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II.
Wechselfälle der Liebe

 

Zeig sie mir!

Der König jagte in den Wäldern von Compiègne; an diesem Tage verfolgte er einen Hirsch bis nahe der Provinz Picardie. Dort verloren sie die Spur, der König und sein Großstallmeister Herzog von Bellegarde. Die Jagdgesellschaft war ihnen längst aus den Augen, die beiden Gefährten rasteten auf einer Lichtung. Der König nahm als Sitz einen gestürzten Baumstamm. Durch das Laub, das der Herbst schon lockerte, fielen Sonnenstrahlen, sie vergoldeten es, und verstreutes Licht umgab die beiden Gestalten, einen Vierzig- und einen Dreißigjährigen.

»Wer doch etwas zu essen hätte!« sagte der König. Zu seinem Erstaunen brachte der Großstallmeister augenblicklich, was man sich nur wünschte, legte alles auf den Baumstamm, und sie stillten Hunger und Durst. Während der Mahlzeit überlegte der König. Da Bellegarde in seiner Satteltasche die Vorräte mitgeführt hatte, mußte seine Absicht gewesen sein, die Jagd zu verlassen und zu verschwinden -- wohin?

»Wohin wolltest du, Feuillemorte?« fragte der König geradeheraus und erwartete mit listigem Gesicht die Antwort, die ausblieb.

»Du siehst hier noch gelber aus als sonst, Feuillemorte: das macht all das welke Laub. Sonst bist du ein schöner Mann und nur dreißig Jahre. Wer das noch wäre! Damals machten sie es mir meistens nicht schwer, und immer waren sie da. Blick doch scharf zwischen den beiden Eichen! Scheint es dir nicht, als wollte aus dem dunklen Raum eine hervortreten und wagt es nicht? Damals kamen sie gleich.«

»Sire!« sagte da Bellegarde. »Wollen Sie meine Geliebte sehen?«

»Wo denn? Welche denn?«

»Sie ist sehr schön. Das Schloß steht nicht weit von hier.«

»Wie heißt es?« -- »Coeuvres.« Schnell gefragt, pünktlich geantwortet, und der König wußte sogleich Bescheid. »Coeuvres. Dann ist sie eine d'Estrées.«

»Gabriele«, sagte der junge Mann, und in dem Namen schwang sein Herz mit. »Sie heißt Gabriele, sie ist reizend. Sie ist zwanzig, ihr Haar ist reines Gold, heller, als hier das Licht auf den Blättern glänzt. Ihre Augen haben die Farbe des Himmels, und manchmal glaube ich, daß nur von ihnen der Tag schön ist. Ihre Wimpern sind braun, ihre schwarzen Brauen beschreiben zwei schmale, edel geschwungene Bogen.«

»Sie wird sie ausrasieren«, warf der König ein, worauf der Liebende erschrak und schwieg. Der Gedanke war ihm noch niemals eingefallen.

»Zeig sie mir! Heute seid ihr verabredet. Aber das nächste Mal nimmst du mich mit.«

»Sire! Gleich jetzt.« Bellegarde sprang auf, er konnte es nicht erwarten, dem König seine schöne Geliebte zu zeigen. Auf dem Wege sprachen sie von der Familie; der König erinnerte sich:

»Der Vater deiner Schönen heißt Antoine und wäre Gouverneur von La Fère, hätte nur die Liga ihn nicht davongejagt. Ah! Die Mutter. Sie ist doch durchgegangen?«

»Mit dem Marquis d'Alègre, schon vor Jahren. Vorher soll sie versucht haben, ihre Tochter zu verkaufen. Was beweist das? Sire! Sie haben den Hof Ihres Vorgängers selbst gekannt.«

»Er ließ an Reinheit der Sitten manches zu wünschen. Aber Ihre Gabriele war zu jung, um verkauft zu werden.«

»Sechzehn, und damals noch dürftig von Wuchs. Dennoch bemerkte ich sie gleich. Aber glücklicherweise habe ich sie erst bekommen, als sie schon ausgereift war.«

»Ah! Ihre Schwester.« Der König wollte sich weiter entsinnen. »Wie heißt sie?«

»Es sind sechs Schwestern. Aber Eure Majestät meinen die ältere, Diana. Sie hatte zuerst den Herzog von Epernon.«

Der König hätte fast gesagt: Und alle sechs mit der Alten müssen ein Regiment gehabt haben. Er rief sich auch ins Gedächtnis, daß sie zusammen die sieben Todsünden genannt wurden. Er äußerte statt dessen:

»Eine schöne Familie, in die du kommst, Feuillemorte. Wirst du deine Gabriele heiraten?«

Der Herzog von Bellegarde erklärte voll Stolz: »Eine ihrer Ahnen mütterlicherseits wurde von Franz dem Ersten, Clemens dem Sechsten und Karl dem Fünften ausgezeichnet. Es liebten sie nacheinander ein König, ein Papst und ein Kaiser.«

Der König verließ indessen die galanten Damen, von denen die Geliebte seines Großstallmeisters sich herschrieb. Der Name des Herzogs von Epernon war gefallen, ein Name, beschwert mit alten Kämpfen, die keineswegs beigelegt waren. Alle Sorgen seines Königreiches ergriffen den König, da ließ er sein Pferd im Schritt gehen trotz großer Ungeduld seines Begleiters und sprach von seinen Feinden. Sie hatten das Königreich unter sich aufgeteilt, und jeder in seiner Provinz spielte den selbständigen Fürsten, der sich einem ketzerischen König nicht unterwirft. Sogar ein Epernon, er hat angefangen als Lieblingsjunge des vorigen Königs! Sogar der darf den Vorwand der Religion gebrauchen. Laut sagte er: »Bellegarde, du aber bist katholisch und mein Freund, sag mir, ob ich denn wirklich den gefährlichen Sprung tun muß.«

Der Edelmann verstand den König; er antwortete: »Sire! Sie haben bestimmt nicht nötig, die Religion zu wechseln. Wir dienen Ihnen, wie Sie sind.«

»Wenn das wahr wäre«, murmelte der König.

»Und Sie sollen meine Geliebte sehen«, rief sein Begleiter in heller Freude. Der König erhob die Stirn. Jenseits eines waldigen Tales und rauschenden Gewässers, über Hügel, über Wellen bunten Laubes, in Wipfeln und Himmelsbläue schwebte das Schloß. So scheinen sie oft von Ferne wie aus Luft gebildet, bevor wir sie dann kennenlernen, und ihre Dächer blinken. Was erwartet uns? Sie sind bewehrt mit Graben und Mauern, oben mit Geschützen bestückt, aber Rosen ranken hinauf. Was erwartet uns in diesem? Die zehrende Unruhe wegen seiner Feinde und das Bangen vor seiner Bekehrung, beides machte den König empfänglich für Vorgefühle. Er hielt an, sagte, daß es spät würde, und wollte umkehren. Bellegarde verlegte sich aufs Bitten, begierig wie er war, von seinem Herrn gerühmt zu werden wegen seines unvergleichlichen Besitzes. Der König hörte von purpurnen Lippen, zwischen denen Perlen schimmern sollten; von Wangen wie Lilien und Rosen, aber hindurch drangen die Lilien, und ebenso weiß ist der ganze Körper, der Busen aus Marmor, die Arme gehören einer Göttin, die Beine einer Nymphe.

Da ließ der König sich bewegen, und sie ritten denn hin.

Das Schloß lag hinter Graben und Zugbrücke. Es hatte einen Haupttrakt und vorgeschobene Flügel, ein jeder mit seinem Türmchen in durchbrochener Bauart. Das Mittelgebäude bestand aus zwei Stockwerken, hohem Dach, offenem Säulengang, mächtigem Portal und verzierten Fensterrahmen. Ursprünglich rauh, jetzt elegant verschönt war das Schloß, und überall rankten Rosen, die letzten entblätterten sich noch.

Der König wartete draußen, indessen sein Begleiter hineinging. Im Hintergrunde der Halle erhoben sich die beiden Arme einer gerundeten Treppe. Der Herzog de Bellegarde ging darunter weg in einen Saal, der grünes Licht empfing von dem jenseitigen Garten. Er kehrte wieder, neben sich eine dunkelhaarige junge Dame im gelben Kleid mit Rosenkränzen. Schnell und leicht kam sie dem Herzog zuvor und verneigte sich vor dem König. Aus der bescheidenen Stellung sah sie ihn schelmisch an. Die schmalen Augenspalten erteilten dem Herrn den Wink, die Bescheidenheit der hübschen Person nicht zu ernst zu nehmen, und das tat er nicht. Er sagte sogleich:

»Sie besitzen so viele Vorzüge, Fräulein, daß Sie ganz gewiß dieselbe sind; um derentwillen der Großstallmeister hierher zu kommen pflegt. Ich hatte nicht zuviel erwartet.«

»Sire! Sie sprechen gut: fahren Sie fort. Ihr Großstallmeister blickt inzwischen nach meiner Schwester aus.« Wobei sie sich in die Halle zurückzog. Der König folgte.

»Sie sind Diana!« rief er und stellte sich erstaunt. »Um so besser. Sie sind frei. Wir werden uns verstehen.« Schlag um Schlag sagte sie:

»Ich bin niemals ganz frei. Wer mich aber verstehen wollte, müßte erfahren sein. Wissen Sie wohl, wie viele Frauen er gekannt haben müßte? Achtundzwanzig.«

Genau so viele Geliebte sollte der König gehabt haben, flüchtige Bekanntschaften nicht mitgerechnet. Sie wußte Bescheid und zeigte ihren Witz.

»Sehr gut«, bemerkte auch er und dachte daran, dem Fräulein eine Verabredung anzubieten. In demselben Augenblick sah er auf dem Podest der Treppe eine Gestalt erscheinen.

Ihr Fuß schwebte hernieder zu der höchsten der Stufen. Ihr Samtkleid war grün und schwankte im Reifen. Oben fiel der Schein des nahen Abends ein, darin erglänzte das goldene Haargeflecht, und die eingewobenen Perlen schimmerten. Der König tat eine Bewegung vorwärts, stockte sogleich, und die Arme sanken ihm an den Seiten hin. Alles kam von dem nie geahnten Zauber der Herniedersteigenden. ›Sie macht es wie eine Fee, wie eine Königin‹ -- dachte der König, als hätte er nicht häßliche Königinnen gekannt, aber er fühlte sich im Märchen. ›Wie gut, daß sie es als Fee und Königin doch kindlich unbedacht macht!‹ Eine ihrer Hände lag an ihrer Perlenschnur, über das Geländer glitt die andere -- und wie ein Körper sich niedersenkt und herabläßt, jeder Schritt dies Wunder von Gehaltenheit, Gelöstheit, Spannung, Größe, alles in einem: der König hatte es nie gesehen. Er hatte noch nicht schreiten gesehen.

Er stand im Schatten, sie wußte es nicht oder suchte ihn doch nicht. Bellegarde hatte sie verfehlt, er war voreilig über den falschen Treppenarm geeilt: sie lachte ihn aus, sie wendete den Hals, eine Regung lebhaft und naiv. Ja, sie vergaß sich und sprang zwei Stufen hinauf, sie wäre zu ihrem Geliebten gelaufen. Ein Zeichen von ihm hielt sie wohl auf, sie setzte ihr strahlendes Schreiten fort. Der König erwartete sie nicht, er war rückwärts gewichen. Als sie unten ankam, befand er sich außerhalb des Portals.

Aus der Mitte seines Leibes stieg, äußerst schnell, ein Schluchzen auf, und im Hals angelangt, verhinderte es ihn zu sprechen. Da Gabriele d'Estrées ihm zugeführt wurde, war er stumm. Der Großstallmeister ließ die Hand des jungen Mädchens los, er erschrak. Sofort war ihm klar, was er getan hatte. Der König hatte die Sprache verloren, er erschien getroffen, erschüttert -- entsetzt, mußte Bellegarde denken, und betrachtete das Gesicht seiner Freundin, ob es nicht in das Haupt der Medusa verwandelt wäre. Sie war aber ein Mädchen geblieben wie andere, gewiß schöner als andere, was Bellegarde am besten wußte. Sein Besitzerstolz verhinderte ihn nicht, den Eindruck, den sie auf den König machte, übertrieben zu finden, abgesehen davon, daß er gefährlich war.

Gabriele senkte vor dem König ihre braunen Wimpern, sie waren lang und beschatteten die hellen Wangen. Kein Blick oder Lächeln erlaubte dem König, ihre bescheidene Haltung für unecht zu befinden. Hier wollte eine Frau ihm weder gefallen noch von ihm beachtet werden, als ob eine weiß und blonde Göttin beiseite stehen könnte. War es ihr bewußt? Dann war es ihr gleichgültig. Der König seufzte, er bat die himmlische Erscheinung, sich seinetwegen keinen Zwang aufzuerlegen, und machte eine Bewegung nach seinem Großstallmeister. Dieser nahm die Hand des Fräuleins und führte es wenige Schritte weiter, wo an der Mauer noch Rosen sich entblätterten.

Diana sagte: »Sire! Jetzt werden Sie für alle meine Vorzüge blind sein, aber ich bin eine gute Schwester.«

Er fragte hastig, ob außer ihnen beiden niemand zu Hause wäre. Sie antwortete, nein, und ihr Vater wäre ausgeritten, ihre Tante aber machte mit der Kutsche einen Besuch. »Ihre Tante?« Er hob die Brauen. »Madame de Sourdis«, sagte sie, und mehr brauchte es auch nicht: er kannte sein Königreich genau. Madame de Sourdis, Schwester der durchgegangenen Mutter Gabrieles und selbst galant. Betrügt Herrn de Sourdis mit Herrn de Cheverny, dem abgesetzten Kanzler des vorigen Königs. Herr de Sourdis, früher Gouverneur von Chartres, in derselben Lage wie Herr d'Estrées: stellenlos. Alle sind stellenlos, sie werden viel Geld brauchen. ›Die Geschichte wird teuer werden‹ -- dachte der König, hielt sich aber dabei nicht auf. Warum sich sträuben gegen die klare Gewißheit.

Während Diana noch mehr erzählte, starrte er mit Augen wie in der Schlacht hinüber auf Gabriele, und seine Lippen bewegten sich, so heftig und hingerissen fühlte er: ›Das ist sie.‹

›Das ist sie, und ich mußte vierzig Jahre werden, bis sie erschien. Marmor sagen sie zum Vergleich, von Purpur oder Korallen, von Sonn und Sternen sprechen sie. Leerer Schall, wer kennt das Namenlose außer mir. Wer anders als ich kann das Unendliche besitzen. Göttin oder Fee, was ist das? Königin will nichts sagen. Ich habe immer gesucht, immer versäumt, und dies ist sie.‹

Auch im Gespräch mit Bellegarde behält sie ihre bescheidene Miene, oder bedeutet es Kälte? Der Ausdruck der Augen ist ungewiß; sie versprechen und scheinen nicht zu wissen, was. ›Sie liebt Feuillemorte nicht!‹ behauptete Henri gegen seine Eifersucht, die ihn quälte. ›Hat sie mich denn aber beachtet? Sie hielt ja die Wimpern gesenkt. Jetzt neigt sie ihr Gesicht über eine Rose: ich werde nie vergessen, wie ihr Hals sich wendete und bog. Sie erhebt das Gesicht -- wird mich ansehen, wird -- gleich. Ah! nein. Nicht länger so.‹

Mit zwei langen Schritten war er dort und verlangte lustig: »Die Rose, Fräulein?«

»Sie wollen sie haben?« fragte Gabriele d'Estrées höflich und sogar hochmütig: Henri bemerkte es und war einverstanden, denn Hochmut gebührte ihr. Er küßte die Rose, die sie ihm reichte; dabei entblätterte sich die Rose. Auf einen neuen Wink des Königs verschwand Bellegarde. Henri fragte sofort darauf los:

»Wie gefall ich Ihnen?«

Das wußte sie längst, so ungewiß und poetisch ihr Blick auch blieb, wenn sie ihn musterte. Sie entgegnete aber:

»Mir gesteht man sonst zuerst, wie ich gefalle.«

»Das hätte ich nicht getan?« rief Henri.

Er hatte vergessen, daß er sprachlos gewesen war, und meinte, sie müßte alles verstanden haben.

»Reizende Gabriele«, sprach er vor sich hin.

»Wer hat es Ihnen gesagt? Ihr Blick ist anderswo«, erwiderte sie ruhig.

»Ich habe schon zuviel gesehen«, stieß er hervor -- lachte aber leichtsinnig auf und begann ihr den Hof zu machen, wie sie es erwarten durfte. Er wurde süß, er wurde kühn, ganz der galante König der achtundzwanzig Geliebten, und vertrat seinen Ruf. Sie wehrte ab, ein wenig lockte sie auch, des Anstandes wegen, und weil man befriedigt ist, wenn jemand seinen Ruf bestätigt. Das war sein ganzer Erfolg, mehr nicht, und er fühlte es genau. Davon verwirrte er sich, ohne deshalb mit Reden aufzuhören, und so kam es auf einmal, daß er nach ihrer Mutter fragte. Ihr vollendetes Gesicht wurde kalt, Marmor wurde es wahrhaftig, und sie erklärte, daß ihre Mutter abwesend sei. »In Issoire, mit dem Marquis d'Alègre«, äußerte er obendrein, da er einmal in der Fahrt war, und gerade wegen der eingetretenen Kälte. Gleichzeitig erkannte er, daß sie sich jetzt abwenden mußte und es nur unterließ, weil er der König war. Ein Blick allerdings überflog ihn von Kopf bis Fuß, und davon wurde er plötzlich, müde. Was sie erblickt hatte, als sie seine Erscheinung überflog, er verfolgte es in seinem Geiste, Zug um Zug. Die Nase fällt zu tief, wiederholte er innerlich einige Male, und immer nachdrücklicher, als ob es das Schlimmste gewesen wäre. Aber da war mehr.

Er sah sich nach Bellegarde um, er wollte vergleichen, sein eigenes verwittertes Gesicht und den schönen Menschen, der länger war, und was für Zähne. ›Als junger König von Navarra ließ ich sie mir mit Gold überziehen. Auch wir kannten das, war nur vieles anderes zu tun seither.‹

Diana beobachtete den König, sie sagte: »Sire! Sie wünschen zu ruhen. Ein Zimmer steht bereit zur Nacht. Unser Teich hat herrliche Karpfen für Ihre Mahlzeit.«

»Geben Sie mir Brot und Butter, ich will die Hand küssen, die es mir hier vor die Tür bringt, bevor ich Abschied nehme. Das Haus des Herrn d'Estrées werde ich nur in seiner Gegenwart betreten.

Alle diese Worte richtete er an Gabriele, sie war es auch, die hineinging, das Befohlene zu holen. Der König seufzte, es klang nach Erleichterung, worüber Bellegarde und Diana zusammen erstaunten.

Henri hatte gehofft, Gabriele würde die Treppe hinauf und sie nochmals hinunter schreiten. Indessen betrat sie einen der unteren Räume und war alsbald wieder hier. Der König aß im Stehen sein Butterbrot, während er scherzte, nach der Landwirtschaft und dem Nachbarnklatsch fragte. Von jedem Untertanen, den Bäckern in Mans, dem Ritter von der Pute, hätte er sich ähnlich unterhalten lassen. Dann stieg er mit seinem Großstallmeister zu Pferd. Nahm aber den Fuß aus dem Bügel, trat nahe zu Gabriele d'Estrées und sprach schnell, seine Augen waren lebhaft und geistreich, ihr war dergleichen nie begegnet und hätte ihr auffallen sollen: »Ich komme wieder«, sprach er. »Meine schöne Liebe«, sprach er. Saß auf, ritt voran, sah nicht zurück.

Als die Reiter unter Bäumen verschwunden waren, fragte Diana ihre Schwester, was der König ihr heimlich gesagt habe. Gabriele wiederholte es. »Wie!« rief Diana. »Und das läßt dich so ruhig? Begreif doch, was das ist! Nicht mehr und nicht weniger als das Glück. Wir alle sollen reich und mächtig werden.«

»Wegen eines Wortes, das er in die Luft spricht.«

»Zu dir, ob du nun die Mühe lohnst oder nicht, hat er es gesagt, und keine andere wird dasselbe so bald von ihm hören, obwohl mindestens achtundzwanzig es vorher hörten. Wir sind beide nicht dumm und bemerkten genau, wie er sich hier verbiß.«

»Mit seinen schadhaften gelben Zähnen«, ergänzte Gabriele.

»Die wagst du zu erwähnen, bei einem König!« Diana erstickte vor Entrüstung.

»Gib mir Ruhe«, verlangte Gabriele. »Schließlich ist er ein alter Mann.«

»Du tust mir leid«, sagte die Schwester. »Ein noch nicht Vierzigjähriger -- und abgehärteter Soldat. Welch eine gestraffte Gestalt, so fest in den Hüften!«

»Die Haut wie geräuchert, zahllose Fältchen«, bemerkte die geliebte Frau.

»Laß einen Herrn sein Leben im Felde verbringen. Da kann sich einer den Bart nicht gleichmäßig schneiden.«

»Den grauen Bart«, ergänzte Gabriele. Ihre Schwester rief wütend:

»Wenn du es wissen willst: sein Hals war schlecht gewaschen.«

»Meinst du, es wäre mir entgangen?« fragte Gabriele gelassen. Die andere ließ sich vollends hinreißen.

»Gerade deswegen hätte ich mich noch heut abend mit ihm hingelegt. Denn nur ein großer Sieger und hochberühmter Mann kann sich solche Seltsamkeiten erlauben.«

»Ich bin für das Übliche. Die Huldigungen eines Königs von Frankreich sind mir gleich, wenn er ein schadhaftes Wams und einen schäbigen Filz trägt.«

Damit entfernte Gabriele sich. Diana rief ihr nach, die Stimme lag höher als sonst:

»Dein langer Geck! Dein schön Frisierter! Dein Wohlduftender!«

Gabriele sagte rückwärts:

»Du erinnerst mich daran. Der König roch nicht gut.«

 

Nächtlicher Ritt

Solange der König und sein Edelmann über Hügel und Wellen bunten Laubes ritten, war der Himmel gerötet vom Abend. Jetzt stand schwarz vor ihnen der Wald. Der König hielt an und sah dahinten über den Wipfeln das Schloß schweben. Ein Nachglanz des untergehenden Tages färbte milde die hohen Dächer. Sie hatten einst stechend gefunkelt und hatten versprochen -- was nur? Mir war bang. Das ist recht und gewohnt; am Anfang meiner Schlachten erging es mir niemals anders. Ist mir doch zu Sinn, als sollt ich diesmal unterliegen und in Gefangenschaft kommen.

Zuerst errät man alles hellsichtig, um es sogleich zu vergessen über der Torheit des Erlebens. ›Mein Teil‹, dachte Henri, ›wird diesmal Geduld sein. Ertragen und die Augen schließen, wir kommen nicht umhin, da wir, behaftet mit den Spuren der Erfahrung, unmöglich auf den ersten Blick gefallen können. Das allein entscheidet. Vor allem anderen, das mir zugedacht war, vor den Schrecken, vor den Mühen, frisch mit siebzehn Jahren, kannte ich die Gärtnerstochter Fleurette. Es ist Morgen, und der Tau blinkt. Ich habe sie genommen und geliebt, unsere Nacht war voll Entzücken, ich halte sie noch bei der Hand, der Brunnen spiegelt unsere beiden Gesichter; und so schnell wie das Bild im Wasser war auch die Liebe aufgelöst, schon winkt ich ihr von fern, und mein berittener Haufen nahm mich auf. Jetzt -- der schwarze Wald.‹

Er lenkte hinein. Bellegarde war längst voran, allein für sich ließ Henri sein Pferd im Schritt gehen. »Ich werde sie lange belagern müssen«, sagte er, »und Belagerungen hebt man sonst auf, wenn genug Zeit und Menschen verlorengegangen sind. Nicht diese, Freund, hier ist eine Grenze deiner Freiheit, und eher verblutest du dich.« Er erschrak, hielt sein Tier an, spähte in das Dunkel, das seine angepaßten Augen allmählich durchdrangen. So ernst ist diese Sache, und es heißt mit ihr Glück haben! Da es aber gerufen wurde, erschien ihm das Glück: ließ sein Herz stärker schlagen, machte seinen Kopf leichter, und er besann sich, daß das Alter ein Irrtum sei, und nur vermöge unserer Nachgiebigkeit trete es ein. ›Ich will glücklich sein, noch einmal der Siebzehnjährige, und das Versprechen des Glückes, heute heißt es Gabriele. Erfüll es selbst! Da ist nicht die Wahl, hilft auch die Scham nicht, und Müdigkeit ist unerlaubt. Kämpfe! Mach wieder den König von Navarra, der ein kleiner Mann war gegen mächtige Gefahren. Sie haben ihn nicht umgebracht, und sogar diese wird es nicht.‹

Während er sich reckte, um aufzuatmen, erblickte er in der Ferne eine unbewegte Reitergestalt. Der gerade Weg lief lange dahin, Baumkronen neigten sich herüber; dennoch unterschied Henri zwischen Laub und Schatten, fern und noch klein, die Statue, die wartet. ›Den liebt sie! Das ist wahr, und vor der Wahrheit beug ich mich. Wenn aber er sie liebte, dann stieß er mir hier und jetzt seinen Dolch in den Hals. Tut er's nicht? So bin ich der Stärkere, weil ich der König bin. Er ist schön und jung: töte mich, Feuillemorte, sonst verlierst du deine Geliebte. Sie wird mich nicht immer alt und häßlich finden, dafür sorg ich, Feuillemorte. Mein Bart ist grau, aber nicht aus triftigen Gründen, denn ich selbst bin jung wie nur einer. Sie wird es lernen, soviel mich's kosten soll; und muß ich schenken, immer schenken, und mich blind stellen, und werben, bitten, den Kleinen spielen: zum Schluß liebt sie nicht mehr dich, Feuillemorte. Mich liebt sie, liebt mich.‹

Angelangt. Er stellte sein Pferd neben das andere, er neigte sich zu dem anderen Gesicht. »Bellegarde! Wach auf! Was wolltest du tun.«

»Sire! Ihnen das Geleit geben, sobald Sie nicht mehr wünschten allein zu sein.«

Henri war erstaunt, eine höfliche, ruhige Stimme zu hören. ›Wie? Den hat der Sturm nicht angerührt, nur ich wurde geschüttelt? Er wird doch wenigstens Mißtrauen fühlen, das kann ich verlangen.‹

»Ich werde alt«, sagte der König, als sie weiterritten. »Es ist daran zu merken, wie mir die Frauen neuerdings begegnen. Eine, ob du es nun glauben willst, hat mich sitzengelassen an einer Tafel, die für zwanzig Abwesende gedeckt war, sie aber schlich sich aus dem Haus und fuhr von dannen. Da merkt einer erst, wie es um ihn steht, und so auch heute. Du kannst zufrieden sein. Du bist doch zufrieden?« wiederholte der König, da keine Antwort erfolgte. Das Eingeständnis der Eifersucht! Der König triumphierte.

»Du wolltest es, Feuillemorte. Ich sollte durchaus deine Geliebte sehen, du hättest sie mir am liebsten im Bade gezeigt. Auch ist sie wirklich weiß und rosig, wie du sie schildertest. Mehr weiß als rosig, es stimmt genau. Nie gewahrte ich etwas so Weißes, Schimmerndes, und empfing allein durch einen Anblick noch kein solches Versprechen von Glück. Wie schade, daß ich alt bin!«

Dies war mit aufrichtiger Trauer gesprochen, wenn nicht vermöge einer großen Begabung. Bellegarde wurde vom Anhören um so gewisser seines eigenen Glückes, denn sein Glück war Wirklichkeit und nicht leeres Versprechen. »Sie sagen es, ich bin glücklich«, rief Bellegarde hinauf zu den stillen Wipfeln. Unvermittelt begann er mit halber Stimme.

»Ich habe die schönste Freundin von der Welt, bin Großstallmeister von Frankreich, dreißig Jahre alt, gut gewachsen, und der Abend ist gelinde. Ich habe die Ehre, neben dem König zu reiten. Sire! Sie möchten mir meine schöne Freundin wegnehmen, das wäre für Ihren Edelmann die allergrößte Ehre. Mich aber liebt Gabriele d'Estrées, und Sie würden betrogen werden.«

»Du wirst vergessen werden«, sagte Henri, ebenso leise.

»Darum bleibe ich doch ihr Erster«, sagte Bellegarde. »Schon an dem vorigen Hof, als sie sechzehn war, verliebten wir uns. Der verstorbene König ließ uns zusammen tanzen, beide in dieselben Farben gekleidet. Es war sehr gut, daß wir damals unserem gemeinsamen Verlangen widerstanden. Ohne daß ich sie berührt hätte, war sie mir doch bestimmt, und weder dem Kardinal von Guise noch dem Herzog von Longueville. Die Flucht des Königs aus Paris trennte uns für drei Jahre, und durch reinen Zufall hab ich sie hier wiedergefunden; aber gibt es solche Zufälle?«

Viel zu wichtig genommen, hätte Henri gern dazwischen gerufen. Viel zu lang und wichtig; indessen brachte er nichts hervor. Bellegarde versenkte sich, je dunkler der Wald wurde, nur hingebender in den stillen Rausch seines Glückes.

»Man sagt mir: sie ist in Coeuvres. Ich reite hin, wer steht im Saal? Wir sehen uns an, schon ist es entschieden. Sie hatte auf mich gewartet drei Jahre lang, ich blieb ihr erster. Die Tante paßte auf, ich habe sie bezahlt, und die Tür des Zimmers wurde nicht verschlossen in jener Nacht. Die Treppe führt im Innern eines durchbrochenen Türmchens hinauf zu dem Seitenflügel -- und dort schlief ich mit ihr«, endete Bellegarde, hatte sich gerade durch dieses Wort ernüchtert, schwieg, und vermutlich hielt er die Lippen fest aufeinandergedrückt.

»Das ist alles?« fragte Henri, merkwürdig beklommen, da es doch lustig ist, die Tante zu bezahlen und mit der Nichte zu schlafen.

»Ich habe zuviel gesagt«, bemerkte der Liebhaber Gabrieles. Dasselbe empfand Henri: er schämte sich, dies alles gehört zu haben. Die innigen Geständnisse dessen, den ich berauben will, beschämen mich. Denn er hatte schon vergessen, was er vorhin, in dem Augenblick der Hellsichtigkeit, diesem Unternehmen alles zugestanden hatte, Demütigungen jeder Art, freiwillige Blindheit und Verletzungen der Scham.

Die Reiter gelangten aber auf eine Lichtung, dieselbe, wo ihr Abenteuer seinen Anfang genommen hatte, und hier hinein schien der Mond. Jeder sah auf einmal, daß der andere ernst und bleich war: da begann Bellegarde, in dieser tiefen Einsamkeit, wie ein Höfling zu sprechen.

»Sire!« bat er. »Verlangen Sie nicht, ich sollte mich meiner Jugend rühmen. Ein glücklicher König ist mit vierzig Jahren jung. Ich -- bin's vielleicht nur noch heute.«

»Du bist auffallend gelb, Feuillemorte. Das Licht des Mondes verdeckt deine Farbe nicht. Außer der Jugend zählt auch die Gesundheit. Du solltest in ein Bad gehen, Feuillemorte.«

 

Reizende Gabriele

Wo Henri geht und steht, muß er auf Feinde achten, jetzt und immer. Eines Tages schleicht zwischen zwei feindlichen Heereskörpern ein Bauer hindurch. Einen Strohsack auf dem Kopf, macht er vier Meilen Waldes, gelangt nach Schloß Coeuvres, über die Brücke, auf den Hof -- hier ruft ihn eine Magd an. »Halt, Alter! Die Küche ist hinten.« Sie bekommt etwas in die Hand gedrückt, betrachtet es sehr erstaunt, führt endlich aus, was ihr leise aufgetragen wird. Aus dem Hause trat Gabriele d'Estrées.

Sie sah einen kleinen Bauer, graubärtig, gebückt, ein schwärzliches Gesicht mit Furchen, wie das Volk hat. »Was willst du?«

»Ich bring eine Botschaft für das Fräulein. Der Herr will nicht genannt sein.«

»Sprich, oder mach, daß du fortkommst.« Das Fräulein war selbst schon wieder im Gehen. Noch rechtzeitig bemerkte sie, wie lebhaft und geistreich der Mann blickte. War das ein Bauer? Wo sah ich diese Augen schon? Allerdings, sie hätten dir beim erstenmal mehr auffallen müssen.

»Sire!« rief sie, erschrak, und sagte gedämpft: »Wie sind Sie häßlich!«

»Ich hatte mich angesagt.«

»In dieser Gestalt! Verdien ich nicht, daß Sie in Samt und Seide, mit Gefolge kommen?«

Henri lachte in seinen grauen, bestaubten Bart. ›Ah! ich war ihr zu alt. Dieser Bauer ist älter, als ein König jemals sein kann. Soweit hab ich schon gewonnen. Nicht viel fehlt, und wenn ich in großem Aufzug einträfe, sie fände mich schöner als Feuillemorte.‹

Gabriele sah sich unruhig nach dem Hause um; die Fenster waren bis jetzt leer. »Kommen Sie! Ich zeig Ihnen den Karpfenteich.«

Sie lief, und er nahm große Schritte, bis beide um das Haus waren. Henri lachte in seinen Bart. ›Schon ist sie eitel auf ihren königlichen Bewerber, niemals würde sie ihn den Ihren als verschmutzten Bauer zeigen. Es geht vorwärts.‹

Hinter den Gebäuden begann der Garten bald sich zu senken, es war gut, um nicht beobachtet zu werden. Zum Teich hinunter stieg in einer Wildnis, von Laub und mit gelben Blättern bedeckt, eine breite Treppe. Plötzlich macht Henri zwei, drei Sätze und ist am Grunde. Gestrafft, kein kleiner Bauer mehr, steht er und wartet, daß Gabriele schreiten möge wie das erstemal, als sie den Fuß angesetzt und schon sein Herz betreten hatte.

Drohen hält sie noch, jetzt läßt sie den Fuß zur ersten Stufe nieder. Eine ihrer Hände liegt an ihrer Perlenschnur, über das Geländer gleitet die andere: genau so war es das erstemal. Ihre langen braunen Wimpern sind gesenkt. Sie schreitet. Dies Wunder von Gehaltenheit, Gelöstheit, Spannung, Größe, es vollzieht sich wieder. Sein Herz klopft, die Tränen schießen in seine Augen. Ewig wird dies sein, so fühlt er. Bei ihrer Ankunft verschleiern ihre Wimpern sie noch. Als aber die blauen Blicke geöffnet werden, haben sie ihre ganze bezaubernde Unbestimmtheit. Niemand könnte sagen, ob sie weiß, was sie tut.

Henri fragte danach nicht. Er sah dies Haar und dies Gesicht. Von dem gesiebten Licht eines Wolkenhimmels erhielt ihr goldenes Haar einen Glanz, gelassen wie die Gnade. Ihre Haut hatte davon ein gedecktes Weiß, das ihm zauberisch erschien: er schüttelte den Kopf.

»Sire! Eure Majestät ist mit Ihrer Dienerin unzufrieden«, sagte Gabriele d'Estrées mit überaus feiner Bescheidenheit -- bog ein wenig das Knie vor dem König, aber nicht zu tief. Henri griff schnell zu, um sie aufzurichten. Er umfaßte ihren Arm. Zum erstenmal fühlte er ihre Haut.

Henri fühlte ihre Haut und erinnerte sich zweier Empfindungen, die er ihr nie hätte gestehen dürfen. Die erste: ein Geländer aus zartem altem Marmor, den die Sonne erwärmte, dort unten in seinem südlichen Nérac. Er strich darüber und fühlte sich zu Hause. Die zweite: ein Pferd von ehemals, auch aus der Jugendzeit. Er streichelte das bebende lebende Fell, war Gebieter und war Bewunderer.

»Sire! Was tun Sie. Sie machen mich schmutzig.«

Er nahm die Hand fort, sie hinterließ einen schwarzen Fleck. Henri fing an, ihn mit seinen Lippen zu entfernen. Das wollte sie nicht erlauben, sie hatte ihr Spitzentuch; aber da es sein Gesicht berührte, wurde es berußt wie der Arm. »Auch das noch«, sagte sie mit ungnädigem Lachen, er indessen hatte einen Augenblick der Entrückung und der Liebe ohne Grenzen oder Ende. Ihre Haut unter seinen Lippen: ›Gabriele d'Estrées, deine Haut, die ich küsse, hat den Geschmack der Blumen, der Farnkräuter in meinem heimischen Gebirg. So schmecken Sonne und ewiges Meer -- heiß und bitter, ich liebe die Schöpfung in Mühsal und Schweiß. In dir ist alles, Gott verzeihe mir, auch Er.‹

Hier bemerkte er ihr ungnädiges Lächeln und lachte mit, sehr sanft und leise, womit er sie gewann und gnädig stimmte. Sie lachten grundlos weiter wie zwei Kinder, bis Gabriele ihm die Hand auf den Mund legte. Dabei sah sie sich um, eine der unvergeßlichen Wendungen ihres Halses, -- als hätten sie beide in dieser Wildnis bemerkt werden können. Sie wollte aber nur die Heimlichkeit ihres Zusammenseins zu erkennen geben, wie er wohl verstand. Da fragte er sie im Vertrauen nach ihrer Tante de Sourdis, und was diese vorziehe, Schmuck, Seide, Geld.

»Zweifellos eine Stellung für Herrn de Cheverny«, erklärte Gabriele unbefangen. »Und eine für Herrn de Sourdis«, fiel ihr noch ein. Dann zögerte sie kurz, setzte aber ruhig hinzu: »Ich selbst brauche einen Platz für Herrn d'Estrées, denn mein Vater ist furchtbar schlechter Laune. Von Schmuck, Seide und Geld weiß ich nicht, welches mir lieber ist.«

Henri versicherte, daß er das nächste Mal mit allem versehen sein werde. Damit er aber die drei genannten Herren zu Gouverneuren ernennen könnte, wäre unerläßlich, daß er vorher mehrere Eroberungen machte, Städte, Land -- und ein gewisses Schlafzimmer. Er bezeichnete seine Lage.

»Die Treppe führt im Innern eines durchbrochenen Türmchens hinauf zu dem Seitenflügel ... Dort schlief ich mit ihr«, schloß er plötzlich, und das war nichts anderes als die Stimme seines Großstallmeisters. Gabriele erkannte sie und biß sich in die Lippen. Die kleinen, schimmernden Zähne versanken darin. Henri sah ungläubig zu, alles an Gabriele war schön wie der Tag, ein ewiger erster Tag. Ihre Nase bog sich erst seit heute mit dieser Anmut, welche Wimpern wären jemals so lang und goldbraun gewesen. Die gleichen, hohen und schmalen Bogen der beiden Brauen! Keine Ahnung mehr, sie könnten ausrasiert sein.

Gabriele d'Estrées entließ ihn rückwärts über die Felder, damit er niemandem vom Schloß begegnete. Da er nun wieder als Bauer zwischen den Feinden durchschlüpfte, gedachte er anstatt der Reize von Coeuvres nur der guten Gelegenheit, Rouen einzunehmen. Die Liga hatte dieser schönen Stadt einen Befehlshaber gegeben -- ach, ihm war schon vor Zeiten in der Bartholomäusnacht der Verstand abhanden gekommen, und jetzt stritt er sich mit den Einwohnern, anstatt die Befestigungen auszubessern und für Lebensmittel zu sorgen. Der König hätte wahrhaftig seine ganze Kraft an die Eroberung von Rouen wenden müssen, war dessen auch gesonnen und hatte es verkündet. Als er dennoch etwas anderes beschloß, suchte man, woher es käme, und fand unschwer die Sippe der d'Estrées und de Sourdis mitsamt ihrem Glanzpunkt und Lockvogel. Ritt doch der König offen und unter starker Bedeckung nach Coeuvres.

Gleich das erstemal erwarteten ihn alle vollzählig, denn sie waren unterrichtet: Madame de Sourdis in einem starrenden Reifrock, die Herren d'Estrées, de Sourdis, de Cheverny und sechs Töchter, von denen nur Diana und Gabriele zugegen blieben. Die Kleineren wußten schon, daß ernste Geschäfte zur Verhandlung standen, weshalb sie sich ausgelassen davonmachten.

Madame de Sourdis empfing mit strenger Miene den Beutel, den der König unter seinem roten Mäntelchen hervorzog. Es war ein ledernes Säckchen, sie entleerte es in ihre Hand; erst dabei erhellte sich ihre Miene, da Edelsteine hinlänglicher Größe herausfielen. Sie nahm diese als ein königliches Versprechen, daß noch größere folgen würden -- zur gegebenen Zeit, wie sie vertrauensvoll äußerte. Während dieses einleitenden Handels stand die Dame allein vor dem König inmitten des weiten Saales, der aus dem Erdgeschoß zum Garten führte; und von den Wänden blickten hernieder die Büsten mehrerer Marschälle dieser Familie sowie die Waffen, die sie getragen, und die Fahnen, die sie selbst erobert hatten, alles feierlich angeordnet.

Der König denkt: ›Wie wird das werden. Schon diese paar Saphire und Goldtopase hat mein Rosny mir nur ungern geliehen aus seinem Bestand. Dies ist eine fürchterliche Frau, man kann den Blick nicht von ihr wenden. So klein und dürr sollen die Giftmischerinnen sein. Vogelgesicht -- und weiß, ein solches Weiß gibt es nicht‹, denkt er mit tiefem Widerwillen, ›weil es in Wahrheit nur zu klar ist, daß alle Frauen der Familie damit begabt sind, und was die eine begehrenswert macht, gemahnt bei der anderen an Gift und Tod.‹

Der Schloßherr hatte einen Kahlkopf, der sich bei jeder Gemütsbewegung mit Röte überzog. Er war ein Jäger und Biedermann. Der Gatte de Sourdis war klein, breithüftig und gänzlich unverlegen, trotz verschlagener Leisheit. Um so länger wirkte de Cheverny, der abgedankte Kanzler. Er überragte alle und bedeutete hierselbst den schönen Mann, anderswo hätte man ihn fahl und aktenhaft genannt. Sein Anzug war indessen der sorgfältigste, er kam auf Rechnung seiner Beziehungen zu der Hausfrau.

Henri übersieht die drei Edelleute mit einem Blick. Seine Erfahrung bei Männern ist reich und verläßlich. Die Frauen? Es wird sich zeigen. Sie täuschen immer wieder; was nicht an ihnen liegt, Schuld daran hat unsere Einbildung. Gabriele steht mit ihrer Schwester Diana Hand in Hand. Häuslicher Kreis, beide bescheiden und lieblich. Henri hätte beinahe vergessen, daß hier eine begehrte Frau ist, unvergleichlich an Großartigkeit und Pracht, das Ziel des Lebens, und die ganze Liebe. Es scheint, wir haben das immer noch in der Hand bis zum letzten Augenblick und könnten uns auch zurücknehmen.

Dies weiß eine Frau wie Madame de Sourdis. Sie erteilte daher einen entschiedenen Wink seitwärts über die weit abstehenden Rippen ihres farbenreichen Kostüms hinweg. Infolgedessen ließ Gabriele die Hand Dianas los und traf inmitten auf Henri. Zuerst schwieg er nur, da er seine Liebe neu entdeckte, und so wird sie ihm aufgehen mit jedem Tag, unausbleiblich wie die Sonne. Nein, er kann sich nicht zurücknehmen, wie er einmal gemacht ist.

Inzwischen füllte sich der Saal. Seine Tür stand offen, das Haustor auch; und über die Vorhalle hinweg war zu sehen, wie draußen Kutschen anrollten ohne Unterlaß. Herren und Damen im Festkleid hatten sich vom ganzen Umkreis aus ihren Schlössern aufgemacht. Sie kamen wie zu einer Verlobung, sie drängten sich wispernd und gespannt gegen die Wände: da erblickten sie wahrhaftig, was der König tat. Er erhob die Hand der schönen d'Estrées bis nahe unter seinen Mund, und hier schob er über ihren Finger einen Ring -- nun, es war kein Ring, der die Damen aufregen konnte. Einige Rosen unterbrachen den schmalen Reifen, ein jüngerer Sohn hätte dergleichen einer armen Stieftochter an die Hand gesteckt. Dies geschehen, gab die Hausfrau mit einem Stab das Zeichen für die Diener, Erfrischungen zu reichen. Alsbald hielten Fruchtwässer, Mandelmilch, Marmeladen und türkischer Honig ihren feierlichen Einzug, auch Tische mit Pasteten und Wein wurden fertig gedeckt an ihren Platz gestellt unter Aufsicht eines stattlichen Koches; er folgte nur den Weisungen des Stabes. Madame de Sourdis rückte diesen mit hartem, trockenem Griff ein klein wenig durch die Luft, beinahe eine Fee. Auf ihrer roten Perücke schwankten eine grüne und eine gelbe Feder. Wendete sie aber den Hals, dann tat sie es unverkennbar wie Gabriele -- in höchst verwandter Art, ungeachtet, daß die Anmut sich zur Fratze verwandelte, und aus der Lust wurde ein Greuel. So nah ist alles.

Angezogen durch die Nahrung, vergaßen die Gäste ihre Scheu, drängten in die Mitte und stritten geräuschvoll um die Plätze. Die Vornehmsten ließen sich durch die Herren des Königs vor ihn hinführen, um ihn ihrer Treue zu versichern, was nötig genug war, denn erst kürzlich hatten sie gegen ihn im Feld gestanden. Obwohl dies lauter Gewinn für ihn war, behauptete er einfach, daß jeder gute Franzose ihn anerkennte und ihm diente -- ließ übrigens alle stehen, und nur mit dem Herzog von Longueville sprach der König. Er ist der andere Bewerber Gabrieles: sie hat gezögert, vielleicht weiß sie noch jetzt nicht, ob der oder Feuillemorte. So sehen die aus. Dieser hat die Haare künstlich gebleicht und ein Mädchengesicht, wie sie am vorigen Hofe üblich gewesen sind. Ist dennoch tapfer, hat bei einer Dame, obwohl selbst nur im Hemd, den eindringenden Gatten niedergemacht. »Erzähl davon, Longueville!« Der König bringt ihn zum Reden, Gabriele d'Estrées zieht sich beleidigt zurück. Sie könnte wohl sagen, daß sie fortbewegt worden ist vom Gedränge, wie es durch den Saal kreist: Leute, die den Anblick des Königs oder etwas Eßbares erstreben. Das kreist, dünstet schwül, duftet scharf, über der Masse wippen Federn, und Hälse, die länger als andere herausstehen, tragen auf starren Krausen einen Kopf, er scheint körperlos durch den Raum zu schweben.

Der König wurde selbst umhergedreht, auf seiner Fahrt erreichte er das Ende des Saales; eine Kette kräftiger bäurischer Bedienter hielt es frei. Die Hausfrau erwartete ihn dort, den Stab erhoben, als hätte dieser den König herbeigezaubert. Er wurde an eine Tafel für sich allein gesetzt, die Herren d'Estrées, de Sourdis und de Cheverny bedienten ihn stehend: der erste mit Wein und Melone, der zweite mit einem fetten Karpfen, der dritte mit Wildpastete, die durch und durch getrüffelt war. Der König wurde plötzlich von großem Hunger befallen, dennoch befahl er zuerst noch, daß Gabriele d'Estrées sich neben ihn setzen sollte. Sie war nicht zu entdecken. Statt ihrer neigte Vater d'Estrées sich über den König, dem er einschenkte, und sprach mit ehrlichem Zorn, sein Kahlkopf lief rötlich an. »Sire! Mein Haus ist eine Hurenklappe. Wollte ich des Nachts durch die Schlafzimmer dieses Schlosses gehen, um die Ehre der Familie zu rächen, von dieser bliebe nichts übrig. Mit ihrem Aussterben ist mir nicht gedient. Mein Trost bleibt nur das ehebrecherische Paar in Issoire.«

Er meinte seine Frau und den Marquis d'Alègre. Der König fragte den Biedermann, warum gerade diese sein Trost wären. Herr d'Estrées antwortete, daß der Marquis d'Alègre in der Stadt, die ihm unterstellt war, den allgemeinen Haß genieße, da er sie ausplündern müsse für Madame d'Estrées und ihre unersättlichen Bedürfnisse. Sicher werde es ein großes Unglück geben. Hierauf kam der fette Karpfen. Herr de Sourdis, an dem es war, den König zu bedienen, sprach von keinem häuslichen Unglück, trotz dem endenreichen Geweih, das an seiner Stirne deutlich sichtbar war. Nein, er sorgte sich einzig um Stadt und Landkreis Chartres. Jene hatte einstmals er selbst verwaltet, in dieser war sein Freund de Cheverny der Herr gewesen, bevor sie alle beide waren vertrieben worden infolge der überhandnehmenden Gesetzlosigkeit und des Schwindens der königlichen Macht. Nach der Meinung des Karpfens, denn Herr de Sourdis ähnelte ihm, war nicht die Einnahme von Rouen geboten, sondern unbedingt nur die von Chartres. Ganz unbedingt, bestätigte der frühere Kanzler, der den Karpfen ablöste und dem König die Rebhuhnpastete, durch und durch getrüffelt, vorlegte. Dieser bleiche Beamte erwies sich geschickt wie keiner, erstens im Servieren, aber auch durch seine besondere Kenntnis der königlichen Gesinnung und Vorliebe.

»Sire!« sagte er ernst und eindringlich. »Sie könnten Ihre Stadt Rouen zur Übergabe zwingen, wodurch Ihre Provinz Normandie auf einmal gesichert würde. Indessen wäre dies eine überaus blutige Sache. Eure Majestät hat selbst geäußert, daß Sie nur mit betrübter Seele Ihre Untertanen auf den Schlachtfeldern liegen sehen, und wo Sie gewännen, da verlören Sie. Indessen wäre ein hoher Beamter, der im Landkreis alle kennt, durchaus geeignet, Chartres auf dem Verhandlungswege in Ihre Gewalt zu bringen.« So gut wußte er, was der König vorzog, und dazu die würdige Stimme.

Die Reihe war an Madame de Sourdis; ihr Stab winkte eine große verdeckte Schüssel herbei, und als die silberne Glocke abgehoben wurde, erschien als lebendes Figürchen Amor, das verschmitzte Kind, einen Finger am Mundwinkel, Rosen in den Locken und den Köcher mit Pfeilen wohlgefüllt. Während alle den lieblichen Bogenschützen bewunderten und ein Ah und Oh durch den Saal ging, erhob Madame de Sourdis, rothaarig, gelb und grüne Federn, vor dem König ihren Stab und fragte: »Soll ich ihn senken? Chartres für Herrn de Sourdis und für Herrn de Cheverny die königlichen Siegel.«

Die Lider des Königs bewegten sich kaum merklich, aber Madame de Sourdis hatte aufgepaßt. Sie senkte den Stab, da saß neben dem König, nah an ihm, die reizende Gabriele.

 

Tal Josaphat

Östlich der Stadt Jerusalem, dem offenen Mittelmeer entgegengesetzt, aber dem Toten Meer nicht fern, liegt Tal Josaphat. Es ist die Einsenkung zwischen der Stadtmauer, die kreisrund ist, und dem Ölberg. Wir kennen das Land, wir kennen das Tal, und wissen nur allzuviel vom Garten Gethsemane. Die Frömmsten wollen nur im Tal Josaphat begraben sein, denn die Posaune der Auferstehung und des Gerichts, dort wird sie zuerst gehört werden, wenn sie einst erschallt. Zwischen den Bäumen des Gartens aber, hier am Grunde war es, daß unser Herr versucht wurde. Judas will ihn verraten, was ihm keineswegs entgangen ist, da die große Neigung der Menschen, von Gott abzufallen, ihm durch die eigene Schwäche verständlich wird. Er stürbe lieber nicht, und im Garten Gethsemane, Tropfen der Angst auf der Stirne, spricht er zu Gott: »Mein Vater, ist es möglich, daß dieser Kelch an mir vorübergehe? Doch nicht, wie ich will, sondern Dein Wille geschehe.«

Tal Josaphat, so hieß das königliche Lager vor Chartres, und als eines Tages der König, mit Schlamm bedeckt, aus den Laufgräben stieg, wer wurde ihm auf einer Sänfte entgegengetragen? Henri lief wie ein Knabe, damit er seiner Gabriele die Hand beim Aussteigen reichte; darüber hätte er beinahe die Dame de Sourdis vergessen; und dann zogen beide, von ihm geleitet, in Tal Josaphat ein. Gabriele zeigte ihr grünes Samtkleid, das zu ihren goldblonden Haaren so gut stand; auf kleinen Schuhen aus rotem Maroquin ging sie durch Schmutz, lächelte aber sieghaft. Ein längliches Gasthaus wurde für die Geliebte des Königs hergerichtet; ohne ihn lange hinzuhalten, empfing sie darin noch dieselbe Nacht den, der sie so sehr begehrte.

Sie tat es, weil ihre erfahrenere Tante de Sourdis ihr gesagt hatte, daß es sich lohnen würde, und der König wäre ein Mann, der auch nachher zahlte, ja, nachher nähme seine Verliebtheit nur zu. Was sich als scharfsinnige Wahrheit erwies, und die erste, die den Vorteil davon verspürte, war Dame de Sourdis selbst, da ihr alter Freund de Cheverny vom König die Siegel erhielt und »Herr Kanzler« genannt wurde. Ein langes Unglück macht ungläubig. Als der bleiche Beamte, ein Werkzeug der verstorbenen Katharina von Medici, Veranstalterin der Bartholomäusnacht, bei dem protestantischen König ins Zimmer trat, wie wurde ihm? Die Feuchtigkeit stand ihm auf der Stirn, denn er dachte nicht anders, als daß man mit ihm eine Komödie vorhatte, und alsbald wäre er insgeheim beseitigt. In dieser Art wurde es zu seiner Zeit gehalten.

Vorne im Licht war niemand mit dem König, als nur sein Erster Kammerdiener Herr d'Armagnac, ein grauhaariger Mann. Der hatte seinen Herrn überall die vielen Jahre begleitet, in die Gefangenschaft, in die Freiheit, durch die Todesgefahren, durch die glücklichen Tage. Er hatte ihm das Leben gerettet, ihm den Bissen Brot verschafft und ihn vor Schaden behütet, soweit dieser von Männern drohte. Vor den Frauen warnte er ihn nie, da auch er selbst wie sein Herr von den Frauen nichts Schlimmes gewärtigte, es sei denn, daß sie häßlich sind. D'Armagnac fand gerade die Dame de Sourdis schön, wegen ihrer roten Haare und ihrer frechen blauen Augen, die einen ritterlichen Mann aus dem Süden zur Bewunderung nötigen. Daher war er für Herrn de Cheverny im voraus gewonnen und trug nach Kräften bei, daß der Freund der Dame de Sourdis vom König gut empfangen wurde. Auf den leisen Wink nahm d'Armagnac die Siegel und die Schlüssel vom Tisch, überreichte sie dem König großartig, wie in öffentlicher Zeremonie, und dieser konnte gar nicht anders, er setzte die Bewegung seines Ersten Kammerdieners fort, umarmte den Herrn Kanzler, rühmte ihn und verzieh ihm das frühere Unrecht. »Jetzt«, so sagte der König nach hinten, »wird der Herr Kanzler die beiden Pistolen, die diese Siegel sind, nicht mehr gegen mich, er wird sie gegen meine Feinde richten.«

De Cheverny, trotz großer Abgebrühtheit, blieb hier vor Staunen stumm. Hinten im Zimmer wurde geraunt, gemurrt, und wenn nicht alles täuschte, klirrten Waffen. Protestantische Herren waren es, und ihre Unzufriedenheit bezog sich nicht nur auf diesen Auftritt: die Anwesenheit der beiden Damen im Lager Josaphat mißfiel ihnen. Es erbitterte sie, daß um der Damen willen nicht das wichtige Rouen erobert, sondern vor Chartres die Zeit verdorben wurde. Auch befürchteten sie noch größeres Unheil von der neuen Leidenschaft des Königs, da sie seiner Religion nicht mehr trauten.

Den Ängsten dieses Zimmers glücklich entronnen, blieb Herr de Cheverny zuerst ganz dumm im Kopf, seine Freundin de Sourdis machte ihm klar, wer der Stärkere wäre in Josaphat. Auf keinen Fall die Pastoren. Indessen kam das Paar überein, daß Gabriele zu ihrer Bedienung nur Protestanten haben sollte. Sie selbst sah den Nutzen auch ein. Sonst aber tanzte sie. Jeden Abend wurde getafelt und getanzt in Josaphat, es war die unterhaltendste Belagerung. Wenn dann alle zu Bett gegangen waren, zog der König mit hundert Reitern auf Wache. Seine Nacht war kurz, die Sonne fand ihn bei der Arbeit, und am Tage jagte er -- das alles, weil die Nähe dieser Geliebten ihm die Ruhe nahm, wie noch keine es vermocht hatte, und seine Kraft und Tätigkeit antrieb über jede frühere Erfahrung hinaus. Um so ungeduldiger wurde er, als die belagerte Stadt nicht fallen wollte. Gabriele d'Estrées, er wußte wohl, daß sie praktischen Ratschlägen, nicht aber ihrem Herzen gefolgt war, als sie sich ihm ergab.

Henri schwur sich, es sollte anders werden; denn Frauen haben vielerlei Gründe, ihre Berechnung schließt nicht ihr Gefühl aus. ›Das wissen wir mit vierzig Jahren. Mit zwanzig hätten wir uns auf eine Geliebte schwerlich eingelassen, wenn sie einen ganzen Troß stellenloser Edelleute nach sich zieht. Wir hätten nie gedacht, daß wir uns die Mühe geben würden, ihr ansteigend verschiedene Gestalten vorzuführen -- einen alten kleinen Bauer, zu dem sie sagte: Sind Sie aber häßlich; und dann den königlichen Aufzug, und dann den Soldaten, der befiehlt, ordnet, immer wacht; endlich aber soll sie den Sieger erblicken. Ihm wird ihr Sinn bestimmt erliegen, da die Frauen von den Bezwingern der Menschen und Plätze träumen und darüber jeden jungen Großstallmeister vergessen. Dann hab ich sie, und der Kampf ist entschieden.‹

Endlich mußte Chartres wohl fallen, da die Königlichen sich bis unter die Mauer hindurch gegraben hatten. Nahmen ein Vorwerk nach dem anderen, zuletzt aber Burg und Stadt, und in dieser Art nahm Henri auch Gabriele, die ihn noch nicht liebte, als sie schon im Gasthaus »Eisernes Kreuz« das Zimmer mit ihm teilte. Der Anblick seiner Unermüdlichkeit gewann ihm ein Vorwerk ihres Herzens, und er hatte Grund zu glauben, daß er auch in ihre innerste Burg einzog, als er Chartres in Besitz nahm. Das war der hellste zwanzigste April, das waren schwingende Glocken, herausgehängte Teppiche, Kinder, die Blumen streuten, Geistliche, die sangen, der Bürgermeister mit dem Schlüssel, und vier Schöffen trugen den blausamtenen Baldachin, darunter, hoch zu Pferd, der König seine Stadt musterte, und kaum erobert, begrüßte sie ihn beifällig. Der schöne Tag! Der schöne Tag, an dem die geliebteste Frau seines Lebens hierbei zusieht.

Der feierliche Empfang vollzog sich in einer berühmten Wallfahrtskirche, und ganz vorn im Publikum erstrahlte die Geliebteste mit allen ihren Leuten, der König übte vor ihr seine Majestät aus, Seitenblicke überzeugten ihn, daß sie davon hingeschmolzen wäre. Ein geheimer Anlaß störte sie darin, so daß sie errötete, sich auf die Lippe biß -- ja, Ironie verriet sie. Daher entdeckte der König leider, daß hinter ihr jemand sich vorsichtig im Schatten hielt: lange ist er dem nicht begegnet, hat auch nie nach ihm gefragt. Dort drückt er sich umher. Henri, im ersten Zorn, winkt alle seine Protestanten an sich, sie brechen ihm Bahn -- er eilt zur Predigt in ein verrufenes Haus. So ist es, sein Pastor hat, um Gott zu dienen, nur diesen Ort, wo sonst Komödianten auftreten und Kuppler in Gemeinschaft mit Dieben ihr Unwesen treiben. Diesen Aufenthalt zog der König der Gesellschaft der anständigen Leute vor; er erregte so viel Anstoß, daß er gut daran tat, Chartres zu verlassen.

Vorher versöhnte er sich mit Gabriele, die ihm schwur, daß seine Augen ihn getäuscht hätten, jener Edelmann könnte sich unmöglich in der Kirche befunden haben, sonst müßte sie selbst es gewußt haben! Dies war ihr bester Beweis, Henri fühlte sich sehr geneigt, ihn für bündig hinzunehmen, obwohl der Fehlschluß auf der Hand lag. Wer sagte ihm denn, daß sie es nicht wirklich gewußt hatte? Der ungewiß schwimmende Blick ihrer blauen Augen wahrhaftig nicht. Der sprach: Hüte dich! Dennoch ließ er sich versöhnen, gerade weil er sie nun einmal nicht allein besaß bis heutigen Tages und weiter um sie kämpfen wollte.

Sie begab sich zurück nach Coeuvres, wo er sie besuchte und wo Herr d'Estrées ihm eröffnete, daß die Ehre des Hauses durchaus nur leide unter dem Sachverhalt. Beide drückten sich als Männer aus. »Wie haben Sie Ihr Haus denn selbst genannt?« fragte der König.

»Eine Hurenklappe«, knurrte der Biedermann. »Gewöhnliche Edelleute hatten es mißbraucht. Fehlte nur ein König, und auch den haben wir jetzt.«

»Gevatter, das einfachste wäre gewesen, Sie hätten Ihre Tochter nach Chartres begleitet. Erstens hätten Sie aufpassen können. Außerdem wären Sie jetzt dort Gouverneur. An Ihrer Stelle ist es Herr de Sourdis, aber den mag kein Mensch wegen seiner Häßlichkeit, und auch räuberisch ist er plötzlich geworden, aus einem Karpfen ein Hecht. Ich brauche biedere Männer, Gevatter.«

»Sire! Ich bin bestrebt, dem König gut zu dienen, wobei ich gleichzeitig mein Haus rein halte.«

»Es wird Zeit«, sagte der König, »und bei mir wollen Sie anfangen?«

»Bei Ihnen will ich anfangen«, versicherte Herr d'Estrées, während sein Kahlkopf sich mit Röte überzog.

Der König ritt fort, ohne seine Geliebte gesehen zu haben, und unterwegs bedachte er das Angebot der Königin von England. Von ihr konnte er drei- oder viertausend Soldaten bekommen mit dem Sold für zwei Monate, und auch eine kleine Flotte schickte sie ihm -- falls er ernst machte mit Rouen. Das war ihre Bedingung, und war wohl einer alten Frau gemäß, da sie allein noch für ihre Macht lebt, und sonst für kein Heil. Der König versetzte sein Pferd in schnellere Gangart, zuletzt sogar in Galopp, seine überraschten Begleiter blieben zurück: er erfreute sich seiner Beweglichkeit, und in England sitzt eine Greisin.

Elisabeth, jetzt eine hohe Fünfzigerin, hat Günstlinge hingerichtet aus bloßer Sorge um ihre Macht und ist mit ihren Katholiken nicht anders verfahren. Henri hat niemals eine Frau geopfert, ja, Männer, die ihn töten wollten, hat er oft verschont. Er hat auch keine Armada besiegt, das nicht; einen Schlag wie den hat die Weltmacht von ihm nicht, leider nicht von ihm empfangen. Und wäre Elisabeth sechzig, ihr Volk sieht keine Jahre, ihm erscheint auf weißem Zelter eine große Königin, die schön ist, wie je. Elisabeth kennt einen einzigen Willen, ihn bricht nichts, weder Erbarmen noch Liebe. ›Der Name »Groß« paßt auf mich nicht‹, denkt Henri.

Sein Tier ist in Schritt gefallen. ›Der Name »Groß« paßt auf mich nicht. Übrigens aber, wieviel Zeit will ein Vierzigjähriger noch verlieren, bis er an seine Angelegenheiten geht? Ich seh schon, daß es mir mit Rouen nicht eilt, sondern vorher will ich Herrn d'Estrées versorgen.‹ Was er alsbald auch tat. Er eroberte die Stadt Noyon und setzte als ihren Gouverneur den Vater Gabrieles ein. Der Biedermann fühlte hier, daß nichts ihn fortan entehren konnte. Seine Tochter hatte sich ihm anvertraut: sie hoffte, Königin zu werden.

Ihre Dienerschaft war protestantisch. Sie gab den Pastoren Geld für ihre Ketzerei, und deren wurde sie selbst schon verdächtigt. Im Laufe des Sommers begann der König ihr so große Geschenke zu machen, daß auch für höhere Zwecke als den persönlichen Aufwand genug übrigblieb. Beraten von ihrer Tante de Sourdis, nahm sie Fühlung mit dem Konsistorium, ob es sich bereit fände, die Ehe des Königs zu scheiden. Andernfalls, so ließen die Mittelspersonen durchblicken, wäre zu befürchten, daß der König seine Religion abschwört. Dadurch würde er sogleich in den Besitz seiner Hauptstadt gelangen und wäre mächtig genug, beim Papst durchzusetzen, was er wollte -- vielmehr, was die Dame de Sourdis und ihr bleicher Freund ihm unterschoben. Denn Henri, ein Mensch der liebte, hatte in diesem Sommer die Welt vergessen. So stand es leider.

Er blieb tätig im einzelnen, wie er es nicht anders kannte; gedachte nur leider der ferneren Entschlüsse kaum, und da sie im Grunde genau gefaßt waren, ließ er es denn gut sein. Wer erlaubte sich nicht Pausen, Störungen und Schwächen. Vielleicht sind es keine, sondern sollen den, der seiner Sache gewiß ist, um so fester machen für den nächsten Sprung. Das ist nicht dasselbe wie mit einer Frau, deren Ränke durch ihr Herz gestört werden. Die Sippe Sourdis bediente sich wohl des schönsten Werkzeugs, nur war dieses den Schwächen der weiblichen Natur ausgesetzt. Gabriele empfing in Schloß Coeuvres, wo außer einiger Dienerschaft niemand mehr wohnte, ihren Bellegarde.

Aus Noyon schrieb der englische Gesandte seiner Herrin, daß der König sich dort nicht losreißen wolle infolge seiner großen Liebe für die Tochter des Gouverneurs. Diese indessen verschwand mehrmals aus der Stadt, und der König brauchte ihr wahrhaftig nicht nachzuforschen, ihm wurde alles hinterbracht: das erstemal ihr Ziel, das zweitemal, was sie dort tat. Ihren dritten Ausflug begleitete er selbst von fern und ungesehen, weil es Nacht war. Er hatte seinem Pferde die Hufen verbunden. Kam eine Mondbreite, dann hielt er im Schatten. Sie hatte einen runden niedrigen Karren mit einem Widder davor, den lenkte sie, und ihr faltiger Mantel schleppte am Boden nach. Durch weißes Licht zog die Erscheinung dahin, sein Herz klopfte, und war sie um die Waldecke, dann ritt er in die Quere, bis er sie wiederfand.

Er erreichte Coeuvres von der Seite der Felder, band draußen sein Tier an und schlich in den Garten, der unter den Sommer versunken und so voll Laub war, daß niemand hier die Entdeckung hätte fürchten müssen. Henri aber roch seinen Feind. Die Sinne wurden von der Eifersucht befähigt, in unbewegter, lauer Luft zwischen allen Ausströmungen der Gewächse den Menschen zu wittern. ›Bieg den Busch fort, einen Busch nur, du legst ein Gesicht bloß, das dir nichts Gutes wünscht!‹ Indessen rührte Bellegarde sich nicht, er hielt so still wie Henri selbst, da ihre Geliebte die Treppe zum Teich herniederstieg.

Tiefe Stille der Natur. Das Blatt, das sie gestreift hat, raschelt noch, während sie stockt und nach dem Dunkel hinunter späht. Die ausgedehnten Stufen liegen zur Hälfte schwarz, zur anderen grellweiß. Drunten glitzert heimlich das Wasser. Die Falten ihres Mantels bergen Silber; auch die Hand, die ihn am Hals zusammenhält, ist in Silber gefaßt. Ein großer Hut, ihr Beschützer auf unerlaubten Wegen, beschattet das Gesicht bis zu dem Kinn, das ist sehr weiß. ›O bleicher Verrat! O Frau in der Nacht, verzaubert und trügerisch alle beide!‹ Henri vergißt sich, den Blick verwirren ihm Tränen, er schlägt den Busch zurück, er nimmt drei Stufen auf einmal, er ist bei ihr, greift zu, bevor sie fliehen kann. Legt ihr den Kopf in den Nacken, sagt zwischen den Zähnen: »Davonlaufen, o meine schöne Liebe? Vor mir, vor mir?«

Sie versuchte sich zu fassen, ihre Stimme schwankte noch. »Wie könnt ich Ihrer gewärtig sein, mein hoher Herr?«

Er zögerte mit der Antwort, weil er horchte. Auch auf ihrem Gesicht erkannte er die Spannung. »Sind wir nicht geschaffen, voneinander zu wissen?« fragte er in einem romantischen Tonfall, der die Nacht und ihre schwebenden Geister nachahmte. »Zeigt nicht uns beiden der Zauberspiegel unserer Ahnung, wo jeder weilt, was jeder treibt?«

»Jaja. Gewiß, so ist es, hoher Herr« -- was sie selbst gar nicht hörte. Sondern sie verfolgte das Knistern von Gezweig: es wurde schwächer, es war aus. Sie seufzte erleichtert.

Henri wußte so gut wie sie, wer sich entfernte. »Süßer Seufzer! Verheißungsvolle Blässe! Leugnen Sie nicht länger, daß Sie um meinetwillen hier sind. Wie könnten wir einander versäumen. Sind wir nicht eines der ewigen Liebespaare, um sie her mag die Welt einstürzen, sie merken es nicht: Abelard und Heloise, Helena und Paris.«

Sie hatte große Furcht, er könnte auf den Gedanken kommen, daß er hier nicht Paris wäre, sondern Menelaus. Andererseits mußte sie dabei lachen -- sah ihn ironisch an unter ihrem großen Hut und sagte: »Mich friert, lassen Sie uns gehen.«

Er nahm ihre Fingerspitzen, an schwebender Hand führte er sie über die Gartentreppe, den schlafenden Schloßhof und zu dem linken der Türmchen von durchbrochener Bauart. Erst droben in ihrem Zimmer wurde Gabriele der Wirklichkeit bewußt, und da nichts mehr zu ändern war, warf sie alle Hüllen schnell ab und glitt ins Bett. Darunter am Boden lag der andere -- womit eine vernünftige Geliebte nicht rechnen konnte. Nur der Mann in seiner Leidenschaft begriff den tollkühnen Drang des anderen, war darauf vorbereitet, daß er es nicht werde lassen können, und gleich beim Eintreten hatte er mit den Augen das Zimmer durchsucht. Das Bett stand voll im Mondschein.

Henri legte sich zu Gabriele, bereitwillig empfing sie ihn in ihren schönen Armen. Als sie diese nun ausstreckte, sah er zum erstenmal, daß sie um eine Kleinigkeit zu kurz waren. Und mehr als alles erbitterte ihn, daß der andere auch den Fehler kannte. Nach der Liebe verspürten sie Hunger, und öffneten die Schachtel mit Konfekt, die Henri mitgebracht hatte. Beide stopften den Mund voll und sagten gar nichts. Indessen bemerkte Gabriele ein Geräusch, das nicht das Kauen ihres Gefährten war. Vor Schrecken hielt sie selbst mit Essen an und erstarrte. »Nimm doch!« sagte er. »Oder gäbe es Geister in deinem Türmchen? Ihr Stöhnen darf dich nicht erschrecken, ich hab die blanke Waffe gleich zur Hand.«

»Oh! Lieber Herr, es ist schrecklich. Schon manche Nacht habe ich hinter dem Schloß bei den Mägden verbracht, wenn es hier stöhnte.« Die Lust zu lachen kam ihr diesmal nicht. Henri sagte: »Wenn's nun der Geist von Feuillemorte wäre? Den sah ich lange nicht, er kann tot sein. Geist oder Mensch, jeder will leben«, erklärte er und warf Konfekt unter das Bett. Beide warteten -- und wahrhaftig hörten sie unter dem Bett ein Zähneknirschen: es klang mehr nach Wut als nach Genuß.

»Fliehen wir!« bat Gabriele schlotternd und umklammerte ihn.

»Wie kann ich, du läßt mich nicht aufstehen.«

»Nimm mich mit, ich fürchte mich, öffne die Tür schon, ich werf dir die Kleider zu.«

Sie stieg über ihn weg, zog ihn am Arm und flehte entsetzt: »Nicht unters Bett sehen! Es wäre unser Unglück!«

»Geister sind meine schlimmsten Feinde nicht«, sagte er undeutlich vor Qual und großem Angstgefühl um die Mitte des Körpers. »An Geister glaub ich gern. Was ich weder glauben mag noch wissen will, ist das Gewesene, das für dich Fleisch und Blut war, aber lebt vielleicht noch jetzt in deinen Gedanken.«

»Um Gottes willen, so laß und fliehen!«

»Sie haben mir alles berichtet über dich: Feuillemorte, Longueville und was ihnen vorausging. Als der selige König deiner satt war, verkaufte er dich dem Levantiner Zamet, der mit Geld handelt.«

Er hätte noch mehrere aufgezählt, obwohl er an keinen glaubte, nur sein Schmerz brach aus. Sie aber fiel ihm zu Füßen, drückte seine Knie, bis er das Bett verließ, und auch dann blieb sie davor am Boden sitzen, damit die Dichtigkeit ihrer Glieder ihn hindern sollte, darunter zu sehen. Er kleidete sich an, er warf keinen Blick hin. Endlich legte er ihr den weiten Mantel über, hob sie auf, trug sie die gewundene Stiege hinab, zurück über den Hof, durch den Garten und bis auf das Feld, wo sein Pferd stand. Er setzte sie vor sich hin. Stille Nacht, umwickelte Hufe, weiche Ackerkrume -- Gabriele verstand genau das Flüstern in ihrem Nacken.

»Es ist gut. Ich weiß. Versuchung, Prüfung, schwere Stunde. Und will dich doch gewinnen, meine schöne Liebe.«

 

Kathrin, wie immer

Der Garten von Coeuvres war unter den Sommer versunken, Henri gewissermaßen unter die Liebe, und hierbei sieht niemand weiter als er den Fuß setzt. Auch dieses Dickicht der Gefühle lichtete sich bald zufolge der Jahreszeit, und der König betrieb wieder all seine Sachen, kräftiger als vorher, vielerlei auf einmal, aber mit dem klarsten Überblick, obwohl auch Überraschungen eintraten, man hätte leicht darüber den Kopf verloren. Ein Schlag aus heiterem Himmel war der Einfall seiner lieben Schwester, ihn zu verlassen und zu verraten, ihren geliebten Soissons zum König machen zu lassen, und anstatt ihres Bruders Henri hätte sie selbst mit ihrem braven Gatten den Thron bestiegen. Henri davon hören, und er führte Hiebe nach allen Seiten. Er bedrohte mit dem Tode jeden, der in diesem Geschäft die Finger hatte. Seiner lieben Schwester befahl er, an sein reisendes Hoflager zu kommen, und wenn nicht, ließe er sie holen.

Er ließe sie gewaltsam fortführen aus ihrer alten Heimat Béarn, wo sie bedrohliche Heimlichkeiten gegen ihn betrieb, nicht nur, daß sie Vetter Soissons zu heiraten gedachte. Nachher hätte man versucht, ihren lieben Bruder zu töten, wie sie sich wohl sagen mußte. Man wird erfahren genug in diesem Leben, da man als Bruder und Schwester aufgewachsen ist, und zwar zusammengekettet bei Übergängen, wo nirgends Halt war. Ganz im Grunde, wen haben die Kinder der Königin Jeanne, als nur einander. Erstaunlich, Henri vergaß hier Gabriele d'Estrées, eine Fremde, Gelegenheit mancher Irrungen und Verwirrungen, aber was bedeutet das gegen eine Verschwörung meiner kleinen Kathrin.

Er nannte sie wie als Kind, und er griff sich an die Stirn. Er verließ das Zimmer nicht mehr, während ihre Kutsche noch tagelang herbeirollte, zuletzt aber litt es ihn nicht, er jagte ihr entgegen. Dort hinten die kleine Staubwolke, darin wird es sein -- alles, was von seinem ersten Stück Leben übrig ist, und verschwände es, würde er sich selbst fremd. Die Staubwolke öffnet sich, die Kutsche hält. Niemand rührt sich, die begleitenden Edelleute zügeln ihre Pferde und sehen zu, wie der König zum Wagenschlag tritt.

»Madame, wollen Sie aussteigen«, bat er förmlich, da kam sie erst hervor. Ein Gehöft stand unfern in den Feldern. Sie ließen alles, was ihnen gehörte, auf der Landstraße, sie gingen allein dorthin. Henri sagte: »Liebe Schwester, was für ein verstocktes Gesicht Sie machen, und ich freue mich doch so sehr, Sie zu sehen.«

Das war ermunternd, es war begütigend; in nichts glich es den strafenden Worten, die er sich vorgesetzt hatte. Eine Antwort folgte nicht, aber die Schwester wendete ihm das Gesicht zu, was auch genügte: er wurde betroffen. Das genaue Licht des weiten, bedeckten Himmels zeigte ihm ein verhärmtes Gesicht. In Schauern verwelkt wie eine helle Rose erschien ihm die aschblonde Kinderblüte -- für seine Augen dennoch dieselbe Kinderblüte, solange sie leben sollte; Spuren der Unbilden blieben nur obenauf. Er vertröstete sein Gewissen, das bei dem Anblick schlug. ›Bleiben obenauf, und alt -- wer altert wohl? Doch wir nicht.‹ Gleichwohl griff er es hier mit Händen: sie alterten.

Plötzlich gestand er sich seine eigene Schuld, hatte aber vorher ihrer mit keinem Wort gedacht. ›Ich hätte sie längst verheiraten sollen, warum nicht mit ihrem Soissons. Wie lange behält man denn Zeit, um glücklich zu sein. Sie hat genug mit sich gekämpft, weil er katholisch ist. Jetzt werde ich es bald selbst sein. Um was quälen wir uns? Jeder macht einen Komödianten. Totus mundus --. Wozu wir berufen sind, ist größtenteils Farce.‹

Durch das Bauernhaus konnte man hindurchsehen, die Leute waren fort. Henri wischte vor der Tür die Bank ab, damit Kathrin sich darauf setzte. Er selbst ließ die Füße vom Tisch hängen, der stand mit den ungehobelten Klötzen in der Erde.

»Um was quälen wir uns«, wiederholte er laut. Von Verrat zu sprechen, wäre schrecklich unpassend, ja, falsch wäre es gewesen, wie man mitunter erkennt. »Schwester«, begann er, »weißt du wohl, daß ich hauptsächlich aus Furcht vor dir noch immer nicht gewagt habe, unsere Religion zu verlassen. Wär sonst alles leichter. Da hätt ich nicht gedacht, du tätest es selbst und wolltest eine katholische Königin werden.«

Er sprach leicht, versöhnlich, beinahe heiter, sie sollte lächeln, wenn auch unter Tränen. Nichts dergleichen, sie behielt ihr armes verschlossenes Gesicht. »Bruder, Sie haben mich oft enttäuscht«, sagte sie, als sie ihn durchaus nicht länger warten lassen konnte. Er griff sogleich zu.

»Weiß ich. Und hatte doch die besten Absichten, als ich unserem Vetter zu guter Stunde die Verbindung unserer Familie vorschlug.«

»Das tatest du, um ihn für deine Sache zurückzugewinnen, und kaum, daß er keine Partei mehr hatte, ihm auf den Thron zu helfen, brachst du ihm dein Wort« -- schloß sie hart; hatte sich ereifert, so daß sie zugleich hart und vertraut war. Nur dieses einzige Geschöpf hienieden konnte ihm nahe genug kommen: sonst hätte er am Ende nie erfahren, daß er sein Wort gebrochen hatte. Schwerwiegend war es ihm bis jetzt nicht erschienen, eine Nebensache, wie der ganze Soissons. Die wirkliche Gefahr war Haus Lothringen gewesen, die wirkliche Gefahr war noch jetzt Haus Habsburg. ›Den guten Vetter beseitigt man mit einem leichten Wort: Du bekommst meine Schwester. Ist gesprochen, was weiter.‹ Die katholischen Edelleute wurden zu jener Zeit besonders dringend, damit Henri ein Ende macht und abschwört, oder sonst drohen sie, den Vetter zum König auszurufen. ›Das Ganze war nicht sehr ernst zu nehmen gewesen‹, wiederholte Henri; ›hätte ich es sonst ganz vergessen können? Jetzt ist das Verrat geworden. So verrät man denn wirklich.‹

Seine Schwester nickte; sie hatte in seinem Gesicht gelesen. »Immer nur dein Vorteil«, sagte sie -- ernst, anstatt hart. »Das Glück der andern, du vergißt es ganz und bist doch gut, man nennt es human. Leider auch vergeßlich.«

»Weiß man, wie das kommt«, murmelte er. »Hilf mir, liebe Schwester«, bat er, in der Gewißheit, daß »Hilf mir« ihr Herz mehr rührte, als »Verzeih mir«.

»Was meinst du wohl?« fragte sie zum Schein, denn sie dachte an dasselbe wie er, die Ständeversammlung in Paris.

Er erklärte im Ton der Verachtung: »Mein besiegter Feind Mayenne bläst groß von sich und läßt Boten reiten wegen Berufung einer Ständeversammlung, damit das Königreich sich entscheidet zwischen mir und Philipp von Spanien. Verlorene Schlachten genügen ihnen nicht.«

»Das Königreich«, so belehrte sie den Bruder, »es kann auch den Grafen von Soissons wählen, ein Bourbon wie du, aber schon katholisch.«

»Dann schwör ich noch vorher ab, Gott helfe mir!«

»Bruder!« sagte sie voll Schrecken -- ihre tiefe Bewegung scheuchte die Arme von der Bank auf, und ungleichen Schrittes, man sah jetzt das Gebrechen, hastete sie die niedrige Wand der Meierei entlang. Ein Pfirsich hing vom Spalier, den pflückte sie und brachte ihn ihrem Bruder. Er küßte die Hand, aus der er ihn nahm.

»Trotz allem«, sagte er. »Wir bleiben, die wir sind.«

»Du gewiß.« Die Schwester bekam die strenge, aber abwesende Art, aus Damenhaftigkeit abwesend, wie sie von seinen Liebschaften schon immer gesprochen hatte, und auch ihren eigenen unerlaubten Wandel behandelte sie so. »Du hast wieder einmal eine, die dich zu allem bringt. Nicht wegen der Ständeversammlung wirst du unsere Religion abschwören«, behauptete sie, obwohl es zu den erwähnten Tatsachen wenig paßte. »Nein. Aber das Fräulein d'Estrées hebt nur den Finger, schon verrätst du unsere liebe Mutter samt dem Herrn Admiral, und uns, die wir es noch sehen können.«

»Gabriele ist selbst protestantisch«, erwiderte er, der größeren Einfachheit wegen, denn jedenfalls verkehrte sie mit den Pastoren.

Kathrin verzog den Mund. »Eine Intrigantin, wie viele Feinde macht sie dir! Gewiß hat sie verlangt, daß du mich verhaftest, und auf ihren Befehl mußte ich hierher reisen.« Sie betrachtete entrüstet den schmutzigen Hof und das Federvieh. Er widersprach heftig:

»Kein Wort derart ist von ihren Lippen gekommen. Sie ist vernünftig und mir in allem ergeben. Du selbst hast mir allerdings in höchst strafwürdiger Weise schaden wollen, und dein Geliebter hat ohne Erlaubnis die Armee verlassen.«

Sie aber wurde von seiner Entladung ruhiger: es war merkwürdig. Er hätte abgebrochen. »Weiter!« verlangte sie.

»Was denn noch mehr, deine Verheiratung würde mich in Lebensgefahr bringen, ist das genug? Bekommt ihr Kinder, dann wird die Menge der Mörder, die mir nachstellen, kein Ende mehr nehmen, das sagen mir alle. Und ist doch das Messer mein Schrecken. Gott gewähre mir den Tod in der Schlacht.«

»Mein lieber Bruder!«

Sie trat vor, sie öffnete die Arme, damit er sich an sie lehnte, was er auch tat, die Stirn an ihrer Schulter. Sie behielt trockene Augen, die Prinzessin von Bourbon weinte weniger leicht als ihr königlicher Bruder; hatte auch nicht seine Phantasie, und die Lebensgefahr, die ihm von ihrer Heirat drohen sollte, erschien ihr als eine Erfindung ihrer Feinde. Um so unvergänglicher senkte sich in ihr Herz der Gram dieser Stunde; er, mit seinem feuchten Blick, nahm ihn nicht wahr auf ihrem gealterten Gesicht.

Nach diesem erinnerte sie ihn nur noch an einen alten Vorfall. Der hatte sich ereignet vor dem Ende seiner Gefangenschaft in Schloß Louvre, und eigentlich war er die Wendung vor der Flucht gewesen. Damals betraf er seine Schwester Catherine in einem leeren Saal mit seinem Doppelgänger, gleiches Gesicht, gleiche Gestalt, aber beides wurde erst wahr und wirklich dadurch, daß der Mann genau das gleiche Kleid trug wie Henri, und seine Schwester stützte sich auf ihn in derselben Art, wie auf Henri von je.

»Ich hatte ihn herausstaffiert, damit er dir ähnlicher sähe als von Natur.« Dies sagte die Gealterte hier auf dem Meierhof. »Iß den Pfirsich. Ich sehe dir an, wie gerne du ihn äßest.« Das tat er, in Nachdenken versunken über die Zusammenhänge unterhalb des Dahinlebens.

Warf den Kern fort. Sprach versunken: »Wie hätte ich denn sonst alle, die uns trennen wollen, mit dem Tode bedroht. Nicht meine Gewohnheit, die Bedrohungen mit dem Tode -- und um des Thrones willen täte ich es nicht, nur deinetwegen.«

Beide vollführten hier denselben, geschwisterlichen Abschluß eines Gespräches, das ans Ziel gelangt war, obwohl es viele Zweifel ungelöst gelassen hatte. Sie wendeten ungewollt die Hand um, das Innere nach oben; bemerkten es, lächelten einander zu, und der Bruder brachte die Schwester über die Felder zurück.

Geheim, als hätte es auf der Landstraße erhorcht werden können, flüsterte Henri ins Ohr von Catherine: »Glaub nichts, Kathrin, was ich demnächst tu und sage.«

»Sie -- wird nicht Königin?«

Diese dringende Frage, um derentwillen sie hergereist war den weiten Weg, beantwortete er ungenau, aber in einem Ton, daß dennoch kein Mißverständnis aufkam.

»Du bist die erste.«

Die Prinzessin befahl ihren Leuten, mit der Kutsche zu drehen. Der König schwieg, und man gehorchte, trotz allgemeinem Befremden. Darum so weit hergereist. Die Prinzessin stieg ein mit ihren Damen und mit ihrer Mohrin Melanie, der König rief dem Kutscher zu, er solle fahren, was Zeug hält. Er selbst sprengte zur Seite des Wagenschlags, neigte sich auch, griff hinein und hielt eine Weile die Hand der Prinzessin. Ein Wald kam, die Straße wurde enger, der König mußte zurückbleiben. Da stand er, sah der Kutsche nach, bis sie ganz klein war, und machte erst kehrt, als die Staubwolke sie eingeschlossen hatte.

 

Agrippa, noch einmal

Vielerlei auf einmal, man hätte leicht den Kopf verloren. Die Ständeversammlung in Paris, ein lieblicher Mischmasch von verrückten Sektierern und der unsinnigen Frechheit einer Weltmacht in vollem Niedergang, die bis zuletzt noch Königreiche schlucken will. Den Possen spielen die Herren vor Zuschauern, die lauter verhungertes Volk sind, und wohler wäre ihnen, ihr echter König verteilte unter sie das Brot des Landes, wie gern arbeiteten sie dafür! »Das meiste, wozu wir berufen sind, ist Farce.« So spricht der alte Freund des Königs von Frankreich, jetzt hoch berühmt, Montaigne genannt; derselbe, der auch spricht: »Was weiß ich.« Unvergeßlich war aber dem König sein Wort: »Ich bin kein Zweifler.« Nein, gewisse Seiten der äußeren Welt machen uns die Unentschiedenheit verhaßt und zerbrechen unsere Milde. Wir müßten sie hart belagern und sehr blutig bezwingen, was die äußere Welt meistens zu verzeihen geneigt ist, wenigstens für einige Zeit. Oder wir tun, um der Staatsvernunft willen, uns selbst Gewalt an, treten über und schwören ab. Gott weiß, was danach kommt. Aber Er scheint es zu befehlen, und bleibt kein Ausweg, bald auch kein Rand am Abgrund und Anlauf mehr für den großen Todessprung.

Beeile dich daher! Was tat hier Henri? Er zog seinen d'Aubigné an sich, seinen gepanzerten Feldprediger, sein tapferes Gewissen, immer die Psalmen im Mund und den Kopf erhoben und das überlegene Lächeln des Frommen. Der kleine Mann äußerte: »Ich stehe hoch in Gunst und kann mich vor Geschäften nicht retten«, aber hinter seinem kühnen Gesicht war ihm schmerzlich bekannt, dies sei das letztemal. Das letztemal, Agrippa, daß dein König von Navarra dich kennt. Nachher sein Todessprung hinüber, und diesseits bleiben seine alten Freunde, die aus den Schlachten, die aus der Armut, die von der Religion.

Nach seiner einfachen Art benutzte Agrippa den Vorteil, daß er zu dem König sprechen durfte; sagte alles gleich heraus, begann auch wie gewohnt, daß er kein Geld habe. Und habe doch nachweislich fünf- oder sechsmal dem König das Leben gerettet. »Sire! Ihre Finanzen verwaltet ein übler Abenteurer, und gerade dieser d'O bearbeitet Sie, damit Sie katholisch werden. Sagen Sie selbst, was dabei herauskommen kann!«

Agrippa denkt: ›Wenn es geschehen sein wird, gibt es kein Wort von mir, das er noch hören kann. Welch ein fürchterlicher Abstand zwischen Geschehen und Nichtgeschehen. Jetzt hält er den Kopf vor mir gesenkt. Jetzt spricht er.‹

Henri: »Totus mundus exercet histrionem.«

Agrippa: »Der Papst, ich seh es wohl, bekommt einen schlechten Sohn. Uns aber verlassen Sie, und machen sich verhaßt bei Leuten, deren Mut und Treue Ihnen sicher war.«

Henri: »Kommt allein darauf an, wie vernünftig einer ist. Mein Rosny rät mir zu.«

Agrippa: »Der hat aber auch fayenceblaue Augen und eine Haut, die aussieht wie gemalt. Dem geht es nicht nahe, daß Sie in die Hölle steigen.«

Henri: »Und mein Mornay! Mornay oder die Tugend. Wir haben disputiert. Sind alle beide gegen das Fegefeuer. An dem Widerspruch halt ich fest gegen alle Pfaffen, verlaß dich. Aber das wirkliche Blut des Herrn, das trinken wir beim Abendmahl, und hab es damit immer gehalten.«

Agrippa: »Disputieren ist gut und der Seele dienlich, solange sie die Wahrheit noch kennen will. Der ehrliche Mornay glaubt an Sie. Ihn können Sie leicht täuschen und ihm ein großes Konzil versprechen -- Theologen beider Bekenntnisse, versammelt zur Erforschung des echten Glaubens. Wenn aber der echte nicht der nützliche ist, welchen Zweck hat das große Konzil?«

Henri: »Ich sag, es hat Zweck. Denn schon mehrere Pastoren haben zugestanden, daß in der einen so gut wie in der anderen Konfession die Seele gerettet werden kann.«

Agrippa: »Wenn das Fleisch solcher Pastoren schwach ist, sie haben auch keinen willigen Geist.«

Henri: »Mein Seelenheil ist mir wahrhaftig teuer.«

Agrippa: »Herr, das glaub ich wohl. Jetzt bitte und beschwör ich Sie, daß Sie die Ihren nach Verdienst erkennen. Wir sind nicht alle kalt und erzverständig wie Rosny. Wir haben nicht alle die Unschuld Ihres Diplomaten Mornay. Aber einer Ihrer besten Kriegsmänner, Turenne, hat gefragt, warum man Sie nicht sollte verraten dürfen: fingen Sie doch selbst damit an.«

Jetzt läßt der König wieder den Kopf sinken, so sieht Agrippa.

Henri: »Verrat. Ein Wort.«

Er denkt an sein Gespräch mit der Schwester. Die Nächsten verraten einander, werden dessen nachträglich inne und bemerken, daß sie, um nicht zu verraten, niemals hätten leben dürfen. Da hört er den Namen des Pastors Damours.

Agrippa: »Gabriel Damours. Bei Arques, als Sie verloren waren, stimmte er den Psalm an, da waren Sie gerettet. Bei Ivry sprach er das Gebet: Sie siegten. Eine Zeit ist angebrochen, da er von der Kanzel gegen Sie wettert. Sonst züngelte giftiges Gewürm nach Ihnen und blieb ohnmächtig. Diese rauhe Stimme ist die Wahrheit, wird aber dem Schuldigen zum Gift. Die Gemeinde der Frommen sieht von ihm weg.«

Es ist wahr: der Pastor hat dem König geschrieben: »Wollten Sie auf einen Gabriel Damours hören, anstatt auf eine Gabriele!«

Henri: »Welches ist meine größte Schuld?«

Aber hierüber schweigt Agrippa -- aus Keuschheit, oder weil sein Hochmut so weit nicht geht, das letzte Urteil zu sprechen. ›Die große Hure von Babylon‹, denkt er, wie auch Pastor Damours bei sich selbst gesprochen hat, wenngleich nicht vor der Gemeinde, des Ärgernisses wegen. ›Wohin wird die d'Estrées dich noch bringen, Sire, sie betrügt dich, was du allerdings wissen könntest. Aber ihr Vater stiehlt, und das hat dir noch gefehlt.‹

Agrippa: »Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Gut war die Zeit der Verfolgung. Ehrenhaft war das Exil. Die einsame Provinz im Süden, noch fern vom Thron, und wenn Sie für ein Ringelspiel kein Geld hatten, trugen Sie mir eine fromme Betrachtung auf, die unterhielt Ihren Hof kostenlos. Der Stern über unserer Hütte war indessen die Prinzessin, Ihre Schwester.«

Henri: »Ich habe dich immer mit ihr im Verdacht gehabt.«

Agrippa: »Sie setzte meine Verse in Musik, sie sang sie. Meinen vergeblichen Worten lieh sie den Klang, schlichte Frühlingsblumen band sie mit Gold und Seide.«

Henri: »Mein Agrippa! Wir lieben sie.«

Agrippa: »Wenn mir auch die Stimme versagt, gestehen will ich's doch, ich habe sie wiedergesehen. So heimlich und schnell Sie die Prinzessin zurückschickten auf die lange Reise, ich hatte gewartet hinter der Waldecke.«

Henri: »Verschweig nichts, was sagte sie?«

Agrippa: »Sie sagte, im Hause Navarra herrsche das Salische Gesetz und gebe alles dem männlichen Erben -- nur die Standhaftigkeit nicht.«

Zuerst fielen dem König die Arme herab vom Schrecken über dieses Wort seiner Schwester. Hierauf verschlang er die Hände inständig und murmelte: »Bitt Gott für mich!«

 

Ein geheimnisvoller Gatte

Das tat Agrippa, und noch mehrere beteten zu dieser Zeit, jeder in seinem Herzen, für den König, da er ihnen von Gefahren bedrängt erschien: besonders an der Seele, aber leiblich auch. Rettung trat wirklich ein; wenigstens ein Anerbieten der Rettung widerfuhr dem König. Herr d'Estrées verheiratete seine Tochter.

Ihr voriges Abenteuer in Coeuvres, mit dem König im Bett und dem Großstallmeister darunter, war ihm mehr oder weniger zu Ohren gekommen. Bellegarde konnte nicht schweigen. Überdies rächte der Eifersüchtige seine Erniedrigung, er verliebte sich in Fräulein von Guise aus dem Hause Lothringen; aber dies Haus strebt noch immer nach dem Thron, der Herzog von Mayenne liegt wie je im Krieg mit dem König. Daher verschwand Feuillemorte aus dem Bilde -- wurde nicht gesehen weder vor Rouen in den Laufgräben noch bei den vielen Ritten des Königs durch das Land in militärischen Geschäften. Vater d'Estrées benutzte die Abwesenheit beider, um Gabriele mit Herrn de Liancourt zu verheiraten -- ein Mann von unbedeutenden Körperverhältnissen, den er sich selbst ausgesucht hatte. Geist oder Charakter fanden sich ebensowenig bei ihm vor, aber er hatte vier Kinder gezeugt, und zwei davon lebten. Dies hielt der Vater Gabrieles ihr besonders vor Augen: wohin die Liebschaften geführt hätten, und daß sie bei ihrem künftigen Gatten sicher wäre, Mutter zu werden. Es war die vornehmste Sorge des Herrn d'Estrées. Gelegen kam ferner, daß der Auserwählte ein sechsunddreißigjähriger begüterter Witwer war, sein Schloß lag nahe, sein Adel genügte.

Gabriele, den Tod im Herzen, leistete einigen hochfahrenden Widerstand, nur fehlte ihm von Anfang an die rechte Überzeugung. Von ihrem schönen Verführer fühlte sie sich aufgegeben, erwartete auch nicht die Hilfe ihres hohen Herrn, sonst hätte sie ihn herbeigerufen. Sie war noch froh, daß beide, hoher Herr und Herzensfreund, sich ärgern sollten. Mehr Umstände machte Herrn d'Estrées sein Schwiegersohn, der, schüchtern von Natur, nur mit Schrecken daran dachte, dem König eine noch ganz neue Eroberung streitig zu machen. Dies abgerechnet, wäre Fräulein d'Estrées ihm auf alle Fälle zu schön gewesen. Er begehrte sie zu heftig; was zusammen mit seiner Schüchternheit auf Enttäuschungen hinauslaufen mußte. Er kannte sich, obwohl andererseits gerade die schwache Ansicht, die er von sich hatte, ihm ein Gefühl der geistigen Überlegenheit eingab. So war Herr de Liancourt beschaffen, weshalb er sich beim Herannahen seines Ehrentages niederlegte und den Kranken spielte. Der Gouverneur von Noyon mußte mit Soldaten seinen Schwiegersohn zur Trauung abholen. Niemandem war wohl bei diesen Angelegenheiten, bis auf den Biedermann d'Estrées, der sich recht im reinen fühlte: das fehlte ihm sonst. Die Tante, Madame de Sourdis, hätte den großen Aufschwung der Familie verloren geben und beweinen müssen. Indessen kannte sie die Wechselfälle des Glückes.

Als sie, drei Tage nach der Hochzeit, eigens die Reise von Chartres her machte und auf Schloß Liancourt vorsprach, was erfuhr Dame de Sourdis? Vielmehr, sie selbst legte es der Nichte mit Anstand in den Mund und holte es geschickt wieder heraus. Zuletzt war nicht mehr festzustellen, wie die Tatsache herbeigeführt worden war; nur diese selbst blieb unbestritten: Herr und Madame de Liancourt schliefen getrennt. Dies hören, der empörte Vater der jungen Frau ritt den ganzen Weg im Galopp -- traf indessen verlegene Gesichter an und erlangte kein rechtes Ja so wenig wie ein klares Nein. Erst unter vier Augen gestand die Tochter ihm, daß ihre Ehe bis jetzt nicht wirklich vollzogen wäre, und nach ihren Erfahrungen mit Herrn de Liancourt bestände wenig Hoffnung. Der Biedermann mit seiner Glatze, rot vom Zorn, stürzte zu dem pflichtvergessenen Schloßherrn. Vater von vier Kindern, und wagt eine solche Beleidigung! Herr de Liancourt entschuldigte sich mit einem Huftritt, den ein Pferd ihm leider inzwischen versetzt habe. »Dann verheiratet man sich nicht!« schnob der Biedermann.

»Ich habe mich nicht, Sie haben mich verheiratet«, erwiderte leise der Bedrängte. Er gab sich allerdings schüchtern, gleichzeitig aber war er einer Art von wolkiger Entrücktheit fähig. Man wußte nicht mehr, mit wem man zu tun hatte: ein Ungeheuer an Hinterhältigkeit, ein Geistesschwacher, ein Gespenst. Herrn d'Estrées entsank auf einmal der Mut, und er floh dieses Schloß.

Gleich darauf traf in Noyon der König ein, infolge erhaltener Nachrichten. Nicht allein den jähen Verlust der geliebten Gabriele, auch den schrecklichen Tod ihrer Mutter vernahm er um dieselbe Zeit. Issoire ist eine Stadt, weit fort in der Auvergne; ohnedies pflichtvergessen, hatte Madame d'Estrées sich nicht entschließen können, den Marquis d'Alègre allein zu lassen, lieber fehlte sie sogar bei der Hochzeit ihrer Tochter. Wäre sie doch gereist! Die Alternde wollte von der Liebe zuletzt noch den ganzen Rest, erließ ihrem Gefährten aber auch in Geldsachen nichts. Der Gouverneur von Issoire mußte die Bevölkerung unerbittlich auspressen, um den Ansprüchen seiner Geliebten zu genügen. Beide wurden den Leuten endlich bis zum Mord verhaßt -- und der geschah. Er wurde verübt in einer Juninacht von zwölf Männern, darunter zwei Schlächter. Sie überrannten die Wachen, erbrachen das Schlafzimmer und schlachteten das Paar. Der Edelmann hatte sich tapfer verteidigt, dennoch wurden beide nackt zum Aas geworfen.

Der König sagte zu dem Gouverneur von Noyon: der von Issoire wäre fürchterlich umgekommen. »Und vergessen Sie seine Konkubine nicht«, bemerkte Herr d'Estrées, wobei er nickte wie jemand, dessen berechtigte Erwartungen erfüllt sind. Der König hätte bemerken müssen, wie die Gebete seiner Freunde ihn umwehten: die angebotene Rettung, er hätte sie heraushören können. Die Mutter seiner Geliebten war den Weg vorausgegangen und an sein Ende gelangt. Nach menschlichem Ermessen wäre die Tochter davon nicht abzuhalten; der König aber unternahm gerade dies. Gabriele stand jetzt unter dem Schutz eines Gatten: Henri freute sich nur, daß es nicht Feuillemorte war, der hätte ihm mehr Arbeit gemacht. Unverweilt suchte er seine schöne Liebe heim und schwur ihr, was sie nur wollte, aber fortkommen sollte sie, mit ihm leben sollte sie, er ertrage es nicht anders. Sie auch nicht -- gestand Gabriele endlich und schluchzte an seiner Brust, vielleicht flossen Tränen, Henri sah sie nicht. Jedenfalls seufzte sie den Namen des Herrn de Liancourt und noch ein Wort, von dem das Herz ihm stockte. »Das sollte wahr sein?« fragte er.

Gabriele nickte. Dennoch seufzte sie, daß sie bei diesem Gatten aushalten wolle trotz seinem Versagen. »Ich bin schrecklich gewarnt durch meine arme Mutter. Ich fürchte Herrn de Liancourt, denn ich verstehe ihn nicht. Was er spricht, ist leer, was er tut, ist rätselhaft. Er schließt sich in sein Zimmer ein. Ich habe versucht, durch das Schlüsselloch zu sehen: er hatte es verhängt.«

»Das werden wir herausbekommen«, beschloß Henri und begab sich kampfeslustig zu dem Schloßherrn -- fand nur keinen Gegner. Die Tür stand offen, ein Mensch ohne rechtes Gesicht verneigte sich, ihm schienen alle Dinge fern zu liegen, außer etwa seinem feinen Kleid, das silbern bestickt war, und seiner schimmernden Halskrause. Die Strumpfhosen wie auch das Wams saßen glatt wie nur selten, besonders in Anbetracht seines so kümmerlichen Wuchses. An irgendeine Wirklichkeit muß man sich halten, Henri fragte den Wohlgekleideten nach der Herkunft und den Kosten seiner Stoffe. In die Antwort hinein rief er:

»Ist es denn wahr, Sie sind kein Mann!«

»Ich war es«, sagte Herr de Liancourt und sah aus, wie gewesen. Er sagte in aller Förmlichkeit, mit Pausen und Verbeugungen: »Ich bin es zuzeiten, Sire! Ich befinde selbst darüber, wann ich es zu sein habe.«

Das konnte der bare Hochmut sein. Oder Ergebenheit für den königlichen Liebhaber seiner Gemahlin lag darin: es schien unmöglich, diesem Menschen einen Sinn nachzuweisen und ihm eine Sicherheit abzugewinnen. Henri brachte vor, beinahe wie eine Bitte:

»Und der Huftritt?«

»Ein Huftritt hat stattgefunden. Das Urteil der Fakultät über ihn und seine Folgen läßt mehrere Deutungen zu.« Dem König blieb von der Auskunft der Mund offen.

Ihm war nachgerade angst und bange. Das abwesende Gesicht, eine Bescheidenheit ungreifbar, eine Selbstgewißheit wie ein Schlafwandler oder Geist. Das Wesen gesteht nichts, will nichts; es erscheint nur, es bekundet sich, wenn auch schwach. Henri ertrug es nicht länger. Er schlug auf den Tisch und rief: »Die Wahrheit!« Seine Wut betraf beide, dieses Gespenst, aber noch mehr Gabriele, die ihn wahrscheinlich belogen hatte, und jede Nacht lag sie bei diesem. Er durchmaß mit langen Schritten das Zimmer, fiel auf einen Sessel und biß sich in die Knöchel der Hand.

»Bei Ihrem Leben! Die Wahrheit!«

»Sire! Ihr Diener erwartet Ihre Befehle.«

Hier begriff der Eifersüchtige, daß die Wirklichkeit soviel wie ein Machtspruch ist. Er hätte früher daran denken sollen, beruhigte sich augenblicklich und diktierte.

»Sie übergeben mir Madame de Liancourt. Sie werden dafür mein Kammerherr. Gabriele bekommt von mir, als Beitrag zu ihrer ehelichen Gemeinschaft, Assy, das Schloß, die Wälder, Felder, Wiesen.«

»Ich verlange nichts«, sagte der Gatte. »Ich gehorche.«

»Gabriele trägt weiter Ihren Namen. Vielleicht mache ich sie später zur Herzogin von Assy. Wenn sie stirbt, erben alles Ihre Töchter. Herr!« rief er dazwischen, weil der andere stehend einzuschlafen schien. Der König verordnete:

»Dafür bestätigen Sie ohne Widerspruch, was wir behaupten werden, sonst wehe Ihnen: Die Dame d'Estrées hat Sie nur gezwungen geheiratet, und Ihre Pflichten haben Sie in der Ehe nie erfüllt, ob Huftritt oder geheime Krankheit. Verstanden?«

Herr de Liancourt verstand, wie man ihn jetzt schon kannte, trotz seiner merkwürdigen Erstarrung. Diese nahm zu, je mehr Geschenke, Todesgefahren und Wendungen des Geschickes auf ihn eindrangen. Henri ließ ihn und warf die Tür hinter sich.

Der Zurückgebliebene verharrte eine Weile mit dem Gesicht über den Füßen. Als er sich endlich aufgerichtet hatte, riegelte er ab und verhängte das Schlüsselloch. Aus der Truhe holte er ein dickes Buch in Leder mit dem Wappen des Hauses Amerval de Liancourt und begann zu schreiben. Er verzeichnete, wie schon bislang, die Vorfälle seines Lebens, so auch diesen jüngsten. Mit großer Genauigkeit gab er den König wieder, seine Reden, innerlichen Bewegungen und Gänge durch das Zimmer. Ob er es wollte oder nicht, die Gestalt und Rolle des Königs gerieten derart, daß der Schreibende auf sie herabsehen konnte. Mit seinem schönen Ehegemahl war ihm dasselbe schon längst gelungen. Seine schriftlichen Niederlegungen beschloß er aber mit einer Mitteilung an die Nachwelt. Er setzte groß darüber: »Hochbedeutsames, wahrhaftiges Zeugnis, abgelegt von Nicolaus d'Amerval, Herrn de Liancourt, zu lesen nach seinem Ableben und wohl aufzubewahren für alle Zeiten.

Ich, Nicolaus d'Amerval, Herr von Liancourt und anderen Orten, bei vollem Verstand und meines Todes gewiß, aber ungewiß seiner Stunde --« Er kleidete, was er zu hinterlassen gedachte, in die feierliche Form eines Testamentes; dann folgte, daß alles, was ihm zustieß, Unrecht, Lüge und Vergewaltigung wäre. Er wäre weder unfähig noch ungeschickt für das fleischliche Werk der Zeugung -- dies vor Gott gesprochen. Sollte er in einem Scheidungsverfahren das Gegenteil zugeben, dann geschehe es infolge Gehorsam gegen den König und aus Furcht um sein Leben.

 

Pastor La Faye

Unverweilt kam Gabriele zu Henri. Er schickte ihr Edelleute, die sie an seinen reisenden Hof brachten, und beide waren sehr glücklich. Die Frau freute sich, entkommen zu sein aus ihrem gespenstischen Schloß, wo hinter den Türen verdächtige Dinge vorgingen. Den Mann entzückte es, daß sie ihn liebte; und gewiß, verglichen mit dem Verlassenen liebte sie ihn. Ihr strahlender, berauschender Körper blieb in der Hingabe sanft, was dem stürmisch Begehrenden nicht auffiel. Der Abstand war unleugbar: einst die unlustige Fügung in seine Wünsche, jetzt soviel Geduld und Freundlichkeit. Henri glaubte alles erreicht zu haben, und wer auf dem Gipfel ist, fühlt sich frei. Vermeintlich steht es in seinem Belieben, bei Gabriele zu bleiben oder nicht. Das Ende ist so fern, daß man von einer Ewigkeit redet; weiß indessen durch oft wiederholte Erfahrung, wie lange es dauert, vielmehr, wie kurz.

Nichts wußte Henri wirklich. Diese war anders und sollte ihm mehr zu tun geben als alle zusammen. Nicht Raum genug für ihn und sein Erleben in den Jahren, die ihr blieben, und dann erst ihr Tod, der größte Tod vor seinem eigenen. Jetzt gibt sie sich ihm freundlich hin, mehr nicht: da sie freimütig ist und nichts erheucheln will. Aber was sie noch nicht fühlt, er wird es erringen, nacheinander ihre Zärtlichkeit, ihr Feuer, ihren Ehrgeiz, ihre ergebene Treue. Er findet immer mehr zu entdecken, unruhig betritt er auf jeder Stufe dieser Beziehungen eine neue Welt. Wird auch ein neuer König und Mensch sein, sooft sie durch ihn eine andere wird. Sich selbst verleugnen und beschämen, damit sie ihn liebt. Die Religion abschwören und das Königreich haben. Sieger, Hort der Schwachen, Hoffnung Europas -- groß sein. Bald schon gesättigt: das alles ist beschlossen und soll eintreten, eines zum andern. Endlich wird die Geliebte des großen Königs das letzte über ihn verhängen: sie stirbt, und ihm wird gegeben, ein Träumer und Seher zu sein. Genug für die Zeitgenossen, ihren Überdruß einzugestehen an ihm und seiner Art. Man wendet sich fort, indes er einsam höher steigt, indes er sich verliert. Nichts hiervon wußte Henri, als er Madame de Liancourt an seinen reisenden Hof kommen ließ und mit ihr sehr glücklich war.

Hier gefiel sie allen überaus und machte sich keinen Feind, auch keine Feindin. Die Frauen sahen und erkannten an, daß sie nichts Unkeusches hatte weder im Reden noch Gehaben. Sie erwies sich blutjung und bescheiden gegen jede Dame von höherer Geburt oder reiferem Alter. Nicht durch Ränke und Laster, nur von der Gnade des Königs hatte sie ihren Rang; es erschien unzulässig, ihn ihr zu verdenken. Die Männer dieses Hofes waren einfache Kriegsleute, der rauhe Crillon, der tapfere Harambure. »Einäugiger«, nannte ihn sein Freund und Herr. »Morgen haben wir ein Gefecht, Einäugiger. Nimm dein Auge in acht, du wärest gleich blind!« Die älteren Hugenotten des Hoflagers waren sittenrein und hierin dem König ungleich. Die jüngeren nahmen ihn sich auf alle Fälle zum Beispiel; aber für beide Gattungen der Protestanten wie auch für seine papistischen Getreuen war Henri der große Mann, dem allein die Bewunderung gerecht wird, und ganz verstehen kann ihn nur die Liebe.

Dies verspüren, und unweigerlich wurde die schöne d'Estrées in den Dunstkreis um den König gezogen. Hier bekam er eine Persönlichkeit weit hinaus über den Liebhaber, an den sie sich hatte gewöhnen müssen, und sogar der Sieger von Chartres, dessen Glanz ihr geschmeichelt hatte, trat zurück. Diese Männer alle hätten jederzeit an seiner Stelle ihr Leben verschenkt, jede Frau aber hätte ihren Sohn dahingegeben. Und hätten, Männer wie Frauen, nur zu gewinnen geglaubt, da der König von ihnen das Beste, ihr eigenes, aber vollkommenes Wesen, ihr Glaube und ihre Zukunft war. Gabriele, eine gelassene Natur, eher vernünftig als ausschweifend, still beobachtete sie, machte sich leise lustig -- lernte aber zugleich, wo ihre Aussichten lagen, wie sie sich verhalten mußte. Wenn ihr Herz nicht gerade gerührt war, ihr Sinn wurde verwandelt.

Sie war am Hof die ruhigste Person. Ihr hoher Rang bekundete sich fast allein in Unvordringlichkeit, manche fanden: Kälte. Ihr Verehrer Herr d'Armagnac, Erster Kammerdiener des Königs, nannte sie den Engel des Nordens. Niemand begriff, außer Henri, ihren Zauber wie d'Armagnac. Engel des Nordens sagten auch die anderen Gascogner und suchten mit den unverhüllten Blicken der Anbetung ihre Augen, die hell und ungewiß waren. Edelleute, die selbst den nördlichen Provinzen entstammten, sprachen den Namen im Geiste ihres Herrn aus, mit wenig Ironie und vieler Gutwilligkeit. Endlich gestand sogar der starrsinnige Agrippa d'Aubigné, so äußerst schön Dame d'Estrées wäre, übte sie doch verbotenen Reiz nicht aus.

So vielen Lichtern ohne Deckung ausgesetzt, machte Gabriele kaum einen Fehler, und jedenfalls den entscheidenden nicht. Man wartete, ob sie den Namen Bellegarde in den Mund nähme. Wie sie es anstellte, und ob sie es tat oder ließ, sie mußte sich schaden. Zuletzt sprach sie dann wirklich von ihrem früheren Geliebten, das vorberechnete Ereignis wurde es aber mitnichten. Der junge Givry, ein Altersgenosse des Großstallmeisters und nicht weniger wohlgebildet, machte ihr ehrfurchtsvoll und anmutig den Hof; durch sie hindurch machte er ihn eigentlich dem König. »Herr de Givry, von Ihnen ist ein Wort, das der König Ihnen nie vergißt«, sagte Madame de Liancourt, als mehrere zuhörten. »Beim ganzen Adel ein berühmtes Wort: ›Sire! Sie sind der König der Tapferen, verlassen werden Sie nur von Feiglingen.‹ So sagten Sie und trafen durchaus das Richtige. Nun ist der Herzog von Bellegarde kein Feigling, der König wird ihn nicht lange mehr vermissen, sondern ihn sicher zurückkehren sehen.«

Das war alles. Keine Erwähnung des Fräuleins von Guise -- womit deutlich genug verlangt wurde, von Liebesgeschichten sollte die Rede nicht sein, und was allein noch zählte, wäre die Treue zum König. Das war geschickt genug -- erschien sogar freimütig und schlicht. Dem Skandal war zuvorgekommen -- oder doch nicht? Der offene Anspruch, untadelig dazustehen, ging manchen zuweit in Anbetracht der wirklichen Verhältnisse. Die Pastoren des Hoflagers hatten auf diese immer verwiesen: der König und Madame de Liancourt, beide verheiratet, ein doppelter Ehebruch, der Welt zum Ärgernis und unter Nichtachtung der Religion. Die Pastoren erhoben diesmal die Stimme und sagten »Jesabel«, indessen die Prälaten schwiegen. »Jesabel« sagten die Pastoren, als ob die Frau des jüdischen Königs Ahab, die ihn zu ihrem heimatlichen Gotte Baal bekehrte, hätte verglichen werden können mit der katholischen Freundin eines Königs von Frankreich. Allerdings war Jesabel verfolgt worden vom Propheten Elias, bis die Hunde sie fraßen mit Ausnahme des Schädels, der Füße und der flachen Hände. Der Prophet hatte es ihr richtig vorhergesagt. Die Pastoren dagegen konnten irren, sie zeigten sich hart und schon deshalb nicht klug. Sie ängsteten die Dame und enttäuschten ihren guten Willen.

Von den Priestern ihrer Kirche erhielt die Geliebte des Königs nur gütigen Zuspruch: nicht gerade die Hoffnung auf eine hohe Vermählung, soweit waren die Dinge längst nicht. Noch lag sogar die Trennung der Dame d'Estrées von ihrem Gatten im Dunkeln, um wieviel weniger wird ein kirchlicher Diplomat, der nichts verderben will, die Ehe des Königs berühren. Auch sein Glaubenswechsel, so sehr alles darauf hinlief, so nah er mittlerweile gerückt war, in den Gesprächen der Prälaten mit der Geliebten des Königs kam er nicht vor. Das bedeutete einen Wink für Gabriele, und sie verstand ihn. Ihre geheimen Stunden mit Henri hörten keine einzige geflüsterte Anspielung auf seinen Übertritt. Indessen entließ sie ihre protestantische Dienerschaft -- unauffällig, infolge eines Rates ihrer Tante de Sourdis, die wachsam blieb.

Pastor La Faye war ein alter, milder Mann, der Henri einst auf seinen Knien gehalten hatte. Der war es, der sprach zu dem König. Er konnte es, weil weder frommer Eifer noch Tugendwächterei sein Fall waren. Er gab zu, daß man in beiden Bekenntnissen seine Seele retten könnte. »Ich soll bald vor Gott hintreten. War ich aber katholisch und würde mitten aus der Messe zu ihm gerufen, anstatt aus der Predigt, wie es meine Hoffnung ist, der Herr in seinem Strahlengewölbe würde darum das Auge nicht regen.«

In einem Zimmer saß der Pastor, der König schritt vor ihm hin und her. »Sprechen Sie weiter, Herr Pastor! Sie sind kein Gabriel Damours, das Flammenschwert führen Sie nicht.«

»Sire! Dies ist die Wendung zum Schlimmen. Geben Sie Ihren Glaubensgenossen nicht das Ärgernis, daß Sie sich dem Schoß der Kirche mit Gewalt entreißen lassen!«

»Wenn ich Ihrem Rat folgte«, erwiderte Henri, »bald gäbe es weder König noch Königreich mehr.«

Der Pastor führte die Hand schnell vor seinem Gesicht vorbei. »Die Rede der Welt«, sagte er ohne Betonung, wie eine Sache, die wegzustreifen und abzutun wäre. »Der König fühlt sich von dem Messer bedroht, wenn er bei der Religion verharrt. Schwört er sie aber ab, werden wir Hugenotten nicht mehr sicher sein, weder unserer Glaubensfreiheit noch unseres Lebens.«

»Denkt selbst an Eure Sicherheit«, mußte Henri sagen, und da es beschämend war, sprach er es stürmisch. »Ich wünsche Frieden allen meinen Untertanen, und mir selbst die Ruhe der Seele.«

Der Pastor wiederholte: »Die Ruhe der Seele.« Langsam, eindringlich: »So redet die Welt nicht: das sind wir. Sire! Nach Ihrem Übertritt werden Sie nicht mehr leichten Herzens und einfach, nicht einfach und furchtlos werden Sie dastehen vor dem Volk, das Sie geliebt hat, und darum liebte Sie auch der Herr. Sie waren gütig, weil Sie nichts verschuldet, und lustig, solange Sie nicht verraten hatten. Nachher -- Sire! Nachher sind Sie keine Hoffnung mehr.«

Wahr oder falsch, und wahrscheinlich beides: gesprochen war es mit der Schwere der geistlichen Verantwortung, darum ließ dies Wort den König erbleichen. Dem alten Beschützer seiner Jugend widerstrebte der Anblick, er flüsterte schnell: »Aber Sie können nicht anders.«

Er wollte aufstehen, um zu zeigen, daß nicht mehr die Religion das Wort führe: nur ein demütiger Mensch. Der König hieß ihn sitzenbleiben; er selbst durchmaß das Zimmer mit großen Schritten. »Weiter!« verlangte er, dachte es mehr, als er es aussprach: »Hab ich denn andere Fehler und Tugenden bekommen?«

»Es sind noch dieselben«, sagte La Faye, »nehmen aber einen anderen Sinn an, wenn die Jahre kommen.«

Der König: »Und darf ich nicht mehr glücklich sein?«

Der Pastor, mit Wiegen des Kopfes: »Sie nennen sich wohl glücklich. Von Gott aber kam Ihnen vorzeiten ein reueloses Glück. Demnächst werden Sie manch Unrecht erleiden und einiges noch schwerere sollen Sie selbst begehen -- um Ihrer lieben Herrin willen.«

»Meine liebe Herrin«, wiederholte Henri, denn so nannte er sie wirklich. »Was wollte sie mir wohl zufügen.«

»Sire! Sehen Sie allem entgegen, da es doch kommen soll. Geh in Frieden!«

Was hieß das? Der König verlor die Geduld bei den Ausfällen und den Rätseln des Alten; verließ das Zimmer und betrat die Straße seiner Stadt Noyon: da wälzte sich Volk, ein dichter Haufen. Erst beim Erscheinen des Königs lichtete er sich, und aus seinem Innern entließ das Gewühl keinen anderen als Herrn d'Estrées, Gouverneur der Stadt, aber seit dem großen Aufstieg seiner Tochter auch Gouverneur der Provinz. Nur schwer gelangte er hervor, noch mehrere Hände griffen nach ihm.

»Herr Gouverneur, wer erlaubt sich, Sie anzurühren?« fragte der König stark, und da seine Wache vorging, begann das Volk zu flüchten. Herrn d'Estrées waren die Kleider aufgerissen, sonderbare Sachen hingen heraus: Kindermützchen, ganz kleine Schuhe, eine Uhr aus Blech, ein hölzerner Apfelschimmel, glänzend lackiert.

»Ich habe ihn gekauft«, sagte Herr d'Estrées.

»Mein Mützchen hat er nicht gekauft«, behauptete eine Ladenbesitzerin. Ein Handwerker schloß sich an. »Meine Säuglingsschuhe auch nicht.« Ein anderer bat freundlich, aber nicht ohne Spott, ihm seine Spielsachen gefälligst zu bezahlen. Der König betrachtete in peinlicher Erwartung seinen Gouverneur, der unverständlich kollerte, aber besonders seine rot überlaufene Glatze verriet ihn. Sein Hut lag zertreten am Boden, unversehens zog ein gut gekleideter Bürger etwas daraus hervor -- sieh da, ein Ring: keine Nachahmung, ein echter Stein. »Aus dem Kasten, den Herr d'Estrees sich von mir vorlegen ließ«, erklärte der Kaufmann.

»Nichts fehlt von den Sachen«, sagte der König. »Ich hatte mit dem Herrn Gouverneur gewettet, daß er sie so still und heimlich nicht würde kaufen können. Hab verloren und bezahl euch.«

Sprach es und ging mit großen Schritten ab.

 

Der Diener des Königs

Hiernach verließ er schnell und ohne Abschied die Stadt: d'Armagnac hielt immer die Reisesäcke fertig, die Pferde waren gesattelt. Henri dachte zwischen sich und die Familie d'Estrées einigen Abstand zu bringen, Krieg zu führen und unbeschwert zu reiten. Aus Sehnsucht indessen nach Gabriele, und auch weil er sich ihrer zu schämen hatte, setzte er in den Laufgräben vor Rouen sein Leben aus. Die Königin von England verübelte es ihm empfindlich, wie er durch Briefe seines Gesandten Mornay erfuhr. Mehrere katholische Edelleute warnten ihn inzwischen, daß sie nicht länger zusehen könnten, bis er sich bekehrte. Mayenne gab ihnen eine letzte Frist, um zu der Mehrheit überzugehen. Sie hatten noch die genaue Zeit, bis die Ständeversammlung zusammentrat. Es stand aber fest: nur einen katholischen König wählte diese. Inmitten aller seiner Bedrängnisse sieht Henri eine Sänfte die Straße von Dieppe herniederschaukeln. Er weiß sogleich, wen sie ihm bringt, sein Herz schnellt hoch, aber es ist nicht Freude und heftiges Verlangen, wie das erstemal, daß die Sänfte ankam in Tal Josaphat. Dazwischen liegt viel.

Er ging in sein Haus und erwartete sie dort. Gabriele, still und allein, betrat das Zimmer. »Sire! Sie demütigen mich«, sagte sie -- ohne Klage oder Vorwurf, in all ihrer gelassenen Schönheit, und diese quälte ihn wie etwas Verlorenes. An dem Vollkommenen entdeckte er Züge, die darüber noch hinausgingen: dies, während beide schwiegen, aus Furcht vor dem Gespräch, das sie führen sollten. Ein Anflug von Doppelkinn, sah Henri. Eine geringe Falte, sichtbar nur in einem gewissen Licht, aber, wie über alle Maßen herrlich! »Ich bin bereit, Madame, Sie zufriedenzustellen«, hörte er sich sagen, so förmlich wie zu einer Fremden. Sie behielt dennoch ihre würdige Vertraulichkeit.

»Wie konnten Sie die Sache nur so falsch anfassen«, sagte sie mit Kopfschütteln. »Sie mußten meinen Vater und mich selbst in Schutz nehmen gegen die Leute von Noyon, die uns nicht mehr achten wollen.«

»Man kann es von ihnen nicht verlangen«, sagte er hart -- winkte aber gleichzeitig nach einem Sessel, in den sie sich setzen sollte. Sie tat es und betrachtete ihn um so strenger. »Sie selbst haben alle Schuld. Warum bestraften Sie nicht auf der Stelle das dreiste Volk, das Herrn d'Estrees bei Ihnen verklagte.«

»Weil sie recht hatten. Die Einkäufe hingen meinem Gouverneur aus allen Schlitzen seiner Kleidung. Mir war zumute, als hätte ich es selbst getan.«

»Wie kindisch! Es ist eine kleine unbedeutende Schwäche von ihm, in letzter Zeit mag sie zugenommen haben. Wir waren daran gewöhnt; aus bloßer Vergeßlichkeit versäumte ich, Sie vorzubereiten. Wie oft schon war meine Tante de Sourdis zu den Kaufleuten gefahren und hatte den Irrtum aufgeklärt. Übrigens pflegt es sich um wertlose Gegenstände zu handeln.«

»Der Ring ist nicht wertlos«, stellte er fest und betrachtete mit Verblüffung ihre wunderbare Hand, wie sie auf der Lehne ruhte, wie der Stein daran glänzte. Der Ring, sie trug ihn!

»Ich staune«, äußerte er, obwohl eher Bewunderung aus seinem Ton sprach. »Aber, Madame, erklären Sie mir, was mein Gouverneur mit Spielsachen für Kinder macht.«

Sie sah ihn an, und ihr Blick verwandelte sich. Vorher hell und freimütig infolge des Zornes über empfangene Beleidigungen, trübte er sich jetzt von einer Zärtlichkeit. Oh! die hatte sie nicht absichtlich herbeigerufen.

»Gabriele!« rief Henri halblaut; die schon erhobenen Arme sanken ihm wieder herab. »Wozu das Spielzeug?« flüsterte er.

»Es liegt nun bereit für das Kind, das ich bekommen soll«, sagte sie -- senkte die Stirn, bewegte die geöffneten Hände leise nach ihm hin. Demütig und ihres Rechtes gewiß, erwartete sie, geküßt und bedankt zu werden.

Bei ihrem nächsten Zusammensein verlangte sie mehr: der König sollte Herrn d'Estrées zum Großmeister der Artillerie ernennen. Er schulde ihrem Vater eine Genugtuung, darauf beharrte sie. Warum gerade diese? Sie erklärte es nicht. Henri versuchte den Fall leicht zu nehmen. »Was versteht Herr d'Estrées von dem Gebrauch des Pulvers. Den grauen Turm hat er nicht gesprengt.«

Sondern Baron Rosny hatte ihn gesprengt, als der König die Stadt Dreux belagerte. Rosny, der ein großer Rechner war, beherrschte auch die Kunst der Minen und Geschütze. »Die Mine des Herrn von Rosny« war vor Dreux ein geläufiger Ausdruck des Spottes für die umständlichen Arbeiten eines ehrgeizigen Pedanten, sechs Tage und sechs Nächte, bis die dicken Mauern des grauen Turmes mit vierhundert Pfund Pulver angefüllt waren. Das Hoflager mitsamt den Damen versammelte sich bei dieser Sprengung und erging sich in Witzen, als zuerst nur viel Rauch und ein dumpfer Knall kam, dann aber sieben und eine halbe Minute gar nichts. Die gelehrte Anmaßung des Hauptmanns schien bestraft -- und dennoch, auf einmal spaltete sich der Turm von oben bis unten, einen Krach ergab es ohnegleichen, und er fiel ein. Niemand hatte es vorher geglaubt, auch die Belagerten nicht. Standen auf dem Turm und verunglückten in Massen. Einige Überlebende bekamen von dem König je einen Taler. Rosny, der Gouverneur hätte werden wollen, sah sich wieder einmal verdrängt, erstens, weil er »von der Religion« war. Sein Gegner, der dicke Schurke d'O, konnte überdies dem König einen Teil der öffentlichen Gelder versprechen, soviel er selbst davon nicht stahl. Wie wäre er nicht Gouverneur geworden.

Aber die Großmeisterei der Artillerie, sie wenigstens blieb offen, und Henri war entschlossen, sie seinem verdienten Rosny zu geben. Er wollte ihn damit belohnen, wenn der Brave aus der Stadt und Festung Rouen zurückkehrte, wohin sein König ihn entsendet hatte mit dem Auftrag, den Preis der Übergabe auszuhandeln.

»Schöne Liebe!« sagte Henri zu Gabriele d'Estrées. »Geliebte Herrin!« bat er. »Erlassen Sie mir diesen Wunsch. Wählen Sie für Herrn d'Estrées, was Ihnen sonst in den Sinn kommt, nur die Großmeisterei nicht.«

»Wie könnte ich Ihnen hierin gehorchen«, antwortete sie. »Ich und mein Vater würden für gering geachtet werden vom ganzen Hof, gäben Sie uns nicht diese Genugtuung.«

Ihr gesegneter Zustand erklärte vielleicht ihren Eigensinn. Henri half sich für den Augenblick mit einer unverbindlichen Zusage, und alsbald schickte er nach Rouen einen dringenden Brief an Rosny, damit dieser sich beeilte. Am Geld sollte er das Geschäft nicht scheitern lassen und jedenfalls seinem Herrn das Tor öffnen. Gabriele konnte die ganze Großmeisterei vergessen haben, zog sie erst einmal stolz mit ihrem königlichen Geliebten durch Ehrenpforten in die Hauptstadt des Herzogtumes Normandie.

Vorerst stand es derart, daß der Gesandte des Königs seinen Brief nur zu nötig hatte. Ja, leicht hätte ohne diesen Brief der König seine Stadt Rouen überhaupt verloren, der Gesandte Rosny aber sein Leben.

Mit Herrn de Villars, der für Mayenne und die Liga in Rouen befehligte, stritt Rosny schon zwei Tage gewissenhaft über den Preis, focht alle Bedingungen des Gouverneurs an und behauptete, der königliche Schatz könne sie nicht tragen. Dies, während Abgeordnete der Liga und des Königs von Spanien demselben Villars ungezählte Haufen Gold anboten, und zwar unter jeder Bedingung. Rosny in seinem vernünftigen Kopf, der ganz von der Art dieses nördlichen Landes war, kam nicht darüber fort, daß man besser die Türme hätte sprengen und die Stadt zerschießen sollen, anstatt gutes Geld zu verschwenden. Andererseits war Rosny, später Herzog von Sully, überaus auf seine Würde bedacht, er neigte ihretwegen sogar zum Prunk. Persönlich wäre er gewonnen worden, da Herr de Villars ihn im ersten Hotel von seinen eigenen Leuten bedienen ließ, ihm auch seinen Sekretär schickte und ihn in das Haus seiner Geliebten bestellte. Soweit wäre alles gut gewesen. Der Gouverneur indessen, eine gerade Natur, kam alsbald mit allen Forderungen heraus, wie er sie sich ausgedacht hatte; und natürlich waren sie angewachsen in dem Maße, wie die Gegenseite ihm Haufen Goldes versprach. Zuletzt hatte sich eine lange Liste ergeben: Ämter und Würden, Festungen, Abteien, eine Million zweimalhunderttausend zur Bezahlung seiner Schulden, überdies eine Jahresrente, und dann folgten wieder Abteien. Es war nicht mehr im Kopf zu behalten, Herr de Villars als ordentlicher Mann hatte alles aufgeschrieben und las es vor.

Rosny gab nicht sogleich Antwort, denn er dachte bei sich: ›Schnapphahn elender! Deswegen Ihre gute Bewirtung und der Empfang bei Ihrer Geliebten. Und streiche ich von der Liste einiges, dann verkaufen Sie sich an Spanien. Hätten übrigens recht, wenn nicht unsere Kanonen wären. Ich will Ihnen zeigen, wie man Pulver in Türme praktiziert. Das Ende wird sein, daß Sie hängen.‹

Hierauf begann er, blauäugig und ohne daß sein glattes Gesicht mehr als nötig ausgedrückt hätte, mit seinen vernünftigen Gegenvorschlägen; aber der Gouverneur unterbrach ihn, er hatte noch etwas vergessen. Wenigstens sechs Meilen um Rouen sollte der protestantische Gottesdienst verboten sein -- eröffnete er dem Ketzer und Abgesandten eines ketzerischen Königs. Infolgedessen erhitzte sich die Unterredung, sie konnte an diesem Tage zu nichts mehr führen. Allerdings wurde ein Vorvertrag geschlossen, aber nur, weil Rosny die Papiere und Unterschriften so sehr liebte; und ohne ein Papier, mochte es nichtssagend sein, verließ er keine Verhandlung. Durch Kurier unterrichtete er den König von den unverschämten Bedingungen. Bevor nun der Bescheid eintreffen konnte, setzte Herr de Villars sich in den Kopf, der nichtsahnende Rosny wäre sein Mörder. Es war eine Verwechslung: irgendein Abenteurer hatte den Plan gefaßt, der Person des Gouverneurs habhaft zu werden und Lösegeld herauszuschlagen. Genug, als sie wieder zusammenkamen, dachte der Gouverneur mit hervorquellenden Augen nichts als Hängen und Würgen. Dasselbe hatte Rosny beim vorigen Mal erwogen, nur daß er es nicht so sehen ließ. Jetzt sagte ihm sein gesunder Verstand, daß einzig noch eine Wahnsinnsszene helfen und das Schlimmste verhüten konnte. Daher überbot er unvermittelt das Wüten des Gouverneurs, ja, er nannte den Edelmann einen ehrlosen Verräter: worüber dieser in solchem Grade erstaunte, daß es ihm die Rede verschlug.

»Ich -- ein Verräter? Sie sind zornig, Herr.«

»Sie selbst sprechen nur im unvernünftigen Zorn von einer Mordgeschichte, deren erstes Wort ich nicht kenne; ja, wollen sogar Ihre Treue brechen, denn ich habe einen Vorvertrag!«

Diese eindringlichen Worte riefen Herrn de Villars halbwegs zu sich, so daß er beim Eintritt seiner Geliebten sagte: »Schreien Sie nicht, Madame, ich schreie auch nicht mehr.« Dennoch hätte seine Besänftigung, die mehr ein Erstaunen war, schwerlich vorgehalten. Die Unschuld des Herrn de Rosny bedurfte dringend eines greifbaren Beweises, oder es konnte ihm immer noch übel ergehen. Genau in diesem Augenblick überbrachte einer seiner Diener ihm den Brief des Königs. Es war der Bescheid wegen der unverschämten Forderungen des Gouverneurs von Rouen. Aber die Forderungen der Dame de Liancourt waren der nächste Anlaß dieses Briefes gewesen: sonst wäre er vielleicht so erwünscht nicht eingetroffen. Übrigens bleibt unentschieden, ob der Gesandte Rosny ihn nicht eigentlich schon vorher in seinem Gasthof erhalten hatte. Die Wirkung des Überbringens hier während des spannenden Auftrittes war zu merkwürdig, bei späterer Überlegung glaubte man nicht mehr an Zufall. Die Geliebte des Gouverneurs äußerte bald Zweifel.

Gleichviel, der König nahm alle Bedingungen an, bis auf das Verbot der Religionsübung, wovon er nichts erwähnte, und so überging auch Herr de Villars diesen Punkt: sollte er doch Großadmiral werden. Dem Gesandten gab er alsbald Genugtuung, weil er ihn fälschlich für seinen Mörder gehalten hatte. Ein Handlanger des wirklichen Mörders war zum Glück gefangen worden. Diesen ließ der Gouverneur herschaffen, warf ihm eigenhändig den Strick über, und seine Leute hängten ihn vor den Augen der Herren aus dem Fenster. Dies getan, blieb nur noch übrig zu feiern, was so glücklich ausgegangen war. »Die Liga ist verratzt«, rief der Gouverneur, rauh wie ein alter Soldat, aus dem Fenster, das schon die Aufmerksamkeit des Volkes erregt hatte, wegen des Gehenkten. Der Gouverneur befahl: »Ruft alle: Hoch der König!« Das tat das Volk, und seine Stimmen erschallten bis an den Hafen, wo die Schiffe ihre Schüsse lösten. Auf den Festungswällen wurden Salven abgegeben, und keine Kirchenglocke, die nicht fröhlich schwang. Dankgottesdienst in Liebfrauen, mit Rosny in der ersten Sitzreihe; Empfang der städtischen Körperschaften und ihr Geschenk an den Gesandten des Königs, ein prachtvolles Tafelgerät aus vergoldetem Silber: hiermit verließ Rosny diese Stadt.

Als er während der Schlacht bei Ivry unter einem Birnbaum mit seinen Wunden lag, hatte er auch dort gesiegt und sogar einige reiche Gefangene gemacht, denn dieser Mensch gefiel dem Glück. Diesmal konnte er durch sein Verdienst, wozu das Glück nur beiträgt, dem König eine der besten Städte erwerben. Der gute Diener des Königs ist hier wahrhaftig seines Lohnes gewärtig. Indessen trifft er ein, wird umarmt, hält eine schöne Rede: das Tafelgerät aus vergoldetem Silber gehöre dem König; sein Diener nehme grundsätzlich von niemandem Geschenke an. Worauf der König ihm das Gerät beläßt und dreitausend Goldtaler noch dazu legt. Soweit gut. Als Rosny aber um die Großmeisterschaft der Artillerie bittet, umarmt der König ihn nochmals und ernennt ihn zum Gouverneur der Stadt Mantes. Rosny besinnt sich nicht. Mit kühner Stirn entgegnet er dem König, daß er undankbar ist. Hierauf der König, in seiner alten Bewitzelung der ernsten Dinge -- Rosny hat niemals Sinn dafür gehabt: »Undankbar, das sagt man längst. Aber lassen Sie sich das Neueste vom Hof erzählen.«

Nicht lange, so wußte Rosny alles. Er schloß sich eine Stunde ein, dann ging er zu Madame de Liancourt. Sie begriff sogleich, daß er wegen der Großmeisterei kam, obwohl niemand ihm etwas anderes angesehen hätte als seine gewohnte Würde. Auf den Kleidern trug er viel Schmuck. »Madame, ich habe um die Ehre gebeten, Ihrem Erheben beizuwohnen. Der König bedient sich meiner, es wäre möglich, daß Sie mich einmal brauchen.«

Gabriele antwortete unbesonnen: »Danke. Der König bekommt meine Briefe, wenn er im Feld ist, durch Herrn de Varennes.« Das war ein früherer Koch und trug jetzt Liebesbriefe aus. Rosny erbleichte; die obstähnlichen Farben seines Gesichtes vergingen deshalb nicht, nur matter wurden sie. Gabriele sah wohl etwas dergleichen, versäumte aber, sich sofort zu entschuldigen, und sooft sie dies später versuchte, es gelang niemals mehr. Hätte sie in diesem Augenblick ihre Tante de Sourdis bei sich gehabt, sie wäre beraten worden, vielleicht hätte sie noch vermeiden können, sich diesen Feind für das Leben zu machen. Statt dessen, kaum daß sie ihren Fehler bemerkte, verstockte die Ärmste sich, sie betrachtete Herrn de Rosny hochmütig, so daß ihr Mädchen aufhörte, ihr die Haare zu pflegen, und eine große Pause eintrat.

Zuletzt ließ Herr de Rosny das Knie auf einen Schemel nieder und zog der Dame den Pantoffel wieder an: in der Erregung hatte sie ihn vom Fuß geschleudert. Gabriele sah ungeduldig zu und dachte bei sich, daß er auch damit nicht Großmeister der Artillerie werden könne, das war Herr d'Estrées. Der Beleidigte gab nichts zu erkennen, er sprach ein Kompliment über ihren kleinen Fuß und nahm Abschied. Kaum war er nicht mehr zugegen, erschrak Gabriele bis in das Herz: sie hatte ihn nicht beglückwünscht, hatte der ruhmvollen Erwerbung der Stadt Rouen nicht einmal gedacht. Jetzt war er gewiß unterwegs zum König. »Lauf! Hol ihn zurück!« befahl sie ihrem Mädchen. Vergebens, Rosny kam nicht. Er fragte sich, warum er diese schöne Frau aus tiefster Seele haßte. Noch fand er das Eigentliche nicht: ihre und seine Ähnlichkeit. Zwei Blonde aus dem Norden, helle Farben, kühle Verständigkeit. Dem König, einem Mann des Lachens und der Tränen, durch ihren Vorteil verbunden; aber langsam wächst beiden etwas zu, das über die Erfahrung ihres Wesens hinausgeht -- ein Gefühl, nur der Mann aus dem Süden kann es sie derart lehren. Bald verlangt jeder mehr: nicht nur von der Gunst des Königs, auch von dem Vertrauen des Geliebten. Zwei Eifersüchtige, die beide denselben lieben, wollen einander schaden -- und dies bis an das Ende.

Der König hatte sich schon nach Saint-Denis verfügt, woselbst er nachher seinen Glauben abschwören sollte. Davon wußte er noch immer nichts Gewisses und war im Herzen ungenau entschlossen, obwohl so viele Tatsachen feststanden, daß die letzte auch eingetreten wäre ohne Vorsatz. Indessen hielt er Konzile mit Geistlichen, horchte nach der Ständeversammlung drinnen in Paris, wartete nur lau auf Ereignisse, die abgelenkt hätten, wollte sich selbst hinhalten und mit seinem Gott vielleicht handeln. In seinen unruhigen Vorgefühlen war er begieriger als je nach der Gegenwart seiner schönen Liebe. Als er sie diesmal in einer anderen Stadt zurückgelassen hatte, fehlten ihm noch einige Erfahrungen, die er nächstens machen mußte: damit entschied sich allerdings, die beiden wären unzertrennlich. Der König wußte keinen besseren, ihm seine Geliebte sicher herzubringen, als seinen braven Rosny. Die Ergebenheit eines guten Dieners wird durch Enttäuschungen nicht erschüttert. Es ist unmöglich, daß er Gabriele nicht liebt, da er sein Heil in Henri setzt. So meinte Henri.

Rosny ordnete sogleich die Reise. Er mußte nicht erst bedenken, für wen er arbeitete und welchen Mittelpunkt die sorgfältige Veranstaltung bekommen sollte. Seine Feindin oder nicht, er war auf alle Fälle für einen abgemessenen Zug über Land und für ein feierliches Auftreten. Voran ritten er selbst und sein Gefolge, dann blieben hundert Schritte frei: dahinter gingen zwei Maultiere vor der Sänfte, worauf die Geliebte des Königs ruhte. Wieder Abstand. Nachher ein Wagen mit vier Pferden und den Frauen. Den Schluß machten, weit dort hinten, zwölf Tiere mit dem Gepäck. So war es feierlich und edel, mit ebensoviel ordnender Vernunft wie die anderen Unternehmungen des Barons. Hätte auch nichts geändert, wenn in der bedeutungsvollen Mitte die Königin Semiramis einhergefahren käme anstatt Gabriele d'Estrées. Leider sind nicht alle Wesen, wie Rosny, bloß sachlich und ihrer Verantwortung bewußt. Wo die Straße am schroffsten abfiel, stieg der Kutscher des vierspännigen Wagens vom Bock, anstatt wenigstens hier sein Bedürfnis zu bezähmen. Ein neckisches Maultier galoppierte trotz der Last, die es trug, bis zu den Kutschpferden, klingelte mit seinen Schellen und bewies, wie furchtbar es brüllen konnte -- um nichts weniger als der Esel des Silen im Tal Bathos. Davon nahmen die vier Pferde Reißaus; schon sah man es kommen, daß die schwere Kutsche die leichte Sänfte überrannte, sie zerstückelte und in die Tiefe fegte, mit ihr das Kostbarste im Königreich. »Haltet auf! Haltet auf!« riefen sie, aber niemand griff zu, infolge des allgemeinen Entsetzens. Die Deichsel indessen brach, der Wagen stand, die Pferde liefen allein weiter, und vorn wurden sie abgefangen von den Leuten des Herrn de Rosny.

Die Dame war einer so großen Gefahr entronnen, daß der Ritter nicht schnell genug zu ihr gelangen konnte. Der Schrecken verschlug ihm die Rede, nur Zeichen der Ergebenheit gab er von sich, und stieß heisere Freudenrufe aus, soweit er hierfür Stimme hatte. Die Dame schwoll zornig an, schon war sie stark gerötet. Niemand hatte sie bisher anders erblickt als in dem Schimmer der Lilien, diese überwogen bei weitem die Rosen. Der Ritter sah den Vorgang mit heimlichem Vergnügen, denn er gedachte mehrerer Geliebten des Königs, die dieser verlassen hatte, weil ihre Neigung, rote Flecken zu bekommen, ihm unerträglich wurde. Bei einer so jungen Person fehlten allenfalls zwanzig Jahre bis dahin; gleichviel. Rosny empfand Hoffnung und hätte einfach die Reise fortgesetzt. Dame d'Estrées dachte anders; jemand mußte ihren Zorn fühlen, und konnte nicht Rosny selbst es sein, dann sollte er doch mit eigener Hand den Kutscher durchprügeln für sein unzeitiges Bedürfnis. Das tat der große Diener des Königs, und etwas später lieferte er ihm die schöne Reisende ab, ganz in dem Schimmer der Lilien. »Alle waren bei dem Unfall vor Entsetzen grün«, erklärte er dem ungeduldigen Liebhaber. »Nur Madame de Liancourt bekam reizendere Farben als je. Sire! Daß Sie nicht dabei waren!«

 

Die arme Esther

Das Paar teilte augenscheinlich dieselbe Wohnung in der alten Abtei, worüber der Kanzelredner Boucher sich vor ganz Paris den Mund zerriß. Sein Erfolg war indessen nicht mehr auf der Höhe. Sein Publikum drückte sich nicht tot, die Fallsucht trat seltener auf: dies erstens wegen des Versagens der Ständeversammlung. Man sah endlich, daß die verschiedenen Bewerber um den Thron Frankreichs auf schwachen Füßen standen, einer wie der andere, aber vor dem Tor der Hauptstadt wartete der wahre König, brauchte nur abzuschwören und konnte alsbald einziehen. Auch bewies er seine Zuversicht, da er keinen Versuch mehr machte, gewaltsam einzudringen. Die Tore standen offen, die Bauern brachten ihre Vorräte, die Pariser wagten sich heraus. Sie waren satt gegessen, davon faßten sie Mut, bekamen auch die längst abgelegte Wißbegier zurück: wer immer nur mit knurrendem Magen denselben Boucher lügen hört, vergißt zuletzt wirklich, daß man hinsehen und erkennen sollte.

In Massen zogen sie nach Saint-Denis, drangen aber nur einzeln bis in die Nähe der alten Abtei; höchstens waren es zwei Freunde, die sich gemeinsam zu verteidigen gedachten. Schließlich hatte man es hier mit dem Antichrist zu tun, dafür sprach das meiste, denn wie hätte sonst ein exkommunizierter Ketzer seine Person solange behaupten können gegen die ganze Liga, die spanischen Armeen, das Gold Philipps und den päpstlichen Bannstrahl. Zwei kleine Bürger stahlen sich heute in den Klostergarten, suchten ein Versteck und wollten ausharren mit Hilfe der mitgenommenen Lebensmittel. Nein, da ist das Ungeheuer, pünktlich, als ob man den Teufel beschwört, nur daß ihm keine Wolke von Schwefel vorangeht. Er hat nicht einmal seine Leibwache bei sich, ist ungerüstet, unbewaffnet; wie ein König ist der nicht gekleidet. Schon sind wir entdeckt, obwohl er uns hinter der Hecke nicht hätte sehen können. Es muß um ihn was Besonderes sein. »Sire! Wir haben keine bösen Absichten.«

»Ich auch nicht.«

»Wir schwören: Niemals haben wir geglaubt, daß Sie der Antichrist sind.«

»Euch mußt ich nun doch für dumme Teufel halten. Jetzt wird es Zeit, uns besser kennenzulernen. Sollen alle drei noch lang zusammen leben.«

Auf seinen Wink verließen sie ihre Deckung, und ehe es gedacht, lagen sie vor ihm auf den Knien. Er lachte gutmütig über ihre verdutzten Gesichter, fragte auf einmal ernst nach ihrer kürzlich verbrachten Zeit der Not; und da sie ein gewisses Mehl erwähnten, sie hatten es wirklich von den Friedhöfen geholt, was sie selbst schon nicht mehr glauben wollten: da schloß der König die Augen und erbleichte.

Von dieser Begegnung berichteten sie nachher einer großen Zahl begieriger Personen, die aber weniger seine Worte zu kennen verlangten als seine Miene und Gebärden. Ob er böse wäre, ob gut.

»Er ist traurig«, bekundete einer derer, die ihm nahe in das Gesicht geblickt hatten. Der andere widersprach.

»Wie kannst du das wissen. Die ganze Zeit hat er sich lustig gemacht. Obwohl. Allerdings.« Hier stockte der Mensch, der ihn für einen Spaßmacher hielt.

»Obwohl. Allerdings«, sagte in Zweifeln befangen auch der, dem er betrübt erschienen war.

»Groß ist er.« Darin waren beide einig. »Von hohem Wuchs, leutselig und so einfach, daß man erschrickt, ja, daß man --«

»Ihm die Hand gibt«, schloß schnell der zweite. Der erste schwieg betreten. Er hätte fast verraten, daß sie vor dem König am Boden gelegen hatten.

Der König empfing nun in seinem Klostergarten den Besuch des Pastors La Faye, der hielt an der Hand eine verschleierte Frau. »Wir sind ungesehen eingetreten«, waren die ersten Worte des alten Mannes.

Henri konnte keinen Sinn darin finden, er sah von dem Pastor zu der Frau; ihr Schleier war aber dicht. »Ungesehen -- und unerwartet«, äußerte er in Eile; er war auf dem Wege zu Gabriele.

»Sire! Lieber Sohn«, sagte der Alte. »Gott vergißt nichts, und wenn wir am wenigsten darauf gefaßt sind, führt er uns unsere Taten vor Augen. Wer sie beging, soll sie nicht verleugnen.«

Hier begriff Henri. Diese Frau mußte er gekannt haben, wer weiß wo und in was für Tagen. Vergebens suchte er nach einem Zeichen auf ihrer unbedeckten Hand. Kein Ring; aber die Finger waren gequollen und eingerissen von Arbeit. Innerlich riet er Namen, fürchtete übrigens, belauscht zu werden, gern hätte er sich nach den Fenstern des Hauses umgesehen.

»Sie ist von unserem Glauben«, sagte La Faye und entschleierte sie. Da war es Esther aus La Rochelle: Henri hatte sie geliebt so gut wie zwanzig andere und vielleicht besser als zehn von ihnen, wer unterscheidet es noch. Er ist unterwegs zu Gabriele.

»Madame de Boislambert, wie ich sehe. Madame, der Augenblick ist schlecht gewählt, ich habe Geschäfte.« Er denkt: ›Gabriele, der dies ganz gewiß hinterbracht wird!‹

Pastor La Faye mit wehenden weißen Haaren, sehr fest: »Sehen Sie besser hin, Sire! Vor ihrem Gewissen fliehen die von der Religion nicht.«

»Wer spricht von Flucht.« Henri stellte sich zornig, aber im Verlauf seiner Rede wurde er es in der Tat. »Ich flieh ja nicht, hab aber Geschäfte und erlaube keinen Überfall. Auch Ihnen nicht, Herr Pastor.«

»Sire! Sehen Sie besser hin«, wiederholte der Pastor. Da sank in Henri eine Schwinge nieder, ihn trug nichts mehr, weder Verlangen noch Zorn. Vor ihm, jetzt wirklich entschleiert, eine gealterte, kranke und ärmliche Person -- hatte aber einst sein Geschlecht entzückt und seine Kraft begeistert. Er wäre nicht soweit gelangt, nicht bis vor das offene Tor seiner Hauptstadt, wenn diese alle ihn nicht entzückt und begeistert hätten. ›Esther! Das ist aus ihr geworden. La Rochelle, Festung am Meer, starke Zuflucht der Hugenotten, wir zogen aus ihr in viele Schlachten als Kämpfer für das Gewissen. Nicht nötig, Pastor, mich anzublitzen: wir sind einig. Es war der rechte Augenblick.‹

»Madame, was ist Ihr Anliegen?« fragte Henri.

Er denkt: ›Der Augenblick für die Hugenottin Esther, mir elend unter die Augen zu treten, ist genau dieser. Ich soll die Religion abschwören, dafür bin ich glücklich mit Jesabel, die den König Ahab zum Gotte Baal verführt. Wird aber dereinst von den Hunden gefressen. O schnell bestrafte Schönheit, unser Undank schwärzt sie: Esther aus La Rochelle haben nunmehr der Kummer und die Not im Gesicht geschwärzt!‹

Hier wäre er dennoch geflohen, wenn sie nicht gesprochen hätte. Ihre rauhe, schwache Stimme sprach:

»Sire! Ihr Kind ist tot. Seitdem zahlt Ihre Kasse mir nicht mehr. Ich bin von den Meinen verstoßen, bin allein und darbe. Barmherzigkeit!«

Sie versuchte ein Knie zu beugen, aber aus großer Schwäche wäre sie umgefallen. Nicht Henri, der alte La Faye fing sie auf. Sein Blick blitzte streng, und Henri beantwortete ihn trostlos. Dann ging er. Zuletzt hatte er dem Pastor zugenickt, als ein Versprechen, daß alles geschehen sollte. Hierüber dachte er nach, während sein Schritt, in den Gängen des Hauses, immer langsamer wurde. ›Was hab ich getan, was kann ich noch retten. Dies ist das unverzeihlichste Beispiel meiner Gefühllosigkeit. Flüchtige Tränen, die ich weine, und bin jedesmal unterwegs zu der nächsten. Das ist auch mein Ruf, alle kennen ihn, ich selbst bemerke als letzter, wie es um mich steht.‹

Ihm ging wahrhaftig ein Licht auf, und er staunte, was ihm zustieß. Er machte Opfer. Nach allen Regeln und seinem wirklichen Bewußtsein hätte er anders handeln müssen, da er die Mühen des Lebens aus eigenem sehr wohl kannte und der inneren Festigkeit immer bedurft hatte, sowohl in der Schule des Unglücks wie auf dem Weg zum Thron. Unsere gute Haltung wird aber bezahlt mit einigen geopferten Wesen. Henri erinnerte sich nochmals an Esther, weil ihm die Rente, die er ihr geben wollte, durchaus fehlte: er hätte denn um ebensoviel Gabriele, seine teure Herrin, kürzen müssen. Das hielt er für außer Frage und fürchtete sich davor, da sie gewiß nichts nachließ. Er brauchte nur das Bild zurückzurufen, wie ihre schöne Hand, auf der Lehne des Sessels, den Stein erglühen ließ, den Stein, den Herr d'Estrées gestohlen hatte.

In Sorgen vertieft, betrat er ihre Gemächer ungewöhnlich leise. Aus dem Vorzimmer spähte er durch die offene Tür: da saß die Schöne an ihrem Frisiertisch. Sie schrieb. ›Eine Frau soll aber nicht schreiben, außer mir selbst. Welcher andere Brief wäre ganz unverdächtig.‹ Henri bewegte sich völlig geräuschlos, und jetzt nicht mehr infolge Vertiefung. Endlich blickte er der Schreibenden über die Schulter, ohne daß sie ihn bemerkte, obwohl alles, was beide taten, vor dem hellen Glas eines runden Spiegelchens geschah. Henri las: »Madame, Sie sind im Unglück.«

Er erschrak, wußte sogleich, worauf dies hinauswollte, und folgte dennoch mit angstvoller Spannung der Feder, die knirschte, sonst hätte man vielleicht seinen Atem gehört. Sein Atem trübte den Spiegel. Die Feder malte groß hin: »Madame, das ist unser Schicksal, wenn wir schönen Worten geglaubt haben. Wir müssen uns hüten, sonst gehen wir mit Recht zugrunde. Sie tun mir nicht leid, denn Ihr Verhalten ist klein, und Ihr Auftritt hier im Garten entehrt mein Geschlecht. Damit Sie verschwinden, will ich Ihnen Geld geben. Der Vater Ihres toten Kindes könnte es leicht vergessen.« Es ging so fort, nur Henri hatte genug gelesen. Der Spiegel war von seinem Atem getrübt, sie fand darin kein Gesicht, als sie plötzlich aufsah. Alsbald verließ er rückwärts das Zimmer, überzeugt, daß sie wußte: er war da gewesen; und mehr für ihn als an die andere hatte sie geschrieben.

Er entfernte sich auf mehrere Tage, ja, überlegte den Bruch mit Gabriele. Sie war hoch und schwierig. Durch den Brief hatte sie ihm bekanntgegeben, daß sie niemals verzeihen würde, wenn er der anderen half. In Wirklichkeit wagte er es nicht. Seine Geschäfte in mehreren Städten sollten dienen, daß er die Launen seiner Herrin vergäße. Er vergaß ihre Launen, aber nicht sie; und vor großer Sehnsucht nach Gabriele blieb ihm kein einziger Gedanke übrig für eine Arme. Am dritten Tag erfuhr er, daß seine Geliebte den Herzog von Bellegarde bei sich empfangen hatte.

Er geriet in eine Hitze, anfangs ähnlich, dem Fieber, das ihn während seiner ganzen Jugend nach außerordentlichen Anstrengungen befallen und niedergeworfen hatte -- ein Versagen der selbstgewissen Natur, es öffnet sich das Nichts: daher diese Hitze. Der Vierzigjährige läßt sich von ihr nicht mehr überraschen. Den offenen Spalt seines Lebenswillens schließt er mit eigener Hand: das vermag dies gesicherte Lebensalter. Aufs Pferd und den Verrätern zu Leib! Er ließ seine Begleiter hinter sich, und stöhnte in den Wind hinein seine Klage, seine Rache. Handeln! Auf kein Bett sinken und verzweifeln, das kann nicht vorkommen, aber die Strafe soll hereinbrechen über alle beide. Er jagte in voller Dunkelheit durch einen Wald, bis sein Tier stürzte und er auf dem dürren Laub saß. »Herr de Praslin!« rief er, als die Edelleute eintrafen.

In das hingehaltene Ohr sprach er Aufträge, nie im Leben hätte er sie zu geben gedacht. Bellegarde sollte sterben. »Führen Sie es aus! Sie haften mir mit Ihrem eigenen Kopf.« Praslin liebte den Großstallmeister wenig, er hätte ihn im Zweikampf wohl getötet: nur glaubte er dem König nicht. Das ist kein König für Meuchelmörder, hat nie einen persönlichen Feind zum Tode befördert, mit seinem Feuillemorte wird er nicht anfangen. Praslin antwortete vernünftig: »Sire! Wir wollen es Tag werden lassen.«

Der König fuhr auf. »Sie denken, ich wäre von Sinnen. Ich will aber, was ich Ihnen befehle. Nicht nur Bellegarde. Sie sollen nicht ihn allein töten, wenn Sie beide beisammen treffen.«

»Im Dunkeln hör ich schlecht«, sagte Herr de Praslin. »Sire! Sie sind überall berühmt für Ihre Güte, sind der Fürst einer neuen Menschlichkeit und des Zweifels, den die Philosophen fruchtbar nennen.«

»Wer das?« fragte Henri rauh. »Weiß nichts mehr davon. Beide sollen sterben -- die Frau noch eher, sie zuerst.« In einem Aufschrei: »Ich kann das nicht sehen« -- und er verhüllte die Augen vor seinen inneren Bildern.

Der Zeuge der dunklen Stunde trat fort soweit als möglich, damit er ihr nicht länger beiwohnte. Zuletzt schwang der König sich wieder in den Sattel. Bei der Ankunft in Saint-Denis graute der Morgen. Henri rast die Treppe hinan, er verlangt Einlaß, muß eine Weile draußen stehen, und durch die unbewegliche Tür erkennt er, wie wenn er drinnen wäre, alle die Vorgänge eines überstürzten Aufbruchs. Eine Angst quält ihn: die drinnen können keine größere erleiden. Das Schloß springt endlich auf, seine liebe Herrin steht vor ihm -- eine Wiedergekehrte, er bemerkt auf einmal, daß er sie verloren gegeben hatte. Sein Blut schießt zum Herzen, weil er sie zurück hat. Sie ist angekleidet wie zur Reise, eine völlig angekleidete Frau beim grauenden Tag, angesichts des Fensters, das geklirrt hat, als es aufgerissen worden ist. Auch der Sprung in den Garten war zu hören gewesen.

»Erklären Sie das alles, Madame.«

Sie trug den Kopf hoch und antwortete gelassen.

»Jemand, der bei Ihnen in Ungnade gefallen ist, bat um meine Fürsprache.«

»Er ist aus dem Fenster gesprungen. Man soll ihn aufhalten.«

Sie vertrat ihm den Weg. »Sire! Ihre Feinde von der Liga haben ihm Anträge gemacht; er aber hat Sie nicht verraten.«

»Mit der Liga und mit Ihnen! Madame, wie kommt es, daß Sie angekleidet sind, und Ihr Bett ist zerwühlt? Fürsprache! Beim Tagesgrauen und einem zerwühlten Bett.«

Sie stellte sich mit ihrem breiten Rock davor. »Was Sie befürchten, ist nicht geschehen«, sagte sie in aller Ruhe.

Er stampfte auf, damit der Verlauf weniger nüchtern würde. »Verteidigen Sie sich! Sie wissen noch nicht, daß ich gekommen bin, um Sie fortzujagen.«

Sie sah ihm prüfend in die Augen, wie wenn bei einem das Fieber im Anzug ist. »Setzen Sie sich«, verlangte sie -- tat es auch selbst und gab den Blick auf das zerwühlte Bett frei. Dann sprach sie:

»Sire! Sie beleidigen mich nicht das erstemal. Sie haben Herrn d'Estrées mißachtet. Ferner würdigten Sie mich herab, als Sie dort unten jene Frau empfingen. Sie verreisten ohne Abschied, ich beging die Schwäche, einem verläßlicheren Freund auf seinen Brief zu antworten. Er erschien bei mir vor Tag, was Sie zartfühlend nennen sollten. Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn das erwachte Haus uns beobachtet hätte?«

Er hörte dies mit Anstrengung zu Ende, er klammerte sich an die Armlehnen, um nicht vom Sessel aufzuspringen. Statt dessen zog er ihn nahe vor sie hin und sprach ihr Wort für Wort ins Gesicht:

»Er sollte dich holen: darum bist du angekleidet. Ihr wolltet fort. Ihr wolltet euch heiraten.«

»Mit Ihrer Erlaubnis«, erwiderte sie -- hielt das Gesicht erhoben, entfernte es aber nicht von dem seinen.

»Die geb ich niemals«, murmelte er. »Der Mutter meines Kindes«, sagte er plötzlich laut. Bei dem Wort schlug sie zweimal schnell mit den Wimpern -- sonst nichts, dann eine Pause. Beide Knie an Knie, beinahe Kinn an Kinn, und eine atemlose Pause. Ihm war zuerst kalt geworden, auf einmal trockneten ihm Mund und Hals aus, er konnte nicht schlucken, ging zum Tisch und trank Wasser. Hierauf verließ er das Zimmer. Er hatte sie nicht mehr angesehen.

Madame de Liancourt wartete nicht länger, sie ließ ihre Koffer packen. Sie war im ungewissen, ob sie verspielt hatte. Angezeigt schien eine Reise zu der Tante de Sourdis. Dame de Sourdis hätte gesagt: »Was auch kommt, bitte niemals und sprich um keinen Preis das Wort: danke.« Soweit hörte Gabriele ihre Beraterin sogar aus der Ferne, indessen sie den Mädchen wegen der. Koffer zerstreute Weisungen gab. Sie besaß wohl keinen tiefen Geist, und aus einer Schwäche des Denkens beging sie folgenschwere Fehler, wie mit Herrn de Rosny. Diesmal aber war es genug, daß der erlernte Grundsatz ihr in den Sinn kam, um nichts zu bitten, für nichts zu danken, immer nur abzuwarten, bis der Gegner sich herbeiließ. ›Er hat niemand‹, bedachte sie. ›Gar niemand in der Welt, da er vor einem Sprung steht, er nennt ihn den Todessprung, weiß auch warum. Seine Partei zu verlieren ist er sicherer, als das Königreich zu gewinnen. Wenn wir des Nachts zusammenliegen: ich sag nicht viel, er spricht mit. sich. Es gefällt mir nicht übel, einfältig zu sein.‹

Hier befahl sie ihren Dienerinnen, mit Packen aufzuhören. Allein geblieben, zog sie das leichteste, durchsichtigste Gewand an; auf einmal war es ihr gewiß, daß er zurückkehren mußte. ›Seine Frauen haben ihn meistens betrogen, und er lachte darüber. Das ist er nicht anders gewohnt, zu viele erzählen davon. Er war niemals eifersüchtig, zuerst ist er es diesmal.‹ -- »Das muß für ihn schlimm sein«, sagte sie halblaut, und die Hände weich im Schoß, empfand sie einen vorläufigen Anflug von Zärtlichkeit für den, der um ihretwillen ein anderer wurde und seine Fähigkeit zu leiden mit ihrer Hilfe bereicherte. Sie ging bis nahe an die Reue. ›Ich schlug mit den Wimpern, als er von seinem Kinde sprach!‹

Er trat ein, hob ihre beiden Hände auf und sagte: »Madame, es soll vergessen sein.«

»Es tut Ihnen leid, Sire«, erwiderte sie nachsichtig -- bemerkte aber gut genug, was für eine furchtbare Stunde er verbracht hatte. Sein Gesicht wollte blaß und müde sein. Verwittert von allen Feldzügen und durch den Kampf von jeher gestrafft, wird ein Gesicht nicht müde, nicht blaß; man müßte denn unter die Haut blicken. Gerade dies tat sie mit Ergriffenheit.

»Sire! Sie haben die unwiderstehlichste Art, um mich zu werben.« Damit breitete sie ihm die Arme hin, nicht mehr geduldig und freundlich: endlich mit Verlangen.

Als beide den Augenblick der Hingabe beendet hatten, war darum nichts anders geworden -- er, wie vorher ruhelos und stürmisch, sie aber ungewiß und gelassen. »Engel des Nordens«, sagte er verzweifelt. »Schwören Sie mir, daß nichts Ihrer Treue gleichkommen soll, außer der meinen.« Er hörte aber gar nicht hin. »Welche Treue können Sie mir noch schwören, zweimal brachen Sie mir sie schon. Meinen schrecklichen Verdacht sehen Sie ruhig mit an, indessen Sie einem andern seine offenen Verrätereien verzeihen. Feuillemorte hat Furcht vor der Liga, und nicht nur um das Fräulein von Guise hat er geworben, daneben treibt er es mit ihrer Mutter. Sie sind ihm nichts, und mir gehört er nicht.«

Der Eifersüchtige tat sich nicht genug im Herabsetzen des Gegners, im Ansturm auf dieses unbesiegbare Herz. »Sie konnten ihm schreiben! Nach allen Ihren Versprechungen! Sie dürfen nie wieder sagen: Ich werde tun. Sie sollen sagen: Ich tue. Entschließen Sie sich, Herrin, nur einen Diener zu haben.«

Er stöhnte auf. Beide Hände um die Stirn gepreßt, lief er hinaus. ›Ich kann nicht tiefer sinken‹, fühlte er.

In dem alten Garten erwartete ihn Pastor La Faye. Henri, diesen sehen, und der Zusammenhang seines Unglücks mit seiner Schuld betraf ihn derart, daß er am Fleck anhielt. Der Pastor stand zehn Schritt davon, unter Bäumen. »Die arme Esther ist tot«, sprach er.

Henri senkte das Kinn auf die Brust, er verharrte lange genug wortlos, daß dem alten Mann dort drüben im Schatten nicht geheuer wurde. Er sagte: »Und war es auch Ihre größte Schuld, Sire! Die arme Esther hat den Sitz der ewigen Liebe erreicht.«

Henri erhob die Stirn, über die Wipfel hin bekannte er der Höhe: »In Tal Josaphat hatte ich zuletzt noch die Wahl« -- und entfernte sich schnell.

La Faye blieb traurig und entsetzt zurück. Der König hat gelästert. Der König ist verwirrt. Bereitet sich vor, die Religion abzuschwören, wagt aber den Vergleich mit dem Heiland, als er versucht wurde, und widerstand.

Erst später erfuhr Pastor La Faye: Tal Josaphat, so hieß das königliche Lager vor Chartres, und als eines Tages der König, mit Schlamm bedeckt, aus den Laufgräben stieg, wer wurde ihm auf einer Sänfte entgegengetragen? Das Wesen, vom Herrn erschaffen für seine unerforschlichen Absichten mit dem König.

Ein alter Protestant hätte nicht geglaubt, daß Gabriele d'Estrées ihrem Gefährten niemals zuredete, den Glauben zu wechseln. Henri selbst kannte die Wahrheit bis jetzt nur, soweit sie einfach im Sprechen und Verschweigen aufzufinden ist. Indessen gab er nachher an, wenn ein Vertrauter ihn über seine Bekehrung befragte: »Sire! Wer hat Sie eigentlich bekehrt?« Gab an:

»Meine teure Herrin, die reizende Gabriele.«


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