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Jeanne

Die Festung am Ozean

»Ich habe es deutlich gesehen und gehört«, sagte Henri zu seiner lieben Mutter, als sie das erstemal ungestört sprechen konnten. Das war erst in Paris, obwohl Jeanne schon auf der Rückreise des Hofes sich ihm angeschlossen hatte.

»Weißt du, Mama, was ich glaube? Alba hat mich bemerkt. Das Laub im Kamin war nicht dicht genug, und ich stieß an die Zweige, sie bewegten sich.«

»Er kann angenommen haben, es sei der Wind. Würde er dich sonst nicht hervorgeholt haben?«

»Ein anderer hätte es getan, nicht dieser Spanier. Ich sah sein Gesicht, das war kein Mensch; und wäre es ihm der Mühe wert erschienen, dann hätte er einfach seine Klinge durch das grüne Zeug gestoßen, ohne erst zu fragen, wer dahinter stak. Aber dafür war er zu hochmütig, und außerdem war er sicher, nicht verstanden zu werden, so leise wie sie sprachen. Nein!« rief er, da Jeanne etwas einwenden wollte. »Nicht für mich zu leise. Ich bin dein Sohn, daher begriff ich, was sie mit dir vorhatten.«

Jeanne nahm seinen Kopf und legte seine Wange an ihre. Geradeaus ins Leere sagte sie:

»Die Menschen prahlen gern fälschlich, auch mit Schandtaten.«

»Die Menschen, aber nicht die Ungeheuer!« erwiderte er schnell und feurig. Plötzlich machte er sich von ihr los. »Komisch waren die beiden!« - und um es ihr zu zeigen, stelzte er zuerst wie der Herzog und watschelte dann wie Madame Catherine. Er war voll Begabung für die Posse, das sah seine Mutter; trotzdem lachte sie kaum. Daraus entnahm ihr Sohn, daß seine Erzählung ihr in Wahrheit zu denken gab.

Sie richtete es dann auch ein, daß sie mit ihm den Hof verlassen und das Weite suchen konnte. Sie handelte so vorsichtig, daß selbst Henri nichts vermutete; es begann mit einem Besuch eines ihrer Güter, von dem sie ganz harmlos zurückkehrte. Erst die zweite Reise, die Jeanne mit Henri unternahm auf seine Besitzungen in mehreren Provinzen, endete mit der Flucht nach Süden. Es war Februar, als sie in Pau anlangten, und der Prinz von Navarra war im vierzehnten Jahre seines Lebens, da bekam er seine ersten Unterweisungen im Regieren und im Kriegführen, was aber beides dasselbe war.

Jeanne behandelte ihre eigenen Untertanen wie Feinde, weil sie in der Abwesenheit der Königin sich gegen die Religion erhoben hatten. Die zarte Jeanne wurde für einige Zeit eine grausame Herrscherin. Ihren Sohn schickte sie mit einem großen Stab von Edelleuten samt Kanonen, um einen der Ihren zu rächen, und den Aufständischen erging es schlecht.

Gleich darauf versuchte ihr Verwandter Condé nicht mehr und nicht weniger als einen Überfall auf den König von Frankreich und seinen Hof. Die Königinmutter war der Meinung, das Zeichen für die neuen Unruhen im Norden wie im Süden habe die Flucht ihrer guten Freundin Jeanne gegeben; und wie immer, wenn es für sie nicht gut stand, wollte sie verhandeln. Sie schickte einen glatten Herrn mit einem schönen Namen; aber was er auch redete, Jeanne wußte, sie sollte nur wieder in die Gewalt des Hofes gelockt werden.

Daher forderte sie einfach für ihren Sohn die tatsächliche Statthalterschaft über die ganze Guyenne, die große Provinz mit der Hauptstadt Bordeaux; bisher hatte er nur den Titel. Da Katharina ihm mehr auch jetzt nicht zugestehen wollte, war alles klar. Sofort nahmen Coligny und Condé gemeinsam ihren Feldzug wieder auf. Jeanne ihrerseits hatte den Eindruck, jetzt werde man dazu übergehen, sich gewaltsam der Person des Prinzen Henri zu versichern. Den Kardinal von Lothringen besonders hielt sie für fähig zu allem. Er war gefährlicher als das Königshaus, das die Macht schon hatte. Der Guise begehrte sie erst, und Jeanne d'Albret wußte aus sich selbst, was das heißt.

Sie entschloß sich daher, aufzubrechen nach der Gegend der festesten protestantischen Stellungen, Saintonge genannt, nördlich von Bordeaux längs des Ozeans. Henri war in freudiger Erregung, anders als seine Mutter, die ihre Zweifel hatte.

»Warum weinst du, Mama?«

»Weil ich nicht weiß, was Recht und was Unrecht ist. Immer stellt Satan sich dem Guten entgegen, und wie ich auch handle, ich muß fürchten, daß er es ist, der mich antreibt.«

»Nein. Mir sagt Beauvois, daß ich groß genug bin, in den Krieg zu ziehen und zu kämpfen.«

»Und wer ist dein Beauvois? Hat Satan noch nie durch ihn gesprochen?«

»Diesmal bedient er sich des Mundes des Herrn de la Mothe-Fénelon.« Das war der Abgesandte Katharinas. »Ich erkenne die Stimme des Bösen genau!« rief Henri.

Darauf schwieg Jeanne. Sie war zu glücklich, daß wenigstens der Vierzehnjährige noch wußte, was recht ist. Blickte sie in sein kleines entschlossenes Gesicht, dann verachtete sie die Herren ihrer Umgebung, die ihr abrieten, mit dem Hof zu brechen, weil sie selbst nur Weltleute oder schwache Herzen waren. Dann fürchtete sie auch die Zuflüsterungen Satans nicht, und im eigenen Innern trug sie den Sieg davon. Ihr Sohn stand im Alter, die Waffen zu führen, das entschied!

Sie fragte nur noch, damit kein Zweifel übrigbliebe:

»Wofür, mein Sohn, wirst du streiten?«

»Wofür?« wiederholte er erstaunt, denn er hatte es ganz vergessen im Eifer und der Freude, sich endlich zu schlagen.

Jeanne ließ es gut sein, sie dachte: ›Es wird ihm wieder einfallen. Die Tücke der Feinde, besonders aber die des Schicksals wird es ihn lehren. Er wird sich jedesmal daran aufrichten, daß er für die wahre Religion kämpft. Wohl wird auch sein Blut sprechen; denn er ist seinem Onkel Condé näher verwandt als jedem katholischen Fürsten. Außerdem verlangt das Königreich, befriedet zu werden durch unseren Sieg‹ - setzte Jeanne um der Ehre willen hinzu. ›Aber die Hauptsache‹, dachte sie sofort wieder, ›bleibt der Dienst Gottes. Das ganze Leben meines lieben Sohnes wird aus einem Stück sein, und der Glaube fügt es zusammen.‹

So sehr irrte sich die Königin Jeanne über ihren lustigen Kampfhahn. Sie wollte nichts wissen von den Beinen der Prinzessin Margot, mit denen sie ihn doch selbst beschäftigt gesehen hatte, als ihre gute Freundin Katharina es ihr am Fenster, zeigte. Sie vergaß auch, daß er in der Klosterschule doch endlich seinen Glauben abgeschworen hatte und zur Messe gegangen war. Gewiß hatte er eine Zeitlang tapfer widerstanden, aber was kann ein Kind, dem alle hart zusetzen? Was vermag dagegen sogar ein Erwachsener, der Freunde haben, das Leben genießen und kein Märtyrer sein will. Die Königin Jeanne gehörte zu denen, die inmitten aller Prüfungen und des heftigsten Umtriebs doch immer ahnungslos und unerfahren bleiben. Dafür können sie selbst alternd noch lieben und noch glauben.

Henri kannte Jeanne besser, als sie ihn; deshalb bat er sie selten um Geld. Er spielte gern, tafelte viel und verschaffte sich die Mittel, indem er den Leuten unerbetene Schuldscheine ins Haus schickte. Entweder kehrte der Schein zurück oder das Geld kam; davon durfte seine Mutter nichts wissen. Nur der Krieg konnte seine Schulden bezahlen, wie der junge Mann erkannte. Er hatte nicht allein erhabene oder selbstlose Gründe, den Bürgerkrieg zu ersehnen. Er war damals wie andere hungrige Hugenotten. Das war auch gut für die Sache, der er diente, denn um so eifriger und überzeugter sprach und handelte er.

Jeanne brach mit ihm auf; aber als sie noch unterwegs waren nach der protestantischen Festung La Rochelle, ließen sie sich wieder einmal aufhalten von demselben Abgesandten des Königs von Frankreich. Er fragte den Prinzen von Navarra, warum er durchaus zu seinem Onkel Condé nach La Rochelle wollte. »Um Kleiderstoff zu sparen«, antwortete Henri sofort. »Wir Prinzen von Geblüt sollen alle auf einmal sterben, dann braucht keiner in Trauer zu gehen wegen des anderen.«

Derselbe Herr hielt Henri für dumm, sonst hätte er nicht versucht, ihn gegen seine Mutter einzunehmen. Ohne daß er sie nannte, sprach er von Brandstiftern. »Ein Eimer Wasser«, rief Henri sofort, »und der Brand ist aus!«

»Wieso?«

»Der Kardinal von Lothringen soll ihn saufen, daß er platzt!« Wenn der Herr dies nicht begriff, war er langsamer als der Fünfzehnjährige. Wer seine guten Antworten sich merkte, war Jeanne. Aus Freude über ihren Jungen ließ sie sich zu viel Zeit und wäre beinahe gefangen worden von Montluc, der ihr schon wieder auf die Fersen gesetzt war. Aber die beiden erreichten glücklich die feste Stadt am Ozean, und es war eine große, herrliche Freude, endlich nur Freunde um sich zu sehen. Davon glänzten ihnen die Augen, ob sie lachten, ob sie weinten. Coligny, Condé und alle, die schon dort waren und um sie Sorge gehabt hatten, feierten das Wiedersehen mit nicht weniger bewegten Herzen.

Das ist viel, eine Stadt des Wohlwollens und der Sicherheit, wenn hinter uns ein ganzes Land des Hasses und der Verfolgungen liegt! Auf einmal fällt das Mißtrauen, die Vorsicht wird abgelegt, und dem entronnenen Menschen genügt fürs erste schon das allein, daß er frei ist und atmet. Alles sagen dürfen, was dich gequält und erbittert hatte, und andere sehn dich an und sprechen aus derselben Brust. Beisammen sein und nur Wesen um sich haben, die man nicht verachten muß. Erlöse uns von dem Übel! Führ durch alle Gefahren die herbei, die ich liebe! Und jetzt sind sie da.

Er stand am Rande des Meeres. Sogar im Dunkel der Nacht konnte er unbesorgt vor Überfällen zum Hafen und auf das Bollwerk gehen. Die Wellen rollten mit Macht, prallten an, schlugen über, und ihr Gebrüll war die Stimme einer Weite, die ihn nicht kannte, im Wind aber schmeckte er eine andere Welt. Seine liebe Mutter hätte gemeint, wenn ihr Herz zu hoch schlug, es sei Gott. Ihr Sohn Henri berauschte sich an dem Gedanken, daß dieses große Wasser nicht aufhörte zu rollen und zu brüllen, bis es drüben an die unbekannte Küste des neuen Weltteils Amerika schlug. Sie sollte wüst, einsam und frei sein: er meinte, frei vom Bösen, vom Haß, vom Zwang, dies oder jenes zu glauben und, je nachdem, dafür leiden zu müssen oder die Macht zu haben. Ja, in der Nacht, umgeben vom Meer und auf den Steinen, die troffen vom Gischt, wurde der junge Sohn ganz wie seine liebe Mutter, und was er Amerika nannte, war eigentlich das Reich Gottes. - Die Sterne funkelten für Augenblicke hervor aus den jagenden, unerkennbaren Wolken, und so läßt auch die wolkenhafte Seele eines Fünfzehnjährigen für Augenblicke ein Licht durch. Später wird sie es nicht mehr können; die Erde unter seinen Füßen wird immer wirklicher und dichter werden, an ihr wird er haften mit seinen Sinnen und seinen Gedanken.

 

Der Preis der Kämpfe

Der Prinz von Navarra drängte die Alten, doch endlich loszuschlagen. Er wollte weder Beratungen noch Ansprachen. Den Vertretern der Stadt hatte er auf ihre Begrüßung geantwortet:

»So gut reden kann ich nicht, aber ich werde etwas Besseres tun - etwas tun!«

Endlich den Feind sehen, sich endlich rächen und zur Geltung bringen, endlich genießen!

»Das schreit zum Himmel, liebe Mutter, der König von Frankreich nimmt dir alle deine Besitzungen fort, und seine Truppen unterwerfen unser Land. Ich will kämpfen! Fragst du noch für wen? Für dich!«

»Den Brief an das Gericht in Bordeaux hat meine gute Freundin Katharina sich ausgedacht; es soll mich aller meiner Besitzungen verlustig erklären. Ich werde hier gefangengehalten, behauptet sie - als ob sie selbst das nicht vorhätte mit mir! Nein, dies ist eine Zuflucht und kein Kerker, wenn ich auch die Stadt nicht verlassen kann und verzichten muß auf den Genuß aller meiner Güter. Das Opfer sei Gott gebracht! Ja! Geh und besiege seine Feinde! Für ihn kämpfe!«

Hierbei faßte sie sein Gesicht in ihre beiden abgezehrten Hände. Es hatte Formen und Züge gleich den ihren; seine hohen schmalen Brauen, sanften Augen, klare Stirn, die dunkelblonden Haare, der feste kleine Mund, diese ganze magere Jugendlichkeit ahmte, von der anderen Seite des Lebens her, ihren Verfall nach. Aber er war gesund und wohlgeformt, seine Schultern und die Brust entwickelten sich, obwohl er nicht zu hoch zu wachsen schien. Seine Nase war zu lang, vorläufig senkte sich die Spitze nur wenig.

»Ich lasse dich fröhlich ziehen«, erklärte Jeanne mit der tiefen, klangreichen Stimme, die sie bekam, wenn sie über sich selbst hinausging. Erst als er fort, ganz fort war, erlaubte sie sich, heimlich zu weinen, in Tönen wie ein Kind.

Nicht viele weinten öffentlich in der Stadt La Rochelle, als das Heer der Hugenotten aus dem Tor zog. Sie freuten sich, weil die Stunde Gottes und seines Sieges nahe war. Die meisten Männer hatten ihre Lieben in der Ferne, waren ihnen entrissen und hofften fest, sie zurückzuerobern. Das ist eine Erlösung, in einen solchen Krieg zu ziehen.

Nun kam es aber, daß die von der Religion geschlagen wurden. Zwei schwere Niederlagen brachte das katholische Heer ihnen bei, und dies, obwohl sie an Zahl nicht schwächer waren; auf jeder Seite standen dreißigtausend. Die Protestanten bekamen Zuzug aus dem Norden wie aus dem Süden Frankreichs. Sie durften ferner hoffen auf die Prinzen von Orange und Nassau und auf den Herzog von Zweibrücken. Der Glaube kannte keine Grenzen von Land und Sprache, und wer für die Wahrheit ist, der ist mein Bruder und Freund. Trotzdem wurden sie zweimal schwer besiegt.

Es kam, weil Coligny zu langsam war. Er hätte viel stürmischer seinen fremden Verbündeten entgegenrücken müssen, um den Krieg ins Innere Frankreichs zu tragen. Statt dessen ließ er sich vom Feind schon überraschen, als er noch gar nicht weit gekommen war, rief Condé zu Hilfe und opferte den Prinzen von Geblüt, damit nur das Heer entkam. Bei Jarnac, durch einen Schuß aus dem Hinterhalt, fiel Condé. Die Freude war groß in der Armee des Herzogs von Anjou, der Leichnam wurde auf einer Eselin umhergeführt, damit alle Soldaten ihn sähen und die Ausrottung aller Protestanten für nahe hielten. Besser begriff Henri von Navarra, der Neffe des Toten, was Gott vorhatte. Jetzt kam er selbst dran, er wurde ein Führer.

Er hatte bisher zu Pferd gesessen, sonst nichts, aber es war viel. Dem Feind entgegenreiten, völlig schuldlos, rein und neu, während jener voller Sünden ist und bestraft werden soll. Das ist seine Sache, um so schlimmer für ihn, wir sind den ganzen Tag, fünfzehn Stunden, in Bewegung, ohne abzusitzen, herrlich, unermüdlich, und fühlen den Körper nicht. Der Wind nahm ihn auf, er flog, die Augen wurden immer heller und schärfer, er sah so weit wie nie vorher, weil er jetzt einen Feind hatte. Aber der war plötzlich nicht mehr nur im Wind und in der Ferne. Er kündete sich an, eine Kugel kam geflogen. Der Nachhall des Schusses ist schwach, die Kugel aber liegt wirklich am Boden schwer und aus Stein.

Am Beginn jedes Gefechtes hatte Henri Furcht, er mußte sich damit abfinden. »Wenn wir keine Furcht kennten«, sagte ihm ein Pastor, »könnten wir sie auch nicht überwinden zur Ehre Gottes.« Henri beherrschte seine Erregung und stellte sich auf denselben Platz, wo der erste gefallen war. Das hatte auch sein Vater Antoine getan und war getroffen worden. Ihn traf keine Kugel, seine Furcht war fort, und er ritt mit den Seinen, um die feindliche Artillerie zu umgehen. Wenn es gelang, das waren noch Streiche!

Jetzt war sein Onkel Condé nicht mehr da, dem unbesorgten Jungen wurde auf einmal Ernst und Verantwortung aufgeladen. Seine Mutter Jeanne eilte herbei, sie selbst stellte ihn den Truppen als Führer vor, der Kavallerie zuerst und dann der Infanterie. Henri schwor bei seiner Seele, seiner Ehre und seinem Leben, er werde die gute Sache nie verlassen, und ihm wurde zugejubelt. Dafür mußte er, anstatt nur durch den Wind zu reiten, auch im Rat sitzen. Das wäre ermüdend gewesen, wenn es nicht die guten Witze gegeben hätte. Ein Brief an den Herzog von Anjou machte ihm viel Vergnügen. So hieß jetzt der zweite noch lebende Sohn Katharinas, früher nur Monsieur genannt, auch ein Henri, einer der drei Henris aus der Schulzeit in Paris. Jetzt standen sie gegeneinander im Feld.

Dieser Henri hatte ihm hochmütig und belehrend geschrieben über seine Pflicht und Schuldigkeit gegen das Königreich. Das wäre noch hingegangen, aber der gesuchte Ton - entweder ein Sekretär, der ein Fremder sein muß, hat das mühselig stilisiert, oder Henri Monsieur, wenn er es selbst ist, weiß sich nicht mehr zu lassen vor lauter Geziertheit und Überzüchtung, wie seine Schwester Margot! Der Prinz von Navarra verhöhnte in seiner Antwort die ganze feine Familie. Der Schreiber hätte sich ausgedrückt wie ein Ausländer, die landläufige Sprache des gemeinen Mannes kenne er nicht. Na, und die gute Sache ist doch natürlich dort, wo man richtig Französisch spricht!

Henri berief sich auf die Sprache und den Stil. Damit verriet er etwas, das ihm nicht bewußt wurde: er selbst kam von anderswo, und seine ersten Laute waren nicht ganz diese gewesen. Inzwischen hatte er die Redeweise des Hofes, der Schule, endlich aber die der Soldaten und des Volkes erlernt, und das war seine liebste. »Das Französische ist die Sprache meiner Wahl«, sollte er später ausrufen, als er schon wieder wußte, wie es um ihn stand. Jetzt wollte er vielmehr glauben, daß es seine erste und einzige gewesen wäre. Er schlief mit seinen Leuten im Heu, wenn es grade so kam, zog auch die Kleider nicht aus, wusch sich nicht viel öfter als sie, roch und fluchte wie sie. Einen gewissen Vokal bildete er noch immer anders als sie, aber das wollte er nicht merken, hatte auch vergessen, wie damals auf dem Schulhof die beiden anderen Henris sich anstießen und ihn belächelten, weil er dem Wort Löffel einen falschen Artikel beigab. Noch immer gebrauchte er den falschen.

Manchmal erkannte er klar die Fehler in der Kriegführung, die Coligny machte. Das war, wenn die Lust zu leben und zu reiten den Jungen nicht völlig hinriß. Gewöhnlich schien es ihm wichtiger, sich zu schlagen, als die Schlacht zu gewinnen, denn lang und fröhlich war das Leben. Vor dem Admiral, einem alten Mann, mußte man Ehrfurcht haben, denn er hatte den Krieg erlernt; und erst die Niederlagen, die Siege und die Jahre, alles zusammen ergibt das Wissen. Dem Kriegsgott in Person, mit der Maske eines tragischen Denkmals, vertraute Henri keine Zweifel an, besprach sie nur mit seinem Vetter Condé, dem Sohn des gefallenen Prinzen von Geblüt, den Coligny geopfert hatte.

Sie waren einig in dem Punkt, der allein die Jugend zusammenführt: der Alte hat seine Zeit gehabt. Ihm gelingt nichts mehr - und wenn wir es schon besprechen: was ist ihm im Grunde jemals zum Vorteil ausgeschlagen? Versündigen wir uns nicht! Er hat Frankreich, wie alle Alten sich erinnern, gerettet einst in Flandern - wie hieß die Stadt? Die Guise hatten den Krieg damals gewollt gegen Philipp von Spanien, unseren angestammten Feind. Es sind alte Geschichten, vor unserer Zeit geschehen, wer kennt sie noch genau? Der Herr Admiral hatte abgeraten von dem Feldzug; im letzten Augenblick verhütete er dann die Niederlage, persönlich schloß er sich in die unbefestigte Stadt ein; aber wer wird belohnt? Nicht er, sondern die Guise, die Schuldigen an dem Krieg. Das ist noch schlimmer, als wenn er jenen Platz - ah! Saint-Quentin hieß das Nest - lieber gleich den Spaniern übergeben hätte. Wer keinen Erfolg hat -

Was wahr ist, soll es bleiben: er nahm zu seiner Zeit Boulogne den Engländern fort. Das weiß man noch. Er hat eine französische Flotte befehligt, und als ich von den Steinen in La Rochelle hinüberblickte nach der Neuen Welt, mußte ich denken, daß als erster von allen Franzosen Herr Admiral Coligny es unternommen hatte, eine französische Kolonie zu gründen. Vierzehn Emigranten mit zwei Pastoren segelten nach Brasilien, und natürlich wurde nichts daraus. Es ging ihm wie mit dem meisten anderen: er tat das Beste und verlor. Wer nun einmal erfolglos ist -

Er hat doch oft gesiegt - ja; aber es waren Siege gegen den König von Frankreich, den er immer nur versöhnen wollte mit seinen protestantischen Untertanen und nur befreien wollte aus den Händen der Guise. Daher mußte der Herr Admiral jedesmal faule Verträge schließen, und der Krieg fing von vorn an. Seine Mäßigung wollte beweisen, daß er zuletzt doch kein Aufrührer gegen den König sei - und doch hat er Karl den Neunten sogar gefangennehmen wollen, und der vergißt ihm nie, daß er hat fliehen müssen. Entweder ist man in Gottes Namen ein Aufrührer gegen den König oder man führt nicht erst Heere nach Paris - und läßt sich nicht an der Nase herumführen, anstatt die Hauptstadt des Königreiches einzunehmen, zu plündern und den ganzen Hof glatt niederzumachen! Statt dessen erscheint, sooft es für den Hof schlecht steht, ein königliches Edikt, das die Glaubensfreiheit den Protestanten zusichert, aber schon tags darauf wird es gebrochen. Und hielte man es selbst ein, wieviel ist für unsere Glaubensbrüder denn gewonnen? Zwanzig Meilen muß ein Hugenotte reiten oder laufen, wenn er zum Gottesdienst will: so wenig Bethäuser sind ihnen erlaubt. Ich mag das nicht, wenn einer vergebens siegt.

Natürlich ist er ein ausgezeichneter Feldherr und Glaubensheld. Wir von der Religion sind eine Minderheit, und fürchten sie uns dennoch, so fürchten sie den Herrn Admiral, und schicken sie uns Unterhändler, dann fragen uns diese: Wißt ihr wohl auch, daß ihr keine Bedeutung hättet für den Hof, außer durch den Herrn Admiral? Nun aber sieh ihn dir an, was ihm selbst an Gewinnen übrigbleibt nach einem Leben der wohlgemeinten Anstrengungen. Bis zu seinem alten Sieg von Saint-Quentin, der ihm so übel bekam, und seinen Feinden, den Guise, so gut, soll er ein mächtiger Günstling gewesen sein. Der verstorbene König lebte, er liebte Coligny, machte ihn reich, noch hatte Madame Catherine nichts zu sagen, und ihr Sohn Karl war ein Kind. Das waren seine Glanztage, wir waren nicht dabei. Jetzt sind auch wir dabei, was aber geschieht, eben jetzt, da wir sprechen? Sie versteigern in Parts seine Möbel, die sie fortgeschafft haben aus seinem Schloß Châtillon, und das ist von ihnen angezündet. Sie haben ihn verurteilt, als Aufrührer und Verschwörer gegen den König und seinen Staat gehängt und erdrosselt zu werden auf dem Grèveplatz. Sein Besitz ist eingezogen, seine Kinder sind für gemein und ehrlos erklärt, und wer ihn ausliefert lebend oder tot, bekommt fünfzigtausend Taler. Wir Jungen müssen uns wirklich vor Augen halten: der Herr Admiral hat dies alles erwählt um des wahren Glaubens willen und hat sich erniedrigt zum Ruhm Gottes. Denn sonst wäre es unverzeihlich!

»Er hat den alten Herzog von Guise ermordet. Das wenigstens tat er für sich selbst, und eigentlich gefällt es mir von ihm am besten. Man soll sich rächen«, meinte der junge Condé.

Sein Vetter Henri erwiderte darauf: »Mörder mag ich nicht leiden - und der Herr Admiral ist auch keiner. Er hat die Mörder nur nicht abgehalten.«

»Was sagt sein Gewissen dazu?«

»Daß es Unterschiede gibt«, erwiderte darauf Vetter Henri. »Mord begehen ist abscheulich. Mörder schicken ist unerlaubt. Sie nicht abhalten, geht vielleicht - obwohl ich nicht genötigt sein möchte, mich so zu benehmen. Der Kardinal von Lothringen sollte trotzdem ein Faß voll Wasser schlucken müssen. Nur er und sein Haus sind die Urheber alles Unheils in Frankreich. Sie verraten das Königreich an Philipp von Spanien, damit er sie auf den Thron setzt. Sie ganz allein machen uns Protestanten verhaßt dem König und dem Volk. Auch wollten sie Coligny töten lassen, sie selbst haben angefangen, und er kam ihnen nur zuvor. Er sollte es vielleicht nicht abstreiten. Ich meinerseits glaube, daß Gott ihm recht gibt.«

Condé widersprach, weil er nicht nur an die Ermordung des Herzogs von Guise dachte, sondern auch an seinen Vater, gefallen bei Jarnac, geopfert von Coligny. »Der Herr Admiral mochte meinen Vater nicht, der hatte ihm zu viele Liebschaften. Sonst hätte er nicht fallen müssen. Aber der Herr Admiral versteht sich mit seinem Gewissen zu einigen, und das lernst du wohl von ihm«, sagte der Junge herausfordernd.

»Der Tod deines Vaters war nötig für den Sieg der Religion«, erklärte Henri ihm mitleidig.

»Und für deinen! Seitdem bist du der Erste von uns Prinzen.«

»Das war ich schon vorher durch Geburt«, sagte Henri schnell und plötzlich scharf. »Leider nützt das noch nichts, wenn man kein Geld und mächtige Feinde hat; wenn man kämpft wie ein Flüchtling, den sie fangen wollen. Was tun wir, um das alles zu ändern? Greifen wir an? Ja, ich! Am fünfundzwanzigsten Juni, den vergeß ich nicht, es war mein Tag und mein erster Sieg. Aber kann ich dem Alten meinen ersten Sieg vorhalten?«

»Überdies war das Gefecht so unbedeutend. Der Admiral würde dir antworten, daß du dich bei La Roche Abeille zwar gut unterhalten hast, wir mußten uns aber doch in feste Plätze verkriechen und die Deutschen erwarten. Als aber die Reiter endlich ankamen?«

Condé wurde laut und böse.

»Da haben wir uns beeilt, so viele Truppen wie möglich der Königin von Navarra zu schicken, um ihr Land vom Feind zu säubern. Das büßen wir jetzt.«

»Du büßt gar nichts. Du hast alle Tage ein anderes Mädchen.«

»Du auch.«

Beide Jungen ließen die Zügel ihrer Pferde los und traten vor, um einander anzusehen bis ins Weiße der Augen. Condé zeigte sogar eine geballte Faust. Henri übersah sie; vielmehr warf er plötzlich beide Arme um den Hals des Vetters und küßte ihn. Dabei dachte er: ›Etwas neidisch, etwas schwach, aber doch mein Freund, und wenn nicht, muß er's werden!‹

Auch Condé umarmte seinen Vetter. Als sie sich trennten, hatte er trockene Augen, Henri aber hatte feuchte.

Die Entsendung von Truppen nach Béarn lohnte sich, denn dort siegten sie. Das mußte den Herren in Paris zu denken geben, meinte der Sohn Jeannes - und auch der Dame Katharina mußte schwül werden in ihrem alten Fett. Wir stehen mit dem größten Teil des Heeres in Poitou, auf halbem Weg nach der Hauptstadt des Königreichs, wir wollen es uns holen, wo es ist! Gleich!

Beide verlangten vorgelassen zu werden, und Coligny empfing sie, obwohl es ihm schwer wurde, ihnen ein festes Gesicht und unbeirrbares Gottvertrauen zu zeigen: zu viele Schläge des Herrn trafen ihn eben jetzt. Aber der Protestant erwies sich stark im Unglück, der Prüfungen bewußt, die er bestehen sollte. Niemand ging es an, welches Elend ihn ergriff, wenn er allein blieb, in einigen Stunden der Nacht, da sogar der Höchste nicht mehr zu erkennen war. Besonnen hörte er die erregten Jungen an.

Der Vetter war wilder als Henri. Ohne Höflichkeit verlangte er von Coligny den Marsch auf Paris. Er nannte ihn zaghaft, weil er keine Entscheidung suchte, sondern vor der Stadt Poitiers lag und sie nicht nehmen konnte. Inzwischen sammelte der Feind seine Kräfte.

Der Admiral betrachtete die beiden, den, der so stürmisch auftrat, und den, der schwieg und wartete. Der erfahrene Mann wußte genau, wessen Wille und Gedanke hier eigentlich laut wurde; daher richtete er seine Antwort nicht an Condé, sondern an Navarra. Er erklärte ihm, der Feind verlegte ihm den Weg in zu starken Stellungen, er selbst könnte nichts weiter suchen, als die Verbindung mit seinen nach Süden entsandten Truppen, und - hier erhob er den Finger er müßte dafür sorgen, daß die fremden Reiter ihren Sold bekämen. Sonst liefen die ihm weg. Er selbst hatte schon seinen Familienschmuck geopfert, bevor er zuließ, daß die Reiter sich selbst ihren Sold holten. Dies verschwieg er. Ein Christ rühmt sich des Opfers nicht, und auch ein stolzer Mann nicht. Daher ließ Coligny den jungen Prinzen Henri reden und ihm Unrecht tun.

»Sie erlauben, das Land zu plündern. Herr Admiral, ich bin noch jung, ich kenne den Krieg nicht so lange wie Sie. So habe ich ihn mir nicht gedacht, das Fremde, anstatt mit uns Schlachten zu schlagen, unsere Dörfer anzünden und unsere Bauern foltern, bis sie ihr Letztes hergeben. Die Nachzügler ihres Heeres werden vom Landvolk niedergemacht wie schädliche Tiere, wir hingegen rächen uns jedesmal furchtbarer an den Menschen, die unsere Sprache sprechen.

»Aber unseren Glauben bekennen sie nicht«, erwiderte der Protestant mit der tragischen Stirn. Henri biß die Zähne zusammen, sie hätten sonst Worte herausgelassen - nur mit Schrecken hörte er sie in seinem Innern klingen, denn sie waren gegen die Religion.

»Das alles kann nicht Gottes Wille sein«, sagte er.

Coligny entschied: »Was Gottes Wille war, mein Prinz, werden Sie am Ende des Feldzuges wissen. Jedenfalls hat der Herr mich noch für Taten aufgehoben, denn schon wieder fing die Wache einen Mörder, den die Guise mir geschickt hatten.«

Er selbst war seitdem gesonnen, diesen jungen Kritiker so fern wie möglich zu halten. Vor der Schlacht bei Moncontour, die er auch wieder verlieren sollte entließ er beide Prinzen zu ihrer Sicherheit nach hinten, obwohl der eine tobte und der andere bittere Tränen vergoß. Nachher erschien wieder Jeanne d'Albret und es wurde beraten. Das protestantische Heer war nach der neuen Niederlage um dreitausend Mann schwächer, ihm blieb nichts übrig, als nach Süden abzuziehen, anstatt daß sein kleinerer Teil zu ihm nach Norden gekommen wäre.

Jeanne brachte, wie immer, ihre Pastoren mit. Sie hatte geheime Unterredungen mit Coligny, darin wurde aus dem schon entmutigten Mann noch einmal der Siegreiche. Denn der Sieg, den wir in uns tragen, ist der erste, und der wirkliche Sieg folgte ihm auf dem Fuß; dessen vertraute Jeanne. Dann stimmten ihre Pastoren die Psalmen an, und das Heer wie sein Feldherr wußten sich fromm und stark.

Das nächste war ein Gewaltmarsch, der die beiden weitgetrennten Teile des Heeres tatsächlich vereinte. Hiernach aber durchmaßen die Protestanten das Land bis hinauf nach der Grafschaft Nevers. Von dem Augenblick an bedrohen sie Paris. Sogleich rührte sich der Hof. Indes das Heer noch vorrückte, vertändelten schon die Damen Katharina und Jeanne. Noch immer war das Heer in Bewegung, da wurde der Friede unterzeichnet, und das Heer stand still. Gewährt wurde durch diesen Vertrag die Gewissensfreiheit.

Henri freute sich mit seiner Mutter, weil er sie glücklich sah. Er war es sogar selbst, solange er nicht nachdachte. Er hatte aber während des Vormarsches krank in einer Stadt zurückbleiben müssen, damals hatte er Zeit gehabt, sich aller Greuel dieses Krieges zu erinnern, sie für immer zu befestigen in seinem Gedächtnis. Vielleicht war er auch nur erkrankt infolge der Greueltaten des protestantischen Heeres, so wie er früher einmal die Blattern zu bekommen schien, nur weil er hatte katholisch werden müssen.

Seinen inneren Widerspruch hielt er vor dem Admiral nicht zurück. Er sagte: »Herr Admiral, glauben Sie wirklich, daß Gewissensfreiheit einfach befohlen werden kann durch Verträge und Verordnungen? Sie sind ein großer Feldherr, sind dem Feind entgangen und haben den König von Frankreich in seiner Hauptstadt bedroht. Trotzdem wird das Volk der Provinzen, die wir unsicher gemacht haben, weiterhin sprechen von den Aufrührern, die Hugenotten heißen, und wird uns nirgends in Ruhe beten lassen, wo wir getötet und geraubt haben.«

Der Sieger Coligny erwiderte: »Prinz, Sie sind noch sehr jung, und überdies lagen Sie krank, während wir uns durchschlugen. Die Menschen vergessen alles schnell, und nur Gott wird noch wissen, was wir für seine Sache tun mußten.«

Henri glaubte es nicht - oder um so schlimmer, dachte er, wenn auch Gott, wie er selbst, solche Bilder vor Augen hatte, unglückliche Menschen, die man in die Luft hängte, bis sie ihr Geld verrieten, und unter ihren Füßen war Feuer angemacht! Um nicht zu viel zu sagen, verbeugte er sich und verließ den Sieger.

 

Familienszene

Jetzt folgte eine kurze Zeit, während deren Dauer es fast so aussah, als lebten Jeanne und Henri in einer friedlichen Welt ohne Arglist und ohne Haß. Sie verwaltete ihren kleinen Staat und er die große Provinz Guyenne. Sie brauchte nicht mehr zu strafen, denn ihre Untertanen waren wieder gute Protestanten. Er aber vertrat im besten Glauben den König von Frankreich. Er sah wahrhaftig nicht ein, warum er von Natur der Feind des Königshauses hätte sein sollen; so tief saßen die Lehren seiner Mutter bei ihm nicht. Ein junger Mann muß auch den Ehrgeiz vergessen können. Mit achtzehn Jahren, einige kurze Monate lang, sagte er: »Ich habe genug getan fürs Leben! Die Frauen sind so schön, und ihrer sich anzunehmen ist ergiebiger als der Krieg, der Glaube und der Weg zum Thron!«

Er meinte junge Frauen und den Zustand, in dem sie fast keine Menschenwesen, eher Göttinnen sind, so herrlich ist ihr Körper. Sooft er sie erkannte und sich überzeugte, daß sie Fleisch waren, sie blieben dennoch von einer anderen Welt, denn seine Einbildung und sein Verlangen verwandelten sie sofort wieder. Auch waren es immer andere, sie hatten damals gar nicht Zeit, ihn zu enttäuschen; er behielt sie nicht lange genug. Daher erfuhr er noch nicht, daß statt seiner eigenen Hochgefühle in ihren bewunderten Leibern zumeist Berechnung und Eifersucht wohnten. Während die eine ihn haßte, ritt er zehn Stunden lang, um sich bei einer anderen den Lohn seiner Mühen zu holen. Die erwartete ihn mit glänzenden Augen und dem Antlitz der ewigen Liebe. Er fiel ihr zu Füßen, irgendeiner, und küßte ihren Saum, angelangt am Ziel nach so langer und heftiger Bewegung. Die Augen gingen ihm über, und gesehen durch seine Tränen, wurde die Frau schöner.

Indes aber Henri für die jungen Frauen lebte, beschäftigten sich mehrere gereifte Damen mit ihm, ohne daß er es wußte. Die erste war Madame Catherine. Eines Morgens erhielt sie im Louvre, in ihrem Schlafzimmer, den königlichen Besuch ihres Sohnes, Karls des Neunten. Er war noch im Hemd, so eilig hatte der vierschrötige Mann sich herbemüht. Er rief, schon bevor er die Tür geschlossen hatte:

»Mama, es ist soweit!«

»Deine Schwester hat ihn eingelassen?«

»Margot schläft mit dem Guise«, bestätigte Karl zornig.

»Was sagte ich dir? Sie ist eine Sau«, äußerte Madame Catherine so deutlich, wie der Anlaß es verlangte.

»Das ist der Dank für ihre gute Erziehung«, polterte Karl. »Kann Latein, ist so gelehrt, daß sie sogar beim Essen liest. Tanzt die Pavana, läßt sich von Dichtern besingen.« Ihm fiel immer mehr ein. »Die Pferde vor ihrer vergoldeten Kutsche tragen auf den Köpfen Federn, so dick wie mein Hinterer. Aber ich weiß, was sie macht, ich habe zugesehen. Schon mit elf Jahren fing das Weibsstück damit an.«

»Du hast den Leuchter gehalten«, warf Madame Catherine dazwischen. Aber noch ließ er sich nicht stören. Er kannte alle Liebhaber seiner Schwester und zählte sie fluchend her. Dann war er seiner eigenen Wut plötzlich müde, sie erregte ihn zu sehr für seine körperliche Verfassung. Die Stirn dunkelrot, mit keuchendem Atem ließ er sich auf das Bett seiner Mutter fallen, daß die Kissen aufflogen; er murrte nur noch:

»Und was geht das mich an? Sie wird bleiben, was sie ist, und es weitertreiben mit dem Guise oder einem anderen. Ich pfeif drauf.«

Seine Mutter betrachtete ihn und dachte: ›Noch vor wenigen Jahren sah er so edel aus wie ein Bild an der Wand. Jetzt fehlt nicht viel, und er könnte ein Fleischerknecht sein, anstatt ein König. Was hab ich da gemacht? Aber das bin nicht ich, das sind die Valois. Das Blut solcher barbarischer Ritter steigt immer wieder aus den Gräbern hervor und formt noch eine von den alten Gestalten!‹

So dachte die Tochter der Medici, weil ihre wenigen bekannten Vorfahren in bequemen Zimmern gelebt hatten, anstatt in Ställen und Feldlagern.

Sie sagte mit ihrer gleichmäßigen Stimme: »Wie deine Schwester sich aufführt, wird mir bald nichts anderes übrigbleiben, als Henri Guise zum Schwiegersohn zu nehmen. Wer wird dann stärker sein, mein armer Junge, du oder er?«

»Ich!« brüllte Karl. »Ich bin der König!«

»Von Gottes Gnaden?« fragte sie. »Das eine hättest du wohl schon lernen können, daß jeder König der Gnade Gottes selbst nachhelfen muß, oder er bleibt es nicht. Heute bist du König, mein Sohn, weil auch ich, deine Mutter, noch da bin.«

Dies sprach sie in einem gewissen Ton, den er von jeher kannte, und bei dem er aufzustehen pflegte. Er verließ seinen Sitz auf dem Bett, er stand im Hemd, das seine Brust und sein Bauch wölbten, vor der kleinen alten Frau, bereit, ihren Willen anzuhören.

»Ich will«, entschied sie, »daß Margot nicht den Guise heiratet, denn sein Haus ist mir zu mächtig. Nach meinem Willen bekommt sie einen einfachen jungen Mann, der uns dient.«

»Wer ist das?«

»Seine Familie muß gut, aber einflußlos und in Paris unbekannt sein. Vor allem will ich ihn unter der Hand haben. Wer erreichbar ist, wird unschädlich. Seine Feinde muß man sich im eigenen Hause halten.«

»Du meinst doch nicht -«

»Ich verhandle mit seiner Mutter, damit sie ihn mir schickt und ich ihn erst einmal in meine Gewalt bekomme.«

»Der ist ein Ketzer! Meine Schwester und ein Ketzer, diese Verbindung war doch niemals ernst gemeint!«

»Und wenn dein Bruder d'Anjou die Königin von England heiraten würde? Auch Elisabeth ist eine Ketzerin, und dabei eine große Königin, von eigenen Gnaden.«

»Sie bringt ihre Katholiken um«, sagte Karl, mehr scheu als empört. Seine Mutter war ihm zu klug. Nicht einmal durch die Religion ließ ihr erfinderischer Geist sich aufhalten. Aber bei ihren ungeheuersten Worten blieb sie die Gelassenheit selbst.

»Die englischen Katholiken mögen sich allein helfen - und übrigens auch die französischen«, setzte sie hinzu.

Karl sah zu Boden und knurrte, mehr wagte er nicht. »Der König von Spanien ist auch noch da«, knurrte er.

»Meine Tochter, die Königin von Spanien, ist tot«, erklärte Katharina ohne alle Trauer. »Seitdem habe ich von Don Philipp nur noch zu fürchten, daß er meine Verlegenheiten ausnützt. Ich brauche daher meine Protestanten.« In ihrem Kopf sagte sie noch: ›Wenn ich sie aber nicht mehr nötig habe, werde ich genauso mit ihnen verfahren wie die Königin von England mit ihren Katholiken.‹

Wozu hätte sie das ihrem unbegabten Sohn verraten sollen? Jetzt kam sie zu dem, was sie von ihm erwartete.

»Deine Schwester muß endlich zur Vernunft gebracht werden.«

»Das ist wahr! Das mit dem Guise -«

»Der dir die Krone wegnehmen wird«, ergänzte sie schnell. Da brüllte er:

»Her mit meiner Schwester! Ich will sie lehren, mich zu entthronen!«

Schon stürzte er davon, seine Mutter fing ihn grade noch beim Hemd.

»Daß du hierbleibst! Ihr Guise kann bei ihr sein, und er ist bewaffnet.«

Das hielt ihn sofort auf.

»Und wenn sie dich sieht, kommt sie bestimmt nicht her. Ich aber will, daß die Sache nirgends sonst vor sich geht, als nur bei mir.«

Sie klatschte in die Hände, und zu einer ihrer Frauen, die eintrat, sagte sie:

»Bitte die Prinzessin, meine Tochter, mich aufzusuchen, damit ich ihr eine sehr wichtige Nachricht mitteilen kann. Versichere ihr, daß es etwas Gutes ist.«

Hiernach warteten die beiden - Katharina ohne Regung, mit gefalteten Händen, aber ihr vierschrötiger Sohn rannte vor Ungeduld im Zimmer umher, sein Nachtgewand flatterte, und er keuchte schon im voraus, während er knurrte.

Endlich öffnete die Tür sich weit für eine Erscheinung, die jeder bewundert hätte, außer diesen beiden. Marguerite von Valois trug trotz der frühen Stunde schon ein weißes Seidenkleid mit viel glitzerndem Behang. Sie hatte rote Schuhe, und auch ihre Perücke war rötlich, dem Gesicht aber verlieh ihre große Erfahrung im Schminken genau den Ton, der für eine solche Blonde paßte.

Ihr Auftritt geschah ganz im Sinn ihrer gewählten Schönheit - hochmütig, obwohl leicht. So hätte sie auch einen Festsaal betreten können. Ein Blick aber auf ihre Mutter und einen auf ihren Bruder genügten ihr, um zu ahnen, was ihr zugedacht war. Ihre erlesene Miene wurde starr, das stolze Lächeln ging in Schrecken über, und sie machte einen überstürzten Schritt rückwärts. Zu spät, schon hatte Katharina gewinkt, und die Tür war von außen zugeschlagen worden.

»Was wollt ihr von mir?« fragte die Arme, ganz hoch oben, indes ihr der Atem stockte. Karl der Neunte sah seine Mutter an, und da sie es nicht bemerken wollte, war er sicher, daß ihm alles erlaubt war. Aufbrüllend fiel er über seine Schwester her. Mit dem ersten Griff riß er ihr die blonden Haare vom Kopf, die schwarzen fielen ihr ungeordnet in die Stirn; von jetzt ab hätte sie sich keine große Haltung mehr geben können, auch wenn sie noch Zeit gehabt hätte. Aber schon schlug ihr königlicher Bruder ihr ins Gesicht, links und rechts, hartnäckig, so sehr sie versuchte, ihm auszuweichen.

»Mit dem Guise schlafen!« brüllte er. »Mich entthronen!« keuchte er.

Ihre Schminke blieb an seinen Händen kleben, statt dessen trug sie auf den Wangen rote Streifen. Da sie sich krümmte und fortbog, trafen seine Fäuste ihre vollen Schultern.

»Dicke Margot!«

Hierbei lachte er wild und riß ihr das Kleid herunter. Bei der Berührung mit ihrem Körper kam ihm der heftige Wunsch, sie überall zu bearbeiten. Das Mädchen schrie endlich auf, das Entsetzen hatte sie stumm gemacht, und sie versuchte zu fliehen, sie lief in die Arme ihrer Mutter.

»Da bist du ja«, sagte Madame Catherine, und sie hielt die Prinzessin fest, bis Karl der Neunte sie wieder gefaßt hatte.

»Leg sie doch übers Knie!« riet Madame Catherine, und er tat es, trotz allem Sträuben des Opfers. Sein Arm blieb eisern um sie befestigt, während seine andere Hand auf ihren entblößten, üppigen Körperteil einschlug. Madame Catherine hielt das nicht für genug, sie half selbst nach Kräften mit, nur leider, ihre fleischigen Händchen vermochten nicht viel. Daher beugte sie sich über den schönen Hintern und biß hinein.

Marguerite heulte auf wie ein Tier. Ihr Bruder, der erschöpft war, ließ sie los, ließ sie einfach hinfallen, während er dabeistand mit stierem Blick wie ein Betrunkener. Auch Madame Catherine war außer Atem, und in ihren stumpfen, schwarzen Augen glitzerte es. Indessen faltete sie schon wieder die Finger vor dem Magen und sagte ruhig wie immer:

»Steh auf, mein Kind, wie siehst du denn aus!«

Sie gab Karl einen Wink, damit er seiner Schwester die Hand reichte und ihr half. Dann ging sie selbst daran, die Kleidung ihrer Tochter zu ordnen. Als die Prinzessin Margot sah, daß die Gefahr vorbei war, bekam sie sofort ihr herrisches Gesicht zurück.

»Alles ist zerrissen. Du Dummkopf!« schrie sie ihren Bruder an. »Hol doch meine Kammerfrau!«

»Nein«, entschied ihre Mutter. »Die Sache bleibt besser unter uns.«

Sie selbst nähte in dem weißen Seidenkleid die Löcher zu, glättete es und ließ sich auch nicht nehmen, die von Tränen und Backenstreichen entfernte Schminke neu aufzutragen. Karl holte auf Befehl Katharinas die Perücke, die er seiner Schwester vom Kopf gerissen hatte, zog sie unter dem Bett hervor, staubte sie ab und setzte sie ihr auf. Da war sie wieder die stolze und anmutige junge Dame, die vorhin das Zimmer betreten hatte!

»Geh nur und lies deine lateinischen Bücher«, knurrte Karl der Neunte. Katharina von Medici setzte hinzu:

»Aber vergiß nicht, was ich dir soeben zu deiner Belehrung mitgeteilt habe!«

 

England

Eine zweite mächtige Frau bekümmerte sich um den jungen Henri, während er selbst hauptsächlich an sein Vergnügen dachte. Elisabeth von England empfing in ihrem Schloß zu London ihren Pariser Gesandten.

»Du kommst einen Tag zu spät, Walsington.«

»Die See war stürmisch. Eure Majestät hätte wahrscheinlich nur einen toten Gesandten zu sehen bekommen. Ich fürchte, der hätte nicht so viel berichtet, wie es zu berichten gibt.«

»Walsington, das wäre gut für dich gewesen. Der Tod in der See ist weniger peinlich als der auf dem Schafott. Du bist dem Block und dem Beil näher, als du denkst.«

»Für eine so große Majestät zu sterben ist immer das Höchste, was ein Mann sich wünschen kann, besonders, wenn er seine Pflicht getan hat.«

»Deine Pflicht? So, deine Pflicht. Und was ein Mann sich wünscht, du Schwein?« Sie hieb ihm in das Gesicht.

Er sah den Schlag kommen, hielt aber den Kopf hin, obwohl ihre schmale Hand sehr hart war, wie er wußte. Die Königin war groß, weißhäutig, von unbestimmtem Alter, sie hielt sich grade wie ein Panzer, und die rötlichen Haare, die Margot von Valois zu manchen Kleidern trug, Elisabeth hatte sie wirklich.

»Der Hof von Frankreich nähert sich alle Tage mehr dem König von Spanien, du aber sagst mir nichts. Ich komme in die größte Gefahr, durch dieses Bündnis mein Land und meinen Thron zu verlieren, und du siehst zu!«

»Es tut mir leid, mich noch mehr beschuldigen zu müssen. Ich selbst habe das Gerücht verbreitet, dafür ist es aber auch falsch.«

»Du verbreitest falsche Gerüchte zu meinem Nachteil?«

»Ich ließ in der spanischen Gesandtschaft einbrechen, und vorgeblich wurden dort die Briefe gefunden, die Beweise sind. Ist aber alles nicht wahr. Und das geschah zum Nutzen Eurer Majestät.«

»Du bist ein heimlicher Katholik, Walsington. Wache! Verhaftet den Mann! Auf dich habe ich schon längst ein Auge. Ich werde mit Vergnügen zusehen, wie dein Kopf fällt.«

»Er hätte Ihnen so gern noch eine lustige Geschichte erzählt«, sagte der Gesandte zwischen den beiden Bewaffneten. »Ich habe nämlich die Hand Eurer Majestät vergeben, und zwar an einen Prinzen, den Sie gar nicht kennen.«

»Ich denke, es ist d'Anjou, der Sohn Katharinas.« Sie winkte den Bewaffneten, den Gesandten loszulassen. Heiratspläne - die mußte sie erst hören.

»Ich fürchte, d'Anjou wäre ein Fehler. Ich weiß doch, daß Sie mit Recht nicht viel halten von den Valois. Nein, da ist ein kleiner Protestant aus dem Süden, den wollen die Valois sich als Schwager zulegen, und das wäre nicht dumm. Der könnte sie heraushauen.«

»Aber dann fallen sie in Flandern ein! Die Heirat der Prinzessin von Valois mit einem protestantischen Prinzen - ich weiß natürlich, wer! -, das bedeutet Krieg Frankreichs mit Spanien und den Einfall in Flandern. Ein geeinigtes Frankreich, das will ich nicht. In Frankreich muß Bürgerkrieg bleiben. Und in Flandern seh ich tausendmal lieber die Spanier, die ohnedies immer mehr herunterkommen durch ihren Papismus, als ein Frankreich, das sich einigt unter einem Protestanten.«

Um sich selbst besser reden zu hören, durchmaß Elisabeth langbeinig und mit großen Schritten den Saal. Den Wächtern hatte sie ungeduldig abgewinkt, und Walsington zog sich nach der entgegengesetzten Seite zurück, um seiner Königin Raum zu geben. Plötzlich blieb sie vor ihm stehen.

»Und ich soll den jungen Navarra heiraten, sagst du. Wie sieht er aus?«

»Nicht schlecht. Wenn es nur daran läge. Er ist allerdings kleiner als Sie.«

»Ich habe nichts gegen kleine Männer.«

»Sie sind als Mann oft sogar tüchtiger.«

»Was du sagst, Walsington! Ich habe darin so gar keine Erfahrung. Und sein Gesicht?«

»Er hat eine Farbe bräunlich wie Oliven und ein volles Oval.«

»Oh!«

»Nur die Nase - sie ist zu lang.«

»Das ist praktisch ein Vorteil.«

»Ja, die Länge. Aber nicht die Form. Denn sie senkt sich. Sie wird sich weiter senken mit der Zeit, fürchte ich.«

»Schade. Nun, es ist gleich. Ich werde ja doch einen so armseligen jungen Tropf nicht zum Mann nehmen. Und er? Sehr jung, wie?« fragte die Frau unbestimmten Alters. »Du hast ihm Hoffnungen auf mich gemacht? Da war er natürlich begeistert.«

»Ihn begeistert die Schönheit. Das Bild Eurer großen Majestät hat er mit Küssen und mit Tränen bedeckt«, log der Gesandte.

»Das glaube ich. Und die Verbindung mit den Valois hast du ihm verleidet?«

»Da ich weiß, daß sie Ihnen unerwünscht wäre.«

»Schließlich bist du doch vielleicht kein Dummkopf. Wenn du nur kein Verräter bist!«

Ihr Ton war scharf, aber gnädig. Der Gesandte begriff, daß die Gefahr, hingerichtet zu werden, zurücktrat, und er verbeugte sich tief.

»Herr Gesandter«, begann Elisabeth und ließ sich endlich in ihren Sessel nieder, »ich warte noch immer darauf, daß Sie mir von den Verhandlungen zwischen den beiden Königinnen sprechen. Sehen Sie mich nur an! Ich meine die Königinnen Jeanne und Katharina. Ich weiß, daß die eine so gut mitbestimmt wie die andere, was aus Frankreich werden soll.«

»Meine Bewunderung Ihrer Geistesschärfe grenzt an Schrecken.«

»Das verstehe ich. Sie haben sich wohl nie gesagt, daß ich für meine Gesandten, die meine Spione sind, wieder andere Spione habe, und die beobachten sie selbst.«

Walsington nahm dies mit allen Zeichen des Erstaunens zur Kenntnis, so gut er es auch schon gewußt hatte.

»Ich gestehe«, antwortete er schlicht, »daß ich zuerst nur von dem kleinen Prinzen Navarra, nicht aber von seiner Mutter gesprochen habe, weil meine Herrin eine schöne junge Königin ist. Hätte ich als Herrn einen alten König, dann unterhielte ich ihn ausschließlich von der Mutter des Prinzen. Denn die Gefährliche ist nur die Königin Jeanne.«

Er sah ihr an, daß er halb gewonnen hatte; daher blieb seine Stimme besonders ergeben und durchdrungen.

»Ich muß Eurer Majestät eine traurige Geschichte erzählen, daraus zu ersehen ist, daß die Menschen entsetzlich falsch und listig sind. Und so wurde die arme Königin Jeanne betrogen von einem Engländer.« Er schien selbst bestürzt und wehrte mit der Hand ab.

»Ich war es nicht. Denn wir sollen uns stets richtig verhalten. Es war nur einer meiner Beauftragten, und er selbst hatte den Einfall gehabt. Ich ließ ihn gewähren, und so begab er sich nach La Rochelle, wo alle Freunde der Königin Jeanne unfehlbar anzutreffen sind, auch Graf Ludwig von Nassau. Diesen Deutschen veranlaßte mein Agent, sich zu Bett zu legen und den Kranken zu spielen so lange bis Jeanne ihn besuchte an seinem Schmerzenslager …«

Der Gesandte fuhr fort in seiner Geschichte, die weiterging wie eine Posse von Shakespeare; um so ernster blieb er, und das erhöhte das Vergnügen seiner Königin. Als sie schon viel gelacht hatte, stellte sie fest:

»Wer naiv ist, wie Nassau, sollte nicht den Schlaukopf spielen. Redet Jeanne die französische Heirat aus, das einzige, was den deutschen Protestanten, wie den französischen, helfen könnte! Sie hat doch alles wirklich geglaubt? Daß ich ihren Sohn zum Mann nehme? Daß ihre Tochter Königin von Schottland wird?«

»Die allzu blendenden Aussichten werden immer für wahr genommen - gerade weil man nichts sieht«, versicherte der Gesandte. Elisabeth sagte mit offener Anerkennung:

»So also war es, als Sie mich mit dem kleinen Navarra verlobten! Warum sind Sie damit nicht gleich anfangs herausgekommen? Muß ich Sie erst hinrichten lassen, Walsington, bevor ich von Ihnen etwas Erfreuliches höre?«

»Es hätte Ihnen noch nicht denselben Spaß gemacht wie jetzt, und ich denke nur daran, Eurer großen Majestät zu gefallen, selbst auf die Gefahr von Block und Beil.«

»Diesen guten Streich vergesse ich Ihnen nicht!«

»Er entstand ganz und gar im Kopf meines Agenten, eines gewissen Beel.«

»Das glaube ich Ihnen nicht. Sie versuchen, Ihr Verdienst durch Bescheidenheit zu vergrößern, Zahlen Sie immerhin Ihrem Beel eine Belohnung aus. Aber eine mäßige!« setzte Elisabeth, die rechnen konnte, sofort hinzu.

 

Stricke, Fallen und ein reiner Sinn

Jeanne, seine Mutter, war die dritte der gereiften Frauen, die an den Geschicken Henris arbeitete, und sie allein tat es um seinetwillen. Daher vertraute sie auch nur sich selbst, und durchaus nicht der Aufrichtigkeit der beiden anderen Königinnen. Sie ging allerdings zu dem Grafen von Nassau auf seinem Schmerzensbett, weil sie schon seit Tagen davon hörte, wie sehr ihr guter Freund stöhnen sollte. Sie fand ihn zwar hitzig und rot in seinen Kissen, aber eher vom Wein als vom Fieber, so schien es ihr. Dennoch ließ sie sich zuerst alles erzählen, was sein Kumpan, der Engländer Beel, ihm Schönes beigebracht hatte für sie: den Einbruch in der spanischen Gesandtschaft, die gefundenen Beweise, daß der Hof von Frankreich ein doppeltes Spiel trieb. Ihr bot man die Prinzessin als Schwiegertochter an, inzwischen aber versöhnte man sich mit Philipp von Spanien. Wie konnte Katharina dann noch die Bedingung Jeannes erfüllen und zusammen mit dem protestantischen Heer das spanische Flandern befreien!

Jeanne bedachte: ›Von wem sollte er dies alles wissen, wenn nicht von den Engländern, die den Einbruch veranstaltet haben.‹ Inzwischen befühlte sie den dicken Ludovicus hinter den Ohren, auf der Stirn und fand, daß er kerngesund war. Infolgedessen ließ sie ihren Chirurgen eintreten und dem Patienten einige Mittel reichen, er mußte sie schlucken, ob er wollte oder nicht. Es dauerte nicht lange, bis der Arme ganz ungeheuer schwitzte; noch andere Wirkungen traten ein, die es Jeanne erwünscht machten, eine Weile das Zimmer zu verlassen. Als sie zurückkehrte, war ihr Opfer schon mürber, es gestand ohne Umschweife, daß ihm all seine Weisheit nur von Herrn Beel kam, und dieser war allerdings ein Agent Walsingtons.

»Aber er ist mein Freund«, sagte der vertrauensvolle Nassau, »und um meinetwillen dürfen Sie ihm alles glauben, Madame. Mich würde er nicht belügen.«

»Lieber Vetter, die Welt ist schlecht - außer Ihnen«, bemerkte Jeanne mitleidig. Hierauf beschwor der protestantische Deutsche sie voll wirklich warmer Sorge, daß sie nur sich nicht auf die französische Heirat einlasse. Ihr Sohn würde durch diese Heirat dem Katholizismus verfallen, die Protestanten verlören ihren Führer, der Prinz dagegen gewänne nichts für sich selbst, obschon er die Religion verraten haben würde. Was wäre er denn als Gatte der Prinzessin von Valois? Noch längst nicht König von Frankreich. »Anderswo aber« - hier machte Nassau eine schwerwiegende Pause, »kann er König werden. Ein großer König. Seine Schwester, Ihre Tochter Catherine - Madame, sie wird gleichfalls Königin. Dies ist alles so sehr zum Vorteil der Religion, daß es schon darum wahr sein muß«, setzte der Gute hinzu, »und ich glaube fest, daß der Auftrag, es Ihnen zu eröffnen, mir von Gott kommt.« Jeanne sah: seinen Beel hatte er vergessen.

Er hatte mit Inbrunst gesprochen, fiel in plötzlicher Schwäche auf sein Kissen, und die Königin Jeanne verließ ihn, nicht ohne ihn der Pflege ihres Arztes zu empfehlen. Ihr tat es leid, wie sie ihn hatte zurichten müssen, damit sie die Wahrheit erfuhr von diesem ehrlichen Menschen. Denn die Lüge bedient sich leider nicht nur der Unehrlichen.

Mit seinem letzten Atem vor der Ohnmacht hatte Ludwig von Nassau ihr noch ausdrücklich bestätigt, wer ihren beiden Kindern die Heirat und den Thron anbieten ließe: es waren Elisabeth von England und der König von Schottland - zu viel Glück auf einmal in den Augen jeder anderen Mutter. Jeanne d'Albret fand es ganz natürlich im Gedanken an ihre eigene große Herkunft, an die Erfolge des protestantischen Heeres und die hohe Würde der Religion. Der Verdacht kam ihr nicht, daß Elisabeth ihr auf unverbindlichen Umwegen ein trügerisches Angebot machen könnte, um sie von der Verbindung mit dem Hof von Frankreich abzuhalten. Die Königin Jeanne war zu stolz, um zu glauben, daß jemand sie benutzen wollte gegen Frankreich, damit es uneinig und schwach bliebe.

Am nächsten Tag sagte sie zu Coligny: »Ich habe die ganze Nacht von Gott zu erfahren getrachtet, was in Wahrheit sein Wille ist: ob mein Sohn in England oder in Frankreich soll König werden. Was denken Sie, Herr Admiral?«

»Daß wir es nicht wissen können«, erwiderte er. »Sicher ist nur der Unwille der eifrigsten Hugenotten, Ihrer besten Anhänger, wenn der Prinz, Ihr Sohn, sich mit den geschworenen Feinden der Religion verbindet. Gott aber - von ihm behaupte ich nicht, daß er dagegen ist«, schloß Coligny vorsichtig.

»Er ist nicht dagegen«, erklärte Jeanne mit aller Entschiedenheit. »Er hat mich wissen lassen, daß ich diese Sache ganz weltlich behandeln soll, einzig gemäß der Ehre und dem Vorteil meines Hauses, diesen halte er auch für den seinen - ließ Gott mich wissen.«

Coligny gab sich den Anschein, als überzeugte sie ihn. In Wirklichkeit mißtraute er den englischen Absichten von selbst, denn er urteilte als Soldat. Die protestantische Engländerin hätte ihm helfen müssen, Flandern von den Spaniern zu befreien, grade das aber wollte sie nicht, indessen es ihm der katholische Hof von Frankreich bereitwillig versprach. Daher war er für die Heirat des Prinzen von Navarra mit Marguerite von Valois, und wenn er Einwände dagegen erhob, dann nur solche, die Jeanne noch bestärken mußten. Jeanne führte an, die Engländer seien von jeher die Feinde dieses Landes gewesen. Coligny wollte wissen, das habe aufgehört - als ob es nicht genügt hätte, daß ein Prinz, der nach England heiratete, grade dadurch alles verlor, seine Volkstümlichkeit und seine Aussichten auf den französischen Thron.

Jeanne sagte, Elisabeth wäre zu alt, sie würde keinen Sohn mehr bekommen ihr Gatte aber dürfte persönlich keinen Anteil an den Geschäften der Krone erhoffen. Coligny machte geltend, dann bliebe noch seine Schwester, die Prinzessin Catherine, die ganz bestimmt Kinder haben würde vom König von Schottland. Dieser aber sei der gesetzliche Erbe des Thrones von England, falls Elisabeth ohne Nachkommen stürbe. Das war nun das Letzte, was er der Mutter Henris im Ernst hätte sagen dürfen; er sah es wohl an ihrem Zom. Ihr Henri übergangen und geopfert, ihr fröhlicher Henri vergebens gelebt, wie ein trüber Gefangener, an der Seite einer alten Königin! Hier erst erkannte sie die ganzen Folgen, wenn sie von den beiden Entschlüssen den falschen gewählt hätte.

Die zarte Jeanne sprang heftig von ihrem Sitz auf, auch sie begann durch das Zimmer zu laufen, wie Elisabeth von England, als sie vor ihrem Gesandten in so große Erregung geriet wegen ihres Nutzens. Anders diese Königin: sie kam erst außer sich, weil das Glück ihres Sohnes sich entschied. So befahl sie dann auch mit ihrer selten gehörten Glockenstimme: »Kein Wort mehr, Coligny! Jetzt rufen Sie meinen Sohn!«

Er gab den Auftrag an der Tür weiter. Während sie aber warteten, beugte der alte Mann ein Knie vor der Frau und gestand: »Ich habe alles nur vorgebracht, damit Sie es widerlegten.«

»Stehen Sie auf«, erwiderte Jeanne. »Sie haben sicher daran gedacht, daß die Königin Katharina Ihnen den Oberbefehl in Flandern verspricht. Wer aber bin ich, daß ich Ihnen Eigennutz vorwerfen dürfte. Wenn mein Sohn nach England ginge und meine Tochter nach Schottland, wäre ich nur eine Frau allein, könnte die Last der Geschäfte nicht tragen und hätte nicht Achtung noch Gehorsam zu erwarten vom Adel Frankreichs. War dies mein tiefster Grund, dann mag Gott mich richten.«

»Amen«, sagte er, und beide blieben mit gesenkten Stirnen am Fleck stehen, bis der junge Henri im Zimmer war. Er trat sehr schnell ein, etwas atemlos, mit glitzernden Augen, wahrscheinlich war er einem Mädchen nachgelaufen. Jedenfalls fühlte er sich nicht gedrängt, die Taten und Gedanken seiner vergangenen Stunde vor Gott zu verantworten wie die beiden älteren Leute. Dennoch fand er sich sofort in ihre ernste Stimmung.

Die Königin Jeanne setzte sich, sie forderte auch den Prinzen und den Admiral dazu auf; noch immer suchte sie nach ihren ersten Worten. Coligny, indes gab ihr ein Zeichen, teils ergeben und teils belehrend. Es hieß soviel, daß er den Anfang besser kannte. Da sie ihm zunickte, begann er wirklich.

 

Rat der Drei

»Prinz«, sagte Coligny, »es handelt sich in diesem Rat um die Zukunft der Religion, was aber dasselbe ist wie die Zukunft des Königreiches. Hier und jetzt soll eine große Entscheidung fallen, und zwar durch Sie. Der Ratschluß Gottes wird sich durch Ihre Stimme äußern. Hören Sie darauf wohl, was er Ihnen eingibt. Ich meinesteils bin bereit, mich zu neigen.«

Jeanne wollte sprechen. Der Alte bedeutete ihr entschieden, wenn auch ehrfürchtig, daß er nicht fertig sei.

»Zwei mächtige Höfe bewerben sich um Sie, den Prinzen von Navarra, und viel, unabsehbar viel hängt für Zeit und Ewigkeit davon ab, welchen Sie wählen.« Die Pause, die Coligny hier machte, war nicht bestimmt, daß ein anderer etwas sagte; nein, sondern seinen beiden Zuhörern sollte der Atem vergehen. Jeanne war auch tief bestürzt. Henri sah wohl die angstvolle Veränderung ihres Gesichtes; davon füllten sich seine Augen sofort mit Tränen. Das Schluchzen entstand in der Mitte des Körpers, stieg schnell wie ein Gedanke bis in die Kehle, dort erstarb es, zurück blieben noch nachträglich die feuchten Augen.

Verschwimmenden Blickes, ein Bild der Rührung, dachte Henri indessen bei sich: ›Alter Schwätzer! Kann er das nicht einfacher sagen? Ich weiß doch längst, daß ich entweder meine dicke Margot oder die alte Engländerin heiraten soll. Als ob mir Nassau nicht genug zugesetzt hätte! Aber was tue ich in England? Dagegen Margot - sie hat mir immer versprochen, ich würde ihre Beine kennenlernen.‹

Coligny beugte sich über Jeanne, um zu raunen: »Lassen wir ihm Zeit! Er erwartet die Eingebung.« Jetzt wurde Henri der ganzen Spannung seiner lieben Mutter bewußt. Sein eigener Sinn erhob sich davon sofort. Mit einer Strenge, die ihn selbst heimlich in Erstaunen setzte, erklärte Henri:

»Ich will Frankreich dienen. Ich wähle die Religion und darum Frankreich.«

Als diese Worte gefallen waren, stand der Protestant Coligny von seinem Sitz auf. Er streckte die Arme hin, als empfange er den Herrn selbst. Henri aber umarmte ihn. Dann küßte er seiner lieben Mutter die Tränen vom Gesicht.

Der Rat blieb keineswegs so feierlich. Die drei kamen überein, daß alle Vorteile für sie in Paris lägen, anstatt in London. Henri fragte sogar, ob das englische Angebot auch nur ernst gemeint wäre. Vielleicht diente es eher dazu, die französische Heirat zu hintertreiben. Jeanne mußte viel Selbstgefühl überwinden, bevor sie diesen Gedanken zuließ. Die Klugheit und Verständigkeit ihres jungen Sohnes waren Trost für ihren Stolz. Henri meinte, daß er die glänzende Stellung eines Gemahls der Königin von England von Herzen gern seinem Vetter d'Anjou überließe. »Einer weniger!« setzte er unvermittelt hinzu; aber sie verstanden ihn durchaus. Jeanne bestätigte, daß man Madame Catherine nicht herausfordern dürfte, da sie ihren zweiten Sohn ja nun einmal nach England zu verheiraten gedächte. Hierauf wiederholte sie: »Einer weniger!« Sie sprach geradeaus in das Zimmer: »Vier waren es. Zwei werden nach Karl übrig sein. Karl ist aus einem allzu vornehmen Knaben ein dicker, gemeiner Mann geworden, obwohl er König heißt. Zuweilen aber blutet er.«

Bei diesem Wort reckten sowohl ihr junger als auch ihr alter Zuhörer den Kopf vor. Jeanne sah sie indessen nicht an: sie nickte wie eine Frau, die weiß, was sie sagt, wenn es sich um den Körper und seine Tätigkeit handelt. »Sie bluten«, sagte Jeanne. »Ihr Blut fließt nicht, sondern breitet sich langsam auf der Haut aus. Alle vier Söhne des alten Königs haben das, und der erste ist schon daran gestorben.«

»Müssen auch die anderen sterben?« fragte Henri, kalt angerührt.

Coligny antwortete hart: »Die Valois verfolgen die Religion. Das ist ihre Strafe.«

»Sie haben es nicht, weil sie Valois sind«, sprach Jeanne. »Sie haben es durch ihre Mutter, denn die war lange unfruchtbar.«

Die beiden Männer zogen die vorgestreckten Köpfe zurück: dies verstanden sie nicht mehr. Jeanne hatte die Zusammenhänge nur entdeckt, weil sie selbst so viele Nächte wach lag mit Atemnot und jenem unheimlichen Kitzel unter der Schädeldecke, rings um den Kopf. Da kein Arzt ihr den Grund zu erklären wußte, hatte sie erraten müssen, daß die menschlichen Geschicke sich nach dem Willen Gottes in den Leibern vollziehen, bevor sie sichtbar auftreten. Jeanne sollte leiden und früh dahingehen, nachdem sie einen auserwählten Sohn geboren hatte. Ihre Feindin Katharina dagegen verdiente es, alt zu werden und alle ihre spät empfangenen Söhne hinabsteigen zu sehen. Jeanne rechnete hierauf mit dem besten Gewissen und ohne Mitleid.

»So werde ich diesmal ihrem Gesandten den Bescheid geben, daß ich mich der Verbindung mit ihrem Hause nicht widersetzen will, wenn sie mir gewisse Bedingungen erfüllt.«

»Strenge, unveräußerliche Bedingungen«, verlangte Coligny. »Der Hof soll sich gegen Spanien erklären. Seine Truppen sollen in Flandern einrücken, und ich will sie führen.«

»Die Prinzessin von Valois soll protestantisch werden«, entschied Jeanne, und hierüber erstaunte Henri so heftig, daß er aufschrie. Margot und die Religion! Die Religion und die verliebte Margot! Er wußte nicht, wohin mit sich und seiner überwältigenden Lachlust. Schließlich verschwand er in einer tiefen Fensternische, ließ den Vorhang über sich fallen und keuchte in seine Hände hinein. Seine Mutter sagte gehoben:

»Mein Sohn dankt Gott, weil seine künftige Frau gerettet werden soll.« Das empfand Coligny als eine zu starke Zumutung an Gott. Er war nahe daran, es auszusprechen: die Prinzessin führte einen verwerflichen Lebenswandel. Sie unterhielt wohlbekannte Beziehungen zum Herzog von Guise. Als Christ hätte er sprechen sollen, als Weltmann aber schwieg er, und so warteten beide, bis Henri sich wieder zu ihnen gesetzt hatte. Dann belehrte Jeanne ihn allerdings gründlicher als vorher über die Gefahren des Unternehmens.

»Vergiß niemals, daß sie sich vor allem deiner versichern wollen. Es ist immer der Grundsatz Madame Catherines gewesen, ihre Feinde im Hause zu haben; und nach ihren Söhnen, die so leicht bluten, hast du den nächsten Anspruch auf die Krone Frankreichs. Ich weiß wohl, daß sie sich mit deiner Hilfe auch des Guise entledigen will, denn seine Familie scheint ihr bedrohlicher als die unsere«, sagte sie mit dem Ton der Verachtung. »Aber das Wichtigste ist der Königin, dich an ihren Hof zu locken. Das werde ich indes verhindern, ich selbst werde statt deiner hinreisen, dann wollen wir einmal sehen, ob sie mit mir fertig wird.«

Coligny nickte grimmig.

»Und ich folge Eurer Majestät auf dem Fuß. Alle unsere Forderungen müssen bewilligt werden, oder das protestantische Heer, mit dem Prinzen von Navarra an der Spitze, setzt sich gegen Paris in Bewegung. Darauf gibt es keine Gnade mehr!«

Dem jungen Henri schien es, als ob auch vorher nicht viel Gnade geübt worden wäre. Vor seinem Gesicht krümmten sich Bauern an Balken hängend, Feuer war angezündet unter ihren Füßen. Was ließ sich einwenden, wenn sogar seine geliebte Mutter aus Erfahrung wußte, daß dies das Gesetz der Welt war und daß der wahre Kampf um die Religion und das Königreich nicht anders aussah. Was verdienten auch Madame Catherine und ihre Katholiken, da sogar seine geliebte Mutter vor ihnen nicht sicher war?

»Mama!« rief er. »Du darfst nicht hinreisen! Sie werden dir etwas tun!« Er rief es wie ein ängstliches Kind. Jeanne zog ihn zu sich nieder, seinen Kopf bis in ihren Schoß, und so sprach sie - zu ihm, zu sich selbst und ihrem Herzen: ›Eine Frau allein ist am sichersten. Gott muß ihr beistehen, da niemand es tut. Aber was bin ich vor Gott - jetzt noch? Einst: ungeheuer viel, das Gefäß. Es ist jetzt ausgeleert und darf zerbrechen.‹

Sie glaubte es zu sprechen, hatte es in Wahrheit nur gedacht; aber mit diesen Worten war von Jeanne d'Albret das Opfer ihres Lebens gebracht.

Auch der Rat war zu Ende. Ihr Sohn und der Admiral verabschiedeten sich von ihr.

 

Eine Einzige ganz im Ernst

Draußen traf Henri seinen Vetter Condé und den jungen La Rochefoucauld, gleichfalls einer, vor dem er sich gehenließ. Ihnen sagte er:

»Nun also! Ich heirate die Schwester des Königs von Frankreich. Das ist auch der einzige Platz, der bei Hof noch frei ist. Sie haben schon einen Kanzler, Sekretär, Schatzmeister und Narren. Nur einen Hahnrei brauchen sie noch, der werd ich sein!«

Er lachte und sprang in die Luft, so hinreißend lustig, daß beide mittaten trotz ihrer inneren Befremdung.

Jeanne kehrte nach ihrem Land Béarn zurück, es war Herbst, der Abgesandte Katharinas suchte sie nochmals heim, er hieß Biron, und sie sagte ihr nicht mehr nein; sie stellte nur Bedingungen, ihre ersten und vorläufigen. Mehreres, an Protestanten verübtes Unrecht war zu sühnen, im Süden eine Stadt zu räumen, in Paris ein lästerliches Kreuz zu entfernen. Sie erklärte gradeheraus, daß sie nicht betrogen werden wollte, wie so manche andere, die im guten Glauben zu Hof gereist wäre!

Herbst war es gewesen, wurde aber Winter, bevor sie sich recht in Bewegung setzte. Sie hatte Fieber bekommen, ihr Sohn war gestürzt; man konnte glauben Jeanne würde durch diese Unfälle gewarnt, zu reisen. Dennoch kam es endlich dazu, daß Mutter und Sohn sich trennten; die Stadt hieß Agen, der Tag war der dreizehnte Januar, angebrochen war das Jahr zweiundsiebzig. Den blauen Lüften, dem besonnten Weg hätte niemand angesehen, daß dieser Abschied endgültig war. Die Pferde zogen an, schon rollte die lederne Kutsche, noch winkten und lächelten die bleiche Jeanne und ihre Tochter Kathrin. Der Sohn stand neben seinem Reittier, und sein Blick ging von einer zur anderen. Die Schatten unter den Augen der Mutter hatten sich ausgebreitet in letzter Zeit, so sah er bis hinab über ihre Wangen. Ihr Lächeln wurde inzwischen starr, daraus er kannte er, daß sie sein Gesicht schon nicht mehr genau unterschied, wohl wegen der zunehmenden Entfernung und auch, weil Tränen in ihre Augen traten.

Die Geschwister mit ihren frischeren Augen verständigten sich noch eine Weile, Henri bedeutete seiner Schwester: »Denke immer daran!« Sie erwiderte: »Ich weiß.« Er sagte: »Bei dem ersten Anzeichen von Gefahr, sofort einen Eilboten!« Sie bat so inständig: »Wenn du doch schon wieder bei uns wärst!« Sein Blick rief noch schnell: Gib acht auf unsere liebe Mutter, gib acht! Da nahm der Wagen eine Biegung, und fort war alles. Vom letzten der berittenen Edelleute hing im Sonnenlicht noch der Staub, aber auch er verflog.

Sechs Monate lang bekam Henri Briefe von Jeanne, die teuersten seines Lebens; denn wie viele Frauen er anbeten, an wie viele er die Kraft seines Lebens noch wenden soll, im Grunde wird er immer fühlen, daß nur eine einzige ganz im Ernst für ihn gekämpft und nur um seinetwillen geatmet hat bis auf den Rest ihrer Lungen.

Zu Tours, im Februar, hätte sie sich gern entschlossen, umzukehren, nur ging es nicht mehr. Den Reden der Herren, die Katharina zu ihrem Empfang entsandt hatte, hörte sie es gleich an, daß sie wirklich betrogen werden sollte. Die alte Königin und ihr Sohn, der König, befanden sich in Blois, kamen ihr aber ein Stück entgegen. Da hütete sich Jeanne d'Albret, von ihrer kostbaren Lebenszeit noch etwas zu verlieren: sofort verlangte sie, daß die Braut ihres Sohnes zum Protestantismus überträte. Das Gefährliche war, daß die alte Königin nicht einfach nein sagte; sie tat, als glaubte sie gar nicht, daß es ernst gemeint wäre. Ein Einfall im wolkigen Hirn einer Aufgeregten, die man beruhigen mußte durch fortwährende gute Laune, und daran ließ Katharina es nicht fehlen. Immer blieb diese schreckliche alte Frau zu Scherz und Spott aufgelegt, während des ganzen Winters und bis in den Mai: so lange verhandelten sie im Schloß zu Blois. Jeanne aber, die ihre Kräfte abnehmen fühlte, mußte haushalten mit ihnen, niemals durfte sie außer sich geraten, das hätte wieder Tage gekostet.

Die alte Königin scherzte: »Aber gute Freundin! Was macht es denn Ihrem tüchtigen Hahn aus, welchen Glauben meine hübsche Henne hat, wenn er sie …« Laut und deutlich, sogar noch andere hörten es und brachen in Lachen aus. Wollte Jeanne auch zornig werden, das Gelächter hätte sie nicht überschreien können. Daher verzog sie selbst das Gesicht, daraus wurde ein geringschätziges Lächeln, etwas Abseitiges inmitten der vereinigten Fröhlichkeit der anderen. Aber Jeanne wahrte doch, so gut sie es konnte, die Überlegenheit des Gesunden. Nur keine Krankheit verraten! Dann hätten sie mit ihr gemacht, was sie wollten.

Katharina log im Scherz, dagegen war schwer aufzukommen. Sie behauptete einfach, der Erzieher des Prinzen von Navarra hätte gemeldet, daß der Prinz für seine Person ganz bereit wäre, sich katholisch trauen zu lassen - in Vertretung sogar, während er noch dort unten säße; es könnte ihm nicht schnell genug gehn.

Jeanne erwiderte trocken: »Wie sonderbar, daß ich die Wünsche meines Sohnes nicht kennen sollte, während Sie, Madame, darüber Bescheid wissen!«

»Ihnen wollte er es auch sagen, aber das hat er wohl vergessen über seinen galanten Abenteuern«, scherzte Katharina und wiegte sich in ihren dicken Hüften, als ob sie jetzt gleich tanzen sollte auf ihren kurzen Beinen.

Nachher aber, als Jeanne sich erschöpft zurückgezogen hatte, erzählte die furchtbare Alte ihrem Hof alles umgekehrt. Jeanne selbst war es danach, die gebeten hatte, man möchte ihren Sohn auf alle Fälle nehmen, ob katholisch oder nicht, nur ohne Aufschub! Alle sprachen sie darauf an, die protestantischen Herren machten ihr heftige Vorwürfe, während die zahllosen Ehrenfräulein Katharinas ihr vorschwärmten von dem Wunderprinzen, auf den sie sich freuten wie die Kinder. Diese Ehrenfräulein hatten sämtlich keine Ehre mehr zu verschenken, sondern nur noch Vergnügen, und das taten sie auf jeden Wink ihrer ruchlosen Herrin. Sie befolgten wohl den Auftrag, die Sittenlosigkeit dieses Hofes der empfindsamen Jeanne unverhohlen vorzuführen, um sie eher abzunutzen. Am Abend, oder auch schon vorher, ging es hier zu wie in einem besonderen Haus. Abseits blieb nur Margot, die Braut.

 

Ein Florentiner Teppich

Die Mutter Henris konnte nicht leugnen, daß die Prinzessin von Valois sich wohlverhielt und daß sie von fehlerloser Gestalt, wenn auch zu sehr geschnürt war. Sie hatte ein völlig weißes Gesicht, gelassen heiter wie der Himmel, so kennzeichnete es ein Hofmann namens Brantôme; Jeanne aber durchschaut natürlich, was an all dem Geziertheit und was Schminke war. Sie legten hier so dick auf, wie sonst nur in Spanien. Diese Höflinge übertrieben auch, ganz wie Götzenanbeter. Jeanne beobachtete aus sicherer Entfernung eine der gottlosen Prozessionen, die Hauptperson darin war kein Pfaff und auch der Bischof nicht. Margot, in Perlen und Edelsteinen schimmernd, mit ihnen bestirnt bis über den Scheitel, war Gegenstand der gesamten Verehrung von Adel und Volk. Die Gemeinen knieten am Wege hin. Wer im Zuge ging, fühlte sich getragen. Gemurmel wie Gebete stieg aus dem Gedränge auf. Wahrscheinlich war es Lästerung.

Als Margot ins Schloß zurückgekehrt war, ließ Jeanne sie in ihr Zimmer bitten, und sie kam sogleich, noch trug sie ihr Staatskleid und allen Schmuck. Jeanne konnte sich der Beobachtung nicht erwehren, daß diese so erfolgreiche Schönheit dennoch Hängebacken hatte, oder wenigstens ließ sich voraussehen, die Wangen würden herabfallen, wenn das Mädchen nur noch wenig älter wäre, und langsam entstand dann wohl das Bild der alten Katharina.

»Liebe Tochter«, sagte Jeanne, zärtlicher als sie gewollt hatte. »Du bist schön und gut. Mein einziger Wunsch ist, daß du so bleiben mögest. Dein Mann wird wahrhaft glücklich sein.«

»Ich kann nur hoffen, meine liebe Mutter, daß Sie mit meinem Aussehen recht haben. Hinsichtlich meiner moralischen Verdienste indessen will ich Ihnen gestehen, daß sie noch leichter wiegen als meine physischen. Ich habe keine Erziehung, oder nur eine sehr unregelmäßige, genossen.«

»Sie sprechen so gut«, sagte Jeanne und hörte schon auf, ihre Schwiegertochter zu duzen. Inzwischen dachte die beredte Margot an die erzieherischen Prügel, die sie von Mutter und Bruder bekommen hatte, weil sie mit dem Guise schlief. Ach! Wann sollte sie diese Freude wiederhaben? Er war fortgeschickt worden von Madame Catherine, sobald die Schwiegermutter sich näherte. Er sollte heiraten, ihr Süßer ging verloren! Tränen drohten der Armen in die Augen zu treten. Noch rechtzeitig bedachte sie ihre bemalten Lider, von denen die Farbe wäre fortgeschwemmt worden, und ihr glattes Gesicht, das durch salzig rieselndes Wasser bald Falten bekommen hätte. Man darf nicht erst anfangen.

Jeanne sagte weiter: »Mein Sohn ist ein Junge vom Lande, und doch ein Königssohn. Er ist Soldat, daher hat er sowohl das Ehrgefühl als auch den unscheinbaren Edelmut, die beide dem echten Soldaten gehören.«

»Güte und Ehre sind ein und dasselbe. Ich habe im Plutarch gelesen -«

»Auch mein Sohn hat von mir den Plutarch zu lesen bekommen; er weiß sehr wohl seine Vorbilder aufzufinden unter den großen Männern. Er ist nicht geistlos, wenn ich auch sagte, daß er einfach ist. Sein Witz kommt aus einem lebendigen Herzen, nicht aus eitler Klügelei und getünchtem Grab!«

Margot setzte das Charakterbild unmittelbar fort: »Er hat königliches Blut, das aber ganz gesund ist, und sein Geist ist sich seiner Verfeinerung wenig bewußt.« Dies war das grade Gegenteil ihrer eigenen Lage, daher konnte sie es sich denken. Jeanne glaubte statt dessen irrtümlich, ihr inständig angepriesener Sohn habe jetzt an das Gefühl gerührt. Unachtsam setzte sie ihre Eröffnungen fort.

»Oh! Wie sehr wünschte ich, liebe Tochter, daß ihr beide euch nach eurer Verheiratung zurückzöget von diesem Hof. Denn hier ist nur Verderbnis. Sie geht so weit, daß hier die Frauen die Männer auffordern.«

»Haben Sie es auch bemerkt?« seufzte Margot. »Ja, es ist schlimm.«

»Lebt beide in Frieden und Einigkeit fern von hier! Ich habe Güter in Vendôme, dort wäret ihr die Herren, anstatt daß ihr am Hof von Frankreich einen leeren, nutzlosen Prunk entfalten müßt - wie heute bei der Prozession. Habe ich doch Herren gesehen: hunderttausend Taler reichen nicht für das Geschmeide, das einer an sich trug! Gott will aber anders geehrt werden, und er befiehlt, daß wir für ihn nicht prahlen, sondern kämpfen. Liebe Tochter! Wir alle sind fehlbar, aber die Protestanten hängen nicht allein an dem Reich von dieser Welt: das rechtfertigt uns, wir verstehen es, arm zu sein, bedroht zu leben und lange zu warten - um der Freiheit willen, und die ist in Gott.«

Die Königin Jeanne machte endlich eine Pause, sie hielt ihren drängenden Blick auf dem weißen Gesicht der Prinzessin Margot, worin die Augen sich ganz geschlossen hatten. Margot dachte: ›Gefährlich! Meine Mutter hat nur zu recht, die sind eine große Gefahr. Man wird gegen sie etwas Entscheidendes unternehmen müssen - was Mama auch vorhat, wenigstens vermute ich es stark. Sie schiebt es nur noch auf, bis sie auch meinen Henri in sicherer Obhut hat, den Jungen vom Lande, ehrlichen Soldaten, mit seinem lebendigen Herzen und noch einem anderen Gegenstand, an dem mir persönlich mehr gelegen ist.‹ Dies sann Margot, indessen Jeanne das eine ihrer Knie mit der Hand umspannte. Es war wie eine Besitzergreifung, hatte aber zugleich etwas Flehendes.

»Komm zu uns!« Das war ihre seltene Glockenstimme. »Nimm den wahren Glauben an! Du wirst glücklicher werden, als du je gedacht hättest. Dies Land wird die Einigkeit und den Frieden kennenlernen.«

»Auf wessen Kosten?« fragte die Schwester Karls des Neunten hinter ihren noch immer nicht geöffneten Augen. - ›Das geht natürlich nicht‹, entschied sie für sich. Gleichzeitig bemerkte sie allerdings, daß diese merkwürdige Frau im Begriff stand, sich unmöglich zu benehmen. ›Ihre Hand, die um mein Knie liegt, macht eine Anstrengung: kein Zweifel, sie stützt sich, und ihr eigenes Bein fängt an zu gleiten. Wenn ich nicht sogar eingreife, wird sie mir zu Füßen fallen.‹ Schnell erfaßte sie Jeanne beim Handgelenk.

»Madame, Sie denken von mir zu hoch. Ich bin vielleicht nur, was Sie ein getünchtes Grab nennen. Jedenfalls aber ist mein Bruder der König von Frankreich. Mein Vater war dasselbe - beide katholisch, und dies ist auch mein Glaube. Wir können es nicht ändern, selbst wenn ich möchte. Ich, die Tochter all der katholischen Könige, sehe mich nicht bei eurer Predigt. Deshalb aber muß Ihr Sohn noch nicht zur Messe gehen: ich werde duldsam sein.«

»Du willst mit ihm an diesem sittenlosen Hof bleiben?« Jeanne sprach ernüchtert, kalt, und bei dem Du ließ sie es diesmal aus bloßer Geringschätzung. Den aufsteigenden Haß unterdrückte sie um ihrer höheren, unveräußerlichen Zwecke willen. Wer war dies Mädchen, das so aufdringlich nach Moschus roch? Was konnte ihr böser Wille aufhalten oder ändern?

»Oh!« hauchte Margot, voll Nachsicht und sogar Mitleid für diese unglückliche Frau. »Ihr Sohn wird es gewiß bald lernen, sich am Hof zu bewegen. Ich bin ganz bereit, ihn zu beschützen. Zwar kann ich keine Protestantin werden, aber mit einem einfachen, rauhen Protestanten werde ich mich gut vertragen, das fühle ich.« Sie sprach noch weiter, denn die Prinzessin von Valoi beherrschte die Rede. Jedes ihrer Worte war unglücklich und erbitterte die Mutter Henris gegen sie; das konnte sie nicht wissen. Dagegen fiel ihr, einmal im Zuge, sogar die kleine Schwester ihres Verlobten ein, das unbedeutende Kind, an das sie sonst niemals dachte. Allerdings entsann sie sich seiner auch deshalb, weil die Tür nach dem Nachbarzimmer, oder vielmehr der gewirkte Vorhang über der Tür, sich leise ein wenig bewegte. Mit erhobener Stimme sagte Margot:

»Wenn ich nicht Ihren Sohn für einen Freund und Herrn ansähe, Madame, dann würde doch sicher Ihre reizende Tochter mich für ihn einnehmen. Wir haben kein solches Mädchen hier, zum erstenmal begegne ich einem Wesen ihresgleichen, und verzeihen Sie mir die gelehrte Erinnerung, eine der königlichen Hirtinnen des Altertums erscheint vor meinen Augen in der zarten Gestalt Ihrer Catherine.«

Worauf Catherine denn pünktlich und in Wirklichkeit eintrat. Ihre Mutter Jeanne, die den Florentiner Teppich und sein Schwanken nicht beachtet hatte, erschrak, ja, einen Augenblick glaubte sie an wunderbare Fähigkeiten ihrer Schwiegertochter, besonders, weil Catherine barfüßig ging und ihre aufgelösten Haare über ein weißes Nachtgewand fielen. Blond wie sie war und unschuldig von Gesicht, konnten die durch Margot berufenen Hirtinnen nicht anders aussehen. Margot ihrerseits stellte sich überrascht, wenn auch mit Geschmack und ohne Übertreibung. Sie stand nur auf und öffnete zum Empfang ein wenig die Arme, weil dieses Kind so lieblich war.

Die Königin Jeanne erkannte ein getünchtes Grab und sah entrüstet fort, weil sie es fast hätte bis zur Täuschung kommen lassen - indes ihre Tochter sich der bewunderten Margot vertrauensvoll mitteilte. »Ich huste etwas, heute muß ich im Bett liegen und Eselinnenmilch trinken. Madame, wenn Sie meinen Milchbruder, den kleinen Esel sähen, wie lieb er ist!«

»Und erst du, meine Kleine!« rief Madame, umarmte ihre Schwägerin und gab ihr viele harmlose, für sie passende Worte. Vielleicht, daß Catherine sich freute. Jeanne jedenfalls hörte nicht mehr hin, sondern durchmaß mit ihren Blicken dies fremde gleichgültige Zimmer. Genau dies war überall! Dieselben bilderreichen Wandbekleidungen, geschnitzte Truhen, schwer herabdrückende Decken, und das mit Himmel und Vorhang verdunkelte Bett und die Fenster am Rande tiefer Nischen: alles geheim, voll von Verstecken, unter Prunk und Zierrat unheildrohend, wenn man es ein einziges Mal recht ansah - und so die Menschen! So die Menschen, fühlte Jeanne, schaudernd, sie wußte nicht, warum.

Der Prinzessin Margot war mehr bekannt als ihr. Sie hatte manches erlauscht bei Hof und damit die Gesichter ihrer Mutter und ihres königlichen Bruders verglichen, wenn die beiden miteinander flüsterten. Während sie jetzt die unschuldige Catherine umarmt hielt, fühlte sie wunderbarerweise etwas sich regen, es konnte ihr Gewissen sein. Vielleicht war es im Gegenteil ein Stolz und Hochsinn, der nichts Tückisches kennen will. Catherine sang mit ihrem schwankenden Stimmchen, den hohen erschreckten Endsilben: »Sie sind so schön, Madame, heute müßte mein Bruder Sie sehen. Werden Sie ihm auch wohlgesinnt sein?«

»Ja, ja«, erwiderte Margot, dachte aber dabei mit ansteigender Empörung: ›Das darf nicht sein. Ich muß ihnen die Wahrheit sagen.‹

»Wo haben Sie Ihren kleinen Hund, Madame? Es ist der hübscheste kleine Hund, den ich kenne.«

»Ich schenke ihn dir.« Margot ließ das Mädchen los. ›Ich muß sie warnen!‹

»Ich will Ihnen einen Rat geben.« Margot neigte sich vor, um Jeanne dringend ins Auge zu fassen. Zum erstenmal verließen sie, bei ihrem außerordentlichen Vorhaben, die Gewandtheit und Ruhe. Sie setzte vergebens an, ihr Atem wurde hörbar, die Nase sogar erschien länger. »Aber Sie dürfen keinem sagen, daß ich es war!«

Geheim und unheildrohend unter Zierrat - fühlte Jeanne. Sie sprach: »Ich weiß schon, daß ich hingehalten werde und daß man mich betrügen möchte!«

»Wenn es das nur wäre! Reisen Sie ab, Madame!« rief Margot, schon kreischte sie, das war nicht Seelengröße mehr, wie sie gewollt hatte, nur noch nacktes Entsetzen. Plötzlich tonlos: »Hört uns auch niemand? Nehmen Sie dies süße Geschöpf, fliehen Sie nach Süden, wenn Sie es noch können! Um irgend etwas für sich zu erreichen, dürfen Sie nicht hier sein - und erst recht Ihr Sohn nicht!«

Eigensinn und Unglauben waren alles, was Margot in ihrem ehrlichsten Augenblick bei Jeanne fand. Jeanne hatte beschlossen, den Drohungen nicht zu glauben. Dies alte Gesicht konnte Margot nicht bewegen, daher tastete sie mit unsicheren Händen nach der andern Jungen, damit diese ihr helfe. Ihr Blick verließ Jeanne, er ging zu Catherine, blieb aber für Jeanne bestimmt. Die sollte sehen, wie Margot mit der Schwere ihrer schwarzen Augen in den hellen des Mädchens etwas hervorbrachte: es war Erkennen. Jetzt war es auch Erschrecken!

Indessen blieb Jeanne bei ihrer Ablehnung, und sie geriet vollends in Zorn, weil ihre Tochter erblaßt und auf den Füßen unsicher geworden war. »Genug!« befahl sie. »Kehr in dein Bett zurück, mein Kind!« Nachher erst, als die Tür sich hinter Catherine geschlossen hatte und der Florentiner Teppich nicht mehr schwankte, antwortete Jeanne auf den Rat und die Warnung der Prinzessin von Valois.

»Madame, ich habe alles verstanden. Sie sollen mich wankend und ängstlich machen, der Auftrag kommt von der Königin, Ihrer Mutter. Berichten Sie ihr, ob Sie mich niedergeschmettert gefunden haben! Meinerseits will ich Ihnen melden, daß der Herr Admiral beim König alles erreicht hat, was wir Protestanten wollten. Sie selbst brauchen hinsichtlich Ihres Glaubensbekenntnisses keine endgültigen Beschlüsse zu fassen, bevor Sie gesehen haben, daß dieser Hof den Krieg an Spanien erklärt. Sie werden sehen! Mein Sohn jedenfalls, Ihr Verlobter, wird erst hier eintreffen, wenn unsere Partei ganz groß dasteht.«

»Gewiß, Madame«, sagte Margot. Die arme Brust der Königin von Navarra bebte und rang bei ihren stolzen Worten; aber die Schwester Karls des Neunten, so kühl wie je, fand keinen Grund mehr, weder zu Gewissensregungen noch zum Edelsinn. Sie dachte, wie am Anfang dieser Unterredung: ›Gefährlich! Sie sind eine große Gefahr; meine Mutter hat recht, etwas Entscheidendes muß gegen sie unternommen werden. Aber sie verderben sich selbst: hier ist Schicksal im antiken Sinn!‹ dachte die Gelehrte.

»Gewiß, Madame«, sagte Margot. »Ich werde Ihre Worte bei mir erwägen.« Tiefer Knicks. »Und habe ich mich erst überzeugt, daß Sie die Klügere waren, dann wird wohl auch Ihre Religion die meine werden müssen. Hoffentlich bringt der Herr Admiral den Prinzen, meinen Verlobten, mit, damit hier alle vereint sind.« Tiefer Knicks - und der wehende Duft von Moschus, da war Madame Marguerite schon fort.

Jeanne ging zu ihrer Tochter, die ihr entgegensah mit aufgerissenen blauen Augen. Als Jeanne nahe genug beim Bette war, warf das Mädchen ihr beide Arme um den Nacken.

»Angst, Mama! Ich hab Angst!«

 

Die Briefe

Später schrieb jede der beiden nach Pau, an Henri. Die Briefe wurden gewöhnlich in verschiedenen Zimmern des Schlosses von Blois geschrieben, und Catherine steckte dem Boten, den Jeanne abschickte, den ihren heimlich zu. Jeanne schrieb einmal: »Gehe oft in die Predigt und täglich zum Gebet! Bürste Deine Haare nach oben, aber nicht wie man sie früher trug! Der Eindruck, den Du hier sofort machen mußt, ist: Anmut und Keckheit. Aber rühr Dich nicht fort aus Béarn, bis ich Dir wieder schreibe!«

Catherine meldete indessen ihrem Bruder: »Madame hat mir einen schönen kleinen Hund geschenkt, ich habe auch prächtig bei ihr gegessen. Sie hat mich gern. Wenn ich Dir jetzt sage, mein lieber Bruder, daß ich mich fürchte, dann weiß ich wohl, daß Du mich nicht verstehen kannst. Du hast mir aufgetragen: beim ersten Anzeichen von Gefahr einen Eilboten! Ich sehe kein Anzeichen, und schicke Dir dennoch den Eilboten. Gib acht! so hast Du mir bei meiner Abreise mit den Augen zugewinkt, gib acht auf unsere liebe Mutter! Unsere liebe Mutter reist jetzt bald mit dem ganzen Hof nach Paris, wo wir viele Feinde haben. Ich werde die Augen öffnen, aber wenn Du doch schon wieder bei uns wärest!«

Jeanne d'Albret schrieb folgendes an ihren Sohn Henri im Mai aus Paris, wo sie im Hause des Prinzen von Condé wohnte. Sie schrieb es am Abend beim geöffneten Fenster, ihre Lampe flackerte in der warmen Luft.

»Das Bild Madames habe ich Dir hier besorgt und schicke es Dir. Möge es Dich erfreuen! Mir gefällt hier, außer der Erscheinung Madames, die wirklich schön ist, nur weniges. Die Königin von Frankreich traktiert mich mit der Mistgabel, und Deine Margot bleibt eine Papistin, alle meine Anstrengungen waren umsonst. Nur die eine Genugtuung hatte ich, daß ich an Elisabeth nach England berichten konnte, Deine Heirat sei jetzt unwiderruflich beschlossen. Mein Sohn, ich weiß nicht, ob ich immer da sein werde, um Dich zu behüten vor den Versuchungen dieses Hofes. Laß Dich nicht verführen, nicht im Leben, nicht im Glauben!«

In einem anderen Zimmer des Hauses kritzelte heimlich die Schwester: »Schnell ein Wort über etwas, das uns heute geschehen ist! Wir gehen hier in die Läden, wo Mama die Einkäufe macht für Deine Hochzeit. Heute waren wir bei dem Handwerker, der Bilder von Madame anfertigt, und wollten das hübscheste aussuchen, da sammelten sich draußen viele Leute an und murrten gegen uns. Sie wurden immer lauter und drohender, bis unsere Wache sie vertrieb. Mama sagte, es seien nur aufgeregte Gaffer, wie unvermeidlich in Paris: ich aber bin gewiß, daß sie Deine Heirat meinten. Dieses Volk will sie nicht, und überall sucht es Händel mit den Protestanten. Mehrere unserer Herren haben es mir gestanden, weil ich sie nötigte. Denn ich bin kein solches Kind, wie man meint. Die Ehrenfräulein der bösen alten Königin sind ein ganzes Regiment, sie haben viel Freunde überall und hetzen sie gegen uns, besonders aber gegen den Herrn Admiral. Er traf hier ein mit fünfzig Reitern. Madame Catherine ist wütend auf den Herrn Admiral, weil er mit Kraft unsere Sache vertritt. Ich darf nicht sagen: mit Unüberlegtheit, denn ich bin nur ein Mädchen. Dies alles mußte ich Dir ganz schnell aufschreiben, denn unter meinem Fenster im Hof wartet der reitende Bote, daß ich den Brief hinabwerfe, auch geht mein Licht aus, ich muß doch noch siegeln.«

Während Catherine das Wachs auf das Papier auftrug, flackerte aus dem Schnabel der Lampe das Licht noch einmal hervor, und dann erlosch es. Die Lampe Jeannes leuchtete weiter, sie schrieb: »Coligny ist entschlossener als je, das tröstet mich. Er fordert den Krieg in Flandern, und die Königin kann ihm nicht widerstehen, wenn sie auch fälschlich einwendet, daß niemand mit uns gehen werde, weder England noch die protestantischen deutschen Fürsten. Sie ist schließlich nichts als ein altes Weib; ihr Sohn, der König, aber fürchtet den Herrn Admiral und liebt ihn darum, er nennt ihn seinen Vater. Bei ihrem ersten Wiedersehen ist Coligny hingekniet, aber in seinen Gedanken und Vorhaben demütigte er sich vor Gott - und keineswegs vor Karl dem Neunten, der im Gegenteil ihm ganz zu Willen ist, ihn mit Ehren überhäuft und ohne ihn nichts mehr beschließt. Der König hat dem Herrn Admiral hunderttausend Pfund geschenkt, damit er sein verbranntes Schloß Châtillon wiederherstellen kann. Dort befindet sich der Herr Admiral. Der König aber ist in Blois zurückgeblieben wegen einer Geliebten. Der Herr Admiral hat recht: das gibt uns die Gelegenheit, Madame Catherine aus der Macht zu drängen. Jetzt, mein Sohn, mach Dich auf und reise!«

Dies schrieb Jeanne, und der Bote, ein Béarner Edelmann, brachte es in Sicherheit, um beim ersten Tagesgrauen damit abzureiten. Wenigstens glaubte er die beiden Briefe, der Königin und ihrer Tochter, sicher auf seinem Leibe tragen zu können. Indessen war er noch nicht angelangt bei dem Haus, wo er mit Kameraden wohnte, da wurde er angerannt von Betrunkenen; trotz der Dunkelheit erkannte er, daß sie zur Leibwache der Königin von Frankreich gehörten. Er erwehrte sich ihrer, bekam aber einen Schlag, der ihn zu Fall brachte. Als er aufstehen konnte, waren seine Angreifer fort und mit ihnen die anvertrauten Briefe.

Sie kamen unverweilt in die Hände Katharinas von Medici und wurden vor ihr geöffnet, ohne daß sie die Siegel brach. Allein in ihrem Schlafzimmer, las sie, was ihre Feindin und die andere ihr wohl oder übel verrieten, und Madame Catherine freute sich. Sie war erfreut, weil entlarvte Verschwörungen sie zu beleben pflegten. Jede Bosheit des Lebens und der Menschen bestätigte ihre eigene Natur und Geistesart und ermunterte sie zu einer entscheidenden Tätigkeit. Sie saß in ihrem graden hölzernen Sessel ohne Bequemlichkeit, sah über das Geschriebene hinweg, denn sie wußte es auswendig, und zwei der weißen Wachskerzen, von denen sechs in ihrem Zimmer gebrannt hatten, beleuchteten sie noch: die anderen waren von ihren Fingerchen ausgelöscht. Der Lichtschein umrandete die gelb herabhängenden Massen des Kinns und der Wangen, das obere Gesicht lag unter einem Schatten, worin aber die Augen, sonst stumpf schwarz, wie angezündete Kohlen glommen. Was diese Augen im Innern der alten Königin auch erblicken mochten, außen im Zimmer sahen sie, von dem Dunkel freigelassen, nur gewisse Einzelheiten der bemalten Täfelungen, einmal einen schreiend aufgerissenen Mund, ein geschwungenes Messer. Die Flamme der Kerze wurde aber von Zugluft nach der anderen Seite gelegt, da erschien das fleischliche Lächeln einer Nymphe und die Hand, die nach ihr griff.

Madame Catherine bedachte, daß sie nach den ausdrücklichen Worten ihrer Feindin sollte aus der Macht gedrängt werden. Schon bildete diese Unbesonnene sich ein, die Herrin zu sein, Madame Catherine aber wäre allein und verlassen und ihr Sohn, der König, nur noch das Werkzeug eines Aufrührers, den ihr Gericht verurteilt hatte, gehängt zu werden auf dem Grèveplatz! ›Das Urteil ist nicht aufgehoben, meine gute Freundin! Wissen Sie denn, ob meinen Sohn Karl nicht manchmal die Reue packt? Und wäre es nicht seine bessere Besinnung, dann hat er doch Furcht vor seinem Bruder d'Anjou, der mein Liebling ist, weil er keine Frauen mag. Ich drohe dem älteren mit dem nächsten. Er weiß, wie schnell man bei uns stirbt. Nein, gute Freundin, was Sie sich auch einbilden mögen, ich werde nicht den König von Spanien erzürnen und werde den holländischen Geusen durchaus nicht gegen ihn beistehen. Sonst gäbe Philipp meinen Thron den Guise, und ich wäre wahrhaftig verloren. Mit den Guise, diesen Erzkatholiken, muß ich so gründlich fertig werden wie mit euch Ketzern. Kommt eins nach dem andern. Lassen Sie mir nur noch wenig Zeit, gute Freundin! Sie sollen große und seltene Neuigkeiten erleben. Sagte ich: erleben?‹

Madame Catherine dachte, ohne auch nur wahrzunehmen, daß sie dachte. Ihr Geist lebte in diesem Zeitraum herrlich, weil er gespannt war über die Angst hinweg bis zum ruchlosen Wagemut. Man geht dann in Gedanken weiter, als die Tat voraussichtlich jemals führen soll: und sie führt dahin dennoch.

Sie war inzwischen keineswegs entrückt aus der Gegenwart, sondern nahm alles wohl wahr, was in ihrem Schloß zu dieser Stunde vor sich ging. Ihr Schloß Louvre wurde versperrt und verriegelt um elf Uhr, kurz vorher war ein großes Gelaufe von Höflingen, die rechtzeitig hinauswollten: sogleich mußte zum drittenmal gerufen werden, dann fielen die Tore zu. Noch marschierten schwer die Bogenschützen des Königs durch alle Gänge, um sie von Zurückbleibenden zu säubern. Waren sie aber vorüber, wurde dennoch an Türen, die nur anlehnten, heimlich verhandelt, und die Frauen ließen die Männer ein. Madame Catherine wußte es wohl und erlaubte es. Der Anführer der Leibwache des Königs trat bei ihr ein und fragte nach dem Losungswort für diese Nacht. »Amor«, beschied ihn Madame Catherine.

Sie befahl diesem Hauptmann noch weiteres, aber dabei ließ sie ihn nahe zu ihrem Stuhl treten und sprach leise. Infolgedessen wurden in ihrem Vorzimmer die sechs Wachskerzen ausgelöscht, und auf die Treppen ergoß diese Nacht keine der großen Laternen aus Leinen ihren gesiebten Schein. Es hatte zwölf geschlagen, da stieg, von einem Fackelträger begleitet, eine vermummte Gestalt hinan zum Schlafzimmer der alten Königin, trat ein, schloß aber die Tür erst, als der Offizier sich entfernt hatte. Dann öffnete Karl der Neunte seinen Mantel. Seine Mutter saß am Fleck wie seit Stunden, sie wendete ihm das große alte Gesicht zu, das Licht flackerte schräg darüber hin, und ihr Sohn erschrak.

»Ich habe dich rechtzeitig gerufen, mein Sohn, auch war es nötig, daß du bei Nacht eintrafst. Es ist soweit, daß wir handeln müssen. Lies diese Briefe!« Sie schob sie ihm hin. Karl buchstabierte in ihnen, schon schlug er mit der Faust auf den Tisch. Sein Gesicht aber zeigte nicht nur Wut, sondern noch mehr Furcht. Der mißtrauische Blick kam, wie seit jeher, schräge. Katharina dachte: ›Ein schlechterhaltener junger Mann. Wie gut, daß ich noch zwei Söhne habe! Der nächstfolgende liebt die Knaben: ich werde die einzige Frau sein, die ihn beherrscht. Der letzte ist ein Querkopf, auf ihn muß ich aufpassen, damit er nichts gegen mich tut.‹

»Ich denke immer an dein Wohl, mein Sohn«, sagte die alte Frau. »Du hast in Blois bei deiner Freundin zuviel des Guten getan: jetzt brauchst du sehr nötig die bewährte Kraft deiner Mutter, damit wir deinen Thron retten.«

»Schlag sie tot! Schlag sie tot!« keuchte Karl, dem die Adern unheilvoll anschwollen. Sein Gesicht war weniger fett als aufgetrieben, und es wurde bedeckt von einem gestutzten, undichten Bart. Über die Oberlippe hing dieser in rötlichen Strähnen, die Unterlippe aber, sonst aus Abneigung gegen die Welt fest angedrückt, fiel jetzt herab, weil der arme Mensch große Angst litt. Bei »Schlag sie tot!« stieß er unbeherrscht den Kopf aus der gestärkten Halskrause hervor, wobei in seinen großen Ohren die beiden dicken Perlen schaukelten und schimmerten.

Die alte Frau sagte: »Der Herr Admiral, den du deinen Vater nennst - Aber nenn ihn nur so, das täuscht ihn. Der Empörer bedroht mich ganz offen, und seine armselige Ziegenkönigin hat mir ins Gesicht gesagt, daß sie mich nicht fürchtet. ›Ich weiß, daß Sie keine kleinen Kinder fressen‹, so hat sie sich ausgedrückt. Aber ich versichere dir, daß die Pyrenäenziege es nicht im geringsten weiß. Zum Beispiel, sie selbst hat Kinder, und die denke ich allerdings zu verzehren. Das kleine Mädchen hat diesen rührenden Brief geschrieben, und der Junge soll ihn richtig bekommen. Um so sicherer wird sein ritterlicher Sinn und Mut ihn herführen, dann aber dient er mir als Lockvogel für alle die gefährlichen Hugenotten. Paris wimmelt schon jetzt von ihnen, aber im Gefolge ihrer munteren Prinzen werden erst recht viele von ihnen hier einrücken.«

Sie hatte die Stimme vollends gesenkt, sie flüsterte nur noch. »Dann haben wir sie. Alle Gascogner Schreier werden zusammen nur noch einen Hals haben der ist leicht abzuschneiden. Still!« herrschte sie ihn an, denn Karl wollte wieder loslegen: Schlag sie tot! Es war ihm anzusehen. Indessen, auch Madame Catherine war im Geist über einen Abgrund gespannt, unwissend, ob die Tat dem Gedanken jemals nachfolgen sollte. Sie erinnerte sich, langsam und Wort für Wort:

»Der Herzog von Alba sagte mir einst: ›Zehntausend Frösche sind noch kein Lachs‹, und ich erwiderte ihm: ›Sie können mit dem Lachs zwei Personen meinen.‹«

Sie sah ihn lange und aufmerksam an, obwohl sie nur seinem Seitenblick begegnete. »Allerdings sind auch wir nur zwei«, äußerte sie plötzlich, ließ auf einmal wieder ihre fette, behäbige Stimme hören. Darüber erschrak er dermaßen, daß er, in der Absicht, nach einem nicht vorhandenen Stuhl zu greifen, sich vor sie hin auf den Boden setzte. »Bleib ruhig sitzen!« sagte seine Mutter, und von jetzt an sprach sie ihm unmittelbar ins Ohr - so lange, daß der Maimorgen hinter den Vorhängen schon dämmerte, als der König fortging von Madame Catherine.

 

Um nicht mehr fahl auszusehen

Der Offizier mit der Fackel zeigte sich an der Ecke, er hatte dort hinten gewartet die ganze Nacht - wenn er nicht vielmehr an der Tür gehorcht hatte. Karl folgte ihm voll Haß und Furcht. Der Hauptmann brachte ihn in sein Schlafzimmer, die Wache im Vorzimmer weckte er mit scharfem Anruf, bis die Leute von den Bänken aufsprangen und ihre Hellebarden niederstießen. Karl prüfte aus den Augenwinkeln alle Mienen, eine nach der anderen, wie das Licht der Fackel sie bloßlegte. Dann ging er zu Bett.

Aber er konnte nicht einschlafen: Gesichte erschienen hinter seinen Lidern - Feinde, Feinde, und dazwischen die zuletzt erblickten, seine eigenen Leibwächter. Einmal glaubte er, die Tür sich öffnen zu sehen - peinigend langsam, bis er bemerkte, daß seine Augen geschlossen waren. Dann blinzelte er vorsichtig, nichts, als nur das schwache Flackern eines Dochtes, der im Öl schwamm. Karl ertrug nicht länger diese Nacht, er verließ sein Lager, mit scheuen Bewegungen drückte er sich durch einen Nebenausgang, gelangte auf Umwegen zu seinem eigenen Vorzimmer, er war im Nachtgewand. Seine Leibwächter schliefen ringsum auf den Bänken, in der Mitte aber stand aufrecht der Hauptmann mit verschränkten Armen, und der unerwartet aufgetauchte Karl überraschte ihn bei einem viel zu tiefen Blick. Den haben nur Verschwörer! Der Mensch bekam auch sogleich eine ganz leere Miene, als er sich entdeckt sah; immer verdächtiger machte er sich seinem König. Dieser blieb halb draußen, und zuerst sah er sich um, als ob Hilfe nahe wäre. Dann flüsterte er durch die gerundeten Hände:

»Amaury, auf dich verlaß ich mich, du bist mein Freund. Als aber das Licht deiner Fackel deinen Leutnant traf, da erkannte ich einen Verräter. Mach Streit mit ihm, und daß ich ihn nie wiedersehe! Geh voran in den Hof! Ich schicke ihn dir.«

Der Hauptmann gehorchte; jetzt flüsterte Karl mit dem vom Schlaf erwachten Leutnant. Er empfahl ihm, den Raufhandel nicht erst abzuwarten. »Gleich zustoßen! Nachher aber schrei, als ob er dich angegriffen hätte!«

Hierauf schlich er zurück in sein Schlafzimmer und kam erst wieder hervor, als die Soldaten laut durcheinanderriefen. »Was geht hier vor! Platz für mich!« befahl er überaus herrisch, obwohl im Nachtgewand. Die Leute hinter ihm schwiegen, Karl beugte sich, vom Morgenwind und seinen Gefühlen fröstelnd, über die gewundene Treppe. In einem grauen Stück Tag lag tief dort unten ein Körper hingestreckt. Daneben fuchtelte jemand und schrie Mordio. Hinter Karl sagte die gelassene Stimme seiner Mutter: »Der Mensch soll still sein und heraufkommen.« Karl bemerkte erst jetzt, daß sie die Soldaten schon fortgeschickt hatte. Er gab dem Mörder dort unten ein Zeichen. Inzwischen erfuhr Madame Catherine durch mehrere kurze Fragen, was ihr schwerfälliger, aber ungebärdiger Sohn angestellt hatte.

»Ligneroles«, redete sie den jungen Menschen an, als sein Kopf über der Treppe erschien, »Sie haben dem König einen guten Dienst erwiesen.«

»Es ist gern geschehen, Madame«, leichtherzig sagte der junge Mann es. Er erwies sich alsbald als redselig. »Hauptmann Amaury war ein heimlicher Hugenott, wußten Sie es nicht, Madame? Ihre Pläne gegen seine Partei, er hatte sie erraten, er war sehr erregt vorhin, und durch ihn weiß auch ich, seit heute nacht, von dem, was bevorsteht. Ich bin dabei! Mit Freuden! Das soll mal eine fröhliche Schlächterei werden!«

Karl der Neunte, dies hören und schlottern in seinem Hemd. Er mußte sich anlehnen. Nur gut, daß der junge Ligneroles vor ihm stand und daß Madame Catherine sie beide sicher im Auge behielt. Sie sprach behäbig und fett: »Heute haben Sie sich bewährt und verdienen eine Stärkung, kommen Sie, junger Mensch!« Watschelnd führte sie ihn in ihr Schlafzimmer, öffnete einen niedrigen, breiten Schrank, der außen mit großen, eckigen Kegeln bewehrt war, und schenkte Wein ein.

»Jetzt aber gehen Sie schlafen«, sagte sie, als Ligneroles sein Glas ausgetrunken hatte und auf einmal völlig erschöpft aussah. »Heute haben Sie dienstfrei«, bemerkte sie freundlich, aber er verstand sie wohl nicht mehr, er taumelte hinaus. Sie blickte ihm nach bis zur Treppe, die er ganz plötzlich, steif und mit dem Kopf voran, hinunterfiel. Dann schloß Katharina von Medici befriedigt die Tür.

»Er hat sich den Hals gebrochen«, erklärte sie behaglich. »Es war auch angezeigt, damit du wieder deine roten Wangen bekommst, mein Sohn. Das ist vorbei. Gewiß macht nur noch der graue Morgen, daß wir beide fahl aussehen.«

 

Dieselbe Morgenstunde

Dieselbe Morgenstunde war rosig mit Tönen von Orange in dem Garten zu Nérac, wo sie Henri Navarra überraschte, da er sich noch immer nicht trennen konnte von Fleurette, der siebzehnjährigen Tochter des Gärtners.

»Du mußt gehen, mein Liebling. Schon steht mein Vater auf: Wenn er dich hier sieht, was wird er denken?«

»Nichts Böses, mein Herz. Ein treuer Diener meiner Mutter kann nicht glauben, daß ich ihn kränken will.«

»Und du kränkst ihn auch nicht, wenn du mich liebhast. Du wirst nur mich sehr kränken durch deine Abreise.«

»Ein Prinz aber muß immer durch das Land reiten, einmal in die Schlacht und das andere Mal -«

»Wohin das andere Mal?«

»Das brauchst du nicht zu wissen, Fleurette. Es würde dich nicht glücklicher machen, und wir beide sollen zusammen glücklich sein, so lange, bis wir nicht mehr zusammen sein sollen.«

»Ist es wahr? Du bist glücklich bei mir?«

»So sehr war ich es noch nie! Hab ich denn schon einen solchen Tag aufgehen sehen? Er ist schön wie deine Wangen. Ich werd ihn nie vergessen. Keine einzige von all den Blumen hier kann mir je aus dem Gedächtnis entschwinden.«

»Der Morgen ist kurz, und bald verblühen auch die Blumen. Ich bleibe da und warte. Wie weit du reiten magst und was dir alles begegnet, erinnere dich meiner - und der kleinen Kammer, in die der Garten duftete, während wir uns liebten, und meines Mundes, den du -«

»Fleurette!«

»Jetzt geküßt hast das letztemal. Und geh, sonst werden sie dich fortholen von mir, aber ich will nicht, daß andere deinen Abschiedsblick sehen!«

»Dann versenken wir unseren letzten Blick in den Brunnen. Komm, Fleurette! Deinen Arm um meinen Hals! Meinen um deine Hüfte! Jetzt sehen wir gemeinsam hinunter in den Wasserspiegel, darin begegnen sich unsere Augen. Du bist siebzehn Jahre, Fleurette.«

»Du achtzehn, lieber Knabe.«

»Aber wenn wir ganz alt sein werden, dieser Brunnen weiß von uns auch dann noch, und selbst bis über unsern Tod.«

»Henri, ich kann dein Gesicht nicht mehr sehen.«

»Auch deines trübt sich dort unten, Fleurette.«

»Aber einen Tropfen hörte ich fallen. Das war eine Träne. Ob es wohl deine war oder meine?«

»Unsere Träne«, sagte seine schon von ihr entfernte Stimme: noch trocknete sie ihr Gesicht. »Fleurette!« war sein letzter Ruf: da war er ganz verschwunden, und sie fühlte wohl, er hatte nicht mehr wirklich sie selbst gemeint; er schickte nur den Namen einer vergangenen Stunde in die kommende, die ihr unbekannt blieb und worin der schwache Name sich bald verlieren sollte.

Henri stieg zu Pferd. Der Maienwind kühlte angenehm seine große grade Stirn, die wenig eingesenkten Schläfen, und legte Wellen in seine dunkelblonden Locken. In der Kammer des Mädchens hatte er die Haare nicht an den Kopf kleben können, so formten sie sich nach ihrer Natur. Seine sanften Augen bewahrten noch hundert Meter weit die Spuren des Abschieds, dann hatte der Ritt sie aufgehellt. Seine Lippen umfaßten eine Blume: es war noch immer Fleurette. Als er zu seinen Begleitern stieß, entfiel ihm die Blume.

Fleurette dort hinten, Tochter eines Gärtners und siebzehnjährig, ging an ihre tägliche Arbeit. Sie tat es noch zwanzig Jahre lang, dann starb sie: da war ihr Geliebter ein großer König. Sie hatte ihn niemals wiedergesehen, oder nur als den hohen Herren, der einmal nach dunklen Schicksalen zurückgekehrt war in seine heimische Stadt Nérac, um hier wieder glücklich zu sein, aber diesmal mit anderen. Wie kam es, daß dennoch alle sagten, sie sei um seinetwillen gestorben? Mit der Zeit verlegten sie ihren Tod sogar zurück auf den Tag, als er sie verlassen hatte, und erzählten, damals habe sie sich in den Brunnen gestürzt: derselbe Brunnen, über den die beiden, siebzehn und achtzehn Jahre alt, einst geneigt gewesen waren. Woher die Rede? Es hatte doch keiner ihnen zugesehen.

 

Jesus

Noch ritt Henri durch das Land, wie ein Prinz es muß, den Schlachten entgegen, oder weil er heiraten soll. Henri von Navarra sollte Marguerite von Valois heiraten und mußte aus seiner Gascogne bis nach Paris reiten, aber er hatte harte Schenkel. Sie saßen vierzehn Stunden und länger im Sattel, wenn es ihnen darauf ankam, achteten auch auf die Gesundheit ihres Pferdes, da sie nicht immer Geld hatten für ein anderes: sie hätten es denn von einer Weide mitgenommen.

Vornweg, aber immer umgeben von anderen, ritt Henri, und dann folgten viele. Allein war er nie. Man war nie allein, man lebte im Getrappel und im Dunst der Tiere sowie im Geruch der eigenen Leiber, die erwärmtes Leder, feuchtes Tuch trugen. Nicht nur der Schimmel trabte mit ihm dahin, sondern der ganze geschlossene Haufe gleichgesinnter Abenteurer, fromm und verwegen, versetzte den Reiter schneller als anzunehmen, ja, wie ein verzaubertes Gefährt versetzte ihn der berittene Haufe von Dorf zu Dorf. Die Bäume blühten weiß und rot, vom blauen Himmel wehte weiche Luft, die jungen Abenteurer lachten, sangen, stritten! Manchmal saßen sie ab, verschlangen viel Brot, der rote Wein stürzte sich in ihre Kehlen, ihnen verwandt wie Luft und Erde. Die Mädchen mit der goldigen Haut kamen von selbst und setzten sich auf die Knie der Jungen mit braunen Wangen. Die Jungen brachten die Mädchen zum Kreischen oder Erröten, die einen mit einem schnellen Griff, die anderen durch selbstgemachte Verse, und die waren ebenso dreist. Unter sich, im Reiten, sprachen sie oft von der Religion.

Alle um Henri waren kurz vor oder nach dem zwanzigsten Jahr, alle aufsässig, voll Widerspruch gegen die Einrichtungen der Welt und gegen die Mächtigen. Diese hatten sich, ihnen zufolge, Gott entfremdet. Gott meinte alles anders als sie, er war gesonnen wie diese Zwanzigjährigen. Daher waren auch alle ihrer Sache ganz sicher und fürchteten selbst den Teufel nicht, um so weniger aber den Hof von Frankreich. Unterwegs, solange sie noch im Süden waren, traten alte Hugenotten ihnen in den Weg, erhoben beide Hände und beschworen den Prinzen von Navarra, sich vorzusehen. Er kannte es längst, sie waren mißtrauisch durch zahlreiche Erfahrungen. »Aber, liebe Freunde, das wird jetzt alles ganz anders. Ich heirate die Schwester des Königs. Ihr sollt die Glaubensfreiheit haben, mein Wort darauf!«

»Wir stellen die Freiheit her!« riefen die Reiter ringsum und hinten.

»Die Selbstherrlichkeit des Volkes!«

»Das Recht! Das Recht!«

»Ich sage: die Freiheit!«

Dies war das stärkste ihrer Worte. Damit versehen und gerüstet, ritten sie im Haufen nach Norden. Viele, vielleicht die Mehrzahl, verstanden es einfach so, daß sie in der Macht und den Genüssen ablösen wollten alle, die jetzt nach ihrer Meinung frei waren. Henri begriff sie durchaus, er erkannte diese Art Menschen in der Menge und liebte sie ziemlich, mit ihnen war leicht leben. Seine Freunde indessen waren nicht sie. Freunde sind schwierigere Wesen, der Verkehr mit ihnen ist sowohl gespannter als unsicherer, und er nötigt immer wieder dazu, sich zu verantworten.

»In summa«, sagte Agrippa d'Aubigné, während sie im Haufen ritten: »Du bist weiter nichts, Prinz, als was das gute Volk aus dir gemacht hat. Deswegen kannst du dennoch höher sein, denn das Geschaffene ist manchmal höher als der Künstler, weh aber dir, wenn du ein Tyrann würdest! Gegen einen offenkundigen Tyrannen haben sogar die unteren Beamten alles Recht von Gott.«

»Agrippa«, erwiderte Henri, »wenn du recht hast, bewerbe ich mich um eine untere Beamtenstelle. Nun sind dies aber Spitzfindigkeiten von Pastoren, und ein König bleibt ein König:«

»Sei froh, daß du nur der Prinz von Navarra bist!«

D'Aubigné war klein, er ragte nicht einmal so hoch über den Kopf des Pferdes wie Henri. Beim Reden gebrauchte er eifrig die Hand, die lange Finger und einen gekrümmten Daumen hatte. Sein Mund war groß und spöttisch, die Augen neugierig: ein weltliches Geschöpf, aber schon mit dreizehn Jahren hatte er standgehalten, als sie ihm seinen protestantischen Glauben nehmen wollten, mit fünfzehn gekämpft für die Religion unter Condé. Henri achtzehn, Agrippa zwanzig, und längst waren dies alte Kameraden, hatten sich hundertmal gestritten, sich hundertmal versöhnt.

Das war rechts von Henri. Links aber erhob sich eine klare und strenge Stimme:

»Ihr Könige, Knechte eures Wahnes,
Habt Felder oft mit Mord bedeckt,
Damit die Grenze eures Planes
Sich um ein Haarbreit weiter streckt.
Ihr Richter, die auf heiligen Plätzen
Das öffentliche Wohl verkauft,
Soll euer Sohn ein Erbe schätzen,
Um das ihr euch wie Diebe rauft?«

»Freund Du Bartas«, sagte Henri, »wie kommt es nur, daß ein Hahn deiner Güte so bittere Worte findet. Die Mädchen werden dir davonlaufen!«

»Ich spreche sie auch nicht zu ihnen. Zu dir, lieber Prinz, spreche ich sie.«

»Und zu den Richtern. Du Bartas, vergiß die Richter nicht! Sonst bleiben dir nur noch deine bösen Könige.«

»Böse aus Blindheit seid ihr und sind wir Menschen alle. Man muß anfangen, sich zu bessern. Noch nicht die Mädchen, das kann ich noch nicht, aber die galanten Verse will ich mir völlig abgewöhnen. Ich mache in Zukunft nur geistliche.«

»Willst du denn schon sterben?« fragte der junge Henri.

»Ich will einst fallen in einer Schlacht für dich, Navarra, und für das Reich Gottes.«

Henri schwieg infolge dieser Worte. Ihretwegen behielt er auch das Gedicht im Kopf: »Ihr Könige, Knechte eures Wahnes«, und in aller Stille beschloß er, niemals sollten Menschen tot auf Fluren liegen und ihm sein vergrößertes Gebiet bezahlen.

»Du Bartas«, verlangte er plötzlich, »richte dich so hoch auf, wie du kannst!« Das tat der lange Edelmann, und sein Prinz blickte zu ihm hinan, ironisch, aber auch bewundernd.

»Siehst du von dort oben schon die liebe Madame Catherine mit ihrem großen Freudenhaus? Ihre schönen Ehrenfräulein erwarten euch.«

»Dich nicht?« fragte Agrippa d'Aubigné und blinzelte anzüglich. »Ach nein, du bist ein ehrsamer Bräutigam. Aber wie man dich kennt -« Hier lachten alle. Henri am meisten.

Von hinten rief einer: »Vorsicht, ihr Herren! Die Liebe am Hofe von Frankreich hat schon manchem etwas eingetragen, daß er's bis an sein selig Ende spürte.«

Das erzeugte noch mehr Gelächter. Jemand aber drängte sein Pferd zwischen die anderen und das Tier des Prinzen. Er beachtete es nicht, daß sie aufbegehrten, sofort bereit, Streit anzufangen. Dieser zeigte von allen das bewegteste Gesicht, das aber klein erschien, die hohe Stirn drückte es zusammen. Die Augen hatten viel gelesen, sie waren schon traurig im vierundzwanzigsten Lebensjahr des Herrn Philipp Du Plessis-Mornay, und vierundsiebzig sollte er leben.

»Soeben habe ich Befehl von Gott erhalten!« kündigte er dem Prinzen an. »Eine Rede von mir wird Karl den Neunten bewegen, die Glaubensfreiheit zu errichten und die Sache der Niederlande gegen Spanien zu führen.«

»Gib deine Rede dem Herrn Admiral!« rief Henri ihm. »Er wird sich Gehör verschaffen. Uns fürchten sie noch nicht. Aber ich hoffe, wir bringen es bald dahin.«

Dies konnten sie vertraulich verhandeln, weil ihre ganze Umgebung vollauf beschäftigt war mit der Herzählung der Genüsse, die bei Hof auf sie warteten. Auch die Gefahren wurden laut ausgesprochen und Beispiele angeführt. Der Name der gefürchteten Krankheit fiel: da kam in Philipp Mornay ein jäher Aufruhr alles Wesens; er stieß hervor:

»Mag ich sie bekommen! Karl der Neunte aber soll Glaubensfreiheit geben!«

»Scheußlich wirst du aussehen!«

»Wir sind zuweilen scheußlich: was tut es angesichts der Ewigkeit. Ist nicht auch Jesus es, ein scheußlicher Mensch, gekreuzigter Gott, und an ihn glauben wir! Glauben an seine Jünger, den Auswurf der Menschheit, sogar der Juden! Was hat er denn hinterlassen als ein elendes Weib, verächtliches Andenken, und hieß ein Narr in seinem Stamm. Wenn die Kaiser gegen seine Lehre gekämpft haben mit dem Schwert und dem Gesetz, wie dann erst jedermann im eigenen Innern gegen sich selbst! Das Fleisch gegen den Geist! Dennoch haben die Völker sich unterworfen dem Wort weniger Männer, und die Reiche beten an: einen gekreuzigten Jesus. Jesus!« rief Mornay mit einer Macht, daß alle aufhorchten und sich umsahen, auf welcher Seite der Gerufene sichtbar würde. Denn keiner von ihnen zweifelte, daß er erscheinen und sich zu ihnen gesellen könnte, wann immer seine Stunde schlug.

Für sie alle waren seine Wunden frisch und bluteten noch, die Tränen der Marien rannen unversiegt. Golgatha - sie erblickten es von hier mit ihren leiblichen Augen, ein kahler, bleicher Hügel, dahinter schwärzliches Gewölk. Sie bewegten sich dahin zwischen seinen eigenen Öl- und Feigenbäumen, hatten übrigens mit auf der Hochzeit von Kana gesessen. Seine Geschichte floß zusammen mit ihrer Gegenwart, sie zuerst erlebten ihn wie sich selbst. Er war einer von ihnen, nur daß er sie übertraf an Heiligkeit und auch, wie Du Plessis-Mornay auszusprechen gewagt hatte, an Abscheulichkeit. Angenommen, der Menschensohn bog aus dem nächsten Prospekt von Felsen, um sich an ihre Spitze zu setzen, dann war sein Reittier kein lächerlicher Esel, sondern ein kriegstüchtiges Pferd, er selbst trug Koller und Harnisch, und sie hätten ihn umringt und ihm zugerufen: Sire! Das vorige Mal sind Sie Ihren Feinden unterlegen und mußten sich kreuzigen lassen. Diesmal, mit uns, werden Sie siegen. Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!

So hätten die Gewöhnlichen und Einfachen unter diesen Hugenotten gerufen beim körperlichen Auftreten Jesu. An die Stelle der ehemaligen Juden oder Kriegsknechte hätten sie ihre zeitgenössischen Papisten gesetzt und vor allem daran gedacht, sich auf deren Kosten zu bereichern. So leicht indessen war es dem Prinzen Henri nicht gemacht, und auch seinen nächsten Freunden nicht. Diese wurden bedrängt von Zweifeln für den Fall des Erscheinens des Herrn. Du Bartas fragte die anderen, ob man Jesus, wenn er wiederkehrte und seine Geschichte von vorn begänne, eigentlich raten dürfte, sich der Kreuzigung zu entziehen, da sie ihm doch bestimmt und das Heil der Welt wäre. Er krümmte seine lange Gestalt, denn von niemand bekam er Antwort. Du Plessis malte noch greller als zuvor aus, was er die Scheußlichkeit des Gekreuzigten nannte, und eben darin beständen seine Macht und sein Ruhm. Du Plessis-Mornay war ein Geist, der zum Äußersten neigte, trotz seinem sokratischen Antlitz, und sich dabei so wohl befand, daß er es bis zu vierundsiebzig Jahren brachte. Den armen Du Bartas kränkten die Blindheit und Schlechtigkeit der Menschen, sowie die Unmöglichkeit, etwas zu bessern, etwas auch nur zu wissen; und so sollte er früh dahingehen, wenn auch im Lärm einer Schlacht. Was Agrippa d'Aubigné betraf, hatte sich seiner eine überstürzte innere Tätigkeit bemächtigt, und dies in dem Augenblick, als Du Plessis so stark nach Jesus gerufen hatte. Seit der Minute dichtete Agrippa und war auch schon so gut wie fertig und bereit, Jesus, sobald er sichtbar wurde, in Versen zu begrüßen. Alles, was Agrippa verfertigte, war geboren aus der Stunde und aus der Leidenschaft. Es machte ihn von Grund auf glücklich, und dadurch gefiel er seinem Prinzen. Andererseits wurde Henri angezogen von Du Bartas und seinem treubekümmerten Sinn. Du Plessis mit seiner Neigung zum Äußersten riß ihn hin.

Bei sich selbst wußte Henri am genauesten von allen, daß an die wirkliche Gesellschaft des Herrn Jesu für ihn und die Seinen kaum zu denken war. Sie hatten nach seiner Meinung nicht mehr Aussicht auf eine solche Auszeichnung, als wenn sie katholisch gewesen wären. Ihm war nicht bewiesen, daß der Herr sie bevorzugte, obwohl sie ihn wahrscheinlich mehr liebten. Unabhängig von dieser Geistesart, die nur seine eigene war, beteiligte er sich an allen Gefühlen des berittenen Haufens. Seit der geschehenen Anrufung Jesu hatte Henri die Augen voll Tränen. Indessen war es nicht sicher, daß sie wirklich dem Herrn galten. Während sie die Brust hinanstiegen: wohl noch. Als sie in die Lider traten: nicht mehr. Da war das Bild Jesu verdrängt durch den Anblick der Königin Jeanne, und Henri weinte, weil seine Mutter seinem inneren Auge blaß erschien wie noch niemals. Seit langer Zeit war sie mit ihren Pastoren, die predigten, durch das Land gereist, ohne zu haben, wohin sie ihr Haupt legte, wie Jesus, war gehaßt und verachtet worden gleich ihm, hatte auf sich genommen Kampf, Wechsel des Kriegsglücks, Unruhe und Flucht: sie, eine Frau, seine liebe Mutter. Schwerer Weg, den sie für die Religion ging! Vielleicht hatte er sie jetzt auf Golgatha geführt. Denn alles in allem, sie befand sich in den Händen Katharinas, da der Herr Admiral das protestantische Heer nach Hause geschickt hatte und der alten Königin nur noch drohte. So lange, bis der nächste Feldzug sie nochmals in Gefahr brachte, befahl Katharina. Sogar die Reise zu seiner Hochzeit machte Henri im Grunde auf ihren Befehl: er täuschte sich darüber nicht. Dieser junge Mann hielt gewöhnlich an den Tatsachen fest, ihn lenkt weder der Glaube ab, wie Coligny, noch der hohe Eigensinn, wie seine Mutter Jeanne.

 

Ihr neues Gesicht

Unter seinem Wams trug er die Briefe und wünschte sehr, sie alle wieder zu lesen, samt denen seiner kleinen Schwester. Aber er lebte völlig in diesem berittenen Haufen, unter der Sonne vergingen ihm die Tage, die Nächte unter den Sternen, und er war nie allein. Wochenlang ritten sie, die Landschaft war inzwischen nördlich verändert, daraus machte Henri sich jetzt nichts mehr. Unter den Hufen seines Pferdes bewegte sich sein Leben lang das ganze Königreich, denn es lag nicht still, während er ritt: es lebte, lief, nahm ihn mit. Er hatte das Gefühl einer Bewegung ohne Anfang und Ende, und nicht immer hielt er sich nur für seine eigene: das war der Ablauf des Königreichs, in dessen noch dunkle Geschicke er selbst eingehen sollte. So lagerte auch fernhin auf dem Wege die Nacht unter den Baumkronen und erwartete ihn.

»Agrippa, was erwartet uns eigentlich am Hof von Frankreich?«

»Eigentlich?« wiederholte d'Aubigné. »Nebenbei deine Hochzeit, die gewiß ein schönes Fest sein wird. Eigentlich aber, wenn du es denn wissen willst: alle Nöte der Heiligen.«

»Sagst du: alle, weil du nicht sagen könntest, welche?«

»So ist es, Henri. Auch du fühlst etwas, da in dieser Stunde um unsere Köpfe die Fledermäuse und die Leuchtkäfer fliegen. Bei Tageslicht ist es fort.«

Sie flüsterten dies, es war für sonst niemand bestimmt.

»Wir werden heute nacht in einem Dorf schlafen?«

»Chaunay, mein Prinz.«

»Chaunay in Poitou. Gut. Dort werde ich mich entscheiden.«

»Worüber?«

»Ob ich weiterreise. Ich muß mich in der Stille mit mir beraten und muß ungestört die Briefe meiner Mutter, der Königin, nochmals lesen. Sorge dafür, daß ich endlich ein Zimmer für mich allein habe, Agrippa!«

Als sie aber dann vor dem Wirtshaus zu Chaunay an langen Tischen zwei Stunden lang getafelt hatten, stand dem Prinzen von Navarra der Sinn nicht mehr nach Einsamkeit, vielmehr hatte er einem Mädchen mit ganz und gar verlockenden Gliedern ein Zeichen gegeben, ihm voran die Treppe hinaufzugehen, oder vielmehr war es eine Leiter. Auf dieser Leiter nun hörte er im Näherkommen ein großes Geschrei, verursacht wurde es hauptsächlich von der Baßstimme eines gedrungenen Weibes: es zerrte eine andere, die in hohen Tönen jammerte, aus der Kammer und herab. Jemand stand unten und leuchtete ihnen mit einem Kerzenstumpf, das war Agrippa d'Aubigné. Die Lage zeigte, daß er die Mutter des Mädchens gerufen und seinen Freund Henri verraten hatte; aber anstatt sich zu schämen, lachte er sogar. Henri zog sofort vom Leder. »Du auch!« verlangte er voll Wut.

Was tut der Dichter Agrippa? Er reißt aus der Leiter eine Sprosse, als sollte sie seine Waffe sein. Davon schwankt die Leiter mit den beiden Frauen, diese springen aufheulend in die Tiefe und fallen auf die beiden Männer, die den Boden decken. Hier verschwinden alle anderen Sorgen hinter der einen, aus dem Gewühl hervorzukommen. Dies erreicht, findet Henri sich verlassen in der tiefsten Dunkelheit. Was ist aus den anderen geworden, wohin ist sogar die Leiter geraten? Er mußte noch froh sein, sich nach dem Ausgang zu tasten. In einem Gebüsch, durch das die Sterne blitzten, schlief er ein.

Er erwachte, es war die Frühe eines Junitages, des dreizehnten, den er nie vergessen sollte. Grade schwang sich singend eine Lerche vom Feld in das noch blasse Himmelsblau. Zu seinen Häupten duftete Flieder, unfern murmelte ein Bach, und eine Reihe zitternder Pappeln verschleierte ihm das Dorf. Die Frische des beginnenden Morgens stimmte ihn sorglos, er ging mit schnellen, leichten Schritten die Pappeln entlang, zwei-, dreimal, nur um zu atmen und sich zu freuen. Dann erinnerte er sich allerdings der Briefe, die er hatte lesen und überdenken wollen. Er blieb stehen, zog sie hervor und ließ sie durch die Finger gleiten wie ein Spiel Karten. Wozu lesen? Alles kam darauf hinaus, daß er die dicke Margot heiraten sollte, »Madame«, wie seine kleine Schwester sie betitelte. Darüber waren die beiden Damen Katharina und Jeanne einmal gleicher Meinung, und alles übrige mußte sich finden: ob der Herr Admiral mit der alten Giftmischerin fertig wird, ob meine Eheliebste eine Papistin bleibt und in die Hölle kommt. ›Höchst zweifelhaft‹, dachte er. ›Ich selbst war mehrmals katholisch und schon reif für das Höllenfeuer. Es kann vorkommen, man weiß nie. Soviel ist gewiß: niemals würde meine strenge, hugenottische Mutter sich einen so angenehmen Hof halten, wo die Frauen die Männer auffordern. Das schreibt sie, den Satz weiß ich auswendig.‹

Da grade geschah es: da sah er sie vor sich - ganz anders als sonst das innere Auge sieht, unvergleichlich genauer erblickte er das Gesicht der Königin Jeanne in einem Raum, der aber nicht die grauende Luft war. Viel heller, furchtbar grell entstand in seinem Innern ein Licht, bei dem er seine Mutter als eine schon Verewigte erkannte. Das waren nicht mehr die zuletzt im Leben festgehaltenen Züge, als der große lederne Wagen davonfuhr und der Sohn zurückblieb neben seinem Reitpferd. Verfallene Wangen - und Schatten, herzzerreißend wie die Sehnsucht nach allem Verlorenen, umwoben sie, durchsichtig, als bedeckten sie ein Nichts. O große Augen, nicht mehr stolz, reizbar oder liebend, was ihr alles einst gewesen! - Ihr kennt mich wohl gar nicht mehr? - obwohl ihr zu vieles wißt, was wir hier noch nicht wissen!

Der Sohn ließ sich auf einen Grashügel fallen, erst soeben leichtherzig, auf einmal zu Tode erschreckt: nicht nur durch dies neue Gesicht der Mutter, am meisten davon, daß es ihm auch im Traum schon erschienen war, wie er sich jetzt besann. Vier Nächte mußte es her sein; er zählte, sann angstvoll, saß auf dem Hügel und mischte die Briefe. Als er aber zufällig näher hinsah, bemerkte er, daß zwei von ihnen heimlich geöffnet worden waren, bevor er selbst das Siegel zerrissen hatte. Vier Nächte her? Der Schnitt um das Siegel war eine feine Arbeit, und nachher das daraufgetropfte Wachs, das den Schaden ausbesserte. - Warum vor vier Nächten - und wieder eben jetzt?

Der letzte Satz im letzten Brief seiner Mutter hieß: »Jetzt, mein Sohn, mach Dich auf und reise!« Er sah: Die Königin Jeanne wollte Madame Catherine aus der Macht verdrängen, diese aber hatte ihren Brief gelesen. ›Meine liebe Mutter ist in Lebensgefahr!‹ begriff er, war schon auf den Füßen, sprang durch die Pappeln. »D'Armagnac!« rief er. Denn er entdeckte seinen Diener früher als dieser ihn. »D'Armagnac, sofort in den Sattel! Ich habe keine Zeit zu verlieren.«

»Aber mein Herr!« erlaubte sich der Diener zu erwidern. »Niemand ist bisher aus dem Heu, und das Brot wird erst gebacken.«

Greifbare Tatsachen hatten die Gabe, Henri alsbald zu beruhigen. Er gab zu: »Wir brauchen ohnehin bis Paris noch fünf Tage. Ich will im Bach baden D'Armagnac, bring mir ein frisches Hemd!«

»Grade heute wollte ich sie waschen. Hier, dachte ich, würden wir rasten.« Der Edelmann als Diener blinzelte seinem Herrn zu. »Besonders wegen der umgefallenen Leiter. Wir sollten sie wieder aufrichten und das Versäumte nachholen.«

»Schurke!« rief Henri ehrlich entrüstet. »Ich wälz mich gerad genug im Stroh.« Schroff befahl er: »Der ganze Troß soll gesattelt haben, wenn ich vom Baden komme.« Damit lief er und riß schon die Kleider ab. Sie brachen nachher auch auf; aber kaum eine Viertelstunde, da sprengte ihnen ein Bote entgegen, warf sich vom Pferd, schwankte so sehr, daß jemand ihm den Rücken stützte, und brachte röchelnd hervor: »Von Paris - vier Tage geritten anstatt fünf.« Sein Gesicht war weiß und rot gesprenkelt, er ließ die Zunge hängen, und ein noch sonderbareres Zeichen, aus seinen offenen und verstörten Augen fielen große Tropfen. Hörbar schlugen sie auf sein Koller, so still war es um den Boten geworden.

Henri streckte vom Pferd herunter die Hand aus, er nahm den hingehaltenen Brief, dachte aber nicht daran, ihn zu öffnen, vielmehr ließ er den Arm sinken, auch den Kopf neigte er und sprach in der großen Stille des weiten Landes und des darin verlorenen Häufleins Menschen, sprach leise: »Meine liebe Mutter ist tot. Vier Tage.« Das war nur für ihn selbst, wie die anderen wohl fühlten. Sie wollten es nicht gehört haben, bis er es ihnen laut sagte: dieses Zartsinnes erinnerten sich auch die Rohen. Als der neue König von Navarra die Botschaft dann gelesen hatte, nahm er den Hut ab; sofort taten es alle; und er sagte ihnen: »Die Königin, meine Mutter, ist gestorben.«

Einige sahen einander an, mehr wagten sie noch nicht. Das Ereignis erschien ihnen nicht wie andere, die man hinnimmt; es veränderte Unabsehbares und machte aus ihnen selbst, sie wußten noch nicht, was. Jeanne d'Albret war zu viel gewesen, als daß sie hätte sterben dürfen. Sie hatte sie geführt und erhalten, sie hatte ihnen zu dem Brot verholfen, das auf den Äckern wächst, und zum Brot des ewigen Lebens. Unsere Freiheiten, Jeanne d'Albret hat sie für uns durchgesetzt! Unsere festen Plätze, La Rochelle am Meer, sie hat es uns errungen! Unsere Bethäuser am Rande der Städte, sie hat sie ertrotzt! Der Friede unserer Provinzen, unsere Frauen im Schutze Gottes das Feld bestellend, während wir reiten und uns schlagen für die Religion: das alles war Jeanne d'Albret, und was wird daraus jetzt!

Hier gingen ihre Gedanken in Entsetzen über, verwandelten sich in Empörung und griffen stürmisch nach dem Verdacht einer Schuld und eines Verbrechens. Denn ein so großes Unglück kann nicht von selbst eintreten. Diese Tote war den Mächtigen im Wege gewesen, kein Zweifel, wem. Der verlorene Haufe verstand sich wortlos, nur durch Gedanken und Gefühl. Die ungefügen Laute, die er ausstieß wie ein Träumender, wurden erst langsam stärker, sie mußten anschwellen zum Grollen und Drohen; da fuhr endlich das bewußte Wort aus der Scheide, als ob jemand es gemeldet hätte, ein zweiter Bote, unsichtbar dieser: »Die Königin ist vergiftet!«

Alle durcheinander wiederholten es, jeder einzeln sprach es dem unsichtbaren Boten nach: »Vergiftet! Die Königin ist vergiftet!« Der Sohn der Toten tat mit, wie sie; ihm war es gemeldet, wie allen.

Plötzlich geschah etwas Neues: sie reichten einander die Hände. Das war, ohne Verabredung, ein Schwur, Jeanne d'Albret zu rächen. Ihr Sohn ergriff die Hand seiner Freunde, Du Bartas, Mornay und d'Aubigné. Mit Agrippa verständigte er sich durch einen besonderen Druck der Finger, der hieß: gestern die umgestürzte Leiter, das Gewühl unter den Weibern, heute aber dies. Was gäbe es zwischen uns zu verübeln, zu bereuen. Das ist das Leben, und wir verbringen es Hand in Hand! Auch seinen Diener d'Armagnac, den er vorhin hart angefahren hatte, faßte Henri bei der Hand. Indes erhob sich eine Stimme:

»O Gott, so zeige Dich doch nur!«

So sang, zuerst ganz allein, Philipp Du Plessis-Mornay, denn er war vor ihnen am ehesten zum Äußersten geneigt: in ihm wohnte die unruhigste Tugend. Da er aber die erste Zeile wiederholte, schlossen mehrere andere Stimmen sich an, und bei der zweiten waren es alle. Sie waren von ihren Tieren abgesessen, hatten die Hände zusammengelegt und sangen, ein Haufe, den niemand ansah als vielleicht Gott, zu ihm hinauf: sangen, als ob sie Sturm läuteten, hinauf!

»O Gott, so zeige Dich doch nur,
Und plötzlich wird sich keine Spur
Vom Feind mehr blicken lassen.
Wenn er denn ab sein Lager bricht,
Vergehn vor Deinem Angesicht
Sie alle, die uns hassen.«

 

Ihr letzter Abgesandter

Sie sangen weiter bis ans Ende, hierauf aber erwarteten sie ein Wort ihres jungen Führers. Er war König von Navarra geworden hier auf der fremden Landstraße und sollte ihnen sagen: wohin, was tun. Du Bartas neigte sich zu Henri, er sprach gedämpft: »Ihre Mutter war nur die erste. Der zweite werden Sie selbst sein. Kehren Sie um!«

»Sammeln Sie die Ihren!« riet Mornay. »Die von der Religion werden aus dem ganzen Königreich herbeistürmen. Als eine unwiderstehliche Macht ziehen wir an diesen verbrecherischen Hof.«

D'Aubigné sagte viel ruhiger: »Sie haben gar nichts für sich zu fürchten Herr, solange ein anderer noch lebt.« Die anderen sahen ihn an, er fuhr fort »Der hat das Opfer seines Lebens gebracht, ich weiß es, ich habe gehört, was er des Nachts zu seiner Frau, der Admiralin, gesagt hat.« Und er begann zu weissagen, was Coligny und seine Frau gesprochen hatten.

Da Agrippa ein Dichter war, konnte er die nächtliche Unterredung der beiden Gatten berichten, als wäre er zugegen gewesen. Glaubst du, daß nichts dich wanken machen kann, so hatte der Admiral die Admiralin ermahnt, leg doch die Hand auf deine Brust und prüfe dich, ob du auch dann beständig bleiben wirst, wenn alle abfallen und du unter dem Schimpf, der immer die erfolglose Sache trifft, in die Verbannung fliehen mußt. Sieh! Auch der König von Navarra fällt ab und heiratet die eigene Tochter unserer Feindin.

Das war zuviel: Henri fuhr heftig auf. »Das hat er nicht gesagt! Agrippa, wenn du das gehört haben solltest, dann hast du eine Muse, die lügt. Ich halte fest zu der Religion - und jetzt reiten wir weiter!«

Grade dies hatte Agrippa gewollt, denn für ihn gab es keinen vorsichtigen Aufenthalt, und je mehr seine innere Anschauung ihm zeigte von den Gefahren des Lebens, um so unentwegter ritt dieser Dichter nach vom.

Der Haufe bewegte sich wieder dahin unter den Wolken, nur daß es nicht lange dauerte, bis Menschen mit erhobenen Händen ihm in den Weg traten. Alle sagten dasselbe: »Die Königin Jeanne ist vergiftet«, ohne daß sie erklären konnten, woher sie es hatten. Zuletzt fragte keiner sie mehr, wer sie wären und aus welchem Dorf. Genug, sie waren unterwegs, ungewiß wie lange, um den neuen König von Navarra zu sehen und ihm anzuvertrauen, was sie wußten. Von der Müdigkeit des Weges war manchem sein Zorn schon vergangen, er stammelte nur noch beschwörend und angstvoll.

Sogar ein Haufe unbekümmerter Abenteurer empfängt von solchen Begegnungen schließlich den Eindruck. Dann geschah noch eine letzte, entscheidende. An einer Waldecke, unversehens, stießen sie auf einen protestantischen Herrn, den alle kannten, La Rochefoucauld, einen Freund ihres Königs. Auch er war in einem Zustand wie jemand, der eine fünftägige Strecke in vier Tagen geritten ist. Er sprach zu dem jungen König nur einige Worte, aber der faßte sofort den Zügel fester und wendete sein Pferd. Da wendete der ganze Haufe, und ohne zu fragen, ohne Reden und Gespräche kehrten sie zurück nach Chaunay.

Vor allem suchte Henri mit Herrn von La Rochefoucauld einen abgelegenen, schattigen Platz, er fand ihn unter den Pappeln, und ließ den Abgesandten seiner Mutter alles genau wiederholen. Die sterbende Jeanne hatte ihrem Sohn die letzten irdischen Gedanken geschenkt, bevor ihr Geist aufging in Gott. Sie wollte nicht, daß er aus Furcht seine Reise aufgebe: davon war nie bei ihr die Rede gewesen. Aber ihre Meinung blieb allerdings, daß er nach Paris sollte gar nicht, oder als der Stärkere kommen.

Dies empfahl sie ihm infolge ihrer eigenen Erfahrungen der letzten vier Monate, die schwer gewesen waren und bitter. Sie hatte gedacht und hatte, um es auszusprechen, noch einmal ihre seltene Glockenstimme gefunden, daß die Hochzeit ihres geliebten Sohnes der Anfang großer Ereignisse sein würde, aber groß nur entweder für ihn - oder für seine Feinde. Die letzten Gedanken waren tapfer auf alle Gefahren des Lebens und ihre Überwindung gerichtet gewesen. Sie hatte einst Zeiten gekannt, oder glaubte sie gekannt zu haben, da das Laster sich versteckte. Heute trüge es den Kopf hoch, ließ sie ihrem Henri noch sagen, und fühlte sich der Tugend überlegen. Hierauf hatte sie sterbend die Worte eines Psalms zu Gott geschickt. Welchen Psalmes?

»O Gott, so zeige Dich doch nur!«

Ihr Abgesandter zog ihr Testament hervor und überreichte es dem König, nachdem er es mit den Lippen berührt hatte. Darin indessen stand von ihren geheimsten Sorgen nichts, sie hatte zum Schluß auch dem Papier nicht mehr getraut. Nur eins: sie empfahl ihm seine arme kleine Schwester. Hier brach Henri in Tränen aus. Er hatte noch gar nicht geweint.

Ein über das andere Mal rief er: »Arme kleine Schwester! So hat unsere Mutter gesagt.« Und er empfand: ›Sie sollte hier sein! Wen haben wir denn? Nichts und niemand haben Bruder und Schwester in dieser Welt, als nur einander. Das übrige ist Betrug der Augen und der Herzen. Alle die Frauen, und dieses Hochgefühl durch sie, und die Angst, nur keine zu versäumen! In Wahrheit versäum ich immer nur eine, aber die jedesmal. Bei ihr brauchte ich um Liebe noch nie zu bitten und Verständnis nicht erst zu suchen. Wir sind aus einem Leib und haben voreinander nichts geheim. Sie lacht wie ich, so sagt man. Zu dieser Stunde vergießt sie dieselben Tränen, aber nicht einmal diese, die sie um unsere Mutter weint, fallen auf meine Hände. Sie ist fern, wie sie immer von mir fern ist, und wir versäumen unseren besten Schmerz, sie meinen, ich ihren!‹

Da erfuhr er von dem Abgesandten, daß seine Schwester Catherine gewünscht hatte, mitzureisen. Alles war vorbereitet gewesen, das Pferd im Hof, der Wagen vor der Stadt. Indessen war sie zurückgehalten worden, nicht mit Gewalt, nur unter glatten Vorwänden, bis La Rochefoucauld fort war, und auch ihn hatte man nicht freiwillig entlassen: es hatte starken Auftretens bedurft.

»Sie wird gefangengehalten?« fragte der Bruder, mit Augen, die trocken und böse waren, während sein Mund sich verzerrte. Aber so stand es nicht. Man war besorgt um sie, besonders Margot, die Braut, und auch die alte Katharina. Das Hochzeitsfest, auf das der Hof sich sichtlich freute, beschattet wie es schon war durch den Tod der Königin von Navarra, sollte nicht noch mehr Zufällen ausgesetzt werden. Es fehlte grade, daß auch der Schwester des Bräutigams etwas zustieße, einem zarten jungen Mädchen, vielleicht hätte es sogar etwas mitbekommen von der Schwäche der mütterlichen Lunge.

Henri neigte sich weit vor und fragte bebend: »War's nur die Lunge?«

Die Antwort ließ lange auf sich warten, und endlich bestand sie in Achselzucken.

»Wer glaubt an Gift?« fragte Henri. »Nur unsere Freunde?«

»Viel mehr noch die andern. Denn die wissen, wes sie fähig sind.«

Henri sagte: »Ich will es lieber nicht wissen. Denn ich müßte überaus hassen und verfolgen. Zuviel Haß aber macht ohnmächtig.«

Dies war sein natürliches Gefühl, daß leben wichtiger ist, als sich rächen und daß der Handelnde vorausblickt, nicht rückwärts auf geliebte Tote. Indessen blieben bestehen seine Sohnespflichten, ihretwegen zügelte er sich noch tagelang an diesem Ort Chaunay, so gern er aufgebrochen wäre, und erwartete Zuzug. Seine reitenden Hugenotten fanden von allen Seiten hierher, oder er schickte ihnen Leute entgegen, sie auf den Weg zu bringen. Er wollte stark sein bei seiner Ankunft, wie die Königin Jeanne es verlangt hatte. Inzwischen gab er auch ihre letzten Verfügungen weiter an seinen Statthalter in seinem Königreich Béarn. Als der Brief beendet war, bemerkte Henri, daß er ihre geistlichen Aufträge durchaus nicht betont hatte, und das waren die seiner Mutter teuersten! Er wunderte sich, wie er ganz der Religion vergessen konnte und verfaßte eine Nachschrift.

Der Bote, der ihm den Tod und das höchst verdächtige Sterben der Königin meldete, hatte viermal vierundzwanzig Stunden gebraucht, bis er ankam. Henri reiste von Chaunay in Poitou drei Wochen lang. Der Bote war, als er dem neuen König begegnete, zusammengebrochen. Henri machte halt, kehrte ein, empfing Zulauf, trank und lachte. Er lachte auch. Die ermatteten Reiter wunderten sich, wenn sie zu ihm stießen: er schwenkte zur Begrüßung die Arme und scherzte in ihrer südlichen Sprache. Zu der Stunde, als der Bote den Weg antrat mit seiner schlimmen Nachricht, hatte der Sohn im Schlaf die Mutter erblickt mit einem neuen Gesicht, dem der Ewigkeit - und hatte sich besonnen auf dies Gesicht, kurz bevor der Bote eintraf. Schon sah er es nicht mehr, es kehrte auch nie wieder. Statt dessen erinnerte er sich später der noch blühenden Frau, die mit ihrem Willen und Verstand seinen Knabenjahren vorgestanden hatte, und eigentlich mußte er auch dafür ein Bild von ihr zu Hilfe nehmen, da Bilder beständig sind.

 

Moralité

Voyez ce jeune prince déjà aux prises avec les dangers de la vie, qui sont d'être tué ou d'être trahi, mais qui se cachent aussi sous nos désirs et même parmi nos rêves généreux. C'est vrai qu'il traverse toutes ces menaces en s'enjouant, selon le privilège de son âge. Amoureux à tout bout de chemin il ne connaît pas encore que l'amour seul lui fera perdre une liberté qu'en vain la haine lui dispute. Car pour le protéger des complots des hommes et des pièges que lui tendait sa propre nature il y avait alors une personne qui l'aimait jusqu'à en mourir et c'est celle qu'il appelait la reine ma mère.


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