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Vorwort

NEBEN MEINE ANARCHISTEN STELLT SICH, ALS das zweite meiner beiden » BÜCHER DER FREIHEIT«, wie ich sie jetzt zusammenfassend nennen will, dieser FREIHEITSUCHER, ihre Ergänzung und ihr Abschluß.

Noch einmal ziehe ich in dieser Arbeit langer Jahre, die ebensowenig ein Werk der Kunst ist und als solches beurteilt sein will und darf, wie jene ein »Roman« waren, diesmal nicht in dem weiten Rahmen eines Kulturgemäldes, sondern in dem engeren eines einzelnen Lebens und seiner Entwickelung zur Freiheit, die letzten Konsequenzen der Forderung nach der Souveränität des Individuums gegenüber allen Versuchen zu seiner Beschränkung und Unterdrückung, und gegenüber seinem größten und gefährlichsten Feinde: dem Staat.

DIESER ARBEIT LANGER JAHRE. Neben das Gemälde einer Kultur am Ende des vorigen Jahrhunderts mit der Fülle seiner Erscheinungen und der Überfülle der Ereignisse, neben das Bild der Massen und ihrer Kämpfe um Gewalt und Freiheit das der psychologischen Entwickelung eines Einzelnen unserer Zeit zur Freiheit zu stellen – den weiten Rahmen zu verengern, um dieses Bild so vertiefen und einer Weltanschauung, der des individualistischen Anarchismus, geschlossene Form geben zu können, erwies sich als notwendig, und so wurde auch hier der »verbleibende Rest von Unzufriedenheit der Keim zu dem neuen Werke«.

Bücher, wie dieses, werden nicht geschrieben, sondern entstehen und brauchen ihre Zeit. Immer wieder unterbrochen, auf Jahre durch einen anderen Kampf, von dem hier zu sprechen verfrüht wäre; immer von neuem wieder aufgenommen; in seiner ursprünglichen Form gänzlich verworfen und nur schwer in die neugefundene hineinwachsend, aber nie aufgegeben, vollendete zögernd der Alternde, was der Junge einst ungestüm begonnen. So kommt es nun, nicht zu früh, nicht zu spät, sondern, wie mir scheint, gerade zur rechten Zeit – zu einer Zeit, in welcher die soziale Frage nicht mehr mit Worten schüchtern oder fordernd an die Türen pocht, sondern alle, die sich ihr nicht öffnen wollen, mit harten Fäusten rücksichtslos einschlägt.

Die Notwendigkeit der Freiheit, die Utopie jedes Gewaltzustandes zu beweisen; zu zeigen, was Freiheit ist und was Gewalt, und wie diese sich nennt; sowie den einzigen Weg, auf dem sie erfolgreich bekämpft und besiegt werden kann war die neue Aufgabe, in deren Dienst ich die bescheidene Unabhängigkeit, der mir früher zu leben vergönnt war, gestellt habe.

 

Welche Zeit wohl könnte besser und eindringlicher die Berechtigung zu einer solchen Aufgabe erweisen, als die, in der wir leben (oder vielmehr langsam sterben): diese Zeit des Niederganges und des Zusammenbruches ganzer Völker; der Zwangswirtschaft und der ebenso sinn- wie aussichtslosen Sozialisierungsversuche; der Grenzsperrungen und der nicht endenden Kriege; der allgemeinen Ratlosigkeit und Verwirrung; diese Zeit des frechen Taumels über Gräbern hier, und dort der müden Verzweiflung?

Nach den grauenvollen Jahren eines in seiner scheußlichen Art bisher und wahrscheinlich in alle Zukunft beispiellosen Massenmordens; nach der Abwendung der größten Gefahr, die die Freiheit der westlichen Welt bedrohte, durch den Sturz des preußischen Militarismus, löst heute mit atembeklemmender Geschwindigkeit eine Gewalt die andere ab, und während wir uns hier zur Zeit der zweifelhaften Wonnen einer sogenannten demokratischen Republik erfreuen, weiß keiner von uns, welche letzten Schrecken und tiefsten Erniedrigungen nicht schon von Osten her das Machtgelüst einer neuen Diktatur (ein Kommunismus des Proletariats) über uns verhängt haben und wann auch diese letzte und plumpste Form der Gewalt durchlaufen und in sich zusammengebrochen sein wird.

Müssen wir auch dies Letzte und Schrecklichste noch über uns ergehen lassen, um sehend zu werden? – Könnten wir es nicht wenigstens mit der Freiheit einmal versuchen? Anfangen, aus den teils furchtbaren, teils lächerlichen Erfahrungen, die die Gegenwart uns täglich aufzwingt, zu lernen, indem wir aufhören, uns gegenseitig zu bestehlen und zu vergewaltigen; innehalten und umkehren auf dem Wege, auf dem uns fremde Herrschsucht und Habgier sowohl, wie die eigene Torheit und Blindheit vorwärts treibt; und indem wir den einschlagen, der uns allein noch herausführen kann aus dem Wahnwitz dieses Lebens, endlich erkennend: es gibt nur ihn noch und keinen anderen? ...

 

Wenn wir es auf ihm einmal versuchten? –

 

Es ist meines Lebens zweite große Schlacht, die ich mit diesem Buche um die Freiheit schlage. Noch einmal, zum letzten Male, wirbt meine einsame Stimme, einsamer heute fast, als damals, wo sie sich zuerst erhob, im Toben der Wut und im Geschwätz der Angst um sie her für das höchste Gut der Menschheit, das die Menschen so wenig zu würdigen wissen, weil sie es nicht erkennen; das sie so schmählich mißbrauchen, weil sie ihm nicht trauen; und das dennoch ihre letzte Hoffnung und ihre einzige Rettung ist und bleibt.

 

Möge man sie überhören, möge man sie verlachen und niederschreien, fälschen und mißdeuten, wie man es immer getan: diese Stimme – sie läßt sich nicht mehr erdrosseln, und sie wird zu denen dringen, die sie sucht, wie die sie vernehmen werden, die sie hören wollen.

 

Denn langsam, unendlich langsam, aber mit unbezwinglicher Sicherheit brechen sich die Wahrheiten, die uns die nächsten sein sollten und uns noch immer die fernsten sind, ihre Bahn; Wahrheiten, die man als »gefährlich« abzutun und zu ersticken sucht, weil man sie nicht widerlegen kann; Wahrheiten, in der Tat gefährlich, aber gefährlich allein dem Wahn und dem Aberglauben, allen Vorrechten und jeder angemaßten Autorität.

Vorwort

Ich stelle diesem Buche – und zugleich, was ich damals nicht wagte, nachträglich seinem Vorgänger – den Namen eines Mannes voran, der in einem langen und unvergleichlichen Leben voll Mut, Tatkraft und Ausdauer mehr für die Sache der Freiheit getan hat, als irgendein Lebender; einen Namen, der, statt heute über die Welt hin genannt und gefeiert zu sein, von den verhältnismäßig so wenigen erst gekannt und geliebt ist, deren bester Trost es immer noch sein muß, daß in der unermeßlichen Dummheit und schrankenlosen Brutalität ringsumher es überhaupt noch Menschen gibt, wie den, der ihn trägt.

 

Nichts hat in diesen dreissig Jahren die ersten Erkenntnisse meiner Jugend auch nur für einen Augenblick zu erschüttern vermocht. Keine Erfahrung, die sie nicht bestätigt, kein Erlebnis, das sie nicht befestigt und vertieft hätte.

 

Wie sollte es auch anders sein? – »Alles, worauf es ankommt, ist, sich den Mut zur Arbeit, der der Mut zum Leben ist, nicht biegen und brechen zulassen. Solange er, der Haß und Gleichgültigkeit gleichermaßen überwindet, uns bleibt, solange sind wir jung – auch ohne Jugend!« – Irgendwo habe ich es geschrieben. In guter Stunde und Wahreres nie.

Denn Mut zum Leben ist Mut zur Freiheit. Die Liebe aber zur Freiheit ist eine lange Liebe – sie stirbt erst mir dem Leben, weil sie das Leben selbst ist.

Berlin-Charlottenburg,
im Frühjahr 1920


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