist. Das Kabinett hat links vom Bett eine Tür nach dem Schlafgemach der Königin. Henri schließt einige Male die Tür seit dem Tode Elisabeths. Hier liegt er eine der ersten Nächte, die sie in ihrer Gruft liegt, und gedenkt ihrer, da am Tag die Mengen der Lebenden auf ihn eindringen und ihr Name verboten ist. Denn sie ist eine Ketzerin gewesen, sie hat die neue Religion in der Welt durchgesetzt mit unvergleichlichem Erfolg, einmal abgesehen vom König von Frankreich, seinen Schlachten, seinem Edikt. Indessen vollzog er seinen Todessprung und schwor den Glauben ab, zuerst nur scheinbar, was Elisabeth vollauf begriffen hat trotz anfänglicher Mißbilligung. Sie ließ auch gelten, wenn er später vorgab, eine Disputation des Kardinals du Perron mit Herrn de Mornay habe ihn von seinem angenommenen Bekenntnis wirklich überzeugt. Beide gleichermaßen bewahrten als ihr wahres Bekenntnis den Humanismus, der ein Glaube ist an die irdische Bestimmung des Menschen, vernünftig und tapfer, frei, wohlhabend und glücklich zu sein.

›Sie hat viel getötet, obwohl es sie nach Blut nicht verlangt hat. Mich auch nicht, dennoch richtete ich Biron hin. Es ist geboten, daß Humanisten streitbar sind und zuschlagen, sooft feindliche Gewalten die Bestimmung des Menschen aufhalten wollen. Meine kriegerischen Hugenotten verteidigten Recht und Gewissen, dasselbe tat ich allzeit, so wahr Biron ein Verräter war. Elisabeth und ich, wir mußten stark sein und das Amt des Königs äußerst erhöhen -- nicht damit die Menschen kleiner würden. Sie sollen in der Majestät ihre eigene, irdische Größe vor Augen haben und erkennen.

Die Nacht wird herum sein, bevor ich meine Dinge bedacht habe. Fällt von dem Himmel schon das erste Licht, und der Fluß wirft es zurück in mein Fenster? Die Uhren werden fünf schlagen, unser Hof ist zur Stelle. Sie werden sechs schlagen, ich und die Königin halten ihr Erheben. Den Saal nebenan darf niemand bedeckten Hauptes betreten. Jeder verneigt sich vor meinem Paradebett, obwohl ich meistens nicht darinliege. Man ist angehalten, Abstand zu wahren, schon die Berührung des Bettes wäre ein Vergehen an der geheiligten Person. Ein Kämmerer steht Wache bei dem Bett, sogar das laute Sprechen wäre ein Anschlag auf mich. Ich kenne andere Anschläge -- werde andere kennen.

Sie haben seither nicht gelernt, sich selbst zu achten, daher das Leben nicht. Ein Mord kostet in meiner Hauptstadt vier Taler. Wie hoch wird mein eigener veranschlagt, und wird man um meinetwillen Trauer anlegen? Mich schläfert, der Geist schweift ab. Bleibt nur übrig, sie mein Bett verehren zu lassen um des Zeichens willen und zufolge der Bedeutung, die sie nicht verstehen. Der Sinn der Menschen ist jetzt auf Förmlichkeit gerichtet, das hab ich nicht gewollt; er wird bunter anstatt einfacher. Wie leb ich noch unter ihnen, warum dies Verweilen. Bin aber nicht mehr ganz hierselbst, die tote Elisabeth nahm etwas von mir mit.

Nicht aufwachen! Es könnte sein, daß ich den Jesuiten zuletzt recht gebe, da sie bei diesem Jahrhundert schon recht haben. Ruf ich sie denn zurück, damit ich mir die Zeit versöhne -- Elisabeth in der Ewigkeit erfährt es nicht. Wohl ihr. Ein Teil von mir ist mit ihr schon hinüber. Kennen wir uns drüben? Auf Erden haben wir einer den anderen nie gesehen.

Nie gesehen, außer im Bild. Als ich ein Knabe war, schlug man ihr den kleinen Navarra zur Ehe vor, was nur eine List war: meine Partei sollte ihr Haupt verlieren und dies Land im Bürgerkrieg verbluten. Später hab ich öffentlich ihr Bild geküßt, damit sie es erführe und mir beistände. In den holländischen Angelegenheiten machte ich nachher mit Spanien meinen Frieden ungeachtet meines Vertrages mit ihr. Zuletzt haben wir Ostende versäumt und vergebens einander erwartet, sie auf der Küste drüben; aber an die Mauer, die ich hier bestiegen hatte, schlug dasselbe Meer. Versäumt, nie erblickt -- dennoch, wie viele Menschen waren1 so sehr bei mir zugegen, wie sie. Haben an mir sich erwiesen und ich an ihnen. Wer war, außer ihr, meinesgleichen?‹

Die Frage hatte er früher nicht gestellt, da Elisabeth lebte und immer noch Zeit schien, ihr zu begegnen. Die Frage kam ungerufen in dem halben Schlaf dieser Morgenstunde. Auch die Antwort erfolgte. ›Wir sollen einander künftig begegnen: wir sterben nicht.‹ Was sogar im Schlummer alsbald berichtigt wurde. ›Wir enden allerdings. Indessen geht die Spur unseres Bewußtseins in andere Gehirne über und wieder in andere. Nach Jahrhunderten denkt und handelt noch einmal die Art, die wir waren. Wir sterben mit unserem Jahrhundert nicht. Ich und meine Freundin von England, wir sollen uns ewig kennen.‹

Er schrak auf, es schlug schon sechs. Da der König das Zeichen nicht gab, erschienen weder seine fünf Kammerdiener noch die Auswahl seines Hofstaates, die berechtigt gewesen wäre, seinem Erheben beizuwohnen. Wenige Minuten, dann wurde hinter dem Alkoven die versteckte Tür ein wenig bewegt, Herr d'Armagnac spähte herein. Er erfüllte den Dienst nicht mehr mit eigener Hand, um so genauer paßte er auf die Uhr und war mit der Stunde da. Nun sah er seinen Herrn fertig angekleidet, und wie er selbst das Auge an einen Spalt hielt, nicht anders beobachtete der König durch die Tür zur Rechten das Paradezimmer.

Es hieß das Paradezimmer, es war dreißig Fuß lang, zwanzig hoch, von seinen drei Fenstern gingen zwei auf den Fluß hinaus, das dritte nach Westen. An der berühmten Decke waren Waffen jeder Art sinnreich und schön um die königlichen Schilder geordnet, alles in Eichen-, Nußbaum-, Lindenholz geschnitzt und überzogen mit Gold, das anfing nachzudunkeln. Die Wände wurden verhängt von den gewirkten Bildern antiker Begebnisse, Gold und Seide lagen hoch aufgetragen. Der Samt der Möbel zeigte die Farbe trockener Rosen. Das Bett stand überhöht.

Das Paradebett der Majestät erhob sich zwischen seinen Vorhängen auf einem Absatz, »das Parkett« genannt, es war umstellt mit vergoldeten Schranken. Daran zogen die Damen und Herren vorbei, alle auf den Spitzen ihrer Schuhe, und im Wandeln wendete jeder den Rumpf, um seine Huldigung darzubringen den geschlossenen Vorhängen. Hinter ihnen -- die Majestät, ob leiblich zugegen oder nicht. Den Beschluß machten die Prinzessinnen von Conde und von Conti. Als Henri genug gesehen hatte und eintreten wollte, erschien drüben eine letzte Person -- hatte gewartet, bis der Hof versammelt war. Ging den feierlichen Weg langsam, sorgfältig bemüht, die Ungleichheit ihrer Schritte zu verbergen. Vor dem Paradebett ihres Bruders beugte die Herzogin von Bar, Madame Schwester des Königs, das Knie sehr tief. Du verneigst dich, Kathrin.

Henri drückte schnell die Tür zu, dahinter stand er, hielt die Augen bedeckt, sah aber viel. ›Schwester, dies Paradebett ist dir in dem Sinn gelegen, als wir ganz jung und sonst gar nichts waren. Du hast es erreicht, bist gleichwohl nicht glücklich. Bedenkst du auch, daß dies Paradebett leer ist, indessen eine Gruft, verneige dich, Elisabeth einschließt? Von ihr schweigst du wie die anderen, weißt aber: wir sind allein und sollen dahingehen. Das Wiedersehen in einem Jenseits wäre kaum zu wünschen, nach allem, was wir hier aneinander getan haben, besonders ich an dir, und könnt ich Biron wiedersehen? Oder sogar meine Freundin von England? Wir müßten denn inzwischen allwissend geworden sein, dann bliebe keinem mehr etwas vorzuwerfen von keinem.‹

Nach einigen Nächten wie diese, sah man ihm an, daß er litt. Das allgemeine Einverständnis, von der Toten zu schweigen, wurde gewahrt; der König war selbst der erste, es einzuhalten. Er versah seine täglichen Pflichten: die wichtigste ist, da zu sein, nie zu versagen. Dennoch bemerkte man Abwesenheiten seines Geistes; im lebhaftesten Wort hielt er an und schloß die Augen.

Eine seiner Abwesenheiten geschah im Beisein zweier Edelleute, Montigny und Sigongne. Diese hatten die Ursache erraten und glaubten in Vorteil zu gelangen, wenn sie endlich den verbotenen Namen aussprächen. Zuerst versicherten sie sich, daß sie weder gehört würden noch einer dem anderen mißtrauen müßten. Dann sagte Montigny leise, daß er den Schmerz des Königs teilte. Sigongne gab mit halber Stimme zu erkennen, wie sehr er die Königin Elisabeth verehrt habe. Henri schlug die Lider auf. Ohne Antwort ließ er einen äußerst fremden Blick über die beiden hingehen.

Sie erschraken. Der König, der am liebsten alle für seinesgleichen nahm und hatte dermaßen soeben noch zu ihnen gesprochen, auf einmal machte er einen strengen Vorbehalt. Man stieß auf kalte Verachtung -- sie fanden es eilig, abzutreten. Sie hatten geglaubt, der große Abstand der Majestät wäre sein Beruf wohl, nicht aber seine Art. Pflog er denn Geheimnisse mit einer Person, die nicht hier war, sollte auch niemals mehr herbeireisen? Von ihrer Entdeckung blieben sie erstaunt, hüteten sich übrigens, ihrer zu erwähnen. Der Hof hätte sie gewiß büßen lassen, daß sie durch Zufall eine Neuheit überrascht hatten bei dem Herrn, den alle immer vor Augen hatten und meinten, mehr sei nicht da, als was sie sahen.

Denselben Edelleuten wurde nicht wohl, als der König sie drei Tage später nach seinem Garten bestellte. Jeder der beiden war besorgt, er könnte in der Vergangenheit etwas verfehlt haben. Montigny hatte zu seiner Zeit einem Anschlag auf den König als der nächste beigewohnt, da er ihm gerade das Knie küßte. Sigongne, ein Verfasser gleichnishafter Schaustücke, huldigte gern in der gehobenen Sprache von Göttern und Helden einem großen König. Seine alltägliche Rede war dagegen nicht festlich gewesen, sondern verging sich an der Herzogin von Beaufort. Beide waren gewöhnliche und gewohnte Höflinge, von ihnen hat Henri dreizehn auf ein Dutzend allemal, wenn er unter die Schlechten und Rechten greift. Gerade darum rief er sie heute zu sich in seinen grünenden Saal, der vom Laub überwölbt ist, aus den Fenstern des Louvre sieht niemand hinein. Seinen Freunden und alten Kriegskameraden hätte er nicht anvertraut, was er diesen sagte.

»Ihr seid glücklicher als ich. Ich möchte tot sein!«

Sie beugten ihre Köpfe und die ganze Gestalt. Er schritt noch schneller aus, er sagte: wenn er nur könnte, ergriffe er einen anderen Stand und Beruf. Er würde die Einsamkeit suchen und fände endlich die wahre Stille des Gemütes. »Dem Einsiedler gebricht es an nichts. Manna fällt herab, die Raben bringen ihm vom Himmel das Brot.«

Er machte sein Geständnis mit leidenschaftlichem Seufzen, verschloß hiernach die Lippen und öffnete sie erst wieder, als er seine feste Haltung zurück hatte. Da erklärte er weiter: »Aber ein solches Leben ist nicht für Fürsten, sie werden nicht um ihretwillen geboren, sondern für ihre Staaten und für die Völker, denen sie vorgesetzt sind.«

Seinen Zuhörern kam die Sprache des Königs unerwartet; sie hatten ihn in allem, was er durchmachen mußte, für ein vergeßliches Herz gehalten und einen Immerlustig genannt. Die Traurigkeit am Grund seiner Seele war unbekannt, da er die hier vernommenen Worte allerdings im Leben mehrmals, aber vorher nie für Fremde geäußert hatte. Auch tat es ihm eigentlich schon leid, vor Montigny und Sigongne betrübt oder edel zu erscheinen, weshalb er das letzte nur noch von sich gab, damit der Abschluß richtig im Klang wäre und sie ohne Nachteil davon berichten könnten.

»Die Fürsten haben auf diesem Meer keinen anderen Hafen als das Grab, und in voller Tätigkeit müssen sie sterben.«

Besonders diesen Satz bewahrten die beiden auf; erzählten nachher die Rede des Königs, da sie zu ihrem eigenen Erstaunen eingeweiht waren und unmöglich noch länger schweigen konnten. Aber den Satz vom Sterben in voller Tätigkeit werden sie dereinst, wenn es soweit ist, als Vorhersage erkennen. Der König war wahrhaft stolz. Er endet, wie er es gewollt hat.

Henri trauerte um Elisabeth bis zu dieser Stunde und dann nicht mehr.

 

Das neue Jahrhundert

Das erste, als er von ihrem Hinscheiden erfahren hatte, war sein Auftrag an Rosny, sich bereit zu machen für die Reise nach England. Die freundschaftliche Zuneigung der Königin darf von ihrem Nachfolger nicht erwartet werden, noch weniger die Festigkeit ihrer Haltung und ihre beständige Wachsamkeit gegen den gemeinsamen Feind. Die Trauer des Königs wird abgelöst von seinem bloßen Mißvergnügen, und dieses nimmt zu, je deutlicher Jakob der Erste seine Schwächen verrät. Sechs Wochen später kannte man ihn, da sollte Rosny aufbrechen. An dem Morgen, als Henri« den Minister bei sich erwartete, kam die Königin, Marie von Medici, dem Besuch zuvor. Sie war gesonnen zu verhindern, daß Herr de Rosny den endgültigen Auftrag bekäme. Ihr Gehaben erlaubte keinen Zweifel, sie erschien bei ihrem Gatten als die Gläubigerin, die sie gleich anfangs gewesen war und immer blieb.

Henri ließ sie nicht zu Wort kommen. Er war auf ihr Hervortreten gefaßt gewesen. Alles mögliche, daß es erst jetzt erfolgte. Die Sache war zwischen ihm und Rosny ohne Aufsehen betrieben worden. Gleichviel, der Gesandte mußte sein Gefolge auswählen. Edelleute genug drängten zu der Reise und hätten sie gern auf Staatskosten gemacht. Marie war längst unterrichtet, aber sie hatte geschwiegen. Sie wählte den letzten, entscheidenden Tag, um einzugreifen. Sogleich nahm Henri einige zufällige Papiere vom Tisch und erklärte ihr mit Eifer die inneren Geschäfte des Königreiches. Indessen sagte ihre Miene ihm, daß seine Ausflüchte umsonst wären. Sie hatte sich über das Königreich noch niemals belehren lassen, ob nun ihr Geist nicht ausreichte -- wahrscheinlich auch dies. Vor allem hielt sie die Herrschaft des Königs für vorläufig und für lästerlich, bis er endlich dem Papst gehorchte, mit Spanien verbündet wäre und die Gesellschaft Jesu zurückriefe.

Da sie nicht zuhörte, sondern nur darauf paßte, von ihrer Angelegenheit zu beginnen, verlangte er plötzlich nach dem Dauphin. Das Kind wurde von seiner Amme hereingebracht, anderthalb Jahre war es nunmehr von dieser Welt. Henri nahm es der Frau aus dem Arm, er ließ sich mit ihm nieder. Am Boden, in gleicher Höhe mit dem kleinen Gesicht betrachtete er es merkwürdig ernst: warum, hätten Amme und Königin nicht sagen können. Aber solange schwiegen sie. Henri dachte: ›Der wird das ganze Jahrhundert sehen.‹ Nichts weiter dachte er.

»Boursier«, redete er die Amme an. »Der Dauphin war nach seiner Geburt sehr schwach. Nächst der Königin sind Sie es, der er das Leben verdankt, denn mit Ihren Lippen bliesen Sie ihm Wein in den Mund, als er sich schon verfärbte.«

»Sire!« erwiderte die Amme. »War es ein anderes Kind gewesen, ich hätte es von selbst getan. Sie befahlen es mir, da wagte ich's.«

Sie wendete sich an die Königin. »Unser Herr«, sagte sie, »zitterte, bis er sah, daß es wahrhaftig ein Dauphin war. Die Enttäuschung hätte er gewiß nicht überlebt. Er war vor Glück von Sinnen, zweihundert Personen ließ er in das Zimmer, ich mußte böse werden, aber er sagte, dies Kind gehörte allen, jeder sollte seine Freude teilen.«

»Schwatzen Sie nicht unnütz, Amme«, erwiderte die Königin. Ein Schatten der Angst zog schnell über ihr Gesicht. Das Geschlecht des Kindes hatte allerdings über sie selbst entschieden. Wäre es ein Mädchen gewesen, der Sohn, den die Marquise de Verneuil zur gleichen Zeit gebar, hätte ohne Zweifel die Stelle des Dauphin behauptet. Marie von Medici hätte abziehen müssen aus dem Tor, durch das sie gekommen war.

Die Erinnerung der bestandenen Gefahr war flüchtig, dennoch hatte Henri sie überrascht; er umarmte und küßte seine Frau, was sie als geschuldet hinnahm. Sie war eine der Personen, die ihre Überlegenheit nicht kleidet. Henri ließ den Dauphin auf seinen Armen tanzen. Marie begleitete das Vergnügen der beiden mit Mienen, als könnte dies nicht gut ausgehen. Wirklich traf zuletzt ein, daß der Vater das Kind zu hoch warf; nicht er fing es auf, nur die Amme war schnell genug.

Alle erschraken, aber Marie fand das erste Wort.

»Immer jung, Sire«, sagte sie wütend. »Der Immerlustig wär imstand, mir den Dauphin zu töten.« Wobei sie die Arme in die Hüften stemmte und anzusehen wurde wie ein Fischweib. Ihr Anfall war offenbar nur aufzuhalten, wenn er selbst die Amme mit dem Kind wieder fortschickte.

»Zu Ihrer Angelegenheit, Madame«, sagte er hiernach, da es einmal sein mußte.

Sie ließ sich nicht lange bitten. Sie besaß ihr Recht und ihre Sicherheit als Mutter des Dauphin, der König vermochte gegen sie nichts. Um ihn auf den rechten Weg zu weisen, brauchte sie weder die Nacht noch den Rausch der Sinne. Sie verkündete beim hellen Tag ihren Willen. »Sie werden Herrn de Rosny nicht nach England schicken.«

»Beschlossene Sache, nicht mehr zu ändern«, erwiderte Henri. »Das britische Admiralsschiff ist im Begriff, seinem Gesandten entgegenzufahren.«

Worauf Marie ihm kalt bedeutete, daß seine eigene Lage bedroht genug sei, er habe keinen Grund, die Freundschaft eines noch Schwächeren zu suchen. König Jakob wird sich nicht halten, sie weiß es. Sie wiederholte, daß sie es wisse, erreichte auch, daß Henri betroffen wurde und sie anhörte. »Wenn Jakob seinen Thron verliert, können Sie einen besseren König von England aussuchen? Nein. Aber Sie können einen Papst wählen lassen mit Hilfe meines Onkels des Großherzogs, der von Clemens dem Achten das Versprechen hat, sein Nachfolger werde ein Medici sein. Vergessen Sie endlich Ihre ketzerische Vergangenheit. Beachten Sie Ihren Vorteil und den meinen. Ihr Königreich bedarf des Schutzes der Kirche, noch mehr Ihr Leben.«

Nichts hiervon war neu, am wenigsten der Onkel, der vorgeblich die Päpste macht; aber was ist ein Papst, ob Medici oder nicht. Er ist das Werkzeug Spaniens. Wenn Henri sich unterwirft, verrät er sein Königreich und gewinnt um so weniger sein Leben.

»Sie raten mir, daß ich die Jesuiten zurückrufe, damit sie mich nicht ermorden.«

Marie leugnete entrüstet. Die Väter waren, ihr zufolge, von zartester Gesinnung, heiter, liebenswürdig und bescheiden, allen Ränken abgeneigt. Daß er sie nur erst kennenlernte. Ein oder zwei Gespräche mit ihnen, er werde nicht mehr zögern, wo sein Heil sei.

Henri versuchte zu lachen und sprach, des gütlichen Abschlusses wegen: »Wenn sie keine Tyrannen morden, hab ich sie nicht zu fürchten. Mögen sie bleiben, wo sie sind.«

Dennoch wußten beide, er selbst und die Königin, daß er dem Messer immer nahe war. Sie sagten es nicht. Damit er sie verstehe, erwähnte Marie noch Biron, seinen Tod und die Folgen. Gerade sie hatte den Tod des Verräters gefordert; das hinderte sie nicht, dem König vorzuhalten, wie sehr er seither vereinsamt sei. An seinem eigenen Hof glaubten die meisten, daß die Reue ihn quälte, daher seine Krankheit im vorigen Juli. Er verlor die Geduld, verließ das Zimmer, rief noch zurück:

»Verdorbene Austern, davon war ich krank, nicht aber von Reue -- so wahr Biron ein Verräter war.«

Marie von Medici stand massig da, leeres Gesicht, törichte Augen, um so merkwürdiger die Herrschsucht ihres Auftretens und dieser letzte Bescheid:

»Sie werden die Reue kennenlernen, wenn Sie entgegen meinem Rat Ihren Rosny nach England schicken.«

Er lief davon, erst in seinem Garten atmete er auf. Hier erwartete er seinen besten Diener, es wird Zeit, ein vernünftiges Wort zu hören. Er will dem Marquis de Sully seine Anweisungen für den Besuch am Hof von England geben. Er will weglassen, daß er weder auf König Jakob noch auf seine Freundschaft baut. Die Zeit Elisabeths kehrt nicht wieder. Er selbst ist gehalten, in dies Jahrhundert hineinzuwachsen. Möchte es ohne Selbstverleugnung vonstatten gehen.

Rosny wird in ihn dringen, daß er nach seinem Marschall Biron jetzt einen anderen alten Gefährten, Turenne, Herzog von Bouillon, schlagen und treffen muß. Der protestantische Fürst verleumdet den König bei dem ganzen protestantischen Europa, sogar eine Bartholomäusnacht soll Henri vorhaben im Einverständnis mit dem Papst. Henri wird dem Minister nochmals seine schlimmsten Besorgnisse vorstellen: daß seine eigenen Protestanten sich Spanien verbünden. Rosny wird antworten, das sei unmöglich. Er hat es mehr als einmal geantwortet. Wer ist Spanien? In Brüssel hat man zu Ehren der Infantin eine Frau lebendig begraben. Mit dem Abscheu der ganzen Welt verhandelt nicht einmal Bouillon -- der übrigens das Schicksal des anderen Verräters verdient.

Henri weiß Wort für Wort voraus, was er und sein Rosny alsbald sprechen werden; sie kennen einander. Beide haben klare Gedanken einander mitzuteilen, wenn nicht immer die rechten und zulänglichen. Vor allem handeln sie überein -- und während seine Protestanten dem König mißtrauen, häuft er mit seinem Großmeister die Waffen auf: wofür? Sie zu retten. Die Gewissensfreiheit des ganzen Europa wird letztens mit den Waffen verteidigt werden müssen, sonst war es um dies Königreich geschehen; es lebt im Geist und in der Wahrheit oder gar nicht.

Von den drängenden Gedanken wurden auch die Schritte schneller. Im vollen Lauf hielt Henri an. Was meinte die Königin mit der Reue, die ihm gewiß wäre? Woher ihre Kenntnis über Jakob und die Gefahr, in der er schwebt? Marie von Medici ist nicht geistreich; im Hintergrund seiner Gedanken vollendete ihr Gatte: so wenig als liebenswürdig. Indessen, was ihn beunruhigt, ist das auffallende Mißverhältnis zwischen ihrem beschränkten Verstand und den Andeutungen, die sie fallen läßt. Woher das Wissen oder die eingeübte Lektion? Für wessen Rechnung warnte sie ihn? In die Zukunft sieht nicht sie. Was geschehen wird, weiß am besten, wer selbst zu handeln gedenkt.

Man müßte die Briefe der Königin öffnen lassen. Keine leichte Maßnahme, wenn der Generalpostmeister auf ihrer Seite ist. De Varennes betreibt die Rückberufung der Jesuiten mit demselben Eifer. Angenommen, dieser täte es zum Ausgleich seiner anstößigen Vergangenheit; aber Bassompierre, ein neugieriger Mitläufer! Aber alle anderen, die bloß den Wind in die Nase nehmen, und der bestimmt ihre Richtung. Henri fühlt ringsum eine Verschwörung, mit Block und Beil ist ihr nicht beizukommen; denn der Verrat geschieht in Gedanken, durch ein stummes Einverständnis. Oder vielleicht wetten sie schon miteinander, wie er sterben wird? Eines natürlichen Todes, zum Beispiel an zu viel Austern. Oder durch göttliche Strafen, von denen die eine die Reue wäre, die andere das Messer.

Die Königin hat von »ihrem« Dauphin gesprochen. Sie rechnet für ihre Regentschaft mit einem Unmündigen und einem Toten. ›Ich glaube nicht, daß sie mein Verschwinden wünscht, nicht heut oder morgen -- sie macht sich nur bereit. Noch warnt sie mich im guten Glauben. Übrigens hat sie weder den tückischen Verstand ihrer Vorfahrin noch die große Zahl von Ehrenfräulein, womit die alte Katharina ihren Hof beherrschte. Das Gespenst der Medici, deren Gefangener ich war, geht gleichwohl hier um. Schloß Louvre ist meinetwegen ein Lupanar. Weniger gefällt mir, daß es ein Pulverfaß ist. Da sieh! Mein Großmeister.‹

Der Marquis de Sully erschien auf der Freitreppe, vor der geschmückten Front des Hauses, stolz und prächtig er selbst. Er hatte sich schön gemacht für die Außerordentliche Gesandtschaft, die sein Herr ihm auftragen wollte. Sein Gang bezeugte ungemeine Würde. ›Er stelzt sogar‹, bemerkte Henri. ›Als Kind, aus einem unvergeßlichen Anlaß, hab ich den Herzog von Alba auf ähnlichen Beinen gesehen. Es muß beide Male vom Stolz und vom Sitzen kommen, obwohl Alba ein verwerflicher Mensch gewesen ist und Rosny bleibt der beste.‹ Vor dem bleichen, gesiebten Licht des Gartens zwinkerten die Augen des Ministers, sie waren empfindlich geworden durch das Übermaß seiner Arbeiten. Die Sonne ließ sein Geschmeide funkeln, er trug, wie früher üblich, Ketten und Spangen aus Edelsteinen, am Hut die kostbare Medaille mit dem behelmten Kopf der Minerva. Sein öffentliches Auftreten in dieser überlebten Gestalt eines anderen Jahrhunderts wird oft mit Lächeln begleitet, wenn auch hinter seinem Rücken; er ist sehr mächtig.

›Tatsächlich, wir fangen an, zu veralten‹, sieht Henri. ›Seit wann geschieht es uns? Gleichviel, noch haben wir mehr als ein Kunststück im Sack. Muß ich denn die Väter der Gesellschaft Jesu in dies Königreich zulassen, ausgehen soll's anders als sie meinen.‹

 

Die Gestalt neben dem Bett

Der König hörte in diesem Sommer einen Prediger, dessen neue Art ihm zweideutig schien; bewundernswert war sie jedenfalls. Die Schwärmerei seines Hofes, besonders der Damen, nötigte Henri, Herrn de Sales ernst zu nehmen, obwohl sein Redefluß den Gekreuzigten über und über in Duftgewässer tauchte, umgab auch mit Vöglein und Blümelein das Haupt voll Blut und Wunden, bis es alle Schrecken einbüßte. Ja, es verlor die Strenge des Leidens und wurde hübsch wie der geistliche Edelmann selbst, den die Jesuiten dem König von Frankreich aus Savoyen zugesendet hatten. Franz de Sales war nicht von ihrem Orden, er bereitete nur in angenehmer Weise auf sie vor. Er hatte einen Augenaufschlag und blonden Bart. Wer ihn hört und ansieht, soll den Eindruck bekommen: was wird mit ihnen viel sein.

Kurz nachher erkrankte der König; es war der zweite Anfall desselben organischen Versagens. Während des ersten hatte die Herzogin von Beaufort ihn gesund gepflegt und ihn bewacht bei Tag und Nacht. Da er jetzt auf einer Reise in der Stadt Metz zu Bett lag, war von seinem ganzen Hof nur de Varennes zugegen. Vielleicht ist de Varennes mit dem Vorrecht begabt, den Leidenslagern der höchsten Personen beizuwohnen; jedenfalls gebraucht er es nützlich. In Lothringen sind die Jesuiten niedergelassen, er holt zwei von ihnen herbei, Pater Ignatius und Pater Cotton, der nachher der Beichtvater des Königs sein soll. Dieser ist dumm und aus Dummheit schlau oder umgekehrt. Er jammerte angesichts des allerhöchsten Zustandes; etwas Besseres wußte er sich nicht, als dem Kranken von einem reumütigen Ende zu sprechen. Wenigstens wäre es ein natürlicher Tod, und das Messer müßte der König nicht mehr fürchten, weshalb er dem Himmel danken möge.

Hier griff Pater Ignatius ein. De Varennes hatte ihn in die Seite gestoßen, aber dessen bedurfte es nicht, damit Pater Ignatius seinen Zeitpunkt erfaßte. Dem König, der geschwächt im Bett lag, versprach er mit gebieterischer Stimme das Leben, falls er den Orden wieder einsetzte. Andernfalls täten seine Nachfolger es dennoch, da es nun einmal im Zuge der Zeit liege. Henri sagte nichts, im stillen gab er dem Jesuiten recht, soweit es auf Marie von Medici ankam. Mit dem Zug der Zeit ist es etwas anderes; er kann leichter als eine beschränkte und störrische Frau zum Besseren gelenkt werden. Nur muß man gesund auf festen Füßen stehen.

Die Herausforderung und sein Wille bewirkten, daß sein Kopf auf einmal klar wurde, ja, das Fieber sank fühlbar. Absichtlich seufzte er matt, bevor er bekannte, daß die Lehre des berühmten Mariana von dem Recht, die Könige zu töten, ihn ungemein fessele. »Nicht aus Furcht«, sagte er. »Mir ist oft und unter den verschiedensten Vorwänden nachgestellt worden. Das galt bis neulich als ein Verbrechen, allenfalls als ein kühnes Mittel der Politik. Das erstemal erhebt ein Gelehrter es zum geheiligten Recht. Was geht da vor?«

Der Jesuit neben dem Bett begann zu wachsen. Als er seine ganze schwarze Höhe erreicht hatte, fragte er, zugleich vertraulich und streng:

»Wenn Ihr verstorbener Feind Don Philipp, während er Ihnen am gefährlichsten war, einen Dolch in die Rippen bekommen hätte, würden Sie von Unrecht gesprochen haben?«

»Das ist es«, bestätigte Henri. »Irgendwer wird unserem gewaltsamen Tode immer beipflichten. Heißt das schon Recht, und wer bestimmt es?«

»Nicht wir, wie Sie meinen«, erwiderte der Jesuit. »Sondern das Urteil, das, laut oder leise, von den Völkern gefällt wird; ihr Gewissen; die Zustimmung der gesamten Menschheit -- sie muß allerdings vom Fachmann unterschieden werden.«

›Und der bist du, mein Schurke‹, bedachte Henri, ohne daß er es aussprach. Vielmehr äußerte er, daß die Jesuiten demnach wahre Humanisten wären. Sie erzögen die Menschen, Gut und Böse zu erkennen, sogar bei den Herrschern, und danach zu handeln. Das wäre wahrhaftig ein Fortschritt des Jahrhunderts. »Ich und ihr, wir könnten uns verständigen, da mein Gewissen mich keineswegs zu den Tyrannen verweist.«

»Ihr Gewissen ist prophetisch«, sagte Pater Ignatius. »Sire! Wir Väter der Gesellschaft Jesu sind ausersehen zu Ihren besten Freunden und erblicken in Ihnen unsere einzige Stütze, da der König von Spanien uns verfolgt und demnächst uns seine Staaten verbieten wird.«

Erst diese grobe Lüge zeigte ihm, wen er vor sich hatte, und Henri erkannte das Gesicht des Paters wieder. Vor Zeiten war es dem jungen König von Navarra schon begegnet; es gehörte damals einem verdächtigen Spanier, der sich Loro nannte und vorgab, daß er eine spanische Grenzfestung an den König von Navarra verraten wollte. Die frühe Verkörperung des Paters Ignatius schielte ausgemacht, was an ihrer heutigen nur flüchtig auffiel. Mit klaffenden Nüstern und einer ringsum geschwollenen Stirn war der alte Bekannte kein schöner Mann gewesen. Dieselbe äußere Form wurde bei dem Jesuiten vom Feuer des Geistes durchdrungen, das ändert viel. Dennoch, hier ist wieder der Mann, der einst mit mörderischem Vorhaben in seine Leibesnähe zu gelangen strebte: so sieht Henri.

Inzwischen war er auf dem Lager genug erstarkt, um seinen Beruf auszuüben, und er beginnt mit der treffenden Vergleichung der menschlichen Arten. Im Hintergrund tuschelten de Varennes und Cotton. Ihr Anblick verriet eine diebische Freude, weil Pater Ignatius mit dem König glatt fertig wurde -- während sowohl Henri als sein heuer Freund genau wußten, was jeder von dem andern hielt. Der Jesuit dachte: ›Dich bekommt man nicht durch das Geschwätz, nur durch die Macht, und die will ich dir zeigen.‹ Henri dachte: ›Der Mörder damals wurde von meinen Edelleuten in einen offenen Umgang gestellt. Jeder stemmte eines seiner Beine gegen die Mauer, über die lebenden Schranken hinweg sollte der Mörder zu mir sprechen. Da er nichts vorzubringen hatte außer betrügerischem Geschwätz und auch am nächsten Tage nichts, wurde er erschossen.‹

Pater Ignatius begann von neuem:

»Das Recht auf den Tyrannenmord ist nur ein Gegenstand der Dialektik. Begreifen Sie wohl, daß in Wirklichkeit die Anschläge gegen Ihre Person abnehmen werden, wenn von einem höheren Verstand darüber entschieden wird: das ist unser Orden.«

»Ich begreife«, sagte Henri. »Der Tyrannenmord soll nicht im Belieben der anderen Orden stehen.«

»Wir bieten Ihnen den Schutz gegen die Mönche, Kanzelredner und Laien, sofern einzelne von ihnen sich für erleuchtet halten und ihrer unbedeutenden Person einen höheren Auftrag beimessen. Unsere Art ist das nicht. Wir sind weltlich gesinnt und unterstellen alles dem Verstande, auch die Gewalt.«

»Das ist meine Ansicht«, bemerkte Henri nicht ohne Verwunderung. »Wie will Ihre Gesellschaft die Menschen lehren, richtig zu denken?«

Dagegen fragte der Jesuit:

»Hat der König sich schon einmal Lobes gewußt für das eigene Denken der Menschen? Sie sind nach dem Maß nicht gemacht. Ein großer Mann konnte die einmütige Liebe seines Volkes nie gewinnen, weil es viele Meinungen haben durfte, um so verkehrtere, je persönlicher sie sind.«

»Viel Wahres«, gab Henri zu, sah aber schon, daß er versucht wurde, und alsbald erschien der Pferdefuß. »Was verlangt Ihr Orden?«

»Die Schule. Oh! Kein Privileg. Unsere Kollegien sind so gut, daß in den protestantischen Fürstentümern Deutschlands die ehrbaren Leute katholisch werden, damit ihre Kinder unsere Erziehung genießen. Glauben Sie nur nicht, wir hätten Vorurteile gegen die weltlichen Wissenschaften. Wir stellen Mathematiker an, und Ärzte lehren bei uns die Anatomie.«

»Einverstanden«, sagte Henri. »Was behaltet ihr euch vor?«

»Fast nichts. Latein, wenn Sie wollen. Welche Disziplin es sei, jede gibt uns Gelegenheit, Ihre Untertanen für Sie zurechtzukneten, alle überein, alle in der gleichen und totalen Zucht.«

Henri: »Ihr stellt in der Klasse mein Bild auf einen Altar und brennt Kerzen davor?«

Der Pater: »Wir vermeiden Übertreibungen und scheuen eine anstößige Deutlichkeit. Um es genau zu sagen, ist die Majestät, mit oder ohne ihren Willen, unser Vermittler, damit die Menschen nicht denken, sondern gehorchen. Dies zu ihrem Heil.«

Henri: »Ihr Heil wären Dummheit und Gewissenlosigkeit.«

Der Pater: »Wir sagen: Frömmigkeit, eine freudige Unterwerfung.«

Henri: »So daß sie leben und streiten, ohne zu wissen wofür.«

Der Pater: »Dumm und gewissenlos war das vergangene Jahrhundert mit seinem ungeheuren Stolz auf das Denken, die Erfindungen, Entdeckungen, vielfachen und maßlosen Unternehmen, was alles zu der Wahrheit niemals hinführt. Die freie menschliche Persönlichkeit überhebt sich, bis sie endlich stöhnt auf einem Schmerzensbett, vereinsamt und verbraucht.«

Henri, leise: »Wenn ich Sie in den Turm sperren ließe?«

Der Pater, über das Schmerzensbett geneigt: »Ich müßte es mir wünschen, da ich in dem Turm zur höheren Ehre Gottes säße. Ihnen wünsche ich es nicht. Bedenken Sie wohl, daß wir die Eigenmächtigkeit der Geister bis jetzt nicht ausrotten konnten. Fanatiker dringen überall ein, sogar in den zuchtvollsten Orden. Ein Messer ist bald gezückt. Sire! Für Sie wird es hohe Zeit, daß die Gesellschaft Jesu Ihnen zu Ihrer Sicherheit einen Beichtvater beigibt.«

Die alte Drohung -- mit ihr dachte Pater Ignatius den König allein zu lassen, er trat von ihm fort. Henri winkte ihm, noch zu bleiben.

»In Deutschland«, sagte er, »hat die Gesellschaft Jesu den meisten Erfolg. Es ist recht still dort geworden bis auf die bekannten Mordbanden, der Schrecken der armen Bauern. Indessen könnte man froh sein, daß auch die Klöster enteignet werden. Leider hat das Volk davon nichts, nur die Fürsten und der Adel bereichern sich. Ihr Orden bevorzugt den Adel.«

»Der deutsche Adel ist unser Schwert«, sagte der Jesuit. Er stellte es fest, weder stolz noch bescheiden.

»Ein großer Krieg steht bevor«, sagte Henri, »und der wird eurer sein. Der Krieg gegen die Völker.«

»Aber für die Herren und Fürsten, die nach unserem Willen und Geheiß ihre Protestanten vertreiben wie Kaiser Rudolf. Sire! Sie sind der Allerchristlichste König. Sie lieben die Ihren ohne Unterschied, sogar die Ketzer; Sie wollen ihnen den Glauben und die natürliche Ungleichheit zurückgeben. Mit uns vollbringen Sie es unter der Vermeidung eines grausamen Krieges in Sanftmut und Geduld.«

»Amen«, schloß Henri und verdrehte die Augäpfel aufwärts, wie er es kürzlich bei einem süßlichen Prediger gesehen hatte. »Vöglein, Blümelein«, summte er vor sich hin. »Warum ist gerade mein Volk so wehrhaft?« fragte er plötzlich mit Kraft. »Warum verstehen meine Franzosen das Haupt voll Blut und Wunden als eine Mahnung, stark zu sein?«

»Sie selbst bedürfen vielmehr der Schonung«, bemerkte Pater Ignatius: eine Zurechtweisung, weil der Kranke sich unnütz überanstrengt hatte. Tatsächlich wurde ihm sehr schlecht, er rief de Varennes zu Hilfe, die beiden Jesuiten verließen das Zimmer. Zwischen zwei schmerzhaften Anfällen unterschrieb der König die Verfügung, womit er die Gesellschaft Jesu in das Königreich zuließ. Herr de Varennes mochte sich viel darauf einbilden, aber es war ohne ihn beschlossen. Warum eigentlich, wußte bis jetzt nicht einmal die Gestalt neben dem Bett.

 

Schwäche, Eile und Gewalt

Die Dinge sind bekannt und ausgeprobt. Hat ein Organ des Leibes versagt, es dient schon wieder. Wenn ein neuer Verräter groß auftritt, begegnet er einem erfahrenen König, der hat die Schule des Verrates fertig durchlaufen. Auf die Treue der Frauen wird ohnedies nicht gerechnet. Was werden sie an Unruhe künftig erfinden, die stürmische d'Etrangues, die fleischliche Medici? Werden seine Protestanten, die sehr erbittert waren, ihrem König von Navarra noch einmal in die Arme sinken? Der große Krieg wird wie auf Verabredung von ganz Europa betrieben, damit er nicht ausbleibt. Der König von Frankreich hat seine Jesuiten zurückberufen, um dennoch dem Äußersten vorzubeugen, wie er meint. Wohin kommt er aber mit ihnen? Und wohin kommen sie mit dem König von England, der ihnen unbesonnene Versprechungen gemacht hatte? Das Bündnis der beiden Könige ist einer Sprengung ausgesetzt, nicht anders als man Festungen sprengt. Was Henri alles noch erleben soll -- der Wirbel der Ereignisse fegt durch seine Jahre, die gezählt sind, wie er anfängt zu begreifen.

Der Außerordentliche Gesandte, Marquis de Sully, hätte beinahe einer Seeschlacht beigewohnt. Das englische Schiff, dem er aus Höflichkeit seine Person anvertraut hatte, war drauf und dran, die französische Flotte zu beschießen. Diese hatte das zahlreiche Gefolge des Gesandten in Dover abgesetzt, kehrte um und hißte zu seiner Begrüßung die Lilienflagge -- was von den Engländern als Herausforderung aufgefaßt wurde, da es in den Gewässern ihrer Hoheit stattfand. Der Vorfall, undenkbar unter Elisabeth, belehrte Rosny über die Veränderungen, die seit ihrem Abscheiden vorgegangen waren und ihn am Ziel erwarteten.

Es begann auf der Reise von der Küste nach der Hauptstadt. Die Quartiermacher des Königs von England hatten Zeichen angebracht, wo die französischen Gäste übernachten sollten; aber manche Bürger wischten die Schrift von ihren Häusern. Bei seiner Ankunft in London empfing den Bevollmächtigten des Königs von Frankreich der Salut der Geschütze vom alten Turm, vom Bollwerk, von den Schiffen. Inmitten eines großen Andranges bestieg er die Prachtkutsche und fuhr nach dem Palast des Ordentlichen Gesandten, Grafen Beaumont. Seinen Edelleuten blieben alle Türen verschlossen, sie hätten auf der Straße schlafen müssen. Man gab vor: die Herren, die das vorige Mal mit Marschall Biron hier gewesen waren, hatten überall Streit angefangen, sogar erstochen hatten sie jemand. Der Marquis de Sully erteilte alsbald seinen jungen Leuten eine Lektion über richtiges Betragen. Unglücklicherweise besuchten sie ein Freudenhaus, und dort erstachen sie auch wieder einen.

Gerade diesem Gesandten, dem würdevollsten aller Franzosen, mußte es geschehen. In seinem erbitterten Zorn drohte er dem jungen Raufbold, den Kopf abschlagen zu lassen, der Bürgermeister von London hatte Mühe, ihn davon zurückzuhalten. Indessen vermied er selbst nur durch Zufall den schwersten Fehler. Er hatte beabsichtigt, in tiefer Trauer zum Empfang zu gehen. Mylord Sidney belehrte ihn noch rechtzeitig, daß er der einzige Schwarzgekleidete gewesen wäre. König Jakob und sein Hof hätten es verübelt, besonders der empfindliche Monarch, vormals nur König von Schottland, jetzt auch von England, nicht durch Verdienst: durch Erbschaft. Der Name seiner großen Vorgängerin durfte selbst hier nicht ausgesprochen werden. Sully beschuldigte die Kleinheit der Überlebenden. Der Ruhm der Welt, er vergeht ihr nicht schnell genug: sie stellt sich taub.

Um so unbedenklicher gebrauchte der Gesandte für seine Ansprache an den König im Palast von Greenwich den geschweiften Stil, der jetzt üblich ist, auch Rosny hat ihn erlernen müssen. Er nannte seinen Herrn und die britannische Majestät wahre Wunder von Königen, sie begriffen in sich sämtliche Größe der Neuzeit und des Altertums. Der Vorgängerin hätte er niemals zugemutet, dies anzuhören; man sprach mit ihr geschäftlich oder gelehrt. Er versicherte, über den schmerzlichen Verlust Elisabeths sei sein Herr vollauf getröstet durch die friedliche Thronbesteigung eines Nachfolgers von mehr als menschlicher Seelengröße. Der König von Frankreich, der ihn entsendet habe, mache sich von der Majestät Jakobs einen derart hohen Begriff, daß seine Freundschaft und Verbundenheit weit hinausgehe über das nie getrübte Verhältnis zu der berühmten Königin, die nicht mehr da ist.

Elisabeth fehlt, soviel ist wahr, und alles übrige erfunden. Rosny verstieg sich bis zu der Behauptung, er wünsche diesem Erben mit dem unentschiedenen Gesicht eine ebenso glückliche Regierung wie seinem eigenen Souverän. »Mögen Ihr Szepter und Ruhm immer zunehmen. Nur durch göttlichen Beistand könnte ich beredt genug werden.« Soviel sei zugegeben, die Schmeichelei hat Grenzen, ihr menschliches Maß genügt nicht, einem mißtrauischen Monarchen, der sich selbst nicht glaubt, Vertrauen und Tatkraft einzuflößen. König Jakob war behufs Anhörens der großartigen Ermutigungen von seinem Thron zwei Stufen herabgestiegen. Nach dem Ende der Rede begann er an einer Antwort zu stottern. Gehemmt wurde er nicht durch den Gesandten, dieser hatte die Augen gesenkt, um den armen Erben der Krone England zu schonen. Die eigenen Würdenträger des schottischen Königs faßten ihn schärfer ins Auge, je schwerer er sprach. Es waren noch dieselben Diener der alten Königin, sie waren geneigt, besonders Mylord Cecil, den fremden Herrscher seine Zufälligkeit und Verwaistheit fühlen zu lassen, von auswärts übernommen wie er war, all seine Kraft von der Toten erborgt. Vor ihnen mußte er immerfort Prüfungen ablegen, weshalb er stotterte. Um so beflissener griff er nach den Papieren, die der Marquis de Sully ihm hinaufreichte.

Es waren eigenhändige Briefe des Königs von Frankreich. Der König von Schottland und England bemerkte wohl, daß hier keine geschweiften Sätze mehr standen, sondern die Gegenstände wurden benannt, sie hießen Holland, Hilfstruppen gegen Spanien, ihr wohlberechneter Betrag. Darüber glitt der Unsichere hin, war nur froh, daß er sein Gesicht in die Schriftstücke versenken durfte; ja, aus aufrichtiger Dankbarkeit für den Gesandten und sein rettendes Papier hätte Jakob am liebsten gleich alles zugesagt. Hatte er doch auch der Gegenseite, seinen gefälligen Jesuiten, versprochen, soviel sie verlangten. Indessen, unter dem Blick von Mylord Cecil ging es nicht an, wurde dem König auch späterhin nicht völlig erlaubt. Die Handschrift seines Bruders von Frankreich ermutigte ihn wenigstens zu dem Ausspruch, daß er für die Person des Königs Henri eine wahre Leidenschaft hege, und habe diese nicht etwa in Schottland vergessen.

Unvermittelt verlegte er sich auf theologische Punkte, griff dann zur Jagd und zum Wetter. Rosny, der kein Jäger war, rühmte die Meisterschaft seines Herrn auf diesem Gebiet wie auf allen. Dachte vermittels des Umweges endlich der Politik näherzukommen, was aber fehlschlug. Der feierliche Empfang blieb ohne Ergebnis. Mithin erbat der Gesandte ein Gehör unter vier Augen und machte es dringlich, da er wußte, daß Philipp der Dritte von Spanien der britannischen Majestät mit Angeboten eines Bündnisses hart zusetzte. Jakob der Erste schien durchaus gewogen, er lud den Gesandten zu einem Gottesdienst, nachher kam unfehlbar wieder die Jagd daran, und den Rest des Gespräches lieferte die übermäßige Hitze des Sommers.

Mit dem Ordentlichen Gesandten durfte Rosny am Tisch des Königs essen, sie beide als einzige Gäste. Den Herrscher bediente man erstaunlicherweise auf den Knien. ›Das ist auch die einzige Art, wie er herrscht‹, bedachte Rosny. ›Zu melden hat er nichts.‹

Nächsten Tages kam zu Rosny der Gesandte der Vereinigten Niederlande, Barneveldt; er stellte ihm die verzweifelte Lage seines Volkes vor. Ostende ist unmöglich noch länger zu halten, als seine heldenhafte Verteidigung gegen die spanische Übermacht schon währt, das sind zwanzig Monate. Die Holländer bedürfen einer Verdoppelung ihrer Kräfte an Truppen und Geld.

Barneveldt: »Gebt sie uns! O helft uns! Seht ihr nicht, daß die völlige Vertreibung der Spanier aus unseren Provinzen über das Geschick des Erdteiles entscheidet?«

Rosny: »Der König von Frankreich will einzig noch des englischen Bündnisses versichert sein, alsbald zieht er ins Feld.«

Barneveldt: »Als aber die große Elisabeth in Dover auf sein Zeichen wartete und sah vergebens nach ihm aus --«

Rosny: »Ihre Zeit ist abgelaufen. Ihr Nachfolger wird beim Essen auf den Knien bedient, und so herrscht er. Mein König herrscht anders. Ein frommer Mann wie Sie begreift dennoch, daß die Verfinsterungen unseres freien Willens von Gott gewollt sein müssen. Sogar den Verrätern erlaubt der Höchste, dazwischenzutreten, damit wir Guten aufgehalten werden und um so mehr Festigkeit erlernen.«

Barneveldt: »Begreifen Sie auch, warum England den Feinden seiner Religion und Freiheit erlaubt, die Küste gegenüber zu erreichen?«

Rosny: »Aus Friedlichkeit, zweifellos. Überdies ist Spanien eine erschöpfte Macht, deren letzte Zuckungen weniger gefährlich erscheinen. Mein König -- er vor allem soll an der Küste gegenüber nicht stehen, und auf dem Kontinent sollen zwei Mächte, die erschöpfte und die lebende, einander ausgleichen, so daß ewig Krieg ist. Hier nennt man es den europäischen Frieden.«

Barneveldt: »O sagen Sie den Räten des Königs Jakob, sagen Sie seinem Parlament die Wahrheit, die Sie besitzen. Mylord Cecil hält sich für einen echten Freund des Friedens.«

Rosny: »Glauben Sie? Aufrichtig ist König Jakob, weil er gar keine Macht hat, ausgenommen natürlich die kniefällige Bedienung.«

Erst diese Aussprache, mit der er scheinbar der Vernunft eines anderen beisprang, hat Rosny selbst recht aufgeklärt. Nachher hat er tagelang die britischen Herren über alle wissenswerten Umstände unterrichtet mit seiner gewohnten Logik und einer Beredsamkeit, gestützt von Ziffern. Hat es sich nicht verdrießen lassen, daß die Herren eigentlich nichts wissen wollten, sondern hörten ungeduldig fort von seiner Herzählung der Lasten, die ein Angriff von Seiten des verzweifelten Spaniens dem König von Frankreich auferlegt hätte. Zu Wasser und Land müßte er gleichzeitig alle seine zahlreichen Grenzen verteidigen. Spanien und seine Vasallen sind überall. Seit Kaiser Karl dem Fünften bedroht ein einziges Haus in seinem Drang nach der universalen und totalen Macht die Völker Europas und jedes freie Land.

Das zu sagen, ist Rosny angehalten, es steht in seinem Auftrag. Gleichwohl ist er darauf gefaßt gewesen, daß die Bedrängnis und Zerrissenheit des Kontinentes hier nicht empfunden wird, sondern erscheint entlegener als die Neue Welt. Das war gerade die vereinzelte Größe Elisabeths, daß sie mit Europa gefühlt und gedacht hat -- eine alte Frau, die junge vermocht es noch nicht. Schwül ist Herrn de Rosny geworden, als die Gegner seinen weltpolitischen Vortrag kurzweg abbrachen, um zurück auf Ziffern zu greifen: diesmal ihre eigenen. Das sind die Schulden, die der König von Frankreich in diesem Lande gemacht hat, zu der Zeit der vorigen Königin. Kein britischer Soldat wird das Festland betreten, bevor die Schulden nicht bereinigt sind bis auf den letzten Rest.

›Um Gottes willen‹, hat Rosny bei sich ausgerufen. Der Friedensfreund Lord Cecil hat laut die Stimme erhoben. Seine Majestät von England denke nicht daran, sich für die Generalstaaten von Holland zugrunde zu richten. Wenn diese nicht zahlen könnten und auch der König von Frankreich nicht, dann bliebe man eben gut Freund, aber ohne Bündnis, keines für die Verteidigung und erst recht für den Angriff keines. ›Um Gottes willen‹, hat Rosny bei sich gebetet. ›Daß ich sie doch erleuchten könnte! Es geht um ihren Bestand wie um unseren. Sie reden von Schulden. Die Gesellschaft Jesu ist zugelassen auch hier, sie selbst haben Spanien schon im Land. Treiben aber Schulden ein.‹

Auf das weite Feld des Kapitals und der Zinsen gestellt, mußte er mit den Räten Seiner Majestät tagelang handeln. Er behauptete, als Mitglied des Finanzrates sei er von den Absichten des Königs von Frankreich unterrichtet. Da in Wirklichkeit nur Rosny allein die Leistungsfähigkeit des Königreiches genau übersah, beantragte er jährliche Raten in mäßiger Höhe, damit für einen Krieg genug übrigbliebe. »Wollte Seine Britannische Majestät meinem Herrn alle Lasten und Opfer des Krieges allein überlassen, was zu glauben ich standhaft ablehne, da die Weisheit und Großmut König Jakobs mich eines Besseren versichern, dann erwartet doch niemand, daß mein Souverän bei so drohenden Umständen die Staatskassen entblößt.«

Doch. Die Räte des Königs von England bestanden darauf. Der Gesandte erklärte ihre Hartnäckigkeit mit ihrem Wunsch, fester zu sein als ihr schwacher Herr: dies im Sinne der vorigen Königin, den sie durchaus verkannten. Er beschloß, Jakob ausführlich zu belehren, da niemand sonst ihn in die politischen Grundsätze seiner berühmten Vorgängerin einweihte. Rosny hat auf ein außerordentliches Stück Arbeit gerechnet. Die folgende Unterredung ist aber getragen von einer verzauberten Leichtigkeit, wer hätte es geahnt. König Jakob nimmt den Gesandten bei der Hand, führt ihn in sein Kabinett, läßt die Türen schließen und bittet ihn, rückhaltlos zu sprechen. Das ist für Rosny das Zeichen.

Er hat dem ratlosen Erben die ganze Wahrheit gesagt. Er hat nicht gefürchtet, die große Frau ins Feld zu führen -- sie hätte sich verbeten, daß alte Schulden abgewogen werden, wenn in der anderen Schale die Freundschaft der beiden Königreiche liegt. Über die glaubhafte Wahrheit hinaus hat Herr de Rosny vor den geblendeten Augen Jakobs etwas funkeln und schillern lassen: es heißt Unsterblichkeit. Er hat geredet zwei ganze Stunden, dann hat Jakob selbst ihn ersucht, den Vertrag aufzusetzen gleich hier. Das war nicht nötig, Rosny trug den Entwurf in der Tasche. Jakob mit eigener, königlicher Hand machte Änderungen von keinem Belang; es sollten gerade nur Änderungen sein, da ein Herrscher soeben seinen Beruf erfaßt hat -- wenn auch höchstens für diesen Tag und eine Stunde. Rosny hat sich nichts vorgemacht und sein Glück nicht über Gebühr gepriesen. Genug, daß Jakob den Entwurf vorerst billigt, ja, sogleich befiehlt er zu sich die Minister, damit sie seinen Willen erfahren.

Mylords Cecil und Montjoie, die Grafen von Northumberland und Southampton vernehmen aus dem Munde des Herrschers, daß er alle Gründe des Marquis de Sully reiflich erwogen hat. Sein Beschluß ist, auf dem Gebiet der auswärtigen Politik immer im Einverständnis mit dem König von Frankreich zu verfahren. Beschlossen ist ein enges Bündnis der beiden Königreiche gegen Spanien. Still! Nicht darein reden! Ich befehle. Seine königlichen Rechte und Versicherungen aller Arten bietet er den Herren Staaten von Holland. »Nun, Herr Gesandter, sind Sie jetzt mit mir zufrieden?«

Rosny küßt die Hand, die ihm allzu plötzlich erstarkt scheint. Er dankt warm und in geschweiften Sätzen. Das blieb in England seine letzte Rede. Von allen zusammen öffnete sich an seinem Mund die Wunde, empfangen hatte er sie bei Ivry: eine alte Schlacht, ein Sieg, der nachhaltig gewesen war. Mehrere Tage eines heftigen Fiebers, dann durfte er dem König Jakob zum Abschied aufwarten, erhielt von ihm eine prachtvolle Kette, Gold mit Edelsteinen, dauerhafter als Verträge, und ein Handschreiben, das der König dem Gesandten mitgab, bescheinigte seinem Bruder von Frankreich, daß er ihm ein tiefinneres Wohlwollen erwiesen habe durch die Entsendung des Marquis de Rosny. So glücklich war Jakob gewesen die Zeit über.

Seinerseits verteilte Rosny die kostbarsten Geschenke, dem König sechs Pferde von edelster Dressur, der Königin einen venezianischen Spiegel, der Kasten aus Gold und Diamanten. Bedacht wurden sogar die Staatssekretäre, die den Vertrag nach Kräften unterbunden hatten; dafür bekamen sie die anmutigsten Gegenstände wie für galante Damen. Mit dieser ironischen Anspielung schied der Gesandte. Sein Herr erwartete ihn ungeduldig, er war ihm sogar entgegengereist.

Nach einer stürmischen Überfahrt und der Nacht in der Postkutsche fand Rosny den König unter Bäumen mit den Herren de Villeroy, de Bellièvre und Soissons. Der erste wird alles, was der Gesandte berichtet, nach Madrid weitergeben. Der zweite verschweigt seine Bedenken. Der dritte, als Vetter des Königs, darf sie aussprechen. »Wenn Herr de Rosny sich mit den Engländern so nett versteht«, sagte der Graf von Soissons, »dann hätte er mehr heimbringen müssen als leere Versprechungen, gesetzt, daß er auch die nur bekommen hat« -- eine offene Verdächtigung. Aber der Vetter des Königs erlaubte sie sich, Rosny konnte sie nur einstecken, Henri antwortete selbst. Es ist leicht mäkeln, so beschied er die Herren, wenn ein anderer getan hat, was menschenmöglich ist. Würde doch keiner mehr erreicht haben. Er selbst sei es zufrieden.

In Paris sprachen sie sich wieder, der König und sein Großmeister. »Was glauben Sie nun wirklich?« fragte Henri.

»Sire! Daß es nicht gut ist, wenn ein fremder König durch Erbschaft und ohne Kampf seinen neuen Thron besteigt. Ich hab es erkannt, als mir vom vielen Reden am Mund die Wunde aufging: die hatte ich aus Ihrer Schlacht bei Ivry.«

»Kein Verlaß?« fragte Henri. »Weder Sicherheit noch einige Hoffnung?«

»Wir wollen beständig der Vernunft helfen, zu siegen«, behauptete Rosny. »War es lange vergeblich, Sie und ich wissen aus wohlerworbener Kenntnis, daß die Vernunft mit ferneren Fristen rechnet als die Widernatur, denn diese hat es eilig, weil sie schwach ist.«

»Schwach, eilig«, sprach Henri beiseite. »Daher zur Gewalt geneigt.«

Das folgende Jahr bewies tatsächlich die Neigung der Schwäche zur Gewalt. Dem König von Frankreich bot der König von Spanien ein Bündnis an mit dem Ziel einer gemeinsamen Landung in England, das sie erobern sollten, und auszurotten wären alle Protestanten. Henri meldete dies dem König Jakob. Inzwischen fiel Ostende. Vierzigtausend Mann hatte Spanien unter den Mauern der heldenhaften Stadt verloren. Da endlich General Ambrosius Spinola als Sieger einzog, erschrak König Jakob überaus. Der Plan der Mächte, auf seiner Insel zu landen, hatte ihm zu allem Entsetzen gerade noch gefehlt. Dem König Henri, so aufrichtig dieser ihn warnte, vertraute der Ärmste nicht mehr als sich, selbst. Das Bündnis mit der gewalttätigen Schwäche, das Henri zurückgewiesen hatte, Jakob ging es ein. Den französischen Vertrag hatte er immer verzögert. Dem König von Spanien gab er eilends das Papier.

Er denkt wohl das Schicksal aufzuhalten. Gegen Schwache, die es eilig haben und daher gewalttätig sind, helfen keine Zugeständnisse. Spanien will als Leichnam herrschen, ausgeblutet siegen, und verzichtet auf seine spätesten Opfer weniger als auf die ersten. Den Vortrupp und Henker hat es in dem ausersehenen Land schon stehen. Das sind die englischen Väter der Gesellschaft Jesu, von denen unter einem König Jakob nichts Gutes zu erwarten ist, gewiß keine Milde und auch Vorsicht kaum. Man müßte ein anderer Mann sein. Hier hat König Henri sie gleichfalls zugelassen; warum, weiß nur sein Rosny. Dem Parlament von Paris, das Vorbehalte macht, aber die hat es auch gegen das Edikt von Nantes lange behauptet -- seinen Rechtsgelehrten antwortete Henri: »Vielen Dank, Ihr tragt Sorge um mich und meinen Staat. Indessen, den Widerstand gegen die Jesuiten betreiben zwei Gattungen von Personen: erstens die von der Religion und dann die Geistlichkeit, nur soweit sie unwissend und sittenlos ist. Die Sorbonne kennt die Väter nicht, sie hat sie verurteilt -- mit dem Erfolg, daß ihre eigenen Hörsäle leer stehen. Alle schönen Geister wenden sich nun einmal den Jesuiten zu, dafür achte ich sie.«

Somit berief er sich auf ihre Zeitgemäßheit, ihren Erfolg. Weiter behauptete er, daß sie eine Lehre vom Tyrannenmord überhaupt nicht besäßen. Seine eigenen Attentäter hätten ihnen niemals nahegestanden, besonders Chastel trotz seinen Aussagen nicht. Wieviel glaubte er von dem allen selbst? Er hat seinem Rosny gestanden, daß er gefährliche Menschen lieber im Lande hätte als hinter den Grenzen, wo sie eine romantische Anziehung bekämen und gewännen hier drinnen verliebte Schüler, die sich ihnen verschwören und freiwillig den Staat unterwühlen, bis das Pulver ihn sprengt. Ordentlich zugelassen, entfalten sie eine offene Tätigkeit.

»Ihre Schulen sind musterhaft. Sie behandeln allerdings die adeligen Schüler besser. Mich haben sie um mein Herz gebeten als Reliquie für ihre Kirche. Liebt mich, denn ich liebe euch, so sind wir gesonnen.«

Rosny meinte, es könnte Maske sein. Diese selbstlose Hingabe an die Kleinsten hätten nicht einmal die ersten Jünger unseres Herrn Jesus aufgebracht bei aller ihrer Unschuld, von der ihren späten Nachfahren nichts zu glauben wäre.

Henri nannte seinen Großmeister einen unverbesserlichen Protestanten. Wo doch die Väter schwirrten und düftelten, Vöglein, Blümelein. Ernst sprach er: »Ich kenne meine Feinde. Die Gesellschaft Jesu ist der Agent der Weltmacht, die mich verschlingen will. Bleibt nur übrig, ihnen zu zeigen, daß mein Rachen furchtbarer ist. Großmeister, fahren Sie meine Kanonen durch die Straßen.«

 

Der Frauenhändler

Kanonen sind nicht das unfehlbare Mittel, wenn überall der Verrat, in immer neuer Gestalt der Verrat schleicht. Eine Frau, die der König braucht und nicht entbehren will, wird zum Werkzeug seiner Feinde. Am Anfang hatte seine Marquise um des schärferen Reizes willen leichthin die Verschwörerin gespielt -- in derselben Absicht tanzte sie vor ihrem Anbeter Schlangenhaft bis zum Verlust der letzten Bekleidung. Seit der Zulassung gewisser Väter duldet man keine halbe Komödie. Mach Ernst, meine Schöne, sonst hüte dich. Du wärest noch vor ihm verloren. Weißt du wohl, wer wir sind? Wir haben viele Namen: Spanien, Österreich, Papst, Kaiser, das Geld und die Gesellschaft Jesu, was alles noch nichts besagt. Ein namenloser Wille redet Sie an, Frau Marquise. Das Urteil des Jahrhunderts ist gegen die Völker gefallen, und darum gegen diesen König. Ob sie begreifen oder nicht, sie sollen dienen.

›Frommer Vater, wie schrecklich. Dachte ich doch, es bliebe noch lange beim Spiel und Tanz. Ich hab ihn gehaßt für das ungültige Eheversprechen: aber sehen Sie mich nur an, ich bin nicht ganz bei Trost. So etwas sagt man, aber tut es nicht. Wie? Ich? In voller Wirklichkeit? Ich verstehe Sie nicht, nur daß ich sonst -- Und wenn ich ihm stehenden Fußes Ihre schändlichen Anträge hinterbrächte? Nein. Kein Wort mehr, vergessen Sie mein letztes. Ich will leben. Ich gehorche, damit ich leben darf.‹

Henriette d'Etrangues war zu weit gegangen. Nach dem Fall von Ostende zog die namenlose Weltmacht sie vollends in ihr Verhängnis, die ganze Familie half mit. Die d'Etrangues liehen ihren Namen der Verschwörung, als sie dann aufgedeckt war. Der Marschall, ein Schwächling, und sein verbrecherischer Sohn d'Auvergne wurden recht klein in dem folgenden Prozeß; Henriette blieb tapfer, sie bestand auf ihren Rechten. Sie habe das Versprechen des Königs; ihre Kinder seien die einzigen echten. Ihn töten? Ach Gott! Was hat sie denn gewußt und was gewollt. Ihr eigener Bruder wälzt alles auf sie ab. Sie weinte insgeheim. Ihre Richter bat sie stolz um Gnade für ihren Vater, einen Strick für ihren Bruder, und sie selbst verlange nur Gerechtigkeit.

Der »Strick« war von ihren Forderungen die auffallendste. Henri, der nicht töten mochte, spürte jedem seiner gestürzten Feinde bis in das Innerste nach. Diese Frau hat an ihm mehr gehangen, als sie wissen wollte in ihren guten Tagen. Da sie es endlich eingesteht, hörbar für ihn allein, gerade jetzt soll es aus sein mit ihr und ihm. Nein. Er begnadigte den Alten, ließ den Sohn einsperren, und die gefährliche Mätresse schickte er in ein Kloster. Hätte er sie nur dort gelassen und bei einer anderen vergessen. Das gelang ihm nicht; welche andere hat ihren leichten, höhnischen Witz, die sprunghafte Laune und so viel Anmut in der Ausgelassenheit, die Kunst, alles zu wagen, ohne daß es die Selbstachtung kostet: welche hat bis zur Vollkommenheit, was Henri französisch nennt.

Genug gebüßt, er holte sie zurück. Das machte auf sie den unglücklichsten Eindruck: lieber hätte sie die Verlassenheit ertragen als eine Liebe, die sich nicht beherrscht. Er tat mehr, er anerkannte ihre Kinder. Was half das, »ihr Dauphin«, wie sie sagte, blieb vom Thron ausgeschlossen. Herr d'Etrangues mußte als Preis für sein Leben das schriftliche Eheversprechen ausliefern. Der Mann, der sie demütigte, je mehr er sie erhöhte, wurde ihr jetzt erst in Wahrheit verhaßt. Sie bekam ihre Wohnung im Louvre; seitdem hatte er unter seinem Dach die tiefste Bosheit von allen. Wer sonst seinen Tod wünschte, war wenigstens noch bei Trost; jeder behielt vorerst das Bewußtsein, eine Krankheit läge in der Luft, die Pest der Verschwörungen, und aus bloßer Anfälligkeit stimmte man im voraus zu, daß ein großer König fiele.

In seinem Louvre haßten sie einander, die Königin, die Marquise, die beiden Vettern der Königin und der ungebührlich schöne Concini. Aber seine zwergenhafte Frau, die Milchschwester, übertraf noch die anderen. Alle zusammen rechneten mit dem Tode des Königs, was längst kein Grund war, sich gegenseitiges Leben zu gönnen. Man erwartet jeden Morgen, daß Madame de Verneuil ermordet in ihrem Bett liege. Die Königin ist außer sich, weil der König die Bastarde der Marquise mit ihren eigenen Kindern erziehen läßt, übrigens auch mit den Sprößlingen der reizenden Gabriele: er will seinen gesamten Nachwuchs unter den Augen haben. Dem Dauphin ist eines Tages die Geburt eines neuen Bruders angekündigt worden; die Mätresse seines Vaters hat noch ein Kind bekommen. »D-das ist n-nicht mein Bruder«, sagte der Dauphin, ein kleiner Stotterer.

Der Dauphin Louis verehrte Henri, er folgte ihm in den Dingen, die man nicht tun soll, Wein in die Suppe gießen, sich nachlässig kleiden. Er ahnt, was Erwachsene von seiner Außerordentlichkeit nicht einsehen wollen, und eine unverstandene Begeisterung bewegt das Kind. »Der König, mein Vater.« Auch Louis hat schon damals gehaßt, am meisten die Kavaliere seiner Mutter, nächst dem sie selbst -- in vergeßlicher Art natürlich, zwischen dem Kuß auf ihre Hand und dem Schlag, der seine Wange traf. »Herr Sigisbée -- er hatte aufgefangen, wie die dienenden Kavaliere der Damen genannt werden; »hüten Sie sich, Herr Sigisbée, bei der Königin einzutreten. Drinnen ist der König, mein Vater.« Als der schöne Herr lachen wollte und sich herausnahm, dem Jungen den Kopf zu streicheln, befahl der Dauphin dem nächsten Türsteher, ihn durchzuprügeln. Einiger Lärm erfolgte, bevor der Edelmann entwich. Die königlichen Eltern sahen ihn noch laufen, als sie auf die Schwelle traten. Henri freute sich über das Mißgeschick des glänzenden Concini.

Marie von Medici verbarg aus Grundsatz jedes Gefühl, besonders wenn es liebenswürdig gewesen wäre. Dauphin Louis empfing eine schlagfertige Bestrafung -- seine Frau Mutter hätte ihn eher loben dürfen. Concini war ihr verhaßt geworden, da sie endlich begriffen hatte, daß sie vermittels seiner Schönheit zum Narren gehalten wurde von ihrer Milchschwester: die aber fürchtete sie abergläubisch. Leonora Galigai wohnte in einem oberen Geschoß, allein und unzugänglich, obwohl gemunkelt wurde, nächtlich geistere sie. Ihr ganzes Sinnen war Geld, sie häufte es an und schaffte es in ihre Heimat für den Fall der Flucht. Geeignet, sie zu bezahlen, waren offenbar die Feinde des Königs, der unbestimmbare Verein, der in Ermangelung eines treffenden Namens »Spanien« hieß. Ohne ihre bestochene Milchschwester wäre Marie bei gewissen Unternehmungen schwerlich zur Mitschuldigen geworden. Sie hätte Concini nicht angehört, wenn nicht ihre Leonora ihn abgesandt hätte -- bis an den Rand des Bettes, nicht weiter. Im Gegenteil hätte sie in den Armen ihres Gatten die fremden Aufträge vergessen, die Agentin der Weltmacht wäre sie gegen ihn nicht lange geblieben, da er ihr schöne Kinder zeugte und mehr noch anbot, sein Herz.

Man wohnt dem Wachstum des Hasses bei. Droben haust eine Wahnsinnige, unsichtbar aus Furcht vor dem bösen Blick. Unterhalb liegen nebeneinander eine Frau ohne Geist mit bösem Gewissen und der Mann, dessen Geliebte sie vielleicht gewesen wäre. Er hat es seinem Rosny anvertraut. »Sie ist die Mutter meines Dauphin, und war sie nicht die Königin, nur sie sollte meine Geliebte sein.« Dahin konnte es niemals kommen wegen des bösen Gewissens und zufolge dem angewachsenen Haß. Marie ließ ihren Gatten nicht schlafen, sie langweilte ihn mit ihrem verhaßten Sigisbée, dem aufgeblasenen Schönling, der aber verfettete und eine weibliche Brust bekam, davon zu schweigen, wieviel Geld er sie kostete. »Mich auch«, sagte Henri. »Wirf ihn hinaus«, sagte Marie, in schrecklicher Furcht, er könnte es tun. Ihre unheimliche Milchschwester hätte sie dem Beichtvater angezeigt, oder ihr eine Krankheit in den Leib gewünscht. Vergiften war nicht leicht, jedes Gericht mußte von den Mundoffizieren öffentlich geschmeckt werden, bevor die Majestäten davon nahmen. Dennoch aß die Königin nicht oft mit dem König; sie hatten sich meistens gezankt, dann behauptete Marie allerdings, daß sie in Gefahr wäre. Gift? Und von diesem König? Man schüttelt die Köpfe. Niemand ermißt die Bitterkeit des Gewissens, wie es aus den Eingeweiden steigt und Marie im Hals würgt. Durch ihre Nächte gehen die Schatten von Mördern ihres Gemahls, sind ihr nicht bekannt, aber unbekannt auch nicht. Er schrickt auf, wenn sie aus dem Schlaf schreit.

Oftmals bemitleidete er sie wegen der Schreckensherrschaft der Milchschwester -- deren Macht ihm selbst gewisse Vorteile brachte; sie beseitigte den Einfluß der Vettern Orsini. Nachgerade wagten weder Virginio noch Paolo,, allein und ohne öffentliche Aufsicht das Zimmer der Königin zu besuchen: für ihr Leben hätte niemand viel gegeben. Sie waren ausgediente Liebhaber und fristeten bei Hof ein glanzloses Dasein, so gefährlich sie sich anstellten. Man wußte: sie fürchteten Herrn Concini, einen Kapaun, der zu den Frauen nicht ging, sondern mit ihnen handelte. Für die Königin hatte er politische Käufer, die ihn und seine Zwergin reich machten. Von anderen Damen bezog er Renten dafür, daß er ihnen den König zuführte. Der König selbst war langsam im Zahlen.

Aber er hatte einen Kunstgriff entdeckt, Concini für sich zu gewinnen. Erfaßt man eine leere Seele nie, dann hielt er sie wenigstens hin, er machte das Geschöpf noch eitler, als es schon war. Wenn der Junge seiner geizigen Zwergin oder der eigenen Frau des Königs einige Moneten abgeluchst hatte, erdreistete er sich, dem König ein Geschenk anzubieten, schöne Pferde, und der König nahm sie. Sire! Was für ein edles Tier Sie reiten. -- Von Herrn Concini. Und nach den Pferden die Frauen. Der Louvre war voll von Schönheiten: eine schlief genau über dem Kabinett des Königs. Diese gewisse Nacht lag er hinter den vergoldeten Schranken in seinem Bett, da die Königin ihr Zimmer versperrt hatte. Kratzt jemand leis an seiner Tür: Concini. »Sire! Sie gaben der Dame oben einen Wink, den sie aus bloßer Ehrfurcht nicht verstehen wollte. Ihr gehorsamer Diener hat sie über ihre Fortuna belehrt, alle Sprödigkeit ist gefallen dank meinem fachmännischen Eingriff. Ein Mann wie ich macht in den Dingen der Liebe einen Arzt ohnegleichen. Diesem gewähren Sie natürlich die Gebühren.« Mit ausgestreckter Hand: »In der Höhe, die ein König ehrenvoll findet.«

Abgemacht, wenn auch ohne Bargeld, und sie traten den Weg an, traulich vereint der König mit dem Frauenhändler. Die dort oben stand übrigens im Einvernehmen mit Henri. Madame de Guercheville, Ehrendame der Königin, haßte alle Intriganten, die hier eingenistet waren: die Marquise mitsamt ihrer tiefen Bosheit und das gemeine Paar, dem jede Sache nur um Geld ging. Sie hatte mit dem niederträchtigen Concini zum Schein um eine Liebesnacht gefeilscht; in Wirklichkeit suchte sie die verschwiegene Gelegenheit, dem König auszuschütten, soviel sie für ihn gesammelt hatte, die Geheimnisse der Königin und ihrer Milchschwester, was diese mit ihrem schönen Gatten auskochte, oder die Marquise mit dem Beichtvater. Madame de Guercheville gefiel dem König, anders hätte kein Concini ihre Fortuna in Lauf gesetzt. Damit sie sehen sollte: er ist es und hat sich seinen Lohn verdient, öffnete Concini bei ihr das Schloß, denn ihm widerstand keines; ließ den König eintreten und seinerseits verschwand er. Sie sprach, indessen Henri vor ihrem Bett saß. Er fand sie klug und ergeben. Als ihm einfiel, sie auch begehrenswert zu finden, sagte sie, kaum merklich zitterte ihre Stimme:

»Sire! Sie haben mich vergessen. Lang ist's her, da lud ich Sie an einen Tisch mit vielen Gedecken aber ohne Gäste. Aus Schwäche, weil ich Sie sonst erhört hätte, ließ ich Sie in dem leeren Schloß allein. Auf der Flucht vor meinem Herzen hab ich bitterlich geweint. Ich hieß La Roche-Guyon, Sie haben mich vergessen.«

»Unter tausend nicht!« rief er. »Hätte ich Sie denn zu der Ehrendame der Königin gemacht? In Ihrer Gestalt zuerst, Antoinette, bin ich der Tugend begegnet. Was hör ich jetzt, Tränen flössen damals um mich.«

»Sire«, sagte Madame de Guercheville, »die Frauen, die sich Ihnen verwehren, sind gerade darum die treuesten.«

»Ein grausames Urteil, das Sie über mich fällen«, erwiderte er wohl, freute sich aber, in seinem Louvre, dessen Ruf es nötig hatte, eine enthaltsame Person zu wissen. Sie hat sich schön gemacht; die Locken schimmern, die Augen glänzen, es spiegelt der aufgestützte Arm. Im Ausschnitt des Nachtkleides heben sich und beben Reize, die verzichten wollen -- gerade dies der seltenste Reiz. Der König hält eine Hand der Tugend ehrerbietig in der seinen. Die Kerzen scheinen mild. Hier ist eine gute Stunde.

Eben dieselbe war übel für Marie von Medici. Hinter ihrer versperrten Tür hatte sie belauscht, was bei Henri vorging. Die Schliche des Gauners Concini erlaubten keinen Zweifel. Marie irrte nur in betreff der Person, zu der ihr Gatte alsbald aufbrach. An die ehrenhafte Guercheville dachte sie nicht. Zuerst ließ sie genug Zeit vergehen, daß ein sittenloses Paar den Grund seines Beisammenseins nicht mehr ableugnen kann. Hierauf eilte die Königin, unterwegs verlor sie einen Pantoffel, suchte ihn nicht erst im Dunkeln -- heftig drang sie in ein Zimmer, es war unverschlossen. Die Marquise de Verneuil saß auf ihrem Bett und las. Sie lächelte, es war wohl ein komisches Buch trotz seiner Größe und Schwere. Die Marquise lehnte es gegen ihre erhobenen Knie, darüber hinweg begrüßten ihre witzigen Augen dies aufgeregte Weib: den plumpsenden Gang hatte sie längst erkannt, auch den Pantoffel davonfliegen gehört.

Der Anblick der Königin übertraf ihre Erwartungen. Eingewickelte Locken, die Augen noch törichter von der ratlosen Wut, das unbefestigte Fleisch der Alternden in ihren durchsichtigen Hüllen, diese aber bestickt und beblümt wie für unschuldige Mädchen. Henriette d'Etrangues hätte wahrhaftig ihren Platz mit niemand getauscht.

Die Königin, ein Ächzen der Rachsucht, ein hohes Gewimmer dazwischen, so stapfte sie hierhin und dorthin ungleichen Schrittes, ein Pantoffel, ein nackter Fuß. Als sie zuletzt den Wandschirm umgeworfen hatte, ohne daß jemand hervorkam, stemmte sie die Fäuste in die Hüften. »Wo ist er?« heischte sie.

»Wer?« fragte die Marquise lieblich.

›Das Buch! Hinter dem Folianten wird sein Kopf auftauchen.‹ Marie stürzte darüber her. Henriette sagte ernsthaft: »Aufgepaßt. Madame, er ist in dem Buch, gleich wird er reden.«

Marie blinzelte, sie vermißte ihre Brille, endlich bekam sie heraus: ein lateinischer Kirchenvater. Da sprach auch schon ihr Gatte, von Henriette trefflich nachgeahmt: »Mit Frauen Verkehr haben, heißt innen und außen Staub sein.«

Marie war erschrocken. »Verlegen Sie sich auf die Zauberei«, keifte sie. »Gelehrte Hure!«

»Dicke Bankiersfrau«, gab Henriette zurück, scheinbar in Ruhe und Sicherheit, bereitete aber unter dem Schutz des Folianten ihre Flucht vor. Als Marie zuschlug, traf sie die leeren Kissen. In dem Gäßchen zwischen Wand und Bett tanzte und lachte die Verrückte. Marie traf Anstalten, ihr beizukommen: schnell griff die andere nach unten und schwang ein Ding, das funkelte. »Ah!« machte Marie. »Das sind Sie. Es ist ererbt. Ihre Frau Mutter hat einen Pagen erstochen.«

»Wir erstechen Pagen, aber keine ehrwürdigen Damen« -- hiermit ließ Henriette den Dolch wieder verschwinden. »Meine Mutter hat König Karl den Neunten geliebt, bevor Herr d'Etrangues sie heiratete. Auch sie war eine gelehrte Kurtisane. Meine Herkunft ist die Ihre wert, Madame. Wir haben denn auch denselben Mann und jede ihren Dauphin. Meiner ist der echte.«

Da begann die Verfolgung. Marie mit aller Leiblichkeit setzte über das Bett, Henriette glitt schlank darunter weg, und dann tobte sie frei in dem Zimmer umher. »Da bin ich, wer fängt mich«, sang sie, indessen Marie nach Luft rang. »Eins-zwei«, zählte die junge Person. »Madame, Sie sind besiegt.« -- »Gnade!« keuchte Marie.

Sie lag erschöpft im Sessel. Die Feindin hatte ihre Blöße bedeckt, voll demütigen Anstandes kniete sie vor der Königin und reichte ihr Wein. »Stärken Sie sich. Niemand im ganzen Schloß denkt weniger daran, Ihnen etwas einzumischen, als gerade ich. Sie hatten mich erschreckt, mein Kopf geht leicht verloren. Wir könnten uns verstehen. Sie und ich, beide haben wir dem König viel vorzuwerfen.«

»Verraten Sie mir, was Sie wissen«, verlangte Marie. »Zu dieser Stunde geschieht ihm etwas. Sie saßen wach und warteten.«

Furchtbare Ahnungen befielen die Arme auf einmal. Die Angst ihres Gewissens entstieg den Eingeweiden und würgte sie im Hals. Henriette genoß ungeheuer. »Er ist entführt«, bekannte sie sanft. »Endlich. Beide haben wir genug daran gearbeitet.«

»Nicht ich!« schrie Marie.

»Auch ich nicht. Beruhigen Sie sich«, sagte Henriette. »Aber man muß den Mut seiner geheimen Gedanken haben -- die gelehrte Kurtisane, erst recht die Königin.«

Marie war jetzt seitwärts über die Lehne gesenkt, den Kopf zwischen den Armen. Ihr Körper zuckte heftig, dann weniger, zuletzt gar nicht.

»Sie dürfen hier nicht einschlafen«, bat neben ihr die knabenhafte Stimme. »Madame, bald ist Ihr öffentliches Erheben. Ich werde mich einstellen und Ihnen aufwarten, Staub wie ich bin außen und innen.«

Den Weg zurück machte die Königin gestützt auf die Marquise. Diese fand den Pantoffel und bekleidete den Fuß der Majestät.

 

Was geht hier vor?

Der Superintendant der Finanzen und Großmeister der Artillerie bekam zu seinen Ämtern ein neues: das Auswärtige. Minister blieb Herr de Villeroy, durfte nicht einmal wissen, daß Rosny beauftragt war, ihm nachzuspüren. Dies war aber geboten, weil Villeroy, nicht gerade Verräter, nur ein Freund des spanischen Bündnisses, vor dem Hof von Madrid keine Geheimnisse hatte und auch vor dem Erzherzog in Brüssel keine. Der König und sein Rosny rüsteten für den Krieg, obwohl sie auf Eroberungen nicht bedacht waren. Die Weltmacht will es selbst nicht anders. Sie zerfällt in sich, aber dem Krieg immer weniger gewachsen, wütet sie dennoch gegen den, Frieden. Sie tut es in der Art der Gezeichneten, die zuletzt noch sich ausstürmen, ein überspannter Betrieb, die hungrigsten Ansprüche auf Land, obwohl man schon zuviel Raum hat. Spione läßt man durch fremde Gebiete wimmeln und verbreitet aufdringliche Lehren, die bei den anderen die Ordnung retten sollen; das ist nur die Ordnung von gestern und löst sich auf, höchst unanständig gerade bei den Rettern. Die Rechtlosigkeit und verfälschten Begriffe in Deutschland mußten nach aller Voraussicht ausarten und übergreifen, sie versprachen dem Erdteil einen unabsehbaren Krieg.

Ein König, der sein wohlgepflegtes Königreich vernünftig ausgestalten will, erwartet nicht müßig den Angreifer aus Schwäche und seinen Krieg, der ein maßlos verlängerter Verfall wäre. Er kommt zuvor. Ein kurzer Schnitt bricht die Vergiftung ab. Jan Willem, Herzog von Cleve, Jülich und Berg, war ohne Erben. Starb er nächstens, den Anspruch auf seine Länder erhob Habsburg; die kaiserlichen Lehen wären eingezogen worden. Der König von Frankreich aber veröffentlichte seinen Beschluß, daß weder Österreich noch Spanien die Nachfolge haben sollten. Das war die Warnung, seine erste, und er knüpfte sie an den gegebenen Vorwand: die Herzogtümer begehrte er nicht. Er begehrte einen Frieden nach seinem Sinn und hatte den Vorteil, daß es der Sinn der Völker war. Es kommt darauf an, mit ihnen übereinzustimmen. Alle haben einiges Glück, entweder zu verlieren oder zu gewinnen. Die Tatsache besteht, daß sie auf den König von Frankreich, Henri, achten und ihre eigenen Fürsten oftmals messen an seinem Ruf. Die Angelegenheit der kleinen rheinischen Herzogtümer wird nur darum ihren späteren Umfang erreichen.

Blickt man nach Spanien, das ganz nahe ist, in den spanischen Niederlanden herrschen ein Erzherzog und eine Infantin -- die Völker schaudert es. Der Infantin zu Ehren ist eine Frau lebendig begraben worden, mehr braucht niemand zu wissen. Hier hat eine Art von Mächtigen das Menschenleben noch nicht entdeckt: sie haben das ganze Jahrhundert der Entdeckungen überschlagen, es war das ehrenvollste des Abendlandes. Ihr eigener Dünkel erhält sich auf Grüften, in die sie Lebende versenken. Der König von Frankreich gewinnt seinen Krieg im voraus, blickt man nach Spanisch-Niederland. Indessen beweist er wie je seine Friedfertigkeit, pflegt weiter sein Königreich wie einen Garten; ja, er vermittelt ein Abkommen der Vereinigten Provinzen von Holland mit ihrem Feind in Brüssel. Als ob nichts wäre, verkehrt die Prinzessin von Oranien am Hof der Infantin, zwei Damen der höchsten europäischen Gesittung. Die eine versteht die Gesittung als Bekenntnis und eigenes Opfer. Die andere befolgt das Zeremoniell und die Mode, trägt Ketten aus goldenen Kugeln mit Düften gefüllt; das Opfer ist nicht ihre Sache, die lebendig Begrabene hat es ihr bringen müssen, ihrem Gewissen ist wohlgetan. Personen der beiden Arten leben bis jetzt nebeneinander an demselben Hof, und denselben Boden bewohnen Völker, die nichts gemein haben außer dem Bauch. Der König von Frankreich gewährt ihnen Zeit, obwohl er rüstet.

Was will er? Das ist die mißtrauische Frage, aber eine eindeutige Antwort läßt er nicht zu, da er draußen Frieden stiftet, drinnen mit seinen Jesuiten im Einvernehmen steht; überdies behält er den Minister Villeroy, der spanisch gesinnt ist. Jetzt trat ein störender Vorfall ein, da Herr de Rosny sein neues Amt genau nahm. Er überführte einen Schreiber des Ministers Villeroy. Dieser selbst blieb aus der Sache, er sollte nun einmal kein Verräter sein. Dennoch fand er es sicherer, daß der Zeuge verschwände; daher wurde dieser Schreiber aus der Seine gefischt, war aber nicht ertrunken, sondern erwürgt. Bald danach kam der erste Januar, frühmorgens erschien Rosny mit seinen Festgaben im Zimmer der Königin, wo die Majestäten noch ruhten. Bei schwacher Beleuchtung sprach er seinen Glückwunsch und reichte, wie üblich, zwei Börsen hin; sie waren voll Spielmarken aus Gold und Silber. Der König nahm die erste. Als nach der zweiten niemand griff, bot Rosny sie ausdrücklich der Königin an. »Madame, hier ist noch eine für Eure Majestät.«

Sie antwortete nicht, inzwischen erkannte Rosny, daß sie den Rücken herwendete. Der König, ungehalten: »Geben Sie's mir. Sie schläft nicht, sie ist wütend. Die ganze Nacht hat sie mich nur gequält, auch Sie sind schlecht weggekommen.« Damit führte er seinen guten Diener in sein Kabinett und beklagte sich bitter über Marie, die Auftritte, die sie ihm machte, und ihren schwierigen Charakter. Natürlich wußten beide, daß vor allem ihre Gesinnung zu wünschen ließ. Wäre sie zu bessern gewesen? Rosny gab seinen Rat auf Umwegen, er beklagte die übermäßigen Zuwendungen an die Marquise. Diese hatte ihn in seinem Arsenal besucht, um ihm den Hof zu machen: sie wollte sicher sein, daß er ihr wirklich auszahlte, was der König bewilligt hatte. Der Großgeldbewahrer war nach ihrer Meinung eigens eingesetzt, um ihre Ansprüche zu befriedigen. Vergeblich, ihr klarmachen zu wollen, daß der König all das Geld nicht aus seiner eigenen Tasche nimmt, sondern Kaufleute, Handwerker, Bauern nähren ihn und uns alle. »Ein Herr genügt ihnen. All die vielen Verwandten, Vettern und Mätressen mit unterhalten, das wollen sie gar nicht.« So hatte Rosny wörtlich zu der Marquise gesprochen und wiederholte es dem König.

Eine Lehre für den König: beide wußten, daß sie begründet war und gleichwohl nichts ändern konnte. Aber einige Verstimmung wird sich davon ansammeln zwischen zwei Männern, die zuletzt doch nur einander haben. Beichtvater Cotton, ein Jesuit und von schlauer Einfalt, beunruhigte den König wegen des Schwindens seiner Volkstümlichkeit. Die Schuld hatte, wenn man Cotton hörte, der harte Eintreiber ungerechter Abgaben, der nur an das Anhäufen dachte und den König zu der Todsünde des Geizes verführte. Das erschüttert Henri, der den Ruhm haben will, daß sein Volk nicht schwerer, sondern glücklicher lebt. Seiner Marquise, die sich über den Minister beschwert, gibt er unrecht; dennoch bleibt etwas zurück. Der König macht an der Verwaltung der Finanzen schroffe Ausstellungen; übrigens sind sie die reine Wahrheit. Die königliche Wirtschaft ist durch Rosny ehrlich geworden und gerade darum hart. Es hilft nichts, das Einkommen des Staates gut zu verwenden, wenn man vorher die einzige Kuh einer armen Familie entführt. Eine Lehre für Rosny: wieder wußten beide, daß sie begründet, aber umsonst war.

Cotton roch Morgenluft; er versprach seinen Oberen, der König wäre reif, seinen unbestechlichen Protestanten fortzuschicken; dann wäre er wahrhaftig allein und in ihren Händen. Rosny wehrte sich, er machte Cotton lächerlich. Seine findige Polizei hatte ihm ein Schriftstück zugespielt, darin richtete der Beichtvater allerlei Fragen an den Teufel; durch den Mund einer Besessenen sollten die Antworten ergehen. Rosny veröffentlichte den Betrug; dieser erschien kindisch, und über dem Gelächter, das sich erhob, vergaß man, welcher Gegenstand mit dem Bösen eigentlich verhandelt wurde. Die Frage war der Tod des Königs.

Damit sein Fehler ganz verdunkelt wäre, ließ Cotton sich selbst ermorden oder machte eigenhändig in sein Fleisch einen leichten Schnitt, den der Hof und die Stadt auf Rechnung des Protestanten Rosny setzten. Dies hören, und Henri eilte in das Arsenal, er umarmte seinen guten Diener. »Wären Sie mörderisch veranlagt, bei diesem Dummkopf von Jesuiten würden Sie nicht anfangen.« Rosny war dessen nicht so sicher, gleichwohl ergriff er die günstige Stunde. »Sire!« sprach er dringend. »Sie und ich, wir erkennen den Ernst hinter den lächerlichen Vorgängen.«

Henri: »Man wollte uns trennen: das ist ernst genug.«

Rosny: »Gemeint ist Ihr Krieg. Nicht auf Ihren Finanzminister, auf Ihren Großmeister war es abgesehen.«

Henri -- stößt seinen Fluch aus: »Ich glaubte wahrhaftig, diesmal wären es der Wolken genug, in die ich mich gehüllt hatte.«

Rosny: »Ihre Erscheinung tritt daraus hervor, ob Sie wollen oder nicht, und bleibt für immer dieselbe. Es fällt auf, daß Sie aus heißer Liebe zu der Gesellschaft Jesu alle Ihre Protestanten von sich entfernt haben; soweit geht König Jakob nicht, und Ihnen traut man weniger. Es wäre natürlich, sie zu versöhnen.«

Henri: »Daß die Zeit gekommen wäre! Die von der Religion haben mich mit Biron verraten.«

Rosny: »Vergessen Sie! Beeilen Sie sich! Wer sieht denn voraus, wie bald eine protestantische Armee Sie schützen und Ihre Herrschaft retten muß.«

Henri: »Dahin, meinen Sie, soll es wieder kommen? Zugegeben, daß die spanische Gesinnung sich erdreistet und ich habe sie um mich her. Gleichviel, Sie beaufsichtigen Villeroy, ich -- die Königin. Davon schweige ich, aber Sie wissen noch mehr als ich.«

Rosny -- schnell: »Die Ehrfurcht verbietet mir, hier zu prüfen. Ich bilde mir ein, daß die Frau des Königs in seiner Größe ganz befangen und nur auf sie bedacht ist. Übrigens hat keine Person Ihres Hauses und Hofes die wirkliche Macht, den Feind in das Land zu rufen. Der Verschwörer sitzt in seiner Stadt mit Wall und Tor. Er hat Truppen und hinter sich die Grenze. Mein ein und alles, Sire: der Herzog von Bouillon soll fallen und muß sterben.«

Henri: »Großmeister, bei Ihnen sterben mir die Leute zu leicht. Wäre die Königin klüger als Sie? Die Königin liebt keinen Ketzer: diesen will sie schonen. Sagen Sie selbst, ob Ihr Mittel das rechte wäre, meine Protestanten zu versöhnen, Biron, den sie mir nicht verziehen haben, war keiner der Ihren. Dieser ist es.«

Rosny: »Um so eher wollen sie die Kraft ihres Königs erblicken und daß er noch immer ihr König von Navarra ist, Sire! Mit Nachsicht allein ist wenig getan, am wenigsten bei unserem harten Geschlecht der Hugenotten.«

Henri: »Sie sagen es. Wären die in La Rochelle danach beschaffen und ließen mich in ihre Festung gutwillig ein, ich möchte zu ihnen reisen. Den Alten leg ich die Hand auf die Schulter und erinnere sie an die ersten Mühen und Arbeiten, das waren ihre und meine, sind bis heute die besten geblieben.«

Der Minister verstand die letzten Worte des Königs als seinen Befehl, den er eifrig entgegennahm. Er gehorche, er eile geradenwegs zu der folgenden Zusammenkunft der protestantischen Abgeordneten. ›Seht! Ich verkünde euch die Ankunft unseres Herrn -- hin als Minister nur einer von euch, der aber die Nähe des Königs genießt und über ihn Bescheid weiß. Der König verleugnet nichts, er hat nichts verlorengegeben, weder die gemeinsame Sache noch den Kampf um sie‹ -- »der nie aufhört«, sprach Rosny machtvoll, als wäre er nicht mehr in seinem Arsenal mit einem einzigen Zuhörer, sondern stände schon in der Stadt Chatellerault vor der Synode.

Henri wiederholte: »Der nie aufhört.« Er legte den Finger an die Lippe. Sein Krieg, der gute Krieg, der früher kommen soll als der unheilvolle. Wir warten, machen uns bereit und schweigen.

Der Minister hatte vorgesorgt und den König bewogen, ihn selbst zum Gouverneur von Poitou zu machen: in dieser Provinz liegt der Ort der Zusammenkunft, Chatellerault, und auch La Rochelle, die Festung am Ozean. 1605, den fünften Juli, brach er auf, nicht gerade allein. Der Gouverneur nahm auf die Reise fünfzehnhundert Reiter mit, da er entschlossen war, seinen Glaubensgenossen mehrere harte Wahrheiten zu sagen. Die Synode empfing ihn mit Ehren, wie nur den Vertreter des Königs. Rosny hatte aber nie geglaubt, daß sie Verräter sein könnten. Wenn ihre unvollkommene Natur es zugelassen hätte, ihre festen Plätze waren zu schwach, und das Edikt von Nantes gewährte sie ihnen nur noch diese Weile. »Behaltet sie ruhig ein wenig länger«, sagte der Minister ihnen. »Euch ist daran gelegen, dem König gar nicht. Indessen will er eure Beschwerden nicht mehr hören, denn die kennt er, ihr aber kennt seine Pläne nicht. Besonders sollt ihr nach seinem Willen alle Verhandlungen meiden, nicht nur mit seinen fremden Feinden, auch mit den Städten und Herren im Königreich, deren Treiben ihm nicht recht ist.« Diese nannte Rosny beim Namen -- der eine, den alle im Sinn hatten, ging unscheinbar mit hin; sie aber begriffen, daß die Stunde gekommen war, sich zu entscheiden für ihren Herrn und Gefährten von jeher. Da sagten sie ja und amen zu allem, was sein Gesandter, ihr Bruder im Bekenntnis, ihnen abforderte.

Nach der Tagung schickten sie ihm allerdings ihre Einflußreichsten, darunter Herrn Philipp de Mornay; nun, gerade diesem wurde von Rosny der Kopf gewaschen, anstatt daß er Abschwächungen des königlichen Willens erreichte. Wie? Seine Stadt Saumur hat Mornay dermaßen befestigt, daß sie allein achttausend Soldaten stillegt. Unsinnig -- ohne Geschütze wie die Werke sind. Daß die Herren doch insgesamt ihre Truppen vereinigten! Ständen diese jedenfalls bereit! »Die furchtbarsten Feinde eures Königs verstecken sich noch«, sagte Rosny. War er auf mehr gefaßt, als er aussprach, und nicht allein die bekannte Verschwörung eines Bouillon hatte ihn hergeführt?

Er ließ nur ahnen. Bewußt sollte ihnen werden, daß auf sie gerechnet wurde beim Eintreten einer namenlosen Gefahr, wenn ein vergifteter Kelch das Land und Volk gelähmt hätte: es vernahm aber den unvergessenen Schritt der hugenottischen Regimenter, da ging der Kelch vorbei. Merkwürdig, der unbeugsame Minister, ihr Bruder im Bekenntnis, der von ihnen nur forderte, die Aufgabe ihrer Vorrechte und öffentliche Freiheiten, sogar ihre Sicherheit -- gerade er bestärkte sie in dem Glauben an ihren König. Wie weit die Arbeiten des Lebens mitsamt seinen Versäumnissen ihn und sie schon trennten, in seiner unwandelbaren Gestalt werden sie ihn nochmals unter sich haben. Komm, unser Henri! Die Festung La Rochelle läßt dich ein, und brächtest du die zahlreichste Armee mit, wir machen ihr die Tore weit, von der Mauer reißen wir dreihundert Ellen weg!

 

In La Rochelle

September, da kam er selbst, und war in seinen hugenottischen Landen ein mächtiger Jubel, still untermischt mit Tränen. Um ihn zu sehen, stiegen die Einwohner von La Rochelle auf Dächer, Bogen und auf die Masten im Hafen. Die Glocken läuteten für ihn, ihr Klang war der bekannte. Desgleichen hatten sie angeschlagen, als er mit blonden Haaren hier einzog und war soeben aus der Gefangenschaft der alten Katharina entwichen. Damals hatte er die Vorsicht gebraucht, sein erzwungenes Bekenntnis abzuschwören und das ursprüngliche anzunehmen, dann erst zeigte er sich seinen Glaubensgenossen. Heute empfangen sie ihn, wie er ist, mit allem, was ein ernstes Leben aus ihm gemacht hat, seine Haare und Bart sind weiß geworden vor der Zeit. »Der Wind der Unbilden ist über sie dahingegangen«, erklärte er seinen ältesten Gefährten, als sie nachher zusammen im Saal saßen, siebzehn Tafeln, je sechzehn Gedecke.

Der junge Nachwuchs staunte ungemein, als er leibhaft vor sich die Gestalt aus Sagen hatte. Sie hebt das Glas, wischt ihren Mund, sie öffnet groß die Augen. Dieselben Augen haben bei Ivry den Feind auf der Stelle gebannt, daß er mit allen seinen Lanzen anhielt, bis die Unseren über ihm waren. Dieselben Augen bewahren das Bild aller Menschen im Königreich, seit heute auch meines. Ich bin darin, die schönste Frau, die jemals gelebt hat, ist darin bewahrt. Sie war von der Religion, er ist es heimlich selbst, vergiftet haben sie ihm die reizende Gabriele. In seinen Augen verweilt das Bild von Toten: nicht groß und ernst genug können sie sein für alle, die nur in ihnen noch lebendig sind. Wir selber leben, weil er so sehr gekämpft hat. Dies der junge Nachwuchs, der aber nicht stundenlang staunte, sondern war bald vertraut mit dem außerordentlichen Gesicht, gab die Befangenheit auf, besprach seine täglichen Sachen, stritt und lachte. Der und jener sprang hin, den König nahe anzusehen. Wer es wagte, küßte seine Hand, und wer kühn wurde, bat ihn um ein Wort.

Henri und seine alten Gefährten zählten einander. Sie waren guten Mutes, da sie beisammensaßen und der Gang der Welt hatte sie übriggelassen; kamen dennoch oft auf ihre Toten zu sprechen. Diese sind nachgerade zahlreicher als wir, wenn die Haare weiß werden vom Wind der Unbilden. Der jüngste Tote bei denen von der Religion war Herr de la Trémoille, ein Mensch zum Lachen, noch sein Gedächtnis hätte erheitern können. Als Freund des Herzogs von Bouillon war er dem König verhaßt geworden und hatte rechtzeitig das Feld geräumt, bevor er gefangen war. Über seinen Namen wurde schnell hingegangen. So ist es, nach ihrer langen Trennung müssen der König und seine Protestanten manchen Toten ruhen lassen.

Von diesem abzulenken, hatte besonders Agrippa d'Aubigné seine Gründe. Er fragte: »Gibt es denn Tote oder nur Abwesende?« Agrippa behauptete, daß sie aus ihrem Aufenthalt sich ankündigen könnten, ja, es wäre unleugbar, daß einige zurückkehrten. An dem Tag, als sein jüngerer Bruder fiel, hatte Agrippa zwischen zwei Kameraden auf Stroh gelegen und laut sein Gebet gesprochen. Bei den Worten »Und führe uns nicht in Versuchung« empfing er drei Schläge von einer breiten Hand, so vernehmlich, daß seine beiden Kameraden hochkamen und ihn ansahen. »Bete nochmals«, sprach der eine, und als er es tat: bei den gleichen Worten dieselben drei Schläge von der Hand seines Bruders, wie Agrippa nachher wohl zugeben mußte, da er ihn tot auf dem Schlachtfeld fand.

Henri sagte: »Agrippa, du bist ein Dichter. Nicht jeder, dem ein geliebtes Wesen stirbt, fühlt es eine Meile davon, geschweige zwanzig.«

Hierbei dachte er an Gabriele, ihren letzten Tag, da sie noch lebte, er aber beweinte sie schon und keine drei Schläge hatten ihn bewogen, hinzueilen.

Agrippa, in Sachen des Übernatürlichen immer auf Seiten der Allmacht: »Den Hauptmann Atis hatten wir ganz gewiß mit militärischen Ehren begraben, dennoch ist er nachts in sein Bett geglitten, leise, leise; er war kalt; durch das Fenster zog er wieder ab. Sollen die Theologen entscheiden«, schloß er, enttäuscht durch das Schweigen.

Henri schwieg, nicht weil ihm unheimlich geworden wäre: er bemerkte im Gegenteil, daß er nichts mehr empfand bei dem Bericht von Vorzeichen und wunderbaren Begebenheiten, die ihm einst Gleichnisse bedeutet hatten oder noch etwas darüber hinaus. Er betrachtete den unschuldigen Haudegen, der innig auf das Fortleben bedacht war und die gewagteste Geschichte für wahr nahm aus Furcht vor dem Tode. Das Gewissen Agrippas warnte ihn gleichwohl, daher waren die bewußten drei Schläge jedesmal bei denselben Worten erfolgt: Und führe uns nicht in Versuchung.

Der alte Kriegsgefährte mochte sich nicht schämen, lieber lachte er und sagte, den Theologen hätten sie zur Hand, Philipp Mornay sei der rechte. Henri befragte diesen wirklich um seine Meinung; da aber Mornay die Gespenster ganz beiseite ließ und eine Abhandlung über die ewige Seligkeit vortrug, genau und emsig wie nur ein Laie, der die Wissenschaft von Gott besitzt -- hörte Henri ihm wenig zu. Er sann, den Kopf in die Hand gestützt, ringsum lärmte das Bankett.

Er betrachtete, wo er war: unter den Teilnehmern seiner unfertigen Jugend, am alten frommen Ort, die Gefährten vertraut, und über ihm kein Baldachin. ›Die scheinbare Wiederkehr unserer frühesten Verfassung, während wir sie aus unserem wirklichen Abstand kaum noch erkennen -- weder ihren unbesonnenen Mut noch ihre Schwäche. Wir mußten alt werden, bis das Messer seine Schrecken verliert. Erst heut und hier stellt sich heraus, daß die Furcht um das Leben uns losläßt. Was nun die ewige Seligkeit betrifft, ihr Sinn will uns nicht mehr erscheinen. Beides, Verlust der Lebensangst und der zeitlosen Hoffnungen, ist traurig. Man wird traurig und nüchtern, je mehr getan ist, lauter unvollkommene Werke.‹

Halb weggewendet erblickte er durch ein Fenster das Bollwerk im Hafen, das hatte er schon zu den Zeiten seiner lieben Mutter Jeanne betreten, ein Fünfzehnjähriger. Nacht war, die Wellen rollten damals wie heute mit Macht, prallten an, schlugen über, und ihr Gebrüll war die Stimme einer Weite, die ihn nicht kannte, im Wind aber schmeckte er eine andere Welt: die sollte frei sein vom Haß und Zwang, vom Bösen frei. Seitdem sind Seefahrer und Kolonisten des Königs wirklich hinübergesegelt, haben Schiffbruch erlitten, auf wüsten Inseln haben sie das Leben gefristet. Die Zurückgekehrten lassen darum nicht nach, sie fordern eine neue Flotte, jetzt erst sind sie durchdrungen von ihrem Recht, ihrer Bestimmung, und zu scheitern fürchten sie nicht.

›Nichts fürchten, ist eigentlich die Abkehr, wie wir selbst erfahren. Die Abkehr hat eingesetzt unmerklich. Wann? Man hat es vergessen. Man weiß nur: der Kampf, in dem wir fallen sollen, ist bei weitem der letzte nicht, und nach uns geht er weiter, als wären wir dabei. Ich glaube, daß der Krieg, den ich rüste, nottut. Fall ich aber vorher, es macht nichts aus, ich bliebe immer unvollendet. Dies ist, mitten im Dienst, die Abkehr.‹

Als er derart betrachtete und sann, wurden die anderen von seinem Anblick gerührt -- verstanden selbst nicht, warum. Unser König von Navarra, sagten sie einander stumm an Stelle wörtlicher Erklärungen. Mit weißen Haaren haben wir ihn zurück. Agrippa d'Aubigné war der erste, dem die Augen übergingen. Mornay unterbrach seine Rede von der Ewigkeit, und Agrippa neigte sich über: »Sire, wenn ich Ihr Gesicht sehe, werd ich vorlaut wie einst: Öffnen Sie doch von Ihrer Weste drei Knöpfe, haben Sie die Gnade und sagen mir, was Sie bewogen hat, mich zu hassen.«

Henri erbleichte, woran sie sicher wahrnahmen, sein Gefühl werde sprechen. »Habt ihr mich nicht verraten?« fragte er. »An Biron nicht genug, habt ihr es sogar mit Bouillon gehalten. Ich kenne deine Briefe an seinen Freund de la Trémoille, dessen Stimme lächerlich quäkte. Der ist gestorben, er quäkt und verrät fortan in Ewigkeit.«

Erwidert Agrippa: »Der Selige war soviel schwächer als Sie. Sire, von Ihnen hab ich früh gelernt, auszuharren bei den Verfolgten und Bekümmerten.«

Umarmt Henri den unschuldigen Haudegen und spricht: »Die von der Religion sind tugendhaft für ihre Verräter mit.«

Da war alles im reinen zwischen dem König und seinen Protestanten; zum Abschied schüttelten sie einander die Hände.

Indessen war Mornay bei Tisch wortkarg gewesen, außer seiner Abhandlung über die ewige Seligkeit: die hatte Henri traurig gemacht. Er verweilte nunmehr mit Herrn Du Plessis-Mornay allein in dem Saal, der sich leerte, und der Abend kam. Unter der Tür sahen mehrere Verspätete ein letztes Mal um. Dem König blieb gewiß das Wichtigste zu besprechen übrig, da er die Vertiefung eines Fensters aufsuchte mit seinem alten Ratgeber, dem Ersten aller Protestanten, man nannte ihn ihren Papst. Da setzten die Nachzügler der zweihundert Tischgenossen ihre Füße leicht und schlossen die Tür unhörbar.

Henri führte Philipp an der Hand bis zu dem Fenster, trat vor ihn hin, er prüfte das alte Gesicht: wie ist es nur klein geworden unter der übermäßig angewachsenen Stirn. ›Die Augen blicken vernünftig; wir halten uns aufrecht, ungeachtet gewisser Anfälle wie damals mit Saint-Phal. Sie blicken erfahren, aber abendlich: von dem Mann hier sind Kühnheiten nicht zu erwarten. Als wir jung waren, mein Königreich Navarra, fragwürdig nach seiner Natur, hatte in ihm den verschlagenen Diplomaten, stark genug durch seinen Sinn für die Wahrheit, daß er alle Lügner überführen konnte. Zeiten, wo seid ihr; aber gerade damals fürchteten wir am meisten das Messer, wie nur die Unbewährten, die äußerst begierig auf ihre Werke sind und haben noch alle zu versäumen.‹

»Philipp, haben wir genug erreicht?«

»Sire, was Ihnen zugedacht oder auferlegt war. Wollten Sie erkennen, daß unser Herr mehreres andere weder verlangt noch zuläßt?«

»Wissen Sie, Herr Du Plessis, daß ein großer Krieg in der Welt sich vorbereitet?«

»Von Ihrem Rat bin ich ausgeschlossen. Den Ratschluß des Herrn begreife ich infolge bestandener Prüfungen. Mich brennen neue, offene Wunden und die letzte steht bevor.«

Was raunt der Mann im Dunkeln? Die Stirn wird gesenkt, sie verdeckt das Gesicht. Mornay erhebt sie wieder, er spricht deutlich: »Erhalten Sie den Frieden der Welt für Ihre Lebenszeit. Sire, sobald Ihr Atem stillsteht, sind Sie Ihrer hohen Verantwortung entbunden, sie kehrt zu Gott heim.«

»Das wäre alles?« fragte Henri. »So sieht deine Unsterblichkeit aus? Philipp, deine ewige Seligkeit?«

Da keine Antwort, nur ein Seufzer folgte, hätte Henri sich abgewendet. Dennoch sagte er:

»Sie haben Ihre Kenntnis Gottes erstaunlich bereichert. Sie sprechen von ihm zu gelehrt, daß er wie einst Ihr Herz erfüllen könnte. Wir begegnen uns heut auf Erden nochmals, Sie aber haben nichts im Sinn als Ihre Dialektik der Ewigkeit.«

»Mein Sohn ist beim Sturm auf Geldern gefallen«, sagte Mornay klar und schlicht. Henri zog ihn an sich. »Armer Mann!«

Ihre Hände blieben lange ineinander verschränkt. Ihre Augen gingen nicht über. Mornay wird später seine Betrachtung »Tränen« schreiben. In Wirklichkeit weint er nicht, und auch Henri nur noch bei den schwächeren Anlässen. Die entscheidenden finden ihn gewappnet.

»Ihr einziger Sohn«, sagte Henri mit Nachdruck. Es konnte heißen: wozu Ihr Glaube.

Mornay, immer schlicht: »Ich habe jetzt keinen Sohn und darum auch keine Frau mehr.«

Was er meinte, fragte Henri. Ob Madame de Mornay die böse Meldung schon habe.

»Sie weiß nichts«, sagte der Geschlagene. »Bei mir traf heute der Bote ein. Ich selbst muß ihr die Nachricht bringen: die überlebt sie nicht. Dann bin ich geschieden von beiden, die mich erhielten -- und das Wiedersehen sollte nicht stattfinden?«

»Sie haben die innere Gewißheit.«

»Die hab ich nicht.« Dies im erhobenen Ton. Gleich wieder nüchtern: »Charlotte wird nicht nur von mir gehen, sie wird es gewollt haben. Mich befallen große Befürchtungen, daß die Liebe endet und mit ihr alles, besonders das Versprechen der Seligkeit.«

»Freund, wir haben nichts zu fürchten«, sagte Henri. »Ich weiß es seit heute und segne deshalb meine Reise nach La Rochelle. Am Schluß wird eine Stimme sprechen: Wir sterben nicht -- was aber einfach heißt, daß wir das Unsere getan haben.«

Mornay hielt dies für das letzte Wort des Königs, ein Erschrecken seines Herzens benachrichtigte ihn. Er verneigte sich und trat fort. Der König befahl zum Abschied:

»Wenn Ihre Voraussage eintrifft, ich will wissen und genau von Ihnen aufgezeichnet haben, wie Madame de Mornay gestorben ist.«

 

Der Dank

Die Rückreise des Königs ergab erst den wirklichen Gewinn seines Aufenthaltes. Die Garnison von La Rochelle geleitete ihn bis zu dem nächsten festen Platz der Protestanten; dort rückte wieder die Besatzung aus, um das folgende Stück Weges mit ihm zu machen. Über Land herbei ritten Edelleute gleich welchen Bekenntnisses, die wollten ihn nicht versäumen; aber manche Strecke fuhr sein Wagen im Schritt wegen des Andranges von Volk. Die Leute mischten sich unter seine Truppen, sie sprachen davon, ihn bis nach seiner Hauptstadt zu bringen. Er deutete für sich allein, was sie meinten. Sie selbst fanden weder den Sinn noch den Ausdruck.

Kaum war Henri zurück in Paris, flog von London her die Nachricht des versuchten Anschlages gegen König Jakob. Unter dem Palast von Westminster lag Pulver angehäuft, es war noch entdeckt worden. Sonst waren alle Versammelten zerstückelt, der König, die Prinzen und Pairs, das ganze Parlament; von der Krone Englands wäre nichts übriggeblieben. Die Unmengen Pulvers hätten genügt, Stadtteile einzureißen. Es war bisher die mörderischeste Tat des Jahrhunderts. Nun weiß man, wer mit seinen Lehren unsere Zeit unsicher macht. Wer unter unseren Füßen wühlt, wer die Mittel, uns alle in die Luft zu sprengen, herstellt und in jeden Staat der Christenheit einführt, solang er noch frei ist. Die Geduld der freien Völker erleichtert ihren Feinden die Arbeit -- davon zu schweigen, daß diese überall Mitschuldige haben und daß die Regierungen schwanken.

Ohne viele Worte war es ausgemacht, daß die Gesellschaft Jesu gehandelt hatte, und hinter ihr Spanien. Eine Macht, die schon besiegt ist, aber noch nicht genug, kann es nicht lassen. Vernunft und Bescheidenheit lernt sie weniger, aber um so mehr die List und das Verbrechen. Eine neue Kampftruppe geht aus der alten Macht hervor, geistliche Soldaten, wenn es vom Geist ist und soldatische Tugenden darstellt, daß man mordet. Der Jesuit Mariana hat das Recht gelehrt, Könige zu töten. Seine Schüler in England sind fleißig gewesen, das zeigen weniger ihre Bücher. Vor den Anschlägen kommen dennoch die Bücher; König Henri war falsch beraten, als er gegen seine Rechtsgelehrten die Rückberufung der Väter verteidigte, sie wären unschuldigen Herzens.

Allerdings überbieten hierzulande die Kinderfreunde ihre Liebe für die Kleinen, während anderswo nach dem ersten Schrecken das Pulver fortgeräumt wird. Vöglein, Blümelein, wir sind es nicht gewesen, sondern das puritanische Parlament tagt von selbst auf Pulverfässern. Angenommen indessen, der König von Frankreich hätte euch ohne Aufsicht gelassen wie Jakob. Er wäre mit seinen Protestanten weiter zerfallen, käme nicht geradeswegs von seiner Reise, die eigentlich eine Besichtigung seiner Heere war, und die stehen bereit. Auf den Streich von Westminster wäre einer hier gefolgt. Aber durch die Hauptstadt des Königs rasseln die Kanonen seines Großmeisters.

Henri erwartete ihn in der Stunde, als der »Pulveranschlag« ihnen beiden bekannt wurde. Nach dem gewohnten Wesen des besten Dieners wäre er alsbald in die Tür getreten, um seinen Herrn daran zu erinnern, wer ihn nach La Rochelle geschickt hatte, wem er es danken mußte, daß der Verein der Königstöter vor ihm haltmachte. Der Tag verging: kein Rosny. Unauffällig ließ Henri im Arsenal nach ihm fragen. Der Minister arbeitete wie sonst. Henri dachte: ›Er verlangt meinen Besuch oder seine Ernennung zum Herzog und Pair. Die pünktliche Abrechnung gehört zu seinen Tugenden. Mir haben aber schon viele das Leben gerettet und sind nicht einmal Hauptmann geworden. Auch ich habe manchen aus dem Gedränge herausgehauen und tat es umsonst.‹ Henri wußte wohl, was hieran falsch oder zu wenig gesagt war. ›Rosny hat einen erstaunlichen Spürsinn bewiesen, oder soll man von seinem Weitblick sprechen. Wo wäre das Königreich jetzt ohne meine Protestanten. Er ist selbst der hartnäckigste Ketzer, das hat ihm der Einfall nahegelegt, die Ausführung war deshalb bequem. Gleichviel, er war der Mann des vorausgeeilten Geistes nie; er war der Mann des Sitzens und Rechnens.‹

An diesem Punkt gab Henri zu, daß sein Rosny sich nicht mehr gleich sah. Seit wann? Wir haben auch das vergessen, wie unsere eigene, lange Veränderung. Rosny war unbestechlich, aber eifrig auf seinen Lohn bedacht; beides ist er geblieben. Er hat noch immer seine Lehrhaftigkeit, Eifersucht und eine Furchtbarkeit, die öfter kleine als bedeutende Züge trägt. ›Wie wird man mit kleinen Zügen dennoch bedeutend? Glück und Verdienst, wie hängen sie zusammen? Hunderttausend Taler für Sie, Herr de Rosny, wenn Sie dahinterkommen. Ich wette, Sie verstehen das Ding so wenig wie ich, Maximilian de Béthune, oder hören Sie es lieber, Herzog von Sully. Die Namen werden aber hochtönend, je mehr es für uns selbst an der Zeit ist, innen still zu sein.‹

In der Stunde, als der »Pulveranschlag« ihnen bekannt wurde, dachte Henri an seinen zweiten, da sie jetzt ein Paar waren und zusammen ausharren mußten. In ihm war es still, das Schicksal Jakobs von England hatte ihn kaum erschreckt und Furcht blieb nicht im mindesten zurück. Wer sich fürchtete, war Marie von Medici. Sie stürzte in das Kabinett ihres Gemahls, ihr erstes waren Vorwürfe, dermaßen stürmisch und unbesonnen, daß sie auf einmal kein Französisch mehr konnte. »Ich hatte Sie gewarnt. Jetzt bereuen Sie, daß Sie Ihren Rosny nach England fahren ließen wegen des Bündnisses.«

»Ein Bündnis bestehe leider nicht«, erwiderte Henri. »Dafür mit den anderen Ketzern in La Rochelle!« kreischte Marie. »Ihr Verhängnis sind die Ketzer und Sie rennen in Ihr Verhängnis. Ich hab es gewußt«, verriet sie. Zu ihrem Glück war sie genötigt einzuhalten, da eine Schwäche sie anwandelte. Wer weiß, wieviel sie noch gestanden hätte. Sobald sie zu sich kam, trat mit der Besinnung ein unverkennbarer Ausdruck in ihr Gesicht: das böse Gewissen. Sie war noch sehr von Kräften oder doch bemüht, es zu erscheinen; sie hauchte: »Sire! Gedenken Sie immer der himmlischen Strafen. Die frommen Väter sind innig bemüht, sie Ihnen zu ersparen.«

»Das weiß ich gewiß«, sagte Henri zur Beruhigung der Frau. Soviel meinte er wirklich, daß die Keller voll Pulver keinem himmlischen Zuchtmeister zu verdanken wären.

Als der König schlafen gehen wollte -- heute in seinem Paradebett, und der Saal war angefüllt mit Höflingen, die aufwarteten; wer irgend durfte, zeigte sich dem Souverän, da sichtlich das Glück ihn beschützte: gerade hier kam der Großmeister. Er überragte die gebückte Menge, Henri sah ihn sogleich, er entließ alle anderen. Dann öffnete er seine vergoldete Einzäunung und führte den Großmeister an der Hand in sein Kabinett. »Wenn mir recht ist, haben wir Geschäfte.«

Rosny brachte in einer Mappe, was er den Tag über ausgearbeitet hatte; das war vielerlei, obwohl alles auf den »Pulveranschlag« bezüglich, war es näher oder ferner. Die Gesandten des Königs in ganz Europa, beim Großtürken, beim Papst, jeder erhielt die jeweils gebotene Vorschrift, in welchem Sinn er über den »Pulveranschlag« zu sprechen habe. Abweichende Anweisungen, aber alle bestimmt, den Höfen eine einzige Gefahr vor die Augen und alle Sinne zu führen, besonders den Geruch des Pulvers, wenn es nicht Schwefel und ein Klumpfuß war.

Allein bei den protestantischen Fürsten, Republiken und freien Städten sollte der Gesandte des Königs ganz deutlich werden und den Punkt auf das i setzen. Der Kaiser mit dem König von Spanien, die Erzherzöge in Brüssel, nicht zu vergessen den Großherzog in Florenz und die anderen Geldmächte des universalen Kolosses auf tönernen Füßen, alle zusammen betreiben den Krieg. Ihr offenkundiges Ziel, mit dem sie prahlen, ist die Vernichtung der Gewissensfreiheit, und weder den freien Gedanken noch die freien Staaten wollen sie länger dulden. Dessen zum Beweis der versuchte Überfall auf die Krone England. Vermerke jeder täglich in seiner Bibel, die er am Morgen liest, daß ihm dasselbe zugedacht ist. Folgten Stellen der Heiligen Schrift, die Rosny die protestantischen Herrn zu unterstreichen anhielt.

Er sagt: die Christenheit hat einen König, nur einen, der das Schwert führt, und gebraucht es nicht für den eigenen Vorteil, noch für weltlichen Nutzen allein. Auf ihn blicken die Völker, die schon halb im Krieg sind, der aber wird sich ausdehnen auf das ganze Abendland und über lange unselige Zeiten. Man ist gewarnt, man lerne. Erlöse uns von dem Übel! Die Gesandten des Königs sollten alle Sprachen anwenden, die religiöse neben der militärischen, und einen volkstümlichen Ton unbeschadet ihrer diplomatischen Redekunst. Henri legte das übrige beiseite, zweimal las er den Entwurf eines Schreibens an König Jakob.

»Großmeister, Sie drohen ihm. Das wäre eine sonderbare Art, ihn meiner Freude über seine Rettung zu versichern.«

»Sire! Jetzt oder nie tragen Sie das Bündnis davon.«

»Um es zu bekommen, soll er nach Ihrem Willen seine Jesuiten hinrichten. Das laß ich ungesagt, denn er täte es nicht und würde mir seine Schwäche schwerlich verzeihen.«

Rosny setzte an, um zu widersprechen. Er bedachte sich besser und sagte einfach:

»Sie haben recht. Ein König kennt den anderen. Wer war ich.«

Henri betrachtete ihn. ›Dies ist nun ein Rosny, der sich der Demut nähert. Es kommt unerwartet, am meisten jetzt.‹

»Sie beweisen in gewissen Dingen eine Voraussicht wie kein König«, sprach Henri, Wort für Wort. »Einer Gefahr entronnen ist nicht nur Jakob mit seiner Krone.«

Der Minister machte den Rücken steif, er wurde noch einmal, was er in jüngeren Tagen dargestellt hatte, der steinerne Mann von der Kathedrale. Dabei aber errötete er. Henri sah es mit Staunen. Sooft der Mann die Farbe gewechselt hatte, geschah es aus Wut und daher ohne Übergang. Diesmal zog das Blut unter der Haut, die zart und durchsichtig geblieben war, umher in den Farben abendlicher Wölkchen. Wahrhaftig, Rosny empfindet Scham, weil er seinen König bewahrt hat, und scheut den Dank. Bis zu dem Grade sind diese beiden ein Paar geworden. Der Dank war etwas Fremdes.

»Wir wollen die Gnade des Herrn verehren«, sagte Henri. »Jeder in seiner Kammer«, sagte er. »Der Tag war lang, Sie haben viel geschrieben, ich aber darf auf meinem Lager ruhen, Ihr Besuch erspart mir das Paradebett.«

Hiermit geleitete er seinen Freund bis zu der Schwelle.

 

Fürchte dich nicht!

Keine gute Zeit für Verräter. Das erstemal seit dieser Herrschaft, die außerordentlich ist, wird ihr nicht an hohen Tagen und unbewußt gehuldigt. Eine regelmäßige Mehrheit findet zusammen, sie folgt dem ungewöhnlichen König. Läßt es nicht hierbei, sondern eilt voraus. Wo er auftritt, wird gerufen: An die Grenze! Davon hat Henri nichts verlautet.

Er bekam während dieses Jahres und der nächsten einigen Grund, traurig zu sein, mit neuen Zeugnissen erschien aber auch das Glück. Es sagte ihm in das Ohr: Du hast im Auftrag deines Landes und Volkes gehandelt von jeher, sonst riefen sie jetzt nicht: An die Grenze, um den Staat zu verteidigen, wie du ihn gemacht hast. Du hast für sie den Staat gemacht; wer aber hat dich selbst erschaffen? Nächst Gott dein Volk. Dies sagte das Glück ihm in das Ohr.

Den Krieg nannte Henri nie. Die öffentlichen Wallungen des Abscheus vor den Mördern, der Rache für den Verrat beweisen ihm so viel, daß dies Königreich anfängt zu begreifen: seine vereinzelte Lage als kriegerische Gegenmacht in Front aller Feinde der Völker. Auch seine Blüte -- vergeßt nicht, wie sehr sie manchem verhaßt ist. Den Unterdrückern besonders gefährlich, müßt ihr wissen, ist unsere Duldsamkeit, unsere Achtung vor dem Gewissen und dem Leben. Diese bleibt unvollkommen; unsere Humanität ist dennoch der schwerste Anstoß für Mächte, die sie nicht ungestraft nachahmen dürften, haben übrigens den Wert des Menschen nicht entdeckt. Losgehen, sogleich, aus Anlaß des frechen Anschlages, der für die meisten Seelen die erste Erleuchtung war, das wollte Henri nicht. Europa zählt mehr Völker, die einiges Glück erkämpfen oder verteidigen werden -- mit uns, wenn unsere Berufung für sie feststeht. Daher die Werbung bei den Völkern, die der König von Frankreich damals angefangen hat und hat sie fortgesetzt vier Jahre, wovon das vierte zuviel war, denn es sollte danach keines für ihn mehr kommen.

Rosny nahm den Anlauf kürzer; seine Vorstellung war die ganze Zeit über, daß morgen marschiert würde. Inzwischen bearbeitete er die Öffentlichkeit im Einvernehmen mit dem König und um so unbedenklicher. Fremde Beobachter verglichen die Flugblätter, die damals Europa für die gerechte Sache des Königs von Frankreich aufriefen, mit den Erklärungen an den Mauern von Paris und erkannten den gemeinsamen Ursprung. Die Maueranschläge wurden abgeleugnet wie auch die Flugblätter und von der Polizei entfernt, nachdem alle sie gelesen hatten. Die Geschichte mit König Jakob gab wahrhaftig ihr Pulver, das nicht abgebrannt war, her bis auf den letzten Rest. Es diente jetzt, um die Gegner der bestehenden Herrschaft, eine eingeengte Minderheit, abzusprengen von ihren Anstiftern, und die bekamen, was ihnen gebührte, zu hören von Herrn de Rosny, immer angenommen, daß er es war.

Pater Cotton weinte in der Beichte, damit der König ihm gestände, was er gegen die Kirche ins Werk setzte. Nichts, sagte Henri. Der Heilige Vater hat Beweise seines demütigen Gehorsams. In Ansehung der Gesellschaft Jesu, die der König selbst hier zugelassen hat, beruft er die eigenen Worte des Paters Ignatius, seiner gedenkt er aus einem Fieber. Die Gestalt vor dem Bett sprach: Nicht ihr Orden entscheidet, ob ein König sterben soll, weder die Lehre noch die Oberen -- hat die Gestalt vor dem Bett versichert: sondern die Mehrheit der Menschen, ihr Gewissen.

Nun? Was ist es mit dem Gewissen der Mehrheit seit dem Anschlag auf König Jakob? Wie entscheidet das Gewissen? Unbekannte, deren Spur in der Menge der Gleichgesinnten verschwindet, drucken Anklagen der Jesuiten und ihrer weltlichen Verbündeten. Das erregt den zornigen Beifall gewaltiger Volksmengen. »Wohlverstanden«, sagte Henri. »Ich stimme nicht zu. Für mich bleiben die Väter unschuldigen Herzens, wenn es auch immer möglich ist, daß Fanatiker in den zuchtvollsten Orden eindringen. Pater Ignatius war dieser Meinung, weshalb die Ereignisse in England ihn schwerlich gewundert haben. Was mich betrifft, muß ich beichten, daß ich gestern nacht bei einer Frau lag, und sie war nicht meine.«

Von dem weinenden Cotton erhielt der König die göttliche Verzeihung. Indessen erschienen andere gedruckte Aufrufe, bestimmt, dem König seine Mehrheit in eine Minderheit zu verwandeln. Auch diese wurden im Schutz der Dunkelheit an die Häuser geschlagen; aber so ungezügelt sie Herrn de Rosny herausforderten, ja, Beleidigungen des Königs sprangen in die Augen: die Polizei ließ die Papiere hängen. An derselben Kirche klebte eines, das den Minister als Urheber haben sollte, neben einem anderen von entgegengesetzter Herkunft. Um Mittag wurde das erste von der Straßenwache abgerissen. Die Angriffe auf die häuslichen Verhältnisse des Königs durften weiter gelesen werden.

Die feindliche Partei wagte ihm kriegerische Absichten nicht vorzuwerfen, dafür war es zu spät geworden. Man rief: An die Grenze! sooft er durch die Menge ritt -- bis er vorzog, zu Fuß zu gehen in schlechter Kleidung, allein und unerkannt. Da hörte er, was nicht für ihn bestimmt war, aber es ist nützlich zu wissen. Erstens: wir haben einen großen König. Folgten hierüber ihre eigenen Kenntnisse und das Gelesene, eines verstärkt durch das andere. Aber zweitens wurde umgesprochen, was die feindliche Partei drucken konnte, weil jeder ihr mehr oder weniger recht geben mußte, auch Henri: er ist ein armer betrogener Mann. Im eigenen Haus hat er die Habsburgerin, die uns alle haßt, am meisten ihn. Sein Schloß Louvre ist voll von ihren Liebhabern, lauter Verräter, auch seine Mätressen verraten ihn, nicht zu reden von den Hörnern, die sie ihm aufsetzen. Die Milchschwester der Königin reitet auf dem Besenstiel als ausgemachte Hexe. Eine allgemeine Verschwörung umgibt ihn.

Die Mehrheit sagte hierauf: Um so schlimmer. Wir müssen einig sein, sogar mit den Protestanten. Wir lieben wahrhaftig die Protestanten nicht, sie sind eigensinnig, hart und beleidigen uns alle mit ihrem Dünkel. Diesmal braucht er sie, wir müssen die verdammten Ketzer dulden, auf die Gefahr, daß es uns selbst das ewige Heil kostet. Hier ist das Königreich. Unser König Henri hat es gemacht, wie es ist. Er darf kein armer Mann sein. Schlechte Zeit für Verräter. Als Henri seinen Großmeister gegen Bouillon schickte, ist niemand für diesen eingetreten, am wenigsten seine Glaubensgenossen. Die Königin mit Villeroy und den anderen Spanischen rieten, ihn zu schonen. Er ist dann auch nicht hingerichtet worden wie Biron; die Umstände erlaubten, ihn zu übersehen. In seine Stadt Sedan wird einfach ein hugenottischer Gouverneur gesetzt.

Die Minderheit dankte darum nicht ab. Sie hatte im Lande die reichsten Herren für sich, und bei der Christenheit im ganzen fühlte sie sich als die Mehrheit. Sie wurde noch einmal bösartig wie in den Zeiten der Liga, Hetzreden von den Kanzeln, in den Straßen der Hauptstadt fließt Blut; ein Protestant hätte besser getan, keinen einsamen Weg zu gehen, dort liegt er erschlagen. Die Damen Guise taten sich hervor; veranstalteten Umzüge von Büßerinnen, alle auf bloßen Füßen und Dornen in den Haaren nach bekannter Weise, die ist abgeleiert. Gleichviel, man weint, geopferte Frauen erregen immer Tränen. Man ruft die Vergeltung herbei. »Wie lang noch soll der Fluch unter uns leben?« Der Fluch ist der König. Die Frage heißt: Wie lange noch?

Fürchte dich nicht! Der König ließ einen protestantischen Tempel näher an Paris setzen, nur zwei Meilen anstatt der erlaubten vier. Wütende Klagen, aber er lachte. »Mag man wissen, daß von heut ab dorthin der Meilen vier sind.« Die Anerkennung des verdoppelten Abstandes erzwang er vermittels eines Galgens, den stellte er auf den Weg nach dem Tempel. Man sah: der Hugenott, der vorzeiten die Stadt ausgehungert, ihre Vororte geplündert und verbrannt hat, endlich zeigt er als König sein Gesicht. Behält dennoch die Mehrheit, soweit ist das Königreich vorgeschritten und ihr mit ihm. Seine Mehrheit bekam sogar Zuwachs aus der Minderheit, dies nach dem Maß seiner Strenge. Nur eine Duldsamkeit, die streng wird, überzeugt die Verstockten. Allerdings verfällt der Rest der Verstockten einer baren Mordlust. Der König entging mehrfach während dieses Abschnittes dem Tode durch das Messer.

Die Königin war damals eine Unglückliche, die den eigenen Zwiespalt nicht begriff: ihm den Tod wünschen und doch für sein Leben fürchten. Sie machte ihrem Gatten ungestüme Auftritte wegen der gemeinsamen Erziehung ihrer Kinder mit seinen Bastarden; im Sinn hatte sie außerdem alle Beschwerden ihrer spanischen Partei, hauptsächlich das Bündnis mit England. Henri hatte es erreicht, die beiden Mächte bürgten fortan für die Freiheit Hollands. Rosny, zurück aus Sedan, kam darüber zu, wie Marie gegen den König die Hand erhob. Er fing sie ab, er sagte: »Madame, es geht um den Kopf.«

Das wird sie ihm nie vergessen. Möge er auf seinen Herrn wohl achtgeben, damit ihm nichts zustößt. Als endlich der Ermordete nach dem Louvre getragen wird und in seinem Kabinett legt man die tote Hülle nieder -- warum hat Rosny nicht gewacht; sind wir denn unsterblich? Heute fängt er die Hand Maries ab und sagt: es geht um den Kopf. Da tröstete Henri die verstörte Frau.

»Madame«, sprach er. »Dieser ist der Schrecken meiner Feinde. Für Sie und mich ist er der sicherste Freund. Ich nenn ihn den Herzog von Sully.«

Das war die Ernennung. Marie verzieh am wenigsten den Anlaß, bei dem Henri sie aussprach.

Auf dem nächsten ihrer großen Empfänge ließ sie den Herzog von Sully stehen, bevor er den Mund öffnen konnte. Die Königin selbst erhob sich, sie tat sogar mehrere Schritte einem fremden Besucher entgegen. Er schien nicht von Bedeutung, sie kannte ihn aber als den geheimen Agenten des Jesuitengenerals. Übrigens hatte auch Sully auf ihn ein Auge.

Der Unbedeutende raunte scharf, Marie erhielt einen Tadel, hoffentlich hörte niemand zu. »Wie sehr verstößt es gegen die geschuldete Zucht, daß Sie mich begrüßen, als bedeutete ich etwas, und den Protestanten mißtrauisch machen. Befolgen Sie um so eher den Befehl, den ich überbringe. Sie sollen den König zu Pferd in Erz gießen lassen. Das Standbild, ein Zeichen der prunkenden Eitelkeit, muß höchst sichtbar aufgestellt werden, sein Anblick wird die Liebe des Volkes vermehren. Besonders liefert dies Standbild eines Lebenden den Beweis, daß unsere fromme Tochter für den Nachruhm des Königs im voraus gesorgt und offenbar gewünscht hat, er wäre unsterblich.«

Die Worte, und was sie nicht aussprachen, waren für Marie zu abgründig; sie brauchte noch mehrere Jahre, bis sie reif wurde, so tief hinabzusteigen. Indessen gehorchte sie, wofür der Jesuitengeneral ihr als Zeichen seiner Gnade einen chinesischen Schreibtisch schenkte. Nach Jahr und Tag war das Denkmal bereit, seinen Platz einzunehmen: die Neue Brücke soll es sein, der König hat sie selbst erbaut. Als er am Kopf der Brücke die Arbeiten sah, das Geheimnis und die Überraschung waren gut bewahrt, aber zuletzt mußte er die Arbeiten wohl sehen -- da befahl er kurzerhand, sie abzubrechen. Tränen Maries, Zorn Maries, Erkrankung Maries, ihr Fernbleiben von den Empfängen der fremdländischen Abordnungen, und diese lagen mehr als je vorher in dem Plan des Königs. Er gab denn nach. Seine Bedingung war: keine Feierlichkeit, keine Inschrift. Das Monument stellt einen römischen Feldherrn dar: so sieht es auch aus. Nur leider ist das Gesicht dem seinen sehr ähnlich.

Zwei Wochen ragte es schon auf dem hohen Sockel ohne Namen, unablässig drängte viel Volk heran. Weder Reiter noch Wagen durften den Auflauf zwingen, auszuweichen: die Luft war voll Aufruhr. Man forderte die Inschrift; hätte mancher sie eigenmächtig hingesetzt, die einen mit rühmlichem Text, die anderen den ganzen Auswurf ihres Hasses. Die Wachen des Königs verhinderten beides, erst recht bei Nacht. Seine Leute waren in der Menge verteilt, sie schwuren, er wäre es nicht. Ist das wohl seine Nase, die bei unserem wirklichen König Henri bis auf den Mund fällt, und der ist schief? Einen so schönen König haben wir nicht.

Möcht aber so aussehen! antworteten Böswillige. Eine heldenhafte Gestalt, wer die hätte! Der wäre wohl nicht der Hahnrei und lüsterne Greis. Der tat nicht unseren Glauben verfolgen und hätte vor dem Krieg keine Furcht. Worauf die Andersgewillten hätten bekennen müssen, daß sie selbst und nicht der König den Krieg herbeigerufen hatten oft und oft. Das vergaßen sie, da für öffentliche Auseinandersetzungen die Wahrheit zu schwierig ist, von ihrer Gefährlichkeit noch abgesehen. Lieber versuchte man, auf Kosten der Jesuiten die Menge zum Lachen zu bringen; hielten doch die Väter schöngeistige Predigten, zierlich und witzig, nach dem Geschmack des Hofes, der gemeine Mann verstand sie nicht.

Ein Wahnsinniger befand sich in dem Gewühl, genau zwei Wochen nach der Errichtung des Denkmals. Dieser bellte wie ein Hund das Pferd des erzenen Reiters an. Vorher hatte er abwechselnd die Jesuiten und den König beschimpft, je nach Bedarf, und jetzt bellte er nah am Sockel; man hatte ihn vorgestoßen, damit es lustig wäre. Die Schweizer Wachen hielten seine tierische Kundgebung noch für die vernünftigste, sie ließen ihn. Unversehens erklomm er den Sockel, stand droben, umklammerte anfangs den Fuß der Figur. Dann reckte er sich, um nicht geringer zu sein als der große Gepanzerte, und rief, ein Hugenott wäre auch er, jetzt wollte er auf die Hauptstadt den Zorn des Herrn herabrufen.

Das gelang ihm nicht schlecht. Seine Augen brannten abscheulich, die Stimme krächzte hohl, mühelos erschien allen der Rabe auf seiner Kanzel. Der schwarze Mantel des Wahnsinnigen umflatterte ihn zur Verstärkung des Eindruckes. Seine Krallen griffen in die Ferne, wo die anderen nichts fanden; nur der lichterlohe Blick des Tobsüchtigen hatte jemanden entdeckt. Nach einer gewissen Stelle am Ende des Auflaufs richtete er seine schändlichen Verwünschungen -- des Königs, seiner Freunde, Feinde und gesamten Herrschaft. In Gestalt eines Ketzers predigte der Teufel. Die Wachen waren Schweizer, der Sinn der Reden entging ihnen in ihrer Verblüffung. Bevor sie den Menschen herunterholten, war er mitten in das Gewühl gesprungen, kroch zwischen den Beinen und bellte.

Wo die Menge nicht mehr dicht war, kam er hoch. Einen, der sich zum Gehen wendete, zog er am Mantel. Sein eigener stand breit ab, hinter ihm war nicht zu erkennen, wie er ein Messer zückte und hielt den König unter der Drohung des Messers wohl eine lange Minute. Der König ergründete aber die Augen des Wahnsinnigen mit einer Kraft, daß sie dem Schwächling zufielen. Das Messer ihm fortzunehmen, bedurfte keiner Kraft.

Ein Wink des Königs, sein Reittier wurde herbeigeführt. Herr de Bassompierre war bleich, nicht der König. Vom Sattel herab gewahrte er zwei der Kapuziner Nonnen, die bei ihren Umzügen geschickt die Verfolgten gemacht hatten. Bassompierre eröffnete ihnen angenehm, was der König von ihnen erbat: sie möchten von ihrem Beichtiger den Teufel aus dem Besessenen treiben lassen.

Mehrere Personen, die den Mörder eingefangen hatten, widersprachen laut. Der Arzt -- und wäre der Wahnsinn erheuchelt, der Galgen! Das verlangten sie für den Mörder, unter dem Beifall sämtlicher Leute, die das Messer umherreichten. Der König ist nicht der Mann, den Anschlag auf sein Leben geheimzuhalten. Er rief vom Pferd:

»Gute Freunde, ihr habt schon viel gelernt. Jetzt wißt, daß es feige Teufel gibt, und die gestehen die Wahrheit, während sie ausfahren. Dieser besonders wird öffentlich vor euren Ohren, die es hören sollen, alle seine Lügen widerrufen, meine erfundenen Missetaten gegen euer Bekenntnis, meine gefälschte Begierde nach dem Krieg, und die Verleumdung, als war ich ein Hahnrei.«

Hierüber erhob sich ein mächtiges Gelächter; ernst blieb allein der erzene Feldherr mit dem Gesicht des Königs. Er selbst setzte sein Tier in Gang. Die Menge rief hinter ihm: »Der Teufel wird gestehen, verlaß dich darauf. Sonst bekommt er es mit uns zu tun.«

Der König spornte sein Tier an, schon jagte er fern am Ufer. Fürchte dich nicht!

 

Der Bericht

Als Madame de Mornay jetzt wußte, ihr einziger Sohn sei tot, hielt Herr de Mornay beide Arme bereit, um eine Ohnmächtige darin aufzufangen. Das war unnütz, Madame de Mornay wankte nicht. Sie sagte: »Mein Freund, ich war vorbereitet. Unser Sohn ist nicht umsonst für das Waffenhandwerk ausgebildet worden. Mit Recht bestimmten Sie, daß schon der Neunjährige nicht nur Latein und Griechisch sprechen, sondern mehr als athletisch leben sollte, damit er diese Zeit bekehren könne, anstatt von ihr schlechter zu werden.«

Ihre Rede klang eintönig, obwohl gefestigt durch ihren Willen. Über Herrn de Mornay blickte sie hinweg, seine Erscheinung hätte sie wohl geschwächt. Er hauchte mit Mühe: »Utinam feliciori saeculo natus. Und jetzt? Wohin ist das glückliche Jahrhundert? Unser Sohn, der dafür geboren wäre, wohin?«

Sie verbot ihm die schwachmütigen Fragen und sagte, daß Eltern wie sie beide voll Dank sein müßten, weil der irdische Weg ihres Kindes zur Ehre Gottes verlaufen und beendet sei. »Unser Philipp stand im siebenundzwanzigsten Jahr.« Hier versagte ihr die Stimme. Herr de Mornay führte sie zu dem Tisch, wo die Gatten an vielen Abenden einander gegenübergesessen hatten und war jeder vergangen mit ihren Gesprächen über Philipp de Mornay des Bauves, ihren Sohn. Wie er mit dreizehn Jahren zu Seiten seines Vaters der Belagerung von Rochefort beiwohnte, sein erster notwendiger Eindruck von dem Beruf, dem er bestimmt war. Den Fünfzehnjährigen nahm die Prinzessin von Oranien in ihren Dienst; Holland bot einem jungen Mann von der Religion die erwünschten Gelegenheiten, wissenschaftlich und militärisch. Wie er alsdann auf Reisen ging. Der König hatte die Absicht geäußert, ihn in seine Nähe zu ziehen. Mornay fand es verfrüht, daß sein Kind die Sitten dieses Hofes erlernte.

Er selbst war in seiner Jugend durch Reisen erzogen worden, zuerst als Verbannter, nachher als Diplomat. Das Exil hatte ihm seine Frau und diesen Sohn beschert. Es befähigte ihn auch, seine fünfundzwanzig besten Jahre dem Dienst des Königs zu weihen. Sein Sohn sollte von der Kenntnis Europas die Vorteile genießen, aber unbekannt bleiben mit der Verlassenheit dessen, der im Rücken keinen Staat hat. Auch er ging nach England wie einst sein Vater, obwohl nicht mittellos und gedemütigt, nicht mit dem Mysterium des Unrechts vertraut. Die Eltern des Abends am Tisch freuten sich der Beliebtheit des jungen des Bauves bei der höchsten Gesellschaft von London, ein athletischer Edelmann voll fröhlicher Wissenschaft. Der Vater schickte ihn auf die Frankfurter Messe zur Erlernung der Wirtschaft; er ließ ihn Sachsen und Böhmen besuchen, in dem berühmten Padua die Vorlesungen hören; aber aus Venedig rief er ihn nach den Niederlanden, um die Waffen zu führen für das Recht eines Volkes und für die Gewissensfreiheit.

Nicht der Krieg kostete den Anfänger damals sein hoffnungsvolles Dasein, vielmehr die theologischen Streitigkeiten seines Vaters, der die Ungnade des Königs herausforderte, und den Sohn traf sie mit. Sie unterbrach seine Laufbahn. Auch die Umstände gehorchten nicht mehr dem Glück. Der König erlaubte Herrn des Bauves, gegen Savoyen ein Regiment auszuheben, da schlossen die Gegner ihren Frieden. Noch drei Jahre, den Alten beugten inzwischen die Bitternisse, und Ungeduld verzehrte den Sohn. Der König hatte gesagt: »Der ist unjung -- vierzig Jahre. Zwanzig macht sein Alter, und die Lehren seines Vaters nochmals zwanzig.« Der Untätigkeit übersatt, wurde Philipp wieder Freiwilliger in Holland. Dort ist er endlich gefallen.

»Im siebenundzwanzigsten Jahr seines Lebens«, sagte Madame de Mornay zu ihrem Gatten, der ihr gegenübersaß. »Dennoch nicht zu früh, da Gott es gewollt hat. Ein Leben ist immer lang genug, ob es seine Jahre zählt oder dreißig mehr.«

Damit hatte sie ihr eigenes Alter genannt, und Herr de Mornay bemerkte wohl, daß sie nicht mehr wie anfangs voll Dank war. Er ermahnte sie. »Liebste, Beste, heute gilt es, heute prüft uns Gott, ob wir an ihn glauben und ihm gehorchen. Er hat es getan, wir müssen schweigen.«

Worauf Madame de Mornay wirklich in Schweigen verfiel, hat auch den Monat, während sie noch außer Bettes war, die auferlegte Prüfung nicht erwähnt. Zur Schau getragen hat sie eine wohlanständige Trauer ohne Übermaß. Da nun der wahre Zustand ihrer Natur keinen anderen Ausweg fand, flüchtete er sich in körperliche Schmerzen, die diesmal nicht zu lindern waren. Sie verfolgten Madame de Mornay allerdings seit ihrer Jugend, nach gewissen Mißhelligkeiten, die sie aus Anlaß weltlicher Schwächen mit den Ministern Gottes gehabt hatte. Das Herzklopfen und die anderen Anzeichen der Melancholie erschienen ihr allmählich untrennbar von den politischen Geschäften und der Handhabung der Menschen. Eine Person vom Stande entzieht sich ihren Pflichten schwer, übrigens besaß Madame de Mornay sowohl Autorität als Geschicklichkeit. Beide übte sie während der häufigen Reisen ihres Gatten, der indessen gefaßt sein mußte, sie als Schwerkranke wiederzufinden. Dergestalt, daß Herr de Mornay, ungeachtet seines Gottvertrauens, den Glauben an die Medizin erlernte. In dem Königreich, wo er viel umherkam, kannte er die abgelegenste Behausung jedes kundigen Pillendrehers. Er hatte den Paracelsus gelesen, und was der berühmte Arzt für dergleichen Fälle besonders schätzte, Vitriol- und Korallenöl sowie die Essenz aus Perlen, alles schickte er von unterwegs der Leidenden.

Die Heilmittel haben sie vordem erleichtert. Über den Verlust ihres Sohnes konnte nicht einmal der eigenhändige Brief des Königs sie auch nur eine Stunde trösten. Um so weniger vermochten es die anderen Kundgebungen des Mitgefühls, so zahlreich sie an die Eltern gelangten, genannt seien Prinz Moritz, die Herren Villeroy, Rohan, Bouillon, die Damen de la Trémoïlle und Herzogin von Zweibrücken. Das Ärgste war, daß die mütterliche Denkschrift für den Sohn, die ihm das Beispiel seines Vaters vorhalten sollte, keinen Empfänger mehr hatte. Herr de Mornay hat die Unglückliche überrascht, als ihre Hand vergebens versuchte, ein Wort hinzuzufügen. »Ich darf nicht«, sagte sie. »Die Schmerzen schrecken ab. Aber an einem Ort, wohin keine Beschwerden des Körpers uns folgen, will ich ihn, will bald ihn wiederfinden.« Hiermit hatte sie sich verraten. Sie wollte sterben und mit dem Sohn vereint werden. Nichts anderes war gleich anfangs verborgen gewesen hinter ihrer gemäßigten Trauer.

Dies einmal ausgesprochen, legte sie sich nieder, um nicht mehr aufzustehen. Ihrem Gatten war bewußt, daß sie die Pflicht zu leben, die niemand uns abnimmt, eigenmächtig verleugnete. Er wagte sie nicht zu erinnern; der Anblick eines Geschöpfes, das nicht von hier sein will und hat uns schon vergessen, macht scheu. Die wollenen Vorhänge ihres einfachen Bettes blieben geschlossen bis auf den Spalt, woraus hervor ihre Hand hing, die war bleich und grau wie ein Schnee aus vergangenen Nächten, zeigte aber gewölbte Adern von wunderbarem hellem Blau. Der Hand waren alle Schmerzen Leibes und der Seele anzusehen, hätte man auch nicht das Stöhnen der Gequälten gehört. Herr de Mornay stand als ein fremder Schatten an die kahle weiße Wand gedrängt; in ihrer Mitte das Kreuz, war schwarz wie seine Kleidung. Madame de Mornay hat in ihrem Zimmer niemals andere als Wände von Kalk um sich haben wollen, dieselben wie im Tempel. Die Verrichtungen ihres Standes hatten sie durch reiche, prunkvolle Räume genug geführt. Der innerste, wo sie sich erst entfaltete, trug keinen Schmuck als nur den Glanz des Verzichts.

Einmal rief sie ihren Gatten, sie fragte dringend, wie die Ärzte entschieden hätten. Ob es wahr wäre, sie müßte nur an Gott noch denken. Voll Herzeleid gab er zu, daß sie in Gefahr sei. Gott ist aber allmächtig, wir wollen um dein Leben beten. Sie verstand ihn dahin und ließ nur gelten, daß ihr Tod gewiß wäre. Dessen freute sie sich offen, bekam auch sogleich' die Kraft, ihre letzten Pflichten zu erfüllen. Sie erteilte Weisungen, wie die Familie zu benachrichtigen wäre, was jeder Diener erben sollte. Ließ Pastor Bouchereau eintreten, nannte selbst die Stellen der Schrift, die er ihr vorlesen möge, besonders Psalmen, wartete aber selten den Schluß ab: zuviel blieb zu tun. Sie mußte Mut zusprechen allen Hausleuten, die um ihr Bett knieten. Laut mußte bekannt werden, daß sie an die göttliche Verzeihung glaube und ihre Zuversicht wären die Verheißungen des Evangeliums.

Nur, daß ihr in aller eifrigen Frömmigkeit immer schlechter wurde, bis sie in höchster Angst nach der Erlösung schrie. Atemlos, furchtbar gepeinigt von ihren Fiebern und Säften riß sie zuletzt ihre Haube herunter. Da fielen über das arme verzerrte, durchnäßte Gesicht die Haare, noch immer rötlichblond zwischen weißen Strähnen. Um ihretwillen hatten die Fehler dieses Lebens voreinst angefangen, gefolgt waren die selbstgewählten Strafen und entarteten nunmehr bis zu dem Grade, daß man erschrak und flüchtete. Die Hausleute verschwanden einzeln; der Pastor riet Herrn de Mornay, den Arzt um ein Betäubungsmittel zu bitten, er selbst werde ihn hierherschicken.

Die Kranke hatte die Worte aufgefangen, sie klagte, wieviel Zeit vergehe, bis man sie endlich einschläfere. Sie habe nach ihren Kräften gelitten, es sei genug. Sie hatte ganz die Geduld und Demut verloren, sie schien der Meinung, daß eine Sterbende ihrer nicht mehr bedarf. »Ich will allein mit Gott sein«, befahl sie dem Gatten, als er ihr das Gesicht trocknete. Worauf Herr de Mornay sie stark beim Namen nannte und zur Besinnung rief. »Man begegnet dem Herrn nicht zufällig«, mahnte er. »Man kämpft um das letzte Stück Leben, es ist von ihm gewollt und entscheidet vielleicht über die Ewigkeit.« Zugleich erinnerte er sie an die Todesgefahr, der Eure Majestät entronnen ist dank der Gnade des Himmels und vermöge Ihrer eigenen Hartnäckigkeit. Der große König, seinesgleichen hatte die Christenheit keinen seit fünfhundert Jahren, er hat auf einmal die Menschenfurcht verlernt, er handelt fortan unbefangen wie ein neu Beginnender, obwohl mit der Weisheit des Alters. Siehe! Das letzte Stück Leben entscheidet über die Ewigkeit.

Madame de Mornay wurde von dem kühnen Vergleich mit der Majestät derart betroffen, daß sie aufhörte zu keuchen und hatte all ihre Schmerzen augenblicks vergessen. Sie richtete sich auf, umarmte ihren Gatten und versicherte, daß sie ausharren wollte mit ihm; sie denke nicht mehr daran, zu desertieren. »Unser Sohn hat gekämpft, bis er fiel. Ich will kein Betäubungsmittel, unter dessen Wirkung ich schmerzlos für immer entschliefe. Geh dem Arzt entgegen, mein Lieber«, verlangte sie, indessen der Schmerz sie zurück auf das Kissen warf.

Danach verfuhr Herr de Mornay. Während er nun in seiner Bibliothek dem Mitglied der Fakultät eröffnete, die Kranke fühlte sich ohne seine Hilfe schon erleichtert, kam aus ihrem Zimmer von neuem das Keuchen und das Angstgestöhn. Der Arzt versuchte einzudringen, aber Herr de Mornay stellte sich ihm in den Weg. Einem Menschen, den er als ungläubig kannte, war schlechterdings nicht zu erklären, warum die Sterbende das Mittel eines sanfteren Überganges von ihm nicht annehmen wollte. Dafür wurde Herr de Mornay mißtrauisch angesehen -- auch die Gestelle mit Büchern suchte die ungelegene Persönlichkeit schnell ab, als möchte etwas Unerlaubtes darin versteckt sein. Tatsächlich hätte ihr Auge dergleichen treffen können: die Traktate, die das Parlament verurteilt hat, und an der Ungnade des Königs waren sie mitschuldig. Herr de Mornay bewies keineswegs den Mut, der nebenan eine Sterbende beseelte; er lehnte sich gegen die gefährlichen Bände, schob sie nach hinten, aber den Arzt bewog er zum Verlassen des Hauses. Er sagte ihm, in dem Zimmer drinnen wäre ein hoher Herr und wollte ungestört sein.

Diese Angabe war glaubhaft, da Madame de Mornay mit reden begonnen hatte. Sie sprach in Pausen, zu Anfang war ihre Zunge noch schwer. »Herr! Ich erkenne Sie. Ein Fest wird gerüstet. Die Musik tritt an. Die Gäste erscheinen in großer Beleuchtung. Der Herr des Hauses naht.«

Ihr Gatte spähte umsonst in die Kammer, worin es dunkelte. Er selbst erkannte den Herrn des Hauses nicht, fühlte sich ausgeschlossen, verarmt, und erriet nur von fern die Antworten, die erfolgten.

»In Ihrem Haus, o Herr, sind viele Wohnungen. Nehmen Sie mich auf!«

»Was hast du getan?«

»Ich bin um Ihretwillen in die Verbannung gegangen. Ich habe meine weltliche Geschicklichkeit bereut und bekam von den Warnungen meines Gewissens das unheilbare Herzklopfen.«

»Vergiß das Beste nicht.«

»Ich habe Ihnen mein Kind gegeben. Ich habe meinen Mann sogar gegen den König verteidigt.«

»Vergiß das Letzte nicht.«

»Oh! Ist es das? Ich wollte ohne Linderung meiner Qualen ausharren, bis Sie kamen.«

»Du bist aufgenommen. Freue dich an meinem Fest.«

Da hatte die Sterbende gewiß all ihre Schmerzen verloren samt ihrem Herzklopfen, fand aber den vollem Atem wieder und vermochte zu singen, leise mitzusingen, was sie hörte: Chöre von Stimmen und Instrumenten gaben ihr den Ton an.

Der ausgeschlossene Zaungast erlauschte so viel, daß alle hier jung sein mußten, da auch seine Frau verjüngt war, zu urteilen nach den Klängen ihrer Brust. Er fühlte sich alt, bei weitem zu müde für das Fest; er konnte nicht folgen, als er gerufen wurde. Seine Frau rief: »Philipp!« -- rein und frisch, die erste, ganz unkundige Anmut vom Lebensbeginn. Er hatte sie dergestalt niemals gekannt, sie waren als Verbannte einander begegnet. »Philipp!« jauchzte sie, da begriff er: sie lag an der Brust ihres Sohnes.

Als sie verstummte, ging er mit einem Armleuchter zu ihr hinein, und was zeigte ihm das Licht der Kerzen? Seine junge Frau, seit langen Zeiten noch einmal. Sie war ganz klaren Geistes, unbegreiflich schön. Sie hauchte ihm zu: »Das war es nun. Sei tapfer und hartnäckig, laß nicht nach. Die Seligkeit kommt vor der Gruft.«

Ihr letzter Seufzer; um ihn zu tun, schloß sie selbst ihre Augen, die bleiben jetzt geschlossen. Die Seligkeit kommt vor der Gruft, und nachher nichts. Die Dialektik der Ewigkeit, Eure Majestät hatte recht, sie abzuweisen. Glauben Sie eher dem, der hörte, sah und auf höchsten Befehl berichtet.


 << zurück weiter >>