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Fünftes Kapitel. Die dritte Fahne

»Fürsten prägen so oft auf kaum versilbertes Kupfer
Ihr bedeutendes Bild; lange betrügt sich das Volk.
Schwärmer prägen den Stempel des Geists auf Lügen und Unsinn;
Wem der Probierstein fehlt, hält sie für redliches Gold.«

Goethe

 

I

Durch Deutschlands Straßen brauste die Anarchie. Vier Armeen, bewaffnet zumindest mit Messern, Dolchen, Schlagringen, durchheulten die Plätze, durchdröhnten die Städte, durchtrommelten das ganze Land. Niemand wußte genau, zu welcher von diesen Armeen die Menge hielt, die grade die Straßen säumte; sie wußte es selber nicht. Denn längst hatten die Stichworte der Programme, die Namen der Parteien ihren Gehalt verloren, aus tausend Mündern stiegen sie und zergingen mit dem Atem in der Luft wie Gassenhauer, an deren Herkunft sich der Pfeifende nicht mehr erinnert. Züge und Versammlungen, Bünde und Proteste, Feste und Trauerfeiern ähnelten sich von Rot-Front bis zu Hitler im Rhythmus der Aufmärsche, wie sich zwei feldgraue Heere ähneln, deren Soldaten auf Befehl einander beschießen. Wie im Kriege hatten die Führer nach ihren Interessen die Masse in einen Kampf getrieben, der, wenn sie anfing nachzudenken, ihr sinnlos erschien.

Das zeigt der Übergang Tausender von Kommunisten zu Hitlers SA, Tausender aus der Eisernen Front zu den Kommunisten, während echte Feindschaft sich nur an den Brüdern entzündete, die dasselbe wollten, nur andere Abzeichen trugen und anderen Führern gehorchten. So war's im Jahre 32, und so, im Kampfe zwischen den feindlichen Brüdern, Stahlhelm und SA, könnte sich's bald erneuern. Kein Wunder, da ja dieselben Klassen in alle vier Armeen verteilt waren, die Arbeiter in allen dominierten. Überall gab es Arbeitslose, Abenteurer, Draufgänger, überall gab es Idealisten oder begeisterte Studenten. Dieser Aufmarsch der deutschen Jugend, ob sie Hitler oder dem Stahlhelm, der Republik oder dem Kommunismus nachliefen, war nichts als der gewaltige Protest naiver Jugend gegen die Misere eines Lebens, die ihre Väter durch einen unverständlichen Krieg verschuldet zu haben schienen. In klaren Sätzen hat das Gregor Strasser zusammengefaßt, und wenn er auch nur seine Partei meinte, so gilt es doch für alle, als er sagte:

»Die anti-kapitalistische Sehnsucht, die durch unser Volk geht, ist keine Ablehnung des durch Arbeit und Sparsamkeit entstandenen Eigentums, sie ist der Protest gegen eine entartete Wirtschaft, und sie verlangt vom Staate, daß er mit dem Dämon Geld bricht, mit dem Denken in Ausfuhr-Statistik, Reichsbank-Diskont und dafür ein ehrliches Auskommen für ehrliche Arbeit wiederherstellt … Wenn man den Reichtum der Natur heut nicht mehr richtig zu verteilen weiß, dann ist das System falsch und muß geändert werden. Diese anti-kapitalistische Sehnsucht zeigt die Zeitwende an: Überwindung des Liberalismus, Aufkommen eines neuen Denkens in der Wirtschaft, einer neuen Einstellung zum Staate.«

Dies war und dies ist auch heut wie vor zwei Jahren, was die Masse ihren Führern zutreibt, und der Nebel, in den ein täglicher Gebrauch der Parteiwörter uns alle hüllt, zerfließt vor der Lebenslust einer Jugend, die weder müßiggehen will noch erobern, sondern nur von den Geschenken des Lebens sich holen möchte, was Kopf und Arm ihr zutragen. So, wie dieser Nationalsozialist gesprochen, sprachen in ihrer Maienblüte die deutschen Sozialisten und ähnlich sprechen jetzt wieder die Kommunisten. Nachdem der Krieg die internationalen Gefühle zerrissen, der Bruderzwist zwischen westlichen und östlichen Arbeitern die Unterschiede der sozialen Schichtungen bestätigt hat, gibt es nur noch nationale Sozialisten in der Welt, und jede dieser Gruppe sucht auf ihre Art mit ihrer Art von Geldmächten fertig zu werden.

Welche dieser Formen der anti-kapitalistischen Sehnsucht in Deutschland zuerst, welche später sich durchsetzen würde, hing von der Potenz ihrer Führer, zugleich von ihrer Stärke oder Schwäche im Kampf mit dem Gelde ab. Die Republik hatte versungen und vertan, weil sie ohne Mut und Phantasie nur eine Liquidation durchführte, klanglos an- und ruhmlos abtrat. Rotfront hatte alle Energie im Kampfe gegen die hausbackenen Brüder verschwendet, doch ebenso wenig Führer und Einfälle gebracht. Am Stahlhelm mußte der Lebensstil der alten Offiziere alle jungen Geister stören.

Hitlers Erfolg vor allen andern lag nicht in einem Programm, dessen eine Hälfte mit dem nationalen, dessen andere Hälfte sich mit dem sozialistischen Programm seiner Konkurrenten beinahe deckte, nicht einmal in der von ihm original erfundenen Judenhetze; es lag in der Verführung der Rede, in der Generosität der Versprechungen. Statt die Masse nur auf einen Krieg gegen Frankreich zu vertrösten oder auf die Heraufkunft der Menschheits-Dämmerung, brachte er das »Sofortprogramm«: Sobald er die Macht haben wird, wird die allgemeine Arbeitspflicht erst eine halbe, bald zwei Millionen Arbeitsloser in Dienst stellen. Die Hauszins-Steuer wird in die Wirtschaft umgelenkt, indem man Jedem Dreiviertel erläßt, der Reparaturen macht: »In ganz Deutschland wird von heut auf morgen ein Hämmern und Klopfen, Fußboden-Legen, Malen und Anstreichen, Dachdecken und Herunterputzen anheben.« (Später blieb es beim Herunterputzen). Das verstanden alle Zuhörer, und wenn er ihnen dann versprach, durch neue Methoden dem deutschen Acker für zwei Milliarden mehr Werte jährlich zu entlocken, so verschwieg er zwar, daß dies zunächst 10 Milliarden kosten würde, aber die Menge glaubte es ihm, wie sie im »Faust« dem Mephisto den Segen der Inflation glaubte, die er dem Kaiser vorschlug. Zeigte ihnen Hitler 400.000 neue Eigenheime jährlich, die einer Million Menschen Arbeit verschaffen würden, so glaubten sie alle schon darin zu hausen.

Dazu donnerte sein Programm, das er unter Beschwörungen erneuerte, die Abschaffung jedes arbeitslosen Einkommens, Verstaatlichung aller Trusts, Gewinnbeteiligung der Arbeiter, Abschaffung des Bodenzinses, und »es wird keine Ausnahme für Akademiker und andere Besitzende geben, jeder wird die Schaufel in die Hand nehmen.« Da sich die Deutschen bei ihrer Musikalität nicht gern Rechenschaft von den Kosten eines Luftschlosses geben, sondern es lieber besingen, da ein Magier den romantischen Teil ihres Herzens leichter gewinnt als den anderer Völker, so glaubten sie, was sie wünschten, vor allem da es ihnen sinnlich vor Augen geführt ward: zwar nicht das eigene Heim, doch die Kulisse, hinter der sie es ahnen konnten.

Überhaupt ließ Hitler, großer Kenner der deutschen Massen, ihnen immer etwas zum Ahnen übrig und captivierte mit dieser wagnerischen Technik die Gefühle auch derer, die in ihrer Logik stutzig wurden. Da er in keiner seiner Reden eine Rechnung aufmachte, nie disputierte, beständig in Zukunftsbildern schmachtete, erfrischte er die Menschen, denen man zehn Jahre lang immer nur vorgerechnet hatte, was sie und ihre Enkel würden zahlen müssen. Ja, Hitler weckte neue Hoffnungen in einer Nation, die an sich schlecht versteht zu verlieren und aus ihren Niederlagen eigentlich niemals gelernt hat. Indem er mit dem Elan eines Demagogen die Last der grauen Jahre auf die Regierung und nicht auf den Krieg schob, zeigte er dem Volke schuldige Männer im Innern, an denen es sich rächen könnte, während dies außerhalb der Grenzen schwieriger gewesen wäre. Nicht Clémenceau erschien als Feind, sondern Ebert. Hatte man den Krieg nicht begonnen, so war man von einem bösen Feindbund angefallen worden; hatte man ihn nicht verloren, so war man von bösen Volksgenossen hinterrücks erdolcht worden. Mußte eine Jugend, die alles glaubt, was man suggestiv vorbringt, nicht mit Begeisterung beides glauben und daraus Mut für die Revanche nach außen, Haß für die Rache nach innen schöpfen? Verstand man nur zu ihr zu reden, so war die Verführung nicht schwer.

Hitler verstand es. Das Wort, das heute durch das Radio die Druckerkunst zurückdrängt, hat selten soviel vermocht wie in dieser Umwälzung, und wo es im Saale selber vom Mund zum Ohre schwebte, war dem Auge zugleich ein Rausch gegönnt. Nach einem Jahrzehnte farbloser Debatten ging endlich wieder ein Strom von Fahnen auf die Deutschen nieder, Kommandos hallten, Fanfaren erklangen, Trommeln wirbelten, und eine neue Pyramide nach dem Muster der alten königlichen ward gebaut, wo jeder zugleich tragen und drücken durfte. Alles geschah nach dem Vorbilde Wagners: beständige Einzüge, die unendliche Melodie weniger, beharrlich wiederholter Motive, reine Toren und goldgierige Dämonen, klirrende Herzöge und gleichgekleidete Vasallen; die ewigen Treueschwüre samt -brüchen, die Mischung von Roheit und Mystik, das Heldische unter Kleinbürgern: alles Wagner. Indem der Militärstaat ins Wagnerische transponiert wurde, erfüllte er zugleich beide Arten deutscher Träume: Gehorsam und Musik, Disziplin und Anbetung, und durchglühte die Dämmerwelt, in der sich für den Deutschen der Sieg des Guten gern mit seinem eigenen Vorteil verbindet. Es ist dies die besondere Art des deutschen »Cant«, dem englischen verwandt, nur statt mit einer kirchlichen Kulisse mit einer heldischen versehen: eine Mischung von Lohengrin mit Garde du Corps.

Auch die Großindustrie – denn einer mußte Hitlers große Vorstellung bezahlen – fühlte sich von dem großen Trommler getroffen. Indem sie auf einem ironischen Umwege zu den Gedanken der Sozialisierung zurückzukehren begannen, wußten die »Kapitäne« sich nichts besseres zu wünschen, als verstaatlicht zu werden, aber so milde und ertragreich wie der größte Montan-Konzern, wie Großschiffahrt und Banken, die sich soeben, »halb Kinderspiele, halb Gott im Herzen«, vom Staate stützen, noch lieber aufkaufen ließen. Da die rheinischen Siegfriede die Götterdämmerung heranrauschen spürten, mieteten sie sich folgerichtig einen Wagnerianer, um sich retten zu lassen. Sie fühlten, da sie zwar Herren über Stahl, aber nicht von Stahl waren, daß all ihr unterirdisches Gestein in die große Sintflut abzurutschen begann und wollten, statt von einer zweiten Flut gänzlich weggeschwemmt zu werden, sich lieber vorher mit ihrem Scheckbuch auf die letzte noch trockene Insel retten.

 

II

Auf der Insel blühte der »Herrenklub«. Hundert Herren der Schöpfung, oder waren es dreihundert, durchwegs elegante, für alle Fälle mit Exzellenz anzuredende Kavaliere hatten sich in den letzten Jahren zusammengetan, »um der Roten Flut einen Damm entgegenzusetzen«. Von oben gesehen mußten sie wie Figuren in einer alten Dekoration der Pariser Oper wirken, aber es sah sie niemand von oben. Junker, Generale und Schwerindustrielle, die alten Götter, denen der deutsche Krieg und dadurch auch der Friede anvertraut war, versuchten sich in sanft beleuchteten Räumen der Berliner Voßstraße, bei aparten Diners und nachher in paradiesisch gefederten Klubstühlen an dem Probleme, wie der Wassersturz draußen zu fangen, in Kraft zu verwandeln und diese Kraft auf ihre Äcker, in ihre Kasernen und Fabriken zu leiten wäre. Der Fall lag schwieriger als der letzte.

Damals, vor 12 Jahren, als die langsam heranratternde Republik ihre Kommissionen auftat, um die Grundstoffe der Wirtschaft zu sozialisieren, waren Industrie und Junker schon durch die Notlage begünstigt, in der sich bei Kriegsende alles befand; das Vergnügen, des Königs Nachfolger zu sein, war so gering, daß man nicht gern auch noch Herrn Krupps Nachfolger geworden wäre. Ähnlich gesundeten die Junker durch Entwertung ihrer Hypotheken an der Inflation, die Generale am Mangel bürgerlicher Konkurrenz, da alle der Uniform überdrüssig waren, und so zogen alle drei Arten von Herren ihren Vorteil aus der Niederlage. Zugleich waren die gemäßigten Arbeiter der beste Schutz gegen ihre radikalen Brüder. Schließlich waren die nationalen Wehrverbände auf der Straße gut zu brauchen, um effektvoll gegen den schlechten Frieden und den bösen Arbeiter zu demonstrieren.

Hitlers Scharen waren gefährlicher. Wenn die Herren von den Fenstern ihres Klubs oder aus ihren Limousinen die energischen Tritte dieser Züge beobachteten, konnten sie nie genau erkennen, ob sie mehr national oder mehr sozialistisch gefärbt waren, zumal das Braun ihrer Uniform zwischen schwarz, gelb und rot lag und offenbar vieldeutig gedacht war, wie der Name der Partei. Je entschiedener man gegen sie regierte, umso stärker schwollen die Scharen an; und alte Regierer, wie die Mitglieder des Herrenklubs waren, merkten, daß es galt, sie legitim zu machen, zumal ja ihr Führer für das Legale schwärmte. Aber viele wilde Tiere waren dort dabei, deren Betragen, waren sie einmal zu den andern in die Umzäunung geführt, nicht berechnet werden konnte. Die Kunst war deshalb, ihnen zu fressen zu geben, ohne dabei von ihnen gefressen zu werden.

Einige Herren schlugen deshalb zwischen zwei Poker-Partien vor, Hitler von seinen Scharen zu trennen, auch ihn zu einem Kavalier zu ernennen und dann als Mitglied einer feinen Regierung so zu beruhigen, wie manchen Revolutionär früherer Zeiten. War er aber damit zufrieden? Und wenn, was würde aus jenen Scharen? Diese wiederum ganz in Kauf zu nehmen, weigerten sich die Generäle, die ohnehin von Anwärtern ihrer Kreise für die Stellen der wachsenden Reichswehr belagert waren. Die Junker, die der braunen Farbe am wenigsten trauten, suchten umgekehrt die Generale gegen diese illegale Armee mobil zu machen, und rieten den Thyssens und ihren Freunden, Hitlers Millionen-Wechsel protestieren zu lassen, die ebenso unheimlich anwuchsen wie die Reichswehr, ohne daß jemand wußte, wer einst beide bezahlen würde.

Allein all diese Klubrechnungen waren ohne den Wirt gemacht, denn, wenn man nicht grade Revolution machen wollte, mußte man zu jeder Form einer Regierung, auch zur Diktatur die Unterschrift des einzigen Faktors haben, der in der allgemeinen Anarchie noch eine Staatsmacht darstellte. Grade weil er sie übertrieb, weil er gegen Verfassung und Versprechen mit seiner Autorität regierte, grade weil der Rechtsfaktor des Reichstages praktisch ausgeschaltet schien, war der Reichspräsident als Machtfaktor in keinem Falle zu umgehen; ja, man erwog den Reichstag wieder zu beleben, um im Spiele eine zweite Karte zu bekommen. Der Greis an der Spitze des Staates war unumgänglich, unbeschränkt und überdies noch unberechenbar.

Alle suchten sich deshalb seines Sohnes zu vergewissern, und um diesen ungezwungen unter die gebornen Führer der Nation zu bringen, war eigentlich der Herrenklub gegründet worden. Schleicher, zugleich Freund von Oscar Hindenburg und Herr der Reichswehr, war im Grunde der mächtigste Mann im Klub und auch im Staate, soweit sich der Klub subjektiv mit der Staatsmacht identifizierte; wahrscheinlich war Schleicher auch noch immer der Klügste unter den Herren.

Weniger klug war ein Herr von Papen, dem aber eine große Rolle im Herrenklub zufiel. Kavalier unbestimmten Alters, Reiterfigur, leicht in jedem Betracht, daher Herrenreiter, auch sonst in allen Sätteln gerecht, katholisch, aber nicht zu sehr, hatte sich Herr von Papen durch reiche Heirat mit der saarländischen Schwerindustrie verbunden, und der französische Name seiner Gattin wies auf Verwandtschaft mit dem Comité des Forges. So fühlte sich Papen gleicherweise durch die Internationalität des Glaubens wie des Geldes als geborner Vermittler zweier Völker, deren Waffenschmiede im Frieden eigentlich noch mehr verdienten als im Kriege; seine Dienste hatte er deshalb, uneigennützig wie er einmal war, der deutsch-französischen Verständigung geliehen und gehörte zu jenen Kavalieren, die durch ihre bankettierenden Konferenzen das Mißtrauen der geistigen Führer auf beiden Seiten des Rheines erregten.

Bei kavalleristischer Gewandtheit, mit einer gleichen Dosis von Verstand und Treue, war Papen eine Art Falkenhayn minus Bülow plus Holstein, zeigte aber einen originellen Zusatz von falscher Aufrichtigkeit, den ihm keiner von den Dreien vorgemacht hatte. Da solche Naturen auf dem Grunde alter Kulturen gedeihen, wurde er in Amerika unmöglich, nicht weil er im Kriege spionierte – dafür war er ja Mitglied einer Botschaft –, sondern weil er die Amerikaner für dumm hielt, während doch grade sie nach ihrem Studium der Gangster-Welt am schwersten hereinzulegen sind. Als alles, was er drüben angerichtet, Sprengungen von Brücken und Bahnen, durch einen echten Herrenreiter-Leichtsinn herausgekommen war, als er das Scheckbuch mit seinen Bestechungen in einer Mappe liegen gelassen und durch die Publikation dieser Papiere mitten im Kriege den deutschen Namen geschädigt hatte, wurde er, wohl für sein Seelenheil, mit Front Jerusalem zu den Türken geschickt, wo er eine zweite Mappe liegen ließ und ein zweites Unheil anrichtete. Solche Soldaten zog Ludendorff sonst zur Verantwortung. Da es dafür zu spät war, ließ sich Papen in den preußischen Landtag wählen, wo er ungesehen verschwunden wäre, hätte er nicht mit dem Erlöse seiner Kohlen die »Germania«, das Blatt des Zentrums, gekauft, um die Partei nach rechts zu ziehen.

In dieser Machtposition wurde er von seiner Partei gehaßt. Da er stets den neuesten nationalen Schnitt zu tragen wünschte, stimmte er als einziger gegen den Young-Plan, bekämpfte also die Republik heftiger als Hindenburg, bewarb sich aber gleich darauf im sozialistischen Ministerium Braun um die Stelle des preußischen Gesandten in München. Braun hob als Antwort diesen Gesandtenposten auf, der nur wie jener Posten vor dem ersten Maiglöckchen im Parke der Kaiserin Katherina aus alter Zeit versehentlich stehen geblieben war.

Als Referenten für das Denken hatte Papen zwei sehr verschiedene Freunde: den Kapitän Humann, der seine Intrigen schon an der Deutschen Botschaft in Stambul aus der alten Serailsluft gesogen; dazu den Philosophen Edgar Jung, einen verworrenen Idealisten, der die konservative Revolution träumte und seine leidenschaftlichen Gefühle für ein neues Deutschland in schwer lesbares Deutsch preßte. Da beide weder Junker noch Volksführer genug waren, um zur Macht zu gelangen, pumpte der eine seine Schlauheit, der andere seine Staatsgedanken in den Ballon, damit er fliegen könne.

Die Männer dieses Klubs faßten die Politik in dieser chaotischen Epoche noch immer als Schachspiel auf und erklärten, wenn man sie nach der Folge fragte, ihre Position am liebsten mit dem Springer oder Läufer, den sie und ihre Gegner so und so ziehen würden. Da Papens Reiterkunst bekannter war als sein Debacle im Kriege, spürten die jüngeren Reichswehr-Offiziere in ihm etwas vom Diplomaten, diese wiederum glaubten eine Art Generalstäbler entdeckt zu haben. Jedenfalls hatte Schleicher, der alte Königsmacher, beschlossen, Papen in die Macht zu heben, da er ihn für bedeutend genug hielt, um von seiner Leitung dauernd abhängig zu bleiben. Der jüngere Hindenburg brachte ihn zu seinem Vater.

In alten Märchen kann man zuweilen von Riesen in Höhlen lesen, denen kleine, einschmeichelnde Wesen gefallen, Allerweltsnaturen, die springen, laufen, plaudern, lachen können, immer heiter und dienstbeflissen, immer auf dem Sprunge, Holz zu holen oder die Suppe anzurühren oder einem Kobold draußen unversehens eins auszuwischen. So wurde Hindenburg von Papen charmiert, und da er Offizier gewesen war und dem Feldmarschall von seinen fernsten Schlachtfeldern etwas erzählen konnte, im übrigen reich war und ganz Kavalier, auch kein Kathole mit brennenden Augen und Missionsgefühlen, wie Brüning gewesen, sondern nur so wenig, daß man es garnicht merkte, so zögerte der alte Riese nicht, sich dieses luftigen. Wesens zur Durchführung seines Staatswillens zu bedienen. Hatten nicht Oscar und Schleicher dazu geraten? Versprach er nicht, das Zentrum heranzuführen und im Bunde mit diesem Herrn Hitler aus seinen mystischen Herzogsträumen in die Realität der Parteien zurückzuführen?

Noch niemals war, wenn man von Michaelis absieht, ein deutscher Reichskanzler dem Volke so unbekannt gewesen wie Herr von Papen, den eigentlich nur die von ihm betrogenen Amerikaner kannten. Aber noch niemals hat ein Minister die Rolle, die ihm zufiel, schon vorher so scharf erkannt wie er, denn in den letzten Wochen der Regierung Brüning hatte Papen einem Pariser Freunde geschrieben: »Après Brüning vient le Chaos.« Das Chaos, das war er nun selber.

Obwohl Hindenburg schon unter Brüning ohne Verfassung regiert hatte, war Papen doch der erste Kanzler, den er ganz ohne Reichstag ernannte, wie sein Vorgänger Wilhelm das gewöhnt gewesen, und so war es kein Wunder, daß Papen, durchaus von Gnaden des alten Herrn, diesem nur Minister zuführte, die ihm behagten, Mitglieder des Herrenklubs, lauter Leute von Familie, den General von Schleicher, ein paar feudale Barone und Grafen, und nur einen Bürger, der aus der streng loyalen Farben-Industrie kam. Hätte man dieses unabhängige Kabinett nur scherzweise einmal nach seiner Grundlage im Parlamente gefragt, so ergaben sich 5 % Stimmen, auf die es sich hätte stützen können. Das Zentrum, das Papen als erstes Geschenk mitbringen sollte, lehnte brüsk ab; es fühlte sich durch die schmähliche Entlassung Brünings, seines Führers, von Hindenburg beleidigt und durch Ernennung Papens keineswegs geehrt; es hatte ihn früher ausgeschieden.

Papens Kabinett hat vom Juni bis November 32 Deutschland mit dem Artikel 48 regiert; denn diesen hatte der alte Riese wie einen Edelstein aus der Verfassung herausgebrochen und ließ ihn gern in der Sonne glänzen, während der übrige Teil des Diadems in der Höhle vor seine großen Füße gerollt und dort verschwunden war.

 

III

Das Kampfspiel zwischen Volk und Junkern, zwischen Straße und Herrenklub, das nun anhebt, begann mit einer Farce, deren Figuren freilich tragische Schatten auf den Plafond der Geschichte werfen sollten. So angenehm nämlich seit der Entdeckung jenes Edelsteines das Leben des alten Autokraten verlief, da war immer noch dieses fatale Preußen mit seinen demokratischen Ministern, die zwar keine Mehrheit mehr hatten, aber noch immer leise weiter regieren durften, weil die Braunen oder, wie man im Palais gern sagte, »die Braunauer«, auch keine hatten. Hinter diesen Formalitäten der Geschäftsführung lagen bedeutende Machtfragen, denn die preußische Polizei war angeblich sozialistisch gesinnt oder galt doch mindestens für republikanisch. Es scheint, daß Hindenburg die Ernennung Papens von der Entmachtung der preußischen Minister gradezu abhängig gemacht hat; läßt sich dies heute noch nicht sicher behaupten, so bleibt doch gewiß, daß er durch seine Unterschrift die Aktion zur Hinrichtung der Republik erst ermöglicht hat.

Wollte Papen als Sieger den Fuß auf den preußischen Drachen setzen, so mußte er sich beeilen, denn sein größter Konkurrent ohne Portefeuille, Hitler stand schon lange parat, das Untier zu erschlagen. Bei der wunderlichen Konstruktion des Bismarckischen Reiches, auch nach der neuen Verfassung, gab es in Berlin zwei Chefs der Regierungen, einen Kanzler und Herrenreiter für das Reich, und einen für Preußen, seit 13 Jahren den Sozialisten Braun.

Dieser einzige, den sie fürchteten, war aber nach dem Durchfall seiner Regierung bei den Wahlen im April auf Urlaub gegangen mit dem Entschlusse nicht wiederzukehren. Verbittert sah er nach siebenjährigem, stummem Kampfe mit Hindenburg, von dessen Eigenwillen die Öffentlichkeit nichts wußte und noch heut wenig weiß, eine zweite ähnliche Epoche vor sich, die er selbst mit eingeleitet hatte, um nicht ins hitlerische Chaos vorzustoßen, die er aber, umgeben von sieben keineswegs eisernen Männern, nicht weiter durchfechten wollte. Mehr befehlende als kämpfende Natur, wie er war, zog er sich, leidend und verdrossen, vor dem großen Krach zurück. Auch unter denen, die übrig blieben, lauter Männern, die 14 Jahre lang nur allzu objektiv und rechtlich regiert hatten, konnte sich keiner im letzten Augenblicke zum Kämpfer entwickeln. Ob einige einen Gewaltstreich kommen sahen, ist ungewiß; sie durften sich sagen, Hindenburg hatte die Verfassung soeben zum zweiten Male beschworen, zudem grade den linken Parteien seine zweite Präsidentschaft zu verdanken, würde also doch grade ihnen kaum in den Rücken fallen.

Mit diesem moralischen Vorurteil im Herzen der Preußen rechnete Papen, als er bei einem Diner im Herrenklub – dieser vertrat ja jetzt den deutschen Reichstag, – seine Pläne zur Eroberung Preußens höchst vertraulich darlegte, wobei die Identität des Ortes für Henker und Opfer – alles Berlin Wilhelmstraße und Linden, – das Komödienhafte noch steigerte. Ob Hindenburg gewonnen sei? Dem habe man die Sache durch einen der stets verfügbaren Juristen erleichtert, einen Professor, der ihm bewies, daß alles in Ordnung sei. Zwar hatte der alte Herr sich noch im März in heftigem Proteste gegen die Zumutung gewehrt, als wollte er die Wahlen in Preußen verzögern; jetzt aber kamen alle Morgen Briefe von Standespersonen an, die in ihn drangen, doch endlich die Reste dieser Republik zu beseitigen, der er vorstand. Daß er 15 Jahre zuvor seinem Kaiser ähnliche Briefe hatte schicken lassen, um ihn in Volksmeinung zu hüllen, hatte er wohl vergessen. Übrigens schuldete das Reich grade jetzt an Preußen 100 Millionen Mark, und wenn es nicht zahlte, konnte Preußen seine Beamten nicht besolden. Unschätzbarer Machttitel! Jetzt erkannten die Herren auch in der inneren Politik, wie glücklich doch die Lage des Schuldners gegenüber dem Gläubiger sei.

Der General Schleicher äußerte Bedenken: wie, wenn die rechtmäßigen Minister Preußens, die Schleichers Ausflüge ins Soziale kannten, in ihn dringen würden, die Reichswehr Gewehr bei Fuß zu halten? Und auch wenn er Nein sagte, – wie, wenn sie ihre eigne starke Schutzpolizei mobilisierten, über Preußen den Ausnahmezustand verhängten, Generalstreik losließen, die Eiserne Front auf die Straße schickten, den Rundfunk mit Beschlag belegten, Papen kurzer Hand verhafteten? Ja, wenn sie garnichts anderes täten, als nach Köln zu fliegen, um sich in der Zone zu etablieren, in die ihnen keine Reichswehr folgen konnte? War nicht der Kapp-Putsch vor zwölf Jahren an denselben Mitteln gescheitert? Indes, der Herrenklub war nach dem Diner zur Tat entschlossen und räumte beim Likör auch noch das letzte Bedenken hinweg, indem man für den verabredeten Tag alle Flugplätze militärisch zu besetzen beschloß. Als Henker fand Papen irgend einen Bürgermeister, der, wie es jetzt in Deutschland Sitte wurde, seinen Eid als preußischer Beamter auf dem Altare des Vaterlandes opferte. Berliner Beamte, die von der Sache wußten, gaben ebenfalls ihre Seelenruhe der höheren Staats-Raison preis, indem sie patriotisch schwiegen.

Warum sie gelang, die Eroberung Preußens? Die einen waren müde, die andern waren frisch, die einen Demokraten, die andern Soldaten, die einen ritten jeden Morgen aus, die andern saßen verarbeitet zwischen ihren Akten. So ging das Ganze wie am Schnürchen: am ausgedachten Julitage verkündigte Papen den preußischen Ministern eine Verordnung des Reichspräsidenten, daß sie abgesetzt wären, und als Severing, Preußischer Minister des Innern, erklärte, er weiche nur der Gewalt, fragten die Herren höflich, wann er die Gewalt wünsche. »Abends um 8, denn sonst gibt es Auflauf auf der Straße.« Als dann der Nachfolger mit zwei Polizeioffizieren erschien, runzelte der Abgesetzte die Stirne, protestierte und verließ ruhig das Amtsgebäude, in dem er ein Jahrzehnt auf seine Art erfolgreich gewaltet hatte. Der Berliner Polizei-Präsident, dessen Bau als größte gewappnete Burg der Hauptstadt immer gefürchtet war, telephonierte einige Male, schrieb einen Protest, ließ sich schließlich in Arrest abführen, wo er eine Stunde später eine Erklärung unterschrieb, er werde keine Amtshandlungen mehr vornehmen, und wurde abends von den Seinigen und den Reportern freudig in Empfang genommen.

Allerdings hielten sich die Volksmänner nicht gleichmäßig. Der Polizei-Präsident, schon am Tage vorher unterrichtet, schreibt in seinen Memoiren, ganz Philosoph, den Satz: »So harrten wir der Dinge, die da kommen sollten.« Auch schickte er den Absetzungsbefehl solange zurück, bis Datum und Unterschrift ordentlich stimmten, und erwähnt, daß er die Herren habe Platz nehmen lassen, die ihm seine Absetzung überbrachten. Severing dagegen scheint abweisender gewesen zu sein und schlug in die Hand nicht ein, die ihm sein Henker mit falscher Biederkeit hinstreckte.

Hunderttausend waren enttäuscht, Millionen. Während die Führer sich abführen oder absetzen ließen, erwartete die Arbeiterschaft in höchster Spannung den Befehl zum Generalstreik; die Schutzpolizei hätte gekämpft, und die 8 Reichswehr-Soldaten, die die Festnahme der leitenden Beamten aus dem Polizei-Präsidium sichern sollten, standen bleich und verlegen da, sie konnten ja von der Polizei niedergeschossen werden. Flugblätter der Kommunisten überströmten Berlin, aber die Abtretenden ließen verbreiten, das sei nur eine Provokation des Gegners. Sie erklärten, sie wollten kein Blutbad, keinen Bürgerkrieg. Als gegen Weihnachten 1918 der General Groener den von den Radikalen belagerten Reichskanzler Ebert mit ein paar Truppen gerettet hatte und dieser darauf bat, man möge nicht auf die Belagerer schießen, sagte Groener: »Wenn Sie mir das noch einmal sagen, dann befreie ich Sie nie wieder!«

Zwei Welten: Die einen wollten die Macht um jeden Preis, die andern das Recht um den Preis des Friedens; darin waren die Kämpfer bessere Schüler von Marx als die sogenannten Marxisten. Es machte damals Ebert Ehre, aber Groener keine Freude, keine Rache zu nehmen. Zu solcher Geste muß man Caesar sein, und auch dieser konnte sie sich nur nach großen Siegen leisten. Selbst die indische Menge begreift auf die Dauer nicht den Weg der gewaltlosen Abwehr. Auf solche Art verlieren Führer des Volks nicht bloß ihre Macht, sie verlieren das Volk, weil sie es des Glaubens an sich selber berauben.

Im selben Hofe der Polizei, in dem am 9. November 1918 jener Leutnant seinen Degen zerbrach, weil der Kaiserliche General befahl, ihn nicht gegen die Aufrührer zu ziehen, riefen jetzt, am 20. Juli 32, die an den Fenstern dicht gescharten Beamten und Polizisten: Es lebe die Freiheit! Beide Teile kauften sich mit einer Geste von der Notwendigkeit los, für ihre Rechte zu kämpfen. Beide wollten, aber durften nicht, weil ihre Vorgesetzten kein Bürgerblut vergießen wollten. Aber die militärische Herrschaft war in Deutschland im Augenblicke einer großen Niederlage nur momentan ermüdet zurückgesunken, schon im nächsten war sie wieder frisch; die Demokratie dagegen, vom ersten Augenblick an müde, schmolz dahin, wie sie gelebt hatte, und nichts blieb zu bewundern übrig als diese Volksmassen, die noch immer Schwung genug verrieten, um sich trotz ihrer blutarmen Führer zur Erhebung bereit zu stellen.

Dieser ruhmlose Ausgang der deutschen Republik hat ihr mehr geschadet, als jede verlorne Schlacht in den Straßen Berlins ihr hätte schaden können. Der Märztag von 1848 ist nie vergessen worden, weil man damals kämpfte. Ein Wesen, das nach 14 Jahren hinsinkt, wird bedauert, aber nicht besungen, es müßte denn sehr schön gewesen sein. Seine Lebensunfähigkeit war erklärlich bei seiner schläfrigen Erzeugung zwischen Ermattung und Furcht. Wäre sie aus Kampf und Opfern erstanden, aus Haß und Leidenschaft, die deutsche Republik wäre auch anders zu Grunde gegangen.

Tragisch erscheint an diesem Punkte nur die Erkenntnis, daß die Sieger den Geschlagenen zwar an Verve und Phantasie weit überlegen waren, aber auf Ideen von Blut und Rasse bauten, die einer vergangenen Epoche angehören. Mit dem Willen zur Macht ohne Idee der Zeit läßt sich auf die Dauer so wenig regieren, wie mit den Ideen ohne Willen zur Macht.

 

IV

Im Kampf zwischen Volk und Herren hatten diese den einen, den müden Feind leicht überwunden; der zweite, frische, zog nur umso dröhnender über die Plätze, er ließ sich nicht von 8 Reichswehr-Soldaten einschüchtern, auch nicht von 8000. Statt ihn zu bekämpfen, suchte deshalb der Herrenklub den Volkstribunen mit seinen gewaltigen Scharen zum Waffenstillstande zu bringen. Der Idealfall war, ihn ins Kabinett der Junker, gleichsam unter die Haube zu bringen, wie diese Junker auch sonst gern eine reiche Heirat unter dem Stande schlossen, um sich dann aus den Mitteln der Braut zu sanieren. Aus 5 % ihm zugewandter Stimmen hätte das Kabinett Papen durch solch ein Bündnis mit einem Schlage 50 gemacht.

Da Hitler sich diesen Lockungen zu entziehen wußte, schlug man im Herrenklub verschiedene Wege vor; die ersten bezeichnete Schleicher, der in allem der Volksbewegung mit mehr Verständnis gegenüberstand. Da er vernünftiger war als Papen, konnte Hitler sich mit ihm leichter verständigen, hörte ihm auch ernster zu, weil Schleicher sich ja der Auflösung der SA unter Brüning widersetzt hatte. Schleicher, entschlossen sich irgendwie mit den Massen zu verbünden, wenn sie nur nicht zu rot wären, blieb während des ganzen Jahres 32 in Verbindung mit ihren Führern und behandelte dabei Hitler etwa wie einen vornehmen Juden, dessen peinliche Abkunft man wegen seiner Macht zu übersehen geneigt ist. Seinen Unterführern teilte der General einige loyale Sätze aus Hitlers Proklamationen mit, auch daß er ihm im Zweifronten-Kriege den Schutz der Ostgrenze mit seinen SA angeboten habe; übrigens war sein intrigantes und beständig neugieriges Wesen erfreut, im Verkehr mit Hitlers Unterführern den Parteiklatsch zu erfahren.

Hitler wiederum hatte allen Grund, vor den Wahlen im Juli 32 – denn in Preußen sollte nicht bloß verhaftet, auch gewählt werden – sich mit der Reichswehr gutzustellen; da er von dem täglich flagranter werdenden Bürgerkriege größeren Vorteil zog als seine Gegner, mußte er die Reichswehr darin neutral zu halten suchen. Schon darum hatte er sich zum ersten Mal in seinem Leben mit der Regierung geeinigt. So stark war er in diesem Jahre geworden: hatte Brüning im April seine Privat-Armee noch verboten und wollte das Haupt des Osaf auf einer goldnen Schüssel vor sich sehen, so hatte Papen im Juni dieselbe Armee wieder erlaubt und war froh, von dem revolutionären Führer ein (angeblich schriftliches) Ehrenwort zu erhalten, er wolle die Regierung Papen tolerieren. Hier scheint ein persönlicher Wunsch Hindenburgs entschieden zu haben, dem sich Hitler als der Quelle der Macht entgegenkommend zeigen wollte. Der alte Herr freilich rechnete es ihm keineswegs an, daß er stillhalten wollte, aber Papen, seinem neuen Vertrauensmanne, daß er den Teufelskerl neutral zu halten verstand.

Als nun die SA, plötzlich nicht mehr staatsfeindlich, wieder auf der Straße erschien, hatten ihre Anzüge einen strengeren militärischen Schnitt bekommen.

Da Hitler die Wahlen auch sonst mit gewohntem Glanz instrumentierte, dagegen das Kabinett des Herrenklubs allen unbekannt war, und die Sozialisten durch das Versagen ihrer Führer gedemütigt waren, so errangen die Nationalsozialisten Ende Juli beinahe die Hälfte aller Sitze und hätten mit dem Zentrum zusammen alles entscheiden können.

Papen, für Konferenzen eher geneigt als für Wahlen, weil er zwar nur die Sprache der Herren, diese aber in mehreren Idiomen verstand, holte sich zugleich mit leichtem Griff die Früchte, die Brünings Hand durch seine Entlassung im letzten Augenblick entzogen worden waren. In Lausanne strich man nach 12 jährigen Konferenzen die ganze Reparation weg, ließ aus Takt noch 3 Milliarden bestehen, von denen aber der Vertreter Deutschlands eine Stunde nach seiner feierlichen Unterschrift zwei fremden Journalisten lächelnd anvertraute, wie er sie einzusparen dächte. Verjüngt, wie er sich vom Erfolge fühlte, vergaß Herr von Papen, daß er jetzt Kanzler war und nicht mehr Zerstörer amerikanischer Brücken.

Indessen saß auf Schloß Neudeck der 85 jährige Feldmarschall. Niemand rechnete mit seinem Tode, alle sprachen von Wilhelms des Ersten 91 Lebensjahren; nur Hitler, der jetzt grade halb so alt war, hatte das Symbol dieser Lebensstufen erkannt und öffentlich gesagt: »Er ist 85, ich bin 43. Ich kann warten.« In nervöseren Augenblicken freilich erklärte er, es wäre die höchste Zeit, ihm jetzt das Reich zu übergeben, er wäre schon über Vierzig.

In Hindenburg hatten sich in diesem letzten Akte die harten Züge seines Wesens wie die Furchen des Gesichtes auf Greisenart so sehr vertieft, daß die freundlichen immer mehr verschwanden. Keiner von denen, die ihm in den 9 Jahren seiner Präsidentschaft gedient haben, sprach nachher gut von ihm, und der letzte, der ihn wirklich verehrte, Brüning sagte seinen englischen Freunden: »Am Tage, bevor er mich fallen ließ, hat er mich dreimal belogen.« Die Ehrfurcht, die er früher einflößte, war zuletzt der Furcht gewichen; das Vertrauen, das er früher ausströmte, hatte sich in ihm wie in den andern zum gegenseitigen Mißtrauen verwandelt. Der Groll auf jene, denen er seine zweite Wahl verdankte, bohrte in ihm, weil er diese Wahl durch die ihm verhaßten Roten als eine Art unerwünschter Legitimierung seines Überganges zur Republik empfand. Die Kreise, denen er bis gegen sein 80. Jahr angehört oder, wie er sagte, gedient hatte, ersparten ihm ihre Schadenfreude nicht, daß er jetzt »von Juden und Deserteuren« auf den Schild gehoben worden sei, und doch zog ihn das Gut und das Schloß mit seinen Interessen und Standesgefühlen erst recht zu jenen zurück, von denen er ausgegangen war.

War aber all dies durch die natürliche Stumpfheit des höchsten Alters zu überwinden, so sah er doch beständig diese schwarz-rot-goldene Fahne wehen, denn auch auf Neudeck mußte sie im preußischen Winde flattern, dafür war er ja Präsident des Reiches. In den Verwirrungen dieses Jahres, als er sich jeden seiner autoritären Schritte als streng legal bescheinigen ließ, mußte die Frage nach der Bedeutung seines Eides den alten Offizier stärker beschäftigen, und obwohl wir keine Aufzeichnungen haben, gibt es doch zwei merkwürdige Anzeichen dafür, was in ihm vorging und was, nach unserer Anschauung der Geschichte, wichtiger ist als alle Wahlziffern und Milliarden-Verträge. Zum Minister-Präsidenten Braun sagte er mitten in einer Unterhaltung:

»Ich habe meinen Eid auf meinen König gehalten. Und jetzt werde ich meinen Eid auf die Verfassung halten.«

Hindenburg trennte also die beiden Epochen voneinander. Wie ein sorgfältiger Verwalter führte er gewissermaßen zwei getrennte Buchhaltungen und hütete sich, die Königliche Kasse mit der der Republik zu vermischen. Mit dem Erlöschen des Königtums war seine Verpflichtung gegen dieses erloschen, und wer nur staatsrechtlich dachte, konnte dawider nichts sagen. Daß er in Doorn der Hochverräter hieß – welche Ehrenstellung bisher der Fürst Bülow eingenommen –, brauchte sein Gewissen nicht zu belasten. Allerdings hatte er seinem Könige noch Jahre nach der Enthebung vom Eid persönlich ewige Treue freiwillig zugesichert; aber schließlich hatte er ihn nicht vertrieben wie Cromwell, sondern immer betont, er sei und bleibe Monarchist. Daß er zugleich der Republik präsidierte, die nach seiner Theorie den König verjagt hatte, das war eine innerdeutsche Frage, die den im Auslande lebenden König nichts anging.

Was den 85 jährigen Hindenburg beunruhigte, war nicht der Widerspruch der beiden Eide; es war die Auslegung des zweiten. Daß er sich mit 78 von der ersten zur zweiten Fahne fortentwickelt hatte, machte ihm keine Sorgen; daß er aber zur ersten heimkehren, den Eindruck erwecken könnte, als fiele er zurück, schien ihm gefährlich, und doch mußte er fühlen, wie weit er sich schon von der Verfassung entfernt hatte, da er als absoluter Monarch die Regierung führte. Solche Gefühle müssen in ihm gelebt haben, denn als er eines Tages mit dem Minister Wirth gewisse Staatsfragen besprochen, erhob er sich und sagte plötzlich, ohne Übergang, stehend, feierlich:

»Glauben Sie mir, Herr Minister: ich werde meinen Eid auf die Verfassung halten!«

Da stand der alte Riese, und da der Minister über diesen sonderbaren Punkt keine Debatte anfangen konnte, verbeugte er sich und ging. Nach jenem Satze ist kein Wort mehr gesprochen worden.

Diese unvermittelten, durch keine Wendung der beiden Gespräche hervorgerufenen Beteuerungen gegenüber zwei ernsten Männern, die weder eine Krisis noch eine Verfassungsfrage zu ihm geführt hatte, führen tief in die Monologe des Greises, der mit dem festen Vorsatz auf die zweite Fahne geschworen hatte, seinen Eid zu halten, und der sich nun doch durch den Ablauf der Dinge wie durch den eigenen Charakter gehemmt fühlte. Den Ausweg fand er dort, wo er den Lebensweg begonnen, in den Worten Pflicht und Dienst, die, wenn man sie nur recht auslegt, ihre Absolution in sich selber enthalten. »Wie wird einst die Geschichte über mich urteilen,« sagte er vor einem Freunde. »Ich habe den größten Krieg verloren. Ich habe unserem Volke, das mich auf den höchsten Posten berief, nicht helfen können. Das wichtigste ist, daß man stets versucht hat, nach besten Kräften seine Pflicht zu tun.«

Wie stellte sich dem bald umdämmerten, bald plötzlich scharf blickenden Auge des Greises das chaotisch strömende Land dar, das er regieren sollte? Was er zunächst sah, Sohn und Enkel, die waren unverändert, die Ruhe des Hauses wurde nicht gestört. Dann war der alte Acker, den seine Ahnen schon bestellt hatten, der aber jetzt durchaus nicht mehr rentabel zu gestalten war. Vettern und Neffen schrieben Briefe, der Hafer stände mittel, der neue Kunstdünger wäre zu empfehlen; wenn nur jemand die braunen Scharen fest in die Hand nähme, denn Hitler wollte doch das Beste. Andere schrieben, ohne Staatsgelder könnte man nicht mehr weiter wirtschaften, alles bekäme die reiche Industrie, und wir sitzen im Elend. Dann erschien Meißner mit der Mappe, – nun, das war ganz wie damals in Magdeburg.

Verdrießlich wurde es erst, wenn Papen angeflogen kam und berichtete, wo der Bürgerkrieg in der letzten Woche wieder aufgebrochen sei, daß wieder 17 Tote in Hamburg auf der Straße lägen und kein Ende abzusehen. Ob er den gefährlichen Tribunen nicht doch einmal empfangen wollte, um ganz Deutschland zu zeigen, warum er ihn ausschließe?

Dabei verschwieg der Herrenreiter dem Feldmarschall sicher die Hälfte der Intrigen, die um ihn spielten, und wußte kaum, daß es noch andere gab, die er selber nicht kannte. Hitler, der sich am liebsten an die Kanone lehnt oder doch an den Kanonier, hatte nach seinen siegreichen Wahlen Anfang August mit dem General Schleicher gefährliche Dinge verhandelt, die erst nach dessen Tode einigen Freunden bekannt wurden. Da Hitler zur Macht drängte und das alte Argument der Reichswehr-Generale verwendete: sonst könnte er nicht für die Haltung seiner Truppen garantieren, erwog Schleicher ernstlich den Plan, selber Kanzler zu werden, drei Nationalsozialisten ins Kabinett zu nehmen, nachher den alten Herrn zum Rücktritt zu bewegen und Hitler zum Reichspräsidenten auszurufen. Man nannte dies im Herrenklub »Militär-Diktatur, durch braune Massen gemildert.« Diese Unterredung spielte sich bei einem Manöver in Fürstenberg ab, und Hitler, der seine Laufbahn als Wagnerianer in Szenen und Akten vor sich sieht, wahrscheinlich als Trilogie, erklärte auf dem Manöverfelde: »Hier wird einst eine Tafel den Nachkommen sagen, was Schleicher und Hitler miteinander verhandelt haben!«

Wenige Tage darauf zu Papen geladen, hört er ein neues Angebot der Regierung: ob er Vize-Kanzler werden wolle. Was für eine lächerliche Offerte! Noch eben hat ihm Schleicher Aussicht auf die Präsidentschaft eröffnet, und jetzt will man ihn, den großen Volkstribunen, in den Falten eines Kabinetts verstecken! Die Empörung bei seinen Unterführern ist noch größer, Göring spricht von einer »gestellten Falle«. Brüske Absage. Oscar Hindenburg, Meißner, Papen, die dem alten Herrn diese Konzession nicht leicht entrissen hatten, stehen verärgert. Nach diesem Affront – so wird es von beiden Seiten empfunden – läßt sich eine Begegnung zwischen den beiden Hauptakteuren, wenn man Frieden will, noch weniger verschieben. Hitler macht gleich die Bedingung, er wolle seinen Stabschef Röhm mitbringen. Hindenburg, der von Röhms perversem Wesen erfahren hat und in diesem Punkte empfindlich ist, entschließt sich schwer zur Zusage und macht sich als Soldat über den Ausdruck »Stabschef« lustig, da doch kein »Stab« da sei, sondern nur ein Haufen braun angezogener Leute ohne Offiziere.

13. August 32, Hindenburg stellt sich zur bestimmten Stunde, auf seinen Stock gestützt, mitten im Zimmer auf, umgeben von seinem Sohn, Papen, Schleicher und Meißner. Es erscheint Hitler mit Röhm und Frick. Alles trägt Zivil, außer Schleicher. Hitler will die Türe hinter sich zuziehen, die aber schon ein Diener geschlossen hatte, stolpert mit halb zurück gewandtem Blicke über den Teppich, verbeugt sich tief. Alles steht, niemandem wird ein Stuhl angeboten.

In der Gruppe der sieben Männer sind alle kleiner als Hindenburg, dem die Erbschaft des Grenadiers auch diesmal und trotz seines Alters die überragende Stellung einräumt. Vier Junker stehen dort, drei Kleinbürger hier; Meißner bildet den Übergang von den Herren zum Volke. Papen und Röhm deuten in Überschlankheit und Überdicke den Unterschied von Herrenklub und feistem Bürger in Karikatur an. Hindenburg und Hitler, die einander in hundert Bildern und im Radio studiert haben, erblicken einander zum ersten Male leibhaftig.

Was sie verbindet, ist der tiefe Glaube, daß Macht vor Recht gehe und daß Deutschland, Opfer böser Nachbarn, sich rasch neu rüsten müsse, um in der Revanche zu siegen. Bei Unkenntnis anderer Völker und Kulturen, beschränkt auf die Enge ihres Blickes, entwickelt sich ihr Vertrauen zum eigenen Volke zum Mißtrauen gegen jeden Nachbarn und setzt an die Stelle jeder Verbindung den Wunsch nach Maschinengewehren, Flugzeugen, Gas. Ablehnung jeder Volksherrschaft, Glauben an Körper- vor Geisteskraft verbindet beide Männer. Aber wie verschieden ist die Form der Erneuerung, ihr Traum vom neuen Deutschland! Denn als der Volkstribun in dies Palais eintritt, hält er in seiner Rechten unsichtbar den geheimen Schlüssel, der ihm das Volk wahrhaft aufschließt, während der andere mit seinem Marschallstabe eine ferne Legende blieb.

Hier steht eine mächtige Gestalt, siebzig Jahre lang an Uniform gewöhnt, einem unruhigen Menschen gegenüber, der sie nur durch den Zufall eines Krieges bekommen und wieder abgestreift hat, an dem nichts sitzt, nicht einmal das von ihm selber erfundene Hemd, während der Alte ganze Tage seines Lebens auf Knöpfe, Schnallen und Orden verwendet hat. Dem Manne mit dem mächtigsten Schnurrbart im Lande steht der Mann mit dem kleinsten, dem quadratischen Schädel ein ovaler gegenüber. Hier steht ein nervenloser Mann vor einem nervösen, ein gesunder vor einem Neurastheniker, ein großer Esser vor einem Vegetarier, ein Familienvater vor einem ewigen Junggesellen. Hier steht ein Mann, der von selber wirkt, vor einem, der beständig wirken möchte, ein Furchtloser vor einem Aufgeregten, ein zum Befehl Geborener vor einem, der immer befehlen möchte, ein organisch Gewachsener vor einem, der heraufgeschossen ist. Hier steht ein Junker vor einem Kleinbürger, ein Protestant vor einem Katholiken, ein Preuße vor einem Österreicher, ein volksfremder vor einem volksnahen Menschen; ein Rassemensch, der an Klassen glaubt, vor einem Klassenmenschen, der an Rasse glaubt, ein Rationalist vor einem Mystiker, ein Emporgetragener vor einem Emporgestiegenen, ein Schweiger vor einem Redner, ein gelassener vor einem ehrgeizigen Manne.

Brückenlos starrt zwischen ihnen der Abgrund. In jedem Zuge ist der Junge dem Alten peinlich, in jedem Zuge der Alte dem Jungen unheimlich. Der Feldmarschall sieht vor sich nur einen Zivilisten in gespannter Haltung, der Volkstribun aber sieht einen Riesen-Roland vor sich, ein Monument, vielleicht einen Dämon.

Der persönliche Eindruck des Feldmarschalls muß die Abneigung gegen den Tribunen noch erhöht haben, sonst hätte er ihn nicht wie einen Schüler behandelt:

»Ich habe Sie kommen lassen, um Sie zu fragen, ob Sie unter dem Herrn Reichskanzler von Papen mitarbeiten wollen?«

»Ich habe meine Bedingungen dem Reichskanzler schon bekannt gegeben.«

»Sie fordern also die ganze Macht?«

»Ich brauche eine Stellung in der Art, wie Mussolini sie einnimmt.«

»Das kann ich vor meinem Gewissen nicht verantworten.« Pause. »Für die Zukunft möchte ich Ihnen Ritterlichkeit im politischen Kampfe anraten.«

Diese, von den Anwesenden wiedergegebenen Hauptsätze waren von ein paar Redensarten umgeben. Niemand setzt sich. Nach 6 oder 8 Minuten war es zu Ende.

Um es indessen Deutschland und der Welt zu sagen, wie sehr er ihn verachtet, bedauerte Hindenburg in amtlichen Berichten, »daß Herr Hitler nicht in der Lage war, entsprechend seinen vor der Wahl gegebenen Erklärungen eine vom Vertrauen des Reichspräsidenten berufene Regierung zu unterstützen. Der Reichspräsident begründete seine Weigerung, Herrn Hitler das Kanzleramt und die Staatsführung zu übertragen, mit seinem Gewissen und seiner Verantwortung gegenüber dem Vaterlande.« So hatte er ihm Unzuverlässigkeit öffentlich vorgeworfen, und Hitler war nach der Unterredung ärmer als zuvor.

 

V

Der Verletzte sann auf Rache. Hatte er eine Armee, größer als Hindenburgs, hatte er ein Prestige, so groß wie das des Gegners, so konnte er als Privatmann den Kampf auch gegen den Präsidenten des Reiches wagen. Da in diesem Jahre immerfort gewählt wird, gibt es eine ewige Plattform für seine ewige Melodie. Aus Hitlers Aufruf an seine Partei (der Stil diesmal an Lassalle gebildet):

»Wer von Euch ein Gefühl für den Kampf um die Ehre und Freiheit der Nation besitzt, wird verstehen, weshalb ich mich weigerte, in diese Regierung einzutreten. Die Justiz des Herrn von Papen wird am Ende vielleicht Tausende von Nationalsozialisten zum Tode verurteilen! Jetzt erkenne ich ihre blutige Objektivität, Herr von Papen! Zum Henker nationaler Freiheits-Kämpfer eigne ich mich nicht! Kraft der nationalen Erhebung werden wir mit diesem System ebenso sicher fertig, wie wir den Marxismus trotz dieser Versuche zu seiner Rettung dennoch beseitigen werden!« Und als in diesen Tagen fünf Mörder aus seiner Partei zum Tode verurteilt werden, weil sie einen Kommunisten buchstäblich zerfleischt haben, drahtet ihnen Hitler: »Kameraden, ich bin bei Euch! Der Kampf gegen eine Regierung, unter der dies möglich war, ist unsere Pflicht!«

In wochenlangen Verhandlungen mit dem Zentrum, auch mit Brüning, suchte nun Hitler im Herbst 32, immer zugleich in Fühlung mit Schleicher, sich gegen Hindenburg zu stärken. Man erwog, ihn absetzen zu lassen, was durch Beschluß der Reichstags-Mehrheit verfassungsrechtlich möglich war, nicht aus Ehrfurcht vor Hindenburg zog sich das Zentrum schließlich zurück, nur aus Furcht vor dem Nachfolger, der doch nur Hitler sein konnte. Papen, von allen Seiten bekämpft, auch schon wieder von seinem Protektor Schleicher, hielt sich nur enger an Hindenburgs Sohn und erhielt leicht die undatierte Ordre zur Auflösung des Reichstages, die bekannte »Rote Mappe«, mit der auch Wilhelm seine Kanzler aus großen Nöten befreit hatte. Waren nicht alle Reichstage dieser Republik aufgelöst worden? Nun wurde die Ordre aufs neue parat gelegt.

230 Nationalsozialisten, die im September in den Reichstag einziehen, können legal einen der ihrigen, Göring, zum Präsidenten des Reichstages machen, und dieser, vereint mit seinen Todfeinden, den Kommunisten, beschließt sogleich Absetzung der Regierung Papen durch gemeinsamen Beschluß der Radikalen. Wie schön doch solch eine legale Verfassung ist! Mit ihr kann man eine Regierung stürzen! So gibt es auch Ehen, die romantischer sind als ein illegales Abenteuer. Wird Papen jetzt die Rote Mappe hervorziehen, um durch Auflösung des Reichstages seinem eigenen Sturze zuvorzukommen? Er ist an Herrenklubs gewöhnt, aber hier ist eher eine Art Männerklub, dessen Gewohnheiten dem Kanzler nicht recht bekannt sind. So kam es, daß er die Mappe zu Hause ließ: jetzt, wo er die Ordre dem Reichstage vorlesen müßte, ist sie leider nicht da. Aber auch Göring, bisher mehr Flieger als Parlamentarier, ist in rechten Nöten, und so legt der eine Dilettant zu Gunsten des andern eine Pause ein.

Hitler, der ja nicht Abgeordneter ist, wartet im Palais des Reichstags-Präsidenten auf seine Freunde, die zu ihm eilen – sicher nicht durch die unterirdischen Gänge –, um seinen Befehl einzuholen. Zugleich eilt Papen im Auto in seine Kanzlei, um die verschlossene Mappe zu holen. Als er jetzt bei Wiederbeginn der Sitzung sich zum Worte meldet, um dem Reichstage seine Auflösung vorzulesen, hat Göring keine Ohren, behauptet, schon mitten in der Abstimmung zu sein, und so bleibt dem armen Kavalier nichts übrig, als das Dokument vor ihn hinzulegen, um darauf mit der Regierung den Saal zu verlassen. Göring aber läßt diese Regierung durch die Abstimmung eines Reichstages stürzen, der faktisch schon aufgelöst ist.

In solchen Puppenspielen wurden die Grundsätze der Volksvertretung erniedrigt, weil zwei Parteien legal bleiben wollten, die doch zugleich Revolution von unten und von oben machten. Die Szene mit der vergessenen Roten Mappe und dem unselbständigen Präsidenten des Reichstages ist das Symbol dafür, daß nur noch ausgehöhlte Formen dort herrschten, wo Alle längst in Handgranaten und Revolvern zu denken gewöhnt waren.

Doch auch Hitlers Macht wurde in diesen Monaten ausgehöhlt. Eine Weile wartet das Publikum, ob dem berühmten Star der Meistersprung gelingt: immer höher, immer noch höher, jetzt kommt's! Bleibt dann der Schlußeffekt aus, so verlaufen sich die undankbaren Zuschauer und wenden sich einem andern Artisten zu. Von November 32 ab verliefen sich die Deutschen: die Neuwahlen, durch jene Auflösung nötig gemacht, brachten einen plötzlichen Niederbruch der Stimmen für Hitler von 14 auf 11,7 Millionen. Statt mit 230 zog er nur noch mit 197 Mann in den Reichstag, während die Kommunisten diesmal die 100 erreichten. In den Länderwahlen der nächsten Wochen ging es rapide herab, fast bis auf die Hälfte der früheren Stimmen. Der neue Feldherr war also nicht unbesiegbar! Ein Erstaunen ging durchs Land; die Konkurrenz, Hugenbergs Deutschnationale stiegen an, der Herrenklub atmete auf.

Der Grund war Mangel an Geld. Da Hitler bei den Massen alles durch Augen und Ohr, nur wenig durchs Herz und nichts durch den Kopf gewann, verliefen sie sich, als die Kapellen und Aufzüge, die Fahnen und Feuerwerke, die Scheinwerfer und Sprechchöre abnahmen, und das Tagebuch des Doktor Goebbels klagt vom September bis zum Januar über trostlose Lage der Kasse, »Unmöglichkeit der Propaganda wegen Geldsorgen«, spricht im Dezember von »verzweifelter Situation«, »traurigen Weihnachten«, und läßt den verdüsterten Führer äußern: »Wenn die Partei einmal zerfällt, dann mache ich in drei Minuten mit der Pistole Schluß.«

Denn zugleich wurde Hitlers Stellung durch den Abfall seines Freundes Gregor Strasser gefährdet, der im Begriffe war, sich mit Schleicher zu einigen und deshalb auch, obwohl kein Parteichef, von Hindenburg empfangen wurde. Schleicher, der immer noch Wehrmacht plus Arbeiter träumte, verhandelte mit dem klareren Strasser jetzt lieber als mit Hitler, zugleich mit dem Führer der deutschen Gewerkschaften, hoffte diese beiden Sozialisten auf einen Nenner zu bringen und zugleich mit Strasser ein großes Bruchstück von Hitlers Partei zu gewinnen. Divide et impera!

Wo waren jetzt die stolzen Stimmungen Hitlers aus dem Sommer! Auf kuriosen Umwegen suchte er sich aufs neue Hindenburg zu nähern, indem er ihm eine Denkschrift über Deutschlands Befreiungskrieg unter Hindenburgs Kommando, Gedanken über einen neuen Aufmarsch im Westen »durch Süd-Limburg«, zugleich aber, – um neben dem Feldmarschall auch den Gutsbesitzer zu gewinnen, – neue Pläne zur Entschuldung der östlichen Güter vorlegen ließ, angeblich, um diese »für den Kriegsfall leistungsfähiger« zu machen. Ein Knäuel von Intrigen rollte durch das Palais. Meißner und Schleicher, Oscar Hindenburg und Papen, Hitlers Abgesandte und die Junker um Neudeck, Priester und Generale gingen leise über das Parkett der Rokokosäle, wie in einem altmodischen Intrigenstück, und Alle mißtrauten einander. Die Unterschrift des Greises galt es zu erhaschen, einen frischen Augenblick, eine Erinnerung aus dem Felde zu erwecken. Alle merkten, daß schon lange nicht mehr regiert wurde, und alle suchten dem alten Manne das Papier abzulocken, mit dem allein sich »legal« regieren ließ. Hatte das preußische Königtum Favoritinnen und Hofschliche gekannt, hatte die kurze Demokratie sich durch Partei-Bündnisse und Konzessionen gedrückt: jetzt war der Höhepunkt erreicht: alles sah nach dem mißtrauischen Blicke des uralten Feldmarschalls, der bei Einflüssen und Nachrichten die Echtheit nicht mehr nachprüfen konnte.

Daß es in dieser Dämmerluft Schleicher gelang, Papen zu stürzen, war dennoch nur unter Papens Mitwirkung möglich, denn er wollte nach wenigen Tagen der Krisis wiederkommen, um sich nur fester des Vertrauens zu erfreuen. Auch hielt ihn Hindenburg, dem Papen beim täglichen Vortrag besser gefiel als alle andern. Als sich die dauernde Krisis im November durch Papens vorläufigen Rücktritt verschärfte, mußte Hindenburg den neuen Volkshelden ein zweites Mal anhören, denn noch immer hatte er hinter sich die stärkste Partei, und niemand sollte sagen, daß im Palais die Bibel der Verfassung nicht auf dem Hausaltare läge.

Wieder griffen alle zur Weimarer Verfassung wie zur Heiligen Schrift, wieder suchte jeder dieses Buch auf seine Art in sein geliebtes Deutsch zu übertragen. Hatte Hindenburg den starken Hitler im Sommer stehen lassen, so bot er dem geschwächten jetzt folgerichtig einen Stuhl an, verhandelte sogar eine Weile allein, hörte ihn ruhig an, behielt ihn eine Stunde da und stellte ihm schließlich die Aufgabe, nach der Verfassung ein parlamentarisches Kabinett zu Stande zu bringen, das sich auf eine Mehrheit stützen müßte.

Das war ein schlauer Antrag; ihn auszuführen, war unmöglich: deshalb hatte man ihn ja gestellt. Schriftlich stellte nun Hitler zuerst seine Fragen und legte dann in einer langen Staatsschrift dar, warum der Auftrag unausführbar wäre. Staatsrechtlich geschützt, persönlich korrekt, muß er bei genauem Studium der Dokumente in dieser Lage die Sympathie jedes Lesers erringen, während das Hindenburgische Parkett nur Schliche und Intrigen widerspiegelt. Da keine Mehrheit zu erreichen sei, hatte Hitler geraten, solle man ihn zum Kanzler ernennen, autoritär wie vordem Papen.

»Sie wissen,« erwiderte Hindenburg schriftlich, »daß ich den Gedanken eines Präsidial-Kabinettes vertrete, – also nicht von einem Parteiführer, sondern von einem überparteilichen Manne meines besonderen Vertrauens. Sie haben erklärt, daß Sie Ihre Zustimmung nur für ein Kabinett zur Verfügung stellen können, an dessen Spitze Sie, der Parteiführer, stehen würden. Wenn ich auf diesen Gedanken eingehe, so muß ich verlangen, daß ein solches Kabinett die Mehrheit im Reichstage hat.« Und schließlich, als Hitler mattgesetzt ist: »Der Herr Reichspräsident muß befürchten, daß dies sich zu einer Partei-Diktatur mit allen ihren Folgen für eine außerordentliche Verschärfung der Gegensätze im deutschen Volke entwickeln würde, die herbeigeführt zu haben er vor seinem Eide und seinem Gewissen nicht verantworten könnte.«

Zu so höflich-lautlosem Ringen war der Kampf zwischen Junkern und Volk her abgestimmt, wie er zwischen dem Palais des Feldmarschalls und dem Hotel des Tribunen hin und her ging, während noch immer draußen die Straßen von demonstrierenden Massen durchzogen wurden; der Vorteil Hitlers in diesem und jedem Kampfe lag darin, daß er allein die Szene jeden Augenblick wechseln, sich auf die Straße und in den Saal begeben konnte, wo er mit seiner Redekunst stärker wirkte, als alle Jesuiten des Palais. In Wahrheit dachte dort niemand an Mehrheiten, Eide und Gewissen; sie wollten ihn nur gern écartieren, diesen gefährlichen Verführer, ohne ihm ein Haar zu krümmen. War er bereit, der Zweite zu sein, so mochte er kommen; der erste Platz mußte nach Hindenburgs Tradition einem Junker bleiben, so wie alle höchsten Stellen im Generalstab und im Zivildienste den alten Familien niemals entglitten waren.

Zunächst ging aus dem höflichen Duell des Herrenreiters mit dem Volksführer ein Dritter siegreich hervor, natürlich ein General. Schleicher hatte die sogenannten »Schlüsselstellungen« während der Regierung Papens so sicher besetzt, daß Reichswehr und Polizei, Industrie und sogar ein Teil der Landwirtschaft beim Präsidenten für ihn eintraten. Ungern und nur auf eine Art Urlaub ließ dieser seinen liebenswürdigsten Kanzler ziehen und gab ihm sein Bild mit der Unterschrift: »Ich hatt' einen Kameraden!« Dergleichen hat Hindenburg im Leben niemandem gewidmet.

Schleicher, etwas erschreckt, daß er nach so langen Jahren entscheidender Regieführung plötzlich selber auftreten sollte, soll von dem übelgelaunten Hindenburg mehr gezwungen worden sein, in dieser Notlage Kanzler zu spielen, denn Schleichers Intrigen schrieb er die zeitweilige Trennung von Papen zu. »Mit dem Volk muß jetzt endlich deutsch gesprochen werden! Ein General muß Reichskanzler werden!« Und etwas wehmütig: »Man hat mir meinen Papen nicht gegönnt.« Als Schleicher im letzten Augenblicke einwarf, das Ausland würde von einem deutschen General als Kanzler erschreckt werden, wurde der alte Herr böse und sagte: »Ich bin selber General und bin doch draußen in der Welt geachtet!«

In dieser immer verworrener werdenden Lage hat sich Hindenburg offenbar auch deshalb auf einen General gestützt, weil ein anderer Ausweg erörtert wurde. Wilhelm der Zweite sollte zurückkehren, nach dem einen Plane nahe der Westgrenze von der Reichswehr empfangen, dann von ihr feierlich zurückgeführt, nach einem andern Plane in einem holländischen Seebade von einem deutschen Kreuzer abgeholt und so von der Flotte restauriert werden, die ihn angeblich abgesetzt hatte. Besprechungen, die der Kronprinz mit dem General Schleicher hielt, setzten alle Teile in Unruhe, nicht etwa, weil man die Hohenzollern nicht wieder haben, sondern weil sich keine loyale Partei diesen Triumph von der andern wegnehmen lassen wollte. Papen und ein Teil der Junker hatten schon seit Jahr und Tag davon gesprochen; unbekannt blieb, was Papen noch im Juli 33 in einer Rede im Kloster Beuron (Sigmaringen) vor etwa 50 geladenen Hörern erklärte: Hitler selber wollte die Hohenzollern zurückführen.

Ein anderes Projekt des Herrenklubs wollte den Kronprinzen zum Kanzler, Hitler zum Präsidenten von Preußen machen; ein drittes wollte, nach dem Muster des früheren Kronrates, einen »Präsidentschafts-Rat« einsetzen, der aber nicht abstimmen, sondern dem Reichspräsidenten die alleinige Entscheidung überlassen sollte. Zugleich forderten Offizier-Verbände in ihren Aufrufen, man dürfe nur solche Parteien wählen, die die Monarchie wieder aufrichten wollten. So planlos schwankten die deutschen Führer und Parteien zu Ende des Jahres 32 umher; so erst versteht man besser, daß schließlich private Umstände in einer Art von Panik die Entscheidung brachten.

Den inneren Grund dieses Schwankens erkennen wir in der Unwahrheit, mit der alle Teile Revolution, Staatsstreich oder Diktatur machen und doch zugleich alle die Formen der Legalität nicht verlassen wollten. Aufs neue zeigt all dies Treiben an, wie der Wille der Deutschen zur Ordnung stärker ist als ihr Wille zur Freiheit, und wie selbst bei Draufgängern, in verzweifelter Epoche, sogar inmitten eines Bürgerkrieges von vier Armeen doch jeder Führer berechnet, das deutsche Herz werde ihm einen Gewaltstreich nie verzeihen, während jedem die ebenso unsachliche Suggestion der Straße oder des Titels, der Rede oder des Klubs als Mittel zur scheinbar legalen Eroberung der Macht anstelle von produktiven Einfällen gelegen kommt.

Schleicher setzte dies Spiel mit der Verfassung fort, bedrohte Hitler mit Auflösung des Reichstages, was diesem in seiner Dekadenz gefährlich scheinen mußte, was aber Schleicher selber aus Furcht vor der immer wachsenden Linken vermeiden wollte. Während er die Parteien zur Ordnung rief und zum Parlament zurückzukehren schien, wurde er bei jedem autoritären Schritte Hindenburgs von den Parteien an die Verfassung gemahnt. Es war, wie wenn jemand ein verbrauchtes Wohnzimmer nicht mehr bewohnt, plötzlich aber, wenn es zum Streite kommt, aufschließt, um mit den Beinen der wackligen Stühle auf seinen Gegner loszugehen. Als nun der alte Reichstag wirklich wieder aufgeschlossen wurde, ergriff der Alters-Präsident das Stuhlbein, um es überraschend gegen Hindenburg zu schleudern. Es war ein General Litzmann, Altersgenosse des Reichspräsidenten, der als Nationalsozialist seine autokratische Viertelstunde zur Abrechnung benutzte. Da wagte also ein zweiter General, der auch durch sein Alter die Ehrfurcht auf sich zog, geschützt durch die mächtige Partei, frei vor der Welt zu reden.

»Man wollte unserem Führer nicht die Macht überlassen, deshalb hat man ihm unerfüllbare Bedingungen gestellt. Derselbe Reichspräsident, der einem Müller, Brüning und Papen volles Vertrauen geschenkt hatte, versagt es einem Mann, in dem Millionen den Größten und Besten sehen, den Deutschland gegenwärtig besitzt … Möge Hindenburg dem historischen Fluch entgehen, das deutsche Volk zur Verzweiflung getrieben und dem Bolschewismus preisgegeben zu haben, obwohl der Retter bereit stand!« Als ihn andern Tags die Presse Hindenburgs an die Gebote der Kameradschaft mahnte, schrieb der alte General:

»Vor 60 Jahren war ich mit Herrn von Hindenburg zusammen auf der Kriegsakademie. Vor 30 Jahren standen wir beide als Kommandierende im 14. Korps. Im Weltkriege bin ich ihm jahrelang unterstellt gewesen. Aber in dieser ganzen Zeit ist mir von Herrn von Hindenburg keinerlei Kameradschaft entgegengetreten.« Das war die Rache Hitlers für die Diffamierung, die Hindenburg in jenem amtlichen Berichte ihm angetan hatte.

Schleicher, der neue Kanzler, vertraute seiner alten Freundschaft zum Hause Hindenburg so sehr, daß er die große Waffe gegen einen unfreundlichen Reichstag, eben jene damals vergessene Rote Mappe, sich bei Übernahme des Amtes nicht einmal sicherte. Da ihm als dem sozialen General eine »Regierung von Soldaten und Gewerkschaften« vorschwebte, also eine Art veredelter Arbeiter- und Soldaten-Rat mit Leitung Herrenklub, hatte er, unabhängig von Reichstag und Partei, seine Verhandlungen nach links weitergeführt, auf Brünings Plan der bäuerlichen Siedelung in Ostpreußen zurückgegriffen, Strasser das Amt des preußischen Ministerpräsidenten angeboten und all dies dem alten Herrn glaubhaft gemacht, indem er ihm Zerfall der größten Partei und ihrer SA als erwünschte Folge darstellte. Als Strasser in einer neuen Unterredung mit Hindenburg dessen Stellung zu Hitler erfahren wollte, bevor er annähme, und dies in Gegenwart von Schleicher und Meißner, die es später so erzählten, hat Hindenburg ihm erwidert, er würde »diesem Manne niemals die Regierung Deutschlands anvertrauen.« Die Berichte, die Strasser seinem Führer darüber machte, steigerten die Kränkung des Verletzbaren und verwöhnten Mannes, bis Strasser seinem Führer gehorchte, dem General Schleicher absagte, seine großen Ämter in der Partei niederlegte und, ohne auszutreten, seinen Beruf als Chemiker in einer Fabrik wieder aufnahm.

 

VI

In dieser Lage, um Neujahr 33, wird das Handeln der Hauptakteure, Hindenburg und Hitler, nur dem verständlich, der die Geldbasis der politischen Existenz beider Männer betrachtet. Ohne persönlich Geld zu brauchen, hatten Beide gewisse Publikationen zu fürchten, die die Finanzlage ihrer Parteien aufdecken könnten. In beiden Fällen handelte es sich um Millionen, in beiden Fällen um moralpolitische Folgen.

Hitlers Fall war der einfachere. Während die Gläubigen sich zurückzuziehen begannen, traten die Gläubiger vor; die Presse publizierte Briefe einzelner Gauleiter, die hohe Wechsel nicht einlösen konnten; man erfuhr, daß sogar das Weihnachts-Trinkgeld an die Saaldiener im Preußischen Landtage von der Fraktion nicht bezahlt wurde, und wer in Deutschland Weihnachtsgefühle verletzt, riskiert seinen Namen. Überall zog die SA bettelnd mit Büchsen herum, ließ ihre Versammlungsräume leer, weil sie nicht mehr geheizt wurden, und rückblickend auf diese Wintermonate schrieb später der »Angriff«, viele verzweifelte Freunde hätten angeraten, sich doch mit einigen Ministersitzen zufrieden zu geben, statt bei strengen Forderungen zu verhungern. Was fehlte, waren 12 Millionen, die geschuldet, und die x Millionen, die für das Jahr 33 gebraucht wurden.

Einer der Gründe für diese Geldnot war der Absturz von Hitlers Stimmen, wobei der Industrie die Lust verging weiter zu zahlen; der andere Grund war das Hervortreten Strassers und seiner sozialistischen Freunde, die mit dem radikalen Teile von Hitlers Programm Ernst machen, mit dem sozialen General und Kanzler zusammenarbeiten wollten. Kam Hitler nicht zur Macht, – so rechneten die großen Unternehmer, – dann konnte er die Schulden seiner Partei nicht zahlen, noch weniger von Staatswegen die berühmten Aktien-Pakete kaufen und so die Schwerindustrie sanieren, was in unserer Zeit der Traum aller reichen Leute geworden ist. Um aus dieser Lage herauszufinden, mußte Hitler entscheidende Schritte nach rechts tun, die die Geld- und die Machtfrage zugleich lösen sollten.

Die andere Gruppe, jene um Hindenburg, war das Sanieren schon seit einem Jahrhundert gewöhnt, sie lebten davon. Die ostelbischen Junker hatten früher den patriotischen Vorwand gefunden, sie müßten »das Vordringen der Polen verhindern« und brauchten dazu Staatsgelder, um ihre ertraglosen Güter immer wieder dem Preußengeiste zu erhalten. Die Republik hatte nur wenige Güter parzelliert, andere übernommen; Neudeck war eines von denen gewesen, die die preußische Regierung abgelehnt hatte, weil es garnichts mehr wert schien. Gemäß der neuen Mode hatte man nach dem Krieg anstelle der Polen »die armen Bauern« zur Basis einer sogenannten »Osthilfe« gemacht, aber niemand hatte nachgezählt, wie viele Millionen statt der notleidenden Bauern die Junker aus diesem Fond bezogen. Eine Bank, im Jahre 24 zur Durchführung des Dawes-Planes geschaffen, war in den letzten Jahren zur Finanzierung derselben Junker übergegangen, die aus Schmerz um das Vaterland diesen Zahlungsplan abgelehnt hatten.

Von all dem wußte außer den Junkern Niemand Genaues, bis Zentrum und Sozialisten im Reichstag einen Ausschuß zum Studium dieser interessanten Osthilfe durchsetzten. Da fand sich nun, daß für 12.000 Bauernbetriebe mit 230.000 Hektar 69 Millionen Mark vom Staate ausgezahlt worden waren, für 722 (junkerliche) Großbetriebe mit 340.000 Hektar 60 Millionen. Herr von Oldenburg-Januschau, Hindenburgs Freund und Nachbar, der bei der Schenkung von Neudeck noch rasch einen »Grenzstreifen« erwischte, hatte allein 621.000 Mark zur Sanierung seiner drei Güter aus Staatsgeldern erhalten, sich dafür ein viertes Gut gekauft und dann alle vier Güter für eine neue Sanierung angemeldet. Ein Herr von Zitzewitz hatte gleichfalls ein neues Gut für solche Gelder erworben, ein Herr von Kwast, der alles im Spiel durchgebracht hatte, erhielt trotzdem eine Viertel Million mit der Begründung, daß der Besitz mehrere Jahrhunderte der Familie gehörte. Ein anderer hielt sich von den Sanierungsgeldern einen Rennstall, die zweite Frau des Kaisers Wilhelm bemühte sich um die gleichen Staatsgelder, wieder ein anderer Junker, dessen Güter schon viermal saniert waren, ließ bei einem fünften Bankrott seine zehnjährige Tochter das Gut für einen Scheinpreis ersteigern, wobei alle Gläubiger ausfielen. Noch ein anderer ging mit den Staatsgeldern nach Monte Carlo, verlor dort alles und kehrte mit neuen Eingaben zurück.

Groß war das Aufsehen über Zahlen und Namen, die vorläufig nur ungefähr durch die Mitglieder des Ausschusses bekannt wurden; der Ernährungs-Minister, wieder ein Junker, suchte die Verbreitung mit Hinweis auf das Steuergeheimnis und die Schweigepflicht der Beamten zu stoppen; allein es war zu spät, und der Skandal wurde rasch zur politischen Waffe; doch nicht etwa bloß des Volkes gegen die Herren: der General Schleicher drohte seinem Gegner Hugenberg, die kompromittierenden Zahlen allmählich aus seiner Presse tropfen zu lassen. In der durchaus Junker-feindlichen Volksstimmung dieser Zeit hätte eine große Untersuchung im Stile amerikanischer Korruptions-Fälle zu Folgen geführt, wie sie die Junker in zweihundert Jahren nicht erlebt hatten. Die Hindenburgs, die ihr Gut durch eine Schenkung empfangen hatten, und durch eine zweite private Sammlung in Höhe von 450.000 Mark soeben, Dezember 32, sanierten, hatten mit der staatlichen Osthilfe nichts zu tun, also nur zu befürchten, ihre Freunde und Standesgenossen öffentlich verfolgt zu sehen; immerhin machte Schleicher den Sohn aufmerksam, irgendein Sozialist könnte bei dieser Debatte auch die Frage der Erbschaftssteuer von Neudeck im Reichstag erwähnen.

Da, noch ehe man eingreifen konnte, brachte ein Abgeordneter des Zentrums eine erste Übersicht im Ausschuß zur Debatte, bewies, daß im Ganzen 70 % aller Gelder aus der »Osthilfe« den Junkern statt den Bauern zugeflossen waren, daß heute wie einst 13.000 Familien von den Steuern der 62 Millionen Deutschen lebten, und weckte überall im Volke Erbitterung, besonders bei den Nationalsozialisten. Diese waren durch ihr Doppelwesen in Verlegenheit, weil ihre bäuerlichen Anhänger Kampf gegen diese Korruption forderten, ihre junkerlichen keine Enthüllung gestatteten. Demgemäß verteidigte im Untersuchungs-Ausschuß der nationalsozialistische Vertreter von Sybel die Junker, während der jetzige Staatssekretär Reinhard Material gegen die Junker dem Referenten versprach. Es sollte ihnen nur Angst gemacht, aber nicht angegriffen werden, da man ja eine Partei für Reiche und für Arme war, wo, wie in Gottes Schoß, alle glücklich werden sollten.

Oscar Hindenburg, der den Skandal unterdrückt haben wollte, fiel von seinem alten Kameraden Schleicher ab und schloß sich Papen an, der Abhilfe versprach, wenn er nur wieder zur Macht käme.

Diese beiden Geldaffären haben im Januar 33 die politische Entwickelung entscheidend beeinflußt.

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wäre es nicht einem Baumeister eingefallen, das schöne alte Palais des Präsidenten müßte umgebaut werden. Hindenburg, genötigt, für einige Wintermonate in die Reichskanzlei nebenan umzuziehen, fand dort seinen Kameraden Papen vor, der die Wohnung des Reichskanzlers nicht aufgegeben hatte, als der neue Kanzler Schleicher ablehnte sie zu beziehen. Diese beiden Männer, die einander zu Kanzlern machten, um einander dann wieder abzusetzen, haben mit ihren Weigerungen aus-, respektive einzuziehen den Lauf der Dinge dem Schicksal gradezu vorgeschrieben. Nun konnte Papen, wahrscheinlich auf einen Wink von Hindenburg, wohnen bleiben, ihm jeden Morgen auf seinen Gartenwegen alle Dinge so darstellen, wie sie erscheinen sollten, ganz wie früher, und hat in dieser Morgenstunde Schleichers Krise schon eingeleitet, als dieser eben sein Amt antrat.

Als Schleicher den Gegendruck bemerkte, erinnerte er sich, daß er Soldat war, und beschloß zu kämpfen: drückte er mit seiner großen Leibgarde von Reichswehr-Generalen den Herrenreiter erst einmal an die Wand, so stand er selber dann nur umso fester, denn seinen zweiten Rivalen, Hitler, würde der alte Herr ja doch niemals ernennen. Aber Schleicher plauderte, und das wurde sein Verderben. Warum erzählte er im Dezember einem sozialistischen Führer, also doch einem Mann aus dem feindlichen Lager, Oscar Hindenburg habe sich bei ihm um Beförderung zum General beworben, was er angesichts vieler dienstälterer Stabs-Offiziere abgelehnt hätte? Warum erzählte er den Junkern, er wolle nach den Projekten von Schlange-Schöningen unfruchtbare Güter in Ostpreußen zerschlagen? Warum erzählte er Strasser, was Hindenburg privatim über Hitler geäußert hatte?

Dagegen wußte sein Gegner, der alte Januschauer, erst zu schweigen und dann zu handeln. Für die Winterzeit, in der Hindenburg nicht mehr nach Neudeck kam, aber noch immer in der Schorfheide bei Berlin jagte, hatte sich der Neudecker Nachbar gleichfalls zum Nachbarn des Monarchen gemacht, dort ein Grundstück gekauft und seinem Freunde seinen Kutschwagen zum Pürschen im Walde zur Verfügung gestellt. Jetzt, gegen Weihnachten schickte er an alle Offiziere, die mit Grundbesitz zu tun hatten, eine Denkschrift über den »Agrar-Bolschewismus« ihres Chefs, des Generals von Schleicher. Den Landbund veranlaßte er zu einer Kundgebung »gegen die Ausplünderung der Landwirtschaft zugunsten der Geldinteressen der international eingestellten Export-Industrie.« Als Hindenburg dem Vorstand dieses Landbundes, zwei ihm bekannte Junker, empfangen und ihnen Freundliches zugesagt hatte, gaben sie, um ihre Not zu beweisen, ein großes Bankett, während dessen dem als Ehrengast geladenen Kanzler Schleicher die morgige Nummer ihrer Zeitung mit einem Frontal-Angriff gegen ihn selber gereicht wurde. Schleicher verließ mit seinen Generalen die Tafel.

Da, einige Tage später, es war am 20. Januar 33, wurde der Streit zwischen Schleicher und Hindenburg akut. Der alte Herr sprach von Angriffen auf Menschen, »deren geschichtliche Verdienste um das Vaterland« unbestreitbar wären; kein Ritterguts-Besitzer, der noch einen Funken von Ehr- und Pflichtgefühl im Leibe habe, würde sich mit der angedrohten Einziehung der Osthilfe abfinden. »Was gedenken Sie gegen diese verbrecherischen Bolschewisten zu tun?«

Schleicher sieht vor sich einen Greis von 85 Jahren, den er als Offizier von Mitte 50 schon gekannt, der stets wenig gedacht, aber stets anständig gehandelt, und der mit einer Art von Stolz die Armut seines Hauses immer betont hatte. Jetzt sieht er denselben Charakter in Zorn geraten, den Unsinn irgendeiner Junker-Zeitung nachsprechen, ja mit dem Stock aufstoßen, weil er durchaus den Lärm im Reichstage vermieden sehen will. Der Bruch ist da, nach 30 Jahren persönlicher, nach 7 Jahren politischer Freundschaft; er war schon da, als Schleicher von Gnaden seines alten Protektors vor 7 Wochen Kanzler wurde. Schleicher sieht seine Position verloren, umso weniger gibt er nach. Vielleicht erinnert er sich in diesem Augenblicke jener Herbst-Pläne zur Absetzung Hindenburgs.

»Jedes Vorgehen gegen den Ausschuß,« erwidert er, »wäre Bruch der Verfassung. Ich kann die Mißgriffe nicht decken.«

»Mißgriffe?« sagte der Alte grollend. »Alles, was in den Zeitungen steht, ist erlogen! Der Staat hat die Pflicht,« – und nun kommt wieder irgend eine Zeitungsrede – »die große Landwirtschaft wieder aufzurichten, die diese Marxisten kaputt gemacht haben! Ohne das können wir uns im Kriegsfalle nicht ernähren! Wollen Sie also jetzt den Ausschuß auseinander jagen?«

Schleicher verneint.

Da faßt ihn der alte Herr beim Portépée: »Sie haben meine Befehle gehört. Ich erwarte, daß auch der Reichskanzler sich danach richtet!«

Geisterhaft klingen von den Wänden derselben Kanzlei dieselben Worte wieder, die, vielleicht im selben Zimmer, an einem Märztage 1890 der junge Kaiser Wilhelm zum alten Bismarck sprach, den Tag bevor er ihn wegjagte.

Als der Kanzler Schleicher andern Tages seinen Präsidenten fragt, ob er noch sein Vertrauen habe, fordert Hindenburg Notverordnung und dann »Staats-Notstand«. Schleicher erklärte, man könne den Skandal zunächst ein Vierteljahr verschieben, indem man den Reichstag auflöse; er bitte um die Rote Mappe. Das hat Meißner, wohl auch Oscar Hindenburg vorausgesehen: nach ihrem Rat verweigert Hindenburg die erbetene Ordre zur Auflösung des Reichstages. Schleicher erklärt, er ginge gern, müßte dann aber der Öffentlichkeit die Gründe mitteilen. Hindenburg, der sich und den Kanzler nur noch als Offiziere empfindet, hätte auf dieses Wort hin jeden andern verhaften lassen. Mit Schleicher wagt er's nicht. Er hat auch noch einen anderen Pfeil im Köcher.

 

VII

Herr von Papen war reich. Ihn quälten weder Erbschafts-Steuern noch unrentable Güter mit ihren zweifelhaften Sanierungen, noch weniger Wechsel für Wahlfeldzüge. Ihm ruhte im Schoße der Erde Kohle und Erz, und tausende von geborstenen Händen hämmerten Tag und Nacht, um sie ans Licht zu schaffen. War er nicht glücklich? Vornehm geboren, elegant erzogen, durch kluge Heirat nicht bloß sorgenlos, auch mächtig genug, um in Parteien und Klubs seinen Einfluß ständig zu erweitern: so hatte er ohne Leistung das höchste Amt im Reich erobert, beschützt von der Gunst des greisen Volkshelden, der ihm mit einem Augenwink die Wiederkehr zur Macht versprochen hatte. Das einzige, was ihm fehlte, war die Verbindung mit dem Volke, das man in dieser miserablen Epoche nun leider doch nicht entbehren konnte.

Den Mann des Volkes mußte man gewinnen, statt ihn zu bekämpfen! Was war denn daran so schlimm? Kavalier war er nicht – so dachte Papen herablassend – aber ein Mann von guten Tischmanieren und einer hübschen, selbsterrungenen Bildung, den man getrost neben eine Komtesse setzen konnte; übrigens wirkte er recht originell mit seinen widerspenstigen Haaren und seinen graublauen Augen, und wenn er nicht grade anfing im Salon eine Volksrede zu halten, gefiel er allen in seiner herzlichen und eigentlich bescheidenen Art. Jetzt, da er anfing zu sinken, belagert vom »bolschewistischen« Genossen Strasser, verlassen von den reichen Mäzenen, bedroht von Schleicher, der nach links steuerte: jetzt war der Augenblick, sich ihm zu verbünden! Das Geld, das Papen und seine Freunde besaßen, war eben das, was Hitler brauchte; die Volksgunst, die er beinah allein besaß, war das, was Papen fehlte. Eine Unterhaltung, nur eine Stunde vertraulichen Gespräches, – und alles war zurückzugewinnen!

»Es besteht die Möglichkeit« – schreibt Goebbels am 29. Dezember in sein Tagebuch – »daß der Führer in einigen Tagen eine Unterredung mit Papen hat. Da öffnet sich eine neue Chance.« Der erste helle Ton nach wochenlangen Klagen über Geldnot und dadurch verursachten Rückgang der Bewegung. Als dann am 5. Januar Hitler und Papen sich bei dem rheinischen Bankier Schroeder trafen, war es nicht mehr schwer, Hitler zu gewinnen. Und Goebbels schrieb sich nach dieser Unterredung einen Satz auf und läßt ihn sogar drucken: »Wenn dieser Coup gelingt, dann sind wir nicht mehr weit von der Macht entfernt. Kommen wir einmal zum Stich, dann spielt die Finanzlage keine Rolle mehr.«

Hitler, wie immer unentschlossen, zeigt sich zunächst schwankend. All sein Sinnen ist auf die Wahl im kleinsten Deutschland, in einem Bezirk Lippe gerichtet, wo er durchaus siegen will; die großen Finanzleute läßt er sitzen, um vor 200 Menschen in den Dörfern zu sprechen, wenn nur die Wahlziffer wieder steigt! Das ist die Leidenschaft des Tenors, der lieber einen großen Vertrag verliert, statt heute den Abend einen andern singen zu lassen.

Als Schleicher einige Tage später Herrn von Papen im Herrenklub fragte, ob er sich mit Hitler gut unterhalten habe, leugnete Papen jede Begegnung. Lächelnd zog Schleicher Photographien heraus, die die Begegnung in Köln festhielten. Treue um Treue. Auch Hindenburg war über diesen Übergriff zuerst so verärgert, daß er bei der Feier des Kyffhäuser-Bundes seinen herantretenden Liebling übersah. Papen läßt sich's gefallen, zu stolz darf auch ein Kavalier nicht sein. Er weiß, bald fallen die Hindenburgs. Eine große Intrige hat er gesponnen, deshalb sieht er so frisch aus: das ganze Material der Osthilfe gegen die Junker hat er in Hitlers Hände geleitet, um ihn gegen Schleicher und Hindenburg zu stärken.

Bald ist es so weit. In den Tagen, als sich das Unbehagen zum Zorn des alten Herrn gegen Schleicher steigerte, weil dieser den Lärm nicht niederschlagen wollte, muß Papen Hindenburgs Sohn angedeutet haben, was Hitler alles in seiner Hand beschließt: den Skandal, wenn er will, den Zwang zum Schweigen aller, wenn die andern wollen. Hitler selber fühlt sich stark, läßt seine Blätter gegen die Regierung schreiben, Hugenberg tut das gleiche, alle schreiben in diesem Augenblick gegen alle, denn alle erwarten die Sitzung des Reichstages, in dem der »Bolschewisten-Antrag« auf Änderung der Osthilfe verhandelt werden soll. Wird Schleicher vorher auflösen? Wird die Rote Mappe diesmal da sein? Chaotische Stimmungen im Reichstag, in den Redaktionen und auch im Palais. Oscar Hindenburg sieht in Papen den Retter.

Am 27. Januar erklärt Papen dem Präsidenten, Hitler würde den Ausschuß der Osthilfe samt dem ganzen Reichstag auseinanderjagen, er wäre für ein Kabinett der »Nationalen Konzentration« gewonnen, wenn er Kanzler würde. Auf Hindenburgs grollenden Einwurf erklärt Papen, wie fest man ihn anschirren könne, auch wenn er voranläuft. Wenn er selber dabei wäre, Papen, so könnte er auch immer bei Hitlers Vorträgen assistieren; Reichswehr und Auswärtiges Amt, die dem alten Herrn teuer sind, blieben ihm weiter reserviert, Thyssen und seine Freunde bezahlten Hitlers Bewegung und könnten dadurch ihre Stärke regulieren; nur drei National-Sozialisten sollten ins Kabinett, die übrigen möge Hindenburg bestimmen.

Als Hindenburg am 28. den Kanzler Schleicher entläßt, ist er mit sich noch nicht im Reinen. Zum Kanzler? Grade den, den nicht zu ernennen er sich und andern fest versichert hatte? Alle Kandidaten sitzen ruhelos in ihren Hauptquartieren, denn niemand weiß, was im Palais über Nacht beschlossen wird; alle stehen machtlos vor dem Greise, alle bis auf den, der die Kanonen hat.

Als Schleicher von seiner Entlassung in sein Amt zurückkehrte, ließ er die Vertreter der katholischen und der sozialistischen Gewerkschaften kommen, mit denen er in diesen Wochen verhandelt: ob sie den Generalstreik mit Unterstützung der Reichswehr machen wollten. Die einen sagen zu, die andern wollen es überlegen. Beratung mit General von Bredow und anderen: alle Generäle, so weit sie eingeweiht werden, sind zu einem kleinen legalen Handstreich bereit. Übermorgen, Montag den 30. Januar, soll die Potsdamer Garnison oder doch ein Teil von ihr durchs Brandenburger Tor in Berlin einmarschieren: Belagerungs-Zustand, Generalstreik, Papen und Hitler in Schutzhaft, Hindenburg vor vollendete Tatsachen gestellt: die Lage habe ein rasches Zugreifen nötig gemacht. Bredow nach Potsdam zur Besprechung. Glänzende Stimmung bei den Generalen. Alles ist der Hof-Politik des Palais müde, alles will Handlung. Am nächsten Tage wäre die Militär-Diktatur Tatsache geworden. Die Anarchie der letzten Wochen hätte sich in den Händen des sozialen Generals vielleicht zur Ordnung geklärt. Daß dies der Plan war, hat General von Bredow am 2. Februar einem politischen Freunde mit dem naiven Bemerken eingeräumt: er verstünde garnicht, warum er entlassen sei, es wäre doch »nur Belagerungszustand« beschlossen gewesen!

Aber der General von Schleicher plauderte statt zu handeln. Irgendein Eingeweihter, vielleicht auch ein Dritter und Vierter, hatten die Nachricht vom geplanten Putsch des Generals Schleicher einer englischen Zeitung drahten, von dort sich telephonieren lassen, um sie sofort im Palais vorzulegen. Am Sonntag war der Plan den beiden Hindenburgs bekannt.

Das hatte gefehlt, um den Feldmarschall in Wallung zu bringen! Er, Oberbefehlshaber der Wehrmacht, und sollte von seinen eignen Generalen gezwungen werden! Alles strömte zusammen, um seinen Entschluß zu beschleunigen: die Junker-Welt der Gutsbesitzer galt es zu retten, die Disziplin der Armee galt es zu befestigen. Morgen wird Oscar 50 Jahre. Soll das Familienfest sich in eine Krisis des Hauses verwandeln?

Am Sonntag den 29. erscheint Hitler, von Papen gerufen, als Retter der Situation. Am Montag betraut Hindenburg mit dem Kanzleramte denselben Mann, dem er es zweimal abgeschlagen, als er mächtiger war als heute. Allerdings übernimmt jetzt Hitler das Amt mit einer Koalition, die er vorher abgeschlagen hat, und sitzt zwar mit zwei Parteigenossen, sonst aber mit seinem Feinde Hugenberg, einem Freiherrn, einem Grafen und Herrn von Papen zusammen im Kabinett. Welch eine Wendung durch Papens Fügung! Der Volksführer hatte die Junker gerettet! Während am 30. mittags der Referent im Ausschusse seinen Bericht über die ersten von den 20 Akten-Bänden der »Osthilfe« erstattete, schnitt ihm die Nachricht von der Auflösung des Reichstags das Wort buchstäblich ab, alle gingen nach Hause; die Akten sah niemand wieder.

Aus der Groteske der Osthilfe mit ihren verschwendeten Millionen und der Not einer überschuldeten Partei, aus einem Intrigenspiel der Junker untereinander und der Drohung eines Militärputsches erhob sich am 30. Januar »Das Erwachende Deutschland«.

Am Abend steht an einem Fenster der alten Reichskanzlei der ernste Feldmarschall und grüßt die Tausende von Fackelträgern, die unten vorüberziehen. Nebenan, an einem Fenster der neuen Reichskanzlei, steht Adolf Hitler, grüßt und lacht. Der eine grüßt preußisch als Offizier, der andere römisch als Schüler eines Größeren. Der Alte fühlt sich aus doppelter Gefahr gerettet, der Junge in eine tausendfache Macht geschleudert, von der er seit einem Jahrzehnt geträumt: Der Alte fühlt sich sicher, weil er den Revolutionär mit Zügeln und Ringen an legitime Männer gefesselt glaubt. Der andere ist ein Volkstribun, schlürft Atem und Ruf der Menge ein, aus der er hervorging, und fühlt voraus, wer siegt.

 

VIII

Aus dem Fackelzug des ersten Abends, dem er mit ernsten Augen zugeschaut, sah der Feldmarschall einen Zug ohne Ende sich entfalten, der durch ganz Deutschland zog mit Liedern und mit Schreien, unter Jubeln und Roheiten, blühend und vernichtend wie ein Element. Woche um Woche schien die Arbeit all dieser Millionen stillzustehen, das große Fest der Freude und der Rache hielt alle im Bann. Das Selbstgefühl, das der Tribun den Deutschen wiedergab, zerbarst in Schrecknisse, und die Wut, mit der sie sich auf die alten Machthaber warfen, entfaltete sich zuweilen zur Begeisterung. Ein ganzes Volk, das sich endlich in den paradiesischen Garten eingelassen wähnte, drehte nochmals um am Tore, um sich auf die zu werfen, die ihnen dieses Tor bisher verstellt hätten, in dieser Wollust des Kampfes nach außen bemerkte anfangs niemand, daß drinnen nur der alte, winterliche Garten lag.

All dies war das Werk eines einzelnen Menschen, der aus seiner magischen Zelle Worte, Worte, Worte entließ und, mit dem Zauberapparate millionenfach verstärkt, die Ohren des Volkes betäubte, das nach neuen Formeln verlangte. Mit großartiger Phantasie ließ er auf ein ganzes Volk diesen Sprühregen von Feuerbällen, diese Kanonade von Flüchen, diesen Flügelrausch von Fahnen los und schrie ihnen mit der Gewalt riesiger Automaten so lange zu, gestern sei es befreit worden, bis sie es glaubten. Niemand fragte in diesen ersten Wochen bei einem solchen Impetus der Formen nach dem Inhalt. Niemand bemerkte, daß dies alles nur das Siegesfest einer Partei war, die nach einem Jahrzehnte der Kämpfe endlich die Macht für sich erobert hatte, doch keineswegs das Siegesfest eines Volkes. Niemand fragte, wie stark der Feind und ob er noch stark sei, was eigentlich versprochen wurde, und wie es zu halten wäre, wer unter den Rädern dieses Siegeswagens verendete, und ob es die richtigen waren. Die Wucht des Ansturms auf das Volk, das man der neuen Fahne gewinnen wollte, war so gewaltig, daß Alle einem noch nie gehörten Wortschwall erlagen.

»Es geschieht oft,« schrieb der Abbé Galiani, »daß der Gedanke der den Sieg davonträgt, eine pure Narretei ist; sowie aber die Narretei ausgebrochen ist, ziehen unmerklich die Vernunft, der praktische Sinn und das Interesse jedes Einzelnen darin ein, organisieren sie und machen sie lebensmöglich, und die Narretei wird eine Institution.«

Mit Staunen sah der Feldmarschall, von Natur langsam, durch seine Jahre vollends bedächtig, mit welcher Schnelle sich ein Sturzbach von Verordnungen heranwälzte, wie er an einem Morgen ein Dutzend Bestimmungen unterschrieb, die früher lange Kämpfe mit den Parteien und sogar unter den drei autoritären Kanzlern umfassende Erwägungen nötig gemacht hatten. Er mochte sich vorkommen wie in der Schlacht, wo der metallne Hammer des Befehls unablässig niedergeht, keine Zeit zu langem Zweifeln bleibt, kein Wort des Widerspruches sich erheben kann, wo alle gehorchen, weil einer für alle denkt. Dies war, selbst wenn er nicht mehr nachkam, ganz nach seinem Sinne, und so war auch die kriegerische Stimmung, die ihm aus hundert Manifesten und auf den Straßen entgegenschlug. Vielleicht begann in diesem Rausch des deutschen Volkes die große Revanche für damals, vielleicht war es ihm doch noch vergönnt, sie zu sehen! Ja, etwas von Verjüngung schien in sein Volk gedrungen und suchte Einlaß auch in seine hart gewordnen Adern.

Und mußten sich die alten Augen des Riesen nicht mit einem fernen Glanz erfüllen, als er nach wenigen Tagen die schwarz-weiß-rote Fahne wieder flattern sah, von der sein Herz nie gelassen? War es nicht gestern, daß sie ihm voraus geflattert war, über Paraden und Manövern und zuletzt über dem roten Dunste des Krieges? Jener Tag aber, da er den Eid auf Schwarz-Rot-Gold geschworen, schien hundert Jahre fern, ein dumpfer Traum, ein schweres Zwischenspiel, – Gottes Strafe, weil das Volk den Glauben an den Sieg verloren hatte. Wenn jetzt noch der Kaiser wiederkäme, so wäre alles wieder wie zuvor, dann ginge man ruhig schlafen.

Doch neben seiner alten Kriegs- und Friedensfahne erblickte der Feldmarschall eine neue, eine dritte Fahne, an Zahl und Grellheit erdrückend: inmitten eines roten Tuches ein weißer Kreis und in dem Kreis etwas Rätselhaftes, was jedenfalls kein Adler war. Das war das Zeichen der Partei, – mochten sie es nur tragen, obwohl es fremdländisch und prahlend in die Ruhe der alten deutschen Fahnen fuhr.

Aber da lag eine neue Verordnung auf seinem Tische zur Unterschrift bereit, die dieser Fahne einen gesetzlichen Platz neben der andern verlieh! Das sollte er gutheißen? Hatte er nicht eben noch ein Kabinett ernannt, in dem der Parteiführer nur primus inter pares war, umgeben von andern, denen diese Fahne garnichts sagte? Zog man das Wappen dieser Partei auf den Dächern der Regierung hoch, neben den alten Zeichen ihres Ruhmes, so war ja dessen Wiederkehr verfälscht, und statt des alten Deutschlands, das endlich zurückgekehrt schien, regierte ein neues, das ihm fremd war! Mußte er sich nicht erheben und verneinen? Wo waren seine Berater?

Staunend und tatenlos standen sie an den Fenstern, am Radio, vor den Zeitungen und Bildern und sehen zu, was draußen geschah. Kopfschüttelnd erschienen die alten Hausfreunde und die neuen Minister, selbst der gewandte Papen hatte die Sprache verloren. Der Herrenklub verstummte, die Junker verstummten, der Stahlhelm verstummte, alles blickte gebannt auf die phantastischen Rotationen dieser Partei, in der sich das Volk nach Zeichen und Befehlen des unsichtbaren Lenkers festlich und rächend bewegte. Der einzige, der den Feldmarschall beinahe nie oder nur flüchtig besuchte, war sein neuer Kanzler, der nur in einer Kette täglicher Verordnungen und Manifeste unsichtbar gegenwärtig war.

In kurzem verdunkelte sich das Staunen des Sohnes, der Freunde in Schrecken. Der Führer des Stahlhelms, selber Minister im Kabinett, meldete die ersten Zusammenstöße der alliierten Privatarmeen, Papen meldete die ersten Beleidigungen katholischer Vereine. Als plötzlich der Reichstag brannte, kamen die Minister, schlossen die Türen des Palais und berichteten; eine Woche später, und die Stimmen der ganzen Welt wurden vorgelegt, die alle das gleiche sagten. Mit Schrecken stand der Feldmarschall vor Charakteren, die er in seinem Lande regieren ließ. Hatte er an jenem Tage der Panik vielleicht doch zu rasch gehandelt, – und die Sicherheiten, die man eingefügt, verbrannten im Feuer eines Machtwillens, der aus der Kuppel des Reichstages emporschlug? Hätte er doch mehr Gehör der inneren Stimme geben sollen, die durch all die Jahre in seinem Herzen gegen diesen Volkstribunen sprach und ihn noch im November mit Sicherheit zurückwies? Eine Hoffnung bleibt: nach den Wahlen wird sich alles beruhigen!

Kaum waren sie vorüber, so feuerte ein großer Sieg die Führer erst recht an, alle Parteien auszulöschen, sich selbst als Staat zu etablieren. Schon hielten sie seine Organe in Händen, und da es jetzt für ihre Mittel keine Grenzen mehr gab, mußte alles verblassen, was andere im Volk zu unternehmen suchten. Von dort, wo die stärksten Ströme wirkten, erstrahlte das hellste Licht.

Noch einmal erinnerte man sich des Feldmarschalls, denn daß er noch Präsident des Reiches war, schien sonst halb vergessen. Gedachte er jetzt, zwischen Schreck und Enttäuschung vielleicht jenes Elans, mit dem damals Ludendorff den Kaiser zurückzudrängen wußte, bis sie beide zusammen das Reich regierten und ihrem Obersten Kriegsherrn nur noch die Formen des Respektes ließen, wie heute jene ihrem Präsidenten?

In einer Staatsfeier, die die Phantasie der jungen Partei nach Potsdam verlegte, um den Geist von Weimar symbolisch zu verneinen, saß nun, am Tage von Frühlings-Anfang, der Feldmarschall mitten in der alten Kirche auf einer Art von Throne, trug Uniform und alle großen Kaiserorden und hielt den Marschallstab in der Rechten, las ein paar Sätze vor und gab dann seinem neuen Kanzler das Wort. Als dieser sein Programm verkündet hatte, rauschte die Orgel durch den Raum, und nun stieg der alte Soldat allein hinab zu den Gräbern der Soldatenkönige, während oben die Versammlung der Abgeordneten schweigend verharrte.

Wie richtig hatte man die Wirkung auf die Seele des alten Mannes berechnet. Hierher, an den Sarg Friedrichs des Großen hatte er vor beinah siebzig Jahren seine Kompanie geführt, bevor er, ein junger Garde-Leutnant, in seinen ersten Krieg gezogen war. Aus dieser kalten Gruft stiegen in schwankenden Gebilden die Geister jener Könige auf, deren Legende ihn ein Leben lang stolz auf sein Vaterland gemacht hatte. War er nicht heut ihr Nachfahre, der eben vom Throne aufgestanden, vor allem Volk allein die steinern hallenden Treppen hinunterschritt, um seinen Vätern ein Gebet zu bringen? Der Ring der Illusionen war geschlossen.

Als er nachher aus der Kirche trat und das Hurra der Menge entgegennahm, schien neben ihm sein Kanzler zu verschwinden. Riesenhaft, eisgrau, mit einem Helm und Sternen angetan, die aus vergangenen Jahrhunderten zu stammen schienen, mit eingerissenen, bläulich weißen Zügen und einem leeren Blicke stand er da, noch immer die Hand auf dem Säbel-Knopf, noch immer ein Ritter, ein Standbild. Zu seiner Linken stand, in Cut und Zylinder, ein Mann von mittleren Jahren, wie aus dem Gefolge, der auf die Weisungen des Präsidenten zu warten schien. So wirkte der Volkstribun, wenn er die Waffe seiner Rede ruhen ließ.

Zwei Tage darauf wurde die Rechnung überreicht. Der Reichstag, in der Mehrheit nur ein gehorsamer Parteitag, hatte alle Macht an das Kabinett abgegeben, das wieder nur als Chor neben dem Solisten erschien. In drei Zeilen war die Macht des deutschen Reiches formell auf 8 Minister, faktisch auf Einen übergegangen. Hindenburg las: »§ 1: Reichsgesetze können … auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze können von der Verfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstages und des Reichsrates als solche zum Gegenstande haben. § 2: Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.« Dies nannte man das Ermächtigungs-Gesetz. Vier Jahre sollte es gelten: dann war Hindenburg 90 Jahre. Mit einer einzigen Unterschrift sollte er sich jetzt zum Gefangenen des Kanzlers machen, den er mit so viel Kautelen zu umgehen gesucht hatte. Wo waren jetzt seine Berater, die ihm an jenem Unglückstage der allgemeinen Panik vor kaum zwei Monaten von den seidenen oder ledernen Schnüren sprachen, in denen man den Wildling fesseln würde? Verlegen standen sie herum und retteten ihn nicht, als er sich selbst in eiserne Ketten legen lassen sollte.

Jetzt sah er's klar: der Traum der Macht war aus! Das große Kommando, das er vier Kriegsjahre und nun wieder drei autoritäre Friedensjahre lang geführt, das absolute Regime, das er von der Obersten Heeresleitung in dieses Palais übertragen hatte, war einem Anderen zugefallen, und er, er hatte es ihm selber übergeben! Da stand er nun wie Mephisto, dem ein paar schlaue Amoretten den Preis so langer Mühe weggepascht und fortgetragen hatten, dorthin, wo er ihn nie wieder erreichen konnte. Was nützte ihm nun die alte Fahne, wenn jene dritte, fremde, die andere überrauschte, weil eine neue Windmaschine sie beständig im Flattern und Klappern erhielt! Wer war er denn noch, warum blieb er denn noch in diesem verstaubten Palais, wenn das Kommando dort drüben von einem einzelnen Manne ausgeübt wurde, der ihm täglich eine Mappe schickte, damit er seinen ehrlichen Namen unter hundert Gesetze schriebe, die ihm und die der Welt mißfielen!

Und wie zur Antwort brach mit unwiderstehlicher Stoßkraft die Fülle von Taten und Untaten herein, die das neue Kommando befahl. Die ersten, worauf sie sich stürzten, weil die Schwächsten gar leicht zu schlagen sind, waren die Juden. Noch im vorigen August hatte Hindenburg ihnen, die über Gewalttaten der Nationalsozialisten Klage führten, sein Wort verpfändet, weil er »jeden Versuch einer Verletzung der verfassungsmäßigen politischen und religiösen Rechte jüdischer Landesangehöriger mißbillige.« Er kannte die Statistik, die von 600.000 deutschen Juden 100.000 im Kriege auswies und 12.000 Gefallene. Seine nächsten Freunde, die Cramons, schlesische Junker, hatten Sohn und Tochter an Juden verheiratet. Seine eigne Tante, Schwester seines Vaters, ein Fräulein von Beneckendorff und Hindenburg, hatte den jüdischen Medizinalrat Dr. Cohen van Baren geheiratet, und nach ihrem frühen Tode war die jüngere Schwester ihr als Frau des Schwagers gefolgt; in diesem jüdischen Hause in Posen hatte Hindenburgs Vater seine Frau kennen gelernt. In Krieg und Frieden war aus dem Hause Hindenburg kein judenfeindliches Wort bekannt geworden.

Und nun mußte er den Pogrom der Arier gegen die Juden unterschreiben oder tatenlos mitansehen, dessen Widerhall in der Welt den deutschen Namen erniedrigte. Nachdem er 8 Jahre lang Religionsfrieden gehalten, mußte er gutheißen, daß ein Kampf gegen Katholiken entbrannte, wie nie zu Bismarcks Zeiten, während er selber halb aus katholischem Stamme war. Und er vernahm, wie die Welt aufgrollte gegen die Grausamkeiten des neu erwachten Deutschlands, das 80 oder 100.000 Menschen in stallartige Häuser sperrte, weil sie nicht beistimmten oder weil sie vordem gegen den Krieg gewirkt hatten. Und er vernahm, wie sein Kanzler den Polnischen Korridor preisgab, um den er selbst einst als Feldherr und als Politiker so lange gekämpft hatte. Und er vernahm, wie die Welt, die sich unter seiner Präsidentschaft Deutschland wieder erschlossen, der neuen Regierung ihre Waren, Aufträge, Kredite aufs neue verweigerte. Mit jeder Woche häuften sich neue Schrecknisse. Da saß er, Reichspräsident mit hohen Ehren, und mußte dennoch schweigen, als sich die Scharen seines Kanzlers auf die Scharen des Stahlhelms warfen, dem er selber angehörte, sie entwaffneten, plünderten, verhöhnten.

Gelähmt saß er dabei, als sie die beiden Ideale seines Lebens, Gott und den König, vor seinen Augen in Stücke schlugen. Ein Jahr, nachdem er den Kanzler ernannt, warf dieser sich in großer Attacke gegen die Verehrung der alten Könige, ließ alle Schulbücher revidieren, beschimpfte die Hohenzollern und sprach von »etlichen Seiten«, auf denen sich auch einige vernünftige Taten der früheren Könige Preußens verzeichnet fänden. Aus dem Munde seiner ältesten Kameraden erfuhr er, wie man die zum Geburtstage des Kaisers versammelten Offiziere auseinander gejagt hatte. Welch ein Betrug! Dazu also war er vor versammeltem Volk in die Gruft seines Königs herunter gestiegen? Dieses Fest, der Thron und die Orgel waren nur ein letzter Spott gewesen, bevor man den letzten Royalisten, mit dem Entmachtungs-Gesetz zum Gefangenen machte.

Vor welcher Überlieferung blieb diese wilde Schar noch stehen! Auch Gott gefiel ihnen nicht mehr, Jesus mußte abgeschafft, zumindest zu einer nordischen Gottheit umgeschaffen werden. Wenn man dem alten Manne, der in solchen Stimmungen die Wahrheit zu erfahren wünschte, die Zeitungen seines Kanzlers, die Reden seiner Professoren vorlegte, so las er, daß das Alte Testament »ein Buch der Zuhälter- und Viehtreiber-Geschichten«, daß das Kruzifix abzuschaffen und ein heldischer Christus einzuführen wäre. Er las die Notschreie abgesetzter und eingesperrter Geistlicher, die nichts verbrachen, als am alten Testamente festzuhalten.

Was mußte er vollends über die Mittel denken, mit denen man ihn zu beruhigen suchte? Derselbe Ministerpräsident, der dem Feldmarschall aus preußischem Staatsbesitz ein Nachbargut von Neudeck schenkte, Langenau, das zu seinem Ärger von der verarmten Familie hatte verkauft werden müssen, forderte gleichzeitig, kurzerhand zum General der Infanterie befördert zu werden. Und der in Dienstgraden denkende Feldmarschall mußte zum ersten Mal im Leben das ganz Unmögliche bewilligen, einen gewöhnlichen Hauptmann fünf Stufen überspringen lassen und ihm auch noch ein lobendes Schreiben schicken!

Ein einziges Mal wagte der Greis noch, sich gegen diese Versklavung zu erheben. Als sich sein Außenminister beschwerte, Hitlers Abgesandte verhandelten im Auslande auf eigene Faust, ließ dieser den Kanzler zu sich bitten, stellte ihm die Lage vor und schloß mit der überraschenden Drohung:

»Glauben Sie nicht, daß ich alles unterschreibe! Ich kann jederzeit meinen Abschied nehmen!«

In dieser schlauen Wendung, die den Kanzler nicht mit seiner Entlassung, sondern mit dem Ausscheiden seines Protektors bedrohte, kamen die bäuerlichen Vorfahren heraus, deren der Feldmarschall in diesen Zeiten der Volkskämpfe vielleicht wieder zu gedenken begann.

 

IX

Im Sommer 34 war Hindenburg nach Neudeck gezogen, dort war es leichter, ungesehen von den mächtigen Männern der Hauptstadt, durch Papen, durch die Junker und einige Generale Wahrheiten zu hören, mit ihnen zu überdenken, was dem System im Fall einer Schwächung etwa entgegenzusetzen sei. Mit Schleicher hatte man sich halb versöhnt. Unvorsichtig und schwatzhaft, wie er war, hatte dieser den Verkehr mit konservativen, der Regierung feindlichen Personen gepflegt, allzu offen seine Hoffnung auf baldigen Zusammenbruch des Systems jedermann ausgesprochen, der es hören wollte und dann weitergab. Behutsamer hatte Papen, der ja im Kabinett saß, die Verbindung mit Neudeck aufrecht erhalten, so weit man ihn nicht daran hinderte.

An Papen hing das Herz des Feldmarschalls so sehr, daß er ihm, nicht seinem Sohne, im Frühjahr, wahrscheinlich im Mai, sein Testament übergab, das später erstaunlich lange nach seinem Tode das Licht einer lächelnden Nachwelt erblickte. Als er zugleich bestimmte, er wolle auf dem Gutsfriedhofe von Neudeck neben seinen Ahnen auf christliche Art bestattet werden, ohne Lobreden, mit einem Felsblock auf dem Grabe, der nur seinen Namen trüge, wußte er nicht, wie bald man den toten Mann als Schaustück herumfahren und dann in der Prunkrede des Kanzlers nach dem heidnischen Walhall schicken würde.

Trotz Altersleiden hielt der 86 Jährige in jenem Frühsommer noch immer einen Umschwung für möglich, denn er verabredete mit Papen eine Rede, in der dieser den »Totalstaat« ablehnen und wieder einen Rechtsstaat fordern sollte, um Deutschland in die Gesellschaft der Nationen zurückzuführen. Kaum war die Rede, verfaßt von Papens Freunde Jung, in Marburg verlesen worden, – der erste Gegenangriff der zurückgeschlagenen Junker –, so wurde sie verboten, Hitler beschwerte sich in Neudeck beim Präsidenten und hat wohl keine scharfe Abweisung vernommen. Dies geschah am 23. Juni. Schreck und Terror waren derart, daß Papen sich fürchtete nach Neudeck zu kommen, daß Hindenburg auch seine Briefe nicht mehr erhielt, denn Meißner, immer entschlossen mit der herrschenden Macht zu gehen, wollte dem gewaltigen Kanzler sich verbinden und sichtete die Briefe nach Gefallen. Hitler aber sagte mit echt österreichischer Wendung nach jener Rede zu Papen: »Das war ein Treubruch von Ihnen. Übrigens bin ich 95 % Ihrer Meinung.«

Eine Woche später zog Hitler aus, um alle seine Gegner, alte, neue und zukünftige, in einer Nacht und einigen Morgenstunden von seinen Scharen morden zu lassen. Da war kein kommunistischer Putsch mehr als Vorwand zu verwenden, da waren seine eignen Scharen, die sich im Aufstand gegen ihn befunden haben sollten.

Niemand hat Hindenburgs Entsetzen überliefert, als er am 1. Juli von den Ermordungen hörte. Auch mochte es ihn wenig berühren, daß der Volkstribun seine ältesten Freunde und Anführer umbringen ließ. Hatte er nicht Juden und Kommunisten vorher erschlagen lassen? Aber da war eine lange Reihe von Junkern und Generälen, darunter nur wenige Nationalsozialisten; die waren gestern von der Hitler-Garde erlegt worden. Namen und Familien, mit denen er seit 80 Jahren verbunden war, standen in dieser erstaunlichsten von allen Verlustlisten, die je in seinen Händen gelegen hatte:

Da war ein General von Bredow, ein Freiherr von Gleichen, ein Freiherr von Alvensleben, ein Freiherr von Wechmar, Herren von Hohlberg, von Heydebeck, von Datten, von Bollwitz, von Krumhaar, ein Freiherr von Moeden, ein General von Lossow, da waren noch viele, von deren Tode man erst später und Hindenburg garnichts mehr erfuhr. Dann soll ihm sein Sohn mit einigem Stocken die Ermordung des Generals von Schleicher mitgeteilt haben.

Hindenburg stand vor diesen Eröffnungen, wie Wilhelm der Zweite vor der Mitteilung der Revolution. Und ebenso wie jener am 9. November, vermochte dieser sich am 1. Juli nicht mehr zu wehren. Furchtbarer Zusammenbruch eines Greises, der, angetan mit den Zeichen der Macht, ganz Kavalier und ganz Soldat, seine eignen Freunde und Standesgenossen nicht mehr zu rächen vermochte! Fragte er, wie das alles sich zugetragen habe, so sagte ihm sein Sohn, die Meisten hätten sie in den Hof der Berliner Kadetten-Anstalt geschleppt und dort erschossen. Aus dem tiefsten Schatten jugendlicher Erinnerung tauchten die Bilder jenes Kasernen-Hofes auf, in dem der Feldmarschall sein tadelloses Offiziersleben begonnen hatte, und nun mußte er es im Anblick von Hinrichtungen beschließen, die ohne Vernehmung, ohne Richter, ohne Urteil aus Rachedurst befohlen worden waren.

Hindenburg mußte hören, wie die Frau eines hohen Beamten, die sich angstvoll nach dem Verbleiben ihres Gatten erkundigte, vom Portier des Amtsgebäudes eine Nummer in Empfang nahm, mit der sie sich am Freitag wieder melden sollte; dafür nahm sie dann einen auf gleiche Nummer lautenden Kasten in Empfang, der die Asche ihres Mannes enthielt. Er mußte hören, wie sein Freund Papen nur durch Eingreifen einiger Reichswehr-Soldaten im letzten Augenblicke gerettet worden war, nachdem man ihm im Vorzimmer seinen Geheimrat und in ihren Wohnungen drei andere Mitarbeiter erschossen hatte, darunter Jung, den verworrenen Idealisten.

Er mußte hören, wie Schleicher, vor kurzem Deutscher Reichskanzler, am Abend zuvor mit Freunden in seiner Villa vor Berlin gesessen, getrunken und mit den Worten angestoßen hatte: »Wer weiß, was morgen kommt!« Wie am nächsten Vormittage 6 SS-Leute vorfuhren, die alte Wirtschafterin überrannten, den Hausherrn nach seinem Namen fragten, an seinem Schreibtisch niederschossen und gleich darauf die Frau, die erstarrt daneben stand. All dies, weil einer der Herren Deutschlands sich an seinem Gegner, all dies, weil jeder von den Führern sich an seinen Privatgegnern und Hitler sich auch noch an dem 73 jährigen Staatsminister von Kahr rächen wollte, der ihn ein Jahrzehnt zuvor bei seinem Münchner Putsch verlassen hatte. Die Volksführer hatten die Adligen erschlagen, nicht anders als in Rußland die Kommunisten, zu deren Bekämpfung sie angeblich ausgezogen waren.

Doch jetzt war keine Zeit zum Trauern. Der Dienst geht weiter, und schon steht in Lakaien-Stellung Meißner neben Hindenburgs Schreibtisch und legt ihm ein Schriftstück zur Unterschrift vor. Es ist ein Telegramm. Es ist an seinen Kanzler ein Glückwunsch, den dieser sich bestellt hat. Es lautet:

Neudeck, den 2. Juli 34: »Aus den mir vorgelegten Berichten habe ich ersehen, daß Sie durch Ihr entschlossenes Eingreifen und die tapfere Einsetzung Ihrer eignen Person alle hochverräterischen Umtriebe im Keim erstickt haben und so das deutsche Volk aus einer schweren Gefahr gerettet wurde. Hierfür spreche ich Ihnen meinen tiefempfundnen Dank und meine aufrichtige Anerkennung aus. Mit besten Grüßen –«

Da sitzt der gebrochene Riese und soll ein letztes Mal seinen Namen zu einer großen Lüge hergeben, da sitzt er, ein geschlagener Mann. Den Krieg hat er nach preußischen Regeln geführt, so gut er konnte, und ist unterlegen. Die Diktatur, die ihm im Kriege sein Gehilfe aufgedrungen, hat zur Verlängerung des Krieges geführt. Die Regierung, die er zur Diktatur gesteigert hat, ist ihm entrissen worden. Das Kanzleramt einer einzelnen Partei zu geben, hatte er feierlich abgelehnt, und heute regierte unter ihm nur eine Partei. Die alte Fahne hatte er verlassen, die neue beschworen, die alte wieder aufgenommen, und wenn er auch die dritte Fahne auf seinem Haus nicht duldete, so flatterte sie doch von Millionen deutscher Häuser im Winde der Zeit.

Auf diesem Fleck Erde war er erwachsen, war er glücklich gewesen. Hier hatten Dienst und Familie, Pflicht und Idylle sein Leben gerundet, hier, wo schon die Väter, mit Gott und dem König verbündet, ihr Leben durchatmet hatten. Jetzt hatten die Deutschen Gott und den König verraten; hier, unter seinem Konsulate – Te Consule – hatten sie beide abgesetzt. Warum hatte er an jenem Tage der Panik dem Sohn, den Beratern geglaubt! Warum hatte er, noch immer in der Fülle seiner Macht, nicht Stand gehalten wie vordem? Was ging ihn die Wirtschaft seiner Nachbarn an, wenn es um seine Ehre ging und das Wohl des Landes! Wozu dies Schloß! Es hatte ihm nichts gebracht als Unheil, Furcht und falsche Entschlüsse.

Dort drüben, hinter dem Walde liegt Tannenberg. Da war seine große Schlacht gewesen, da hatte der Ruhm begonnen. Von da ab hatten sie ihn zu einem Götterbilde erhoben, die Deutschen, was er doch garnicht werden wollte. Den Krieg und den Sieg, Vertrauen, Verhandlungen und Frieden hatten sie ihm auf die Kniee gelegt, er möge entscheiden. Damals hatte die Verwirrung begonnen; er konnte nicht mehr geben, als er besaß. Wie froh war er gewesen, als er heimkehrte, um mit der alten Frau zusammen des Alters ruhig zu genießen! Wäre sie ihm nicht weggestorben, nie hätte er sich aus gewohntem Behagen in jenes Palais verführen lassen, in dem die bösen Geistern hausten, in dem ein Wirbeltanz von Zahlen und Interessen, von Geldgier und Eifersucht gespensterhaft sich um ihn herbewegte, – und immer sollte er entscheiden, was er nicht verstand!

Jetzt saß er einsam in dem großen Schlosse, nur die beiden Kanonen vor dem Tore zeugten noch von seiner glücklichen Zeit, und dort der Globus, der seine Schlachtfelder anzeigte, er konnte sie mit seiner Hand nicht mehr bedecken. Aber kein Globus und keine Kanonen gaben ihm, dem General-Feldmarschall und Präsidenten des Deutschen Reiches, die Macht, dieses Papier in seiner alten Soldatenfaust zu zerfetzen, in dem er dem Mörder seiner Freunde den tiefempfundenen Dank sagen sollte, wie ein beklommener Schüler. Ob wohl den Kaiser ähnliche Gefühle ergriffen hatten, damals, als man ihn seine Abdankung vorlegte und er sie wortlos unterschrieb?

Erstaunt über die lange Zögerung, doch schweigend steht der Staatssekretär noch immer neben dem Schreibtisch und erwartet die Allerhöchste Unterschrift. Und mit der zittrigen Hand eines Greises setzt der geschlagene Riese den weltberühmten Namen unter das Dokument. Der andere tut's in seine Mappe, verbeugt sich, geht. Der Alte ist allein und sucht einen letzten Halt. Was war das alles? Dienst. Der Dienst geht weiter.

Vier Wochen später war er tot.


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