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Die Blässe des Gedankens

Ein unerwartetes Bündnis

Was war es mit Margot? Plötzlich erklärte sie sich bereit, beiden, dem König von Navarra und ihrem Bruder d'Alençon, zur Flucht zu verhelfen. Einer von ihnen sollte als Frau verkleidet neben ihr in der Kutsche sitzen, wenn sie aus dem Louvre fuhr. Sie hatte das Recht, eine Begleiterin mitzunehmen, und diese durfte eine Maske tragen. Da die Flüchtlinge aber zwei waren und keiner weichen wollte, unterblieb der Plan, wie andere mehr. Übrigens hatte Henri nie an ihn geglaubt, zu viele waren mißlungen. Er fand Margot in ihrem Eifer reizend und sagte daher nicht nein. Sie bereute beim Anblick seines großen Unglücks, daß sie selbst ihn eines Tages ihrer Mutter verraten hatte. Das rührte ihn, obwohl er auch ihren persönlichen Beweggrund durchschaute. Sie wollte sich rächen an Madame Catherine für den Tod ihres La Mole.

Sogar während der feierlichen Beisetzung Karls des Neunten, vierzig Tage nach seinem Tode, hatte Henri nichts anderes im Kopf, als durchzubrennen, und dann noch einmal, als eine Barke ihn vom Louvre abholen und über den Fluß bringen wollte. Damals versetzte das Mißlingen ihn in helle Wut, er stieß die unklugsten Drohungen aus - womit dann aber alles aus war. Fortan konnten sie ihm mit den verlockendsten Erfindungen kommen. Ein beruhigter Navarra antwortete ihnen. Keine Spur mehr von frischen Entschlüssen. Beredet man aber die Dinge zu lange, wird alles zweifelhaft, und zwar sowohl in Hinsicht der Ausführbarkeit wie der Wünschbarkeit. Dies gilt nicht nur für Fluchtpläne, sondern für sämtliche Gegenstände des Lebens. Navarra besprach sich viel und mit allen. Nachts hatte er dafür die Frauen, bei Tag die Männer. Jeder konnte glauben, er würde von Navarra unterhalten oder gefoppt oder ehrerbietig angehört. Bei den einen galt er für den lustigsten Herrn des Hofes, andere suchten in ihm erhabene Gefühle, indes er sie an der Nase führte. Sogar seine seltenen Aufrichtigkeiten waren bestimmt, weitererzählt zu werden und ihm Vorteil zu bringen. Wo er nur konnte, äußerte er Bewunderung für Madame Catherine. Wenn man ihn hörte, war die Bartholomäusnacht ein Meisterstück. Zweifelhaft erschien nur, wo das Genie der Königin größer hervortrat: ob darin, daß Jeanne und Coligny sterben mußten, oder vielmehr darin, daß Henri leben durfte. »Bei zunehmender Einsicht«, sagte er, »wird mir auch das noch klarwerden. Bis jetzt weiß ich zwar nicht, warum ich lebe. Meine Mutter aber und der Admiral sind für wohlerwogene Zwecke geopfert worden. Ein Narr würde Rache brüten. Ich bin nur jung und lernbegierig.«

Dies erfuhr die Alte, und mochte sie es ihm höchstens zur Hälfte glauben, gerade seine Unzuverlässigkeit gewann ihm ihr Herz. Er wieder wurde von ihr angezogen, gerade weil sie ihn in ihrer Gewalt hatte. Beide spannten und unterhielten einander, wie nur die Gefahr. Einige Male ließ sie es zwischen ihnen zu den sonderbarsten Vertraulichkeiten kommen. Eines Abends gestand sie ihm ausdrücklich, daß er bei weitem nicht ihr einziger Gefangener wäre. Frei war nicht einmal der König, ihr Lieblingssohn. Sie hielt ihn durch Zaubertränke - sagte sie und zwinkerte.

König Henri, dritter dieses Namens, war aus Polen hergereist unter Verkleidungen. In Deutschland hätten sie ihn fangen können. Das war nicht geschehen, hier aber in seinem eigenen Schloß Louvre war er der Gefangene seiner Mutter und ihrer Italiener, die sich aufgeschwungen hatten sowohl zum Kanzler wie zum Marschall. Nur Fremde - auch dies gestand sie ihrem Freunde Navarra, während der nächtliche Wind des dreißigsten Januar an den Scheiben klirrte - nur Fremde sollen eine Nation führen. Der ausländische Abenteurer fürchtet niemals, ihr Blut zu vergießen. Soll sie verrecken, wenn er sie nicht führen kann. Das ist aber das Gesetz, das über sie verhängt ist, sonst werden Nationen leichtsinnig infolge von Wohlfahrt. Besonders die Franzosen verfassen gern Spottschriften. Besser, den Leuten schaudert es, als daß sie lachen! »Das ist wahr, Madame!« rief Henri begeistert. »Und ich frage mich nur, wie Sie denn alle Ihre zugewanderten Landsleute mit Grundbesitz belohnen wollten, gäbe es nicht das gute Mittel, daß Sie die französischen Eigentümer im Gefängnis erdrosseln lassen.«

Madame Catherine kniff ein Auge zu, womit sie die Richtigkeit bestätigte.

»Einer der Erdrosselten, dessen Güter Sie einzogen, war sogar der Sekretär Ihres Sohnes, des Königs, gewesen.«

»Sag es ihm nur! Noch hat niemand den Mut gehabt.« So sprach die alte Königin, denn auf der Höhe der Vertraulichkeit duzte sie den Zaunkönig. Sie gab ihm einen Schlag auf den Schenkel und wendete einen neuen Ton an, er klang neckisch und dabei geheim.

»Zaunkönig«, sagte sie. »Du bist der Rechte. Ich habe dich lange beobachtet und mich überzeugt, daß dir etwas Verrat nichts ausmacht. Den Menschen haften Vorurteile an. Was ist der Verrat? Die Geschicklichkeit, mit den Ereignissen zu gehen. Das tust du, und daran liegt es, daß deine Protestanten dich verachten, und zwar im Lande draußen wie auch in den Mauern des Louvre, so viele hier übrig sind.«

Henri erschrak hierbei. ›Wie erst müssen der Herr Admiral und meine liebe Mutter von mir denken, da ich diese Alte anhöre, anstatt sie zu erdrosseln. Aber das soll noch kommen. Meine Rache wird langsam vorbereitet und soll um so gründlicher sein.‹

Auf seinem Gesicht indessen war nicht dies zu erkennen, er zeigte Willigkeit und ein harmloses Einverständnis. »Es ist wahr, Madame, daß ich es mit meinen alten Freunden ganz verdorben habe. Daher werde ich Ihnen, Madame, um so eher gefällig sein wollen.«

»Besonders, mein Kleiner, wenn du dafür die Erlaubnis bekommst, dich etwas zu bewegen. Du spielst jetzt gern Ball mit dem Guise, und das ist klug von dir, in Anbetracht dessen, daß er den toten Coligny ins Gesicht getreten hat. Du sollst aber mit ihm auch den Louvre verlassen, sooft er ausgeht.«

»Er geht viel aus. Besonders reitet er aus.«

»Du sollst mit ihm gehen und reiten, damit ich immer erfahre, wo er war. Willst du das für mich tun?«

»Ich darf aus dem Louvre? Alle Tage? Durch das Tor? Über die Brücke? Was befehlen Sie, Madame, es soll geschehen!«

»Nicht als ob ich Furcht hätte vor dem Guise«, versicherte die Königin. Ihr neuer Verbündeter bestätigte aus Überzeugung: »Wer so eitel ist, wie Lothringen auf seine Gliedmaßen! Hat einen blonden Bart, und den liebt das Volk!«

»Er ist ein Esel«, sagte sie ebenso entschieden. »Er hetzt die Katholiken auf. Er weiß nicht, für wen er arbeitet. Für mich. Denn ich brauche bald wieder ein Gemetzel, die Protestanten geben keine Ruhe, nicht einmal nach der Bartholomäusnacht. Dann müssen sie eben noch eine haben. Guise soll die Katholiken aufhetzen, und dir erlaube ich, die Hugenotten wild zu machen. Sag ihnen in Paris, daß ihre Waffen uns draußen überall schlagen. Leider ist es nicht ganz unwahr. Nach den Provinzen aber läßt du melden, hier käme bald ein Aufstand, und der mag nur kommen! Willst du alles ordentlich ausführen, Zaunkönig?«

»Über die Brücke darf ich reiten? Und auch zur Jagd? Zur Jagd?« wiederholte er und lachte auf, so kindisch freute sich der Gefangene. Madame Catherine belächelte ihn nachsichtig und mit Geringschätzung. Auch die klügste Alte unterscheidet in einer echten Freude nicht immer die List, die dennoch dahinter steckt. Ein Gefangener tut gut daran, sich noch erniedrigter zu geben, als nötig wäre, und wer seine Stunde erwartet, muß um so unentschlossener tun.

Als Henri seine edle Freundin verlassen hatte, stieß er vor ihrer Tür auf d'Aubigné und Du Bartas. Die beiden traten sonst kaum gemeinsam auf; ihnen verbot es ihre Vorsicht. Nur diesmal hatten sie nicht widerstanden, da ihr Herr sich endlos lange beredete mit der verhaßten Mörderin. Er war ihnen ein Rätsel geworden. Obwohl sie ihn liebten wie je, wußten sie doch nicht mehr, wie weit sie ihm trauen durften.

Unzufrieden sprach er sie an. »Vor dieser Tür vermutete ich euch nicht.«

»Auch wir wären Ihnen lieber anderswo begegnet, Sire.«

»Aber das dürfen wir nicht«, setzte der eine hinzu.

»D'Armagnac läßt uns nicht zu Ihnen«, erklärte der andere. Abwechselnd klagten die beiden mit rauhen Stimmen: »Uns lassen Sie beiseite und verkehren mit neuen Freunden. Das sind aber die alten Feinde. Haben Sie denn alles vergessen? Wem Sie Dank schulden - und sogar, wen Sie rächen müssen?«

Ihm schossen die Tränen in die Augen, als er von seiner Rache hörte. Er wendete sich ab, damit sie es nicht sähen, »Der neue Hof«, sagte er, »ist lustig, ihr aber wollt immer noch traurig sein. Unter Karl dem Neunten war auch ich ein Aufrührer, was hat es mir geholfen. Die Rache, was wißt ihr von der Rache? Wenn man ihr nachhängt, wird sie tiefer, immer tiefer und endlich bodenlos.«

Sie sprachen dies alles unter den Augen der Schweizer Wachen, die in die Luft starrten, als verständen sie nichts.

Die beiden Kameraden von früher murrten: »Unternehmen Sie aber nichts, Sire, dann handeln die anderen: die bekannten Teilnehmer der Bartholomäusnacht. Die geben sich nicht zufrieden an dem lustigen Hof und noch weniger in den Kirchen. Sie sollten hören, was dort gepredigt wird.«

»Daß ihr euch bekehren sollt; sonst werdet auch ihr noch umgebracht. Bekehrt euch! Ich hab es auch getan.«

Hier blieb ihnen vor Entsetzen die Antwort aus. Er sagte weiter: »Wollt ihr aber nicht nachgeben, dann schlagt als erste los. Ihr seid stark. Mehrere Hundert von der Religion sind noch am Leben in Paris. Sie haben vielleicht keine Waffen, aber sie haben Gott.«

Da ging er weiter, und in ihrer Verblüffung versuchten sie gar nicht, ihm zu folgen. »Er verhöhnt uns«, raunten sie einander zu. Nicht einmal die Schweizer durften dies hören. Vor sich selbst suchten sie ihn zu rechtfertigen. »Es kann auch eine Warnung gewesen sein, damit wir uns in keinen Aufstand einlassen. Durch Unwahrheit das Wahre zu verstehen geben: es sähe ihm ähnlich. Vorher übrigens weinte er, obwohl wir es nicht bemerken sollten. Aber er weint leicht. Weint bei dem Gedanken an seine Rache, und ist doch aus dieser Tür getreten. Aus demselben Zimmer, worin seine Mutter das Gift bekommen hat!«

Sie kamen überein, daß sie ihren Herren nicht mehr verständen und daß sie unglücklich wären.

 

Der zweite Auftrag

Henri begab sich zu dem König, der so hieß wie er selbst und auf dem Thron der dritte Henri war. Oft spielte er mit ihm, ein Henri mit dem anderen. Zur Knabenzeit in Saint-Germain waren beide, wie Kardinäle angetan, auf Eseln geritten den Saal hinein, wo Madame Catherine einen echten Kardinal empfing. Das wiederholten sie ähnlich jetzt, als erwachsene Männer, der König von Frankreich und sein gefangener Vetter, dessen Mutter und sämtliche Freunde hierselbst das Leben verloren hatten. Dafür ging der König von Frankreich des nächsten Tages in ein Kloster, um schleunigst abzubüßen. Er büßte eine festgesetzte Zeit für Lästerungen, eine andere für fleischliche Verirrungen, und wieder eine für seine Schwäche hinsichtlich der Herrscherpflichten. Man mißbrauchte ihn, daß es ein Gespött war: Ränkeschmiede, Schwindler, Lustknaben und als einzige Frau seine Mutter. Er verschenkte, verscherzte, verlor. An einem bestimmten Punkte wurde ihm jedesmal bewußt, was vorging, seine Beraubung, Entwürdigung - und er verfiel in Schweigen.

Sie hielten das Schweigen für drohend und machten sich dünn, sobald der König schwieg. Sein Verstummen war aber das tragische Erkennen des eigenen Unvermögens. Ihm fiel von Mal zu Mal auf die Seele, daß ein absterbendes Königshaus in der Welt und im Lande nichts mehr kann ausrichten noch aufnähen. »Duldung müßte sein«, äußerte er gerade heute seinem Vetter und Schwager. Die Verzweiflung rang es ihm ab. »Friede wäre höchst geboten. Haß ich denn die Hugenotten? Mit neun Jahren war ich selbst einer und warf das Gebetbuch meiner Schwester Marguerite ins Feuer. Ich weiß noch, wie meine Mutter mich schlug und wie mir das Spaß machte. Bis auf den heutigen Tag schäme ich mich vor ihr wegen des alten Gefühles. Sie hat es lange vergessen. Wohin gerate ich? Der Friede der Religionen sollte mich beschäftigen. Nun hab ich aber geschworen, als ich den Thron bestieg, ich würde keine andere Religion dulden in meinem Königreich, außer der katholischen. Was tun? Ich verjage die Ketzer nicht, wie ich müßte, ich bete für ihre Bekehrung. Ich kann nur immer beten.«

»Sie können mehr«, versicherte Henri Navarra, als bescheidener Zuhörer des Henri, der jetzt König hieß. »Sie haben eine vorzügliche Handschrift. Nur immer fleißig Rundschreiben und Erlasse verfassen! Ihr Fleiß, Sire, ist das schönste Beispiel für uns alle.«

Dieser König war in seinen traurigen Zeiten und so auch heute, den dreißigsten Januar, ein Schreiber - als hätte er alles Versäumte nachgeholt, wenn er eigenhändig Tinte vergoß. Es lief nur immer auch Blut hinein, und sein guter Wille blieb vergebens. »Mein Sekretär Loménie ist schon recht lange krank«, bemerkte er. »Ich will ihn besuchen.«

»Tun Sie es nicht, Sire! Er ist gestorben, ich will es Ihnen nur verraten. Sie sollten mit der Nachricht verschont bleiben, da Sie gerade im Kloster weilten. Man sagt, er hatte die Pest.«

Das war der erdrosselte Grundbesitzer gewesen, den ein Italiener beerbt hatte, und der König machte sich nicht erst heute Gedanken über den Verschwundenen. Aus seinem schlecht rasierten Gesicht, das unleugbar einen äffischen Umriß hatte, prüfte er mit spitzen Augen schnell und scheu den Ausdruck des Vetters. Sogleich flüchtete sein Blick wieder zu dem Schreibpapier. »Wegen dieses schönen Lebens«, murmelte er, »habe ich es nicht erwarten können, daß mein Bruder Karl starb.«

»Hat es sich denn nicht gelohnt?« fragte der gute Vetter erstaunt.

Der König kroch ganz in seinen Pelzrock und schrieb. Vetter Navarra bewegte sich währenddessen im Zimmer, begann ein Selbstgespräch, brach ab und fing ein anderes an.

»Der neue Hof unterscheidet sich beträchtlich von dem alten. Man fühlt es mehr, als daß man es sieht. Unter Karl dem Neunten waren wir alle verrückter. Geschlafen wird noch gerade soviel mit Frauen und öfter mit Knaben. Dies lernen viele erst jetzt, um auf der Höhe zu sein. Ich nicht, und ich bedaure es; denn so bleibt ein gewisser Teil der menschlichen Natur mir verschlossen.«

»Danke dem Himmel«, warf der schreibende König ein. »Die Jungen sind noch geldgieriger als die Weiber. Außerdem ermorden sie einander. Den liebsten hat man mir abgestochen.«

»Das kam unter Karl nicht vor«, stellte Navarra fest. »Obwohl der Höhepunkt seiner Regierung die Bartholomäusnacht war. Der Leichengeruch ist an dem neuen Hof beharrlicher als an dem alten, das will ich zugeben. Aber wie freundlich leben wir sonst! Niemand denkt an Flucht, Aufstand und den bewaffneten Einfall der Deutschen. Ich bin belehrt, ich erhebe keinen Finger.«

Er wartete, hörte nur die Feder knirschen und setzte an anderer Stelle ein. »Ich und Guise sind gute Freunde geworden, wer hätte das früher gedacht. Wenn Eure Majestät mich beurlauben, steige ich aufs Pferd und reite zur Jagd. Die Königinmutter hat es mir erlaubt. Allerdings werde ich auf Schritt und Tritt bewacht werden von denen, die am liebsten nicht meine Wächter, sondern meine Mörder wären.«

Das Knirschen der Feder. »Ich gehe«, verkündete Navarra. »Es regnet, ich mag nicht ausreiten mit meinen Mördern hinter mir. Auf meinem Zimmer will ich mit dem Narren spielen. Der ist noch trauriger als der König.«

Vor der Tür wurde der Gefangene zurückgerufen. »Vetter Navarra«, sagte der König. »Ich habe dich lange gehaßt. Jetzt bist du aber im Unglück, wo auch ich bin. Beide verdanken wir es denselben Ereignissen - und unseren Müttern«, sagte er merkwürdig schwer. Henri erschrak; niemals waren ihm die Dinge von dieser Seite erschienen. Seine Mutter sollte sein Unglück verschuldet haben! Die reine Jeanne wurde zusammen genannt mit Madame Catherine: es stieß ihn ab, er vergaß darüber, sein Gesicht zu beherrschen. Sein trauriger Gefährte bemerkte es nicht, ihm selbst war gar nicht wohl. »Was für Greuel hat sie schon wieder vor?« fragte er und sah vor Mißtrauen schwärzlich aus.

»Nichts dergleichen, Sire. Die Königin ist wohlgelaunt. Warum sollten nicht auch Sie es sein?«

»Weil ich noch einen Bruder habe«, war die überraschende Antwort. Henri fand nicht sogleich Worte. Der Tod des ältesten Bruders hatte kein Glück gebracht, aber auch den des jüngeren wünscht man! Ein orientalischer König in seinem Serail, und die Welt draußen versinkt vor der großen Gefahr, die er fürchten muß im Palast, von seinen Nächsten. Hier ahnte Henri schon, was kommen sollte. Der König verachtete zwar seine Mutter wegen ihrer Greuel; indessen sein unruhiger Bruder d'Alençon läßt ihn nicht schlafen. Wen wird er zuletzt mehr verachten müssen: Madame Catherine oder sich selbst? Zu sehen war, wie der König gegen seinen Drang kämpfte. Es half nicht, er mußte damit heraus; blieb aber lauernd, sogar bei seinem qualvollen Ausbruch.

»Vetter Navarra! Befrei mich von meinem Bruder d'Alençon!«

»Ich bin tief gerührt, Sire, weil Sie mir dermaßen vertrauen«, versicherte Henri gemessen und mit einer Verbeugung. So hatte er weder nein noch ja gesagt. Der König nahm es vielleicht für ein Ja.

»Dann«, betonte er, »werde ich dir glauben können.« Lauernd - obwohl es klingen sollte wie ein Scherz.

»Werde ich dann«, auch Henri betonte stark, »ohne meine Mörder ausreiten dürfen?«

»Mehr als das. Wer mich von meinem Bruder befreit, wird Statthalter im ganzen Königreich.«

Das kam nun ganz gewiß aus einem falschen Herzen. ›Valois, du Guter‹, dachte Henri, ›sollst mich kennenlernen.‹ Und er sprang in die Luft vor kindischer Freude. »Hätte ich mir das träumen lassen!« rief er und jubelte. »Statthalter im ganzen Königreich!«

»Wir wollen es gleich feiern«, bestimmte der König.

 

Der neue Hof

Haushofmeister liefen schon, und Schloß Louvre, das im Schlaf lag, solange der König traurig war, verjüngte sich auf einmal von der Freude der Jünglinge. Am Abend waren die königlichen Gemächer umgewandelt in persische Zelte. Die Kerzen brannten hinter bestickten Schleiern, und zwar bildeten diese mit ihrem matten Glitzern sowohl das Dach wie die Wände. Strenge bleiche Knaben mit geröteten Lippen, geschwärzten Wimpern und gekleidet in durchsichtige Gewebe trugen bloße Säbel; sie bewachten in regloser Haltung ein erhöhtes Gerüst. Das wurde bestiegen von den Zuschauern, die nur wenige waren: mehrere Italiener sowie die Herren von Lothringen. Der Herzog von Guise, stolz auf seine prächtigen Glieder, trat überall wie der Herr selbst auf! Sein Bruder Mayenne hatte den großen Bauch in schillernde Seide gespannt, daran hing ein goldener Dolch - und dann kam von derselben Familie noch d'Elbeuf, der merkwürdige Freund, der dem König von Navarra nie anders erschien als zur rechten Zeit.

Navarra selbst zeigte sein kostbarstes Gewand und eigens darauf befestigte Bänder in den Farben seines Hauses, damit jeder sähe, wie stolz er wäre, dabei zu sein. Das Fest war angeordnet für Männer und Knaben. Dies sollten jene entzücken und dafür von ihnen ausgezeichnet werden. Einige liebliche Gestalten tanzten schon miteinander. Formen und Tracht verrieten kein Geschlecht, und ihre zweideutige Anmut rührte besonders die Italiener und den dicken Mayenne. Navarra gab ihnen recht, er äußerte die Meinung, solche Wesen habe er nicht gehabt unter den rauhen Kollern seiner Leute in dem gedrängten Haufen, der fünfzehn Stunden zu Pferd saß und zu seiner Erholung Psalmen sang. »Wenn meine Freunde noch lebten«, sagte er leichtsinnig, »dann sollten aus ihnen so süße Knaben werden.«

»Warte doch, was noch geschieht«, riet Guise. »Einige von ihnen sind am Leben geblieben.«

»Ich kenne sie nicht«, sagte der Gefangene. »Ich halte nicht zu den Besiegten. Ich bin immer dort, wo man -« Er wollte sagen: lustig ist - bemerkte aber plötzlich, daß er hier einen besonderen Feind hatte.

Der Kanzler Birague, ein Italiener, war durch Madame Catherine auf seinen Posten gelangt. Mit ihr und mehreren seiner Landsleute war er eines Nachts in das Schlafzimmer Karls des Neunten eingedrungen. Dieser erfolgreiche Fremde sah in dem gefangenen Navarra einen Verschwörer gegen seine eigene Macht. Ohne Umstände begann er ein richtiges Verhör: »Sind Sie nicht im Einverständnis mit einem gewissen d'Aubigné und seinem Komplicen Du Bartas? Die Leute hetzen die studierende Jugend gegen eine sogenannte Fremdherrschaft auf, als ob an den höchsten Stellen des Königreiches nur Ausländer ständen.«

»Sono bugie. Das sind Lügen, Herr Kanzler!« rief Henri mit gutgespielter Entrüstung, aber in der Sprache des Eingewanderten. Dieser übrigens glaubte ihm kein Wort. Die Lothringer ließen sich täuschen, nicht der Eingewanderte.

»Ihre Freunde«, brachte Birague hervor, denn die Wut erstickte ihn, »sie sind dem Galgen näher als -«

»Näher als ich«, ergänzte Henri. »Mich fangen Sie nicht.«

»Ich hänge schnell und gern.«

»Aber nur kleine Leute, Signore. Gehängt haben Sie einen armseligen Hauptmann, der davon redete, allen italienischen Schurken den Hals abzuschneiden. Mich müßten Sie vor der ganzen Welt überführen, aburteilen und groß enthaupten. Das werden Sie nicht erleben. Was wetten wir?«

»Ich wette und setze als Pfand meinen besten Edelstein.«

Beiderseits kam alles reichlich theatralisch, als gehörte es zu der süßen Musik, dem Getänze, und wäre verabredet wie ein grobes Zwischenspiel.

»Sire!« rief Henri dem König von Frankreich entgegen.

Der König war eingetreten durch einen Spalt im Vorhang des persischen Zeltes, plötzlich stand er schimmernd da als der Sultan des Festes. Henri beugte vor ihm ein Knie: »Sire! Ihr hartherziger Wesir hat nichts im Sinn als Rädern und Vierteilen. Bin ich deswegen der Bartholomäusnacht entgangen?«

»Wenn der selige König mir gefolgt wäre!« schrie Kanzler Birague. In der Wut bekam er eine abenteuerliche Aussprache und eine Stimme wie ein heiserer Papagei. Mit derselben Stimme hatte er Karl den Neunten bedrängt, stundenlang, bis Karl toll wurde und das Gemetzel befahl.

»Da hören Sie ihn«, war alles, was Henri hierauf sagte, aber er fühlte, daß er d'Anjou auf seiner Seite hatte. Vorher d'Anjou und der Mann der Bartholomäusnacht, jetzt König - aber König nur, weil sein Bruder gestorben war am schlechten Gewissen: wie sollte es daher mit seinem eigenen stehn? Er liebte keineswegs den Anblick derer, die ihm in sehr dunklen Stunden geholfen hatten, Karl herumzukriegen. Sogar der Anblick seiner Mutter war ihm verleidet, wie erst die Gesellschaft ihrer Italiener. Er mußte sie erdulden und diese Person leider zulassen bei seinen traulichsten Veranstaltungen; denn sie hatten nun einmal Verständnis für die Anmut der Knaben. »Steh auf!« befahl der persische Sultan, mit den Juwelen seines Turbans blitzend. Vetter Navarra sprang hoch, so leicht wie ein Ball. Der Sultan befahl: »Du bist mein persönlicher Gefangener, an dich soll niemand Hand legen. Versöhne dich mit meinem Wesir!« Was Henri sich gesagt sein ließ. Er beschrieb einen wahren Tanz der Versöhnung um den Kanzler. Diesen nötigte seine morgenländische Rolle, würdig allem zuzusehen, obwohl mit hervorquellenden Augen. »Großmächtiger Wesir!« sagte Henri. Er berührte die eigene Brust, dann aber die des Kanzlers, zufällig traf er genau auf einen riesigen Edelstein. »In Persien wird viel gestohlen«, sagte Henri. Hier fiel glücklicherweise ein Tusch ein und verdeckte alles, was sonst wäre gehört worden. Seinen Einzug hielt das Ballett.

Es trippelte auf den Spitzen, wehte mit Schleiern und beugte schöne Knie. Alle waren Knaben, auch die als Mädchen gekleideten. Diese funkelten hinter den Schleiern mit Augen, verlockender als Frauenaugen, wie es schien; und von gewissen unerwünschten Kennzeichen der Männlichkeit abgesehen, bewegten die Körper sich vollkommen weiblich. Die anderen, die Knaben geblieben waren, reichten den falschen Mädchen darum nicht weniger geziert die Enden der Finger oder umschlangen sie mit den ersterbenden Armen der Liebeswerbung. Scheinbar waren niemals Muskeln im Spiel. Versetzten die einen die anderen in Drehung wie Kreisel oder schwangen sie durch die Luft, dann war man versucht, zu glauben, es geschehe nicht durch Kraft, sondern infolge eines Wunders der Anmut.

Hier war Du Guast zu schätzen. Sonst eine peinliche Erscheinung von unangenehmer Sprechweise, dumm, frech und käuflich: hier war der Mensch am Platz. Mit Recht gelangte er bei jeder Figur des Tanzes in die erste Reihe. Die Zuschauer auf dem Gerüst hatten alle das Auge auf ihm, und er verstand den einzelnen glauben zu machen, gerade dieser werde angeschmachtet. Vor seiner Dame kniet Du Guast, wie alle anderen Knaben vor ihren Tänzerinnen, und flehte stumm zu ihr hinan, sie möchte sich entschleiern lassen. In Wahrheit meinte er mit seiner Huldigung den König oder Sultan, und diesem unbewußt bezweckte er auch den Kanzler oder Wesir, zu schweigen von dem dicken Mayenne, der schwitzte, so schwül wurde ihm gemacht. Alle diese Herren nun fühlten sich erhoben und sogar ausgezeichnet - während doch nur ein durchaus windiger Bursche seine Possen trieb auf ihre Kosten. Anderswo hätten sie ihn in den Hintern getreten oder aufhängen lassen. Indessen bleibt die Kunst eine Macht, wenn sie auch jedesmal vorübergeht.

Im Augenblick wurde sie sogar noch ergreifender. Es geschah die Entschleierung. Wer hätte gedacht, daß Menschengesichter so neu und wunderbar erscheinen können - endlich entblößt nach der strengen Vorbereitung des eingeübten Tanzes. Abgehärteten Männern stockte das Herz: wie aber erst dem König von Navarra. Hörbar stieß er einen Fluch, seinen gewohnten Fluch aus. Er glaubte nicht, was er sah. Tatsächlich rieb er sich die Augen. »Gabriel?« fragte er.

»Er und kein anderer«, belehrte ihn höhnisch der große Guise. »Einer der Lustknaben entschleiert den anderen, unser Du Guast deinen Léran.«

»Komm hinaus und schlag dich mit mir!«

»Gern, aber nicht wegen des Jungen. Er ist schön, seine Laufbahn war ihm zugewiesen an dem neuen Hof.«

Henri hatte nasse Augen. Er wollte dem jungen Léran etwas sagen, der indessen hob den Blick nicht. Dennoch waren auch seine Tränen einst geronnen aus einem weißen Verband, der sein Gesicht verdeckte - in der Bartholomäusnacht. Zwei ihrer Opfer, Gabriel de Levis de Léran und Karl der Neunte, lagen damals nebeneinander auf dem Bett der Königin von Navarra. Was wird aus uns?

Guise sprach ihm höhnisch nach: »Solche Wesen hast auch du gehabt unter den rauhen Kollern deiner Leute, in dem gedrängten Haufen, der fünfzehn Stunden zu Pferd saß und zu seiner Erholung Psalmen sang.«

Richtig; und was blieb da übrig zu sagen. »Léran hat recht, daß er sich verwandelt nach Bedarf und sogar ein Mädchen wird.« Leichtsinnig fand Henri sich ab, er steckte auch diese Demütigung ein nach anderen mehr, und niemand wußte, wo sie alle blieben bei dem beweglichen Navarra. Er lachte über sich selbst wie über einen dritten. Nicht häßlich war sein Verhalten; ein wirklicher Beobachter fand ihn weder abgebrüht noch läppisch. Aber nur ein einziger der Zuschauer, d'Elbeuf, bedachte, was Henri denn eigentlich wäre, ein Kind, ein Narr, oder höchst zielbewußt? D'Elbeuf antwortete: »Ein Unbekannter - in einer Schule.«

D'Elbeuf ist ein Beobachter, und darum nicht viel mehr als das. Entfernteres Mitglied eines großen Hauses, ohne viel Aussicht und Anwartschaft - er könnte immer nur unter anderen stehen, und die haben vielleicht seine Achtung nicht. So erfindet er sich seinen eigenen Dienst, auf Grund besonderer Gaben. D'Elbeuf wäre von so stattlichem Wuchs wie Guise, der Held des Volkes; nur hält er sich lässiger, hat halbdunkle Haarfarbe und strahlt keineswegs Übermut. Er hat feuchte, treue, sehr schöne Augen, und diese erraten bei Henri das aufsteigende Schicksal und die Kraft, die bis jetzt nur dem untersten Zweck der Selbsterhaltung dient. Er ist der Freund der fragwürdigen Tage, die noch nicht ruhmvoll und eher das Gegenteil sind. Wenn das Glück sich erst entschieden haben wird, gibt es keinen d'Elbeuf mehr.

Jetzt halten die Mädchen, die eigentlich Knaben sind, goldene Becher in Händen. Die erheben sie, drehen sie auf der Spitze des Fingers umher und kreisen dabei selbst: alles, ohne daß ein Tropfen über den Rand fällt. Soviel man versteht, soll dies einen Liebestrank bedeuten, und die Knaben, die als Tänzer die Knaben darstellen, schmachten nach ihm. Ihre sinnreichen Körper nehmen Lagen ein, die das Schmachten ausdrücken. Immer erregender werden die Lagen, es öffnen sich lechzende Lippen; und als das Verlangen nicht länger aufzuhalten ist, fließt etwas wirkliches Naß hinein. Wenigstens läuft es in den Mund des königlichen Lieblings Du Guast: d'Elbeuf sieht es genau. Seine Aufmerksamkeit ist ganz und gar bei dem Vorgang, der Henri angeht. Du Guast kniet und legt den Kopf in den Nacken, der junge Léran als Mädchen neigt das Gefäß: d'Elbeuf könnte die Tropfen zählen. Mit dem gleichen Blick umfaßt er mehrere Gesichter, das merkwürdig lauernde des Kanzlers Birague und das schlechthin beseligte des Königs von Frankreich. Dieser König scheint wie vom Donner gerührt, während er hinlächelt - zu dem jungen Léran. Mit keiner Wimper beachtet er seinen bisherigen Liebling - woraus allein schon zu entnehmen wäre, daß sogleich etwas Ungewöhnliches eintreten wird. Es äußert sich aber dergestalt, daß Du Guast, nach Empfang des Liebestrankes, den Rumpf rückwärts biegt, unwahrscheinlich weit verrenkt er ihn, schreit dabei und verdreht die Augen. Mit einem Wort: vergiftet. So mußte es kommen nach dem Gesetz der Dinge. D'Elbeuf hätte es vorausgesagt.

Zugleich, wie bestellt, kreischt noch jemand auf, mit der Stimme eines alten Papageis. »Sire! Ihr Liebling ist vergiftet. Sein Mädchen ist das Werkzeug Navarras. Übergeben Sie diesen Prinzen mir und der Gerechtigkeit, sonst haben Sie selbst ihn zu fürchten!«

Was konnte so furchtbaren Worten anderes folgen als das Anhalten des Atems und jeder Bewegung. Die Musik brach ab, das Ballett erstarrte, reglos erwarteten die Zuschauer auf ihrem Gerüst ein Zucken des Königs, aber auch an ihm rührte sich nichts. Nur der Schauplatz selbst, das persische Zelt, kam etwas ins Schwanken. Die Frauen verursachten dies, die Damen des Hofes von Frankreich, die, ausgeschlossen von dem geheimnisvollen Fest, hinter die Vorhänge geschlichen waren und hineinspähten. Da versteckten sich die Edelfrauen und Ehrenfräulein. Auch niedere Wesen vom Gesinde wagten einen Spalt zu öffnen, an dem nächsten indessen zupfte die Königin von Navarra selbst. ›Was wird werden!‹ dachte Margot in der allgemeinen Stille und Erstarrung.

Sie dachte: ›Das muß kommen, sobald man die Männer sich selbst überläßt. Zuerst richten sie sich her wie wir, und vor Zartheit tun sie überirdisch. Darum endet es dennoch mit Mord und Totschlag. Mein königlicher Bruder wird natürlich seinen vergifteten Liebling rächen wollen. Er wird meinen armen Henricus ausliefern an den Schurken Birague, dem der Speichel aus dem Mund läuft vor Gier. Daß kein einziger von allen den Grobianen fein genug ist, zu begreifen, was gespielt wird! Und die glauben, uns könnten sie entbehren!‹

Einer war fein genug. D'Elbeuf aus dem Hause Lothringen sprang vom Gerüst, riß den ganz verkrümmten Du Guast vom Boden auf, stellte ihn auf die Füße und ohrfeigt den Lustknaben so lange, bis er richtig stehen blieb. »Schluß mit der Komödie«, knurrte er dabei. »Hüte dich, wieder anzufangen!« Dadurch daß er dem Jungen das Gelenk umdrehte, zwang er ihn, mitzukommen auf das Gerüst. Er drückte ihn in die Knie vor dem König und befahl: »Gesteh der Majestät, wer dich angestiftet hat zu dem Schwindel, vielleicht wirst du nicht gehängt.«

Du Guast veranschaulichte mit seinem ganzen Körper die schreckliche Angst. Es war das beste, was er heute machte, so begabt alles vorige gewesen war. Die Echtheit ist doch vorzuziehen.

Sein Hals war so lang geworden wie ein Hals, von dem soeben der Kopf abgeschlagen ist, denn die wachsen plötzlich; und diesen gereckten Hals drehte er hin und her vom König zum Kanzler, vom Kanzler zum König. Dem Kanzler fielen die Backentaschen tief herab, dem König schwoll eine böse Ader. Du Guast fühlte die Faust seines Feindes d'Elbeuf, sie umspannte ihm den langen Hals immer fester, und bevor sie ihn ganz zuschnürte, brachte Du Guast noch hervor: »Der Herr Kanzler war es.« Allerdings bereute er das Geständnis, sobald die Faust ihn losließ, und wollte es zurücknehmen. »Nicht der Herr Kanzler! Ich selbst ganz allein habe mich gestellt wie vergiftet, aus Eifersucht auf Herrn de Léran, dem mein König zulächelte.«

Das wurde ihm nicht geglaubt, obwohl es doch gleichfalls richtig war. Der König betrachtete den Kanzler nur um so ungnädiger, vielmehr der Sultan seinen Wesir, denn in solcher Gestalt standen sie da. Als erster meldete sich Navarra.

»Signor Birague, Sie haben Ihren Edelstein verwettet! Sire, er hat gewettet, daß er mich öffentlich würde hinrichten lassen. Das wäre ihm auch gelungen, wenn Sie seine Ränke nicht durchschaut hätten.«

Der König durfte den Kanzler weder in die Bastille werfen, noch aus seinem Amt entfernen, denn Madame Catherine schützte ihren Landsmann. Der König tat statt dessen, was er konnte und was allgemein von ihm erwartet wurde. Er riß dem Kanzler den großen Edelstein von der Brust. Hierauf blickte er unschlüssig umher, als ob er noch nicht gewußt hätte, was jetzt weiter käme. Er wußte es in Wirklichkeit sehr wohl. Er winkte hinab, der junge Léran schritt die Stufen hinan, und auf den Knien empfing er das Pfand der königlichen Gunst. Ein blauer Schein ging fortan von ihm aus. Alle Schleier abgestreift, bekam Vicomte de Léran den Kopf eines jugendlichen Kriegers, der auftritt mit seiner beginnenden Männlichkeit und dem Besiegten den Fuß in den Nacken setzt. Dazu forderte Du Guast ihn denn auch auf, er drückte eigens das Gesicht in den Staub, und Léran nahm keinen Anstand.

Als die Insassen des persischen Zeltes alles so wohlgefällig ausgehn sahen, bekamen sie den Gebrauch ihrer Glieder zurück. Sie klatschten in die Hände, dann tanzten sie wieder, und von Musik gewiegt, stellten sie die Liebe und das Glück dar für Zuschauer, die nur dann daran glaubten, wenn es gespielt war. Noch lange schimmerte in dieser Nacht das persische Zelt mit seinen bestickten Vorhängen, durch die von hinten das Licht fiel, weise gesiebt, so daß alles darin erträglicher als sonst wurde, die Personen, Sultan, Knaben, alte Schurken, sowie auch die Dinge, deren teuerstes nur blauer Schein war. Zwei Teilnehmer fehlten. Henri und d'Elbeuf nahmen an einer entfernten Stelle des Schlosses voneinander Abschied.

»Das will ich dir nie vergessen, d'Elbeuf.«

»Sire, Sie zögern hier lange und müssen wohl auch zögern.«

»Ich habe Zeit. Sonst bleibt mir nichts - nur Geduld und Zeit.«

 

Was ist das: Haß?

Wer aber lange wartet, erlebt, daß seine vorher festesten Gefühle verwandelt werden, daß sie sich teilen und nicht mehr ganz sind. Da ist diese Freundschaft mit Guise. Henri hatte sich ihm genähert aus Haß: weil er mehr über ihn wissen wollte, denn das braucht der Haß. Kennt man den Feind dann aber besser, tritt wieder die Gefahr ein, daß man ihn ganz leidlich findet. Mehr als das: der Feind zieht tiefer an als einer, den man eben hinnimmt, wie er ist.

Sie spielten Ball, »langen Ball«, der am schwersten ist, und immer nur diese beiden Gegner, Navarra-Guise; die anderen mußten zusehn, ihre Eindrücke waren oft peinlich. Man sah den viel kleineren Navarra umherhüpfen, den Guise breitbeinig wie ein Goliath seine Schläge erwarten; aber das war noch nichts. Der Ball fiel einmal hinter die Hecke. »Navarra, du bist kleiner«, rief Guise. »Kriech durch und hol ihn!« Anstatt zu kriechen, sprang Henri hinüber, einfach aus dem Stand, was die Zuschauer bewundern mußten. Zurück kroch er zwar, schlug aber unversehens den langen Ball ab, und das lederne Geschoß traf Lothringen vor die Brust. Er schwankte beträchtlich, rief indessen schon: »Die Stirn wolltest du treffen, und dann wär ich gefallen. So hoch reichst du nicht, du lieber Kleiner. Geh, bring uns Wein auf den Schrecken!«

Natürlich lief ein anderer, aber der Vorfall genügte, daß Guise an diesem Tage beiseite genommen wurde von d'Alençon und d'Elbeuf. Sie hielten ihm vor, daß der König von Navarra wohl nur ein Gefangener und gegenwärtig ohne Bedeutung wäre; aber alle, die zugegen waren, darunter geringes Volk, hätten in seiner Person das königliche Haus gedemütigt gesehen. Guise erwiderte: »Was wollt ihr? Der Junge nimmt nichts übel, er weicht mir nicht von der Haut. In alle Kirchen begleitet er mich. Bald wird er katholischer sein als ich selbst.«

Sie berichteten es Henri, und er behielt für sich, was er dachte. ›Der eitle Goliath‹, dachte er, ›ahnt nichts von meiner Verabredung mit Madame Catherine. Seine plumpen Machenschaften bei den Pfaffen und den Spaniern, er bildet sich ein, daß niemand sie anders ansehn wird als von der guten Seite. Er kennt mich nicht, wie ich bin. Ich bin sein Freund. Niemand kann sich so viel erlauben wie ein Freund.‹

Bei der nächsten Ballpartie gelang es ihm wirklich, Guise an der Stirn zu treffen, und diese schwoll an, während dem Herzog übel wurde. Henri heuchelte großes Bedauern. »Wahrhaftig, ich wollte nicht, daß dir Hörner wüchsen. Nur die Herzogin hat das Recht, dir welche aufzusetzen.« Darüber mußten alle Anwesenden ungeheuer lachen, und sie nannten einander, lauter als anständig gewesen wäre, die Liebhaber der Herzogin von Guise. Diese junge Dame hatte schnell und gründlich die Sitten des Hofes erlernt. Lothringen, der am Boden lag und die Stirn kühlte, hörte alles. Er stöhnte mehr vor Wut als von den Schmerzen und beschloß, die Ungetreue zu bestrafen.

Zu Navarra sagte er später: »Im Grunde hast du mich nur veranlaßt, aufzupassen, und das hätte sonst keiner gewagt. Ich sehe, daß ich dir vertrauen kann. Komm mit mir zu der Predigt des Pfarrers Boucher.«

Desselben Tages ritten sie dorthin, der Herzog von Guise wie gewöhnlich mit reichem Gefolge, Navarra ganz allein. Noch immer kannte er Paris nicht sehr genau und horchte umsonst nach dem Namen der Kirche. Wo sie vorbeikamen, gab das Volk sich von Mund zu Mund ein Wort weiter. Das hieß: »Der König von Paris! Heil!« Dieser König wurde gegrüßt mit der erhobenen rechten Hand. Die Frauen machten es wie die Männer, nur daß sie sich oft vergaßen und mit beiden Händen hinauflangten nach dem blonden Helden ihrer Träume. Der strahlte hinab auf Gerechte und Ungerechte wie die Sonne selbst, hochgemut und seiner Sache gewiß. So langten sie an, und als das viele Eisen der Kriegsleute zur Ruhe gekommen war, bestieg Pfarrer Boucher die Kanzel.

Dies war ein Redner von neuer Art. Er schäumte beim ersten Wort, und seine rohe Stimme überschlug sich zum weibischen Gekreisch. Er predigte den Haß gegen die Gemäßigten. Nicht nur die Protestanten sollten verabscheut werden bis zur Vernichtung. In einer Nacht der langen Messer und der rollenden Köpfe wollte Boucher besonders abrechnen mit den Duldsamen, auch wenn sie sich katholisch nannten. Die Schlimmsten waren ihm in beiden Religionen die Nachgiebigen, die sich bereitfanden zur Verständigung und dem Land den Frieden wünschten. Den sollte das Land nicht haben, und Boucher behauptete tobend, daß es ihn gar nicht aushalten würde, weil er gegen seine Ehre wäre. Der Schmachfriede und aufgezwungene Vertrag mit den Ketzern würde hiermit zerrissen. Laut schrien der Boden und das Blut nach Gewalt, Gewalt, Gewalt, nach einer kraftvollen Reinigung von allem, was ihnen fremd wäre, von einer faulen Gesittung, einer zersetzenden Freiheit.

Die gedrängte Masse bis hinter den Altar und in die entferntesten Kapellen bestätigte durch wildes Stöhnen, daß sie weder Gesittung noch besonders Freiheit zu dulden gewillt war. Die Leute drückten einander tot, um bis unter die Kanzel zu gelangen und den Redner zu erblicken. Sie sahen nichts als ein aufgerissenes Maul, denn Boucher war von verkümmerter Gestalt, er ragte nur wenig über den Rand. Dagegen spuckte er weithin. Seine Sprache entartete leicht zum Gebell, und was an ihr menschliches war, hatte doch kaum etwas zu tun mit den hier bekannten Lauten: es klang ausländisch und angelernt. Mehrmals konnte man glauben, jetzt bräche bei ihm die Fallsucht aus, und man sah sich schon nach Wärtern um. Da klappte Boucher den Kiefer zu und lächelte holdselig in die Runde, wodurch er die Herzen gewann. Mit neuem Atem bellte er weiter, schnappte zu und machte Miene, einen Andersgesinnten aus der Menge zu holen und ihn aufzufressen.

Gewissensfreiheit, beileibe nicht! Aber auch keine Steuern mehr, keinen Mietzins, überhaupt keine Zinsknechtschaft - weder das Volk noch besonders die Geistlichkeit sollten künftig irgend etwas zahlen. Darin bestand ihr Bündnis. Die Geistlichkeit behielt hiernach die öffentliche Rente, die sie schuldig war, das Volk seinerseits durfte plündern in den Häusern und Palästen, bei allen Hugenotten, allen Gemäßigten, und diese besonders waren totzuschlagen. Boucher ermutigte seine Hörer, vor großen Herren nicht halt zu machen, auch vor den größten nicht - und er erging sich in kaum versteckten Hinweisen auf den König, einen heimlichen Protestanten, Gemäßigten und Verräter. Er beschrieb ihnen, aus seiner Einbildung, die Schätze des Schlosses Louvre, zugleich mit dem ersehnten Blutbad. Ohne Übergang versetzte er sie aus ihrem Lustrausch in bleichen Schrecken, da sie verfolgt würden. Das Volk und alles Volkhafte wäre in höchster Gefahr, ausgeliefert zu werden an geheime Mächte, die ihnen Untergang geschworen hätten. Hier folgte ein Stoßgebet, das kam unverkennbar aus höchster Not. Die Menge, es hören und laut mitbeten. Über ihr indessen hing der Dampf, in den sie abwechselnd hatte ausströmen lassen ihre Gier, Furcht, Schwärmerei und ihren Haß.

Henri roch die Ausdünstungen. Mehr seine Sinne als sein Urteil verrieten ihm, was Unsauberes vorging. Er hätte am Ende sonst mitgehaßt. Den Louvre niederlegen, ihn plündern und alle morden, Herren, Damen, die Wachen mitsamt dem Gesinde: auch er hatte darauf schon gesonnen - zu der Zeit, als er immer nur fliehen und mit fremden Landsknechten zurückkehren wollte. Nachgerade war es mehrere Jahre her, er hätte es vergessen. Hier in der Kirche wurde es frisch wie einst. Er begriff aufs neue, daß ein Erniedrigter, Beleidigter sich rächt bis zum äußersten. ›Ich hätte mehr Grund als alle. Sie haben mir meine Mutter getötet, dann den Herrn Admiral, dann alle meine Freunde, achtzig Edelleute, meinen Lehrer, den letzten Abgesandten der Königin, meiner Mutter. Die Überlebenden sind von Schande bedeckt, ich selbst erleide Gefangenschaft und mit der ständigen Gefahr den täglichen Hohn. Ich weiß dies alles. Die Rache war auch beschlossen; ich habe sie nur fortwährend hinausgeschoben und besser überlegt. So vergeht die Zeit, so vergeht der Haß.

Nein, er vergeht nicht, er wird fraglich. Ich lebe mit ihnen, wir spielen Ball, wir schlafen mit denselben Frauen. Madame Catherine hat mir einen Vertrag angeboten; hat sie wirklich meine Mutter vergiftet? D'Anjou hätte in der Bartholomäusnacht auch mich umgebracht, jetzt als König schützt er mich. Guise ist mein guter Freund geworden; es scheint kaum glaublich, daß er dem Herrn Admiral, der schon tot war, soll ins Gesicht getreten haben. Doch. Sie haben das alles getan, wahr und wirklich. Die Sache ist gerade, daß ich sie kenne und sie mich nicht. Ich will nicht leugnen, daß ich sie dafür liebe - gewissermaßen liebe. An Feinden kann man sich weiden wie an Geliebten. Ich muß mich hüten und ihnen darum eng vertraut sein.‹

So rechtfertigte er sich, sein Zögern, seine Nachsicht, und nahm Abstand von dem Volk, dem Boucher die blinde Befriedigung seiner Triebe anriet. Übrigens hatte Boucher das angstvolle Stoßgebet noch nicht beendet, und Henri war längst fertig mit allem, was durch seinen Geist zog. Das Leben ist kurz, die Kunst lang. Auch die Gedanken eilen, wann aber ist die rechte Handlung reif?

Boucher machte ihnen klar, das ganze System des Staates wäre zwar verbrecherisch, aber Gott hätte ihnen einen Führer gesandt! Dort steht er! Alle knieten denn auch hin, besonders die im Verdacht der Mäßigung standen. Kühn über sie fort und dreist zu Gott hinan blickte Guise - in silberner Rüstung, als sollte der Sturm auf die Macht gleich losgehen, und seine Bewaffneten rasselten mit Eisen. Natürlich hatte die Königinmutter ihre Spione hier, und die gingen jetzt gewiß hin und übertrieben ihr die Furchtbarkeit Lothringens. Man mußte dagegen aus nahem Umgang wissen, daß er ein eitler Schlagetot und Goliath war, gehörnt überdies. Man mußte sein Freund sein, dann führte man ihn auf das richtige Maß zurück und freute sich sogar an ihm. Den haß ich? Ja doch. Aber was ist das: Haß?

Nun geschah es, daß nach Schluß der Predigt das gemeine Volk von Hellebardieren hinausgetrieben wurde; zurück blieb, wer Ansehn und Einfluß hatte, Schöffen der Stadt Paris, ihre reichsten Bürger, volkstümlichsten Priester samt dem Herrn Erzbischof. Dieser verbürgte sich dafür, daß aus Boucher der Zorn des Himmels gesprochen habe. Die Sitten des Hofes überstiegen nachgerade jeden Begriff - und der Erzbischof beschrieb eine öffentliche, schamlose Vorführung, die der König in seinem Schloß Louvre veranstaltet hätte mit seinen Lustknaben; christliche Frauen aber wären gezwungen worden, zuzusehen. Die Mitteilung erregte ein Murren der Entrüstung. Unter dem Schutz des Geräusches aber sagte jemand nahe bei Henri, der weit hinten stand: »Der Erzbischof aber schläft mit seiner Schwester.« Darüber mußte Henri lachen - nicht eigentlich wegen der einzelnen Tatsache, sondern in Anbetracht dieser ganzen Veranstaltung.

Sie nahm alsbald eine ernste Wendung, denn einer der wichtigsten Bürger, der Präsident der Rechnungskammer, enthüllte den Zustand der Finanzen des Königreiches. Er war trostlos; da aber niemand ihn sich viel anders vorgestellt hatte, erlaubte er allen um so mehr Entrüstung. Erst zu mehreren ist man richtig entrüstet, und nur über Tatsachen, die vorher bekannt waren. Neuigkeiten erregen nur schwer die Geister, weit eher das Aussprechen des lange Zurückgehaltenen. Hunderttausend Taler jährlich kosteten den König seine Hunde, Affen und Papageien; und das war billig im Vergleich zu den Unsummen, die der Troß seiner Lieblinge verschlang. Einer von ihnen war mit der Leitung der Finanzen betraut! Laut äußerte es der Sprecher, und er setzte hinzu: »Alles ist in diesen Zeiten erlaubt, nur nicht auszusprechen, was ist.« Da er aber gerade dies hier wagte, bekam die Versammlung von sich selbst einen großen Begriff, als vollzöge sich in diesem Augenblick ein Umschwung und im Mittelpunkt stände sie selbst.

Der Präsident der Rechnungskammer zählte noch viele verschwendete Millionen auf, er beklagte die Höhe der Steuern, ihre ungerechte Verteilung, die Bestechlichkeit aller derer, die sie einzogen, voran der königliche Liebling, Herr von O, einfach O. Dagegen versäumte der Sprecher es, mehrere andere zu nennen, obwohl auch sie gewisse Steuern gepachtet hatten und das Volk auspreßten. Unter ihnen nämlich hätten sich Mitglieder des Hauses Guise befunden, und ihre Erwähnung wäre besonders unpassend gewesen in Anbetracht dessen, was jetzt folgen sollte. Denn herbeigeschleppt wurden große Säckel, daraus rann Gold von spanischer Prägung und hörte nicht auf zu rinnen. Der Säckelmeister verteilte es, gemäß den Befehlen des Herzogs von Guise, unter die Schöffen, Pfarrer, einflußreichen Bürger, Beamten und Kriegsmänner. Dafür schrieb jeder seinen Namen auf die Liste, Lothringen obenan, und jeder rief auch noch das Wort: »Freiheit« aus.

Dies war der Anfang der »Liga«. Hiermit war, nach Ausschüttung der Säckel mit spanischen Pistolen, der Bund begründet zu dem Ende, einer Partei die Macht und Gewalt auszuliefern. Die bekam sie dann auch gerade genug, um in vielen Jahren des Schreckens und der Mißerfolge das Land seiner Zerreißung nahe zu bringen, den König in einen letzten Winkel zu drängen und alles Menschliche zurückzuwerfen um die Dauer ganzer Geschlechter. Hier geschah der Anfang, und während das fremde Geld schnell weggesteckt wurde, ohne daß die Empfänger auf die Prägung sahen, drangen von der Straße herein die Rufe »Heil!« und »Freiheit!«.

Das betrogene Volk ließ seinen würdigen Führer hochleben: der hatte tatsächlich dasselbe Recht, für voll genommen zu werden, wie sein Anhang von Pöbel. Was heißt betrogen. Sie sind es niemals so sehr, wie man nachher tut. Das spanische Gold haben nur die Unterführer zu sehen bekommen, das Volk sieht den blonden Bart, der es begeistert. Dafür weiß es im Grunde ausgezeichnet, daß ihm an keiner Rettung der Religion gelegen ist und daß mit ihm selbst kein fabelhaftes Erwachen vorgeht. Sondern sie wollen andere enteignen, sie von den Arbeitsplätzen jagen und sich bereichern. Sie wollen sich aufregen, wichtig machen, und sie wollen töten. Das ist die Sache, sobald eine zusammengerottete Bande von Volk und ehrbaren Leuten eine Liga gründet zur Unterdrückung der Gewissensfreiheit. Sie schreien »Freiheit« nur um so lauter - die Betrogenen draußen mit den Betrügern drinnen, und erweisen damit, daß auch sie betrügen wollen, wenn man sie denn betrügt.

Unter den Betrügern drinnen, mit den frischgefüllten Taschen und der Begierde nach Freiheit, waren Gemäßigte, die es an der Zeit fanden, mitzumachen. Sogar bekehrte Hugenotten fehlten nicht; ja, gerade ihrer Rechtfertigung diente die Anwesenheit Navarras. Er war von Guise mitgenommen worden, damit viele andere ein gutes Gewissen bekämen. Henri bemerkte dies von selbst, und übrigens wurde es ihm klargemacht. Wie man früher, gedeckt durch die laute Entrüstung über den Hof, zu flüstern gewagt hatte, daß der Erzbischof nicht besser wäre - so jetzt. Das Geschrei nach Freiheit übertönte die Bekenntnisse der Biedermänner. Aber sie äußerten dennoch hörbar: »Spanische Prägung war es, Gevatter! Spanische Prägung!«

Henri hatte hier noch keine Zeit, seine Gefühle zu befragen: zu viel geschah. Vor allem zeigte Guise sich von einer neuen Seite, als Verführer und Menschenbehandler; niemand hätte dem hochmütigen Gliedermann so viel zugetraut an Verschlagenheit und Schnelle. Was der Vorteil tut! Und außerdem machten sie es ihm leicht, da alle sich geschmeichelt fühlten, in demselben Verein zu sitzen mit diesem großen Herrn. Guise teilte ihnen ihre Aufgaben zu, den Militärs die Zwangswerbungen für die Truppe der Partei, den Geistlichen die Aufhetzung des gemeinen Volkes, den Bürgern den Widerstand gegen den Staat hinsichtlich aller Zahlungen. Er verlieh ihnen Titel samt dem Anspruch auf das zugehörige Amt, falls dieses frei würde durch den Abgang des Inhabers. Durch seine Ermordung, wie jeder begriff.

Was man künftig auch beging, niemand verantwortete seine Taten, denn hier schwuren sie im voraus blinden Gehorsam dem Führer. Dies vollbracht, schloß er die erhebende Versammlung. »Navarra«, sagte er im Aufbruch, »du hast dich überzeugt, wie stark wir sind.«

»Zu meinem Glück«, erwiderte Henri. »König von Paris, heil!« rief er mit dem Volk, das draußen all die Zeit gewartet hatte. Bevor er verschwand, stieß er Freund Lothringen noch an und ahmte unverkennbar nach, wie fett de Stadtvater gesprochen hatte. »Spanische Prägung, Gevatter! Spanische Prägung!« Fort war er.

Er ging schneller und schneller, seine Wächter mußten laufen. Er gelangte in die Straße Österreich, über die Schloßbrücke, durch Torbogen und Hof des Louvre - erfaßte aber von allem nichts. Er bemerkte nicht, wo er vorbeikam, wer ihm nachsah, und erkannte sein Zimmer erst, als er schon längst darin hin und her lief. Da wurde ihm bewußt, daß er haßte. ›Dies - dies ist Haß! Spanische Prägung - auf Maultieren über das Gebirge, unaufhaltsam reisen die Säckel voll Pistolen. Werden ausgeschüttet in Paris, Gold rinnt - rinnt ohne Ende, aber die Taschen füllen sich mit Gold, die Herzen mit Haß, die Fäuste mit Gewalt, die Mäuler mit der ruchlosen Lüge. Jetzt los und werdet reißende Tiere, anstatt mild und vernünftig! Führt Krieg wegen einer Religion und gegen jede! Das kenn ich schon mein Leben lang. Unerfahren war ich bis heute im Quell und Ursprung der Untaten. Spanischer Prägung, hergereist über die Pyrenäen, meinen eigenen Berg, ich zeichne den Weg in die Luft, hier fällt der Bach herab, dort steht mein Haus Coarraze. Sie wollen es mir stehlen, Dort Philipp von Spanien hat niemals anders gedacht, als mir fortzunehmen meinen Abhang der Pyrenäen: ich aber verlange noch den seinen dazu. Ich verlange ihn, weil es mein Gebirge ist, und dies mein Land, in das seine Soldaten nicht einbrechen und seine Säckel nicht reisen sollen.‹

Soweit für heute. Der Dreiundzwanzigjährige denkt nur selten weiter, und sein Haß ist vorerst begrenzt durch die Landschaft seiner Heimat. Er haßt den Weltbeherrscher aus Liebe zu seinem kleinen Béarn - obwohl auch darum schon, weil Frankreich leidet. Es leidet wie er selbst und durch denselben Anstifter. ›Was, Guise und Katharina! Jeder überbietet den anderen in der Dienstbarkeit des Weltbeherrschers. Der ist der Feind, den haß ich. Der hält mich gefangen, der bezahlt den Krieg der Parteien in meinem Lande, das ich einst regieren werde.‹

Als er später wirklich regierte, hatten sowohl seine Erkenntnis wie sein Haß sich furchtbar erweitert. Er wollte nicht nur Frankreich befreit haben und in Europa der größte Fürst sein: beiden wollte er für immer den Frieden bringen, und Haus Österreich sollte fallen. Er unternahm zuletzt, dies verhaßte Haus aus dem ganzen übrigen Weltteil zu vertreiben und es ein für alle Male abzusperren hinter den hohen Felsen der Pyrenäen. Das wird einst der große Plan des Alternden und wird seine Auflösung sein.

Der Jüngling in seinem Gefängnis haßt Don Philipp, nimmt aus der Truhe ein Bild, es zeigt fade blonde Löckchen und ein leeres Gesicht. Die Stirn ist hoch und eng: der Jüngling sticht hinein. Wirft das Messer weg, das Bild weg und ringt die Hände. Was ist das: Haß? Wir hassen unbeschränkt nur das, was wir nicht sehn. Er wird Philipp von Spanien nie erblicken.

 

Die Szene der drei Henris

Er sagte zu seiner guten Freundin Madame Catherine, daß Lothringen merkwürdige Streiche verübte. Henri hatte sich inzwischen schon wieder gefaßt und gab seinen Nachrichten nicht mehr Wichtigkeit, als klug war in Anbetracht seiner eigenen Lage. Er machte einen komischen Auftritt aus der Verschwörung Lothringens mit den ehrbaren Leuten. Das Verhältnis des blonden Helden zum Pöbel wurde von ihm nur leicht entworfen; die Königinmutter konnte Geringschätzung entnehmen, oder wenn es ihr beliebte, eine Warnung. Sie hielt sich aber an die Nichtachtung. Darauf trat er ihr allerdings ganz nahe und sagte überraschend: »Madame, Sie sind verloren.«

Sie lachte mütterlich. »Mach dir keine Sorgen! Guise arbeitet schließlich für mich, denn Philipp ist mein Freund.«

Das glaubte sie nun einmal, und begriff daher nicht, daß König Philipp in Frankreich einen Statthalter suchte für sich selbst, wenn er hier erst der einzige Herr wäre, nach der Zerrüttung des Königreiches durch sein spanisches Gold. Nahe vor ihr stand einer, der anfing zu erkennen. Madame Catherine aber erwiderte ihm schlau: »Geh nur zu irgendeiner schönen Dame, Zaunkönig. Du sowohl wie Guise, ihr sollt euch unter meinen Augen gut vergnügen, dann fürcht ich euch nicht.«

Der König von Frankreich saß in seinen Pelzrock verkrochen und schrieb; gerade einen solchen, still betrübten Zustand hatte Henri abgewartet, um ihm manches zu eröffnen. Das Schlimmste von allem wußte d'Anjou schon: einer seiner Lieblinge war heute im Zweikampf gefallen, Maugion, ein so anmutiger Knabe, und erstochen hatte ihn ein Offizier Lothringens. Das ging zu weit, Guise führte nicht nur Aufruhr in den Straßen herbei, er verbreitete Schrecken sogar im eigenen Schloß des Königs. »Vetter Navarra, wir hatten ihn unterschätzt.«

»Ich gebe es zu«, sagte Henri. »Alles ist nicht Roheit bei einem Goliath und Helden seiner Art. Man darf die Tücke nicht vergessen.«

»Ich«, beschloß der König, »will darauf erwidern ehrenhaft, wenn auch mit weiser Berechnung. Ich setze meinen königlichen Namen auf die Liste der Liga.«

Was er sogleich vollzog, unter großem Prunk und im Beisein vieler Zeugen aus allen Ständen. Das Volk und die ehrbaren Leute sollten sich persönlich überzeugen, daß der König nicht erst durch einen Bund müßte erinnert werden an sein Versprechen, die Religion zu verteidigen. Er setzt seinen Namen an die Spitze, noch über Lothringen, dessen zum Zeichen, daß er der Verbreitung der hugenottischen Lehre mit allen Mitteln widerstehen wird. Indessen glaubt er es sich selbst nicht, und auch sonst glaubt niemand es dem schwachen König. Mit seiner Unterschrift hat er nur bekräftigt, daß im ganzen Land gegen ihn gehetzt werden darf von umherziehenden Mönchen, und Listen der Liga bedecken sich mit Namen und Kreuzen in jedem Dorf, und jeder Bursche hat vor Augen den tapferen Guise und jedes Mädchen den schönen Guise, und Held ihrer Träume ist nur dieser - anstatt eines traurigen Valois, bald traurig, bald ausgelassen, und spielt mit seinem Hof von Knaben.

Henri, dritter seines Namens, vergaß seine Lage, wenn er sich verkleidete und entweder ein fremder Sultan oder ein niedriger Büßer wurde. Als König von Frankreich beseufzte er gern seinen wirklichen Zustand, und zum Vertrauten nahm er wohl einmal seinen Schwager Navarra, später der vierte des Namens Henri. Eines Morgens ließ er ihn rufen; es war gegen Weihnacht, Schnee lag, und eine ungewöhnliche Stille entrückte das Schloß Louvre, als wäre es ganz mit sich allein geblieben. Der König bat: »Henri, sag mir, was du von mir denkst.«

»Sire, daß Sie mein Herr und König sind.«

»Das braucht dir nicht erst einzufallen. Wenn du dich aber besinnst?«

»Ich an Ihrer Stelle würde die Wahrheit nicht herausfordern. Sie haben ein einziges Mal gehandelt, und das war die Bartholomäusnacht. Heute ist Guise viel stärker als damals der Admiral. Sie sind ein König und begehen daher sicher ein erwogenes Versäumnis, wenn Sie ihn noch stärker werden lassen.«

»Es ist etwas anderes.« Der König sprach trübe in sich hinein. »Ich warte auf die Gewalt.«

»Kommen Sie ihr zuvor!«

»Du hörst doch, daß ich auf sie gespannt bin«, flüsterte der König und erbebte von innen. Er bedeckte sogar den Mund. »Ich habe Nachricht, daß Guise mich entführen will. Was wird das sein? Ich, sein Gefangener. Er, der Herr meines Königreiches - und tritt zu mir ein, mit der Hetzpeitsche.«

»Er ist einen Kopf länger als ich«, sagte Henri Navarra. »Und was weiter? Ein langer Mensch hat vor mir voraus, daß er von der Zimmerdecke die Würste herunterlangen kann, sonst nichts.« Bei sich dachte er noch: »Seinen Bruder, den Irrwisch, wollte er, daß ich ihm töte. Weil er nicht größer ist als ich's Das alles versteht niemand.«

Inzwischen geschah vor der Tür viel Scharren und Klirren, sie wurde aufgestoßen, und ein Offizier des Herzogs von Guise meldete sein Kommen an. Nicht etwa, daß er die Majestät gebeten hätte, seinen Herrn zu empfangen. Der Herzog verfügte. Übrigens ließ er den König von Frankreich warten, und dieser benutzte die Zwischenzeit, um seinen Vetter Navarra hinter einen Vorhang zu verstecken. »Du sollst mit anhören, was er wagen wird, dem König zu bieten. Wenn er sich an mir vergreift -«

»Es könnte auch sein, daß er durch den Vorhang sticht. Lieber zeige ich mich schon vorher und rede ein Wörtchen mit.«

Hier erschien der dritte Henri, aus dem Hause Guise. Kommandorufe, Ehrenbezeigungen, ein großer Auftritt. Der König Henri saß vor seinem Schreibpult in den Pelzrock verkrochen. Henri Navarra lugte aus dem Vorhang.

Der Herzog behielt den Hut auf und machte nicht einmal die Andeutung einer Kniebeugung. Er sagte: »Das Wetter ist günstig, um zu jagen. Ich hole Sie ab, Sire.«

Der König räusperte sich laut, es war ein Zeichen für seinen Vetter und bedeutete: Da hast du es, eine Entführung! Er erwiderte: »Gewiß, guter Freund, aber man sieht, daß Sie kein Parlament haben und keine Erlasse verfassen müssen an Ihr Parlament, weil es sich weigert, die von Ihnen beliebten Gunstbeweise in seine Register einzutragen.«

Der Herzog nahm eine schneidende Stimme an. »Ihr Parlament hat recht. Denn Ihre Placets bereichern Ihre Höflinge, das Volk geht zugrunde.«

»Dasselbe sagte man schon zu der Zeit meines Bruders Karl. Tut ein Volk eigentlich je etwas anderes als zugrunde zu gehn?« Dies brachte der König lauernd vor, und der Herzog benahm sich denn auch so, wie es von ihm erwartet wurde. Er legte los als rechter Tribun und warf durcheinander so viele hohe Zahlen wie große Worte. Als er zuletzt nichts mehr wußte, sagte der König schwärzlich aus seinem Pelzrock und bewegte die dicken Lippen nur wenig:

»Siehst du, Guise, gerade hierfür empfange ich dich allein und ohne Zeugen, aus Besorgnis, du kämest sonst nicht frei genug damit heraus.«

»Wen sollte ich wohl fürchten?« fragte der Herzog und stellte sich breitbeinig auf. Den angebotenen Sessel warf er beiseite. »Wer von uns beiden führt wirklich die Liga?« fragte er.

»Du«, erkannte der König mit Inbrunst. Der Herzog fühlte darin etwas, das er verachtete. Er warf hin: »König sind Sie nun einmal, aber kein Edelmann; und werden darum auch nicht König bleiben. Ich -« Er stockte, rief zum zweiten Male »Ich«, und hielt gerade noch zurück, was er im Sinne hatte: selbst König zu werden.

Der König - anstatt ihn zurückzuweisen, ermutigte er den dreisten Burschen. Der Vetter in dem Versteck ertrug es kaum noch, wie hier umgesprungen wurde mit dem königlichen Blut. Von dem Blut, wenn auch im einundzwanzigsten Grade, war er selbst. Er schüttelte die Falten des Vorhangs, damit Guise aufmerksam würde. Indessen war Guise viel zu sehr bedacht, den König zu erniedrigen. »Sie sind der König Ihrer Lieblinge«, verkündete er hart. »Aber auch diese werden weniger werden mit dem Geld. Am Ende werden Sie selbst in einem letzten Winkel Ihres Königreiches hocken, ohne Lieblinge, ohne Geld und sogar - ohne Blut.«

Da schüttelte den König die Furcht. Sein Pelzrock stieg ihm über den Nacken hinan, der Vetter hinter dem Vorhang war darauf vorbereitet, er würde unter das Schreibpult rutschen. Statt dessen bat er schwach: »Sprich weiter!«

Es war zuviel, sogar für einen Mann ohne Empfindung wie Guise. Er schnitt ihm die Rede ab, er machte kehrt und begab sich zu dem Stuhl, den er fortgeworfen hatte. »Sprich weiter!« wiederholte er für sich allein und zuckte die Achseln. Hinter dem Vorhang war es deutlich zu hören, weil der Stuhl und der Herzog nahe daran standen; und dem Zeugen hinter dem Vorhang stiegen davon Tränen in die Augen. Ein schamloser Mensch mit viel Blut im Leibe und einem Schwann von Pöbel hinter sich darf ohne Recht und Verdienst einem König entgegentreten wie ein großer Held und dem König drohen, das letzte Blut werde ihm aus den Poren treten wie seinem Bruder. Was wäre das für eine Welt! Henri Navarra riß die Falten weg und trat hervor, den bloßen Degen in der Hand. »Ich hätte ihn dir in den Rücken stoßen können, und dl hättest es verdient.«

»Oho«, rief Guise. »Es war eine Falle. Wozu auch sonst dieses »Sprich weiter!«, da Valois wahrhaftig seinen Ruhm nicht singen hörte. Ich habe mich indes herbegeben«, sagte der große prächtige Mann, während er unauffällig zurückwich gegen die Tür, »herbegeben hab ich mich als treuer Diener des Königs, in der Absicht, ihn und sein Königreich zu retten durch meine biederen Worte. Mein Schwert hab ich nicht mitgebracht, verschmähe es auch, meinen Dolch zu ziehen.«

Wahrscheinlich hatte er aber auch diesen vergessen, denn er hielt die Hände, wie um sie gegeneinander zu schlagen. Im nächsten Augenblick wäre das Zimmer voll von seinen Bewaffneten gewesen. Henri Navarra hinderte ihn daran.

»Henri Guise!« verkündete er. »Wir spielen! Cäsar wurde ermordet: Weißt du noch, wie das war? Du und ich, wir stellen die Verschworenen vor.«

»Laß die Possen«, sagte Guise. In Wirklichkeit aber war er froh, auf diese Art davonzukommen. Er hatte im Ernst genug gesprochen und getan, daß sich allerdings eine Verschwörung daraus machen ließ. Das Gesicht des Königs veränderte sich reißend ins Furchtbare, so viel war festzustellen; er schnellte auf und reckte sich wie die richtende Majestät. »Da ist Cäsar!« rief Henri Navarra, ganz bei der Sache. »Auf ihn!« Guise wollte denn auch losstürmen - fiel aber hin, sein Mitverschworener hatte ihm ein Bein gestellt. Schnell setzte Henri Navarra sich ihm auf den Nacken, hielt ihn nieder und fragte erregt, im Sinne der Rolle: »Sire, was soll ich mit dem Majestätsbeleidiger tun?«

»Schneid ihm den Kopf ab!« verlangte der Cäsar wild. Vielleicht ließ er sich ernstlich hinreißen, oder aber versetzte er sich zurück in das Collegium Navarra und den sonnenlosen Klosterhof, wo sie ehedem, drei Knaben und drei Henris, dasselbe Spiel getrieben hatten.

»Es ist geschehen«, behauptete Vetter Henri, ließ sein Opfer aufstehen und steckte die Waffe ein, nicht ohne sie vom eingebildeten Blut zu säubern.

Dann trat die Pause ein; während dieses Schweigens und der aufkommenden Verlegenheit mußten die drei Henris zurückfinden aus Klosterhof und Spiel in ihre erwachsenen Tage, da nun Feindschaften unwiderrufliche Tatsachen geworden sind und wir in keiner Tragödie mehr handeln, sondern im Leben. Es gab ein Schwanken. Sollten wir am Ende nach wie vor in einer angenommenen Tragödie mitspielen? Sehr verdächtig macht sich das Leben durch die Wiederholung von Lagen, die wir in unserer Phantasie schon längst erfunden hatten. Ein Eindruck von Unwirklichkeit - indessen sieht man von ihm bald tunlichst wieder ab. Henri Valois atmete stark aus und setzte sich. Henri Guise holte die zu Anfang versäumte Kniebeugung nach. Nur Henri Navarra behielt in den Mienen etwas zurück wie Zweifel oder Bedauern. Den beiden anderen entging es nicht, sie verständigten sich mit den Blicken auf seine Kosten und lächelten heimlich. Auch das war wie damals in der Klosterschule.

Anders war, daß desselben Tages am Nachmittag beim Ballspiel Henri Navarra seinem guten Freund Henri Guise absichtlich einiges nachgab und sich von ihm besiegen ließ - zur gleichen Stunde aber forderte ein ganz junger Edelmann, der ihm gehörte, seit sein Vater ihn dem König von Navarra übergeben hatte - Rosny hieß der Junge: dieser Sechzehnjährige, er hatte die Bartholomäusnacht nur überlebt, weil sein Schuldirektor ihn versteckt hatte -, Rosny, später Sully genannt, forderte einen Edelmann des Herzogs von Guise zum Zweikampf und tötete ihn. Der Herzog gewann inzwischen beim Ballspiel.

Als der König seinen Vetter das nächste Mal wiedersah, sagte er: »Vor dir muß ich mich mehr hüten als vor dem großmächtigen Lothringen. Du wirst mich beerben. Du bist ein Prinz von Geblüt, überdies sehr geschickt. Wäre es noch bloße Geschicklichkeit! Mein Mißtrauen verrät mir, daß es mehr ist.«

 

Das Erlebnis eines Bürgers

Der König, der seinen Freunden mißtraute, mußte sich von seiner Mutter Madame Catherine sagen lassen, worauf es dringlich ankam: zum Schweigen zu bringen die bösen Gerüchte über die Sitten der Majestät. Eines Morgens früh läutete es in dem kleinen Laden eines Pariser Weißwarenhändlers namens Heurtebise. Die Gatten hörten die Glocke bis in ihr Schlafzimmer, obwohl es nach dem Hof lag. Zuerst wagten sie das Bett nicht zu verlassen, und jeder hielt den anderen fest, falls er sich dennoch in Gefahr begeben wollte. Da das Läuten herrisch wurde, blieb nichts übrig als nachzusehen. Der Mann zog seinen Rock über, die Frau holte das Gebetbuch herbei. »Halt es ihnen entgegen, Heurtebise, und leugne alles, was du über die Liga jemals konntest geredet haben. Sag, daß es beim Wein war, und erst gestern hättest du gebeichtet.«

Sie schlich ihm nach und spähte hinter dem Ladentisch hervor, während er umständlich die Querbalken, Riegel und Ketten beseitigte. Die Glocke gellte und rasselte, trotzdem drangen Stimmen durch die dicken Eichenbretter. Der Weißwarenhändler betete laut. Auf einmal war die Tür offen, und darunter erschien sein eigener Schwager, Archambault, der in der Wache des königlichen Schlosses Louvre diente. Er stieß seine Arkebuse auf den Boden und rief streng: »Herr Heurtebise, Sie kommen mit!« Da sah er seine Schwester hinter dem Ladentisch hochsteigen, und sofort erklärte er gedämpft: »Ich weiß nicht, was wir mit dir vorhaben, Schwager, aber wir sind vier. Komm denn mit!«

Auch die anderen drei zeigten sich, aber Heurtebise, anstatt zu beten, fuhr die Soldaten an. Er drohte ihnen mit der Liga, bei der er im Dienst und Lohn stände. Dort wäre man ein anderer Mann als bei der Wache eines Königs, der nur mit Jungen umginge. Von den Kanzeln würde gepredigt gegen das Treiben. »Schön und gut, Freund Heurtebise«, sagten die Soldaten, »aber du könntest uns den Gefallen tun; vielleicht müssen wir dich nicht hängen.«

Die Frau wandte ein: »Mancher, der sich zu euch getraute, ist nie mehr gesehen worden. Dich behalte ich statt seiner hier, Bruder, und weh dir, wenn meinem Alten etwas zustößt.«

So blieb der Arkebusier Archambault als Geisel im Laden zurück, den Weißwarenhändler Heurtebise dagegen brachten drei Bewaffnete nach Schloß Louvre. Tor, Brücke und Bogen waren dem Bürger vertraut, denn wie oft hatte er den Weg nehmen müssen in den Brunnen des Louvre, zu den Finanzämtern, die dort seinem Geld auflauerten. Weiterhin wurde er ein Fremder, leicht zu schrecken oder zu blenden, und jeder Eingewöhnte hatte vor ihm etwas voraus, wer nur wüßte, was. Auch machte er schon den Anfang seines Weges nicht unauffällig wie sonst. Höchstens, daß ihm an gewöhnlichen Tagen mit dem Profos gedroht wurde, wenn er sich nicht weiterscherte; in solchen Fällen berief er sich auf seine Eigenschaft als ehrsamer Bürger, und sein Schwager bezeugte sie ihm. Heute hörte er überall »Heurtebise«: schon vor der Torwache, dann bei den Ämtern, dann in der Gegend der Küchen. Türen gingen auf, wo er mit seinem Geleit von Bewaffneten vorbeikam; »Heurtebise«, sagte man einander ins Ohr, und jedesmal wurde dazu ein besonderes Gesicht gezogen. Er wußte lange nicht, an welche Gelegenheit diese Mienen ihn erinnerten, bis ihm eine erschrockene innere Stimme zuraunte: Heurtebise, genau so siehst du selbst aus, wenn du den Kopf entblößt vor einem vorbeigetragenen Sarg.

Am Fuß der Freitreppe übergaben seine Wächter ihn zwei Schweizern, von denen einer voraus, der andere hinter ihm ging. Die Gewölbe, durch die der Zug kam, lagen zuerst noch in der Dämmerung, weil es früh und hier die Abendseite war. Der Weg führte Stufen hinab, wieder hinauf und um Ecken, der Weißwarenhändler fand ihn ohne Ende, ihm zitterten die Knie. »Gevatter, wohin bringt Ihr mich?« fragte er den vorderen Schweizer, aber er hätte auch die Wand befragen können. Der fremde Söldner rückte seinen dicken Kopf um keinen Zoll, er stapfte weiter auf seinen doppelt breiten Schuhen, und seine behaarte Tatze hielt die Hellebarde am gestreckten Arm. Heurtebise seufzte und machte sich darauf gefaßt, zum Schluß irgendwo anzukommen, wohinein weder Mond noch Sterne schienen. Da traf seine blöden Augen ein Schimmern - von Gold, Silber, Rubin- und Marmelstein, Damast, Brokat, Elfenbein und Alabaster. Alle kostbaren Namen wurden in seinem Gedächtnis erweckt von dem Licht der Morgenseite, das in einen geöffneten Saal fiel. Alle Fenster jenseits flammten vom Sonnenaufgang - da war in überwältigender Art ein Bürger wirklich versetzt in das Königsschloß. Er hätte nachträglich geschworen, daß in dem Saal, an dem er schon vorbei war, eine Gesellschaft von Edelleuten und Damen ihr hochmütiges Wesen getrieben hatten. Er überlegte nicht mehr, daß die Gestalten auf gemalten und gewirkten Bildern allenfalls Bewegung vortäuschen können im Flammen des Morgenlichtes. Vielmehr begann er, als der Saal längst hinter ihm lag, die Stimmen der Herrschaften zu unterscheiden; ja, auch Harfen vernahm er - und mißbilligte es im stillen. Von früh an trieb man hier brotlose Künste!

So vorbereitet, wurde er zum drittenmal anderen Begleitern überwiesen, diesmal aber waren es anstatt der Soldaten feine junge Adlige, ob nun Kammerherren oder Pagen; in jedem Fall hatten sie ihre Wangen gefärbt und mit glatten Haaren umrahmt nach Art von Frauen, gewiß auch zu demselben Gebrauch wie Streicheln und Liebkosen. In dem Kopf des Bürgers drehte sich etwas, während beide vornehmen Jungen ihm zulächelten und ein wenig den schlanken Hals neigten vor keinem anderen als ihm, Heurtebise. Sein Laden wäre ihnen zu schlecht gewesen. Faltenkräglein, anzusehen wie ein Hauch, aber mit Gold durchwirkt, wir führen sie nicht. Dennoch nahmen sie ihn zwischen sich wie einen ihresgleichen, betraten mit ihm ein Zimmer, näselten ihm auch zu, wie es hieße. Dies Gelaß indessen strahlte so ungeheuer von Gold, daß ihm zugleich mit dem Sehen auch das Hören verging. Betört äugte er zu den schönen Knaben hinan, und wahrhaftig, sie dankten es ihm, sie ermutigten ihn freundlich. »Herr Heurtebise«, näselten sie, »jetzt öffnen wir noch zwei Türen, um Sie hindurch zu geleiten. Vor der dritten bleiben wir zurück, Sie werden allein hineingehen, niemand darf Ihnen folgen.«

Hierüber erschrickt man nun wieder. Was soll denn fortwährend Neues vorkommen! Die Gesellschaft der höflichen jungen Leute ist schon vertraut geworden, sie ist sogar geeignet, an gewissen Vorurteilen des Bürgers zu rütteln hinsichtlich des Standes der Adligen, und auch, was ihre Sitten betrifft. Man wird versöhnlich gestimmt für Schloß Louvre, gegen das vielleicht doch mit Unrecht so heftig gepredigt wird von den Pfaffen. Der Hof hat sein Gutes, der König ist zu begreifen. Ich, Heurtebise, finde nichts, was nicht geheuer wäre. In den beiden nächsten Gemächern tritt er viel sicherer auf. Eins der unbekleideten Bildwerke veranlaßt Heurtebise, einem seiner neuen Freunde den Ellbogen in die Seite zu stoßen. Da machen sie auch schon halt vor der dritten Tür. »Herr«, wird ihm empfohlen, »Sie werden gebeten, einzutreten und Ihre Augen zu öffnen.«

»Hinsehen, wenn's beliebt, und sich alles merken«, wird nochmals dringend erinnert, während jeder der Knaben einen Türflügel zurückschlägt. Heurtebise setzt einen Fuß hinein, die Tür hinter ihm schließt sich. Ihn nimmt ein dämmriger Raum auf, der Tag verfängt sich in dem Behang des Fensters, daneben glimmt das Nachtlicht. Allmählich erkennt er Umrisse, besonders die eines Bettes. Der Vorhang ist fortgezogen, wer schläft hier? Er unternimmt noch einen Schritt vorwärts, angehalten und berechtigt wie er ist, die Augen zu öffnen. Indessen quellen sie ihm aus dem Kopf. Die Haare sträuben sich, ein Schauder durchläuft ihn ganz, und er bricht in die Knie.

Der König! Kein anderer als er. Allein an den Lippen wäre es festzustellen; aber die Majestät wendet auch das düstere Auge her, ohne daß sein Antlitz mitginge. Genauso haftet das eine seiner Augen auf den Grüßenden, wenn es aus der Tiefe seines Wagens blickt. Hier ist kein Wagen, Heurtebise, wach auf! Das königliche Bett ist hier. Das Auge deines Königs gibt dir ein Zeichen, du sollst aufmerken, wer neben ihm liegt. Das ist die Königin. Du magst dich ins Bein zwicken, es bleibt die Königin, ihr weißliches Haar und ihre spitze Nase. Du bist gewürdigt, du bist ausersehn. Frau Königin wendet den Kopf auf dem Kissen, damit du auch die andere Hälfte besichtigst. Sie ruht bei Herrn König, nicht anders als Gevatterin Heurtebise, die jeder kennt, mit ihrem guten Mann im ehelichen Schlafzimmer hinter dem Laden. So einfach ist es, obwohl selten wie ein Wunder. Das erfährt von tausend nicht einer. Nur du.

Fromm legt er die Hände auf der Brust zusammen und senkt die Stirn, um nicht Mißbrauch zu treiben mit der Würdigung, die ihm widerfährt. Seine Schulter wird angerührt. In seiner Andacht ist ihm das Öffnen der Tür entgangen. Rückwärts auf den Knien verläßt er das Zimmer. Die beiden jungen Leute reichen ihm jeder eine Hand, damit er aufsteht. Sie begreifen seine Erschütterung und teilen ihm mit, daß ein stärkender Imbiß ihm zugedacht ist. Der Tisch ist gedeckt in einer Halle, zwischen Wandelgang und Treppe, an einem öffentlichen Ort sozusagen. Er muß Platz nehmen vor dem einzigen Gedeck, ein Haushofmeister erhebt den Stab, und Köche treten an, jeder trägt eine Schüssel von gewiß acht Pfund Silber, darin liegen viele Arten von Fisch, Fleisch und Kuchen. Der Wein fließt in sein Glas aus Gefäßen von Rubinglas mit goldenem Schnabel, außerdem hat sich zu ihm ein schönes Mädchen gesetzt. Er weiß es, obwohl er den Blick nicht aufhebt von seinem vollen Teller. »Heurtebise«, sagen die Zuschauer, die sich einfinden aus der Richtung des Wandelganges oder der Treppe - halten einen achtungsvollen Abstand von seinem Tisch, recken die Köpfe, sagen »Heurtebise« und gehen auf den Zehen ab.

»Herr Heurtebise, Sie sind ein berühmter Mann.« Dies ist die schmeichelnde Stimme des Mädchens. »Ich möchte Sie um eine Gunst bitten, Herr Heurtebise. Wenn Sie draußen erzählen werden, was Ihnen alles begegnet ist hier in Schloß Louvre: vergessen Sie auch mich nicht. Ich bin das Fräulein von Lusignan.«

Bei diesem großen und sagenhaften Namen seufzte der Weißwarenhändler: es war zuviel für ihn. Es war schon lange zuviel und stimmte zuletzt traurig, anstatt daß es stolz machte. Heurtebise warf einen so schweren Blick auf seine Zuschauer, daß sie fortschlichen, mehrere unter Verbeugungen. Ihm könnte der Gedanke nicht kommen, daß sie eine Rolle spielten. Er hätte auch niemals geglaubt, daß der Fisch, den der König von Frankreich ihm auftragen ließ, von gestern war, das Gebäck noch älter. Der Wein war aus der Kneipe geholt, zu Hause trank er besseren: dies wenigstens entging ihm nicht ganz. Er wollte es nicht wahrhaben, stürzte mehrere Gläser hinunter und fand ihn noch schlechter. Blieb das Fräulein von Lusignan - die indessen auch nicht echt war. Madame Catherine hatte eins der armen adligen Mädchen von ihrem »fliegenden Corps« ausgeschickt, damit sie den Mann aus der Menge in Arbeit nähme. Das erste, was ihn verblüffen sollte, war ein großer Name. Nach den Gläsern sauren Weins faßte er dennoch Mut, blinzelte das halb entblößte Frauenzimmer listig an und wollte nach ihr langen. Er begriff nicht, warum er dabei vom Stuhl kippte.

Er war kurz und rund, ein Mann mit gerötetem Gesicht und ergrauenden Haaren. So sah er sich unter dem Tisch wieder hervorkriechen, die Spiegel zeigten es ihm. Das Fräulein war verschwunden, was ihn nicht wunderte. In diesem Augenblick hatte er das unbestreitbare Gefühl, betrogen zu sein über und über. Er beschloß, in seiner Straße davon zu melden. Den Vorteil aus seinem Abenteuer sollten die Liga und ihr Führer haben! Zwar wußte er noch nicht, wie hier hinauszukommen wäre. Alle hatten ihn verlassen, die Zuschauer, das Fräulein, die Köche, der strenge Haushofmeister - sogar die feinen Edelknaben, und waren doch seine Freunde gewesen. Allein mußte er seinen Weg suchen, gelangte durch menschenleere Gegenden in ein Gewölbe voll von Soldaten und wurde beim Kragen gepackt. Kein Herr Heurtebise mehr, sie schoben ihn ab, bis in den Brunnen des Louvre, bis auf die Brücke. Auch von der Wachmannschaft kannte jetzt niemand ihn; sie verhörten ihn grob, die Taschen wurden ihm umgekehrt, und mit einem Fußtritt versehen verließ er das Tor und Schloß Louvre.

Er hatte sich gehütet, den Soldaten einzugestehen, was er in Wirklichkeit dort erblickt hatte. Übrigens zweifelte er schon daran. Je mehr Weg durch die Stadt er machte, um so unerlaubter, verdächtiger betrachtete er sein Erlebnis. Es kam ihm nicht zu; seine gesunde Vernunft versicherte ihm, daß der Böse seine Hand im Spiel hätte. Sogleich wollte er beichten. Indessen war seine Straße erreicht, alle Nachbarn traten aus den Häusern, er flüchtete in das seine und legte sich zu Bett. Frau Heurtebise brachte ihm Glühwein.

Erst nach Verlauf von zwei Stunden, da er ein standhafter Mann war, kannte die Frau die Geschichte. Am Abend war diese der Straße bekannt, den nächsten Tag in ganz Paris. Da kamen sie aus anderen Stadtteilen und wollten von seinem Munde hören, der König schliefe bei der Königin. Dies war von ausgesprochenem Nutzen für das Königtum und schadete der Liga, weshalb Pfarrer Boucher gegen Heurtebise predigte und ihn sowohl bestochen, als auch Werkzeug Satans nannte. Der kleine Weißwarenhändler indessen vertrat seine Sache, denn mit der Zeit machte sie ihn stolz, wurde ihm auch gewisser als am Tag der Ereignisse. »Heurtebise, was hast du, genaugenommen, gesehen?«

»Der Herr König lag in seinem goldenen Bett, auf dem Kopf seine goldene Krone, und neben ihm lag die Frau Königin, schön wie die Morgenröte. Das ist wahr, noch in meiner Todesstunde.«

Er sagte dies dreizehn Jahre lang. Dann war es mit dem Königreich dahin gekommen, daß der König ermordet wurde, während sein Nachfolger Henri, vierter seines Namens, in Schlachten siegen mußte über seine Franzosen, sonst fielen sie in die Hände Habsburgs. Die Liga ließ damals, zur Belebung ihrer Prozessionen, die Weiber nackt durch die Straßen tanzen. Ihre Ausgelassenheit war schaurig, ihr Blutdurst neigte zum Lächerlichen. Der kleine Weißwarenhändler, stadtbekannt durch seine Märchenerzählung, war nicht der erste - aber auch ihn fielen die wilden Weiber an als einen Feind der heiligen Kirche. »Das ist Heurtebise, der den Valois hat gesehn bei seiner Hure liegen!« Heurtebise wurde von vielen nackten Füßen zu Tod getreten.

 

Das Vergnügen

Die Königin von Navarra hatte ihren eigenen Hof, mehrere kleine Zimmer, darin vereinigte sie am Abend ihre Freundinnen, ihre Dichter, Musiker, Humanisten, und ihre Liebhaber. Hier war Margot die Gottheit und mußte nicht heimlich durch einen Vorhang spähen wie bei den Festen ihres Bruders, des Königs von Frankreich. Ihr lieber Gatte Henri fand sie eines Abends Harfe spielend, während ein Dichter wohllautende Verse zu ihren Ehren sprach; aber in der poetischen Welt hieß sie Lais und war eine Kurtisane, die vermöge der Schönheit und der Gelehrsamkeit über die Menschen herrscht. Margot-Lais saß in aller Vollendung, nach der sie immer gestrebt hatte, auf einem erhöhten Sessel. Diesem zugewendet standen links und rechts noch zwei, mit den Damen Mayenne und Guise. Dem göttlichen Wesen zu Füßen und auch neben den Sitzen der beiden anderen Musen lagerten die weniger wichtigen Erscheinungen, die indes notwendig in das Bild gehörten. Es wurde abgeschlossen von zwei Säulen, rosenumrankt, zwischen ihnen ein großer heller Teppich, hineingewirkt waren schwärmerische Gestalten des Frühlings. Durchaus klar und ruhevoll erschien das Ganze; der Dichter vorn im Halbkreis brauchte es nur zu besingen, wobei er sich leicht zur Seite bog und den anderen Arm von sich streckte, als ginge er auf schmalem Steg über einen Abgrund.

Im Schloß Louvre ist nicht alles wohl gesichert, erinnerte sich Henri angesichts des Hofes der Königin von Navarra. ›Und denke ich erst an die Kirche, wo Boucher predigt! Soll ich ihn nachmachen und diesen hier eine Probe seiner Beredsamkeit geben? Soll ich?‹ Nein, er nahm zwar die Stelle des Dichters ein, sprach aber, was ihm plötzlich eingegeben wurde: »Adjudat me a d'aqueste hore -« hilf mir zu dieser Stunde, das Gebet, das seine Mutter gesprochen hatte, während sie ihn gebar. Klangvoll war es anzuhören, und da es gerichtet wurde an die Jungfrau, zugleich aber an die Königin von Navarra, hatte ihr lieber Herr alle Huldigungen überboten, so viele Madame Marguerite an ihrem Hof empfing. Dafür dankte sie ihm überaus; sie spielte zwischen seine Worte hinein die glänzendsten Läufe auf der Harfe, zuletzt aber reichte sie ihm ihre wunderbare Hand, damit er sie küßte. Dies getan, versicherte er ihr vor ihren Bewunderern, daß er ihr zu gefallen und zu dienen so eifrig bemüht wäre wie noch nie. Sie verstand ihn auch und reichte ihm wieder die Hand - diesmal, damit er sie die Stufen ihres Sitzes hinab und aus dem Zimmer führte.

Sobald es dort nicht mehr gehört werden konnte, fing er an zu lachen und sagte: »Gehn Sie mal zu der Königin, Ihrer Mutter. Ich bin neugierig, wie Sie aussehn werden, wenn Sie zurückkommen.«

»Was meinen Sie denn«, erwiderte Margot und war gekränkt. »Mich behandelt niemand mehr so ungehörig wie zu den Zeiten des Königs Karl.«

»Ich will es nicht hoffen, obwohl Ihr Bruder, der König, genau die Wut auf Sie hat wie Ihre Mutter.«

»Was ist denn los, um Gottes willen!«

»Ich werde mir den Mund nicht verbrennen. Mag es Ihnen genügen, daß ich selbst nichts glaube, was man Ihnen vorwirft. Das erfinden die anderen nur, um uns beide auseinanderzubringen.«

Er geleitete seine Gemahlin auf den Weg zu Madame Catherine. Kaum war er allein geblieben, als schon eine andere Dame ihm entgegentrat, die Herzogin von Guise, auch sie in schwieriger Lage. Längst war es ihr anzumerken gewesen; auf ihrem erhöhten Sessel, da alle anderen beruhigt dreinschauten, hatte sie verstört den Hals hin und her gerückt. Ein großer Schrecken, den man nicht vergessen kann, sieht so aus. »Sire«, sagte die Herzogin und hielt hilflos beide offenen Hände hin, »ich bin eine sehr unglückliche, schuldlos verfolgte Frau und verdiene, daß Sie mich trösten.«

Er wollte einwerfen: warum nicht auch ich, nach allen den anderen - fand aber keine Zeit dazu. »Als der beste Freund des Herzogs überzeugen Sie ihn um Gottes willen von meiner Unschuld, damit er mir nicht noch mehr Unrecht tut!« Sie hatte alles in einem Atem herausgebracht und mußte anhalten; Henri konnte sagen: »Ich darf für Ihre Unschuld zeugen, Madame, denn mir haben Sie das Gegenteil leider noch nicht bewiesen.«

»Denken Sie, was mir zustößt mit dem Verrückten. Heute morgen befinde ich mich nicht ganz wohl, er aber hat Laune wegen etwas, das ihn schrecklich ärgert, er will nicht heraus damit. Ich weiß es auch so, was haben die Ehemänner schon im Kopf, außer ihrer Eifersucht. Plötzlich fällt ihm ein, ich sollte eine Fleischbrühe trinken, und wie sagt er das! Sein Ton muß mich auf den schlimmsten Verdacht bringen. Ich brauche keine Fleischbrühe! Aber wie oft ich es versichere - Sie werden entschuldigen, Madame, die Fleischbrühe muß sein, und auf der Stelle schickt er nach der Küche.«

»Vergiften wollte er Sie?« fragte Henri leise und angstvoll, denn ihm fiel auf die Seele, daß er selbst den Herzog einen Hahnrei genannt hatte, und vielleicht war er der erste gewesen? Seitdem hatte Guise sich überall die Bestätigung geholt, und so furchtbar waren die Folgen für die arme Frau.

»Sie haben ihm hoffentlich die Brühe ins Gesicht geschüttet.«

»Das kam mir nicht zu. Ich bat ihn um eine halbe Stunde Frist, bis ich die Tasse austränke, und in dieser Zeit bereitete ich mich vor, zu sterben.«

Henri sah das bedauernswerte Opfer nur noch verschleiert durch seine Tränen.

»Dann brachte man die Brühe. Der Herzog war inzwischen hinausgegangen. Ich trank sie.«

Sogar in seiner Abwesenheit hatte die Gattin ihm gehorcht, gestärkt von der Hoffnung, ihre letzten Gebete hätten alle ihre fleischlichen Verfehlungen aufgehoben.

»Was sagen Sie!« rief sie auf einmal völlig erbittert. »Es war eine ganz gewöhnliche Brühe.«

Ihr Zorn ergriff auch ihn. Der Goliath und Gliedermann! So ängstigte er Frauen. Das war seine Rache, wenn sie ihm aufsetzten, was ihm anstand. »Madame«, sagte Henri mit ehrlicher Überzeugung, »Sie sind schuldlos verfolgt, wie ich wohl sehe. Sie verdienen, daß ich Sie tröste und das Unrecht aller Männer, auch das meine an Ihnen gutmache.«

Er nahm ihre Fingerspitzen, seine und ihre Hand schwebten zwischen ihnen. Sie setzten die Füße vorn an, und die Gesichter mit einem höflichen Ausdruck von Beglückung einander zugewendet, beschritten sie nicht ohne Anmut den Weg, der zu ihrem Vergnügen führte.

Als er Margot wiedersah, kam sie aus einem stürmischen Auftritt mit ihrer Mutter und dem königlichen Bruder, in Gegenwart von Zeugen; es war nicht der erste, den ihre sittliche Führung veranlaßte. Sie befand sich noch nicht wieder im Gleichgewicht. »Ich hatte wohl recht?« fragte er mitleidig. Ihre großen Augen füllten sich mit Tränen, sie mußte darauf bedacht sein, daß nicht die Tusche zerlief. Daher konnte sie nicht gleich vorbringen, was ihr Herz beschwerte. Statt dessen umarmte ihr lieber Herr sie und versicherte ihr, die Dinge möchten sonst liegen wie immer, er werde sie schützen, denn sie wäre ihm anvertraut. Noch heute abend, wenn der König zu Bett ginge, würden zwei seiner Freunde ihm vorstellen, wie sehr er ihr Unrecht getan hätte.

»Vielleicht wird er es glauben; aber meiner Mutter machen sie nichts vor«, sagte Margot etwas zu schnell und erschrak ein wenig. Sie versuchte ihren lieben Herrn anzusehen, wieviel er eigentlich wußte. Denn schließlich, ihr großes Vergehen gegen den Anstand war wirklich geschehen, sie hatte ihrem gerade amtierenden Liebhaber einen Krankenbesuch gemacht! Da Henri sich nichts anmerken ließ, kehrte auch sie zu der Rolle der Unschuldigen zurück. »Wäre die Verleumdung mir nicht öffentlich ins Gesicht geschleudert worden! Das verzeih ich nie. Es hätte nur noch gefehlt, daß auch mein lieber Herr schlecht von mir denkt und mir böse ist.«

»Das fällt mir gar nicht ein, da ich Sie am besten kenne«, sagte er mit einem Lächeln, das bedeutungsvoll, aber gütig war, und auch Verliebtheit spielte mit hinein. Alles zusammen rührte das Herz der armen Frau. Einen besseren Freund konnte sie sich unmöglich wünschen. »Dank Ihrer Anständigkeit«, sagte sie, »ist es diesmal noch gut gegangen. Jetzt sind wir aber gewarnt. Passen Sie auf: der König wird sich noch mehr Geschichten ausdenken, wie er unsere Freundschaft verbiegen kann.«

»Es soll ihm nicht gelingen«, versprach er, »und wir wollen sogleich Anstalten treffen.« Sie blieben auch noch eine ganze Weile zusammen. Am Morgen, nachdem er von ihr gegangen war, bekam Margot, alsbald den Besuch von Damen, die ihr berichteten, daß ihr lieber Gatte sie gerade gestern gekränkt hätte mit der Herzogin von Guise. Einen Augenblick war sie erstaunt, dann erwiderte sie: »Mein lieber Herr kann nicht sehen, daß eine Frau unglücklich ist.«

Hierüber dachte sie viel nach. Denn Margot lebte unbesonnen, nur ihr Geist war sinnreich. Sie zeichnete, zu ihrer Erinnerung, zwei vergleichende Charakterbilder auf: der Herzog von Guise, in ihrer Niederschrift Cleonth genannt, wie er sich rächte und die Herzogin stundenlang in schrecklicher Todesfurcht erhielt mit einer Fleischbrühe; der König von Navarra, bei ihr Achill: so nachsichtig - und auch so unzuverlässig. »Aber seine Gefühle sind dennoch sich selbst getreu«, schrieb sie. »Achill vergißt niemals die große, schöne Leidenschaft, die ihn mit Lais verbunden hatte. Diese verraten weder Lais noch Achill, sie verwandeln sie durch gemeinsamen guten Willen, und aus der Passion, die oft wie Haß aussieht, wird eine Freundschaft, die fast der Liebe gleicht.«

Margot legte die Feder hin und war recht froh, wie die Dinge sich darboten. Vieles hatte sie nicht ausdrücklich hingesetzt, zum Glück war es ausgestanden: die Toten, die sich zwischen sie und ihren lieben Herrn gedrängt hatten, und man konnte nicht über sie hinweg. Dann hatte sie ihn ihrer schrecklichen Mutter verraten, so daß er in Gefangenschaft kam; dann hatte sie sich entschlossen, ihm Hörner aufzusetzen. Haß, Betrug, Reue und Mitleid waren ihren Weg gegangen, bis endlich Achill und Lais die besten Freunde wurden und es immer bleiben sollten, meinte Margot. Aber das Leben ist lang.

Die beiden Gatten erlaubten einander manches, ja, sie wiesen einander auf drohende Gefahren hin, wenn auch immer mit einigen Vorbehalten. Einmal begann Margot: »Sire, Sie zeigen sich zu häufig mit meinem Bruder d'Alençon. Sie sollten sich nicht mit ihm verschwören, Sie haben doch schon öfter gesehen, wie es endet. Er bleibt der Erbe des Thrones. Ihnen wird zwar die Statthalterschaft im Königreich versprochen, aber darüber lacht der ganze Hof.«

»Madame, es ist nicht immer von Nachteil, ausgelacht zu werden.«

»Wenn Sie geheime Pläne hätten. Wollen Sie denn König von Frankreich werden? Sie finden niemand, der Ihnen dienen möchte, weil alle Sie hier in dieser Rolle kennen. Dienen Sie lieber meinem Bruder d'Alençon, den ich sehr liebe und der bestimmt den Thron besteigen wird. Ich rate Ihnen zu Ihrem Besten.«

»Madame«, sagte er ernst, »Sie wollen erfahren, daß auch ich Ihr Freund bin. Bei Ihrem Bruder d'Alençon halte ich mich oft auf, weil ich weiß, daß sein Leben in Gefahr ist.« Sein Blick war so vielsagend, daß sie ungefähr erriet: er selbst war beauftragt; der König benutzte ihn, um sich seines Bruders zu entledigen. Sofort beschließt Margot: ›Ich will selbst meinen Bruder Franz beschützen. Sein Freund, der tapfere Bussy, soll meine Gunst genießen.‹ Weil sie dies aber fest vorhatte, lenkte sie das Gespräch zu Sauves, ihrer guten Freundin hinüber.

»Sauves ist ein angenehmes Vergnügen für Sie«, versetzte Margot. »Mehr darf sie auch nicht sein, um Ihrer eigenen Sicherheit willen, mein lieber Herr und Gemahl. Verraten Sie ihr nur niemals, was wirklich in Ihnen vorgeht! Auch auf dem vertraulichen Kopfkissen müssen Sie sich immer gegenwärtig halten, daß Sauves alles und jedes meiner Mutter, der Königin, berichtet.«

»Ich glaube es nicht«, erwiderte Henri, obwohl er es wußte.

»Sie würden noch mehr nicht glauben. Sauves liebt niemand als nur Guise, ihm ist sie ganz ergeben.« Margot fing an, sich zu ereifern. »Brauchen Sie dafür noch einen Beweis außer den Tränen, die sie vergießt, seitdem Guise das entstellte Gesicht hat? Das gönne ich der Sirene!« rief sie im hellen Zorn. »Ich gestehe sogar, daß ich selbst dafür gesorgt habe. Diesen Sommer mußte er in den Krieg ziehen, anstatt seine Frau zu vergiften und mit Sauves zu schlafen. Jetzt hat er einen tiefen Schwertstreich bekommen über das halbe Gesicht und ist nicht mehr der schöne Guise. Er heißt nur noch Guise mit dem Schmiß.«

»Guise mit dem Schmiß«, wiederholte ihr lieber Gatte, und sie freuten sich. Margot fiel plötzlich zurück in ihre vorige Wut. »Auch Sauves soll sich nur hüten, damit ihr kein Unglück zustößt. Denn sie geht darauf aus, Sire, Sie mir zu entfremden. Was sage ich, sie will Sie heiraten! Das Weib behält Sie den ganzen Tag bei sich und befiehlt Ihnen sogar, anzutreten, wenn die Königin sich erhebt, nur damit ich Sie nicht haben soll. Mißtrauen Sie mir denn mehr als ihr? Mit Mißtrauen, Sire, fängt der Haß an!« rief Margot - und hatte ganz vergessen, was für eine sichere Freundschaft bestand zwischen Lais und Achill.

Henri versuchte sie zu umarmen, und als sie sich sträubte, lächelte er heimlich über ihr erregtes Gefühl, ohne zu ahnen, daß auch ihn bald Eifersucht anwandeln würde - auf Margot, die den tapferen Bussy liebte. Vergnügen bleibt nicht immer Vergnügen. Es hat Fallen und es hat Tiefen. Man kann sich darin verbergen, um nicht gesehen zu werden. Man kann sich auch darin verlieren und inzwischen das Wichtigste versäumen. So erging es, besonders bei Charlotte de Sauves, dem Sohn der toten Jeanne, dem Rächer des ermordeten Admirals. Noch viele andere Damen des Hofes erfüllten denselben Zweck, lieblicher aber diese.

Sauves begegnete dem Lächeln des Lebens mit eigener Anmut. Ihr Wesen war gleichmäßig - anstatt stürmisch oder berauschend wie die Natur der Königin von Navarra. Schwach verhielt sich die Herzogin von Guise, nicht Sauves, die genau wußte, wie weit sie in allem gehen wollte. Henri verstand sich mit ihr - verstand sich mit Margot, Madame de Guise, Charlotte de Sauves und mit den übrigen, die er liebte und beglückte. Es waren viel, wie üblich an diesem Hof, ein verschwenderisches Durcheinander, sehr die Frage, ob es lange gut gehn wird für einen so jungen Körper. Am ruhigsten war er noch bei Charlotte, daher seine Vorliebe.

Es kam, weil sie einander erlaubten, ihren Sinn abschweifen zu lassen, wenn sie nachts beisammen wachten. Er wußte, wohin der ihre ging: zu Guise und seinen ehrgeizigen Unternehmungen. Guise ist ihr einziger Herr, sogar noch mit entstelltem Gesicht. ›Das soll mir gleich sein, sie hat einen so hübschen Mund, wenn er sich ihr in Gedanken selbst öffnet; und ich kenne keine Augen wie die ihren, lange schmale Spalte, daraus Witz funkelt. Beunruhigend wäre, daß auch sie sich niemals wundert, weil ich lange schweige. Vielleicht hat sie schon erraten, woran ich denke? Ihre dichten Wimpern verheimlichen mir etwas, nun wir uns plötzlich ansehn, und sie lächelt mitleidig. Das verdiene ich auch, denn was habe ich vollbracht in länger als drei Jahren von allen meinen kraftvollen Vorsätzen des Hasses und der Rache? Nichts. Der König, Guise und Madame Catherine, alle leben noch, ich aber bin ihr Gefangener und ihr Freund; denke über sie nach, mehr als gut ist, und täusche sie. Die Frau, die neben mir liegt, hat recht, Guise für einen besseren Mann zu halten. Dennoch ist ihm jetzt das Gesicht verunstaltet - dafür, daß er den toten Herrn Admiral hat in das Gesicht getreten!‹

»Mein Geist versetzt mich oft in das Gebirge«, sagte er zu seiner Gefährtin in der Stille der Nacht. »In Schloß Louvre bin ich gern, wegen meiner vielen guten Freunde und der schönen Damen. Aber auf die Dauer fehlen mir die Berge. Wer sie nicht beschritten hat als Kind, weiß nicht, was es heißt, im Herzen ihren Namen zu tragen. Die Pyrenäen.«

Sauves sah es, wie er träumte. Versuchsweise ließ sie ein Wort fallen: »Es ist weit bis dorthin?«

»Zu Pferd möchte ich wohl in zehn Tagen dort sein. Ich habe gewettet mit meinem Vetter d'Alençon«; erwiderte er eifrig und gab, wenn man so scharf hinhörte wie Sauves, sich und seinen Genossen preis. Um das Geständnis auszutilgen, begann er unvermittelt zu phantasieren von dem Wasserfall, der herabstürzte aus Himmelshöhen. Ganz hingerissen log er, daß er einmal sich selbst habe von ihm ins Tal tragen lassen, bis vor die Füße seiner Mutter Jeanne.

»Deren Tod auch nach drei Jahren noch nicht aufgeklärt ist«, warf Sauves sofort ein. Und noch immer nicht gerächt! Das hielt sie zurück, darum hörte er es dennoch! Oh! er fühlte durchaus ihre Neugier. Diese berührte ihn so deutlich wie ihre Haut. Sauves hat ihre größte Lust nicht an der Liebe, sondern durch das Wissen und Hineinspähen. Ehe man dessen gewahr wird, hat man sich ihr verraten. Ihr zarter Körper war leicht zu ermüden, in dieser Hinsicht flößte Henri ihr Schrecken ein; sie aber ihm mit ihrem Scharfblick.

Indessen verriet sie ihn nicht an die alte Königin, obwohl es ihres Amtes gewesen wäre. Sie hatte dafür Entschuldigungen, denn was beging der arme Herr schon groß, außer einigen geheimen Unterredungen, die zu nichts führten. Madame Catherine hätte darüber gelacht, daß er sich sollte verschwören mit ihrem Sohn d'Alençon, der ihn so oft getäuscht hatte. Die Vorsätze des armen Herrn waren angekränkelt, seine Gedanken genügten sich bald schon selbst. Der tut nichts mehr, meint Sauves. Der geht auf die Jagd und ist pünktlich wieder da, voll Stolz auf die erlegte Beute. Vor allem liegt er zuviel bei Frauen. Sie meinte es gut und aufrichtig, als sie ihn hiervor warnte. Ihr Herz war nicht böse.

Allerdings wollte sie ihn auch von Margot trennen. Solange ein Prinz von Geblüt mit der Schwester des Königs verheiratet ist, hat er trotz allem noch Aussichten. Aber auf den Thron soll nicht er: mein einziger Herr und Meister Guise soll auf den Thron steigen! Daher versuchte Sauves ihren zeitweiligen Gefährten zu überzeugen, sie hätte ihn von je geliebt - schon seit der ersten Begegnung im Garten, als die Freundinnen Charlotte und Margot ihm Arm in Arm entgegenschritten, und ihnen vorauf gingen Pfauen. Der wird der meine, und ich gehöre ihm ganz: dies hatte sie vorgeblich sogleich beschlossen. Ich bin geschickt, bin klug, und heiratet er mich, wird er König! Das sollte er ihr glauben. Vergebens, sein gewitztes Lächeln sagte ihr, daß sie ihm so wenig etwas weismachen konnte wie er ihr. Aus Ärger entließ sie ihn an diesem Morgen früher, wenn er auch vielleicht aus ihren Armen in die ihrer lieben Freundin Margot sank.

So war das Vergnügen. Darüber geschah es, daß ihn in einer Nacht eine Schwäche befiel; der Ort war zum Glück das eheliche Bett. Eine Stunde währte die Ohnmacht, und in großer Sorge um ihn war Margot. Sie stand ihm bei und diente ihm, wie ihre Pflicht es vorschrieb; rief ihre Frauen und Leute; verließ ihn selbst keinen Augenblick, und sonst wäre er gestorben. Dieser Anfall hätte ihn warnen sollen: Margot sagte es ihm.

»Sie haben das nie gehabt. Es kommt von dem vielen Vergnügen mit den Frauen.« Genug, er war sehr zufrieden mit ihr, rühmte sie nachher allen, und sie war auch die erste, mit der er sich wieder vergnügte.

 

Die Wendung

Zu lange gesäumt, zu viel bedacht und bezweifelt. Endlich entscheidet ein anderer. Am fünfzehnten September dieses Jahres 1575 wendete sich alles: da war der Herzog von Alençon nicht mehr zu finden. Seine Mutter ließ ihn zur Tischzeit suchen im ganzen Hause, höchst besorgt um seine Gesundheit. Sie wußte aus eigener Übung, wie bald jemand umkommt. Indessen fand sich keine Leiche. War er denn geflüchtet, ohne sich auch nur seiner Schwester anzuvertrauen? Die hielt ihren Musenhof wie gewöhnlich. Aber der Zaunkönig! Madame Catherine war schon darauf gefaßt, auch ihn nicht wiederzusehen - da kommt er ganz harmlos vom Ballspiel und nimmt noch erst ein Bad. »Was weißt du, Zaunkönig? Gesteh! Oder es wird dich reuen.«

Henri lachte: »Gerade erzählt mein d'Armagnac, daß der Vetter durchgegangen ist - man sagt, in einer Kutsche, die aussah wie leer. Soll ich Ihnen verraten, Madame, was jetzt folgen wird? Ein Aufruf des Mannes mit den zwei Nasen an das Land und das Volk, damit sie sich erheben. Darauf werden Sie, Madame, ihn versöhnen und ihm geben, was er verlangt.«

Er ärgerte sich - sie meinte, wegen des Verdachtes der Mitwisserschaft, der auf ihn fiel; und gewiß verdiente er den Verdacht. Dennoch verschärfte sie seine Gefangenschaft noch nicht. Seine Voraussage traf pünktlich ein, es erschien der Aufruf an Land und Volk. Darin berief der königliche Prinz sich auf die allgemeine Unzufriedenheit, auf die Sehnsucht so vieler Gemäßigter beider Religionen nach Frieden; verlangte aber auch Gerechtigkeit für sich selbst. Denn im Palast seines Bruders bekäme er nur Unannehmlichkeiten und kein Geld. Hier sah die alte Königin tatsächlich schon die Handhabe, ihr liebes Kind wieder zurückzuholen; daher nahm sie den Aufruf trotz allem weniger Ernst als ihr Sohn, der König, den das Ereignis tief verstörte. Aber auch die Stadt Paris geriet wieder einmal in eine Stimmung des Unheils und der spannenden Abenteuer. Wie! Der Bruder des Königs, Monsieur genannt, ist dem Herrn Prinzen von Condé gefolgt nach Deutschland. Schon rücken sie an mit einem Heer aus Franzosen und Deutschen, hunderttausend Mann, keinen weniger, Nachbarin! Da entdeckten einige Pariser, bald aber alle, am geröteten Abendhimmel die Bilder bewaffneter Männer.

Nur Madame Catherine behielt ihren Verstand auch bei diesen Erscheinungen und Gerüchten. Henri Navarra benahm sich nach ihrer Meinung rätselhafter als ihr Sohn d'Alençon, den sie kannte und nicht fürchtete. Unversehens zog sie die Erklärung seines Mitverschworenen hervor, er mußte sie lesen. Nach dreijähriger Prüfung beherrschte Henri sein Gesicht in jeder Lage. Ohne es zu verziehen, warf er nur hin: »Das kenne ich. So hab ich selbst geschrieben, als ich bei dem Admiral und den Hugenotten war. Bald wird Monsieur anders reden. Zuerst spielt man sich auf, nachher muß man tanzen, wie gepfiffen wird. Nichts für mich.«

Seine Verachtung konnte wahr oder gemacht sein, die gute Freundin blieb bei ihrem gründlichen Mißtrauen. Sie ließ ihn seitdem noch enger überwachen und beauftragte neue Spione, von denen er es nicht vermutete. Die sollten ihn womöglich zu Unvorsichtigkeiten veranlassen. Ihn umgaben dunkle Gespinste, indessen er selbst mehr als je den ganzen Hof zum besten hielt mit seiner guten Laune und scheinbarer Gedankenlosigkeit. In seinem Innern begab sich das Schwerste, und es verdüsterte sich sehr, wie vorher erst einmal.

›Der Irrwisch hat gehandelt, während ich zögerte! Jetzt war das Ganze umsonst, meine lange Verstellung, das viele Denken und all die Erfahrung mit Menschen. Das Unglück hatte mich in seine Schule genommen, dennoch bin ich jetzt wieder dort, wo ich war - am Morgen nach der Bartholomäusnacht.‹

Es dauerte nur vierzehn Tage, dann lenkte der Irrwisch schon wieder ein und verhandelte mit seiner Mutter, Madame Catherine, über die Entschädigung, für die er seine Verbündeten im Stich lassen wollte. Um so schlimmer für Henri! Ein Mensch wie dieser hatte dreist nach der Führung gegriffen, indessen er selbst infolge von zu viel Vergnügen in Ohnmacht gefallen war. ›Wie alles kommt? Genug damit, ich frage nicht mehr. Die Schule des Unglücks soll vorbei sein mitsamt dem blassen Denken. Ich will meine Protestanten im Süden wissen lassen, daß sie mich nächstens bei sich zu erwarten haben. Gleichviel, ob sie mich mittlerweile verachten, weil ich mich zum Narren mache an diesem Hof, schon länger als drei Jahre. Ich will ihnen beweisen, daß ich der Sohn ihrer Königin Jeanne bin. Ein anderer Mann als der Irrwisch! Auch ein anderer als der eitle Goliath! Denn ich weiß: die Schule war doch nicht umsonst. Ich weiß: ich werde dies Königreich einigen.‹

Sein heißer Stolz versicherte es ihm in erregter Sprache, dagegen kam nichts auf, nicht die Schande, in der er gelebt hatte und eine kurze Weile noch ausharren mußte; auch nicht die neue Beschämung durch den Irrwisch, der aufgetreten war an seiner Statt und auch ihn hätte unmöglich machen wollen. Er war seiner Sache gewiß. Hier, da sie verloren schien, stand sie zum besten. Eine Nation erwartet den Führer, und je mehr falsche entlarvt werden und abfallen, um so schicksalhafter dringt vor und auf den Weg der echte.

In solcher Lage, vor Ablauf der Weile, die noch übrigblieb, widerfuhr ihm ein letzter, sehr harter Stoß, aber er hielt ihn aus. Wer ihn zuletzt noch strafte, war seine liebe Schwester. Die junge Catherine hatte lange vergeblich gewartet, ob ihr lieber Bruder sich nicht besänne auf ihre Mutter Jeanne, den Herrn Admiral und alle seine Toten. Heimlich im Palais Condé sagte sie zu der alten Fürstin: »Ich kenne ihn, denn wir sind ganz dasselbe Fleisch und Blut. Ich war auch hier im Zimmer mit ihm und dem Herrn Admiral, der noch lebte. Ein schweres Gewitter entlud sich, die Tür sprang auf, ich dachte nicht anders, als herein träte unsere tote Mutter und riefe ihn ab, damit er sie rächte. Es war aber die Prinzessin von Valois, und diese holte ihn zur Hochzeit. Daran denke ich immer, und auch mein lieber Bruder hat nichts vergessen. Ich möchte schwören, daß er sich verstellt vor dem ganzen Hof seit all der Zeit, und sogar vor mir, seiner Schwester. Wenn erst der Tag gekommen sein wird, steht er auf und gibt sich zu erkennen.«

Sie verließ ihren Sitz, und da sie erregt war, ließ sie sehen, daß sie ein wenig hinkte. Auch war sie blaß und unentwickelt - hatte mit ihrer anfälligen Lunge die ganze Zeit abgeschlossen gelebt hier im Hause, aus Widerwillen gegen den Hof, wo »die Frauen die Männer baten«, nach dem Wort ihrer Mutter. Prinzessin Catherine von Bourbon war Protestantin geblieben. Sie fand kein Verständnis für den Abfall ihres Bruders, wie immer seine Lage gewesen sein mochte. Aber sie hieß seine Handlungen gut, weil er ihr Bruder und das Haupt ihres Hauses war. Auch verteidigte sie ihn, seine Sitten, seine Versäumnisse, gegen die protestantischen Edelleute, die aus dem Lande heimlich zu ihr kamen, so daß sie zurückreisten mit etwas mehr Hoffnung. Sie war schwach, war allein, sie hätte nur Mitleid eingeflößt. Viele hatten aber die Königin Jeanne gekannt, sie waren betroffen von dem hohen Eigensinn der Tochter, als spräche sie selbst, und beugten sich nochmals ihrer unsterblichen Seele.

›Indessen kann niemand einen Untätigen noch länger als drei Jahre in Schutz nehmen, besonders wenn eigene Zweifel herandrängen. Er hat nichts vergessen, ich weiß es. Dort, wo er gefangen ist, verliert man den Glauben. Den soll er wiederfinden mit Gottes Hilfe. Ich will ihm einen heilsamen Schlag versetzen. Das kann ich, denn wie es sonst auch gekommen ist, ich bin doch seine Kathrin wie je. Er braucht mich, weil wir beide zusammen klein waren, und wen hätte er in der letzten Not? Sonst niemand als nur seine Schwester. Ich will mich anstellen, als verließe ich ihn, und er soll erschrecken, weil ich mich und meine Sache einem fremden Mann hingebe.‹

Dies war die unschuldige Berechnung eines Kindes mit großer Seele. Sie beichtete sie einem einzigen, Herrn Theodor de Bèze, Pastor in Genf, der gedichtet hatte: »O Gott, so zeige Dich doch nur!« Ihn fragte sie, ob sie ohne Sünde tun könnte, was sie vorhatte, und er belehrte sie, daß sie wohl ihre Sache scheinbar einem Fremden dürfte hingeben, nicht aber ihren Körper in der Tat. Gerade damals begegnete sie ihrem Vetter Charles de Bourbon, Grafen von Soissons, den sie lieben sollte bis an ihr frühes Ende.

Das ist alles anders, als du denkst, Kathrin. Du meinst bis jetzt, du wärst durch Sittenstrenge weit unterschieden von deinem Bruder, der sein Vergnügen sucht. Du wirst, wie er, in der Liebe über alle Stufen gehn, geläufig werden dir zuletzt sein ihre gesamten Schmerzen, die Heiligung und Erniedrigung derer, die viel lieben. Er wird weiter alle Frauen begehren, und sogar wenn er einer einzigen treu ist, immer noch in dieser alle. Du wirst, was dir zugedacht ist, reichlich bekommen allein durch Charles, deinen Verwandten, katholisch übrigens, was dich durchaus nicht abhält, strenge Protestantin; und dazu betrügt er dich in recht gewöhnlicher Art. Aber das vergißt du, sooft du es wieder erlebt hast, und nach jedem euerer Zerwürfnisse knüpft deine Herzensneigung sich fester. Das wird fortgehn, bis du einundvierzig bist, setzt auch manches öffentliche Ärgernis ab, wie du nicht leugnen kannst, obwohl du im schlimmsten Fall die prüde Dame hervorkehrst. Nur der große Name deines königlichen Bruders deckt dich noch. Da spricht er ein verspätetes Machtwort, verheiratet dich mit einem anderen. Du gehorchst ihm wohl, weil du schon gebrochen bist, aber das kann nichts mehr abwenden. Du wirst dich in der Furcht vor dem Altern verzweifelt anklammern an deinen Geliebten, ja, lieber willst du sterben, als alt werden - und du stirbst. So wird es sein, Kathrin, und keineswegs, wie du dachtest, als du den Pastor in Genf um geistlichen Rat fragtest.

Die junge Catherine erschien unerwartet auf einem Hoffest. Man meldete es ihrem Bruder, darauf suchte er sie vergebens im Großen Saal unter dem Schwarm der Gäste. Im Zweifel, ob man ihn nicht zum besten gehalten hätte, warf er einen Blick in das Vorzimmer des Königs, das leer war; aber ein Leibwächter hielt das Gesicht gewendet nach einem Winkel, der für den Eingetretenen unsichtbar war. Der Bruder ging dort hin und fand seine Schwester mit einem Mann, der versetzte ihn in abergläubischen Schrecken. Henri war bereit, umzukehren und davonzulaufen - vor seinem eigenen Doppelgänger. Der Fremde hatte von ihm die starken krausen Haare und den schmalen Schnitt des Gesichtes; Mund, Augen, Nase glichen den seinen, in der Gestalt war kein Unterschied; und was Henri besonders bestürzte, dort sah er genau das Kleid, das er selbst trug!

Seine Schwester stützte den Arm auf die Schulter des Mannes - von je lehnte sie sich so an ihren Bruder. Gegen die Wange des Mannes sprach sie: nicht anders hatte sie unzählig oft gegen seine eigene geatmet. Aber das Furchtbarste: ihn, ihn selbst sah und hörte sie nicht - auf sechs Schritte nicht, obwohl er absichtlich am Boden scharrte. Er befühlte seine Hüfte, ob er leiblich noch hier und derselbe wäre! War er durch Zauber um seine irdische Erscheinung gebracht?

›Armer Bruder‹, dachte Catherine. ›Gewiß gibt es Geister, man kann es mit ihnen zu tun bekommen, und auch Zauberei kommt vielleicht vor. Diesmal aber betrüge ich dich, und es ist mir herzlich leid, daß ich es muß. Ich habe meinen guten Vetter herausstaffiert, habe ihn eingeübt, und ich stelle mich an, als wärest du Luft. In Wahrheit hättest du gar keinen Grund, dich verwirren zu lassen. Vergleiche dich mit unserem Vetter! Die Familienähnlichkeit beiseite, ist sein Gesicht ohne Vergangenheit, ohne Spur. Er hat in seinen Wäldern das Wild gejagt. Du? Ach, Bruder, so jung du bist, dich zeichneten schon die Leiden, Kämpfe und Gedanken. Mach einmal keinen Narren, und deine Augen werden alsbald traurig - schlau und traurig, lieber Bruder. Deine Nase ist seither weiter herabgefallen auf die Lippe: noch nicht viel, aber etwas. In diesem Augenblick hältst du dich für unsichtbar, da wird dein Mund ein wenig krumm, weil du dich schon so lange verstellen mußt. Wie ergreifend sind dagegen die Einsenkungen deiner Schläfen, und die gehören dir von Geburt. Ob du gleich nichts weiter hättest, Bruderherz, war ich schon die deine. Gerade das hat auch unser Vetter. Ich kann nicht glauben, daß ich ihn lieben werde; aber wenn, dann wär es wegen deiner Schläfen!‹

Das Mädchen stand auf, endlich empfing sie ihn, streng und klar, wie Jeanne selbst ihn hätte angeblickt. Nur das Wasser stand ihr in den geöffneten Augen, und nicht anders stieg es in seine. Catherine sagte: »Herr Bruder, Sie haben unseren lieben Vetter lange nicht gesehen. Zu mir kommt er oft, und wir sprechen von Ihnen, da wir nicht hoffen dürfen, daß Sie Ihre Gesellschaft verlassen um unseretwillen.«

Henri erwiderte: »Es würde auffallen, und Sie wissen wohl, liebe Schwester, daß ich keinen Umgang habe mit Hugenotten, deren Sie so viele empfangen. Auch wäre es unvorsichtig, daß drei Mitglieder unseres Hauses noch länger sich allein und heimlich unterredeten im Vorzimmer des Königs.«

Hierbei sah er den Vetter an. Dem wurde es schwül, Henri konnte einfach seinen Arm nehmen und ihn zur Tür bringen. »Jetzt sprich, Kathrin«, sagte er, als er zurück war. Sie blickte zuerst nach dem Leibwächter. Diesem war es eingefallen, sich breitbeinig in die Tür zu stellen, als sollte niemand zu ihnen hinein, und nur sein Rücken war hergewendet. Die Schwester sprach: »Sie warten zu Hause, daß du kommst.«

»Ich weiß es. Aber ich bin ein Gefangener. Die Wachtposten sind verdoppelt, immer mehr Spione beobachten mich. Noch müssen sie Geduld haben.«

»Sie haben keine mehr. Sie geben dich verloren. D'Alençon verdrängt dich bei ihnen, damit du es weißt! Und das sind unsere eigenen, im Süden, daß du es nur einsiehst! Der Gouverneur und die gemäßigten Katholiken gehn dort einig mit den Protestanten: zusammen wollen sie Condé die Hand reichen, wenn er einfällt in das Königreich mit seinen deutschen Hilfstruppen. Die Provinzen, die dazwischen liegen, sind auch schon gewonnen. Alles reift, alles bricht auf, nur du nicht. Unsere Mutter hat sich geopfert, jetzt ergreift den Lohn ein anderer, nicht du.«

»Ich bin recht unglücklich«, seufzte er, schlug die Augen nieder und ertrug nur schwer, daß er sogar seine Schwester täuschen mußte. Diese bewegte, schwankende Stimme, das erschreckte Ansteigen der Endsilben: »Schwester! Schwester, ich bin doch entschlossen und breche auf, eh du denkst. Von denen, die mir helfen sollen, kennt keiner den andern. Ich habe gelernt in drei Jahren. Meine gute Freundin, die alte Mörderin, vertraut mir an, daß d'Alençon schon keine Gefahr mehr ist. Heute nacht reist sie heimlich ab und holt den verlorenen Sohn zurück. Sagte ich dir von alldem das erste Wort, Kathrin, dann wärest du mit hinein verwirkt. Du darfst nicht in Gefahr kommen, Kathrin.«

Er schlug die Augen auf, sie waren sanft und geduldig, nichts weiter.

»Du willst nicht?« fragte sie.

»Ich kann nicht«, seufzte er.

Da erhob sie die Hand; es waren dieselben langen, geschmeidigen Finger, wie sie die Hand ihrer Mutter gehabt hatte - und wie als Knabe, wenn seine Mutter zornig wurde, fühlte er plötzlich auf seiner Backe einen festen Schlag. Er selbst wurde handgreiflich, als wären sie noch Kinder und wären noch in ihrem Lande, wo die Bauern und sogar die Prinzen im Ausdruck ihrer Gefühle sinnreicher sind. Er hob seine Schwester hoch, trug sie an ausgestreckten Armen vor sich her trotz Zappeln, und dem Leibwächter, der noch immer vor der Schwelle stand, setzte er sie schlankweg in den Nacken. Um von dem mächtigen Kerl nicht abzustürzen, mußte die kleine Catherine sich anhalten. Als sie wieder auf den Boden gelangte, war Henri längst fort. Sie aber: jetzt wußte sie - und vor Freuden lachte sie aus vollen Kräften. Der Leibwächter lachte mit.

 

Der Geist

Von denen, die ihm helfen sollten, kannte bisher keiner den anderen; nur die Spione natürlich wußten über jeden Bescheid. Dies waren besonders die Herren de Saint-Martin-d'Anglure und d'Espalungue, zwei wohlerzogene Edelleute, witzig und herausfordernd, ganz im guten Ton; hielten aber immer zur rechten Zeit auf. Der Umgang mit ihnen war reizvoll, und da Henri nicht zweifelte, was sie mit ihm vorhatten, zog er ihn noch mehr an. Sein eigener Vertrauter war ein Herr de Fervaques: Soldat, kein Jüngling mehr, gerad und schlicht. Mit ihm kein Witz und Wortgeplänkel - eine Benachrichtigung, die d'Armagnac in den Kleidern seines Herrn fand, nicht zu erraten, wie sie hineinkam; und dann vielleicht eine kurze Begegnung, bei der ein Name fiel: Gramont, Caumont, l'Espine, Frontenac. Sieben Edelleute waren schließlich mitverschworen hier im Schloß, und jeder von ihnen hatte sich von selbst einfinden müssen, auch waren sie sämtlich schon erprobt, denn Fervaques gab plötzlich die falsche Meldung aus, daß alles entdeckt wäre, sie sollten sich nur retten. Sie blieben aber, denn höher als ihre Sicherheit stand ihnen die Ehre, mit dem König von Navarra aufzubrechen, damit das Land den Frieden und die Freiheit bekäme. Henri erkannte die Besten daran, daß sie es gar nicht merkten, wie sehr sie eigentlich ihren persönlichen Vorteil oder auch nur ein großes Abenteuer suchten.

Den geheimen Zusammenkünften diente die neue Terrasse über dem Fluß. Der jetzige König hatte die Gärten dorthin erweitert; er war es satt, daß sein gutes Volk vom Ufer heraufkletterte, um, an das Geländer gehängt, die schöne Hofgesellschaft laut zu bewundern. Hoch über dem Fluß, von außen unzugänglich, stand die lange Terrasse - nur wußte niemand, daß sie ausgestattet war mit einer Versenkung. Eine bewegliche Steinplatte: sie lag am äußersten Ende im Boden, war überdies verstellt mit mehreren Säulen; wer sie aber zu öffnen verstand, gelangte durch das Gemäuer hinab bis zu dem Rand des Wassers. Ein Kahn hätte den Valois immer noch entführen sollen, wenn die Liga vermittels der Parteigänger, die sie auch im Schloß Louvre zählte, sich seiner bemächtigen wollte. Hier nun erschien der Geist des Admirals Coligny.

Wer ihn in einer Nacht des Januars zuerst feststellte, war ein katholischer Herr. Obwohl aus Gründen der praktischen Vernunft durchaus zugetan der Sache Navarras, wünschte er dem Geist des ermordeten Protestanten gewiß nicht zu begegnen. Gegenüber Herrn de Fervaques äußerte er Unwillen, weil der Verstorbene sich einmengte in Sachen, die nach seiner Zeit lagen und ihm unmöglich voll verständlich sein konnten. Der Geist hatte übrigens unverantwortliche Reden geführt, der Herr wollte sie nicht erst wiederholen. Dieses Zeugnis war nicht von der Hand zu weisen. Es war um vieles unverdächtiger als das der Hugenotten, des erfindungsreichen d'Aubigné und des düsteren Du Bartas. Seine beiden ältesten Freunde wurden von Henri nach wie vor in einigem Abstand gehalten. Galt hier doch ein Einvernehmen, das keiner besonderen Verabredung bedurfte, und eine Ergebenheit unwandelbar. Ihr Herr mochte ihnen unrecht tun: Gunst erwarteten sie nicht, sie hatten Besseres, hatten mehr. Sie begriffen: Ein Herr ist darauf angewiesen, seine Feinde für sich zu gewinnen, sie zu kaufen, zu bezaubern oder sogar zu überzeugen. Rücksicht auf solche Freunde wie uns wäre Verschwendung: wir kennen einander; wäre Verwöhnung, und ein Herr muß verstehen, undankbar zu sein.

Als an einem der frühen Winterabende beide sich versteckt hatten in seinem dunklen Zimmer, ließ Henri sie hart an. Zu ihrer Entschuldigung bemerkten sie einfach, daß sie Auftrag hätten von dem Herrn Admiral; er wäre zurückgekehrt. Sie beschrieben, wie und wo sie seiner wären ansichtig geworden, und Henri mußte sie wohl zu Ende anhören: er hatte schon die Aussage des Katholiken. Trotzdem behauptete er, sie wären die ersten Überbringer des Ereignisse: und sie hätten bei ihm verspielt, wenn sie ihn täuschen sollten. Sie sagten aber »Sire! Unser geliebter Gebieter! Da die unsterblichen Seelen gegenwärtig sind so gut wie wir Lebenden, kann es nicht weiter auffallen, daß sie sich einmal zeigen.«

»Das ist auch nicht der Grund meines Zweifels«, erwiderte Henri ihnen. »Indessen wissen die Geister, daß sie uns erschrecken, in guter Absicht pflegen sie daher nicht zu erscheinen. Was habe ich dem Herrn Admiral getan, daß er mich heimsucht?«

Hierauf schwiegen beide. Entweder wußten sie es nicht, oder durch ihr Verstummen überließen sie ihm, es sich selbst zu deuten. Er äußerte: »Viel Ehre für mich, in der jenseitigen Welt wird über mich gesprochen.«

»Nicht mehr als in der diesseitigen«, sagten sie darauf. »Alle Königreiche des Abendlandes wissen von einem Prinzen, der seit Jahren das Leben eines Gefangenen führt am Hof seiner Feinde. Seine Mutter mußte sterben, sein väterlicher Freund und Feldherr ist ihm getötet worden, die Seinen verlor er fast sämtlich durch Gewalt. Er aber läßt sich nichts anmerken, treibt Narrheiten und säumt so lange, als hätte er die Tat, die jeder von ihm erwartet, ganz vergessen.«

»Wer erwartet? Was erwartet man?«

Sie sagten, wer. »Um eine einzige Person zu erwähnen: die Königin von England findet Ihren Fall spannend, Sire. Wir wissen es von Mornay, der lange drüben war, und noch immer hat er die besten Verbindungen nach der britischen Insel. Die Königin fragt Ihren Mornay nach Ihnen als nach einer höchst romantischen Gestalt. Werden Sie endlich sich entschließen, Madame Catherine umzubringen, bevor die Alte sie kaltmacht? Im Lande wird die Bewegung, deren geborener Führer Sie sind, größer und größer: Sie aber träumen. Das sollte der vierzigjährigen Elisabeth nicht an ihr jungfräuliches Herz rühren? Ein tiefer, undurchdringlicher Prinz! Ganz etwas anderes als der windige d'Alençon, der sich immer noch Hoffnungen auf ihre Hand macht. Jetzt weiß sie übrigens, daß er zwei Nasen hat.«

Henri senkte den Kopf; er hatte nicht überhört, was sie ihm alles zu verstehen gaben unter dem Vorwand, Geschichten zu erzählen. »Und er will, daß ich mich einstelle?« fragte er plötzlich.

Sie begriffen sofort, wen er meinte. »Heute nacht um elf«, tuschelten sie noch schnell und sahen nach, wie sie unbemerkt entkämen.

Ungern blieb Henri allein zurück: er fürchtete sich. Einem Geist begegnen, ist fremd und ungeheuer - aber ihm sogar entgegengehen? Hier beginnt der unbefugte Übergriff. Die Priester beider Religionen würden Strafen dafür androhen. Andererseits ist man nicht kaltblütig genug, um die Frage unbefangen weltlich zu entscheiden. D'Elbeuf könnte es! Dies war der Name, der ihm einfiel: ein Mann von der Gegenseite, ein Guise. Henri hatte ihn in sein Vorhaben, von hier aufzubrechen, nicht eingeweiht. Dennoch hatte d'Elbeuf ihn schon aufgeklärt über die neuen Spione, die Henri sonst getäuscht hätten mit ihrem guten Ton. Er war verschwiegen und von klugem Rat. Auf dem Bett liegend, sagte Henri zu seinem Ersten Kammerdiener: »D'Armagnac, ich will Herrn d'Elbeuf sehen.« Der Edelmann als Diener schickte auf diesen verfänglichen Weg ein Kammermädchen der Königin von Navarra, das unbedeutendste, damit nicht erkennbar wäre, von wem die Botschaft kam. Als endlich der Freund vor seinem Bett stand, erklärte er nach Anhören des peinlichen Sachverhalts:

»Das Erscheinen des Admirals ist natürlich - besonders in Anbetracht der Umstände, die seinen Tod begleitet haben. Eher wäre zu verwundern, daß er so lange gezögert hat. Nach meinem Dafürhalten, Sire, haben Sie nichts von ihm zu besorgen. Er könnte, ganz im Gegenteil, eine nützliche Warnung beabsichtigen.«

»Mein guter Geist, der mich warnt, sind Sie selbst, d'Elbeuf.«

»Ich bin ein Lebender und weiß nicht alles« - worin ein gütiger Vorwurf mitklang: ich werde benützt, sollte es besagen, aber nicht eingeweiht. Für einen Beobachter wie diesen machte es wenig Unterschied; d'Elbeuf kannte die Wendung, die sich vollzogen hatte mit Navarra, und erriet, was bevorstand. Da er aber aus dem feindlichen Lager war, erwog er Gefahren, die dem Handelnden selbst entgingen. Indessen umschrieb er seine Befürchtungen nur.

»Sire, eins ist gewiß, daß Sie den Geist nicht vergeblich dürfen warten lassen. Es wird sich aber mit ihm verhalten wie mit allen anderen Geistern: man soll sich ihnen niemals zu sehr nähern, sogar die wohlmeinendsten der Geister würden in Versuchung geraten.« In welche, darüber glitt er hinweg. »Gehen Sie daher ruhig hin, Sire. Wie man die Geister kennt, wird auch dieser in einiger Entfernung bleiben, eben aus Furcht vor der Versuchung. Ich selbst aber will nicht weit sein, obwohl weder Sie noch der Geist meiner gewahr werden sollen - außer, es ergäbe sich guter Grund für einen Lebenden, dazwischenzutreten.« Dies sprach d'Elbeuf in die Luft, lächelte auch, als wären seine Worte ohne Absicht.

Henri lag noch immer unentschlossen da; er seufzte: »Ich muß ein Feigling sein. Im Feld hab ich es nicht bemerkt - oder nur zu Beginn einer Schlacht, da befällt mich jedesmal ein Bedürfnis; aber was sind zehntausend Feinde gegen einen Geist.«

Bei Tafel heute wurde viel geschwiegen. Es war so still, daß der König Musik befahl. Er hatte seine schwärzliche Miene, und Henri blickte auf seinen Teller, der nicht leer wurde. Nur Madame Catherine sprach weiter in ihrem langsamen, dumpfen Ton, und wer ihr aus Zerstreutheit nicht antwortete, den maß und erwog sie, während sie ruhig kaute. Ihren Zaunkönig redete sie mit folgenden Worten an: »Sie essen nicht, Schwiegersohn. Sie sollten zu sich nehmen, so lange noch Zeit ist, vom Wildbret, Fisch und Kuchen. Das gibt es nicht überall und immer.« Er tat, als hörte er es nicht, denn die Musik spielte; dennoch hatte sie ihm zu verstehen gegeben, daß sie wohl wußte, er dächte wieder einmal an Flucht. Allerdings schüttelte sie gleich darauf den Kopf. Wie oft wollte der Zaunkönig schon auf und davon gehn, soll er es doch versuchen! Auch ihren Sohn, den König, prüfte und mißbilligte sie. »Du hast eine Dummheit vor«, sagte sie ihm vorgeneigt über den Tisch. Nach einer Pause: »Ihre Mutter, Sire, besitzt Ihr Vertrauen nicht mehr.« Später wollte der Abend für Henri kein Ende nehmen. Man kann sich unmöglich für Frauen erwärmen oder Männern scharfe Antworten geben, wenn man verabredet ist mit einem Geist. Gegen elf Uhr riefen, wie gewöhnlich, die Wachen in Gängen und Hallen den Torschluß aus, und alle Edelleute, die draußen wohnten, brachen auf. Henri wollte sich unauffällig unter sie mischen, wurde indessen zurückgerufen von der Majestät selbst. Diese bot ein Bild des Jammers. Wäre Henri nicht ebenso verstört gewesen, er hätte das böse Gewissen erkannt. Der König brachte hervor: »Eine kalte, stürmische Nacht, guter Vetter! Was mag in der Finsternis alles unterwegs sein. Bleibe doch lieber beim Feuer sitzen!«

»Jemand erwartet mich«, entgegnete Henri, und als ob es eine Dame wäre lachte er: unheimlich ihm selbst.

Sobald die Wand des Hauses ihn nicht mehr schützte, schlug der starke Wind ihn zurück. Mit Anstrengung erreichte er die Terrasse, völliges Dunkel bedeckte sie. Er wartete, die Zeit verstrich, noch immer nicht hatte der Geist das Mittel gefunden, sich bemerklich zu machen. Erst als der Sturm die Wolken zerteilte - ein Mondstrahl blitzte auf und verschwand sogleich, aber in ihm erkannte Henri den Herrn Admiral. Schwarze Rüstung, grauer Bart, und die unverkennbare Haltung des Hauptes, nicht nur vornehm unter den Menschen, sondern auch bekannt mit dem Willen Gottes. Jetzt kennt er ihn wirklich, fühlte Henri und beugte ein Knie. Er befand sich am Rande der Terrasse, der Geist weit drüben auf ihrem anderen Ende, wo Säulen standen; im Sommer war es eine Laube von Wein. Der junge Henri betete.

Da strahlt schon wieder der Mond hervor, und diesmal verweilt sein Licht auf der jenseitigen Gestalt. Ihr Gesicht ist bleich wie ein bloßer Schein, mit Augenhöhlen, die leer stehen: sind es doch keine leiblichen Augen. Auch der Fuß kommt nicht vorwärts auf den Steinplatten dieser Welt. Der Geist zieht ihn kraftlos nach, nun er versucht, einen Schritt zu tun. Noch schwerer wird ihm die Verständigung im Sturm, vermittels einer Stimme, der kein wirkliches Organ dient. Um so schrecklicher sein sichtbares Auftreten! Dem Betenden klappern die Kiefer. Indessen erlauscht er ein Stöhnen. Undeutlich, in Worten, die der Wind zerreißt, gibt der Herr Admiral zu erkennen, daß er gerächt werden will an seinen Mördern. Hier verschwindet der Mond. Das ist gut; nur im Dunkeln findet Henri den Mut zu seiner Antwort, die eine Unwahrheit ist. Im Angesicht des Geistes hätte er sie nicht einmal insgeheim gewagt. Er bringt es fertig und ruft in den Wind und in die Finsternis: »Ich denke nicht daran, Sie zu rächen, Herr Admiral. Denn Ihre Mörder sind jetzt meine besten Freunde, ich aber bin ein witziger Bursche, guter Tänzer und will immerfort in Schloß Louvre bleiben.« Er ist laut genug, daß jeder Lebende, der in der Nähe versteckt gewesen wäre, ihn hätte hören müssen. Für sich aber, in sein Innerstes hinein, flüstert der junge Henri, flüstert dringend: ›Herr Admiral, ich bin, der ich immer war!‹

Ein Geist versteht natürlich, was gemeint ist, er unterscheidet die verschwiegene Wahrheit von der Lüge, die man für alle Fälle äußert, aus gewohnter Vorsicht, weil Verstellungen schon längst die erste Regung geworden ist. Sie kann ich nicht täuschen, Herr Admiral! Plötzlich schlägt dort drüben ein Gewicht auf den Stein, wie ein fallender Körper, und was nachfolgt, ist nach menschlichem Ermessen grobes Gepolter, Geschrei und Gerenn. So äußert sich kein einzelner Geist mehr, besonders nicht dieser. Henri wendet sich zur Flucht. Grade werden aber die Wolken geöffnet, und das Gestirn zeigt ihm einen Lebenden, der herbeiläuft und mit niemand zu verwechseln ist. »D'Elbeuf!«

»Fast hatte ich ihn schon! Ich lag auf den Weinreben zwischen den Säulen, der Schurke sah mich nicht, ich meinerseits habe ihn erkannt. Es war der Narr: kein anderer als der Narr des Königs, die traurige Gestalt, der schlechte Komödiant. Sobald ich meiner Sache gewiß war, sprang ich hinunter - wollte ihm auf den Nacken zu sitzen kommen, fiel leider daneben. Als ich aufstand, war er verschwunden.«

»Ein Mensch macht sich nicht unsichtbar.«

»Ein Geist schreit nicht wie ein Narr, tappt auch nicht über Stufen, die, ich weiß nicht wo, hinabführen. Er hat einen geheimen Ausgang benutzt.«

Die Terrasse lag im hellen Mondlicht, untersuchen konnten sie jede einzelne Steinplatte, aber keine verriet ein Geheimnis. Henri faßte sich an die Stirn. »Das war es«, sagte er. Im Sinne hatte er das Gesicht des Königs vorhin beim Abschied, das Bild der Schuld und der schlimmen Ränke. ›Und die hätten ihm sehr wohl gelingen können, denn ich glaubte wirklich, ich spräche zu dem Herrn Admiral. Wenn ich nun, anstatt zu lügen, gesagt hätte: Noch zehn Tage, und ich breche auf! Oder ich hätte dem Herrn Admiral sogar eingestanden: An meine Rache hab ich oft gedacht, Herr Admiral, und das Leben Ihrer Mörder stand manchmal in Gottes Hand! Ich hab davon geschwiegen, das war mein Glück. Sonst fände man mich wohl morgen auf diesen Steinen erdolcht.‹

Hiervon sagte er seinem Gefährten kein Wort, aber der Beobachter d'Elbeuf verstand das meiste ohne Erklärungen. Sie kehrten in das Haus zurück, um den Narren aus dem Bett zu holen. Wie sie gedacht hatten, lag er schon darin; die nötige Zeit hatten sie ihm gelassen, als sie die Steinplatten untersuchten. Er täuschte tiefen Schlaf vor, keuchte aber eher, als daß er schnarchte, und seine Decke fühlte sich kühl an. Sie zogen ihn kurzerhand hervor und banden ihn an einen Stuhl. Das sonderbare war, daß er die Augen nicht öffnete. D'Armagnac wurde ausgesendet, um auch d'Aubigne und Du Bartas zu holen. In ihrer Gegenwart begann das Verhör.

Ob er gestehe, geradewegs von der Terrasse zu kommen, fragte d'Elbeuf den angebundenen Narren. Ob er gestehe, den Geist gespielt zu haben, fragte Henri ihn. Der Narr stellte sich, um seiner Rettung willen, als hätte er die Sprache verloren. Er verdrehte die Augen, als stürbe er im Ernst; sein Gesicht aber grinste. Unwillkürliche Zuckungen der Angst beseitigten den Ausdruck der Trauer womit der Narr sonst seine Rolle bestritt. Im leinenen Hemd anstatt des würdevollen Schwarz, todbleich das lange Gesicht, verwirrtes Haar, und dieses ungewollte Grinsen: Zum erstenmal während seiner Laufbahn war der Narr komisch. Seine fünf Zuschauer lachten aus vollem Halse. D'Elbeuf als erster erinnerte die anderen Herren daran, daß hier ein äußerst boshafter Betrug an einem Lebenden versucht worden wäre, ungerechnet die Beleidigung eines Geistes, denn der würde sich selbst zu rächen wissen. Dies hören, und die Zähne des Narren klapperten schrecklich.

Ob er gestehe, heute nacht den Herrn Admiral Coligny vorgestellt zu haben, verlangte Henri nochmals, drohte dem Narren auch mit Erhängtwerden und ließ d'Armagnac die Wand ableuchten nach einem Nagel. Der Narr aber verstand sich auf das Komödienspiel. Das Verhör verlief gar nicht nach der Absicht der Herren. Frage: Ob er sich fürchte? Antwort: Allerdings fürchte er sich. Frage: Ob er bereue? Antwort: Allerdings bereue er. Frage: Ob er bereit wäre zu büßen? Antwort: Er wäre bußfertig. So gestehe er denn, der Geist gewesen zu sein? Antwort: Er mache daraus kein Hehl. Er habe gerade genug Grauen empfunden vor sich selbst, vielmehr vor dem richtigen Geist; denn jeden Augenblick hätte der ihm können das Genick umdrehen aus Zorn über die unbefugte Nachahmung. Auch wäre er gewiß, daß er seine Vermessenheit noch zu büßen haben werde, und dies trotz seiner aufrichtigen Reue. Geister wären nun einmal von unerbittlicher Rachsucht.

Frage: Ob er sonst nichts fürchte? Antwort: Was er wohl fürchten sollte? Ihren Nagel oder Strick? Sie könnten ihm nichts anhaben. Töteten sie ihn, würde alsbald der König wissen, daß es seine Richtigkeit habe mit der Verschwörung, die aufzudecken er ihn, den Narren, beauftragt hätte. D'Elbeuf sagte Henri ins Ohr: »Lassen wir den Menschen.« Henri indessen fragte noch, ob der Narr aus Haß gehandelt habe. Henri hatte in Schloß Louvre gelernt, den Haß jeder Gestalt mit Aufmerksamkeit zu betrachten. Antwort des Narren:

»Dich hassen, Navarra? Weil du hier statt meiner den Narren gemacht hast? Ich hatte dir gesagt, du könntest füglich in meine Rolle eintreten. Das ist weniger strafwürdig, als was ich selbst getan habe: den Geist äffen.«

Frage: Ob der Narr sich einer gewissen Kränkung erinnere; sie wäre ihm widerfahren während eines festlichen Umzuges, bei Musik und großer Beleuchtung. Antwort: Er erinnere sich. Gemeint war ein Biß in die Wange, den Henri gegeben, der Narr entgegengenommen hatte. Weder der eine noch der andere nannten eine so vertrauliche Sache beim Namen. Frage: Ob der Narr infolge der damals erlittenen Kränkung nicht dennoch mit Vergnügen getan hätte, was ihm heute nacht wäre verordnet gewesen. Antwort, hohl und mit Rasseln aus dem Innern: Er habe noch nie etwas mit Vergnügen getan, sondern alles in der geziemenden Traurigkeit, die auf das Ende sähe. Sein eigenes Ende sei nahe und werde gräßlich sein. - Darauf banden sie ihn los und verließen ihn.

Henri sagte zu seinen beiden alten Freunden noch: »Das war nun der Geist, von dem ihr mir die Einladung überbracht habt, und so werde ich belohnt, wenn ich euch folge.« Dann mochten sie beschämt ihrer Wege gehen.

In der dritten Nacht nach dieser aber drang aus der Kammer des Narren entsetzliches Geschrei, und als man sie öffnete, wurde der Narr aufgefunden, auf den Boden gewälzt mit umgedrehtem Genick. Den Zusammenhang begriffen alle, die bei der gefälschten Erscheinung nah oder fern zu tun gehabt hatten, und dies waren sowohl der König selbst, der vielleicht sogar zuviel wußte über diesen Sterbefall - als auch die Verschworenen mitsamt d'Elbeuf. Nur Henri erfuhr erst später, daß die schlimmen Ahnungen des Narren sich bestätigt hatten. Diesen Abend lag Henri zu Bett; wie schon oft, hatte er ein hitziges, aber flüchtiges Fieber, dessen Ursachen nie ein Arzt entdeckte, sie waren wohl geistiger Natur. Bei ihm befanden sich d'Armagnac und Agrippa d'Aubigné, den der Erste Kammerdiener herbeigerufen hatte. Denn nahe zum Kopfkissen seines Herrn geneigt, hatte d'Armagnac merkwürdige Worte vernommen. Jetzt hielten beide das Ohr hin; Gesang hörten sie, schwach, aber deutlich: »Herr Gott, mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor Dir.«

Der Fiebernde sang weiter; nicht alles verstanden sie, aber es war Psalm 88. Die Stelle kam:

»Meine Freunde hast Du ferne von mir getan, Du hast mich ihnen zum Greuel gemacht. Ich liege gefangen und kann nicht auskommen.«

Da erfaßten sie ihn bei der Hand und hielten ihn bei der Hand, solange er das Psalmlied der Kinder Korahs von der Schwachheit der Elenden ihnen vorsang. Ihr lieber Gebieter sollte nicht glauben, der HERR verstoße seine Seele und verberge das Antlitz vor ihm. In seiner schwachen Stunde sollte er dennoch wissen, daß seine Freunde und Nächsten und seine Verwandten keineswegs sich ferne von ihm täten, um solchen Elends willen.

Hier hatte Henri sich versöhnt und neu verständigt mit seinen alten Freunden. Hier begann eigentlich sein Aufbruch.

 

Der Aufbruch

Eines Tages war er verschwunden - vorerst nur zum Schein und um die Wirkung zu erproben. Es entstand aber große Aufregung deswegen. Die Königinmutter fragte d'Aubigne, wo sein Herr wäre. Henri war einfach in seinem Zimmer, was d'Aubigne ihr nicht sagte. Ein Edelmann, der ihn zu bewachen hatte, wurde auf die Suche geschickt. Diese blieb natürlich umsonst, Henri indessen war gewarnt. Die folgende Woche sah er es darauf ab, sich bei der Jagd zu verspäten und erst zurückzukehren, wenn schon große Sorge herrschte. Zwei Tage bevor er Ernst machte, vermißten sie ihn die ganze Nacht; am Morgen später erschien er dann in der heiligen Kapelle, gestiefelt und gespornt, und erklärte lachend, er brächte den Ausreißer wieder; und er hätte sie nur beschämen wollen wegen ihres unnötigen Mißtrauens: er, den die Majestäten geradezu fortjagen müßten, sonst ginge er nicht, sondern stürbe zu ihren Füßen! Für diesen Zug wurde er nachträglich viel bewundert - hatte aber auch lange genug gedient, bis er das konnte.

Den Freunden ging es nicht schnell genug. Jetzt durften sie frei reden. Ihr Herr erlaubte es, um ihnen Genugtuung zu geben und sich in Geduld zu üben. Sie benutzten es auch und fügten eine lange Reihe vorzüglicher Worte zusammen, da sowohl Agrippa als Du Bartas Vertrauen setzten in die Kraft und Dauer der Worte, die für entschlossene Seelen ganz wie Handlungen sind und, einmal aufgezeichnet, den Nachruhm versprechen. Sie sagten ihrem Herrn rundweg, daß er sich gegen seine Größe versündigte und selbst schuldig wäre an den hingenommenen Beleidigungen. Wollte er aber auch alles vergessen, so vergäßen doch die Schuldigen nichts, und ihm wieder glaubten sie niemals, daß er vergessen hätte der Bartholomäusnacht! »Wir beide, Herr, wollten schon ohne Sie losgehen, da sangen Sie den Psalm. Wären wir erst fort, dann können Sie sich selbst sagen, Herr, daß andere dienende Hände nicht wagen werden, von sich zu weisen das Gift und das Messer, sondern werden sie gebrauchen.«

»Ihr hättet mich dennoch verlassen und aufgegeben?« fragte er zum Schein, damit sie die ersehnte Gelegenheit bekämen, noch weiter tugendhaft und gut zu reden. »Ihr hättet es gemacht wie Mornay. Denn ihr alten Freunde seid alle gleich. Mornay hat sich nach England in Sicherheit gebracht, rechtzeitig vor der Bartholomäusnacht.«

»So war es nicht, Sire. Er hat nicht mehr Zeit dafür gehabt; das aber ist Ihnen unbekannt geblieben, weil Sie sich den Berichten Ihrer alten Freunde so lange entzogen haben und wollten nicht hinhören, wenn wir zu murren wagten.«

»Ihr habt recht, und ich muß euch abbitten«, erwiderte er gerührt, worauf sie ihm alle Erlebnisse ihres Gefährten Du Plessis-Mornay erzählen durften, obwohl er sie besser kannte als die beiden. Aber meine Freunde wollen nun einmal vor mir voraushaben, daß sie einiges wissen, was mir verborgen ist: zuerst über mich, dann über meine anderen Freunde. Daher wunderte Henri sich laut, wie der mutige und kluge Philipp sich in der Bartholomäusnacht hatte durchschlagen müssen, mitten durch die Mordbande, die gerade eine Buchhandlung durchsuchte nach freigeistigen Schriften und den Buchhändler niedermachte. Aus Stolz war Philipp ohne Paß abgereist, war dennoch nach England gelangt, das Land der Emigranten, und hatte, man frage nicht wie, abgewartet, daß Friede würde und die Amnestie käme. Dann Reisen zu den deutschen Fürsten, damit sie in Frankreich einfielen: das Leben eines umgetriebenen Diplomaten, wenn es nicht das eines heimatlosen Verschwörers war. Henri, der nichts Neues erfuhr, wurde dennoch immer nachdenklicher. So viel Unruhe, Mornay! So viel Dienst, Mornay! So viel Tugend! Ich war gefangen, und zuletzt beinahe gab ich mich gefangen.

Da endlich rückten sie unbewußt mit der Hauptsache heraus. Auch die Herren de Saint-Martin-d'Anglure und d'Espalungue drängten zum schnellen Aufbruch! Seine Freunde, die sich auf diese angenehmen Edelleute beriefen, wußten noch nicht, wer sie waren: die schlauesten der Spione. Er verschwieg es ihnen weiter, wahrscheinlich hätten sie sonst die Verräter zum Kampf herausgefordert, und alles wäre für einige Zeit verfahren gewesen. Dagegen beriet er sich mit seinem eigenen Vertrauten, Herrn de Fervaques: Soldat, kein Jüngling mehr, gerad und schlicht. Dieser riet ihm in aller Aufrichtigkeit, ein kurzes Ende zu machen und nur erst loszureiten. Was denn Spione! Er selbst wäre wohl fähig, sie unterwegs in die Irre zu führen, so daß sie die Spur des Flüchtlings verlören. Die Zuversicht des redlichen Mannes schien von guter Vorbedeutung. Am dritten Februar wurde aufgebrochen.

Vorher gingen ein Abschied und eine Komödie, beide mit Herren des Hauses Lothringen. Henri wartete, wo d'Elbeuf allein vorbeikäme: trat hervor und sah ihn nur an, da wußte d'Elbeuf. Immer hatte er das Wichtigste ermittelt und erkannt, ohne Worte oder Zeichen. In Gefahren war er von selbst zur Stelle gewesen, zweideutige Fragen hatte er geklärt, Menschen durchschaut und Abenteuer zum Besten gewendet. Er allein begehrte kein Vertrauen eines Bündnisses. Das alles verstand sich beiseite. D'Elbeuf war da, schien nichts zu geben und verlangte nichts. Auch hatte er den Herrn seines Sinnes wohl beschützt, dabei aber niemand verraten, besonders sein Haus nicht. Ein Guise kann nicht durch das Land reiten mit Navarra und kann sich nicht schlagen für ihn, bis er König ist. Dies stand fest für beide, d'Elbeuf und Henri. Da nun Henri unerwartet hervortrat, schössen in ihrer beider Augen die Tränen, und die Lippen zitterten ihnen, so daß nur wenige, entstellte Worte hinübergelangten in diesem äußersten Augenblick. Gleich danach waren sie auseinander.

Die Komödie dagegen spielte auf Kosten des Herzogs Guise mit dem Schmiß. Der Goliath und Held der Pariser mußte zuerst noch einen ganzen Morgen zum besten gehalten werden, warum eigentlich? Henri warf sich in aller Frühe über das Bett des Herzogs und schwärmte ihm vor, jetzt aber würde er wirklich Generalstatthalter im Königreich, Madame Catherine hat es versprochen! Wie da gelacht wurde im Zimmer des Herzogs, von allen, die dabei waren, als Guise aufstand! Auch wich der Possenreißer nicht von der Seite des großen Mannes, bis dieser vorschlug: »Gehen wir auf den Jahrmarkt, dort zeigen sich die Spaßmacher, wollen sehen, wer es mit dir aufnimmt!« Sie gingen auch hin, der eine von ihnen schon wieder gestiefelt und gespornt, und wollte den anderen durchaus mit auf die Jagd nehmen, schmeichelte ihm, streichelte ihn, ließ ihn nicht aus der Umarmung gezählte acht Minuten lang, und das vor allem Volk. Der Herzog hatte heute mit seiner Liga zu tun, zur Jagd konnte er nicht reiten, darüber war Henri beruhigt. Und endlich ritt er denn selbst.

Den Hirsch zu jagen ist ein seltenes Vergnügen, man kann es nicht laut genug verkünden. Aber der Wald von Senlis ist weit, wir werden übernachten müssen, bevor wir ihn jagen, und können morgen erst spät zurück sein. Daß sich niemand beunruhige wegen des Königs von Navarra! Es ist Herr de Fervaques, der spricht. »Ich kenne ihn doch, er freut sich wie ein Kind darauf, in einer Köhlerhütte zu schlafen. Ich will hierbleiben, um seine Vögel abzurichten!« In Wahrheit wurde Fervaques zurückgelassen, damit er beobachtete, was geschah, wenn die Flucht offenbar wurde. Er sollte Boten nachschicken, um zu melden, welchen Weg die Verfolger nähmen. Daran hielt er sich treulich, und einen ersten Berittenen fertigte er ab, sobald in Schloß Louvre die Beunruhigung aufkam. Der König von Frankreich äußerte bange Ahnungen, seine Mutter redete sie ihm aus. Sie und ihr Zaunkönig ließen einander nicht sitzen! Kleine Verspätungen wollte sie ihm nachsehen. Wie verliebt in Sauves hatte er sich noch den letzten Abend gezeigt - und nicht nur in Sauves! Den hält bei uns vieles!

Am Ende des zweiten Tages, der ein Sonnabend war, beherrschte auch Madame Catherine sich nicht länger. Sie ließ ihre Tochter rufen, und in Gegenwart ihres königlichen Bruders sollte Margot sich ausweisen, wo ihr Gemahl wäre. Sie gab an, sie wüßte es nicht, obwohl ihr dabei schwül wurde. Die Lage fing an dem Familiengericht zu ähneln, wie es zu der Zeit ihres Bruders mehrfach über sie abgehalten worden war. Wie könnte sie nichts wissen, so wurde ihr scharf vorgehalten; hatte ihr Mann doch die Nacht vor seinem Verschwinden bei ihr verbracht! Das wohl, aber sie hätte nichts bemerkt. Wirklich? Keine geheimen Unterredungen oder Aufträge - und nicht einmal das leiseste Geständnis sollte sie empfangen haben auf dem Kopfkissen? Da in den glanzlosen Augen ihre Mutter das gewisse unheilvolle Funkeln aufsteigen wollte, streckte die Arme ihre schönen Hände vor und schrie verzweifelt: »Nein« - was nur dem Wortlaut nach keine Lüge war. Denn Margot hatte der ausdrücklichen Enthüllung ihres lieben Herrn durchaus nicht bedurft; von selbst fühlte sie: seine Zeit war gekommen.

Früher einmal hatte sie ihn unbedenklich ihrer Mutter verraten - um dem Übel vorzubeugen, wie sie meinte. Jetzt mag im Grunde niemand mehr aufhalten, was überfällig ist: warum dann nur Margot allein. Madame Catherine hebt nicht die Hand gegen sie; aber das täte sie gewiß, wenn hier noch etwas zu bestrafen wäre. Im Gegenteil gibt es hier nur Geschehenes, das anzuerkennen ist, und das heimlich schon Zugelassene, das endlich offen eintritt. Daher kam es, daß nachher beim Zubettgehen der König wohl betroffen war, aber keineswegs außer sich geriet, als Fervaques ihm alles beichtete. Es war eine Ohrenbeichte. Länger als eine Stunde und eine halbe hing Fervaques am Ohr des Königs. Dieser vergaß, daß er handeln mußte, gab keinen Befehl, saß nur, hörte, und bemerkte nicht mehr, wie die ganze Zeit jemand ihm die Füße kratzte.

Fervaques hatte es, soviel er wußte, mit Henri ehrlich gemeint. Dem König von Frankreich schuldete er persönlich nichts, denn der mochte ihn nicht und hatte ihn an keine höhere Befehlsstelle berufen. Verbunden war er der Majestät, durch alte Zucht und Treue, wäre auch nie von ihnen abgewichen. Durch einen reinen Zufall überraschte er eines Tages Henri mit d'Elbeuf, und stand auf einmal vor der Notwendigkeit, die ganze Gesellschaft von Neuerern zu verhaften oder sich ihnen anzuschließen, wie sogar ein Herr aus dem Hause Lothringen es getan zu haben schien. Er sah, daß sie vieles für sich hatten, vor allem ihre wohlerzogene Mäßigung, die niemandem und auch ihm selbst nicht jemals konnte gefährlich werden. Ihre Sache war es wert, verbessert zu werden durch die Beteiligung eines Mannes vom echten Schrot und Korn, das war Fervaques; und darum war er fortan der Vertraute, Vermittler, eingeweiht wie keiner, übrigens seiner Mannhaftigkeit wohl bewußt - weshalb er auch manchmal denken mochte: Aus denen wird nichts, ich mit meinen Leuten würde sie schnell erledigt haben, in einem Wald niedergemacht, in einem Sumpf ersäuft. Soldat, kein Jüngling mehr, gerad und schlicht, konnte Fervaques sich das Ende von »Politischen« oder »Gemäßigten« nicht anders vorstellen. Statt dessen brachen sie wirklich auf.

Da erkannte Fervaques, daß sie ohne ihn es toll treiben und dem Lande nur schaden würden. Sein Hauptbeweis war den Undank Navarras gegen ihn selbst, den man einfach zurückließ. Er rang ehrlich mit sich, bis seine alte Zucht und Treue obenauf kam und ihn bewog, zu beichten. Sobald der Entschluß feststand, drängte Fervaques sich an den König beim Zubettgehen, was ihm leicht wurde wegen seines gewaltigen Wuchses - erbat das königliche Ohr für eine wichtige Meldung und begann sogleich: »Sire, im Dienst Eurer Majestät hab ich mich eingelassen in eine Sache, die meiner ganzen königstreuen Vergangenheit widerstrebte; dadurch aber bin ich jetzt glücklich instand gesetzt, die Verbrecher Ihnen auszuliefern. Für mich verlang ich keinen Lohn. Mein Sohn allerdings hat ein verschuldetes Gut, das durch Zukauf vergrößert werden könnte.« So war Fervaques. Später, als Marschall und Gouverneur, sollte er auch noch für die Guise arbeiten, nur solange sie zahlten natürlich - endlich aber seine Provinz dem König Henri Quatre verkaufen. Bevor er starb, schrieb er ein weihevolles Testament, von allen zu lesen, und schied von hinnen mit dem Bewußtsein, in jedem Zeitpunkt seines rauhen und biederen Wandels getan zu haben, was gerade damals zum Besten des Ganzen war.

Jemand erriet richtig, was Fervaques dem König ins Ohr sagte. Dies war Agrippa d'Aubigné - auch er bis jetzt noch zurückgeblieben, damit man nicht glauben sollte: ohne seine Hugenotten flieht Navarra nicht! Beim Torschluß fing er den Verräter draußen ab, riß ihm die Maske vom Gesicht und überließ ihn seiner Schande. So wenigstens faßt ein Agrippa es auf, wenn ein Fervaques keine Antwort findet und stumpfsinnig schweigt. Schließlich knurrte der gerade und schlichte Soldat doch ein Wort, dem enteilenden Agrippa nicht mehr vernehmbar.

»Federfuchser!« knurrte Fervaques.

Dies sind wahrhaft verlorene Minuten. Aber jede ist kostbar, denn so lautlos betroffen der König war, es kann nicht fehlen, daß die Verfolger ihre Pferde schon satteln. Agrippa eilt zu Roquelaure, einem katholischen Edelmann, an den er glaubt und mit Recht. Aufgesessen und zu zweit dahingejagt unter den Sternen. Vor Senlis finden sie ihren Fürsten; seit Sonnenaufgang hat er den Hirsch verfolgt, und jetzt ist Nacht. »Was gibt's, ihr Herren?«

»Sire, der König weiß alles. Fervaques! Nach Paris führt der Weg des Todes und der Schande; überall sonst geht es ins Leben, in den Ruhm!«

»Muß man mir nicht erst erzählen«, antwortete Henri dem beredten Dichter.

Aber es ist im Gegenteil vorzüglich, daß er es ausdrücklich hört, und ist ein dankenswerter Eingriff, daß Verrat ihm die Rückkehr ganz unmöglich gemacht hat. Wer kann sonst wissen. Zwanzig Stunden heftiger Bewegung des Körpers lassen viel vergessen. Der Weg nach Paris wäre der gewohnte, auch die Ketten sind dort bekannt. Die neuen werden vielleicht schwerer wiegen. Die alten Waffengefährten, denen er wieder zureitet, erwarten bei Henri dieselbe blinde Erbitterung, die sie selbst sich all die Zeit erhalten haben. Er aber, in Schloß Louvre, hat gelernt. Überließe er dennoch besser die Entscheidung dem Schicksal das vielleicht den Rückweg verlegt? Sieh da, er ist verlegt! Wir reiten.

Die kleine Truppe, zehn Edelleute mit Roquelaure, d'Aubigné und d'Armagnac, ließ sich gerade aus einer Schenke leuchten. Als sie einzeln hervorkamen, sprach Henri zu jedem im Vertrauen: »Unter euch sind zwei Verräter. Paß auf, wem ich die Hand auf die Schulter lege!« Er legte sie zuerst Herrn d'Espalungue auf die Schulter und sagte: »Ich habe vergessen, mich von der Königin von Navarra zu verabschieden. Reiten Sie zurück und melden Sie ihr, daß niemand es bereut, der ehrlich zu mir hält.« Dasselbe tat er mit dem zweiten Spion, ihn schickte er zu dem König von Frankreich. »Ich kann ihm in der Freiheit besser dienen«, dies sollte der zweite ausrichten. Beide, die ihre Unehre erkannt sahen, warfen sich auf die Pferde. Die anderen Edelleute konnten unmöglich die Ruhe bewahren. »Bedenken Sie, Sire! Diese gefährlichen Menschen werden die Bauern auf uns hetzen. Wir sind nicht sicher, solang sie unterwegs sind. Sie müssen sterben.«

Henri hielt sein Pferd am Halfter, er antwortete ihnen so munter, als wären sie noch immer auf der Jagd oder beim Ballspiel. »Getötet wird nicht mehr«, antwortete er, stieß seinen Lieblingsfluch aus, die ins Komische gezogenen geheiligten Worte, und rief: »In Schloß Louvre hab ich genug Tote gesehen!« Damit setzt er sich an die Spitze der Seinen, indessen weithin die Umrisse der Spione zerstoben im Mondweben, aber ihre Hufe stampften und rissen aus, was das Zeug hielt.

Gemäß der Lage wurde ohne viele Worte beschlossen, wohin man sich in Sicherheit brächte: nicht mehr nach Osten, zur Grenze, die sie schwerlich erreicht hätten, sondern nach Westen in die guten festen Städte der Hugenotten. Die Wege dorthin standen allen frei, sie wählten frei den ihren, sprengten den Wald entlang und entsandten in die sternblaue Luft, weil sie freudig waren, Gelächter, oder gaben von sich Hetzrufe, als wären ihre Hunde noch hinter dem Hirsch her. Kamen sie über einen hellen Acker, dann fragten sie die Bauern, die von dem Lärm aus den Betten krochen, ob der Hirsch nicht wäre vor den Wald getreten - niemand hätte geglaubt, so lustige Jäger könnten auf einer Flucht um Tod und Leben sein. Sie selbst dachten kaum mehr an die Gefahr, die von den Spionen drohte. Eher besann sich der eine oder andere darauf, daß ihr Unternehmen noch keinen Tropfen Blut gekostet hatte; und es floß sonst doch reichlich, wo viel weniger auf dem Spiel stand. Einer, natürlich war es Agrippa, sah darin etwas Großes. »Sire! Getötet wird nicht mehr. Ein neues Zeitalter bricht an.« Er wollte gewiß nicht schmeicheln. Agrippa übertrieb nur gern seine Eindrücke, die erhebenden wie auch die, unter denen man daliegt wie Hiob.

Sie ritten die ganze eisige Nacht, immer gegen Pontoise; aber in der ersten Frühe des fünften Februar, an einem Sonntag, ließen sie ihre Tiere durch den Fluß waten - voran und allein der Fürst und sein Stallmeister, d'Aubigne. Die anderen blieben noch zurück, damit er der erste wäre und damit ein Zeichen den Vorgang größer machte. Dasselbe begehrte Agrippa. Beide gingen, die Zügel ihrer Pferde über den Arm gehängt, das Ufer der Seine hin und her, wodurch sie sich erwärmten: da bat Agrippa, sein Gebieter möchte mit ihm, um des Dankes willen, Psalm 21 sprechen. »Herr! Der König ist froh Deines göttlichen Schutzes.« So sprachen sie einmütig im Morgennebel.

Jetzt stießen zu ihnen nicht nur ihre paar Gefährten: ein Trupp von anderen zwanzig Edelleuten jagt unverhofft daher. Zwar waren alle in Paris heimlich benachrichtigt worden, mit dem Augenblick ihres Eintreffens aber wird aus den Flüchtlingen insgesamt ein berittener Haufe: der überlistet keine Verfolger mehr, er wird hart klopfen ans Tor der Städte im Namen seines Herrn. Unter diesen ersten zwanzig ist ein Sechzehnjähriger, er läßt sich, vom Pferd auf das Knie gleiten vor Henri. Aber Henri hebt ihn auf und küßt ihn - als Lohn für die vernünftige Klarheit und Echtheit in dem Knabengesicht, ein Gesicht aus dem Norden, von der Grenze der Normandie. Der weiß: mit mir fährt er sicher! »Küß mich auch, Rosny!« Und Rosny, später Herzog von Sully, darf das erstemal, mit gespitzten Lippen, die Wange seines Fürsten berühren.

Hier sind die werdenden Geschicke versammelt am Ufer der Seine, in waldiger Gegend, unter wechselndem Licht aus den Wolken, die nicht verweilen und so auch die Geschicke nicht. Noch verhalten alle Gegenwärtigen sich zueinander gleich; sogar ihr König hat bisher nichts, was sie nicht hätten, die Jugend und die neugewonnene Freiheit. Die Schatten des Himmels ordnen sich zeitweilig, so daß sie über die vordere Ansicht fallen und auch den Hintergrund bedecken. In bestrahlter Mitte, breit flutendem Licht, winkt Henri einen nach dem anderen zu sich. Mit jedem steht er einmal allein, umhalst ihn oder schüttelt ihm beide Schultern oder drückt seinen Arm. Es sind seine ersten. Wäre er wissend, dann erkennte er in den einzelnen Gesichtern ihre künftige Bedeutung, sähe im voraus ihren letzten Blick, und wäre ebensooft erschüttert als entsetzt. Einige werden ihn ehestens verlassen, mehrere begleiten ihn bis in seine letzte Stunde. Den muß er mit Geld halten, und der dient ihm noch immer aus Liebe, als schon fast alle seiner müde sind. Aber Feindschaft, Freundschaft, Treue und Verrat: alles gleichermaßen arbeitet an dem gemeinsamen Werk derer, die ihre Zeit zusammen leben sollen.

Willkommen, Herr de Roquelaure, einst Marschall von Frankreich! Du aber, Freund Du Bartas, willst mir so früh schon sterben, nach einer meiner schönen Schlachten? Rosny, wenn wir beide nur Soldaten wären, dies bliebe wohl ein kleines Land. Sully hat den großen Verstand für die Zahlen, ich habe das große Herz für die Menschen: durch beides wird dies das erste der Königreiche sein. Mein Agrippa, leb wohl, ich werde früher heimgehen, du aber ins Exil - als alter Mann und um der Religion willen, die wieder verfolgt sein wird, sobald ich die Augen schließe. Das Licht flutete breit in die Mitte, dennoch blieb alles unsichtbar.

Zu sehen waren junge glatte Gesichter, in ihnen die gleiche Freude, dabeizusein und dahinzureiten den gemeinsamen Weg. Was der Haufe alsbald auch tat. Im nächsten Ort schlugen sie sich voll Nahrung und pumpten sich voll Wein, wurden davon aber nur leichter und unternehmender, verfielen auf Streiche, verschleppten einen Edelmann. Der Gutsbesitzer bekam Angst um sein Dorf beim Herannahen des Haufens, lief ihm entgegen und wollte ihn bewegen, im Bogen herumzureiten. Für den Hauptmann hielt er Roquelaure, weil der am meisten blankes Metall an sich trug. »Bewillt, Herr, Ihrem Dorf geschieht nichts, aber zeigen Sie uns den Weg nach Châteauneuf!« Wenn er mit ihnen kam, konnte er keine Neuigkeiten über sie umhertragen. Unterwegs sprach er nur vom Hof, um sich als Mann von Welt hervorzutun; kannte auch alle Liebhaber der Damen, besonders die der Königin von Navarra, und rechnete sie ihrem Gatten einzeln vor. Als sie nun zur Nacht vor der Stadt Châteauneuf ankamen, geschah es, daß Frontenac die Mauer hinauf sprach zu dem Offizier, der drinnen befehligte. »Öffnen Sie Ihrem Herrn!« Die Stadt gehörte zu einem Dominium des Königs von Navarra. Der Edelmann vom Lande, den Befehl hören, und starre Furcht bemächtigte sich seiner; kaum daß d'Aubigné ihn bewegen konnte, sich in Sicherheit zu bringen auf einem Pfad, der nirgends hinführte. »Und drei Tage lang kommen Sie gefälligst nicht nach Haus!«

Sie übernachteten nur und ritten auch schon fort, in einem Zug bis Alençon, und diese Stadt liegt von Paris mehr als halbwegs zum Ozean. Sie schafften es aber mit der Kraft ihrer Schenkel. Solange hielten die Pferde aus, als sie die andauernde Kraft der Mannesschenkel fühlten - und desgleichen hatten sowohl Achill als auch Karl der Große mit allen berühmten Gefährten ihre Königreiche durchquert.

 

Prinz von Geblüt

In Alençon nun geschah es, daß während dreier Tage nicht enden wollte der erstaunliche Zudrang von Edelleuten, zuletzt waren es zweihundertfünfzig. Flüchtlinge sind unterwegs verwandelt in Eroberer, denen Städte sich öffnen, und werden erwartet, noch bevor sie da sein können. Fliegend verbreitet sich das Gerücht, da hilft es nicht, einem einzelnen Gutsbesitzer den Mund zu verbieten: schon bis Paris weiß man alles. Die Zudringenden sind nicht alle durchweg von der billigen Art, die jeden Erfolg alsbald vergrößern helfen muß: auch die Freudigen und die Eifrigen kommen, noch nicht gerechnet, wie viele der Zorn antreibt. Das Gerücht sammelt sich in mehreren Provinzen auf, denn Alençon liegt zwischen Normandie und Maine. Es erreicht sie sogar weithin: einige der neuen Anhänger sind vom Hof. Woher und welchen Sinnes, alle werden aufgenommen von Henri.

Hier empörten sich die ersten, die allein die ersten bleiben wollten, besonders aber die alten Freunde: »Sire! So kann es nicht weitergehen. Unter den Neuen sind Mörder aus der Bartholomäusnacht. Sehn Sie denn nicht, Sire, auf den Stirnen den Verrat? Fehlt doch nur Judas selbst!« Und auch der traf ein. Sieh da, Fervaques!

Das Gut für den Sohn war jetzt schuldenfrei und durch Zukauf vergrößert, da hatte Fervaques sich gedacht: ›Es ist an der Zeit, das vorige Treuegelöbnis bei Navarra einzulösen. Ich und der König von Frankreich sind quitt, aber der von Navarra ist mir viel Geld schuldig, man hält ihn für eine aufsteigende Größe.‹ Gedacht, getan, und Fervaques, von mächtigem Wuchs, fiel vor Henri auf seine steifen Knie, alle Bretter krachten im Saal.

Nicht, daß Henri sich versagte, den Seinen zuzublinzeln. »Der Mann ist Gold. Daher hat er seinen Preis«, so sagte er; aber solche Dinge überhörte der Biedermann und überließ es vielmehr dem jüngeren Partner, die Sache in Ordnung zu bringen. Henri entschloß sich und drückte einen Kuß auf den eisgrauen Zwickelbart.

Von hier ab reiste der Trupp langsamer. Er vergrößerte sich fortwährend, auf offener Strecke und an den Stellen, wo einige Tage angehalten wurde. Deren waren vier; in der fünften Stadt verweilten der König von Navarra und sein Hof, weil sie sich jetzt und künftig in Sicherheit wußten. Saumur liegt in Anjou. Noch ein Tagesmarsch und sie wären in Saintonge gewesen, wo die Festung La Rochelle sich uneinnehmbar behauptet hatte alle die Zeit zwischen Land und Ozean. Henri ging dorthin noch nicht, weil er sich fürchtete vor dem Urteil dieser tapferen und unnachgiebigen Protestanten. Er selbst - nach seinem unbegreiflichen Zögern hatte er sich endlich eingefunden, und die gute Hälfte seiner Begleitung war katholisch! Mehr noch, er war es auch selbst und blieb es in Saumur die ganzen drei Monate, obwohl die Pastoren ihn erwarteten bei der Predigt. Er ging aber weder dorthin noch zur Messe. Nach seinem Vorbild handelten die Edelleute, so daß zu Ostern nur zwei von ihnen das Abendmahl nahmen. Der Hof von Saumur war »ohne Religion«, eine Seltsamkeit und eigentlich abschreckend.

›Was tut es, sie kommen!‹ dachte Henri. ›Sie stoßen zu mir in immer zunehmenden Mengen, überfüllen die Stadt und lagern vor den Toren. Ihnen ist es gleich, ob ich Hugenott, ob Katholik bin. Ich bin ein Prinz von Geblüt und soll Frieden und Einheit herstellen in diesem Königreich. Mich kümmert es wenig, was sie sonst glauben: erkennen sollen sie mich. Das ist nicht einfach, wie ich wohl zugeben muß. Ich komme als letzter, nachdem Monsieur und mein Vetter Condé, jeder für sich, das Land aufgewiegelt und großen Umtrieb gemacht hatten. Um so schlimmer, ich darf nicht wählerisch sein, von mir wird niemand unverrichtetersache fortgehn, und hätte er schon am Galgen gehangen!‹ So dachte er und sammelte Anhänger, um nur nicht allein und abseits zu stehen, wenn der Hof von Frankreich verhandelte mit den Aufständischen. Das bin ich nicht! Andere mögen sein, was sie wollen, ich bin nicht aufständisch - so sagte er jedem, und bei einem gewissen Anblick der Dinge dachte er es wirklich. Dann hielt er sich vielmehr für den Pfeiler des Königreiches, das vielleicht keinen anderen hatte.

Monsieur, der Bruder des Königs, ersah für sich Provinzen als persönliche Mitgift. Condé wollte sie sogar verschenken, an einen deutschen Fürsten seines Glaubens. Henri ließ ihm eröffnen durch seinen Abgesandten: Als einem Prinzen von Geblüt liege ihm allein an der Größe der Krone Frankreichs, nichts weiter wollte er für sich, mißbilligte auch, was Monsieur verlangte. Aber eher als die drei Bistümer auszuliefern an Johann Kasimir von Bayern und das Königreich aufzuteilen, viel eher ertrüge er - was denn? Herr de Ségur hatte Auftrag, es auszusprechen, sonst hätte er es wahrhaftig verschluckt; und Condé verfiel in seinen bekannten Jähzorn - denselben aus der Bartholomäusnacht da er zu sterben schwur, anstatt den Glauben zu wechseln; wurde aber katholisch siebzehn Tage vor Henri. »Mein Herr«, sagte der Abgesandte, »würde eher darauf verzichten, die Urheber der Bartholomäusnacht verfolgt und bestraft zu wissen, als daß er ließe das Königreich aufteilen.« Condé brüllte auf, so neu war dies Wort.

Auch in La Rochelle werden sie zornig aufbegehrt haben, und besser für ihn, Henri blieb noch von ihnen entfernt um wenigstens eine Tagesreise. Die erste Antwort auf ein so kühnes Wort heißt natürlich: Vergeßlich! Undankbar! Für wen sind sie denn gefallen, die Opfer der Bartholomäusnacht? Sie, Sire, gingen zu Ihrer Hochzeit, da führten Sie die Unseren zur Abschlachtung! Jetzt sollen unsere Toten ungerächt bleiben, damit der Herr in besserer Stellung um Land feilschen kann mit unseren Mördern. Bekennen Sie sich zu der Religion! Sonst werden auch wir noch vergessen, wer Ihre Mutter war. So klingt die Stimme der tapferen und unnachgiebigen Protestanten, reicht auch weit genug, Henri vernimmt sie - an seinem flüchtig aufgeschlagenen Hof, der »ohne Religion« ist. Führer der Protestanten sollt er sein: das ist jetzt für ihn ein anderer, sein Vetter Condé, der früher da war. Der ist eifervoll, vorschnell, und sieht nicht hinaus über den Krieg der Parteien. Dem Schwachkopf vertraut ihr, gute Leute von der Religion! Der lebt noch immer in den Zeiten des Herrn Admirals. Begreift nicht, daß es dasselbe wäre, das Königreich aufzuteilen wegen der Religion, als wenn man es zerreißt um des eigenen Vorteils wegen, wie der Irrwisch. Vetter Condé und der Mann mit den zwei Nasen sind gleich darin, daß sie nichts ausrichten werden und ungelegen kommen. Sie hätten bleiben sollen, wo sie waren. Aber am eiligsten hat es, wer ohne Auftrag ist.

So nannte Henri die Dinge für sich allein, während er aber in voller Tätigkeit fortfuhr, Anhänger aufzunehmen, durch ihre Zahl den Hof von Frankreich zu erschrecken, bis Angebote von dort eintrafen - und ließ sich mit dem Vetter, seinem früheren Freunde, nun einmal nicht reden, dann unterhielt er doch Einverständnisse in der Festung La Rochelle. Sie sollten drinnen erfahren, wer er wäre: ihr Freund wie je, aber ein Prinz von Geblüt. Sie bestanden darauf, er müßte zur Predigt gehn, und andernfalls hätte er nicht zu rechnen auf die von der Religion. Vetter Condé hatte Henri bei ihnen angeklagt als verlorenes Schaf. Aus der Gemeinschaft der Protestanten ausgestoßen, wäre er für den Vetter keine Gefahr mehr gewesen; und so wird der Vetter auch boshaft, weil er schon dumm ist.

Auf der anderen Seite stand es nicht besser; der Hof von Frankreich schloß Frieden mit Monsieur, infolgedessen Monsieur förmlich anschwoll von Provinzen, Pfründen, Pensionen. Dem König von Navarra wurde nichts bewilligt, als daß er im Namen seiner Majestät sollte Gouverneur der Guyenne sein, und damit bestätigte man nur seinen alten Titel. Er mußte noch froh sein, was hätte er sonst gehabt. Keine Partei, kein Land und besonders kein Geld. Damit allerdings gab er die Aufteilung des Königreiches zu - nur vorläufig, wie er beteuerte bei sich selbst. Aber das hilft nichts, wenn man abgehn soll als ein Zaunkönig in den Süden und ausgeschlossen bleibt von den großen Staatsgeschäften. Man weiß nicht, wie lange. Wer dächte gleich an zehn Jahre: das wäre doch die Ewigkeit für einen Dreiundzwanzigjährigen.

›Geboten ist Geduld, und die haben wir erlernt in Schloß Louvre. Aufschub, Nachgiebigkeit, Verzicht nach außen, im eigenen Innern aber der beharrliche Gedanke: durch diese Schule sind wir gegangen, darin übertrifft uns keiner. Meine Herren von La Rochelle, ihr müßt durchaus einen Parteiführer haben und er soll zur Predigt gehen? Ich gehe, ich geh schon. Wer das Königreich mit aufteilt, kann ebensogut auch die Religionen voneinander scheiden: eins so ungern wie das andere, nur gezwungen durch eure Hartnäckigkeit. Seht meine katholischen Edelleute, sie sind die Maßvolleren. Allerdings könnten sie mich auch gar nicht verlassen, sie stehn zu schlecht mit ihrem Hof. Die behalte ich, selbst wenn ich nicht mehr zur Messe gehe. Zur Predigt gehe ich aber, damit ich euch bekomme, die ihr nun einmal die Hartnäckigeren seid. Das wird euch später bei mir nicht gut tun, Starrköpfige mag ich nicht, obwohl unter ihnen die Tugendhaftesten sind, und wen sollte ich inniger lieben. Indessen kommt es vor, daß einer sich tugendhaft gibt und ist nur dumm und boshaft - weshalb zwischen mir und meinem Vetter Condé jetzt große Feindschaft sein soll. Er bringt seine Figuren in Stellung, ich aber, mit einem Zug setz ich ihn matt, ich geh zur Predigt!

Wüßtet ihr, gute Leute‹, dachte Henri, wenn er seinen Rückritt zur reformierten Kirche lange und gründlich prüfte - ›wüßtet ihr, daß es im Grunde nur ankommt auf eine Tatsache, einen Willen und ein gutes Glück!‹ Was er eigentlich meinte, seine Geburt als Prinz von Geblüt, er sagte es keinem; denn auch der Stolz kann sich verwandeln in eine innere List.

Seine Schwester Catherine ließ er nach Niort kommen. Dies ist eine Stadt auf der Grenze der Provinzen Poitou und Saintonge, schon ganz nahe dem Mekka der Hugenotten; das wird er erst als Wiederaufgenommener betreten, um sich seiner Rückkehr nicht schämen zu müssen. Am dreizehnten Juni in Niort schwur er feierlich den katholischen Glauben ab. Als lebenden Beweis hatte er neben sich die Prinzessin von Bourbon, seine Schwester, eine treue Protestantin in schwerster Zeit. Am achtundzwanzigsten desselben Monats zog er in La Rochelle ein. Da brauchte er die Stirn nicht mehr zu senken, und auch für ihn läuteten die Glocken, wie einstmals für seine liebe Mutter, die Königin Jeanne, deren Festung und Zuflucht hier immer gewesen war. Er selbst hatte die Stadt belagert mit einem katholischen Heer: dessen erinnerten sich manche, die schwiegen, wo er vorbeikam, und berührten einander mit den geballten Händen. Ihm entging nichts. Geboten ist Geduld. Deshalb denkt noch niemand an zehn Jahre: das wäre doch die Ewigkeit.

Auch katholische Herren waren bei ihm, absichtlich zeigte er sie hinter diesen Mauern. Ich hab im Land noch mehr als nur euch. Diese hängen keiner Religion an, sondern mir und dem Königreich, die einmal sollen eins sein.

Er sagte es keinem, oder führte nach dieser Richtung hin nur ein einziges Gespräch, mit einem Edelmann aus Perigord, derselbe übrigens, der eines vergangenen Tages sein Begleiter gewesen war hier am Meeresstrand, und, auch Zechkumpane waren sie geworden dort unten in einem zerschossenen Haus. Da Herr Michel de Montaigne mit eintrat unter einem Schub von Höflingen, stellte Henri sich in Gegenwart anderer, als kenne er ihn nicht besonders: sprach ihn nicht an, sondern lächelte merkwürdig an ihm vorbei, Herr Michel aber lächelte genauso verschwiegen. Sobald er konnte, schickte Henri die ganze Gesellschaft fort; auf seinen Wink blieb zurück nur der eine.

Im kühlen Saal mit ihm allein, umarmte Henri ihn und führte ihn an der Hand zum Tisch, stellte darauf auch selbst die Kanne und die beiden Gläser. Der arme Edelmann tat ihm mutig Bescheid, obwohl er nichts Gutes zu erwarten hatte von dem Trunk. Seit sie einander nicht gesehn, litt er an Nierensteinen. Damals hatte die Vorahnung des Alters ihn betrübt wie eine Wirklichkeit und diese kannte er jetzt. Er fing an, Badereisen zu machen, sollte damit auch fortfahren bis gegen Ende. Ihn hätten als Stoff für ein Gespräch am meisten gefesselt die Quellen jeder Art und aller Gegenden, sowie die Übungen der Nationen in ihrem Gebrauch, denn die Italiener tranken das Wasser lieber, die Deutschen tauchten sich öfter hinein. Er hatte zwei wichtige Entdeckungen gemacht, beide dem Altertum bekannt gewesen und seitdem vergessen. Erstens lebte der Mensch, der nicht badete, unter einer Kruste von Schmutz mit verstopften Poren. Zweitens wurde die Vernachlässigung der Natur von einer Klasse von Personen ausgenutzt zu ihrem eigenen Vorteil. Über den Stand der Ärzte hätte der Steinleidende sich stundenlang ergehen können unter Heranziehung des Kaisers Hadrian, des Philosophen Diogenes und vieler anderer. Er verzichtete auf dies alles, ja, es gelang ihm, während der Dauer der Unterhaltung seine eigensten Sorgen wirklich zu vergessen.

Henri fragte ihn, in welcher Absicht er gekommen sei, da fiel dem Edelmann gar nicht ein, von seiner Badereise anzufangen. Er sagte, daß er die seltsame Neuigkeit eines Hofes ohne Religion hätte aufsuchen wollen. Henri erwiderte ihm, daß man eher von einem Hof mit zwei Religionen sprechen könnte - worauf Herr Michel de Montaigne ihm ruhig lächelnd entgegenhielt: das wäre dasselbe. Von zwei Religionen könnte nur eine die echte sein, und nur dieser sollte man nachkommen. Wer daneben eine falsche zuließe, der mache keinen Unterschied und könnte eigentlich beide entbehren.

»Was weiß ich?« flocht Henri ein. Dies Wort blieb ihm unvergessen seit ihrem ersten Gespräch, und hier kam es ihm gelegen. Sein Gefährte verleugnete es nicht; er wiegte den Kopf und meinte nur, dies müßte man vor Gott sagen. Das Wissen Gottes teilten wir allerdings nicht mit ihm. Um so eher wären wir bestimmt, auf Erden Bescheid zu wissen, hier nun verständen wir das meiste vermittels Mäßigung und Zweifel. »Ich liebe die ausgeglichenen, mittleren Naturen. Maßlosigkeit selbst im Guten wäre mir fast zuwider, jedenfalls aber verschlägt sie mir die Rede und ich habe dafür keinen Namen.« Er wollte noch Platon erwähnen, Henri indes versicherte ihn lebhaft seiner Freude, daß der Herr mit ihm wenigstens auskomme. Auf gute Nachbarschaft zu Haus im Süden sollten sie ihre Becher leeren. Das tat der Edelmann, ohne an seine Steine zu denken. Freier im Herzen dank dem Wein, und mit geröteten Wangen ergab er sich unvermittelt der größten Offenheit. Er nannte dem jungen Mann, der ihm gegenübersaß, alles, was diesen leite, seine Feindschaften, Mißerfolge, sein verzweifeltes Schwanken zwischen den beiden Bekenntnissen, die Gefahr, leer auszugehen, allein zu bleiben und sogar wurzellos zu werden. Es ist ein auserlesenes Geschick, das solche Prüfungen mit sich bringt, und eigentlich nur deshalb war Montaigne hergekommen, wie sich zeigte.

Er wollte sehen, ob ein maßvoller, zum Zweifel geneigter Sinn sich mit Erfolg erwehren könnte der Ausschweifungen der Unvernunft, die ihn überall bedrohen. Darin vergeudet indessen die menschliche Natur sich fortwährend, wie die Geschichte lehrt und die alten Schriftsteller bestätigen. Geblendete, die nur toben und nichts erkennen: so stellt in der Regel das Geschlecht der Menschen sich dar. Der seltene Sterbliche, dem eine gesunde Seele vom Herrn der Himmel mitgegeben wurde, muß sie vor allen den gewalttätigen Kranken mit List verstecken: sonst gelangt er nicht weit. Die meiste Zeit der Menschheit ist vergangen mit den Ausbrüchen ihrer seelischen Erkrankungen und wird weiter mit ihnen vergehn. Das ist sogar noch ein Glück; denn Seelenleiden, die sich wenigstens entladen, sind noch die leichteren, omnia vitia in aperto leviora sunt.

Darauf brachte auch er einen Trinkspruch aus. Er war in Paris gewesen und hatte die Liga gesehn. Auf diesen gelungenen Ausbruch einer schweren Seelenerkrankung bat er Henri, sein Glas zu leeren. Dann sprach er so gefestigt und gefaßt, als ob er selbst der Kämpfer gewesen wäre gegen die Liga und ihr spanisches Gold, selbst der geduldige Sammler von Anhängern, selbst der Erbe des Königreiches - sprach: »Die Liga hat vor sich noch ihren Gipfel und Abstieg, danach kommt Ihre Zeit, Sire. Wir wollen nicht fragen, wie lange es mit Ihnen dauern wird und ob auf Sie nicht wieder der gewohnte Wahnsinn folgt. Das soll uns nicht kümmern. Ich werde ohne Zweifel noch meinen gekrönten König sehen.« Hierbei ergriffen ihn in Wahrheit schon seine gewohnten leiblichen Sorgen. Außerdem bemerkte er an seinem Zuhörer gewisse Anzeichen dafür, daß er genug gesprochen hatte, und stand auf.

Henri wurde aber nur bewegt auf das heftigste von seinem eigenen Bewußtsein: an dieses schlugen sämtliche Worte des Edelmannes wie an ein klingendes Erz. Er rief aus: »Sie sagen es, Freund! Ich bin ein Prinz von Geblüt.« Mit langen Schritten lief er durch den Saal und rief: »Weil ich Prinz von Geblüt bin, werd ich allen vorauskommen. Daher hab ich mein Recht und meine Begabung.«

Montaigne sah ihm nach. Er selbst hatte wohl eher eine Betrachtung gewagt über die gesunde und die kranke Seele der Menschen und der Zeiten. Indessen nickte er und sagte: »So meinte ich es.« Denn ihm schien und wurde deutlicher mit jedem Augenblick, daß sie im Chor gesprochen hatten: verschiedene Noten - eine Harmonie. Er verbeugte sich, um abzugehen, während er sein Schlußwort vorbrachte.

»Ein Name steht für vieles und erklärt, was niemals zu erklären wäre. Ein florentinischer Künstler, dessen große Werke ich rühmte, dachte sich vor mir zu rechtfertigen, weil er sie gemacht hatte, und er sagte: er hätte gar nichts gekonnt, außer durch den Vorzug, daß er abstammte von den Grafen von Canossa. Man nennt ihn Michelangelo.«

Henri schnellte auf den Abgehenden zu, umarmte ihn nochmals und sagte ihm ins Ohr: »Ich habe keine Werke. Aber ich kann sie machen.«

 

Moralité

Le grand danger du penseur est d'en savoir trop, et du prisonnier d'hésiter trop longtemps. Voilà ce captif de luxe, qui a des loisirs et des femmes, retenu par ses plaisirs en même temps que par les amusements désabusés de son esprit. Cependant il voit des fanatiques cupides entamer la moelle même d'un royaume que plus tard il devra redresser. Heureusement qu'il lui reste des amis pour l'admonester, une sœur pour le gifler à temps, et que même un spectre le relance afin de lui rappeler son devoir. Au fond il n'en faut pas tant, et son jour venu de lui même il prendra son essor. C'est sa belle santé morale qui lui donne l'avantage sur tous les immodérés de son époque. Comme un certain gentilhomme de ses amis, l'immodération dans la poursuite du bien même si elle ne l'offense, eile l'étonne et le met en peine de la baptiser. Par contre il possède le mot propre par quoil il signale et ses qualités et ses droits. En appuyant sur son titre de prince du sang c'est en réalité sur les prérogative de sa personnalité morale qu'il insiste.


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