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Zweiter Kapitel. Die Kriegsfahne

»Im Kriege spielt man den Kühnen, Zerstörenden, dann wieder den Sanften, Belebenden; man gewöhnt sich an Phrasen, mitten in dem verzweifeltsten Zustand Hoffnung zu erregen und zu beleben. Hierdurch entsteht nun eine Art von Heuchelei, die einen besonderen Charakter hat und sich von der pfäffischen, höfischen oder wie sie sonst heißen mögen, ganz eigen unterscheidet.«

Goethe

 

I

Im deutschen Großen Hauptquartier zu Koblenz herrschte Aufregung: eine Nachricht war eingetroffen, nach der die Armee im Nordosten im Begriffe stand, über die Weichsel zurückzugehen. Ostpreußen sollte den eindringenden Russen überlassen werden. Man schrieb den 21. August 1914. Der Armeeführer, General von Prittwitz und Gaffron, war gestern von der Ersten Armee des Feindes zurückgeschlagen und zugleich von der Zweiten in der Flanke bedroht worden. Diese Nachricht vom Rückzug im Osten war schlimm, aber der Schlieffensche Plan rechnete mit solcher Möglichkeit; die Entscheidung sollte ja durchaus im Westen gegen Frankreich gesucht werden, auch auf die Gefahr eines russischen Einfalls im Osten. Da die deutschen Armeen im Westen noch planmäßig vordrangen, war kein Grund zur Panik.

Aber an der Spitze des deutschen Heeres standen zwei Neurastheniker, Wilhelm der Zweite und Graf Moltke. Zu ihnen kamen ostpreußische Junker angefahren, die in den letzten Wochen schon Stücke ihrer Provinz und ihrer Güter in den Händen des Feindes lassen mußten. Zugleich stellten Feinde des Generals von Prittwitz seine Unfähigkeit vor die Augen des Kaisers, den, wie die meisten Fürsten, Personen mehr als Tatsachen interessierten. Da zugleich im Westen eilenden Wünschen alles schon gewonnen schien, führten Hochmut und Furcht, die beiden Hauptelemente des nervösen Charakters, Kaiser und Heerführer zu dem Entschlusse, sogleich zwei Korps und eine Kavallerie-Division vom Westen nach Osten abzugeben, um die Front dort zu stärken, wo nach dem Hauptplan die Entscheidung nicht gesucht wurde, und dort zu schwächen, wo sie fallen sollte.

Die Maßnahme war überstürzt, die Aufregung übertrieben, denn es lag noch kein absoluter Entschluß des Generals zum Rückzug über die Weichsel vor; das Telephon, dem die Präzision des Telegramms fehlt, setzte nur die wahrscheinliche Nötigung auseinander. Da aber ein Nervöser den andern ansteckt, hatte Moltke den Eindruck des unaufhaltsamen Rückzuges; tatsächlich hatte er den östlichen Befehlshaber grade im Augenblicke der Panik angerufen.

Indessen während der nächsten Stunden veränderte sich die Lage der Armee im Osten oder doch ihre Beurteilung. Was war geschehen? Mit einem Streit zwischen dem Oberkommandanten und einem seiner Generäle hatte es begonnen. Der Krieg, den das deutsche Volk im Glauben an seine verfolgte Unschuld mit starkem Herzen begann, fing bei der Führung mit Ungehorsam im Osten und Nervenkrise im Westen an. Von Nerven sprechen die Berichte und Memoiren dieses Krieges bei Freund und Feind; eine Art Rache des mechanisierten Krieges für die Absetzung des Menschen. Der einzige Feldherr in Europa, der keine Nerven hatte, ist Hindenburg geblieben.

Die Russen, durch die Masurischen Seen gezwungen, mit einer Armee nördlich, einer südlich von ihnen aufzumarschieren, konnten nur einzeln geschlagen werden. General François aber – der Deutsche hatte einen französischen, der Russe Rennenkampf einen deutschen Namen in diesem angeblich nationalen Kriege –, François mißbilligte den Plan seines Chefs und schlug sich mit seinem Korps lieber auf eigne Faust an den Seen, zum Schutz von Königsberg, ohne dies zu melden, während Prittwitz sich zum Angriff gegen die eine der russischen Armeen, die Wilnaer aufstellte. Während der Unterführer seinen erfolgreichen, aber verbotenen Vorstoß abbrach, erfuhr der Oberführer, die andere russische Armee, die Warschauer, habe in Stärke von 4-5 Korps die deutsche Grenze überschritten.

Der stärkste Kopf in diesem östlichen Hauptquartier war weder der Baron von Prittwitz noch sein Chef Graf Waldersee, sondern der General Hoffmann, damals noch Oberstleutnant. Was ist sein erster Gedanke bei Empfang der alarmierenden Nachricht? Sie seinem Chef zu unterschlagen. »Ich fürchtete, die Nerven des Herrn Oberbefehlshabers und seines Generalstabs-Chefs würden dieser Meldung nicht gewachsen sein.« Diese fatalen Nerven!

Doch es ist zu spät, Prittwitz hat die Nachricht schon selber empfangen und hat sofort beschlossen (oder erwogen?), da er sich nun im Rücken bedroht fühlt, seine Armee hinter die Weichsel zurückzunehmen, was er sogleich dem anfragenden Moltke nach Koblenz telephoniert. Hoffmann widerspricht, weist seinem Chef mit dem Zirkel nach, daß Rückzug hinter die Weichsel erst zu erkämpfen sei, da der linke Flügel der Warschauer Armee es näher zur Weichsel habe als die deutsche; man müsse also diese Armee aufhalten und zwar durch einen offensiven Stoß gegen ihren linken Flügel. »Prittwitz, der ebenso wie Waldersee, einen Augenblick die Nerven verloren hatte,« – so schreibt Hoffmann später –, »sah die Notwendigkeit der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen ein; er blieb auf seiner Ansicht bestehen, daß es nötig sei, die Schlacht gegen Rennenkampf abzubrechen, gab aber die Absicht auf, hinter die Weichsel zurück zu gehen und schloß sich unserer Ansicht an, einen Offensiv-Stoß gegen den linken Flügel der Warschauer Armee zu führen. Auf Grund dieser geänderten Ansicht wurden am 20. abends die Anordnungen getroffen, die die Grundlagen für die Schlacht bei Tannenberg abgaben. Sie waren damit jetzt schon geschaffen.«

Diese Wendung, deren Darstellung niemand bestritten hat, gewann weltgeschichtliche Bedeutung. Aus der nervösen Stunde des Feldherrn und seiner Meldung an die nervösen Oberfeldherrn ergab sich der Wechsel im Oberkommando und die Heraufkunft zweier anderer Generäle, die dafür im deutschen Kriegsplane nicht vorgesehen waren. Da diese später auch politisch die Zukunft entschieden, so ist das Schicksal Deutschlands schon drei Wochen vor der Marneschlacht hier, im Osten des Reiches beschlossen worden.

Denn als Prittwitz jetzt wieder nach Koblenz telephonierte, er hätte seinen Entschluß aufgehoben und würde sich schlagen, hatte der Kaiser seine Absetzung schon beschlossen. Wilhelms Aufregung spiegelt sich in der schroffen Form: Prittwitz' zweiter Entschluß, nur wenige Stunden nach dem ersten, wurde bei Seite geschoben, beide Führer erfuhren ihre Absetzung am 22. durch eine Depesche, morgen früh träfe ein Extrazug ein, der ihre Nachfolger brächte. Wer waren die Nachfolger?

Der erste Offizier, der sich im August 14 hervorgetan, war ein Generalmajor, den hervorragende Fähigkeiten als Stratege schon jung in hohe Stellen der Operations-Abteilung getragen hatten. Solche Offiziere der Feder und des Zirkels hatten im Anfang den natürlichen Wunsch, sich mit dem sog. Schwerte auszuzeichnen, und als der deutsche Handstreich auf die belgische Festung Lüttich schon fast verloren war, hatte sich der Generalstäbler von der Karte und vom Telephon weg plötzlich einer der Kolonnen angeschlossen, die noch auf Lüttich marschierten. Als der Kommandeur dieser Brigade fiel, übernahm er die Führung und stürmte mit ihr das wichtigste Fort. Es war ein persönlicher Sieg, wie ihn der Krieg später nur noch Fliegern oder Tauchboot-Kommandanten erlaubte. Der weithin unbekannte Name Ludendorff kam als erster in aller Deutschen Mund, als der Heeresbericht den kühnen Offizier von fast fünfzig Jahren rühmte und die Verleihung des Pour le Mérite meldete. Das Greifbare, Romantische seiner Tat, das sich für die Schulbücher eignet, dazu der Ruhm, der Erste zu sein, der den vielbegehrten Orden am Halse zeigen durfte, gaben ihm eine Popularität, ohne die man den schon wegen seiner glänzenden Gaben suspekten Bürger schwerlich berufen hätte, der nur eine adlige Mutter nachweisen konnte. Denn jetzt berief ihn Moltke zur Nachfolge des mitabgesetzten Grafen Waldersee.

Wenige Stunden nach seiner Berufung saß Ludendorff am Rhein vor der Karte von Ostpreußen, messend, kombinierend, addierend und entwarf, da er von den neuen Befehlen seiner Vorgänger nichts wußte, auf seine Art den Fortgang der Schlacht, die er morgen leiten sollte, wie ein einspringender Kapellmeister sich in die fremde Partitur stürzt.

In Koblenz entstand die Frage, wen man diesem geübten Strategen zum Armeeführer mitgeben sollte? Das Verhältnis beider Männer ist in der deutschen Armee durch den Titel bezeichnet: der Übergeordnete, nämlich der Armeeführer, nennt den Untergeordneten seinen »Chef«, denn dieser ist ja »Chef des Generalstabes«. So betreten diese Paare die Geschichte, ähnlich wie das Ehepaar einen Empfangssaal: die Dame geht voraus, hat alle Ehren, ist schöner gekleidet, aber der ihr folgende Gatte hat in Wahrheit zu bestimmen, denn er hat das Geld und die Macht. Sie repräsentiert, sitzt rechts, wird zuerst bedient; er tritt mit der Sicherheit des alles Entscheidenden zurück und ist froh, sie der Gesellschaft verantwortlich zu wissen, wenn etwas nicht klappt.

Daher braucht es große Menschenkenntnis, um diese strategischen Paare zu ihren Zwangsehen auszuwählen, was lange Jahre vor dem Kriege geschehen war, jetzt aber, beim Fortfall eines solchen Paares, im Laufe einiger Stunden improvisiert werden mußte, denn die neuen Männer mußten noch heute nach Osten abfahren. Wen konnte man, so fragten sich Moltke und der Kaiser, dem äußerst kapriziösen General Ludendorff mitgeben, und da diesmal die Zeit des Kennenlernens fehlte, Verlobung und Heirat sozusagen zusammenfielen, war das Risiko noch größer, und nur die Auswahl eines sehr ruhigen Mannes gab einige Gewähr.

Da wurden die überlegenden Männer auf einen Namen gelenkt, dessen Handschrift vor ihnen lag. Vor einigen Tagen hatte der General von Stein diesen Brief empfangen:

»… eine Bitte: Denken Sie meiner, wenn noch im Laufe der Dinge irgendwo ein höherer Führer gebraucht wird! Ich bin körperlich und geistig frisch und war daher auch bis zum vorigen Herbste trotz meiner Verabschiedung designiert. Mit welchen Gefühlen ich meine Altersgenossen ins Feld ziehen sah, während ich unverschuldet zu Hause sitzen muß, können Sie sich denken. Ich schäme mich über die Straße zu gehen … von Beneckendorff und Hindenburg.«

Das war ja der alte Hindenburg mit seiner berühmten Ruhe! Im Osten hatte er lange gestanden, und hatte er sich auch stets mehr um Verwaltung als um Gestaltung gekümmert, umso besser, dann würde er jetzt seinen begabten Chef nicht stören! Mit seinem schönen Namen deckte er zugleich die bürgerliche Blöße des andern; vor allem, er behielt, wie man ihn vom Frieden her kannte, in allen Lagen ruhige Nerven. Der Brief hatte ihn in Erinnerung gebracht, wie der Handstreich von Lüttich den andern. Probieren wir's mit dem alten Hindenburg! Eine Depesche fragt in Hannover an, ob er bereit sei.

Dort saß der alte General, las die Zeitungen und wußte seit Kriegsbeginn nicht, ob er sich mehr freuen oder mehr ärgern sollte. Nach den Berichten ging in den ersten drei Wochen alles gut, aber es ging ohne ihn. War er mit seinen 67 etwa nicht mehr beweglich? Hatte er nicht davon geträumt, mit seinem Sohn am Biwakfeuer im Kampfe gegen die Russen zu sitzen? Jetzt waren Sohn und Schwiegersöhne draußen, durften Pulver riechen, Kanonen erobern, vielleicht bald Ordensbänder durchs Knopfloch ziehen. Waren es wirklich beinah fünfzig Jahre, daß er bei Königgrätz seine fünf Kanonen erobert hatte? Dort stand der zerschossene Helm vor ihm und erzählte die Legende seiner Jugend.

Unter den Generalen, die der Heeresbericht nannte, waren viele jünger. Was hatte er denn verbrochen, daß man ihn voriges Jahr von der Liste der zu Verwendenden strich? Jedesmal, wenn er auf seiner Kriegskarte ein Fähnchen vorwärts rückte, mochte er seufzen, daß es nur ein Spiel war, wie bei seinen vielen Kriegspielen im Dienst, und jetzt, wo endlich eine großartige Wirklichkeit die Mühe seines Lebens krönen sollte, stand er bei Seite wie ein alter Schauspieler, der aus der Loge zusehen muß, wie ein Junger seine Rolle spielt, wahrscheinlich schlechter! Nicht einmal nachprüfen ließ man ihn, wie seine Pionier-Vorschrift sich bewährte, an die er die besten Jahre verwendet!

Als er in diesen verdrießlichen Stimmungen beim Kaffee saß, am 22. August um 3 Uhr, wurde eine Depesche gebracht, die der rote Streifen außen als Staatsdepesche verriet: ob er bereit sei! Er ruft seine Frau, zeigt sie ihr, drahtet zurück: »Bin bereit.« Das ganze Haus gerät in Aufregung. Was mag es sein? An welche Front? Was für eine Stellung? Wo ist die Feld-Uniform? Haben wir Wollsachen? Alles läuft durcheinander. Der Depeschen-Bote läutet noch dreimal. Zweite Depesche: Generalmajor Ludendorff würde morgen früh im Extrazuge durchkommen und ihn abholen. Dritte: Sie bekommen das Kommando der 8. Armee im Osten. Vierte: Der Extrazug wird Hannover schon um drei Uhr nachts passieren.

Die Aufregung steigt. Nicht ein Reservekorps, nicht ein Korps, – eine ganze Armee soll er führen! Das hat er kaum geträumt! Im Osten, wo er zu Hause ist! Prittwitz, den er ersetzen soll, ist der Vetter seiner Frau! Was für ein Kerl ist dieser Ludendorff, sein neuer Chef, von dem er früher gehört, jetzt wieder vor Lüttich gelesen, den er aber nie mit Augen gesehen hat? Läßt man ihn selber garnicht erst nach Koblenz kommen, kündigt den Extrazug schon für die Nacht an, so heißt das, eine Schlacht ist im Gange! Felduniform fehlt, also schwarze Uniformhose und graue Litewka! Er sagt der Frau Adieu: keine Furcht, ein Armeekommandant kommt nicht ins Feuer. Um drei Uhr nachts steigt aus dem einzigen Wagen des Zuges der jüngere General, meldet sich dienstlich. Abfahrt.

Erste Beratung im Coupé: der Jüngere kennt seit 30 Stunden die Lage und die Schlacht, der Ältere erfährt von ihm das erste Wort: so wird vom ersten Augenblick an das Verhältnis umgekehrt. »Er klärte mich,« schreibt Hindenburg, »zunächst über die Lage an unserer Ostfront auf … Ich war mit meinem nunmehrigen Chef in kurzem in der Auffassung der Lage einig. General Ludendorff hatte schon von Koblenz aus die ersten unaufschiebbaren Weisungen geben können, die dahin zielten, die Fortführung der Operationen östlich der Weichsel sicher zu stellen … Alles weitere mußte und konnte erst bei unserem Eintreffen im Hauptquartier der Armee, in Marienburg entschieden werden. Unser Gespräch hatte kaum mehr als eine halbe Stunde in Anspruch genommen. Dann begaben wir uns zur Ruhe. Die dazu verfügbare Zeit nützte ich gründlich aus. So fuhren wir denn einer gemeinsamen Zukunft entgegen … Jahrelang sollte von nun ab das gemeinsame Denken und die gemeinsame Tat uns vereinen.«

Diese erste Beratung wiederholte sich von jetzt ab täglich durch vier Jahre. Ludendorff hat alles studiert, vorbereitet, legt es dann Hindenburg vor, dieser genehmigt es im Lauf einer halben Stunde. Seine großartigen Nerven erlauben ihm durch vier Jahre so, wie in dieser Nacht, nach einem erregten Tage sofort einzuschlafen.

Am nächsten Morgen, – ihre Vorgänger sind bereits grollend abgereist – finden die beiden neuen Feldherrn eine weit günstigere Lage, als erwartet. Die Pläne Hoffmanns, teils schon vorher in der Entwickelung begriffen, teils durch Ludendorffs Koblenzer Depesche ergänzt, werden vorgelegt und genehmigt, die Schlacht wird am 23. so fortgesetzt, wie sie nach Überwindung der Panik vom 21. angelegt war. Als sich am 24. eine Division des deutschen linken Flügels, heftig bedrängt von der Warschauer Armee, in eine bessere Stellung zurückzieht, wird dieser teilweise Rückzug »von ausschlaggebender Bedeutung für den weiteren Fortgang der Schlacht.« Denn nun glauben die Russen an allgemeinen deutschen Rückzug, ihr Verfolgungsbefehl wird von den Deutschen aufgefangen, er war unchiffriert aufgegeben »in unbegreiflichem Leichtsinn, wodurch uns die Kriegsführung im Osten sehr erleichtert, in manchen Lagen überhaupt nur möglich gemacht wurde.« Dazu kommt persönliche Feindschaft der beiden russischen Armeeführer, von denen der eine den andern vielleicht absichtlich – wie schon ähnlich 1905 – einer Katastrophe ausgesetzt hat, denn sonst wäre sein Stillstehen nicht erklärlich.

Diese beiden Momente erleichtern die Umfassung der Zweiten russischen Armee, wie sie die beiden neuen Feldherrn großen Stiles beschließen, Hoffmanns Pläne überschreitend. Depesche nach Koblenz: »Vereinigung der Armee am 26. August beim XX. Armeekorps für umfassenden Angriff geplant.« Nun entwickelte sich eine jener glänzenden Schlachten, die man als »Cannae-Schlachten« zuletzt von Schlieffen gelernt hatte. Sie war möglich, weil hier noch keine Millionen-Heere, sondern, ähnlich wie in früherer Zeit, nur etwa 150.000 Deutsche gegen etwa 200.000 Russen kämpften.

Aber in einem kritischen Augenblicke sprachen auch hier die Nerven. Als François sein weit auseinander gerissenes Korps noch vor dem Angriff zusammenziehen will, dadurch Zeit verloren geht, die ersten deutschen Angriffe abgeschlagen werden, plötzlich Truppen nach rückwärts fluten, Gefangene vor sich hertreibend, als wären die Russen durchgebrochen, da soll nach glaubwürdigen Berichten Ludendorff die Nerven verloren und vorgeschlagen haben, die Vernichtungsschlacht in eine Frontalschlacht zu verwandeln. Ist dieser Augenblick historisch, so hat Hindenburgs Nervenruhe die Schlacht gerettet, denn er blieb auf Ludendorffs erstem Plane bestehen.

Am Ende der Schlacht war die russische Armee vernichtet. Ihr Führer Samsonow ist der erste und letzte Armeeführer des Weltkrieges gewesen, der die Unehre der Niederlage nicht überleben wollte und sich erschoß.

 

II

Ludendorff wurde geboren, als Hindenburg schon Leutnant war. Dasselbe Kadettenhaus, derselbe Generalstab hatten auch ihn erzogen, aber er hatte weder Sedan noch Versailles erlebt und, da er bürgerlich war, wohl auch nachher den alten Kaiser nicht in der Nähe gesehen. Seine Schule fand er deshalb unter Wilhelm dem Zweiten. Ein stürmischer Arbeiter, großer Spezialist, galt er im Generalstab für einen der besten Köpfe, ohne beliebt zu sein. Als Chef der Aufmarsch-Abteilung forderte er drei Jahre vor dem Krieg eine neue Ersatz-Reserve von 600.000 Mann, ohne die Deutschland den Zweifronten-Krieg verlieren würde. In dem Streit, der darüber mit dem Kriegsminister entbrannte, wurde Ludendorff abberufen und in dem Augenblicke, wo er im Generalstab befördert werden sollte, zur Truppe kommandiert, von wo er grollend seinen strategischen Entwürfen nachblickte. Der bedeutendste deutsche Stratege des Weltkrieges begann ihn als gewöhnlicher Regiments-Kommandeur.

Allerdings war er als Mann mit eigenen Ideen besonders dem Kaiser unangenehm, den seine Überlegenheit irritierte. Moltke dagegen schätzte ihn so sehr, daß er bei seiner Berufung in Koblenz zu ihm sagte: »Ich weiß keinen andern Mann, zu dem ich so unbedingtes Vertrauen hätte wie zu Ihnen. Vielleicht retten Sie im Osten noch die Lage.« Auch durch dies Wort und daß er ihn allein zu sich berief, sprach er aus, daß Ludendorff führen sollte.

Nach ihrer Natur und nach den bestimmenden Eindrücken ihrer Jugend mußten sich Hindenburg und Ludendorff trotz gleicher Erziehung bedeutsam unterscheiden und eben durch diesen Unterschied ergänzen. Alle Zeugen sprechen von Hindenburgs Charakter und von Ludendorffs Geist, keiner umgekehrt; während von jenem niemand einen Einfall, dienstlich oder persönlich, zu erzählen weiß, wird von diesem kein freundlicher Zug des Herzens überliefert. Was Hindenburg in diese Verbindung produktiv mitbrachte, seine Nervenruhe, stand einer Fülle von Fähigkeiten gegenüber, die nur der andere besaß. Foch sagte von beiden: »Ludendorff, c'est un général; Hindenburg, c'est un patriote.«

Ihre Körperlichkeit spricht den Gegensatz aus. Neben dem gewaltigen, blockartig steinernen Menschen, geboren Respekt um sich zu verbreiten, erschien der wesentlich kleinere, nicht schlanke Andere weniger proportioniert, und das schöne Verhältnis der Körper, wie sie etwa Sickingen und Hutten darstellen, ging diesem Paar verloren. Hindenburg bis 70 gesund, dann wieder bis 87, schlief, aß und bewegte sich ein Leben lang im genau erprobten Rhythmus, den keine Arbeit unterbrach, auch nicht der Krieg, während Ludendorff, kurz vor dem Kriege vor Übermüdung erkrankt, mit bleicher Gesichtsfarbe und schlaffen Wangen während des Krieges die Spuren seiner gewaltigen Arbeit ohne das Äquivalent von Sport oder Erholung zeigte, nie gelassen, nie befriedigt. Hindenburg, zum Malen so gemacht, daß ihn keiner verfehlen konnte, wirkte mit seinen einfachen und schweren Zügen überall von selber, während Ludendorff sich mit angezogenem Kinn und agressiv-mißtrauischem Ausdruck schroff hinstellte, um zu wirken. An jenem war alles entspannt, an diesem alles gespannt.

Dieser Physis entsprachen Geist und Charakter. Eine gewisse Gemütstiefe, die oft unter hartgeschnittenen Köpfen lebt und für die die Deutschen dann schwärmen, mußte in Hindenburg so gelagert sein, daß sie ihm seine Ideale von Dienst und Pflicht nicht störten; seine frühe und gleichmäßig gute Ehe, das Verhältnis zu den Kindern bezeugt es, ebenso wie das Fehlen von Feinden, allerdings auch von Bewunderern vor dem Kriege. Da er seine Ruhe durch keinen Ehrgeiz erschüttern ließ, kamen das Stammgut, die Kinder, die Jagd trotz vorbildlichen Dienstes nie zu kurz. Ludendorff, der beständig auf seine Leistungen und neue Gelegenheiten blickte, sich zu bewähren, hatte keine Zeit für ein Privatleben und fiel nur einmal aus der Rolle, als er eine hübsche Frau bei Regen unter einer Haustür warten sah, ihr dann seinen Schirm anbot, sie nach Hause brachte und kurz darauf heiratete. Diese Geschichte, die klingt wie aus den Familienblättern jener Kreise, brachte dem damals 40 jährigen Manne zugleich drei fremde Kinder ins Haus, denn sie mußte sich für ihn scheiden lassen, was nur bei deutlicher Schuld des ersten Gatten möglich war. Dieser Entschluß war bei seinem Ehrgeiz umso erstaunlicher, als Ludendorff, statt seine halbbürgerliche Abkunft durch die Ehe zu verbessern, in jener Dame eine Bürgerin, geschiedene Frau eines Bolle-Direktors nahm, worüber das Kasino Witze machte, während dem gleichfalls halb bürgerlichen Hindenburg der Gedanke nie gekommen wäre, eine andere als eine Junkerstochter zu heiraten. Ludendorffs herrische Natur zwang in der Friedenszeit die junge Frau, halbe Nächte, die er durcharbeitete, still neben ihm zu sitzen, nur damit er sie in der Nähe spürte, worüber sie sich gelegentlich bei Freunden beklagte. Viel später, ein Mann gegen Sechzig, hat er sich dann von dieser so romantisch gefundenen Frau scheiden lassen. Hätte er Kinder gehabt, er hätte gewiß nicht mit ihnen Krieg gespielt wie Hindenburg, denn er dachte nicht in Biwak-Feuern, sondern in Zahlen.

Niemand hat Hindenburg aufgeregt und niemand hat Ludendorff lachend gesehen; seine Düsseldorfer Kameraden fügen hinzu, er hätte in jenem Jahre nicht einmal gelächelt. »Im Gespräch unangenehm hämmernd, hart, eigensinnig und selbstbewußt,« nennt ihn der Kabinetts-Chef des Kaisers Karl. Hatte nun in ihm eine eingeborne Skepsis alles außer dem Ehrgeiz ausgelöscht oder stieg bei steigendem Nachdenken über die Menschen sein Nihilismus: gewiß ist, daß Ludendorff an nichts glaubte und deshalb an das Glück. Einen Gott gab es nicht, und einen echten König hatte er nicht mehr erlebt, denn Wilhelm der Erste war nur noch ein Mythos, als Ludendorff ihm seinen Eid schwur. Der Krieg alten Stiles, wie im Jahre 70, war ihm unbekannt. Für ihn baute sich aus drei Elementen die moderne Schlacht auf: Mathematik des Feldherrn, Güte des Materials, Bravour der Truppen.

Dagegen gründete Hindenburg sein Leben auf Glauben an Gott und den König, der von Gott eingesetzt war. Jeden Armeebefehl begann oder beschloß er mit Gott, nach jeder wichtigen Entscheidung fügte er hinzu: »Also dann mit Gott!« Den Zwiespalt, den er mit 18 Jahren zwischen dem tötenden Sohn und dem heilenden Vater selber aufgestellt, bemerkte er nach einem halben Jahrhundert petrifizierenden Dienstes nicht mehr, als er in seinen Memoiren das Kriegsmittel der Blockade gegen Deutschland die Engländer so begründen läßt: »Man lasse die Weiber und Kinder hungern! Das wirkt, so Gott will, auf den Gatten und Vater an der Front ein, wenn nicht sofort, so doch allmählich!« Und er fährt anklagend fort: »So denken Menschen und können dabei beten!« Dieser monumentale Zusatz zeigt die Naivität solcher frommen Generale, die solch einen unchristlichen Feind verdammen, während sie als Patrioten Befehle geben, um tausende von feindlichen Frauen zu versenken und zu deportieren.

Aus diesen moralischen Grundlagen der beiden Männer entwickelten sich bald entscheidende praktische Folgen. »Manche,« schreibt Hindenburg, »würdigen den Krieg aus seiner stolzen Höhe zu einem Glücksspiel herab. Als solches ist er mir niemals erschienen. Ich sah in seinem Verlauf und Ergebnis, auch wenn letzteres sich gegen uns wandte, immer und überall eine herbe Folgenreihe unerbittlicher Logik. Wer zugreift und zugreifen kann, hat den Erfolg auf seiner Seite, wer das unterläßt, unterlassen muß, verliert.« Dieser einzige philosophische Gedanke seines Lebensbuches wird durch eine Kritik des französischen Generals Buat aus seiner Unklarheit etwas gehoben, der schrieb: »Hindenburg glaubt nie, daß die Ereignisse eines Krieges etwas anderes wären als die Einheit der Folgen, die eins ans andere knüpft. Er anerkannte in all der langen Zeit nicht die Allmacht des Gottes Zufall.«

Ludendorff, der einmal gegen unwiderlegbare Zahlen sich auf sein »Gefühl« berief, hat sich wie alle Verstandesmenschen gelegentlich, wie in jener extravaganten Heirat, auch im Kriege zu Entschlüssen hinreißen lassen, deren Unlogik ihn anzog: romantische Abstecher in ein verschlossenes Reich, und hat deshalb vor seiner letzten, großen Offensive auch den Gott Zufall zu Hilfe gerufen. Wird er dadurch eher sympathisch, so wird er doch nicht siegreicher, und man versteht besser, warum er von Depressionen ergriffen wurde.

Beide Männer brachten von verschiedenen Seiten aus dem Kadettenhause Dinge mit, die sie zu hervorragenden Zweiten machten; der eine Eigenschaften, der andere Fähigkeiten, der eine Stetigkeit, der andere Kenntnisse, beide Ausdauer und Pflichtgefühl, beide Unbestechlichkeit. Um aber 10 Millionen zu befehlen und 65 zu lenken, brauchte es Weltverstand und Kenntnis Europas, Dinge, die außerhalb des Generalstabes erworben werden; oberhalb von Dienst und Pflicht brauchte es überdies einige nur dem Genius angeborne Gaben: Einfall, Feuer, Phantasie.

Nach Lage der Charaktere, Antriebe und Kenntnisse mußte sich das Dienstverhältnis beider Männer glücklich entwickeln. Der Übergeordnete war froh, von dem andern so große Kenntnisse zu empfangen, daß er sein Gleichgewicht nicht durch Studien und Ärger zu gefährden brauchte; der Untergeordnete, der mit einem faktisch Kommandierenden keine vier Wochen ausgekommen wäre, war froh, sich durch die Unterschrift des andern decken zu können. Hatte der Ältere längst mit seiner Laufbahn abgeschlossen und sich jetzt nur aus dem Ehrgefühl des Offiziers gemeldet, so sah der Jüngere beim Ausbruch des Krieges endlich seine Zeit reifen; der Eine war durch zwei Kriege in der Jugend saturiert, der andere hatte dreißig Jahre auf einen Krieg gewartet und hätte nach einem Worte Bismarcks »beinahe aufgehört ein brauchbarer Soldat zu sein, wenn er nicht den Krieg wünschte.« Für Ludendorff war der Krieg der dritte Akt seines Lebens, für Hindenburg ein Epilog.

Waren also Gefühle der Eifersucht durch Körpergröße, Lebensalter, Temperament bei dem Älteren ausgeschlossen, so war der Jüngere klug genug dem andern den Ruhm zu lassen, denn sein Ehrgeiz ging mehr auf Macht als auf Lorbeer. Zugleich empfand Ludendorff, wofern er solcher Gefühle fähig war, wohl auch eine Art von Dankbarkeit für den nervenlosen Regulator an seiner Seite, der ihn, wenn er sich durch umkehrende Kolonnen, Gerüchte oder wirkliche Rückschläge niederschlagen ließ, mit seiner Ruhe wieder aufrichtete; denn eine solche gleichmäßige Sicherheit ist unschätzbar für einen Feldherrn, besonders wenn er am Schlusse den Krieg gewinnt.

Dieses Verhältnis zwischen dem Kommandierenden und seinem Chef, ganz auf Persönlichkeit, Takt und Charakter gestellt, hat sich in keinem andern Paare so glücklich gestaltet; es widerstrebt eigentlich dem Preußengeiste, der immerfort organisiert, das heißt, was nicht organisch ist, künstlich aufbaut, und, was organisch ist, durch Bestimmungen zu töten trachtet. Beide Männer haben ihr Verhältnis später behutsam dargestellt. Hindenburg schreibt:

»Eine meiner vornehmsten Aufgaben … sah ich darin, den geistvollen Gedankengängen, der nahezu übermenschlichen Arbeitskraft und dem nie ermattenden Arbeitswillen meines Chefs so viel als möglich freie Bahn zu lassen. Ich hatte ihm die Treue des Kampfgenossen zu halten, wie sie uns in deutscher Volksgeschichte von Jugend an gelehrt wird.« Ludendorff erwidert in seinem Buche: »Ich trug dem Feldmarschall nach Rücksprache mit meinen Mitarbeitern kurz und knapp meine Gedanken für die Anlage und Leitung aller Operationen vor und machte ihm einen ganz bestimmten Vorschlag. Ich hatte die Genugtuung, daß er stets, von Tannenberg bis zu meinem Abgang, mit meinem Denken übereinstimmte und meinen Befehlsentwurf billigte … Ebenso waren unsere Anschauungen über den Frieden dieselben. Ich habe ihn hoch verehrt und ihm treu gedient, seinen vornehmen Sinn ebenso geschätzt wie seine Königsliebe und seine Verantwortungs-Freudigkeit.« Nach diesen Sätzen verschwindet Hindenburg in Ludendorffs Memoiren; jetzt spricht er nur noch von sich selber.

Nach Hindenburgs Darstellung arbeitete Ludendorff von früh 7 Uhr bis nach Mitternacht, – und dies vier Jahre lang. Er selber ging um 9 Uhr zu Ludendorff, »meist handelte es sich dabei nicht um lange Gespräche … Ja, manchmal genügten einige Worte, um das gegenseitige Einverständnis festzulegen.« Dann geht Hindenburg spazieren, erledigt später die Akten seiner Abteilungschefs, hierauf gemeinsames Mittagessen, nachmittags ähnlich, Abendbrot bis halb Zehn: Tätigkeit wie im Frieden.

Was dagegen Ludendorff leistete, machen die Bände seiner Erlasse und Denkschriften deutlich; sie spiegeln die bewundernswerte Kraft eines regierenden Diktators wieder, der zugleich sein eigener Feldherr ist. Mehr als er hat niemand im Weltkriege geleistet. Eine Darstellung aus 1918 zeigt ihn, wie er mit dem Oberkommandanten in Lille telephoniert über den Verlauf der großen Schlacht, zugleich ins Nebenzimmer gerufen wird, wo Bukarest anruft und er seinen Willen über die Friedensverhandlungen kundtut, dann wieder zurück und über das Vorgehen deutscher Divisionen gegen die Lys verfügt.

Einer der Hauptzeugen, General Hoffmann, schildert Hindenburg, wie er sich beim täglichen Vortrage Ludendorffs meist zuhörend verhielt und dann nur sagte: »Hat einer der Herren noch etwas zu sagen? – Na dann mit Gott vorwärts!«, während Oberst Bauer unter dem »Feldherrn« überhaupt nur Ludendorff versteht. Privatim hat Hoffmann erklärt, seit er höre, Hindenburg habe die Schlacht bei Tannenberg gewonnen, glaube er nicht mehr an die Existenz von Caesar oder Hannibal.

Aus dieser einseitigen Erfindung und Entschließung folgt keineswegs eine einseitige Verantwortung. Das Kadettenhaus hatte Hindenburg dies Wort tief eingeprägt, und er hat weder in seinen Memoiren noch später, als Ludendorff ihn angriff, diese Verantwortung jemals geleugnet. Hatte er den ganzen Ruhm Ludendorffs geerntet, so trug er loyal auch die ganze Last seiner Irrtümer; hatte er die Macht nicht gesucht, so bekannte er sich zu den von ihm unterzeichneten Befehlen, und es hieße Hindenburgs Charakterbild verdunkeln, wollte man irgend einen jener Entschlüsse, die dann das deutsche Schicksal entschieden, Ludendorff allein zuschreiben.

Das Gleiche bezeugen alle Mitarbeiter. Unzählige Male, erzählt General von der Schulenburg, habe ihm Ludendorff erwidert, er müsse erst den Feldmarschall fragen. General von Wetzell, ebenfalls lange Zeit Mitarbeiter beider Feldherrn, erklärte später vor dem Untersuchungsausschuß: »Der Feldmarschall war im Jahre 18 im vollen Besitze seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Sein durch Lebensalter, reiche militärische Erfahrungen im Krieg und Frieden abwägendes Urteil hat auf die tatfrohe, zäh vorwärts treibende Energie Ludendorffs ausgleichend gewirkt.«

Wer würde danach Ludendorffs eigne Darstellung bezweifeln wollen, der von der tiefen Harmonie ihrer Zusammenarbeit berichtet und mit klug gewählten Worten fortfährt: »Der Feldmarschall ließ mich teilnehmen an seinem Ruhm. Der Feldherr hat die Verantwortung. Er trägt sie vor der Welt, und was noch schwerer ist, vor sich, vor der eignen Armee und dem eigenen Vaterlande. Als Chef und Erster General-Quartiermeister war ich voll mitverantwortlich und bin mir dessen stets bewußt gewesen.«

Bei dieser Verteilung der Rollen fällt ein beliebter Vergleich, nämlich mit Blücher und Gneisenau, ins Wasser. Was dem alten Blücher vor dem alles erdenkenden Gneisenau sein Selbstgefühl erhielt, die Reiter-Attacke, das Biwak, das Leben an der Front in Wind und Wetter, war gerade das, was Hindenburg entbehren mußte, da die Feldherrn in unserem Jahrhundert den Krieg in Villen und Schlössern, mit Telephon und Funkstation hundert Kilometer hinter der Front verleben und weniger davon sehen, als der sogenannte gemeine Soldat. Zogen sich früher die Generäle in langen Kriegen zur Erholung einmal in ihr Haus zurück und lagen auf dem Sofa, so mußte Hindenburg auf die Jagd gehen, wenn er sich einmal vom ewigen Stubenhocken auslüften wollte, und Wilhelm der Zweite sägte schon im Hauptquartier Holz, um sich Bewegung zu machen, was doch fünf Millionen seiner Untertanen auch ohne Sägen damals so leicht gelang.

 

III

Das einzige, was die beiden Feldherrn trennte, war die Legende. Aus Gründen, die tief im deutschen Charakter liegen, hob das Volk nur den Einen in den Ruhm empor, der ihn doch gänzlich dem Andern verdankte. Ohne diese Legende wäre der Krieg anders verlaufen, wohl auch anders entschieden worden. Da sie wahrhaft aus dem Volke kam, so fallen die gefährlichen Folgen dieser Legende auf das Volk zurück, das sich einen Führer nach seinem Ebenbilde suchte.

Der erste Grund der Legende war der Sieg bei Tannenberg. Es war der erste und blieb im Grunde der einzige deutsche Sieg im ganzen Kriege, so wie das Volk ihn versteht: der Feind umfaßt, die Armee vernichtet, über 100.000 Mann gefangen, tausende von Kanonen, hunderte von Fahnen erbeutet, eine Provinz befreit, die schon verloren war, und all dies drei Wochen nach Kriegsbeginn, fast ohne Verluste und Rückstöße. Die Glocken läuteten im ganzen Lande, die Schulen feierten, durchs Siegestor in Berlin rollten die erbeuteten Geschütze. Von der echten Dankbarkeit eines Volkes, das sich schmählich überfallen fühlte, wurde der Retter empor getragen, der große Unbekannte. Alle fragten: wer ist dieser Mann?

Zunächst erfuhren die Deutschen, daß er riesenhaft groß sei, stark wie Siegfried und dabei gutmütig wie ein Kind: die rauhe Schale um den zarten Kern. Sein Kopf lud ein, in Gips und Zucker abgegossen zu werden, das ruhige Auge, der große Schnurrbart, das holzgeschnittene Soldatengesicht leuchtete jedem ein, denn es zeigte, daß er zugleich adlig, alt und kraftvoll, daß er grau, riesig und gemütvoll war. Als sie hörten, er wäre zuerst von der Liste gestrichen gewesen, waren die Deutschen vollends glücklich. Verkannt und dabei herzensgut, das sprach zu den Herzen. Dazu kam der klangreiche Name, mit dem er sich nach der Schlacht von Tannenberg zum ersten Mal unter Fortlassung des von »Beneckendorff« unterschrieben. So vereinte er alles, was der Deutsche braucht, um zu verehren: Autorität und Ruhe, die sichtbare Wucht des befehlenden Menschen und das unsichtbar Rührende des Gatten und Vaters.

Brachte also Hindenburg alle Eigenschaften mit, um in seinem Volke ein Held zu werden, so störte er dies Bild durch keinen Zug, der den deutschen Bürger leicht unruhig macht. Männer von Geist wie Goethe und Schiller, Friedrich und Moltke konnten bei Lebzeiten nicht populär werden, und Bismarck war bis zur Entlassung der große Unbeliebte. Die beiden Männer, die seit hundert Jahren das Herz der Preußen wirklich erobert hatten, waren Blücher und Wrangel; mit ihnen verglich man von nun ab den General-Feldmarschall von Hindenburg, denn auch dieser Titel, der ihn schon seit November 14 schmückte, wurde für die Legende bedeutsam.

Als einige Züge seines Charakters bekannt wurden, bestätigte sich das Vorgefühl des Volkes. Gottvertrauen, persönliche Bescheidenheit, Mangel an Redekunst ließen ihn recht eigentlich als den stillen Mann der Tat erscheinen. So brauchte Hindenburg sich keinerlei Air zu geben, um den Deutschen zu gefallen, und da er sich nie für einen großen Mann gehalten, wurde es ihm leicht, dafür zu gelten. Das wenige, was er sprach, gefiel seinem Volke, und als er sagte: »Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur,« hatte er dieses Soldatenvolk endgültig erobert.

Da Ludendorff alle diese Eigenschaften fehlten, da er weder groß noch adlig noch alt noch glücklicher Familienvater noch zarter Kern in rauher Schale war, dagegen Geist und Erfindung, Leidenschaft, Dunkelheit und Ehrgeiz besaß, wurde er von den Deutschen als eine jener notwendigen Persönlichkeiten geehrt, die, wie ein Prinzgemahl, für die Erhaltung der Institution unentbehrlich erscheinen. Da er nicht der Oberste war, trat er auch dienstlich vor der Autorität zurück, die der Deutsche anbetet. Denn einen Feldherrn erwarteten alle Kriegsführenden als Held des Krieges; niemand in der Welt ahnte im Anfang, daß man am Ende dem Unbekannten Soldaten das Denkmal errichten würde.

Daß ihn die Legende zum Volkshelden machte, ist ohne Hindenburgs Zutun geschehen. Die Umstände seiner ersten Siege trugen Keime jener Romantik in sich, ohne die ein deutscher Ruhm nicht zu Stande kommt. Romantisch war schon »Tannenberg«, weil dort fünf Jahrhunderte vorher die Polen den Deutschen Orden entscheidend geschlagen hatten; das wußte zwar niemand mehr, da es aber jetzt gedruckt wurde, schien durch einen etwas verspäteten Gegenschlag die Ehre wieder hergestellt. Daß grade der Name »Schlacht bei Tannenberg«, der rhythmisch ins Ohr fiel wie der Name Hindenburg, die Polen verstimmte, die man eben jetzt gewinnen wollte, das störte weder die öffentliche Meinung noch den Feldmarschall, der diesen Namen in seiner Siegesmeldung an den Kaiser vorschlug. Überall schrieb und glaubte man, der neue Feldherr habe grade bei Tannenberg Studien getrieben.

Vor einer zweiten Vernichtungs-Schlacht verstand sich der Führer der andern russischen Armee zu hüten, zog sich vor den kühn vordringenden Deutschen zurück, und zwar aus der Gegend der Masurischen Seen, wo Anfang September wiederum Zehntausende von Gefangenen gemacht worden waren.

Diese Seen wurden ein neuer Keimpunkt der Legende. Aus ihnen erhoben sich Elfen und Nixen, die Phantasie des Volkes ließ Irrlichter darüber erscheinen, die Geister der darin ertrunkenen Russen auferstehen, und da das ganze Gebiet nur wenigen Deutschen bekannt war, wurde es umso rascher ein Fabelland. Hatte nicht der Feldmarschall in jüngeren Jahren dort in Garnison gestanden? Sofort bemächtigten sich die Zeitungen dieser Tatsache und verbreiteten in Variationen das Folgende:

»Der alte Herr verbrachte seine Sommerferien auch nach seiner Verabschiedung in jedem Jahre an den Masurischen Seen. Dabei lieh er sich in Königsberg eine Kanone aus und zog mit ihr und einigen Bedienungs-Mannschaften in die Sümpfe. Von früh bis abends ließ er die Kanone von einer Lache in die andere schleppen, maß ab, wie tief sie in den Schlamm versinkt, von wieviel Pferden an Übergangsstellen die Kanonen herausgezogen werden könnten, und an welchen nicht einmal 20 Pferde genügten. Er notierte, rechnete, zeichnete. Im Herbst stellte er dann die Kanonen dankend zurück und fuhr nach Hause.« Obwohl es gar keine Sümpfe dort gibt, erzählten nicht nur die Bürger an den Stammtischen, sondern geistige Führer wie der Dichter Hauptmann diese Geschichten mit gläubigem Ernste weiter.

Als Hindenburg nach einigen Monaten zu siegen aufhörte, war die Legende da, und die Deutschen, die an einer Autorität lange festhalten, lasen erst nach dem Kriege in seinen Memoiren: »Ich hatte bis zu diesem Tage das Schicksalsfeld östlicher Kultur-Eroberungen (Tannenberg) nie betreten.« Inzwischen war sein Name durch Straßen und Plätze, sein Bild in Stein, und riesenhaft in Holz, auf Weinetiketten und Speisezetteln ins Volk getragen worden, und in seinem Haus in Hannover stiegen Berge von Liebesgaben empor, Heilmittel gegen alle möglichen Krankheiten, Talismane bis zu einer Wunder-Bohne, die ein Indianer in 6000 Meter Höhe für ihn gepflückt haben wollte.

In wenigen Monaten hatte Hindenburg im Volksgefühl den Kaiser verdrängt. Nachdem man dessen Ruhelosigkeit und Reden so lange ertragen, war da endlich wieder ein gleichmäßiger Mann, der seine bedeutenden Gedanken immer verschwieg oder mit mächtiger Gestalt bei einer Grundstein-Legung erschien und dann mit ein paar markigen Worten den Nagel auf den Kopf traf, während er ihn einschlug. Der Abfall vom Kaiser, der sich plötzlich ganz zurückzuhalten begann, bereitete sich im Deutschen Volke durch die Wendung zu Hindenburg vor, an der er selber nicht im mindesten gearbeitet hat.

Auch Ludendorff war nicht eifersüchtig. Wie Bismarck von seinem König, so ertrug er es von seinem Kommandeur, daß er ihn öffentlich seinen treuen Helfer nannte, und schrieb später ohne Vorwurf die ironischen Sätze: »Man schuf einen Unterschied zwischen dem Handeln und dem Denken des Feldmarschalls und dem meinigen. Er verkörperte hiernach das gute Prinzip, ich das böse.« Und der Dichter Richard Dehmel bestätigte aus ihrem Hauptquartier, »daß Ludendorff mehr bewundert, wenn auch weniger verehrt wird; die Bewunderung ist kalt oder hitzig, die Verehrung für Hindenburg von Herzen warm. In ihn setzt man volles Vertrauen, in Ludendorff maßlose Hoffnungen … Offenbar ein glänzender Rechenmeister, der sich auf den einfachen Spürsinn seines urwüchsigen Amtsgenossen stützt, um sich vor Verrechnung zu hüten.«

Diese Legende, die sich im Herbst 14 bildete, hat sich bis heut erhalten. Sie hat den größten Einfluß auf die nächsten 15 Jahre deutscher Geschichte gehabt, ja sie hat den Krieg und die Geschichte der Republik entschieden. Da Hindenburg zuerst und da er als Einziger in einer wirklichen Schlacht gesiegt hatte, erwartete das deutsche Volk von ihm allein den Sieg im Kriege, ließ aber in seinem Beharrungs-Vermögen auch nach der Niederlage nicht ab. Dies entsprach dem deutschen Charakter, der geistige Dinge gern in Gemütsfragen verwandelt sieht, weniger auf Genie als auf Charakter baut und das Vorbild dort erkennt, wo Einfachheit herrscht.

Nur zuweilen lassen sie sich von einem andern Typus blenden, dem schauspielerischen Menschen, so von Wilhelm dem Zweiten und Wilhelm dem Dritten.

 

IV

Als Schlieffen im 80. Jahre starb, sagte er auf seinem Totenbette: »Macht mir den rechten Flügel stark!« Mit diesen verbürgten letzten Worten legte er den Nachfolgern seine größte Sorge noch einmal ans Herz. Ein Jahr später machte sein Nachfolger den rechten Flügel schwach, verlor dadurch die Entscheidungsschlacht und damit den Krieg.

Moltke der Jüngere war gegen seinen Willen zum Chef des Generalstabes aufgerückt. Ein gebildeter Herr ohne kriegerische Ambition, in den letzten Jahren nervös und leidend, hatte er das Amt erst übernommen, als der Kaiser ihm sagte: »Ich will wieder einen Moltke an der Spitze! Im Ernstfall bin ich selber da, um zu führen!« In denselben Septembertagen, als Hindenburg an den Masurischen Seen siegte, ging der Krieg an der Marne verloren, ohne daß es das deutsche Volk erfuhr. Die Geschichte dieser Schlacht, die nicht in diese Blätter gehört, kann nur im Zusammenhang mit jenem östlichen Siege gestreift werden.

Eine der drei oder vier Gründe der Niederlage an der Marne ist von allen Kritikern in der Wegnahme dreier Korps an einer der wichtigsten Stellen, zwischen der Ersten und Zweiten Armee des rechten Flügels erkannt worden. Die Panik, die bei jenem ersten Telephonat aus dem Osten am 20. August in Koblenz entstanden war, ließ diese Truppen im kritischen Moment, in Vorbereitung der Entscheidungs-Schlacht verschwinden und hielt an, während die neuen Männer neue Hoffnungen weckten. Als man gegen Ende der Schlacht von Tannenberg anfragte, wohin die inzwischen herausgehobenen Truppen zu dirigieren wären, erwiderte Ludendorff, der draußen im Osten an Schlieffens Grundidee des starken rechten Flügels im Westen dachte, die Truppen wären nicht unbedingt nötig: bei Schwierigkeiten möchten die Korps dort bleiben; für die jetzt im Gange befindliche Schlacht kämen sie doch zu spät. Wenn trotz dieser, für einen Feldherrn gradezu großartigen Antwort die Korps abgingen, um dann in der Marneschlacht entscheidend zu fehlen, so sind Furcht und Übermut des Hauptquartiers aufs neue als Motiv zu nennen.

Auch die beiden andern Gründe der Niederlage sind psychologisch nur aus den Erwägungen neurasthenischer Menschen zu erklären. Wenn Moltke den Schlieffenschen Plan verwässerte, und er den linken Flügel im Elsaß stärker, den rechten, dem die große Umfassung zufiel, dadurch schwächer machte, so wollte er vor dem Kaiser das »Prestige« schonen, das bei einem zeitweiligen Einfall der Franzosen grade im Gebiete des umstrittenen Elsaß leiden könnte. Und doch hatte Schlieffen bei seinem Plane die Franzosen nicht gefürchtet, wenn sie ins Elsaß, wenn sie sogar über den Rhein vordrängen: »Dann,« schrieb er, »würden sie nach dem Umfassungs-Siege zwischen Lille und Paris erst recht den Deutschen in die Arme laufen.« Ebenso entspringt der dritte Grund der Niederlage, die Entsendung eines Oberstleutnants ohne schriftlichen Befehl an die Front, wo er Fortgang oder Abbruch der Entscheidungsschlacht selbständig beschließen sollte, auch dies entspringt den Gefühlen der Furcht und Verwirrung. Weder der Oberste Kriegsherr noch der Chef des Generalstabes fuhren nach vorn, um vor dieser größten Entscheidung die Lage zu prüfen; sie saßen 200 Kilometer hinter der Front in ihren schönen Villen in Luxemburg und erwarteten, von den voreilenden Armeen zum Teil auch telephonisch getrennt, passiv die Ansicht ihrer einzelnen Armeeführer, statt ihnen die ihrige aufzudrücken.

Alle Kritiker, auch die Franzosen stimmen überein, daß die Schlacht an der Marne nicht durch die Stärke und Kunst des Gegners, sondern durch die Fehler zweier nervöser Führer entschieden wurde; das offizielle deutsche Werk des Reichsarchivs über den Krieg schreibt: »In den Mittagsstunden des 9. Septembers war der Generalstabschef in Luxemburg unter der Wucht vermeintlicher und wirklicher Unglücksbotschaften seelisch zusammengebrochen … Etwa zur gleichen Stunde, als das kämpfende Heer einen großen Sieg errungen hatte, schlug er die Zurücknahme der gesamten deutschen Heeresfront im Westen vor … Im Jahre 1910 hatte ihn eine schwere Krankheit befallen, seitdem ließen seine körperliche Frische und Spannkraft langsam nach.«

Obwohl die Deutschen über die Marne nichts erfahren durften, merkten sie doch so viel, daß nur im Osten gesiegt wurde. Das Bewußtsein, die einzigen Sieger zu sein, das Echo davon im Volke, mußte in den beiden Feldherrn schon während der ersten Wochen ein Selbstgefühl steigern, das sie den Blick auf die höchsten Stellen in der Armee richten ließ. Ihr neuer Gegenspieler war nicht angetan, ihnen zu imponieren.

Den General von Falkenhayn, dem nun der Kaiser die Führung übergab, könnte man mit dem Fürsten Bülow vergleichen: gewandt, gebildet, höfisch, dabei weniger schlau, aber mehr Glücksritter. Er hatte früh den Dienst verlassen, in China als Instrukteur gewirkt, dann während der deutschen Expedition in China wieder deutsche Dienste genommen und war zuletzt Kriegsminister geworden, da er dem Kaiser ausnehmend wohlgefiel. Die elegante Leutnantsfigur mit dem grauen Haar, Vielsprachigkeit, Soigniertheit und Glätte imponierten ihm, und daß er auch Volksverachtung besaß, wie sie von einem Edelmann verlangt wurde, hatte er in der Affäre Zabern bewiesen. Jünger als alle Armeeführer, die ihm jetzt unterstellt wurden (wenn man die formell führenden Prinzen wegläßt), doch noch erheblich jünger wirkend, als er war, charmierte er den Kaiser, der von Figur und Stimme seiner Leute abhängig war, ähnlich wie Bülow, und schien entschlossen, sich ganz auf seinen Allergnädigsten Herrn zu stützen, den er in der Einsamkeit des Hauptquartiers sich täglich besser in die Hände zu spielen hoffte.

 

V

Das Leben der Feldherrn in ihrem Quartier, am besten von Hindenburgs Maler beschrieben, zeigt, wie auch ein gelassener Charakter sich allmählich der Rolle anpaßt, die die Welt ihm zuteilt, wenn es nur eine angenehme Rolle ist. Hier sieht man einen redlichen, strengen und heiteren Verwalter der Armee sich unter den Zurufen der Nation in einen berühmten Feldherrn verwandeln, ohne daß sich dabei die freundlichen Züge seines Wesens irgendwie schmälern; nur was er sich neu zugelegt, ist bei einem Siebziger überraschend. Es wächst der Mensch mit seinem größern Mythos.

Gemütlich und humorvoll, wie er immer war, bleibt Hindenburg auch in seiner neuen Stellung; niemand erzählt, er habe seine Leute angebrüllt, alle Berichte zeigen einen gleichmäßigen, sogar nachsichtigen Vorgesetzten. Der Mann ohne Nerven mit nie versagendem Schlaf und Appetite gießt über das aufgeregte Leben im Hauptquartier das gleichmäßige Licht eines Planeten, der, weil er sein Licht von anderen borgt, niemand durch seine Strahlen blendet. Kein Rückschlag, keine Verdunkelung der Lage bringt ihn um seine gesunde Ruhe. Unter all den Berichten, die ihn doch in jeder Kriegswoche schildern, wird ein einziger Tag verzeichnet, im Mai 15, an dem er dumpf aufgestützt dasaß und sagte, er habe große Sorgen. Sonst hat sich kein ähnlicher Bericht erhalten, und die Besucher werden nicht müde, sein Gleichmaß auch noch in den letzten Kriegswochen zu rühmen. Hatte er nicht als 12 jähriger Knabe in seinem »Testament« gefordert: vor allem bitte ich mir unbedingte Ruhe aus? Und hat er sich nicht, nachdem er den Krieg verloren, diese Ruhe in vollem Gleichmaß erhalten? Solche Naturen, denen die tiefsten Erschütterungen der Seele erspart, aber auch versagt bleiben, werden, wie Hindenburg, nur spät und nur durch Verluste im innersten Kreise getroffen.

Im Hauptquartier verbreitete er während der Arbeit Ruhe, nach der Arbeit eine nie aussetzende Behaglichkeit. Die Berichte und Gespräche sind zunächst von Essen und Trinken erfüllt, Aal, Zwieback und Baumkuchen folgen ihm als Lieblingsspeisen überall hin, dazu besonders alter Kognak, Champagner stets deutsch. Die Tischgespräche, die sich durch vier Jahre an jedem Mittag und Abend erneuern, denn Hindenburg hat, bis auf eine Krankheit, nie an der gemeinsamen Tafel gefehlt, bewegen sich auf der allgemeinen Höhe des ostelbischen Gutshofes. Wird nicht vom Krieg oder von Personalien gesprochen, so werden Witze von der Front oder von Jagden erzählt. Von Schillers »Wallenstein« ist er begeistert, das sei was für sein altes Soldatenherz; dagegen lehnt er Goethe ab, mit der immer wiederholten Begründung, er habe Napoleon bewundert, die deutsche Erhebung nicht verstanden und sich im übrigen gegen seine Mutter schlecht benommen. Als die nichts ahnende Goethe-Gesellschaft von ihm ein Wort erbittet, schreibt er aus Opposition auf einen Bogen das Schillersche Wort: »Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an!«, worauf der Adjutant die Absendung verhindert. Sein Gesamturteil über Goethe wird er erst später abgeben.

Auch Wagner ist ihm unheimlich, dagegen liebt er Mozart; pfeift er beim Malen oder Spazierengehen vor sich hin, so sind es meist Armeemärsche. Bilder interessieren ihn nur, wenn sie Jagden oder Schlachten darstellen oder Szenen aus der deutschen Geschichte. Er findet es unerhört, daß man den »französischen Schweizer« Hodler zur Darstellung des deutschen Freiheitskampfes und den Geiger Marteau an die Berliner Hochschule berufen habe, »der Mann ist französischer Reserve-Offizier.« Seine persönliche Neigung hängt an einer kleinen Phoenix-Palme, die immer als Tafelaufsatz auf dem Tische stehen muß und wohl verpackt ihm ins winterliche Polen folgt. Von jedem Junker hat er Verwandtschaft, Grundbesitz, Laufbahn der Vettern im Kopfe, weiß, bei welchem Regiment jeder Neffe eines preußischen Adligen steht und wird nicht müde, sich nach den Familien zu erkundigen. Mit den Seinigen scheint er in beständigem Briefwechsel, auf dem Spaziergang pflückt er Blumen für seine Frau, bestimmt die Photos, die man ihr senden soll, fragt, was es neulich in Berlin zu essen gegeben habe, als seine Frau eingeladen war, und läßt sie doch nicht ins Hauptquartier, weil Frauen dort verboten sind und er keine Ausnahme für sich gestattet; sie darf nur eine Weile auf einem benachbarten Gute wohnen.

Zu Damen, die für eine Stunde kommen, ist er ganz Kavalier, küßt jeder die Hand, schreibt die höflichsten Briefe und treibt als König dieses feldgrauen Hofes die Artigkeit so weit, daß er vor Gästen nie das Zeichen zum Aufbruch gibt, und wenn der jüngste Fliegerleutnant eingeladen wäre. Alle Gäste werden mit Autos, Dienern, Pelzen in der zuvorkommendsten Weise bedacht, um Nachtquartier und Blumen ist er persönlich besorgt. Zu Geburtstagen: Torte mit Lichtern, Guirlande und Rede. Fragt ihn einer töricht oder indiskret aus, so bricht er nicht beleidigt ab, sondern gibt mit seinem dumpfen Baß eine joviale Antwort, daß alle lachen.

Auf die alte Kriegsfrage hat er seit 1915 fast immer die Antwort bereit, daß es bald zu Ende ginge. Als die Italiener Krieg erklären: »Ich mache mir nicht viel daraus. Italien bekommt eine Schlappe nach der andern. Ein schönes Land, aber die Bewohner sind fanatische, überhebliche Leute.« Über Wilson: »Doktrinärer Herr! Ich bekam Flimmern vor den Augen, als ich die »14 Punkte« las.« Über die Engländer: »England betreibt den Krieg nur als Geldgeschäft. Jetzt hat es gesehen, daß ein wirkliches Geschäft nicht damit zu machen ist, und hat wohl den Wunsch nach Frieden.« Aber auch rückwärts, über den Feldherrn Napoleon, werden aus seinen Gesprächen genau die Urteile mitgeteilt, die im deutschen Schulbuch stehen. Bestimmte Anschauungen sind in einem langen Leben versteinert, zu denen auch die Opfer eines Krieges gehören. Als General Hoffmann eines Abends nach Tische schwere Verluste meldet, sagt Hindenburg: »Ja, sehr traurig, aber unvermeidlich.« An einem Tage höchster Spannung sieht dem Abgehenden der General Ludendorff nach und sagt zu dem Maler: »Und der Mann hat die Nerven, trotz allem jetzt ganz ruhig einzuschlafen!«

Merkwürdig ist Hindenburgs Mäßigung in der Friedensfrage grade nach seinen ersten Siegen. Herr von Oldenburg-Januschau, ostelbischer Junker, der noch einmal entscheidend in sein Leben eingreifen soll, fordert an der Tafel alles Land, wo deutsche Krieger begraben liegen. Darauf Hindenburg: »Nicht mehr nehmen, als wir ohne Gefährdung unseres Deutschtums verdauen können! Lüttich brauchen wir auf alle Fälle, sonst aber nur Besserung unserer Grenzen. Unsere Erfolge nicht überschätzen!« Zu anderen Malen: »Die Alldeutschen verderben uns den Frieden mit ihren übertriebenen Forderungen … Dieser Krieg ist wie der Dritte Friedrichs, wo er nur konservierte, was er früher erworben … Wie können wir Antwerpen nehmen ohne einen großen Teil Belgiens – und das wäre ein Fehler! … Einen großen Teil Polens zu nehmen, das wäre ein Studentenstreich.« Dies wiederholt er oft im Jahre 15, nur niemals in Gegenwart von Ludendorff, dessen Einfluß im Politischen erst später begann.

Überhaupt hat Ludendorffs Arbeitswut dem Feldmarschall erst Gelegenheit gegeben, seine Ansichten vor der Nachwelt recht zu entfalten, denn da Ludendorff gleich nach Tisch in sein Bureau verschwindet, und nur einmal, an seinem 50. Geburtstag, bis 10 Uhr verweilt, so bleibt Hindenburg mit Hof und Gästen stets alleiniger Präsident der Runde. Hier und auf den täglichen Spaziergängen spricht er seine Meinungen aus, ohne von Ludendorffs Dompteur-Blick beunruhigt zu werden, den dieser durch sein scharfes Monokel sonst hinüberschickt. Diese äußeren Umstände werden von großer Bedeutung.

Denn das, was Hindenburg und zwar grade anfangs in seinem östlichen Hauptquartier, hinzugewinnt, das neue, was in seinem Wesen auftaucht, ist der Ruhm mit seinen Folgen. Um ohne Erschütterung eine Volkstümlichkeit zu ertragen, die so überwältigend noch nie auf einen Deutschen hereingebrochen, brauchte Hindenburg das Gleichgewicht der Seele, das ihm Dienst, Lebensalter und ein freundlicher Humor erleichterten. Aber er hätte ein Philosoph sein müssen, um einen solchen Ansturm ganz abzuwehren und etwa auf den Erfinder seiner Schlachten zu übertragen. Daran hinderte ihn schon das Reglement, das ihm als Übergeordneten den Ruhm dienstlich zuschob, so wie Wilhelm I. sich Bismarck überordnen mußte.

Bald nach der Schlacht bei Tannenberg hatte er noch seiner Frau in ironischem Tone geschrieben: »Dein Alter wird vielleicht noch einmal ein berühmter Mann.« Nun aber las er, der sich nie höher als einen tüchtigen Generalstäbler eingeschätzt, mit einem Mal, er wäre der größte Stratege des Jahrhunderts. Aus Waschkörben sortierte der Adjutant die täglichen Briefe, die dem bis gestern unbekannten Generale Huldigungen und Geschenke, Ratschläge und Bittschriften übermittelten. Der Direktor eines Zoo schickte Photos von einer neuen Kreuzung von Beuteltieren, die er »Hindenburg« nennen wollte, und ein Verband von Hebammen bat ihn, rasch den Krieg zu beendigen, weil ohne Männer keine Kinder und sie deshalb außer Brot kämen. Bei allem Vergnügen, das dem alten Herrn ein so herzliches Vertrauen der Nation bereiten mochte, war er doch genug Standesherr, um über all diesem Gezwitscher das Rauschen des großen Adlers zu vernehmen, der den Nachruhm bedeutet.

In dieser Lage begann Hindenburg sich auf den alten Blücher zu stilisieren: seine Antworten saftig, seine Anreden an den gemeinen Mann väterlich und per Du, seine Beschlüsse im alten Stile: »Dann gehen wir vor und hauen die Kerls, bis ihnen die Lust vergeht!« Oder: »Ich bin gerade dabei den Engländern die Hosen auszuklopfen!« Oder bei der Nachricht über 4000 gefangene Russen: »Das ist gut, die Kerls dürfen nie gewinnen, sonst gewöhnen sie sich das an!« So sprach und schrieb der Oberste Feldherr der Deutschen im Weltkriege: ganz Blücher! War er nicht von der Natur auf ihn gewiesen worden: sah er ihm denn nicht ähnlich?

In Gestalt eines Malers war der Nachruhm über Hindenburgs Schwelle getreten. Presse, Literaten, neutrale Besucher verlangten alle Geist und Redefluß, dergleichen ihm nicht lag. Ein Maler aber, – das war der Bote der Unsterblichkeit, und wirklich war der Kopf, den er ihm nur schweigend hinzuhalten brauchte, des Ansehens wert. Als Freunde der Kunst anfragen ließen, ob Liebermann, der größte Porträtist der Epoche, ihn malen könne, bekamen sie von Hindenburg eine Absage; er liebte nicht diese Bilder mit den vielen Farbenflecken. Er liebte historische Klarheit, echte Uniformen, alles richtig, wie er's auf den großen historischen Bildern in den Schlössern von Jugend an bewundert hatte. Als darum der Historienmaler Vogel ankam, weniger in der Kunstgeschichte als im Hause Hindenburg eingeführt, und Hindenburg sofort als Blücher malte, da fühlte sich der Feldmarschall endlich erkannt: »Das ist was anderes!« sagte er im Vergleich zu früheren Bildern vor Vogels erster Skizze. »Das ist nicht familiär, sondern martialisch.«

Von nun an, Februar 15, ließ er seinen Leibmaler nicht mehr los und hat ihn bis zum Ende des Krieges, dann wieder als Präsident beschäftigt. Auf ein recht künstlich gestelltes Porträt mit Feldherrnblick, das alle gemütlichen Eigenschaften verhüllte, sagte er dann: »So will ich auf die Nachwelt kommen!« und schrieb Namen und Datum darunter. Wochenlang saß er nun morgens im östlichen Hauptquartier, später seltener seinem »kleinen Professor«, doch keineswegs als schweigendes Modell. Immer wieder griff er ein, kam jeden Nachmittag »inspizieren«, bestimmte eine andere Stellung und war vor allem mit Knöpfen, Schnüren und Orden auf seinen Bildern beschäftigt. »Sie haben nicht gedient,« sagte er zum Maler. »Ein Mantel ohne Knopf ist eine Blume ohne Duft.« Auch brieflich greift er immer wieder in die Ausgestaltung seiner Uniform ein, setzt sich im Atelier des Malers auch einmal selber vor das Bild und malt sich Sporen an.

»Der Paletot,« schreibt er ihm einmal, »hat immer noch 6, nicht 5 Knöpfe, der Rock dagegen 8. In einer Reihe. Knopflöcher zeigen. Zum Feldmarschallstab und Fernglas gehört unbedingt bestimmungsgemäß die Feldbinde. Daß beim Regiment 147 am Kragen der gelbe Spiegel und die weiße Litze wegfällt, er also bis auf den roten Rand ganz grau ist, ist wohlbekannt.« Ein halb Dutzend Briefe, die der Maler publizierte, stets in humorigem Ton, behandelt die Frage der Knöpfe; der vorletzte, handschriftliche, ist vom 16. März 18, einige Tage vor der größten deutschen Offensive. Hier handelt es sich allerdings mehr um Hindenburgs Tannenberger Hosen: »Meine Hosen sind noch nicht dunkel genug! Auch schwarze Hosen können monumental wirken. Sind auch die Generalsstreifen nicht vergessen? Hohe schwarze Stiefel mit Anschlagsporen, nicht braune Gamaschen!«

Die meisten Glossen bezogen sich auf ein Riesenbild, das Hindenburg mit seinem Stabe in der Schlacht bei Tannenberg darstellte. Die ganze Vitalität seiner Kaste offenbarte sich, als er die Teilnehmer auf einen, ähnlich wie dort geformten Hügel befahl, wo sie mitten im Kriege, ein halbes Jahr nach der Schlacht die Szene wieder spielen mußten, damit sie der Maler im Freien skizziere, wobei sie tüchtig froren, während sie bei Tannenberg im August schwitzen mußten. Dann wurde der Maler mit einem mitspielenden Offizier auf das wirkliche Schlachtfeld geschickt, um dort alles genau aufzunehmen. An diesem Bilde wurde so viel geändert, daß es erst nach zwei Jahren fertig war. Noch mehr vertiefte sich Hindenburg in ein anderes, auf seine Erzählung aufgebautes Bild, wo er am Tage seiner Ankunft in Marienburg, dicht vor der Schlacht, riesig in seinem Mantel am Ufer steht, um die vom Abendschein gerötete Burg, den Fluß und die flüchtenden Frauen aus buschigem Auge zu betrachten. Solche Bilder, zugleich männlich und rührend, dem Bilde des Helden im Herzen der Deutschen entsprechend, waren in ihrem Kasino-Geschmack angetan, die Legende sinnlich zu stützen. Diese Wirkung kannte und suchte er eben, denn vor einem seiner Blücher-Bilder sagte er zum Maler:

»Hier sehe ich aus, als wollte ich sagen: Ich raste nicht, bevor ich alle Russen habe. Keiner darf mir entkommen!«

Da man damals, Frühjahr 15, im Osten noch in Bewegung war und jeden Tag aufbrechen konnte, trieb er den Maler an, »Tag und Nacht« an dem großen Bilde zu malen, kam mit dem Zollstock, um die Größe der Orden nachzumessen, sorgte zugleich bis auf die Gummischuhe für seinen Schlachten-Maler, erkundigte sich wiederholt nach Ullsteins Farbendrucken von seinen Bildern, führte seine fürstlichen Besucher vor die Bilder und befahl, als man ihm eines Abends erwiderte, jetzt wäre es dunkel: »In einer Viertelstunde muß alles beleuchtet sein!«, worauf die Gesellschaft an einer mit kleinen Lampen versehenen Front strammstehender Soldaten vorbei das Atelier erreichte.

»Was?« fauchte er einmal den Maler in komischer Entrüstung an: »Zu einem solchen Bilde brauchen Sie ein Jahr? Die ganze Schlacht hat 5 Tage gedauert, und die war auch lebensgroß! Und da wollen Sie mir weismachen, daß ein Bild schwerer zu malen ist, als eine Schlacht zu gewinnen!«

Aus seinem Leibmaler machte der Feldmarschall aber zugleich einen kleinen Eckermann, dem er geheime Gedanken mitteilte; über Feldherrenkunst kehrt dabei, im Gegensatze zu allen andern Feldherrn, dieser Gedanke immer wieder: »Der Feldherr darf nur die große Linie angeben. Die Einzelheiten muß er seinen Untergebenen überlassen … Die Verantwortung trägt allein der Feldherr. So eine Schlacht darf man sich nicht so leicht vorstellen. Da kann man nicht bloß kommandieren: Gewehr über, marsch! Nee, wissen Sie, da muß man ein bisken manövrieren.« (Er machte dabei den neuen Blücher bis in die ihm sonst fremde Berliner Aussprache). Eines Morgens um 8 kam er mit einem Kilometermesser ins Atelier, setzte sich hin und sagte: »So, jetzt wollen wir mal eine Schlacht entwerfen!« Das war der Ton, der in echten deutschen Herzen ein Echo fand.

Die Schwierigkeit begann erst, als der Maler den Feldmarschall mit Ludendorff zusammen malen wollte. Dieser Mann hatte weder Zeit noch Lust und, während Hindenburg, so schreibt der Maler, »Feuer und Flamme« für seine Arbeiten war, lehnte Ludendorff mit der gedankenreichen Begründung ab:

»Ich möchte erst nachher gemalt werden, wenn alles fertig ist. Die Volksgunst und das Kriegsglück sind sehr wechselnd. Die Kriegsgöttin ist ein schlimmes Weib.«

Als er sich schließlich doch bereden läßt und allein zur ersten Sitzung ins Atelier kommt, bringt ihn der vorher skizzierte Entwurf in plötzliche Wut. Hindenburg wollte, daß Ludendorff ihn auf dem Bild ansähe, wodurch offenbar der Eindruck entstand, als empfange er eine Art Befehl. Da wird der andere wütend. »Ludendorff fühlte sich,« schreibt der Maler, »in der Anordnung der beiden Porträts in Bezug auf sein militärisches Verhältnis zu Hindenburg beeinträchtigt. Bei der Unterhaltung darüber regte er sich so auf, daß er schließlich mein Bild als Dokument für spätere Zeiten als geschichtliche Unrichtigkeit bezeichnete. Langsam beruhigte er sich so weit, daß ich anfangen konnte zu malen … Die Sitzung verlief ruhig, aber kalt.« Am Abend vor Tische kam Ludendorff auf den Maler zu, um sich durch einen Händedruck zu entschuldigen. Die Gruppe wurde nach seinem Wunsche verändert.

Dies scheint der einzige Ausbruch geblieben zu sein, in dem der stolze, schweigende Zweite aufbegehrte und sein Stück Ruhm an sich zu reißen suchte. Kein Wunder, da der Feldmarschall ihm stets mit größter Artigkeit entgegenkam, ihn aber immer bei Reden und im Gespräch mit Dritten seinen »treuen Gehilfen« nannte. Als Hindenburg an Ludendorffs 50. Geburtstag auf sein Wohl trank, lautete seine Rede: »Mein treuer Helfer! … Ich kann nur sagen, Exzellenz: unersetzlich!« Warum sagte der Feldmarschall an diesem Tage, warum in seinen Memoiren von dem Manne, dem er alles verdankte, niemals: Mein treuer Kamerad? Warum gab er diesen Titel 15 Jahre später einem durch nichts erprobten Herrenreiter, den er zum Kanzler machte? Weil ein Stern mehr am Kragen die Stufenleiter bestimmte; weil Dienst und Rang die Zeiger waren, von denen Hindenburg die Uhr seines Lebens ablas.

Die Bilder wollten nicht fertig werden, immer wieder wurden sie verändert, nicht etwa, daß ein Kenner die Farben tadelte, nur wegen Uniform und Rang; auf einem Bilde der beiden Feldherrn mit ihren Mitarbeitern fand Hindenburg den General Ludendorff »zu sinnend«: erstaunlich, nach allem, was sich durch Tag und Jahr zwischen ihnen zutrug.

Der Kaiser hatte neue schwere Bedenken. Als man ihm die Bilder vorführen wollte, forderte der Hofgeneral roten Samt, von dem sich der Goldrahmen nach dem Geschmack des Kaisers abheben müßte. Der Maler rannte in dem Städtchen Pleß am Abend herum: nirgends roter Samt! Schließlich fand er ihn bei einer bürgerlichen Braut, die in einen roten Samtsalon hineinheiraten sollte und strahlte, als man ihr erlaubte, ihren späteren Hausfrauen-Sitz vorher dem Hohenzollern-Auge zu unterbreiten.

Andern Tages fand der Kaiser, Ludendorffs Mund könnte etwas mehr geöffnet sein, »aber sonst bin ich sehr zufrieden. Sie haben den Feldmarschall als maßgebend richtig hervorgehoben.« Auf dem Bilde von Tannenberg rügt der Kaiser, Ludendorff sei dem Feldmarschall zu nahe aufgestellt, »das führt irre, denn es ist der Feldmarschall, der die Schlacht gewonnen hat!« Als der Maler etwas zu erwidern wagt, schließt der Kaiser: »So will ich's!« Später verspricht sich ein Hofgeneral, der den Krieg bisher nur aus Schlachtenbildern Friedrichs des Großen kennengelernt und deshalb schlummernde Erinnerungen an abgefeuerte Feldhaubitzen hat, von einer im Hintergrunde feuernden Batterie bedeutende Wirkung; der Maler sagt nicht nein, aber Hindenburg verbietet's und schließt: »Im übrigen wird es so gemacht, wie ich will!« (Der gute Maler läßt all diese Demütigungen drucken). Hindenburgs letzter Brief wegen des Bildes von Tannenberg stammt tatsächlich vom 7. November 18.

Auch über den Ablauf der Schlacht war Einigkeit nicht zu erzielen. Jeder der beiden Feldherrn sang diese Lieblingsarie des Publikums, das Lied von Tannenberg, allein für sich und zwar so, als gäbe es keinen zweiten Interpreten. Nie hat ein Mensch den einen Feldherrn in Gegenwart des andern von der berühmten Schlacht erzählen hören; jeder fing an: »Damals, als ich Tannenberg gewann …«

Während Hindenburg in den höchsten Krisen der Schlachten Schlag Ein und Acht Uhr zu Tische erschien, immer in Laune, sah man Ludendorff an gewissen Tagen gar nicht oder bleich, die Lippen beißend, während er etwas herunterwürgte, nach neuen Berichten sich umwenden, dann lief er wieder fort. Um sich zu beruhigen, strich er gern seine Mundwinkel nach unten. »Er strich noch immer weiter,« spottete nachher der Adjutant, »obgleich sie längst unten angelangt und gar nichts mehr zu streichen da war.« Rollte er seine Brotkügelchen nur langsam spielend in einer Hand, so wußte man, er war ruhig; drehte er schnell, dann war Gewitter im Anzug, drehte er mit beiden Händen, so hatte es schon gekracht.

Beim Malen hatte er zuerst nur gegähnt und gestöhnt. Als er jetzt auf dem Doppelbild über die Kriegskarte gebeugt stehen sollte, hatte sich der Maler eine aktuelle Karte verschafft, so daß Ludendorff, beständig in seine Pläne verstrickt, den Zirkel ergriff, nachdachte, das Malen vergaß und dadurch den gespannten Ausdruck erhielt, den der Maler brauchte. Einmal aber sprang er nach wenigen Minuten auf, rief aus: »Heut steht das Schicksal Deutschlands im Westen auf des Messers Schneide! Ich habe keine Seelenruhe zum Malen!« Ludendorff, im Osten über eine Schlacht erregt, die ohne sein Zutun im Westen geschlagen wird: es gibt Menschen, die eine solche Nervosität der Unerschütterlichkeit vorziehen. Als aber der Maler dies am Abend erzählte, sagte Hindenburg:

»Ja ja. Ruhe ist heute die Hauptsache. Den Krieg gewinnt, wer die besten Nerven hat.«

Diese Antworten, diese Haltung und Unbeirrbarkeit wirkten damals auf alle Welt monumental und haben von einem Jahr zum andern die Legende des Mannes erweitert, obwohl der Ausgang des Krieges seinen Satz von den Nerven nicht direkt bestätigt hat. Doch hat es stets bescheidene Leute gegeben, die auch nach dem Tode des Patienten den Arzt zu rühmen wissen, weil er sie so lange glauben machte, er würde ganz bestimmt gesund.

Umrauscht vom Ruhme des unbesiegbaren Feldherrn mußte es Hindenburg am Ende selber glauben. Jetzt fing er an, sich mit Napoleon zu vergleichen. »Sie kennen meinen Grundsatz,« sagte er dem Maler, »keine Soldaten unnütz zu opfern. Das tat Napoleon, da er fremde Völker vorschickte, ich aber nicht, denn es sind alles Landeskinder.« Und als er auf der Karte wieder einmal die Schlacht bei Tannenberg erklärt, erinnert er aufs neue an den Sieg der Polen vor 500 Jahren; er legt den Nagel auf einen Fleck: »Damals war das Feld der Ordensritter so groß wie mein Nagel. Aber das Feld, wo ich jetzt die Slaven schlug, ist so groß wie meine Hand. Daß ich den Schimpf gerächt habe, ist mir eine große Freude.«

Wie dieses Leben im Hauptquartier das Selbstgefühl des alten Generals immer höher heben mußte, das hat später bedeutenden Einfluß auf seine Entschlüsse gewonnen. Welche Veränderung! Ein armer Landjunker, der sich mühsam durchgeschlagen, hatte einige Jahre als Kommandierender General stattliche Repräsentation geübt, großen Respekt genossen, aber doch nur im Kreise Magdeburg, immer unter denselben Lokalgrößen der Provinz Sachsen, und auch nur bei Empfang und Festen, ein Dutzend Mal im Winter. Jetzt saß er jeden Tag an der Spitze der Tafel, und beinah jeden Tag saßen Gäste aus aller Welt zu seiner Rechten und Linken, die kamen, um ihn anzuschauen. Fast jeder Abend hatte ein formelles Gespräch, mit Empfängen, Vorstellen, Zutrinken, Danken. Grafen und Fürsten, Prinzen und Könige, Orientalen und Chinesen waren mit einem Male die Gäste eines bis gegen Siebzig in seinem Kreise ruhig dahinlebenden Mannes. Über alle aber ragte er körperlich hervor, und da jede Beschreibung aus dem Felde diese gewaltige Körperlichkeit an die Spitze setzt, hatte er aufs neue seinem bürgerlichen Ahnherrn, dem Grenadier des Königs Friedrich, den ersten Eindruck zu danken, den seine Persönlichkeit erzeugte.

Von der erfindenden Arbeit durch seinen Gehilfen befreit, ein hoher, verwaltender Offizier, prachtvoll gepflegt, Gegenstand beständiger Huldigung des Volkes in Briefen und Geschenken, der Ehrerbietung der höchsten Personen durch ihre Besuche: so war Hindenburg eigentlich der glücklichste Deutsche im Kriege. Unter allen Feldherrn, zu deren persönlichem Vergnügen die Kriege ja im Grunde geführt werden, hatte keiner so wenig persönliche Störungen zu leiden, wie er.

 

VI

Was war natürlicher als ein Zusammenstoß zwischen dem Volkshelden und dem Hofgeneral? Würde ihn ein Dramatiker nicht konstruieren, wenn ihn die Geschichte nicht darböte? Das Mißtrauen gegen Falkenhayn, der Zusammenbruch des Schlieffenschen Planes an der Marne, der verständliche Wunsch jedes Generals, seinen Spezialfeind, hier also den Russen, weiter zu verfolgen, kamen zusammen, um den Gegensatz zwischen Hindenburg und seinem neuen Vorgesetzten zu beschleunigen. Das Fatale war nur, daß dies zugleich ein Gegensatz zum Kaiser werden mußte.

Während mehrere Millionen Deutscher an die Weisheit und Sachlichkeit ihrer Führer glaubten, – wie hätten sie sich sonst hingeben können! –, wurden sie das Opfer von Eifersüchten, Hofintrigen und Rang-Streitigkeiten, die erst nach Jahren aus dem Grabe der Akten aufsteigen, wie die Geister der Gefallenen, anklagend aus ihren Gräbern, und fragen: Wofür sind wir gefallen!

Weil Hindenburg der Volksheld war und die Entscheidung des Krieges nun, da sie im Westen nicht fiel, im Osten suchte, wo er gesiegt hatte, ließ Falkenhayn mit doppelter Zähigkeit die deutsche Jugend in Ypern verbluten, ohne Aussicht dort durchzukommen. Weil der Deutsche mit dem österreichischen Kaiser im Frieden verabredet hatte, er werde alle Truppen gemeinsam führen und Conrad von Hötzendorff sich jetzt dagegen sträubte, griff Falkenhayn in diesen Streit zwischen Habsburg und Hohenzollern ein und ließ Conrad selbständig handeln, um Hindenburgs Lage zu schwächen. Als dieser auf Warschau marschiert, bleiben die Österreicher zurück, 60 deutsche Bataillone stehen 224 russischen allein gegenüber, die Straße nach Breslau und Berlin liegt für die Russen beinah frei, Hindenburg dreht schleunigst um. Einige Kritiker nennen diesen Rückzug das Bedeutendste, was die beiden Feldherrn gemacht hätten. Die Kriegskunst bleibt die merkwürdigste von allen Künsten: wenn er siegt, ist der Feldherr groß, wenn er aber geschickt zurückweicht, ist er noch größer. In allen andern Künsten wird der Mißerfolg getadelt.

Noch zweimal wollten Hindenburg und Ludendorff den Vernichtungsschlag gegen Rußland führen, doch der Kaiser und Falkenhayn, erschreckt durch ihre eignen Mißerfolge, erlaubten keine Angriffsschlacht, sie erlaubten nur das sogenannte »Zermürben«. Freilich war Eifersucht nicht das einzige Motiv; daß es aber mitbestimmte, zeigt die Leidenschaft, mit der Falkenhayn, in allem des Kaisers Instrument, die volkstümlichen Feldherrn, seine Untergebenen, zu schädigen suchte. Hatte er nicht als Grundsatz der Strategie gelernt, die Kräfte des Feindes wären zu trennen, um sie dann einzeln zu schlagen? Wie, wenn er den gefährlichen und glühenden Menschen, der alles machte, den General Ludendorff von dem Alten abtrennte, so daß dieser allein dastand, um dem deutschen Volke sein Genie zu erweisen? Und er befiehlt Ludendorff, im Osten eine Süd-Armee aufzustellen, die er befehligen soll. Das war der erste Schlag des Kaisers gegen den Volkshelden.

Da erhebt sich zum ersten Male der alte Königsdiener gegen seinen König. Sein opponierender Brief, formal eine Unmöglichkeit, ist nicht publiziert. Er muß nicht bloß gegen den letzten Befehl Falkenhayns, sondern gegen den ganzen Mann Stellung genommen haben, denn Moltke schreibt im Januar 15 an Hindenburg: »Ich weiß, wie schwer Ihrem königstreuen Herzen es geworden ist, den Gedanken, den ich über General Falkenhayn habe, und Ihr Urteil über ihn in die Tat Ihres Schreibens an Seine Majestät umzusetzen. Gott gebe, daß Ihr Vorgehen Erfolg habe! Dieser Mann stürzt uns alle, Thron und Vaterland ins Verderben … Nur Sie konnten und mußten so schreiben … Ich drücke Ihnen die Hand, Exzellenz. Ich stehe und falle mit Ihnen.« Moltke war angeblich ein Gottsucher. Hört man den falschen Ton, mit dem er Gottes Namen in seine Intrige einschmuggelt? Da er längst gefallen ist, kann er nicht stehen, und da er mit den grollenden Generälen zusammen arbeitet, verwundert es nicht, daß dem Brief gleich ein Abgesandter Hindenburgs, der Major von Haeften auf dem Fuße folgt, um Moltkes Wiedereinsetzung beim Kaiser durchzusetzen.

Schon jetzt, drei Monate nach Hindenburgs Heraufkunft, ist der Kaiser sein halber Gefangener. Zwar, den Major jagt er gleich weg und will von Moltke nichts mehr hören, der ihn so sehr enttäuschte. Aber die beiden neuen Männer zu trennen, wagt der Kaiser nicht mehr, erläßt, gegen Falkenhayns Ordre, neuen Befehl, Ludendorff bei Hindenburg zu lassen und anerkennt damit ein Recht des Feldmarschalls, direkt mit dem König zu verkehren. Auch dies ist, diplomatisch gewendet, einer jener Rückzüge, die die Kritiker besonders rühmen, aber es ist der erste Rückzug des ergrauten Wilhelm, der als Jüngling Bismarck zu stürzen wagte. Die Kaiserin, sein Bruder und sein Sohn, Bethmann vor allem haben Einfluß auf den Kaiser genommen: sie spüren, den Volkshelden muß man an die Spitze bringen, aber der Kaiser wird noch anderthalb Jahre brauchen, bis er sich entschließt, durch diese Ernennung sich selber matt zu setzen.

»Hindenburgs Ruhm,« berichtet damals Prinz Hohenlohe, österreichischer Botschafter, von Berlin nach Wien, »läßt Falkenhayn nicht los … Falkenhayn ist gewiß schon aus dem Grunde mit allem Nachdruck für eine große Offensive in Galizien eingetreten, damit eventuell ein Sieg ohne Hindenburg erfochten werde … Hierbei spielt natürlich mit, daß Kaiser Wilhelm bei aller Würdigung von Hindenburgs Verdiensten eine gewisse eifersüchtige Regung auf die wirklich ins Ungemessene steigende Popularität des Feldmarschalls nicht ganz unterdrücken konnte, und es auch seinerseits höchst willkommen hieße, den Mann, den er gegen die Ansicht sehr vieler hoher Militärs auf die Stelle des Chefs berufen, als Sieger feiern zu können. Daß Hindenburg … ihn gegen Falkenhayn einzunehmen suchte, hat den Kaiser nur bestärkt, ihn zu halten und nunmehr ganz besonders auszuzeichnen.«

Das also sind die Hintergründe von Schlachten, Truppen-Verschiebungen und Niederlagen, die hunderttausende gutgläubiger Deutscher, vertrauend auf die Worte ihrer Führer, für das Wohl des Vaterlandes zu schlagen glaubten. Die Schlachten sind vergessen, und wer von beiden Recht hatte, der vernichten, oder der zermürben wollte, interessiert nur noch die Kriegsgeschichte, die wir nicht schreiben. Aber der Kampf der Charaktere bleibt über die Zeiten weg bedeutsam.

Da ist ein König, der zwanzig Jahre lang die Welt mit Reden von seiner gepanzerten Faust und seiner schimmernden Wehr haranguiert, die Feldherrnkunst aber nicht gelernt hat, im Kriege, den er beständig angedroht, die Nerven verliert, sich hinter alte Generäle stecken muß, die ihm den Thron retten sollen; dann aber wird er eifersüchtig, wenn sie es zu gut machen und die Untertanen ihnen zujubeln, sucht ihren Siegeslauf aufzuhalten und schickt die Truppen lieber ihrem Rivalen, der von ihm selber entdeckt wurde und sich immer so hübsch verbeugt, damit er den Schlachtenruhm gewinne, der den Scharfblick seines Königlichen Herrn bestätige. Da ist ein kranker General, der aus Nervenschwäche die Entscheidungsschlacht verloren hat, aber schon drei Monate später, statt sich mit seiner Theosophie zu beschäftigen, auf dem breiten Rücken des neuen Volkshelden wieder auf sein Dirigentenpult zurückklettern will. Da ist ein Günstling, der in der Lebensgefahr des Reiches den Grundplan des deutschen Krieges so einrichtet, daß nicht der viel beneidete Volksheld siegt, sondern noch lieber der verhaßte Bundesgenosse. Muß nicht in einer so dumpfen Welt, vor solchen Dokumenten die Sympathie zu den beiden Feldherrn zurückkehren, die im Unterschiede zu allen andern jedenfalls Einmal zu siegen verstanden haben?

Man kann ihre gefährliche Allmacht in späterer Zeit nicht verstehen, wenn man ihren Kampf gegen jenen Übergeordneten nicht gestreift hat. Während Hindenburg das russische Heer in Polen und Galizien in die Zange nehmen und mit dem Beistand des österreichischen vernichten will, hält ihn Falkenhayn durch Gegenbefehl hin, damit schließlich, im Mai 15, der Durchbruch durch die Russen bei Gorlize von einem andern, dem General von Seeckt durchgeführt wird, was später zu neuen, politisch bedeutsamen Feindschaften führen soll. Als der Kaiser, um den Volkshelden besser zu bändigen, sein Großes Hauptquartier nach Posen verlegt hat, wo Hindenburg und Ludendorff zufällig beide geboren sind, hierher nach Osten, obwohl er die Entscheidungsschlacht im Osten ablehnt, als hier Falkenhayn nicht genug Truppen und Material bewilligt für einen neuen großen Vorstoß, in Richtung Kowno-Grodno, macht Ludendorff in Gegenwart des Kaisers die erste laute Szene, so daß die Kaiserin vermitteln muß.

Falkenhayn sucht inzwischen seine Lorbeeren vor Verdun und opfert dafür eine halbe Million Menschen. Währenddessen läßt er Hindenburg den zweiten Kriegswinter tatenlos verbringen, und als dieser sich aufs neue beim Kaiser beschwert, erwidert ihm Falkenhayn: »Ob Eure Exzellenz den Anschauungen der Obersten Heeresleitung beipflichten, kommt, nachdem eine Allerhöchste Entscheidung ergangen ist, nicht mehr in Betracht. In diesem Falle hat sich jeder Teil unserer Wehrmacht der Obersten Heeresleitung bedingungslos anzupassen … Die übrigen Punkte Ihres Telegramms zur Allerhöchsten Kenntnis zu bringen, muß ich ablehnen, weil es sich um nichtaktuelle historische Betrachtungen handelt, mit denen ich jedenfalls dem Obersten Kriegsherrn in diesen ernsten Tagen nicht näher treten will.«

Er sagt nicht Ich, der geschmeidige Hofgeneral, obwohl er die Oberste Heeresleitung allein darstellt und die Allerhöchste Entscheidung in einem Kopfnicken vor dem Frühstück bestanden hat; und der Kaiser, den man jetzt nicht stören darf, ist froh über jeden Besucher, denn er langweilt sich im Kriege so, daß man allerlei erfinden muß, um ihn zu beschäftigen. Die beiden Feldherrn aber sind »zu fast völliger Untätigkeit« in diesem Winter verdammt. Während sich vor Verdun die Jugend zweier Völker verblutet, macht der erste Stratege des Krieges Organisation der eroberten Provinzen, und der Volksheld, der vernichten und siegen möchte, erzählt gerne von dem mächtigen Elch, einem Schaufler, und von einem Wisent, die er im russischen Forst vor Bialowics im Januar 16 schoß, einen kapitalen Bullen, dessen schwarzer Kopf schon seit 600 Jahren aus dem Familien-Wappen hervorblickte.

Bei diesem, in ihren Villen abgeschlossenen Leben bleiben den beiden Feldherrn die Gefühle und Gedanken ihrer Truppen fremd, und doch sind es keine Maschinen oder doch solche, die sich eines Tages dem Andrehen störrisch widersetzen werden. Ihr äußeres Leben verläuft jetzt und später abgeschlossen. Daß sie die größte Waffe des Feindes, den Hunger nicht an sich selber kennen lernen, ist in der Ordnung; aber sie sehen auch nie einen Soldaten oder eine Arbeiterin, die unterernährt sind. In Hindenburgs Memoiren kommt zwar oft »die wunderbare Leistung unseres braven Heeres« vor, aber sie klingt wie die Belobigung des Landjunkers für die Bauern nach der Ernte. Im patriarchalischen Tone hat er gerne die Leute angesprochen, gefragt, ob die Bohnensuppe gut sei, und diese dankbaren Deutschen erwiderten strahlend: »Jawoll, Herr General-Feldmarschall!« Nirgends aber findet sich in seinem Buche die Erinnerung an ein Wort aus diesem grauen, endlosen Volksheere, ein Gespräch, ein Gesicht, ein Aufblick. Noch im Oktober 18 hat Hindenburg, als das gebändigte Volk aufzugrollen begann, die vorgeschlagene gleiche Kost für Stäbe und Mannschaft gegenüber dem Reichskanzler abgelehnt.

Da ist eine kleine Begegnung aufgezeichnet. Der Feldmarschall geht im Herbst 15 mit seinem Leibmaler spazieren, in einem östlichen Landstriche, in den die Russen früher eingefallen waren. Sie treffen eine Frau, er hält sie an, will wissen, wie es unter den Russen war: die Frau antwortet nicht. Schließlich fragt er ungeduldig:

»Ich will wissen, was los war, was Ihnen damals passiert ist!« Darauf die Frau:

»Herr Hindenburg muß nicht fragen, was passiert ist, sondern was nicht passiert ist!« Mit rotem Gesicht läuft die Frau davon.

Diese Begegnung, die der Maler Vogel aufgeschrieben, hat keinen Epilog, den der zum Hofmann gewordene Maler hinzugefügt hätte. Hindenburg steht nicht überrascht vor dieser Szene, läßt sich nach ihr nicht erkundigen, welches Schreckliche der Frau geschehen sein muß, sagt nichts über diese oder über eine einzige der hundert Antworten, die man ihm gegeben. Am Abend, in seinem Kasino, wo beständig komische Worte von der Front erzählt werden, hört man niemals von einer ähnlichen Wendung. Sie begreifen es nicht. Das Volk ist da, Antwort zu geben. Ist eine Frau störrisch, wird frech und läuft davon, so mag sie froh sein, daß man sie nicht verhaftet. Was ist denn auch passiert? Nichts ist passiert, weder Hindenburg heute noch damals der Frau.

Und es mehren sich die Stimmen der Zeitungen und der Besucher, die den beiden, so ungern tatenlosen Siegern die Macht übergeben möchten. »Es gäbe nur ein Mittel,« schreibt Tirpitz schon im März 15: »Hindenburg würde Reichskanzler und Chef des Generalstabes und Chef des Admiralstabes in einer Person … Ich kenne ihn persönlich nur ganz oberflächlich und habe gar kein Urteil, ob er auch etwas politischen Blick hat. Er soll ein kluger, gesunder Mann sein; der eigentliche Spiritus für die kühnen und gewagten Unternehmungen im Osten soll Ludendorff sein.« So denkt einer der mächtigsten und selbständigsten Männer des Reiches, und er wird in Hindenburgs Leben noch einmal entscheidend eingreifen. Heut kennt er ihn nicht, aber die Legende spürt er in allen Poren, und da er kein Hofadmiral ist, träumt er von Diktatur.

Doch erst anderthalb Jahre nach diesem Stoßseufzer hatte Falkenhayn sich genug blamiert, um zu verschwinden. Der Sturm auf Verdun, der 225.000 deutsche Leben gekostet, war zusammengebrochen, Rumänien war in den Krieg getreten. Der Kanzler Bethmann, noch ein Schwächling mehr, suchte, indem er auf Hindenburgs Ernennung drang, eine Autorität, an die er sich lehnen könnte, und sah nicht voraus, daß diese Gestalt zwar stark genug war, um ihn zu stützen, doch auch, um ihn zu zertreten. Man schreibt August 1916, zwei Jahre nach der Schlacht von Tannenberg. Der Kaiser fürchtet sich vor dem Blick seines erfolglosen Protégés, verschweigt Falkenhayn seine Entlassung, heißt einen andern Hofgeneral an Hindenburg telephonieren, die beiden Feldherrn möchten rasch ins Hauptquartier kommen, Falkenhayn wisse von nichts. Dann empfängt sie der Kaiser in heiterer Stimmung auf der Schloßterrasse – Wilhelms Staatsakte spielen auch im Kriege stets auf Terrassen, im Park, in Empfangssälen und sind immer mit Frühstück verbunden – und ernennt Hindenburg und Ludendorff zu den Obersten Heerführern.

Ihre Titel sind traditionell, die Macht ist neu. Ludendorff erhält das ausdrückliche Recht, im Fall eines Dissensus mit Hindenburg direkt an den Kaiser zu appellieren; was aber Hindenburg an Macht erhält, ist garnicht zu definieren. Er hat sich nicht dazu gedrängt, ja er weiß in diesem Augenblicke kaum, in welcher Weite sie von nun an Deutschlands Diktatoren sein werden. Daß beide Männer Falkenhayn bekämpften und glaubten, sie machten es besser, war ganz gerecht, und Ludendorffs Ehrgeiz glühte nach der höchsten Macht.

Hindenburg aber wurde zu ihr durch die Legende emporgetragen.

 

VII

An diesem Augusttage 16 im Schlosse Pleß in Schlesien fand Bismarcks Verfassung in einem Hauptpunkt ihr Ende. Nach ihr war der Kaiser allein der Oberste Kriegsherr, dem der Chef des Generalstabes verantwortlich war wie ein Prokurist dem Geschäftsinhaber, der ihn jederzeit entlassen konnte. Jetzt hatte er zwei Chefs, wurde selber dekorativ wie der König von England, und war praktisch nicht mehr in der Lage sie zu entlassen. Aber auch bei Differenzen der politischen mit der militärischen Leitung, die jeden Augenblick eintreten mußten, war ihm die Stellung des obersten Richters entglitten. Wilhelm der Zweite, der seine Macht unmittelbar von Gott empfangen, der die Welt als allmächtiges und alles könnendes Genie so lange herausgefordert hatte, war jetzt zu einem Schatten gesunken. Mißlang den beiden Männern, die er in der Panik des Kriegsanfanges zuerst nach Osten geschickt, das große Unternehmen, so verlor der Kaiser die Krone.

Mit langsam fassender Faust ergriff Hindenburg, mit rascher Hand Ludendorff die vierfache Diktatur. Als oberste Feldherrn schickten sie ihren Gegner Falkenhayn nicht in die Wüste, sondern nach Rumänien, wo er sich durch rasche Siege Ruhm erwarb; offenbar war auch er ein geborener Zweiter. Ein neuer Grundplan wurde von Ludendorff aufgestellt, doch nicht im Sinne seiner jahrelangen Anträge, sondern zum Erstaunen der Fachleute mit dem Hauptstoß nach Westen. Hatte Frankreich als der sogenannte Erbfeind die magische Kraft, jeden deutschen Oberbefehlshaber anzuziehen, oder hoffte er damals schon auf die russische Revolution? Die Entwickelung der nächsten zwei Jahre zeigt Unentschiedenheit in der Frage der Truppenverteilung, doch stets mit dem Schwergewicht nach Westen, wo die Feldherrn am Ende die Entscheidung suchten und verfehlten.

Die zweite Diktatur richtete sich nach innen, wo bis dahin die Stellvertretenden General-Kommandos regierten, nach der Verfassung unter dem Befehl des Kanzlers; jetzt nahmen die beiden Feldherrn den Befehl und damit die Behandlung der langsam wieder auftauchenden Parteien, Schutzhaft, Zensur und alles in die Hand, was die Stimmung im Innern bestimmte. Da sie die Versorgung mit Kriegsmitteln übernahmen, ergriffen sie die Diktatur der Wirtschaft. Schließlich mündeten die Probleme der Kriegsziele, der Friedensangebote, später auch der Friedensschlüsse bei der Obersten Heeresleitung, das heißt, da praktisch kein Kaiser mehr da war, in den Händen der beiden Feldherrn; dies war die Diktatur der Äußeren Politik.

Welche Vorbildung hatten sie für diese Diktaturen, mit Ausnahme der militärischen? Verstanden eigentlich die beiden Feldherrn die Wirtschaft, den sozialen Körper Deutschlands und den Aufbau der Klassen? Wann hatten sie sich mit fremden Ländern beschäftigt, ihrer Struktur und Geschichte, den Gründen und Folgen des gegen Deutschland gerichteten Kampfbundes? Welche Kenntnisse besaßen sie, denen Lloyd Georges oder Clémenceaus entsprechend, die zwar unter Kontrolle, also weit schwächer, doch mit Macht gegen sie arbeiteten? Lassen wir Hindenburg selber antworten:

In seinen Memoiren nennt er sich »eine unpolitische Natur. Betätigung innerhalb der Gegenwarts-Politik widersprach meinen Neigungen. Vielleicht war hierfür mein Hang zur politischen Kritik zu schwach, vielleicht auch mein soldatisches Gefühl zu stark entwickelt. Auf letztere Ursache ist dann wohl auch meine Abneigung gegen alles Diplomatische zurückzuführen. Man nenne diese Abneigung Vorurteil oder Mangel an Verständnis … Ich hatte das Empfinden, als ob die diplomatische Beschäftigung wesensfremde Anforderungen an uns Deutsche stellt.« Er habe im Kriege niemals »das Bedürfnis und die Neigung gehabt, mich mehr als unbedingt notwendig mit gegenwärtigen politischen Fragen zu beschäftigen,« und er zitiert Moltkes Worte: »Der Führer hat bei seinen Operationen den militärischen Erfolg in erster Linie im Auge zu behalten. Was aber die Politik mit seinen Siegen und Niederlagen anfängt, ist nicht seine Sache, deren Ausnützung ist vielmehr allein Sache des Politikers.«

»Andrerseits,« fährt er fort, »würde ich es aber doch vor meinem Gewissen nicht haben verantworten können, wenn ich nicht meine Anschauung in all den Fällen zur Geltung gebracht hätte, in denen die Bestrebungen anderer uns nach meiner Überzeugung auf eine bedenkliche Bahn führten, wenn ich da nicht zur Tat getrieben hätte, wo ich Kopflosigkeit oder Tatenunlust zu bemerken glaubte, wenn ich endlich meine Ansichten für Gegenwart und Zukunft nicht dann mit aller Schärfe vertreten hätte, wenn die Kriegsführung und die zukünftige militärische Sicherheit meines Vaterlandes durch politische Maßnahmen berührt oder gar gefährdet wurde … Wenn jemand jedoch meine Ansicht haben wollte, wenn eine Frage kam, die einer Erledigung und Äußerung von deutscher Seite wartete und keine fand, dann sah ich keinen Grund dafür ein, warum ich schweigen sollte.«

An dieser Stelle beginnt die tragische Verwicklung. Ein Soldat, der politische Interessen und Talente ablehnt, diplomatische dem Deutschen ganz abspricht, stützt sich auf den Satz seines Meisters, der jede politische Auswertung der Kriegstaten dem Politiker zuschreibt; doch zugleich erklärt er sich in seinem Gewissen beunruhigt, wenn er nicht vor einer kopf- und tatenlosen Regierung mit aller Schärfe seine Politik vertreten, unerledigte Fragen beantworten, wenn er nicht in Fragen zukünftiger Sicherheit, das heißt in alle Friedensfragen eingreifen würde. Da Hindenburg sich nicht an seine Stelle geschlängelt oder gekämpft hatte, sondern buchstäblich vom Volkswillen auf sie gehoben war und dies auf Grund einer siegreichen Schlacht: durfte er sich als Vollstrecker des nationalen Willens ansehen? Gab diesem Pflichtmenschen die Ohnmacht des Königs das Recht, über jede preußische Tradition hinweg nicht bloß Blücher und Gneisenau, sondern zugleich noch Hardenberg, den Staatsmann zu spielen, dem sich Gneisenau immer untergeordnet hatte? Glich Deutschlands politische Lage wirklich der eines brennenden Hauses, in dem mangels Feuerwehr irgend ein beherzter Laie die Führung übernimmt, um die Bewohner nach bestem Können zu retten?

Wie aber nun, wenn sich aus dem Volke andere Gedanken und Forderungen erhoben, wenn durch den Mund der Volksvertreter Klassen, die den beiden Feldherrn fremd waren, sich der Meinung des Volkshelden entgegenstellten und Verständigung statt Eroberung forderten? Nach welchem moralischen Rechte, da kein geschriebenes da war, durfte er bei so erklärter Antipathie gegen die Politik neue Energien ausschalten, die sich aus »Kopflosigkeit und Tatenunlust« vielleicht erheben wollten? Durfte er neue Vorschläge zur Rettung ersticken, indem er mit seinem Abgang drohte, den die Nation nicht ertrug? Räumt man die Schwäche sowohl des Kaisers, des Kanzlers wie des Reichstages ein, so bleibt es noch immer ein kühnes Unterfangen, als unpolitische Natur die höchsten politischen Fragen zu meistern, und das Beste, was die Geschichte den beiden Feldherrn als politischen Diktatoren zubilligen kann, ist, daß sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.

Diese merkwürdige Beruhigung, die für einen in der Irre gehenden Musketier gilt, wird schon für einen Arzt von Gesetz und Volksurteil abgelehnt, wenn er einen sogenannten Kunstfehler macht, und ist, auf Könige, Minister oder Feldherrn angewandt, eine ebenso unzureichende Entschuldigung wie das Wort Patriotismus. In so hoher Stellung ist nicht die Frage, ob einer sein ganzes Wissen einsetzt, – denn warum sollte er nur das halbe einsetzen –, sondern ob dies Wissen genügte, um zu entscheiden. Es hat in allen großen Fragen nicht genügt.

Bei all dem waren die beiden Feldherrn klug genug, die formelle Leitung Andern zu überlassen. Ludendorff, auch politisch der Treibende, bestätigt, man habe ihn oft zum Reichskanzler vorgeschlagen, aber »um den Weltkrieg zu führen, mußte ich das Kriegsinstrument beherrschen. Das verlangte schon eine ungewöhnliche Arbeitskraft. Undenkbar war es, daneben die Leitung der ungemein schwerfällig arbeitenden Regierung zu übernehmen. Deutschland brauchte einen Diktator, der in Berlin und nicht im Großen Hauptquartiere saß.« Wie lange hätte Ludendorff sich wohl mit einem zivilen Diktator vertragen, da er schon einen militärischen Vorgesetzten nur vertrug, weil er zu schweigen pflegte! Wo hätte er die Grenze zwischen Kriegsführung und Politik anerkannt, da in jahrelanger Belagerung jede Frage der Wirtschaft an die des Krieges stieß, und da ein Soldat nach seinem Siege nur schwer auf den Preis verzichten lernt! Und Hindenburg? Erinnerte er sich vielleicht an jene Tage nach der Schlacht von Königgrätz, wo er als 18-jähriger Leutnant mit seinem Kameraden durchs Fernrohr schon den Stephansturm in Wien suchte und knirschend erfahren mußte, der Politiker, der das ganze Spiel angefangen, habe plötzlich zum Rückzug geblasen? Hatte er vielleicht nachträglich Bismarcks Weisheit erkannt, der nur diesen einen klugen Frieden schloß, als er in Nikolsburg auf den Siegespreis verzichtete?

Nein, es war neben der Legende wirklich der Mangel eines Bismarck, der diese unpolitische Natur und ebenso Ludendorff, der sich ja auch als »Soldat und nicht Politiker bekannte«, zu politischen Diktatoren machte. Ihr Fehler war nicht, daß sie diese Macht an sich rissen, sondern daß sie sie im Gefühle ihrer geistigen Ohnmacht, ja erklärter Abneigung nicht von sich wiesen. Obwohl Hindenburg Bismarck nicht liebte, sind ihm gewiß einmal seine Memoiren zu Händen gekommen, worin es heißt: »Die Feststellung und Abgrenzung der Ziele, die durch den Krieg erreicht werden sollen, die Beratung des Monarchen in betreff derselben ist und bleibt während des Krieges wie vor demselben eine politische Aufgabe, und die Art ihrer Lösung kann nicht ohne Einfluß auf die Art der Kriegsführung sein.«

Leise klingt dahinter die Stimme eines seiner blutarmen Nachfolger, Bethmanns, der nach der Ernennung der beiden Feldherrn vor seinem eignen Rat erschrak und zu seinem Mitarbeiter sagte: »Jetzt haben wir den Falkenhayn ersetzt durch Ludendorff. Das ist sicher der bessere Stratege, aber ich fürchte, er wird mir die ganze Politik ruinieren.«

Daß er es wirklich tat, bezeugte Bethmann später mit diesen Worten: »Es gab kaum eine Frage der Politik, in der Ludendorff und die Oberste Heeresleitung nicht allein die Mitwirkung, sondern auch die Entscheidung verlangte, … weil sonst der Krieg verloren gehen und Hindenburg die Verantwortung nicht länger tragen könne. Anfangend mit der Adoption persönlicher und geschäftlicher Verkehrsformen, die gedeihliche Zusammenarbeit fast ausschlossen, sich steigernd zur Bekämpfung der politischen Leitung, haben die Verhältnisse der Juli-Krisis zu einem Regime geführt, das die Alleinherrschaft der militärischen Leitung außer Zweifel stellte.«

Wie aber, wenn Hindenburg selber vielleicht in politischen Dingen ganz ausgeschieden wäre? »Ludendorff,« – so bekundete in der Untersuchung der General Wetzell – »war nicht der Mann, der alles so machen konnte, wie er wollte. Zwischen ihm und dem Obersten Kriegsherrn stand immer noch die eherne Figur des Feldmarschalls, in allem, sowohl in militärischen wie in politischen Dingen.« »Der Kaiser als Person,« schreibt Brecht für denselben Ausschuß, »war fast völlig zurückgetreten, und als der wahre Oberbefehlshaber des deutschen Heeres erscheint Hindenburg. Er ist auch derjenige gewesen, der nicht nur durch seine Persönlichkeit nach außen hin die ganze deutsche Heeresmacht einheitlich zusammenfaßte, sondern der auch in letzter Linie die endgültige Entscheidung traf.« General von Kuhl: »So hoch der Einfluß des mitverantwortlichen Ludendorff auch eingeschätzt werden mag, in erster Linie ist Hindenburg doch Träger der Verantwortung.«

Er hat sie niemals abgewälzt: schmückte er sich mit den Siegen aus Ludendorffs Geiste, so trug er später auch die Vorwürfe gegen dessen Politik. In einem seiner drohend-devoten Briefe an den Kaiser fordert Hindenburg gradezu die Entscheidung über »alles, was das Leben des deutschen Vaterlandes berührt.« Damit hatte seine Macht einen Grad erreicht, wovon der Bericht Bismarck mit Neid erfüllen muß, wenn er ihn im Purgatorio liest, wo er wohl sitzen wird. Damit entfällt für beide Feldherrn jede Möglichkeit, die Niederlage auf schlechte Politiker zurückzuführen, wie dies geschlagene Heerführer so gerne tun. War Hindenburg, wie sich im einzeln zeigen wird, der entscheidende Mann in allen politischen Fragen, hat er die beiden Hauptbeschlüsse im Januar 17 und im Oktober 18 unterzeichnet, so muß er neben dem Lorbeer auch die Dornen mit Händen fassen.

Deshalb hat er als ein aufrechter Mann Anfang 18 bei einem Konflikt mit dem Kaiser geschrieben, sie seien Beide zwar nicht staatsrechtlich, »aber vor dem deutschen Volke, vor der Geschichte und vor unserem eigenen Gewissen für die Gestaltung des Friedens mitverantwortlich … Die Entscheidung Seiner Majestät kann die Generäle von ihrem Gewissen nicht entlasten.« Und im höchsten Alter hat er vor einem Vertrauten vor sich hin gesprochen: »Ich habe den größten Krieg der Geschichte verloren. Wie wird die Nachwelt über mich urteilen?«

 

VIII

Drei Mächte gab es in deutschen Landen, geschaffen, der Diktatur der Feldherrn entgegenzutreten. Dem Kaiser war im August 14 eine Macht zugefallen, größer als die jedes andern kriegführenden Souveräns. Da seine Formel »Wir sind schmählich überfallen« von allen, sogar von ihm selber geglaubt wurde, da für einen langen Augenblick alle Parteien aufhörten, war der Kaiser mächtiger, als seit einem Jahrhundert irgendein König von Preußen. Jetzt war er wirklich nach Verfassung und Volksgefühl der Oberste Kriegsherr.

Aber der neurasthenische Mensch, der in Sicherheit gern die Gefahr ruft, versagt, wenn sie da ist. Als aus der Parade eine Mobilmachung, aus dem Manöver ein Schlachtfeld geworden war, erschrak das schwache Herz dieses Erben, er zog sich zurück. Der ganze Unernst seiner Lebensführung trat schrecklich hervor, als er seine täglichen Feste und Einzüge, Staatsvisiten und Reden plötzlich entbehren sollte, über die Bismarck urteilte, »der Kaiser möchte gern jeden Tag Geburtstag haben.« Nach der Heraufkunft der beiden Feldherrn beschränkte sich seine Arbeit auf eine tägliche halbe Stunde: jeden Mittag fand Vortrag Ludendorffs in Gegenwart Hindenburgs vor dem Kaiser statt. »Hierbei,« schreibt Hindenburg, »entwarf Ludendorff ein Bild der Lage. Bei wichtigen Entschlüssen übernahm ich selbst den Vortrag und erbat, sofern solches notwendig war, die Kaiserliche Genehmigung unserer Pläne. Das hohe Vertrauen des Kaisers entband uns in allen nicht grundsätzlichen Fragen von einer besonderen Allerhöchsten Zustimmung … Er begnügte sich übrigens auch bei Vorschlägen neuer Operationen allermeist mit der Entgegennahme meiner Erklärung.«

Noch durch die höfische Verbrämung dieser Sätze stiert die nackte Langeweile dieser täglichen halben Stunde. Um aber die ganze Arbeit rasch und zusammen zu erledigen, denn schließlich war ja auch noch das Reich zu regieren, »wurde die Zeit des mittaglichen Vortrages vor dem Kaiser vielfach auch zu Besprechungen mit Vertretern der Reichsleitung ausgenützt.«

Diese klägliche Rückwelt, die eigentlich eine starke Vor-Welt hätte sein sollen, muß man sich immer vor Augen halten, wenn man den königstreusten Offizier Seiner Majestät in die Rolle des Diktators gehoben sieht, aus der er in späteren Zeiten auf den Platz des Kaisers selber steigen sollte. »Wir sind Vasallen,« hatte er ehedem zitiert, »wir schlagen die Schlachten der Könige, wir gehorchen. Er wird das richtige befehlen, wollen und tun.« Heute wurde von den Diktatoren grade noch die Form gegen ihren König gewahrt, und auf die Frage, warum er nicht noch einen Schritt weiter gehe, erwiderte Ludendorff: »Um Cromwells Rolle zu spielen, dazu bin ich zu sehr Kadett.«

Die zweite Macht im Reiche, der Kanzler, der im Frieden fünf Jahre lang an der Spitze des deutschen Reiches niemand aufgefallen war, hatte sich am ersten Kriegstage in der Welt durch zwei Sätze berühmt gemacht. Als der Britische Botschafter beim Abschied auf den deutschen Bruch des Belgischen Vertrages hinwies, hatte Bethmann nicht etwa gefragt, ob England noch nie Verträge gebrochen hätte, – Wahrheiten, wie sie bei Kriegsausbruch über die Lippen echter Staatsmänner zu kommen pflegen; er war dem Engländer in die Falle gegangen und hatte den Vertrag einen Fetzen Papier genannt. Dieses Wort, aus dem stillen Zwiegespräch eines Kabinetts vom Gegner in die Welt geworfen, hätte in andern Ländern genügt, um einen solchen Minister zu töten. Am selben Tage sagte Bethmann vor dem Reichstage, Not kennt kein Gebot. Die Wahrheit beider Äußerungen, die die Entente im Laufe des Krieges durch wiederholten Bruch des Völkerrechtes bestätigte, entschuldigte nicht ihre Torheit. Hier wie im Falle des Lord Grey führte die Unkenntnis fremder Völker bei den Männern, die zum Verkehr mit diesen Völkern berufen waren, zu Mißgriffen; vielleicht wäre die ganze Katastrophe vermieden worden, wenn die Minister Europas Wesen, Sprache, Kultur der Länder gekannt hätten, für deren Kenntnis sie bezahlt wurden.

Bethmanns Schwäche war eine deutsche Schwäche: er betete den unsichtbaren Gott am Königsplatze an, den alles schenkenden, alles vernichtenden Großen Generalstab, dessen geheimnisvolle Mächte, nicht faßbar sterblichen Gehirnen, im Zwielicht zwischen Krieg und Frieden ihr wunderbares Wesen trieben, um dann plötzlich aus der dunklen Wolke niederzufahren, schrecklich und reinigend wie ein Gewitter. Da der Kanzler gleich dem Kaiser vor der Welt ausgerufen hatte, Deutschland ziehe nur aus, um sein bedrohtes Leben zu verteidigen, war es seine leichte Aufgabe, an diesem Kriegsziel festzuhalten. Als aber im November 14 der General Hoffmann ihm sagte, Belgien müsse zurückgegeben werden, erwiderte Bethmann:

»Sie sind der erste Soldat, von dem ich diese meine Ansicht höre. Wenn ich das aber in Berlin im Reichstag aussprechen wollte, würde mich der Sturm der öffentlichen Meinung von meinem Platze fegen.« Auf dieser Höhe des Selbstgefühls bewegte sich der Führer der deutschen Politik. Fünf Jahre später zeigte sich die männliche Sicherheit dieses Führers im Untersuchungsausschuß des Reichstages, wo er unter Eid aussagen sollte und, befragt, ob er die Eidesformel »mit Gott« oder den Eid »ohne Gott« schwören wollte, zögernd erwiderte: »Ich möchte – so schwören, wie Graf Bernstorff geschworen hat.« Wen wundert es, daß Bethmann in der Mitte zwischen diesen beiden Aussprüchen, im Jahre 17, alles unterschrieb, was er zuvor bekämpft hatte!

Der dritte Faktor, der Reichstag, nach der Verfassung auch im Kriege nicht ausgeschaltet, hatte sich selber aufgegeben. Auch die Sozialisten, seit 30 Jahren darin geübt, jeder Regierung zu mißtrauen, glaubten den Worten des ihnen vorgelegten Weißbuches, wonach Deutschland von einem wortbrüchigen Zaren schmählich überfallen war, und dieselben Männer, die noch drei Tage zuvor sich in Brüssel mit ihren französischen Brüdern gegen den drohenden Krieg verschworen hatten, bewilligten jetzt einstimmig die Kredite für einen Krieg, dessen Ursprung sie zumindest skeptisch ansehen mußten. Der einzige, der dagegen aufstehen wollte, Liebknecht, fügte sich der Partei und schwieg.

Freilich hatte der Zar als Mitfeind die Lage verwirrt, und die Sozialisten erinnerten sich ihres Führers Engels, der in den Achtziger Jahren den Krieg visionär wie keiner vorausgesehen hatte:

»Kein anderer Krieg ist … für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in 3-4 Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwirrung des Heeres wie der Volksmasse; rettungslose Verwirrung unseres künstlichen Getriebes in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankrott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt.«

Diese erstaunliche, bis in die Zahlen hinein richtige Voraussage hat Engels genau 30 Jahre vor dem Ende des Krieges, im Dezember 88 drucken lassen. Im Voraus begrüßte er diesen Krieg zur Befreiung des russischen und des deutschen Arbeiters, natürlich unter Kontrolle der Regierung.

Diese Kontrolle ließ sich dreißig Jahre später der Reichstag vom Herrn Lehrer sogleich aus der Hand nehmen; denn nachdem die artigen Kinder fünf Milliarden bewilligt hatten, wurden sie in die Ferien geschickt, und es wurde ihnen streng verboten, zusammen zu kommen, laut zu sprechen oder etwa gar sich über ihren Lehrer zu beschweren; alle gingen gehorsam nach Hause, zumal man ihnen ein schönes Wort mitgab: die Bürger nannten das ganze nämlich Burgfrieden, die Generale freilich Belagerungszustand. Während in allen andern Ländern die Kritik der Presse und der Volksvertreter die Fehler der Generale und Minister durch Entlassung und Verweigerung ausglich, sogar in der ersten Sitzung der Duma die Opposition reden durfte, hatten in Deutschland und Österreich die Untertanen zu schweigen und zu kämpfen, die meisten von ihnen waren auch leichter geneigt, fürs Vaterland zu sterben als dafür zu denken.

Konnte man mehr von den Deutschen erwarten? Hatten sie nicht, zumindest in Preußen, seit zwei Jahrhunderten das Staatsdenken jener Klasse überlassen, die auf den Gütern westlich und östlich der Elbe, im Kadettenhaus und im Generalstab, zwar nicht zur Fähigkeit des Regierens, aber zum Willen zur Macht erzogen wurde und dann vom Könige die Pfänder dieser Macht empfing? Wenn der deutsche Kronprinz nach dem Kriege klagte, es habe den Deutschen ein Clémenceau gefehlt, so war es sein Vater, ja, es war Bismarck, der die Heraufkunft eines Clémenceau aus einem unbekannten Bürgerhaus unmöglich gemacht hatte. Es war ja grade der Ruf ihrer Völker, die diesen und die Lloyd George zur Führung des Krieges beriefen. Das einzige, was das deutsche Volk nach freiem Willen vergeben durfte, nämlich seine Gunst, konnte es nur einem Junker und einem General geben, und ein paar Jahre später wählte es ihn sogar zum Haupte des Staates.

Gewohnt, die Ordnung mehr als die Freiheit zu lieben, waren die Deutschen anfangs in ihrer passiven Rolle glücklich; sie rühmten sich, solcher Zank wie drüben in Welschland, wo die Kammer sogar einen General gestürzt habe, wäre bei ihnen unmöglich; bei den Worten Burgfrieden dachten sie an etwas behagliches, wie Bratäpfel in der Ofenröhre. Niemand fragte sich anfangs, ob ein Volk, das den Krieg mit seinem Blut und auch mit seinem Gelde bezahlte, – denn jene Milliarden waren damals wirklich sein eigenes Geld, – nicht vielleicht auch ein Recht habe, durch seine Vertreter mitzureden; sogar das Wahlrecht tastete niemand in Preußen an, mit dem ein Reicher so viel Stimmen haben konnte wie hundert oder auch tausend Arme. Es klingt, als wäre es ein Jahrhundert her, und draußen in der Welt würde's niemand glauben, daß noch 1918 der preußische Bauer und Arbeiter in der dritten, sein Grundherr und Arbeitgeber in der ersten »Klasse« abzustimmen hatte, während der Arbeiter in der ersten Reihe kämpfen mußte und fallen durfte, sein Herr aber oft zu Hause zu seinem und des Vaterlandes Wohl im Schweiße der Andern Draht oder Kugeln machen ließ. Niemand dachte daran, diese Ungleichheit am ersten Tage der parteilosen Gleichheit aller Deutschen zu beseitigen.

Als England nach seiner Revolution einen achtjährigen Krieg gegen den Sonnenkönig führte, schloß das Unterhaus keinen Burgfrieden mit den Lords, sondern ließ sie aufhängen. Als Frankreich hundert Jahre später seine junge Republik nach außen verteidigen mußte, schlossen die Jakobiner keinen Burgfrieden mit den Feudalen oder den reichen Bürgern, sondern vertrieben sie. Indem kritische, aber begeisterte Völker für innere Rechte, zugleich gegen äußere Feinde fochten, erhöhte sich ihr Elan, den kein heimlicher Groll störte. Die Deutschen, an abgesperrte Straßen gewöhnt, durch die die Kompagnien oder Regimenter zur Parade ausmarschierten, blieben auch im Kriege musterhaft geordnet auf dem Bürgersteige stehen und erklärten die große Fahrstraße der Klassenkämpfe wegen Durchzuges des Militärs für gesperrt. Bismarck hatte in seiner letzten großen Rede gesagt, es wären Elan und Feuer, die den Krieg entscheiden, aber dieses Feuer wurde im Weltkriege durch die Fäuste der im Innern regierenden Militär-Behörden erstickt. Während Deutschland als belagerte Festung von außen ausgehungert wurde, verhängten die Machthaber im Innern noch ihrerseits den »Belagerungszustand«; die Untertanen sollten merken, daß Wolkenbruch und Lawinensturz ihre Hauptpflicht nicht aufhoben: zu gehorchen.

So war die Lage im Innern. Da also Kaiser, Kanzler und Reichstag ihre Macht nicht gebrauchten, waren die beiden Diktatoren frei zu handeln.

 

IX

Sie handelten vor allem politisch. Nach der raschen Niederwerfung Rumäniens, einer Art glänzender Auftritts-Arie ihres abgesetzten Gegners, standen die neuen Herren im Westen und Osten still wie ihr Vorgänger und schienen entschlossen, durch politische Entschlüsse die verfahrene Kriegslage zu bessern. Nach der düsteren Schilderung, die Hindenburg wie jeder neu antretende Machthaber von der vorgefundenen Lage entwirft, mußte ihn, im Rückblick gesehen, alles dazu treiben, den Druck durch Teilung der Feinde zu erleichtern: Rußland, England oder beide zu gewinnen und neue Gegner fern zu halten. Dies war nach dem Sieg in Rumänien möglich, indem man Rußland in Polen, England in seiner belgischen Lebensfrage und Amerika im Kaper-Kriege schonte. Die beiden Feldherrn taten das Gegenteil und hatten fünf Monate nach Übernahme der Macht die angebahnte Versöhnung mit allen drei Ländern vereitelt. Das alte Wort, daß die Feder verdarb, was das Schwert geschaffen, gewann eine neue Bedeutung, denn diesmal wurde die Feder von derselben Hand geführt wie das Schwert.

Friede mit Rußland; das war der Wunschtraum jedes Deutschen, denn weder Gefühle noch Tradition trieben zur Unterwerfung dieses, Jahrhunderte lang befreundeten Nachbarn. Während aber in Stockholm deutsche Emissäre mit dem Vize-Präsidenten der Duma verhandelten, um für den kriegsmüden Zaren Frieden vorzubereiten, während der neue russische Premier, der zu unrecht den Namen Stürmer führte, den Deutschen winken ließ, er sei bereit, beschlossen die beiden Feldherrn, ein Königreich Polen zu gründen und vernichteten damit jeden russischen Sonderfrieden. Sie wollten diesen Frieden nicht; ihren Spezialfeind, dem sie ihren Ruhm verdankten, wollten sie vernichtend schlagen und zu diesem Zwecke Soldaten aus Polen gegen Rußland mobil machen. Im August 15 hatte Ludendorff geschrieben: »Separat-Frieden mit Rußland bekommen wir nicht, brauchen wir auch nicht, denn wir sind stark. Nachdem mir Polen genommen ist, muß ich mir ein anderes Königreich in Litauen und Kurland gründen.« Noch entschiedener im Oktober 15, »daß Polen auf keinen Fall an Rußland zurückgegeben werden darf, auch nicht an Österreich fallen kann, sondern daß es ein mehr oder weniger selbständiges Staatengebilde unter deutscher Oberhoheit zu werden hat. Wir müssen für die Zukunft sicher gehen, die für uns … umso schwerer wird, je weniger wir jetzt Rußland schwächen.« Juli 16: »Da die Österreicher versagen, richtet sich mein Auge wiederum auf Polen. Der Pole ist ein guter Soldat. Schaffen wir ein Großfürstentum Polen mit Warschau und Lublin und dann eine polnische Armee unter deutscher Führung.«

Jetzt, zur Macht gelangt, forderten die beiden Feldherrn die sofortige Gründung des Königreiches Polen, aus dem der deutsche Gouverneur in Warschau eine Million Truppen, mindestens aber 4 Divisionen zu ziehen versprochen hatte. Vergebens suchten es Bethmann und Helfferich, Kanzler und Vize-Kanzler, zu hindern, da sie auf den Sonderfrieden zusteuerten. Aber Ludendorff träumte polnische Divisionen, die Diktatoren befahlen die Gründung des Königreichs und erreichten ihr Ziel nach zwei Monaten. »Wie hätte ich,« schreibt Hindenburg, »bei unserer Kriegslage verantworten können, diese als so bestimmt bezeichnete Hilfe abzulehnen? Entschied ich mich aber für diese, so durfte keine Zeit verloren gehen.«

Hier wird eine Eigenschaft des Feldmarschalls deutlich, die später das deutsche Schicksal bestimmte: die Schwäche dieses sonst so festen Charakters in Dingen, die er nicht versteht. Alle Äußerungen Hindenburgs bis zum Herbst 15 sprachen von maßvollem Frieden; plötzlich ändert er die Ansprüche, ohne daß neue Siege ihn anspornen konnten. Schon im Oktober 15 sagte er: »Wir müssen uns eisern befestigen, daß uns in den nächsten hundert Jahren keiner wieder angreift. Kolonien sind dazu von allergrößter Wichtigkeit.«

Die Sprache Ludendorffs! Die Stimmen der Junker, Vettern und Kameraden, die beim Bordeaux im Hauptquartier ihm klarmachten, was ihr treues Herz vom Siege forderte! Ohne Übergang läßt Hindenburg, mit all diesen Fragen unbekannt, seinen gesunden Sinn fahren, übernimmt, was ihm seine Kaste einredet, – und so wird sich's 15 Jahre später an der Spitze des Reiches entscheidend wiederholen. Und doch schreibt er zurückblickend: »Das Hin und Her aller dieser zahllosen politischen Fragen und Gegenfragen brachte mir nur unbefriedigende Stunden und verstärkte meine Abneigung gegen die Politik.«

Das Resultat waren 8-10.000 Polen unter deutschen Fahnen und Stürmers Wort, die Aktion habe den Frieden mit Rußland »getötet.«

Ohne Furcht vor unbefriedigenden Stunden und trotz aller Abneigung widmete sich der Feldherr in seinem Pflichtgefühle sogleich einer neuen politischen Aufgabe. Stimmen von Zivilisten waren im Lande laut geworden, man müsse Belgien wiederherstellen, so wie es der Kanzler bei Ausbruch des Krieges versprochen habe. Einiges schien dafür zu sprechen:

Die Staatsmoral, deren Bruch in Belgien die Entente unermüdlich den Neutralen in die Ohren schrie, konnte durch ein klares Versprechen der Rückgabe wieder zusammengeleimt werden. Der Friede mit England war an die Herausgabe Belgiens moralisch gebunden, denn für dieses Land war es ja in den Krieg gezogen, zugleich strategisch, denn Antwerpen war nach Napoleons Wort eine auf das Herz Englands gerichtete Pistole, und dabei schoß man vor hundert Jahren nur ein paar hundert Meter weit. Auch hatten sich seit der Besetzung Belgiens die deutschen Siege, Menschen und Rohstoffe vermindert; standen anfangs 1,7 Millionen Deutsche 2,3 Millionen Feinden im Westen gegenüber, so waren es Anfang 16 nur 2,3 Millionen Deutsche gegen 3,5 Millionen Feinde. Mit wachsender Zeit verengte die Blockade die Einfuhr von Wolle, Baumwolle, Kupfer, Gummi, Schmieröl und anderen Rohstoffen. Nach schlechter Ernte traten im dritten Kriegswinter Kohlrüben an die Stelle von Kartoffeln, die Brotkarten wurden schmaler. Mit Ruhe hielt der deutsche Soldat, schlecht ernährt, gekleidet und bewaffnet, auf vier Kriegsschauplätzen den Feind zurück, doch ohne noch offensiv zu werden und konnte, für den Vernichtungs-Krieg geeignet und erzogen, verteidigend auch nicht mehr leisten als sein Gegner.

So wurde die Rückgabe Belgiens, das weder Erbfeind noch Kriegsziel gewesen, neben dem Frieden mit Rußland das nächste, was ein deutscher Führer erwägen mußte. Aber da trat der Geist des Kadettenhauses vor die Vernunft und wehrte sie mit den Symbolen der Sicherheit und der Ehre ab. Wie? Ein neutrales Land, das, wenn wir es nicht nahmen, sicher vom Franzmann betreten worden wäre, ein Land, in dem unsere Soldaten von feigen Franctireuren aus den Fenstern niedergeknallt worden waren, sollten wir ohne weiteres wiedergeben? Die Flamen, reine Deutsche, weiter den Wallonen überlassen, unter deren Druck die Armen seufzen? Und was würde im nächsten Kriege geschehen, wenn wir aufs neue schmählich überfallen werden? Da hatten die Herren von der Industrie ganz recht, wenn sie das Land für ewige Zeiten schützen, d. h. sich selbst für ewig mit Kohle und Eisen eindecken wollten!

Von der Tribüne des Unterhauses forderte Mac Donald die Deutschen auf, »deutlich zu erklären: wir wollen nicht Belgien, wir werden es im Augenblicke des Friedens räumen. Unser Vormarsch war nach des Kanzlers Worten nur ein Akt militärischer Notwendigkeit.« Die Antwort der beiden Feldherrn in ihrer Denkschrift vom April 17 lautete: »Belgien bleibt bestehen und wird in militärische Kontrolle genommen, so lange, bis es für ein Schutz- und Trutzbündnis mit Deutschland politisch und wirtschaftlich reif ist … Jedoch verbleiben aus strategischen Gründen dauernd im deutschen Besitz (oder in 99jähriger Pacht) Lüttich und die flämische Küste mit Brügge. Diese Abtretungen sind unabweisbare Bedingungen für einen Frieden mit England.« Als echter deutscher Soldat hatte Hindenburg das kernige Wort geprägt: »Politik ist, mit allen, auch mit den stärksten Mitteln seinem Gegner zu schaden.«

Unter den Zivilisten, die von Frieden sprachen, wurde Wilson in Deutschland am besten verstanden; seine politische Moral entsprang oder entsprach gewissen kantischen Argumenten. Den beiden Feldherrn war er gleich suspekt, Philosophie war vom Lehrplan der Kriegsakademie nicht umsonst gestrichen worden. Als man daher im Hauptquartier erfuhr, er bereite einen Friedensschritt vor, Dezember 16, kam ihm der Kaiser mit der Parodie eines Manifestes zuvor, in dem er seinen Feinden vor aller Welt die Rechte entgegen zu strecken schien. Da er zugleich mit der Linken alle Länder festhielt, auf denen er mit dem rechten und linken Fuße stand, wurde er von zehn Staaten abgewiesen.

Wilson, seit einem Jahre von der Entente umworben, versuchte damals noch, sein Land aus dem Kriege zu halten, an dem es als Neutraler so viel verdiente. Die alte Freundschaft zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten konnte nur auf hoher See gefährdet werden, doch nicht, wie mit England, durch einen Wettlauf der Flotten, sondern durch den Kaperkrieg. Deutschland, seinen Feinden in der Flotte dreimal unterlegen, konnte seine Küste verteidigen, aber die Blockade nicht brechen, war also, wie stets die schwächere Seemacht, auf den Kaperkrieg der Kreuzer gewiesen und hatte darin Leistungen vollbracht, die selbst den Feind in Bewunderung versetzten. Ob das damals neue Tauchboot ein Handelsschiff versenken durfte, ohne es zuvor zu warnen, war eine vom Seerecht noch nicht entschiedene Frage. Auch moralisch war das Problem ungelöst, vielleicht unlösbar, und Hindenburg schreibt mit Recht: »Der Gegner überschüttete uns mit amerikanischen Granaten: warum versenken wir nicht seine Transport-Schiffe? Haben wir nicht das Mittel dazu? Rechtsfragen? Wo und wann denkt denn der Gegner an Recht? Das fragt der Soldat an unseren Fronten.« Ebenso urteilte Tirpitz, und so hätte in gleicher Lage jeder Engländer geurteilt, wenn das Hauptland dieses Angriffs ein Feind, doch nicht zugleich das damals mächtigste unter den noch neutral gebliebenen Ländern der Erde war.

Der Kanzler hatte deshalb vom Admiralstab und bei Antritt ihrer Herrschaft auch noch von den beiden Feldherrn durchgesetzt, daß kein U-Boot ein neutrales Schiff versenken durfte. Dies erreichte der Zivilist nur, weil die Versenkung des Dampfers »Lusitania« im Mai 15 und der »Sussex« im März 16 die Welt in Aufregung versetzt, den Krieg der Vereinigten Staaten in drohende Nähe gerückt hatte. Auch hier wirkte die moralische Empörung in der Entente künstlich, denn die Lusitania hatte Munition an Bord gehabt, durfte also nach amerikanischem Gesetze keine Passagiere aufnehmen. Keine Humanität, – die Machtfrage, d. h. hier die Vorsicht, entschied allein und mußte gegen den U-Boot-Krieg entscheiden.

Vier Monate später, als die Feldherrn erkannten, sie kämen strategisch nicht weiter als ihr Vorgänger, griffen sie zu diesem, wie Hindenburg schreibt, »einzigen Mittel, das wir im Beginne des Jahres 17 noch für eine siegreiche Beendigung des Krieges einsetzen konnten.« Um das Abenteuer zu wagen, brauchte man nur zu beweisen, daß die Versenkung englischer Schiffe »England auf die Knie zwingen« würde, bevor die mitbetroffenen Amerikaner fertig waren, um sich in Europa zu schlagen. Plötzlich sprach jedermann in Deutschland von Tonnage, und während 4 Millionen Deutsche in den Schützengräben dreier Erdteile lagen, hätte man monatelang glauben können, Deutschland führe einen Krieg zur See.

Da es zur Begründung des großen Entschlusses nötig war, bewies der Admiralstab in langen Tabellen, mit dieser Waffe wäre England in 6 Monaten »erledigt«, die Amerikaner aber könnten doch erst in anderthalb Jahren herüberkommen. »Die Amerikaner haben keine Soldaten,« sagte im Reichstage Admiral Capelle, der Staatssekretär der Marine. »Mannschaften haben sie, aber keine Offiziere und Unteroffiziere zur Ausbildung. Aber auch ausgebildet könnten sie sie bloß in Teilen kommen lassen, die in Europa keine Rolle spielen, und auch die werden nicht ankommen, weil unsere U-Boote sie versenken werden. Also, Amerika bedeutet militärisch Null und noch einmal Null und zum dritten Male Null!« (Beim vierten Male kamen dann 1,9 Millionen Mann herüber und entschieden den Krieg; ein einziges Transportschiff war versenkt worden).

Das wirkte! Ein Admiral gab sein Offiziers-Ehrenwort, ein Junker fragte im Reichstage, ob denn die Herren Amerikaner übers Meer fliegen oder schwimmen wollten. Wer hört in einem so herzigen Worte nicht die ganze Frische des Freiluft-Menschen, der von den Vernünfteleien des Verstandes frei, sich seine helle, so recht blut- und bodenständige Vernunft erhalten hat!

Die Marine bewies den beiden Feldherrn das Nötige in der Art von Unternehmern, die ihren Geldgebern beim Bau einer Fabrik auf dem Papiere durch die sicheren Einnahmen zehnfache Verzinsung beweisen, und die Feldherrn glaubten daran; nur waren sie nicht Kapitalisten, sondern bloß Treuhänder.

Für diese Form des Krieges hatte man zudem, was in Deutschland wichtig, einen glücklichen Namen gefunden: er wurde der »rücksichtslose« U-Bootkrieg genannt, um anzudeuten, der Krieg wäre bisher zu rücksichtsvoll geführt worden. Dieses schneidige Wort erwarb ihm Millionen neuer Anhänger. Vor dem Entschluß, dessen Bedeutung Allen klar war, mußten die beiden Feldherrn das entscheidende Wort sprechen. Wer konnte nach ihrer Schulung auch nur verlangen, daß sie in der Blockade mehr als eine Wirtschaftsfrage erkannten? In dem großen roten Haus am Königsplatze, wo tausend Köpfe 40 Jahre lang emsig gearbeitet hatten, um den Krieg vorzubereiten, hätten sie kein Aktenstück gefunden, das die Aushungerung des so gefährlich gelegenen Vaterlandes durch die größte Seemacht behandelte. So mußten sich erst recht die Zahlen der Aushungerung Englands durch deutsche Schiffe ihrer Kontrolle entziehen, und es blieb ihnen nur die Berechnung der politischen Folgen übrig.

Wie sie diese beurteilten, darüber gibt es zwei kostbare Dokumente, selten in ihrer Art, denn hier hört man beide Feldherrn sprechen, was bei Hindenburg amtlich kaum vorkommt. Weder seine Denkschriften, von Ludendorff oder seinen Mitarbeitern entworfen, noch die Memoiren stammen aus seiner Feder, und Zitate, die wir daraus hier der Folgen wegen oft verwenden müssen, verschleiern durch ihren künstlichen Tonfall mehr von seiner Natur, als daß sie sie enthüllten. Von den Konferenzen, die am 8. und 9. Januar 1917 zur Entschließung über den U-Bootkrieg gehalten wurden, gibt es amtliche »kurze Aufzeichnungen«, die wir gekürzt folgen lassen Urkunden der Obersten Heeresleitung, 1920, S. 322 ff, unterzeichnet: »F. d. R. von Bartenwerffer.«. Auf dem ersten Dokument, das ein Stenogramm darstellt, steht »Ganz geheim, von Hand zu Hand!«, offenbar, weil gewöhnliches »Geheim« allgemein weiter erzählt werden darf.

Im Schloß des Fürsten Pleß in Oberschlesien berieten am 8. die beiden Feldherrn mit dem Admiral von Holtzendorff, Chef des Admiralstabes; zugegen sind außerdem ein Kapitän Graßhoff und der Oberst Bartenwerffer, der an diesem Tische Klio vertritt, denn er schreibt alles für sie auf:

»Holtzendorff: Der Kanzler kommt morgen wieder an.

Feldmarschall: Welche Schmerzen hat er?

Holtzendorff: Der Kanzler will sich die diplomatische Vorbereitung des uneingeschränkten U-Bootkrieges vorbehalten, um Amerika draußen zu halten. Er habe ihm gegenüber die Note über bewaffnete Dampfer als »U-Boot-Falle« bezeichnet, die den Konflikt mit Amerika herbeiführen würde.

Ludendorff: Das hat der Kanzler ja alles gewußt.

Holtzendorff: Das Auswärtige Amt meint, wenn Nordamerika eingriffe, würde auch Südamerika in den Krieg eingreifen. Dann denken sie an die Zeit nach Friedensschluß.

Feldmarschall: Erst müssen wir mal siegen.

Holtzendorff: Was tun wir, wenn der Kanzler nicht mitmacht?

Feldmarschall: Das macht mir auch Kopfzerbrechen.

Holtzendorff: Dann müssen Sie Kanzler werden.

Feldmarschall: Nein, das kann ich nicht und will ich nicht. Ich kann nicht mit dem Reichstag verhandeln.

Holtzendorff: Ich halte Bülow und Tirpitz wegen ihres Verhältnisses zum Kaiser für ausgeschlossen.

Ludendorff: Ich würde dem Feldmarschall nicht zureden.

Feldmarschall: Ich kann im Reichstage nicht reden. Ich lehne ab. Wie ist es mit Gallwitz?

Ludendorff: Ob er den U-Bootkrieg überhaupt will?

Holtzendorff: Der Kanzler genießt im Auslande großes Vertrauen.

Feldmarschall: Also wir halten zusammen. Es muß sein. Wir rechnen mit dem Kriege mit Amerika und haben alle Vorbereitungen getroffen. Schlechter kann es nicht werden. Der Krieg muß mit allen Mitteln abgekürzt werden …

Holtzendorff: Staatssekretär Helfferich sagte zu mir: Ihr Weg führt zur Katastrophe. Ich erwiderte ihm: Sie lassen uns in die Katastrophe treiben.

Feldmarschall: Das stimmt. Die Hauptsache für mich ist, es ist keine Operation, die uns an anderer Stelle militärisch schwächt.«

Am nächsten Tage sitzen am selben Tische Hindenburg und Ludendorff allein mit dem Kanzler Bethmann, nur der nachschreibende Oberst ist noch dabei; die beiden Seeleute, die die entscheidende Auskunft geben müßten, werden von der Landarmee nicht mehr zugezogen, ebenso wenig der Kaiser. Die Diktatoren sitzen allein mit dem Kanzler und fällen zu Dritt die größte Entscheidung des Weltkrieges. Der Kanzler, gekommen, um zu warnen oder, wie man nach monatelangem Veto annimmt, zu demissionieren, spricht zuerst:

»Kanzler: Wenn Seine Majestät den verschärften U-Bootkrieg befiehlt, wird Kanzler zu erreichen suchen, daß Amerika »draußen« bleibt … Man muß aber mit Amerikas Eintritt in den Krieg gegen uns rechnen … Holland und Dänemark werden nicht in den Krieg eintreten, wenigstens so lange nicht, als sie nicht sehen, daß der U-Bootkrieg keinen Erfolg für uns bedeutet. Betreffs der Schweiz ist zu bedenken, daß die Entente, wenn die Lebensmittel der Schweiz knapp werden, auf sie drücken wird, um den Durchmarsch der französischen Armeen, eventuell sogar Anschluß der Schweiz an Entente zu erreichen … Der Entschluß ist also abhängig von der Wirkung, die wir erwarten können. Admiral von Holtzendorff stellt in Aussicht, bis zur nächsten Ernte England klein zu haben … Im Großen sind Aussichten für den rücksichtslosen U-Bootkrieg recht günstig. Beweiskräftig lassen sich die Aussichten freilich nicht hinstellen. Man müsse sich klar sein, daß große militärische Schläge nach der militärischen Lage kaum möglich seien, um den Sieg zu erringen. Der U-Bootkrieg ist die letzte Karte. Ein sehr ernster Entschluß! »Wenn aber die militärischen Stellen den U-Bootkrieg für notwendig halten, so bin ich nicht in der Lage zu widersprechen.«

Feldmarschall Hindenburg: Wir sind gerüstet, um allen Eventualitäten zu begegnen, gegen Amerika, Dänemark, Holland und auch die Schweiz. Der Unterwasser-Kreuzerkrieg bringt nur eine geringe Steigerung der bisherigen Erfolge. Wir brauchen das energischeste, rücksichtsloseste Handeln, das sich erreichen läßt; deshalb den Rücksichtslosen U-Bootkrieg vom 1. Februar 17 ab. Der Krieg muß beschleunigt zu Ende gebracht werden, obwohl wir ihn noch länger aushalten, aber der Bundesgenossen wegen.

Kanzler: Es läßt sich denken, daß der U-Bootkrieg das Ende des Krieges hinausschiebt.

Ludendorff: Der U-Bootkrieg bringt unsere Armee in eine andere, bessere Lage. Durch den Mangel (Englands) an Grubenholz, an Kohlenförderung leidet die Munitions-Erzeugung. Das bedeutet eine Erleichterung für die Westfront … Auch Rußlands offensive Kraft wird durch den Munitionsmangel, hervorgerufen durch Schiffsraumnot, geschädigt.

Kanzler: Amerikas Hilfe bei eventuellem Eintritt in den Krieg wird bestehen in Lieferung von Lebensmitteln an England, finanzieller Beihilfe, Entsendung von Flugmaschinen und von Freiwilligen-Korps.

Feldmarschall: Damit werden wir schon fertig. Die Gelegenheit für den U-Bootkrieg ist so günstig, wie kaum jemals wieder. Wir können ihn führen und müssen ihn führen.

Kanzler: Ja, wenn der Erfolg winkt, müssen wir auch handeln.

Feldmarschall: Wir würden uns später Vorwürfe machen, wenn wir die Gelegenheit verpassen.

Kanzler: Sicher ist die Lage besser als im September.

Ludendorff: Die Sicherheits-Maßnahmen gegen die Neutralen werden nichts herausforderndes haben; reine Defensiv-Maßnahmen.

Kanzler: Und wenn die Schweiz in den Krieg eintritt oder die Franzosen durch die Schweiz kommen?

Feldmarschall: Das wäre militärisch nicht ungünstig.«

 

X

Diese Dokumente, zwischen Kriegserklärung und Waffenstillstand die wichtigsten, denn an diesem Tage wurde zum zweiten Male der Krieg verloren, enthüllen die Charaktere als Persönlichkeiten, zugleich als Symbole. Obwohl es hundert ähnliche aus allen Hauptquartieren dieses Krieges gibt, zeigen wohl nur diese deutschen Dokumente die Furcht des Zivils vor dem Militär.

Am Tage zuvor hatten sich die Götter der Erde und des Wassers vereinigt, – die Luft war noch nicht organisiert –, um den Kanzler zu halten: nicht weil er ihnen gefiel, sondern weil ihnen kein anderer einfiel. Der einzige, der sonst genannt wird, ist ein von Hindenburg vorgeschlagener General der Artillerie. Als dann die Marine einen Vorstoß in Richtung des Landheeres macht, um dessen Chef in die Reichskanzlei abzuschieben, lehnt Hindenburg nicht etwa mit der ihm sonst geläufigen Wendung ab, er sei nur Soldat und ein unpolitischer Mann, sondern lediglich, weil er nicht reden könne. Untereinander sind sie ihrer Macht so sicher, daß er sich nicht einmal auf die Entscheidung des Kaisers zurückzieht, sondern, von der zweitstärksten Macht im Staate, der Marine, aufgefordert, nur kurz und männlich erklärt: »Ich lehne ab.« Auch Ludendorff, der seinen kostbaren Regenschirm nicht missen will, rät dem Feldmarschall ab. Und warum wird, wenn man alles zusammenfaßt, der U-Bootkrieg nun unternommen? Hindenburg sagt es mit der ihm eigenen Schlichtheit: Schlechter kann es nicht werden, der Krieg muß abgekürzt werden, mit allen Mitteln, wenn sie uns nur militärisch nirgends schwächen.

Am nächsten Tage wird der widerspenstige Zivilist vorgeführt. Da der Kaiser lieber draußen bleibt, fallen die höfischen Behutsamkeiten fort und, wenn jemand die Lebensfrage des deutschen Volkes ernsthaft durchdenken wollte, schickte sich diese Stunde, bei Abwesenheit aller Zeugen nach oben und nach unten, am besten. In Wahrheit trifft bei den Diktatoren des Reiches nur ein Beamter ein, überzeugt von der Verderblichkeit dieses Kriegsmittels, aber entschlossen, bis zum letzten Atemzuge für seine Stellung zu kämpfen. Eine Handbewegung der beiden Götter in Uniform, – und er müßte von den goldnen Tischen der Macht hernieder stürzen.

Wenn man bedenkt, daß Bethmann zwar nicht so mächtig, aber ebenso lang gewachsen war wie Hindenburg und nur einige Jahre jünger, ja sogar Uniform trug, denn am ersten Kriegstage wurde er vom Kaiser mit hohen Abzeichen und bald mit Orden versehen, um nicht gar zu kläglich zu erscheinen; wenn man bedenkt, daß er zudem seit acht Jahren Kanzler des deutschen Reiches ist, während des Krieges beständig vom Kaiser gedeckt, also länger an der Macht und von oben her sicherer als alle seine kriegführenden Kollegen, so braucht es die ganze Kenntnis der preußischen Theogonie, um seine erbärmliche Attitüde zu begreifen. Nachdem er den Feldherrn vorgestellt hat, daß der Hauptrest der noch neutralen Welt durch die neue Entscheidung zum Kriege gegen Deutschland gereizt würde, zieht er plötzlich die Krallen ein und schnurrt, die Samtpfote leise bewegend: »So bin ich nicht in der Lage zu widersprechen.«

Wie anders klingt dagegen die männliche Stimme des Volkshelden! Obwohl auch ihm die Lage so erscheint, daß sie schlechter nicht werden könne, obwohl ein Frieden mit dem Zaren durch die polnische, mit England durch die belgische Politik der Feldherrn unmöglich gemacht war, kommt unseren greisen Führer keine Furcht an, und mit der großartigen Ruhe des Löwen ist er entschlossen, noch vier andern Staaten die Zähne zu zeigen, – sie sollen es nur wagen! Recht wie ein Jüngling ruft er: Schnell her mit der neuen Waffe, um rascher fertig zu werden!

Den bescheidenen Einwurf des Staatsmannes, es könnte dadurch vielleicht noch langsamer gehen, schneidet die kalte Stimme Ludendorffs mit sachlicher Klarheit ab. Der Rechner und Spezialist, der alle Zahlen und Transport-Wege im Kopfe hat, ist hier wie überhaupt in diesen vier Jahren berufen, dem kühn aufbauenden Wesen des Feldmarschalls als treuer Gehilfe die Bausteine zuzureichen. Was stände denn auch entgegen? Geld und Waffen lieferte ja Amerika längst dem Feinde, und Menschen –? Der Staatsmann hat an seine Liste nur leise das Wort »Freiwilligen-Korps« gehängt, so wie man unter wohlerzogenen Diplomaten im Frieden nicht vom Kriege, sondern von »Verwickelungen« zu sprechen pflegt. Truppen, eine Million, oder auch zwei, die eines Tages an der West-Front auftauchen, vielleicht sogar den Sieg entscheiden könnten, das klänge hart und unwirsch im Munde eines Zivilisten gegenüber den Feldherrn. »Freiwilligen-Korps« gewinnt einen romantischen, zugleich leicht spöttischen Akzent in den Ohren solcher Männer, die Millionen Leben ihr eigen nennen.

Mit der gelassenen Geste eines gebornen Königs streicht der alte Recke diese Einwände vom grünen Tischtuch weg und faßt sich in die historischen Worte zusammen: »Damit werden wir schon fertig!« Da braucht's keine langen Begründungen mit Zahlen und Daten, wie sie sein Gehilfe gern anbringt: die Ruhe macht's! »Erst müssen wir mal siegen!« Wie groß muß die Wirkung dieser ehernen Gestalt gewesen sein, wenn der Staatsmann jetzt, nachdem er sich seiner Pflicht entledigt und vor der nachstenographierenden Geschichte alles Nötige gesagt hat, mit einer fast graziösen Wendung erwidert, so lockende Erfolge dürfte man sich nicht entgehen lassen, besonders, da heute alles besser stünde als vor vier Monaten, als er noch Nein gesagt hatte. Nur mit einer raschen letzten Warnung spricht er noch einmal das Wort Schweiz fragend aus. Da aber blitzt ihm eine überraschende Antwort entgegen. Der Feldmarschall scheint diesen Konflikt zu wünschen, denn er nennt ihn »militärisch nicht ungünstig.« Daß im nächsten Jahre die »Freiwilligen-Korps« hochgerüsteter Amerikaner in Flandern erschienen, kommt gegenüber der Entschlossenheit der Feldherrn weniger in Betracht.

Hatten sie sich denn zur Diktatur gedrängt? Die politische Macht gewaltsam usurpiert? Fast ohne sich zu rühren, war Hindenburg durch die Legende emporgetragen, die letzte Entscheidung war ihm gleichsam im bittenden Sprechchor vom Volke auf die mächtigen Knie gelegt worden in Gestalt von zwei Losen, die er im historischen Helm von Königgrätz schütteln möge, damit die Stimme des Schicksals daraus hervorspränge. Und er schüttelte ihn mit gewaltigen Kriegerhänden, und siehe, es sprang das Los Amerika daraus hervor!

In der Sprache der Akten, nach Bethmanns Bericht: die Feldherrn konnten ohne den sofortigen U-Bootkrieg »die Verantwortung für den militärischen Fortgang der Operationen nicht übernehmen. Auf der andern Seite seien sie bereit, die Verantwortung für alle militärischen Folgen zu tragen, auch für die Folgen eines Eingreifens der europäischen Neutralen und Amerikas. Dem Eingriff Amerikas legten sie übrigens keine allzugroße Bedeutung bei.«

Daß die Feldherrn dem Volke nicht sagten, wie schlecht es stand, kann man begreifen. »Es geht zu Ende,« sagte Hindenburg zu seinem Maler in denselben Tagen. »Wir müssen sie nur noch einmal schlagen, dann ist der Friede da.« Erstaunlich nur, wie sie zugleich den Kaiser täuschen; so schreibt von Lersner im Auswärtigen Amt: »Der Kaiser hat auf seinen Aufruf zum U-Bootkriege eine große Anzahl von Zustimmungen erhalten, die, wie ich streng vertraulich erfahre, zum großen Teil Hindenburg und Ludendorff veranlaßt haben, um der Welt zu zeigen, wie einmütig das deutsche Volk hinter seinem Kaiser steht.«

Was aber, fragen wir gespannt, werden nun Kanzler und Vize-Kanzler, beide bis gestern entschiedene Gegner des U-Bootkrieges, in dieser Lage tun? Wie werden sie ihren heißen Wunsch nach hohem Amt mit einem Selbstgefühl, wie werden sie die Würden mit der Würde verbinden, die man doch immerhin vor der Geschichte präsentieren muß? Für solche Lagen hat die Diplomatie zwei Worte bereitgestellt; das Gewissen und das Opfer, die elegant verbunden jeden Selbstverrat decken. In diesem Falle springt der Vize-Kanzler für den Kanzler ritterlich ein, zumal sich einer mit dem Motiv des andern zu entschuldigen sucht. Bethmanns nächster Gedanke sei der Abschied gewesen, berichtet Helfferich: »Er habe sich jedoch, so schwer es ihm gefallen sei, überzeugen müssen, daß er sich auf diese Weise nicht der Verantwortung entziehen dürfe … Er habe die Verhinderung des U-Bootkrieges, wenn sie überhaupt noch möglich gewesen wäre, nicht auf seine Verantwortung nehmen können … Auch ich (Helfferich, von Bethmann ermahnt) müsse die Gewissensfrage stellen, ob ich mit der Einreichung meines Abschiedes eine Demonstration machen dürfe, die … Verwirrung in die eigenen Reihen und in die Front unserer Bundesgenossen trage … Es war für mich die schwerste Entscheidung meines Lebens … Gehen oder Bleiben … auf dem Posten kämpfen, wie der General seine Schuldigkeit tut, auch wenn er bei der Feststellung der Operationspläne seine Ansicht nicht durchgesetzt hat. Ich schied vom Kanzler mit der Zusage, daß ich ihm helfen würde, die Eröffnung des U-Bootkrieges vor dem Reichstage so weit zu vertreten, wie es mir nach Lage der Dinge möglich sei.«

Sehen also zwei Männer, denen die Leitung des Reiches übertragen ist, die Niederlage durch eine Maßregel der Feldherrn voraus, so suchen sie sie weder durch leidenschaftliche Debatte unter sechs Augen noch durch Denkschriften an den Kaiser noch durch Drohungen mit Abschied zu hindern; die Sorge um das Reich ist geringer als die Sorge um den Schein, während der Feind unter dem Drucke der öffentlichen Meinung sich in beständigen Minister- und Generals-Krisen zu festigen sucht. Im Obrigkeits-Staate ist vor allem das Bild der Einheit, es ist der Burgfrieden anzustreben, im Militärstaate der Hindenburg-Frieden. Im Konflikt kommt dem Zivilisten aus seiner Offiziers-Zeit ein militärischer Vergleich rettend vom Himmel, vom Staatsmann fühlt er sich zum General erhoben, der seinen Posten halten muß. Für die schwerste Entscheidung seines Lebens braucht er nicht etwa eine Frage an seine Frau, noch eine schlaflose Nacht: die Antwort springt aus der Pistole, nach zehn Minuten wird das Versprechen erteilt; das Opfer wird von beiden Seiten dem Vaterlande dargebracht. Erst wenn sie allein sind, der eine im Amtszimmer, der andere im Auto, atmen Kanzler und Vize-Kanzler erleichtert auf: noch einmal ist das drohende Schicksal gnädig an ihnen vorübergezogen, die Feldherrn haben ihre Stirnen noch nicht in Runzeln gelegt, die Herren vom Zivil dürfen weiter regieren.

 

XI

Die Selbsttäuschung war vollkommen; nach drei Seiten zugleich wurden Möglichkeiten des Friedens zerstört. Auf die russische Revolution, so erklärte der Kanzler bei diesem Entschlusse, sei jede Hoffnung geschwunden. 6 Wochen später war sie da. Zugleich zerstörte der Entschluß einen möglichen Frieden mit England. Damals hatten sie, als sie nicht mehr weiter wußten, den Juden Ballin gebeten, da man ihn drüben höher einschätzte als sie, mit der Londoner Reeder- und Bankwelt anzuknüpfen. Seine Bemühungen hatten, so schreibt sein Mitarbeiter, »anfangs Januar dahin geführt, daß eine direkte Fühlungnahme mit den feindlichen Parteien bevorstand. Die Ankündigung des U-Bootkrieges zerstörte alles, denn nun waren die Alliierten der amerikanischen Hilfe sicher.«

Schließlich war Wilson selber über seine Bedingungen sondiert worden und eben mit einem Vorschlage erschienen, dessen voraussichtlich günstige Beantwortung durch die Entente Ludendorff coupieren wollte, weshalb er den Entschluß zum U-Bootkriege drei Tage vorher fassen ließ. Was mußte Wilson, von dessen Stimmungen so vieles abhing, von den deutschen Anträgen halten, wenn er als Vermittler gebeten und zugleich als der mächtigste Neutrale von derselben Regierung bedroht wurde! Da lag er zum Greifen vor aller Augen, der Zwiespalt zwischen Militär und Politik, man kann auch sagen, zwischen Staat und Geist bei den Deutschen.

Noch immer schwebte der Schatten des Schicksals unentschieden zwischen den Kämpfenden. In diesen Januar-Wochen des Jahres 17 kämpfte Wilson wirklich für den Frieden. Am 28. bot er seine Vermittlung nochmals in Washington an. Bethmann, glücklich über eine Wendung, die ihn entlasten konnte, ohne ihn zu gefährden, bittet am 29. den Kaiser, denkbar milde Vorschläge übers Meer kabeln zu dürfen. Darauf Empörung bei den Militärs: mit zielendem Revolver stehen sie da und sollen plötzlich nicht schießen? Wie in der »Zauberflöte« ruft es dem hilflos einsamen Zivilisten von drei Toren zu: Zurück! Feldherrn, Admiralstab und unter ihrem Druck auch der Kaiser wollen den Entschluß nicht hergeben, die Admirale verschanzen sich hinter »technische Gründe«, das klassische Wort aller Spezialisten, die den vernünftigen Einwand eines Laien nicht widerlegen können. Die U-Boote, die ihre Befehle haben, seien auf ihren Stationen nicht mehr erreichbar. Wird nicht der Kanzler zurücktragen: Wie könnt ihr sie dann jede Stunde durch Funkspruch dirigieren?

Das sicherste, denkt er vielmehr, ist beides zu tun und dem Amerikaner Torpedo und Palme zugleich unter die Nase zu halten. Am 30. Januar darf der deutsche Botschafter dem Oberst House, dem Freunde Wilsons, die Friedens-Bedingungen, am 31. muß derselbe Botschafter dem Staatssekretär die deutsche U-Boot-Note übergeben. Es folgt der Krieg. Als Bernstorff, der alles richtig vorausgesehen, im Mai zurückkam und sagte, er wollte damals den Frieden machen, erwiderte ihm Ludendorff: »Ja, aber wir wollten nicht! Jetzt werden wir durch den U-Bootkrieg die Sache in drei Monaten beenden.«

Als aber der Mißerfolg des U-Bootkrieges deutlich war und Bethmann nun seine damals geflüsterten Einwände zu spät in ein geharnischtes Dokument zum Preise seiner Voraussicht verwandelte, erwiderte ihm Hindenburg am 7. Juli: »Wann der Augenblick gekommen sein wird, an welchem das Gewebe der gesamten Kriegswirtschaft unserer Feinde zerreißt, kann man nicht mit Bestimmtheit voraussagen; daß das aber in absehbarer Zeit kommen wird, ist mir sicher.« Nach dem Kriege schrieb er über jenen größten Fehlschluß in seinen Memoiren: »Mißlingt (dem Führer) der Schlag, dann freilich wird er von dem Fluch und dem Hohn der Schwachen und Feiglinge getroffen … Diesen Mut zur Verantwortung heranzubilden, war Ziel unserer deutschen Militär-Erziehung.«

In diesem Epiloge gegen seine Kritiker, die er Feiglinge nennt, leuchtet wiederum das Grundproblem seines Lebens auf. Als Kadett und Generalstäbler zum selbständigen Entschluß erzogen, doch stets gedeckt durch die Entscheidung seines Obersten Kriegsherrn, konnte ein Mann von so starkem Pflichtgefühl das Mögliche leisten, so lange er zur höchsten Instanz emporblicken durfte. Brach aber Nacht herein, der Sternenhimmel verschleierte sich, der Polarstern wurde unsichtbar, wie sollte der Kapitän die Fahrt bestimmen, wenn er ohne Kenntnis der Küsten und Riffe im Sturm auf vereinsamter Brücke stand! Als Kriegsherr war der Kaiser zurückgetreten, desgleichen als Schiedsrichter zwischen Regierung und Armee. So blieb Hindenburg nichts anderes übrig, als die welthistorischen Entschlüsse mit seinem gesunden Menschenverstande zu fassen, dem kein anderer Kopf seine Kenntnisse und Gaben energisch entgegenstellte. Wenn solche Charaktere vollends gottesfürchtig sind, so hängt ihre Seelenruhe nicht an den Erfolgen ihrer Handlungen, sondern allein am Gefühl erfüllter Dienstpflicht, und die konnte Hindenburg haben.

 

XII

Das erste, was die beiden Feldherrn nach dem Mißerfolge des U-Bootes taten, war den Kanzler zu stürzen, dem sie wesentlich ihre Macht verdankten. Hoffte er im Ernst, auf der Grundlage dieses Mißerfolges ihre politische Macht zu schwächen? Hatten sich diese beiden Offiziere der Landarmee nicht auf die Zahlen der Marine stützen dürfen? Um eine unbequeme Regierung durch eine gehorsame zu ersetzen, mußte man mit Abgang drohen, ein Mittel, das Bismarck erst nach einem Jahrzehnt größter Erfolge und auch dann nur dreimal in 15 Jahren brauchte, die Feldherrn dreimal in einem Jahre. Da der Kaiser aber seinen Kanzler hielt, um gegen die Diktatur der Feldherrn nicht ganz schutzlos zu bleiben, bedurften sie für diesmal noch eines Verbündeten und fanden ihn in dem ihnen äußerst suspekten Reichstage. Bethmann hatte, wie jeder, der durch Vorsicht alle Parteien gewinnen will, am Ende alle verloren. Es kam der Augenblick, wo sich die beiden Deutschland kennen lernen sollten.

Die Partei der Junker, Agrarier und Beamten hatte ihre Mitglieder seit Kriegsanfang zu den beiden Feldherrn entsandt, es war wohl auch ein oder das andere Mal ein Mann der Mitte im Hauptquartier empfangen worden. Wie aber ein Sozialdemokrat aussah, Mitglied der stärksten Partei, Vertreter jener kugeldrehenden Arbeiter, von deren Leistung der Ausgang des Krieges abhing wie von der ihrer Brüder an der Front, das war Feldherrn, Kaiser oder Kronprinzen kaum aus Photos bekannt.

Im Reichstag und weit darüber hinaus hatte der Fehlschlag des U-Bootkrieges eine Unruhe erzeugt, Selbständigkeit und Forderungen des Parlamentes, die nun auch von der Linken her Bismarcks Verfassung ins Wanken brachte. Und doch wäre vielleicht auch jetzt nichts geschehen, hätte nicht im Frühjahr 17 ein jüngerer Abgeordneter mit einem General an der Front nach Tisch ein Gespräch geführt. Es war der Zentrumsmann Erzberger, der, im Glauben, die Kriegsberichte sagten die Wahrheit, bisher für alle Eroberungen gewirkt hatte. Ihm vertraute der General Hoffmann, der sich von Ludendorff vernachlässigt fühlte, Wahrheiten an, die sonst einem deutschen Zivilisten verschlossen blieben. Der gewandte Mann warf sich auf das Studium der Kriegskarten und der Ziffern; so gerüstet wagte er in diesen Julitagen die Zahlen des Admiralstabes öffentlich anzuzweifeln, ja, er fügte hinzu, die Oberste Heeresleitung habe sich geirrt. Mit Sieg könne der Krieg nicht mehr gewonnen werden, offen vor aller Welt müsse man auf Verständigung hinarbeiten, und zwar der Reichstag, da es die Feldherrn nicht täten und da es der Kanzler nicht täte; man würde schon eine demokratische Mehrheit finden, die eine Resolution vorsah nach der Melodie »Uns treibt nicht Eroberungslust«, dem Kaiser-Wort vom ersten Kriegstage. Der kecke Frondeur fügte sogar hinzu, statt den Krieg fortzusetzen, sei es billiger, 25.000 Alldeutsche in Kaltwasser-Heilanstalten unterzubringen. Um diese Resolution zu verhindern, kamen jetzt die beiden Feldherrn nach Berlin.

Am 13. Juli 1917 sahen sich die beiden Deutschland zum ersten Male ins Gesicht, wahrscheinlich reichten sie sich sogar die Rechte. Im unnahbaren roten Generalstabs-Gebäude am Königsplatze, wo sie so oft über den Reichstag vor ihren Fenstern gespottet, empfingen die beiden Feldherrn – natürlich konnten die Militärs nicht zu den Zivilisten gehen – in getrennten Gruppen je zwei oder drei Abgeordnete von jeder Partei, die wie beim Zahnarzt, gewissermaßen familienweise aus dem Wartezimmer eingelassen, behandelt und wieder fortgeschickt wurden. Die Behandlung übernahm Ludendorff, der jeder Partei versicherte, wie gut es an der Front stände, wie sehr der Ruf nach Verständigung dem Lande schaden mußte, und der dann einige Fragen der sorgenvollen Patienten beantwortete, zum Beispiel: Wie lange werden die Schmerzen noch dauern? Können Sie für Heilung garantieren? Läßt sich das Übel mit Arzneien heilen oder muß geschnitten werden? Hindenburg verhielt sich als alter Consiliarus schweigend. Am Schlusse war das Erstaunen gegenseitig; die Vertreter des Volkes hatten in den Generälen weniger Löwen gefunden, als sie gehofft, und diese in jenen weniger Wölfe, als sie gefürchtet hatten. Dies war auch das einzige Mal, daß Hindenburg und Ebert einander begegnet sind.

Einige Tage zuvor hatte Bethmann diese Begegnung noch zu verhindern verstanden: mit dem plötzlichen Mut eines schon verlornen Mannes hatte er dem Kaiser eine Beeinflussung der Volksvertreter durch die Feldherrn als verfassungswidrig erklärt; diese Intrige hatte Bethmanns Sturz im Reichstag vollends beschleunigt. Als er aber abgehen wollte, hielt ihn der Kaiser fest, besonders, weil sein Kabinetts-Chef keinen Nachfolger wußte. 48 Stunden lang hoffte Bethmann wieder, verhieß als Geschenk für folgsame Abgeordnete das gleiche Wahlrecht in Preußen, eine Vorlage, die der Kaiser auch jetzt nicht unterschreiben wollte und schließlich telephonisch genehmigte. Hindenburg, gleich wieder abgereist, drahtete dem Kaiser, er möge jene Erklärung für den Verständigungsfrieden verhindern. Der Kaiser wehrte sich, ließ im Hauptquartier anrufen, worauf ihm Ludendorff nur sagen ließ, sein Abschiedsgesuch sei unterwegs. »Diesmal,« fügte er nach den Protokollen am Telephon hinzu, »werde ich nicht nachgeben, sondern auf meinem Willen bestehen!« Der Kaiser war zornig. Fürsten ärgern sich doppelt, weil sie es selber waren, die einen Vasallen groß gemacht, und doch können sie ohne Prokuristen nichts verdienen.

»Eure Majestät wissen,« heißt es in Ludendorffs Abschiedsgesuch vom 12. Juli, »daß es für mich als verantwortliches Mitglied der Obersten Heeresleitung unmöglich ist, zu dem Herrn Reichskanzler das Vertrauen zu haben, das als Grundlage für eine nützliche Zusammenarbeit … unerläßlich ist, nachdem der Krieg nicht mehr auf rein kriegerischem Gebiet ausgefochten werden kann. Das Vaterland muß an diesem Mangel an vertrauensvoller Zusammenarbeit leiden. Eurer Majestät ausgleichender Befehl kann dies nicht mehr verhindern.« Ähnlich Hindenburg in seinem gleichzeitigen Schreiben: gegen die geplante Resolution habe er die schwersten Bedenken. »Eure Majestät darf ich in Rücksicht auf das Heer alleruntertänigst bitten, der Reichsleitung aufzugeben, daß sie eine solche Erklärung verhindert.« Wir gehen, hatte er eine Woche zuvor noch an Bethmann geschrieben, »einem Heloten-Dasein entgegen, wenn wir einen »Verständigungsfrieden« schließen.«

Als auf diese Art Bethmanns Kopf gleichzeitig von den Volksvertretern und von den Feldherrn, dazu auch vom Kronprinzen gefordert wurde, hatte der gute Kaiser nur noch die Wahl, welcher Henker ihm angenehmer wäre, und da man dem Reichstage keinen Druck erlauben wollte, wurde Bethmann gewinkt, die seidene Schnur lieber aus den Händen Ludendorffs entgegenzunehmen. Gehorsam erklärte er als »selbstverständlich ausgeschlossen«, daß die Feldherrn abgingen, und war am nächsten Tage entlassen. Diese aber, die schon lange nicht so glänzend gesiegt hatten wie in dieser Schlacht um die Wilhelmstraße, fanden, als sie nun ein zweites Mal nach Berlin kamen und die Abgeordneten empfingen, einen »ungnädigen Herrn«, der ihnen sagen ließ, als Offiziere sollten sie lieber auf ihrem Posten verbleiben. Da sie keine Neigung zeigten zurückzukehren, ließ ihnen ihr furchtsamer Kriegsherr eine Liste von 3 oder 4 Kandidaten vorlegen, eine Speisekarte, von der sie nun, nachdem sie den Kanzler zum Frühstück verspeist, sich weitere Gänge wählen sollten. Der Name irgend eines Reichs-Kommissars, von irgend einem Hofmann aufgebracht, gefiel ihnen, vielleicht weil er an den Deutschen Michel erinnerte: sie wiesen mit dem Finger auf ihn, und am nächsten Tage regierte der in Deutschland unbekannte Michaelis das Reich. Seine Eignung zu diesem Posten faßte er selber anderntags in die zu einem Abgeordneten gesprochenen Worte: »Infolge der großen Arbeit bin ich ja bisher nur als Zeitgenosse neben dem Wagen der großen Politik hergelaufen.«

Das Füllen wurde von den erfahrnen Kutschern des Reichswagens sogleich in Zucht genommen. Zu diesem Zwecke stellte Hindenburg in einer Denkschrift alle Fehler seines Vorgängers zusammen: Mangel an Propaganda, Pessimismus, Schädigung des monarchischen Ansehens. Dies habe der neue Kanzler zu vermeiden. Aber auch die Abgeordneten wurden beim ersten Empfang des neuen Kanzlers erzogen: Hindenburg wünschte »mehr Pfeffer« in die geplante Friedens-Resolution; es würde die Offiziere entmutigen, wenn man auf Eroberungen verzichte. Der Kaiser dagegen, der sich für seine Niederlage rächen will und dafür nach seiner Art das Volk zum Forum wählt, sagt, während der Vize-Kanzler ihn mit Zigaretten bedient, zu den Abgeordneten: »Europa, unter Mir geeinigt, wird nach dem Frieden einen zweiten Krieg gegen England führen. Wo die preußische Garde auftritt, da gibt's keine Demokratie!«

Ein streng nationaler Historiker, Professor Delbrück, hat das Ganze »die Meuterei des Generals Ludendorff« genannt, und der ebenso nationale Hartung, Professor der Geschichte in Berlin, der sogar schon unter Aufsicht des Dritten Reiches schrieb, nennt den Vorgang »einen zweifellosen Übergriff der Obersten Heeresleitung in das politische Gebiet, ja, es war mehr als das. Da der Kaiser bei der ganzen Lage der Dinge auf ein Abschiedsgesuch seiner Generäle nur mit der Entlassung Bethmanns antworten konnte, war es zugleich ein Eingriff in die Thronrechte, und zwar dadurch, daß Hindenburg den von Ludendorff eingeleiteten Schritt mitmachte … Dazu kam, daß Hindenburg und Ludendorff zwar einen Kanzler zu stürzen wußten, aber keinen Nachfolger bereit hatten.« In der Tat war der Offizier Ludendorff überrascht zu hören, daß für einen Reichskanzler nicht immer gleich ein Reservemann da sei, wie für einen General, der doch in früheren Zeiten bei einem Sturmangriff und, durch ein unliebsames Versehen, schließlich auch heute fallen konnte.

Die Motive der beiden Generale waren verschieden. Für Hindenburg wäre ein solcher Eingriff in die Kronrechte seines Königs undenkbar gewesen, wenn er ihn als solchen empfand. Er muß sich also im Kopf eine Theorie der Pflichten, irgend ein Kartenhaus mit königlich-völkischer Spitze aufgebaut, er muß sich vorgespiegelt haben, daß er im Grunde dies alles für seinen König täte.

Ludendorff dagegen, der seinen König sicher schon damals verachtet hat, zeigt in seiner politischen Forderung von nun an ein doppeltes Gesicht. Als größter, wahrscheinlich einziger Kenner der militärischen Lage hatte er offenbar seit Übernahme der Macht die Erkenntnis der Ohnmacht gewonnen, wollte aber nicht der Mann sein, der einen faulen Frieden schloß. Er mußte, so sagt Oberst Haeften als Mitarbeiter später in der Untersuchung aus, »er mußte starke Kriegsziele haben, um die Stimmung an der Front zu erhalten, denn wenn der Soldat sieht, daß er bloß für einen Verständigungs-Frieden kämpft, fehlt ihm der nötige Elan.« »Die Schneidigkeit« – schreibt der nationale Professor Delbrück, – »die die Oberste Heeresleitung markieren wollte, ging auf Kosten der Regierung und zuletzt auch des Kriegsherrn. Auf diese mußte der Vorwurf der Schlappheit, dem die Oberste Heeresleitung entgehen wollte, sitzen bleiben, … weil die Nachgiebigkeit auf die Diplomatie fallen sollte.«

Diese Irrtümer stammen aus der Volksfremdheit der beiden Feldherrn, die ihnen nach Vorbildung in Kadettenhaus und Generalstab nicht zum Vorwurf, der Sache aber, die sie führten, zum Schaden gereichte. Im dritten Kriegsjahr war es dem Mann in allen Schützengräben der Erde gleichgültig, was etwa zu erobern war. Damals war kein französischer Soldat mehr mit der Phrase zu verlocken, er müsse kämpfen und leiden, um die preußischen Junker zu beseitigen, kein Russe mehr mit dem goldenen Kreuz auf der Hagia Sofia, kein Italiener mit der Befreiung des unerlösten Trentino; alle kämpften nur noch, weil sie mußten, oder im natürlichen Wunsche die eigne Heimat zu schützen. In diesem Gefühle hatte auch der deutsche Soldat das Gewehr ergriffen, und hätten in diesem Jahre der Krisis die Franzosen am Rhein gestanden, er hätte mit demselben Elan weitergekämpft, der die Franzosen in ihrem besetzten Lande erfüllte.

Nun aber stand er tief in Flandern und Polen, in Serbien und Rumänien, in Palästina und Armenien, und je mehr sich's erweiterte, um so sicherer begriff er, es war nur eine aufgespannte Luftblase. Wenn Hindenburg schreibt, um Elsaß-Lothringen hätten 1917 alle Parteien als Ehrenpunkt bis zum äußersten gekämpft, so hört man die Klasse heraus, die abends an seinem Tische saß. Deutsche und Franzosen waren damals wie heute des ewigen Streites um zwei gemischte Provinzen müde.

Damals, Herbst 17, war aufs neue der Friede in die Hände der beiden deutschen Feldherrn gelegt. Am 30. August hatte der Nuntius einen Vorschlag Frankreichs und Englands in Berlin übergeben, der Frieden anbot bei Herausgabe Belgiens ohne Entschädigung, Volksabstimmung in Elsaß-Lothringen, Herausgabe der deutschen Kolonien. Der Beamte, der in Vertretung der Generäle das Reich regierte, fragte im Hauptquartier an; der Kaiser erklärte darauf, die Hohenzollern »ständen und fielen« mit den Reichslanden (was auch später geschah). Die Feldherrn forderten außerdem noch Lüttich und die flandrische Küste; die eigne Schwäche sah in der des Feindes eine Aufforderung sich stark zu fühlen. Lloyd George aber schüttelte seine eignen Angstgefühle ab, fühlte sich, da man ihm nicht einmal Antwort gab, nun erst persönlich herausgefordert und sagte: »Germany must first be smashed!« Zehn Jahre später erklärte er an einem Denkmal: »Am Ende des dritten Kriegsjahres lagen 4 von 7 kriegführenden alliierten Ländern am Boden, ihre Armeen waren zersprengt. Wäre die deutsche Staatskunst der militärischen Tüchtigkeit gleich gewesen, so trat Amerika nicht in den Krieg, England und Frankreich standen allein der furchtbarsten Maschinerie gegenüber, die die Geschichte kennt.«

Tiefer Nebel lag über dem deutschen Volke. Noch immer glaubte es um sein Leben zu kämpfen, als die großen Herren um das Erzbecken von Longwy und Briey, die Junker um Siedelungs-Land in Polen, die Feldherrn um Küsten und Festungen in Belgien kämpften, und alle zusammen ihre Mitläufer in einer »Vaterlands-Partei« sammelten, die durch ihren generösen Namen jedes Nichtmitglied vom Vaterlande ausschloß. Diese Standesgenossen, Vettern und Kameraden Hindenburgs zeigten ihm im komfortablen Hauptquartier das deutsche Volk im Spiegel der Herrenklasse, aber der gemeine Soldat bekam den Feldmarschall nur im vorüberrollenden Auto oder bei einem Vorbeimarsch zu sehen. Er sah seinen Feldherrn nie mit einem Stück Wurst in der Hand am Straßenrande sitzen, wie einst sein Vorbild, der alte Blücher gesessen. Gut, daß er die Denkschriften nicht zu sehen bekam, in denen über seinen Hunger und über die Löhnung seiner Kameraden entschieden wurde: vielleicht hätte er sonst gemeutert.

Der gemeine Soldat hätte sonst in einem amtlichen Schreiben Hindenburgs vom März 17 gelesen, Belehrung würde die Leute den steigenden Hunger ertragen lehren: »Diese Belehrung muß aber Sache unserer Behörde sein. Ich halte es für verfehlt, wenn die Belehrung den Gewerkschaften und einer gewissen Presse (vergleiche »Vorwärts« vom 18. 3.) überlassen und sogar übertragen wird. Das hieße, den Bock zum Gärtner machen.« Er hätte sonst gelesen, der gemeine Soldat, daß Hindenburg noch im Juni 18 »eine Heraufsetzung der Offiziersgehälter im Frieden für unausbleiblich« erklärte. »Neuerdings ist mir fraglich geworden, ob wir mit einer solchen Heraufsetzung der Gehälter bis zum Friedensschlusse werden warten können.« Und nachdem er die steigenden Preise für alle Dinge aufgeführt: »Mit diesen Erscheinungen ist zwangsmäßig eine ganz außerordentliche Verteuerung des Lebens verbunden.« 12 Tage später klagt Hindenburg die andre Klasse an: die Leistung des Rüstungsarbeiters ginge zurück, weil »die Löhne zu hoch sind, so daß die Not des Lebens nicht mehr zur Arbeit zwingt oder zu Mehrverdienst anreizt.«

Aber auch ohne Kenntnis dieser Anklagen mußten die Maßnahmen der volksfremden Feldherrn den Groll des gemeinen Soldaten steigern; viele soziale Eingriffe des »Hindenburg-Programms« mußten wieder fortfallen, das nach Helfferich »Mengen von wertvollem Material und noch wertvollerer Arbeitskraft in industrielle Ruinen steckte, die teils nie vollendet, teils nie in vollem Umfang in Betrieb genommen worden sind. Man hätte … bei ruhiger Überlegung … unserer Wirtschaft Erschütterungen erspart, die an die Wurzeln der Widerstandskraft unseres Volkes gingen.«

Ja, nun sollte die patriarchalische Gewohnheit des Junkers, der zu Hause seine Leute mit Wohlwollen und Kohlrüben zur Räson bringt, sie sollte auf ein hungerndes Industrieland übertragen werden, und der gemeine Mann, der in der Not des Vaterlandes nicht zu denken, nur zu fallen hatte, sollte für die Ausdehnung des Reiches bis zum Peipussee weiterkämpfen. Seinen Schwung sollte er nicht darin finden, daß er den Boden der Väter verteidigte, sondern darin, daß einige Kohlen-Flöze östlich von Gleiwitz und Beuthen am deutschen Wesen genesen mochten und die unterirdischen Grenzpfähle sich in der ewigen Nacht der Grubenlampen nach Osten verschöben.

Die Gewohnheit des Offiziers, seine Truppen im Kadaver-Gehorsam zu halten, sollte auf ein Volksheer übertragen werden, in dem nicht mehr 30 %, sondern nur noch 3 % Berufssoldaten standen. Die Fortführung des alten preußischen Drills, den der Feldmarschall Boyen hundert Jahre vorher als »ein Gift für die Landwehr« verworfen, mußte dem jungen Freiwilligen und dem bärtigen Landsturm-Mann Pathos und Hingabe schmälern. Der Rest des alten adligen Offiziers-Korps, aus dem Viele vor dem Feind in rühmlicher Weise gefallen waren, fürchtete nicht den Tod, aber den Verlust seiner Stellung im Staate. Sie glichen einer jener Löwengruppen im Zirkus, die jeden Abend aufgestellt, beleuchtet und beklatscht worden war, nur ihrem königlichen Dompteur gehorchend – und nun stürmen eines Abends plötzlich gewöhnliche Büffel in die Menagerie. Mußte das nicht die Stellung der Löwen erschüttern?

Kam er auf Urlaub zurück, so erfuhr der gemeine Soldat, die regierende Klasse sträube sich immer noch, ihren Volksgenossen das gleiche Wahlrecht einzuräumen. Das sollte alles patriarchalisch mit einer »Osterbotschaft« des Königs eingeleitet werden; mit Hohenzollernscher Pünktlichkeit wurde die Schuld des Wahlrechts drei Jahre zu spät von oben herab als Prämien-Zahlung leutselig versprochen und nie gezahlt. Da die beiden Feldherrn ihr Vaterland in der Staatsidee hatten und nicht im Volke, gaben sie alle ihre technischen Mittel der Vaterlandspartei, die dieses Wahlrecht als ein Unglück und Parlamentarisierung als Schmälerung der Krone bekämpfte. Noch in seinen Memoiren klagt Hindenburg über solche »Erpressung« unter dem Drucke des Krieges. Ludendorff trat schon damals offen gegen die Wahlreform auf und begünstigte einen Antrag der Junker, mit dem sie sich die Unteilbarkeit ihrer feudalen Güter für alle Fälle sichern wollten. Der Lärm darüber durchhallte den Landtag am 14. März 17. Am selben Abend blitzte ein Funkspruch durch die Welt: Revolution in Petersburg!

Schon bei Bewilligung des zweiten Kriegs-Kredites hatte ein Teil der deutschen Sozialisten sich separiert. Aber noch im März 16, als in allen Parlamenten die Sozialisten längst für Frieden ohne Sieg sprachen, wurde dem einzigen, der ihn im Reichstag forderte, das Wort entzogen, weil es wahr war. Als im April 17 sich eine Minorität von der Partei als »Unabhängige Sozialdemokraten« absprengte, wurde derselbe Haase leidenschaftlich verfolgt, bis sie ihn später umbrachten. Welchen Eindruck mußte in solcher Stimmung die russische Revolution mit ihren Arbeiter- und Soldaten-Räten auf den deutschen Arbeiter machen! Die deutschen »Meuterer« im Juli 17 nahmen keine Offiziere gefangen, forderten keinen Abbruch des Krieges: sie gingen nur ohne Urlaub von Bord, kamen abends wieder und forderten in einer Erklärung denselben Frieden ohne Eroberungen, den Wilson seit zwei Jahren unter dem Beifall der meisten Minister der Entente vorgeschlagen hatte. Ihre zweite Forderung, gleiches Essen für Alle, entsprang der täglichen Magenfrage von Millionen, in der Festung gefangener Deutschen. Aber die beiden Feldherrn wollten gegen diese Matrosen das schärfste Kriegsgesetz im dritten Kriegsjahre angewendet wissen, und so wurden zwei Todesurteile, 181 Jahre Zuchthaus und 180 Jahre Gefängnis über die verhängt, nach deren Vision ein Friede das Land vor dem Versailler Vertrage gerettet hätte.

 

XIII

An Warnungen fehlte es nicht. Im vierten Kriegsjahre führte der Hunger die Hälfte der Deutschen zu den Motiven des ersten zurück: es gälte nur, Land und Leben zu retten. Doch nicht bloß Bürger und Zivilisten im Hinterlande, auch mächtige Heerführer traten beschwörend vor die beiden Diktatoren.

Der deutsche Kronprinz, der wohl noch zu den frühstückenden Deutschen gehörte, ging unter die Defaitisten: »Führt der U-Bootkrieg – hieß es in seiner geheimen Denkschrift – in bestimmter Frist nicht zum Ziele, dann muß der Kampf abgebrochen werden. Die Verluste sind nicht mehr zu ersetzen, der Feind führt ständig neue Reserven heran.«

Ernster erschien die Figur des bayrischen Kronprinzen Rupprecht, gleichfalls Armeeführer im Westen, der in den Krisentagen des Juli 17 in einem vier Druckseiten füllenden Brief an den Grafen Hertling schrieb:

»Selbst wenn die im Osten noch benötigten Truppen dort frei werden sollten, würden diese nicht genügen, im Westen eine Entscheidung herbeizuführen … Daß der U-Bootkrieg eine Aushungerung Englands kaum herbeizuführen vermag oder bestenfalls erst nach sehr langer Zeit, scheint festzustehen … Der Mannschafts-Ersatz droht im Ablauf dieses Jahres bei uns zur Neige zu gehen … Es ist deshalb von ausschlaggebender Wichtigkeit, bis zum Herbst einen Frieden mit Rußland zu erlangen unter Verzicht auf irgendwelche Annexionen und Entschädigungen … Was nun die amerikanische Hilfe betrifft, so ist diese nicht zu unterschätzen … Die Zeitspanne vom Spätherbst ab muß meines Erachtens zu Verhandlungen mit dem Gegner ausgenutzt werden … An der Forderung der Rückerstattung der Kolonien darf die Erreichung des Friedens nicht scheitern.«

Setzen wir den leicht möglichen Fall, dieser Heerführer wäre im August 14 im Hinblick auf Geburt und Rang als Oberkommandierender über Ludendorff an Hindenburgs Stelle berufen, also der offizielle »Sieger von Tannenberg« geworden. Dann hätte er nach den großen Schlachten, für die er als General dieselben Kenntnisse wie Hindenburg und überdies noch einen königlichen Rang mitgebracht, durch dieselbe Popularität des Siegers bald mit Ludendorff die höchste Macht bekommen, sich aber nicht vor diesem gebeugt, sondern vernünftige Ziele verfolgt. So aber konnte er als einer der höchsten Heerführer machtlos wie ein Zuschauer seinem ebenso machtlosen Ministerpräsidenten nur kluge Briefe schreiben.

Solche Schriftstücke wurden von den beiden Feldherrn mit ihrem Siegeswillen verachtet. Inmitten aller Warnungen forderten sie Polen, Kurland und Litauen, die flandrische Küste, Stücke Rumäniens, und dies erst recht im Sommer 17, als die Meuterei in 16 französischen Korps und das Desordre in Rußland die Pariser Stimmung herabdrückte. »Wir können,« erklärte Hindenburg, »jedem militärischen Ereignis mit vollem Vertrauen entgegensehen und sind in der Lage, den Kampf auch ohne Österreich fortzusetzen.«

Doppelt war seine Forderung auf Eroberung begründet: da er an die Worte des Königs zu glauben gelernt hatte, hielt er Deutschland wirklich für schmählich überfallen. Also wollte er das Reich gegen einen künftigen Einfall derselben Art schützen, durch Erwerb von Kohle, Eisen, Getreideland. Nicht die Industriellen und Junker, die sie berieten: die beiden Feldherrn, die die verzweifelte Lage kannten und dennoch nach Soldatenart immer weiter erobern wollten, haben den historischen Verlauf entschieden. Auf einem Kronrat im September 17 forderten sie als Grundlage eines Verständigungs-Friedens: Landgewinn in Oberschlesien, das lothringische Erzbecken, Belgien so angeschlossen, das es selbst politischen Anschluß an Deutschland sucht: »als Folge davon würde auch Holland angezogen werden,« die England gegenüber liegende Küste, außerdem ein großes Kolonialreich in Afrika. Diese Denkschrift Ludendorffs, die Hindenburgs Namen trägt, nennt der Neffe Gert von Hindenburg, in seiner Apologie des Onkels, die Wirrnis in dem Kopf eines politisierenden Generals, und fährt fort: »Diese Kriegsziele waren phantastisch, ein unerfreuliches Vorbild für die späteren Sieger. Feierlich hatte Bethmann die völlige Wiedergutmachung garantiert … Ohne eine langjährige militärische Okkupation hält der Generalfeldmarschall eine wirtschaftliche Angliederung Belgiens für aussichtslos … Die Oberste Heeresleitung sieht nicht, wie abgekämpft unsere Truppen sind … Wundern muß man sich nur, daß sich die Oberste Heeresleitung die Frage nie vorgelegt hat, wie weit die ja auch dem Gegner bekannten deutschen Kriegsziele für den Vernichtungswillen des Feindes verantwortlich seien.«

In dieser Epoche, zu deren Darstellung man die »Zermürbungs-Taktik« selbst gegen den Leser zu wenden versucht ist, wurde auch das strategische Handeln der beiden Feldherren immer unverständlicher, und man tut gut, jenen Neffen, den Major von Hindenburg in seinem, auf Ehrfurcht und Ruhm gestimmten Buche sprechen zu lassen: er begreift nicht, »weshalb Hindenburg nach Übernahme der Obersten Heeresleitung nicht sofort die von ihm bis dahin so eifrig angestrebte Entscheidung im Osten herbeizuführen sucht. Nach der Niederlage Rumäniens … hätte sich der entscheidende Schlag führen lassen.«

Ebenso verhängnisvoll erscheint diese Haltung dem jüngeren Hindenburg im Sommer 17, da es »richtiger gewesen wäre, selbst unter Aufgabe von wichtigen Frontabschnitten im Westen alle freiwerdenden Truppen gegen Rußland zu werfen, den kaum noch Widerstandskraft besitzenden Feind zu zerstreuen und rasch den Frieden zu erzwingen … Tatsächlich hätten die deutschen Truppen nach Ansicht maßgebender Militärs ohne wesentliche Kämpfe eine Woche später in Petersburg stehen können. Die Weltgeschichte hätte ein anderes Ansehen bekommen. Angesichts eines solchen Erfolges wäre Kerenski … wahrscheinlich zum Frieden geneigt … und es wäre ihm vielleicht möglich gewesen, die bolschewistische Revolution niederzuschlagen.« Und nachdem er dasselbe für Italien nachgewiesen, behauptete der jüngere Hindenburg, »daß Hindenburg dem gleichen Fehler verfällt, den er als Oberbefehlshaber Ost so oft an Falkenhayn getadelt hat.«

Als damals der jüdische Professor Haber mit einer Erfindung die Armeen der Deutschen stärkte, wie sie vorher der Jude Rathenau durch Zusammenziehung und Ersatz der nötigen Rohstoffe vor Hunger bewahrt hatte, warnte Haber die beiden Feldherrn vor dem Gebrauch seines neuen Giftgases, wenn sie nicht sicher wären, den Krieg in einem Jahre zu Ende zu führen: so lange brauchten die Franzosen, um das Gas nachzuahmen, dann aber würden sie sich selber gegen seine Wirkung mit Gummimänteln schützen, die das belagerte Deutschland nicht aufbringen könnte. Ludendorff nickte, und der Sieg an der Piave gegen Italien war wesentlich der Überraschung durch dieses neue Gas zu danken. Da die Franzosen 16 Monate zur Nachahmung brauchten und das Kriegsende nicht vorauswußten, hatten sie für einen neuen Winter-Feldzug 1919 über 50.000 Tonnen dieses Gases bereit gestellt.

Wie sind diese Zeichen von Hybris und Furcht bei Ludendorff zu erklären, wie die großen Unterlassungen und immer neuen Versuche: wie anders als durch ein tiefes Gefühl, daß er nicht siegen konnte! Dies Gefühl scheint ihn bei Übernahme der Führung überkommen zu haben, denn vorher, in der Opposition war er gewiß so siegesgewiß gewesen wie jeder, der stärkere Gaben in sich fühlt, als er seinem Vorgesetzten zugestehen mag. In einem bedeutenden Satze rührte er später selber leise an das Problem: »Wir dehnten uns über die Erde aus, ohne in Europa festzustehen … Wir traten ohne Nationalbewußtsein zu früh in die Welt.« Da sein Ehrgeiz nicht zuließ, den Krieg durch Verständigung zu liquidieren und er doch am Siege zweifeln mußte, eben weil er alle Zahlen und Kräfte kannte, feuerte er immer wieder die Deutschen an, sprach oft von einem Glücksfall, der sich ereignen könnte, von den Launen der Kriegsgöttin, geriet in eine Spielerstimmung, die einem Kadetten nicht entsprach; denn wenn ein Preuße dithyrambisch wird, gibt es immer ein Unglück. Wahrscheinlich beneidete er zuweilen den Feldmarschall an seiner Seite um Einfachheit und Glauben.

 

XIV

Noch einmal winkte Beiden das Glück. In einem abenteuerlichen Einfall hatten sie Lenin von Zürich nach Petersburg transportiert, in dem Gedanken, durch diesen Mann ein geistiges Giftgas abzublasen, das alle tot zu Boden streckte. Auf der kurzen Welle war die Wirkung richtig berechnet, auf der langen wurde es ein Sieg ihres Todfeindes. Niemand wußte, als sie anfing, wie die erstaunliche Fahrt enden sollte, am wenigsten Lenin, als er mit 30 Freunden den plombierten Wagen dritter Klasse von Stuttgart Richtung Nordost verließ, von Finnland aus auf Schlitten nach der Grenze seiner Heimat fuhr. Plötzlich sah er sich auf dem Bahnhof in Petersburg als Volksheld empfangen. Als er nach einem halben Jahre die Macht wirklich in Händen hielt, war er, im Gegensatze zu Kerenski, sofort zum Frieden entschlossen.

Damals rief Trotzki durch den Äther seinen unsterblichen Aufruf »An Alle!« Ein neuer Ton durchdrang die Welt. Der »Funke« hatte Lenins verbotene Zeitschrift geheißen, der Funke war es, der jetzt die erste Weltbotschaft in die entfernten Länder trug. Ja, es war wirklich ein Funke des Geistes, zugleich der Leidenschaft, der plötzlich alle kriegführenden bei Einem Namen nannte: wo nicht der größte, doch der schönste Augenblick des Krieges. Zum ersten Male wurden die Staatsbürger aller Zungen aufgerufen, sich wieder als Brüder zu bekennen.

Das Unglaubliche war geschehen! Eine der vier Weltmächte, die seit drei Jahren an der Türe der großen deutschen Festung rüttelten, war zum Frieden bereit, wahrscheinlich auf jede Bedingung, denn ihre neuen Führer dachten weniger an das Land als an die Leute. Rußland, der Spezialfeind der beiden Feldherrn, zudem der am wenigsten gehaßte Feind Deutschlands, war in ein paar Tagen, mit wenigen Paragraphen eines Vertrages zu gewinnen, mehr als eine Million Mann wurde frei, konnte nach Westen geworfen und eingesetzt werden, bevor die Amerikaner da waren.

Doch die beiden Feldherrn waren damit beschäftigt Deutschland zu regieren. Zunächst mußten sie ihre letzte Creation fallen lassen, Michaelis, der sich als Mitläufer neben dem Wagen der Politik bezeichnet hatte und ihnen eben deshalb zum Kanzler des Deutschen Reiches geboren schien. An die Spitze stellten die Diktatoren jetzt zwei neue Männer, deren auffallendste Eigenschaften waren, sehr alt und sehr jung zu sein. Sollte der 74 jährige Reichskanzler vom 44 jährigen Staatssekretär des Äußeren verjüngt oder sollte dieser von jenem gezügelt werden? Gewiß ist nur, daß der alte Herr »von Geburt eine Mumie« war, der junge sich aus Snobismus dazu erzog. An sich hätte die Verbindung eines Philosophen mit einem Weltmann zu dem Charakter der Deutschen nicht schlecht gepaßt, aber die Feldherrn hatten auch diesmal zu schwachen Figuren gegriffen, denen sie sich an Vitalität überlegen fühlten, und darauf kommt es in der letzten Runde an. Der riesige Hindenburg hätte den um vier Jahre älteren, zierlichen Grafen auf der Schulter aus dem Reichstage tragen können, und mit dem Jüngeren wäre Ludendorff beim Ringen noch jetzt fertig geworden. Die Zeiten, als Herr von Kühlmann als junger Attaché in Husaren-Uniform ins Wasser sprang, waren vorüber, nachdem er mit dieser Attitüde seine Karriere gemacht hatte.

Übrigens konnte Kühlmann auch denken, ja, er hätte nach seinem Verstande im Jahre 18 noch einmal das Reich retten können, wäre er nicht von zynischem Charakter gewesen. Niemals hat ein Name besser zu einem Menschen gepaßt als der seinige.

Dagegen trug der katholische Graf Hertling seinen Namen, wenn er von hart herkommen sollte, zu unrecht, denn er war so biegsam, daß er seine philosophische Arbeit »auf dem Boden der griechischen Philosophie, im Sinne der christlichen Väter und der Lehre des Mittelalters« aufbaute und überhaupt nur zweimal in seinem Leben ernstlich opponiert hat: einmal, als er gegen Bismarcks Politik für die Unfehlbarkeit des Papstes auftrat, und jetzt, vierzig Jahre später, als er gegen die Unfehlbarkeit Hindenburgs auftrat. Da er das Schiff sinken fühlte, das er steuern sollte, nahm er sich sogleich zwei von den unbekannten Heizern aus dem Bauche des Schiffes herauf auf die Brücke, damit sie ihn im Falle des Kraches von der Verantwortung entlasteten. Nachdem die Demokraten im deutschen Reichstage Jahrzehnte und nun wieder drei Kriegsjahre lang vergeblich versucht hatten mitzuregieren, fühlten sie sich jetzt geschmeichelt, kurz vor dem Untergange das Steuer mit ergreifen zu dürfen. Sie hätten ablehnen müssen, aus Leidenden Mitschuldige zu werden. Hertling nahm als erster Kanzler aus dem Reichstag zwei Demokraten in sein Kabinett, deren einen er zum Vize-Kanzler machte.

Für die beiden Feldherrn war dieser erste Schritt zur Volksherrschaft eine Rückversicherung im Fall ihres Scheiterns; sie haben später in entscheidender Stunde diese Volksfalle groß ausgebaut.

Den Waffenstillstand mit den Bolschewisten hatten die Militärs allein abgeschlossen, denn welcher Sieger läßt sich die Chance entgehen, den Besiegten mit jenem Blicke zwischen Stolz und Gnade zu treffen, von dem er seit dem ersten Schuß geträumt hat! Der geschlagene Feldherr freilich hat es weniger eilig zu diesem Rendez-vous. Da aber in diesem Falle die Feldherrn faktisch das Reich regierten, forderten sie Mitwirkung auch an der Gestaltung des Friedens, der sonst den Staatsmännern vorbehalten bleibt: sie entsandten als ihren Vertreter den General Hoffmann an den Verhandlungstisch, offenbar, um diesen mit einer Uniform zu schmücken. Auch wäre er wirklich recht kahl erschienen in dem öden Hause, das man in Brest-Litowsk, einem halbzerstörten Juden-Städtchen weit an der polnischen Grenze, zur Verhandlung bezogen hatte.

Dem Glanze der Schlösser, in denen Fürsten und Diplomaten früher ihre Friedensverhandlungen geführt hatten, folgte zum ersten Male der graue Ton eines winterlichen Gasthauses in östlicher Wüstenei, und während sich ehedem bei Konferenzen neugierige Damen in eifersüchtigen Empfängen hinterm Fächer bekämpften und der wirkliche Friede zwischen offiziellen Tages-Sitzungen in galanten Schlafzimmern zubereitet wurde, war hier neben den anonymen Typistinnen nur ein weibliches Wesen zu sehen, eine russische Arbeiterin, die mit den Männern zusammen gekommen war. Eine neue Epoche der Weltgeschichte kündigte sich in diesen Zügen an, die man mit dem Namen Äußerlichkeiten vergebens abzutun sucht, denn es sind Symbole; eine neue Epoche, dem Auge weniger bietend als frühere Friedensschlüsse, dem Ohre mehr, denn aus dieser öffentlichen Verhandlung zwischen zwei Staaten trug zum ersten Male der elektrische Funke jedes gesprochene Wort sogleich in die Welt.

So neu wie die Form war der Inhalt: weder Sieger noch Besiegte, weder Eroberungen noch Entschädigungen sollte es geben, die Völker sollten nicht mehr von Königen verschoben werden, sondern ihr Schicksal bestimmen. Diese Gedanken, deren Heraufkunft das einzige Resultat des Weltkrieges darstellt, waren in den gleichen Tagen von Wilson im Sinne seiner früheren Reden in 14 Punkten zusammengefaßt und vom Grafen Hertling und dem Grafen Czernin in ihren Reden zu Berlin und Wien im großen Ganzen angenommen worden. Räumung der russischen Gebiete, Selbstbestimmung und Aufnahme Rußlands in den Völkerbund, besagte Punkt VI. Bei all dem kam es nicht auf den Wortlaut an, aber auf eine Weltanschauung, die gegen Ende eines endlosen Krieges die Menschen in allen Erdteilen zu ergreifen begann.

Diese vor aller Welt zu bejahen, war jetzt die Aufgabe der Deutschen; sie waren es ja, die sie durch die Tat und das Wort bisher hartnäckig verneint hatten. Gingen sie jetzt darauf ein, bewiesen sie als erste Sieger im Weltkriege ihre Wandlung durch die Zeit, so riefen ihnen die Völker aller feindlichen Länder lauten Beifall zu und nahmen ihren eignen Chauvinisten das schlagendste Argument. Werden die beiden Feldherren in diesen Weihnachtstagen erkennen, daß die Geschichte den Deutschen das Los zuwirft und winkt, sie mögen das neue Spiel als die ersten beginnen? Werden sie dort, wo sie seit zwei Jahren ja doch jede Offensive eingestellt, die unwiederbringliche Chance ergreifen?

In das öde russische Nest verschlagen hatten die vornehmen Herren wohl zum ersten Male das Gefühl, als sei Krieg in der Welt. Doch wohlerzogen, wie sie waren, suchten sie sich für das ausfallende Weihnachtsfest, für ihre Palais in Berlin und Wien durch Beobachtung komischer Einzelheiten zu entschädigen. So verzeichnen sie etwa in ihren Memoiren, daß ein russischer Delegierter, ein Bauer, sich bei Tische mit der Gabel in den Zähnen stocherte, oder daß ein anderer, – später russischer Botschafter in Berlin, – offenbar meinte, »daß es allen Menschen im Kommunismus gut gehen würde und einigen, worunter, wie ich annehme, er sich selbst rechnete, noch etwas besser.« Mit derselben Kraft, die sie in solchen Glossen verschwendeten, benützten ihre Gegner die Verhandlungen, um den Arbeitern der ganzen Welt in langen Reden ihre Ideale zu entwickeln. Wenn dann Joffes logische, wenn später die metallene Stimme Trotzkis die neue Lehre vorgetragen hatte, versuchte Kühlmanns müdes Organ mit ein paar platonischen Wendungen die Kultur Europas zu retten.

Gleich nach den ersten Tagen zwängte sich zwischen beide Stimmen eine dritte, wenn auch nur durchs Telephon. Die beiden Feldherrn hörten mit Schrecken den Staatssekretär ernsthaft einige von Wilsons 14 Punkten billigen, die man doch nur zum Schein als Basis anerkannt habe. Was fiel denn dem designierten General Hoffmann ein, dazu zu schweigen? Jetzt formulierte Hindenburg in einem Brief an den Kanzler seine Bedingungen: die besetzten Gebiete in möglichst fester Form dem deutschen Reiche angegliedert, von Polen zur Sicherung der deutschen Grenze einen Korridor, in dem fast zwei Millionen Polen wohnten.

Die Forderungen der Feldherrn, entgegen den im Waffenstillstand zugesagten Bedingungen, erregten große Krisis, Unterbrechung der Verhandlungen, alles reist nach Berlin zum Kaiser. Neujahrstag, Orgel im Dom, Trompeten auf der Straße, großer Umzug. General Hoffmann, der Polen nicht verstümmeln will, wird vom Kaiser über das Frühstück weg dabehalten, da er geeignet scheint, ihm gegen die Feldherrn den Rücken zu stärken, und zeichnet nach Tische dem Kaiser eine vernünftige Grenzlinie ein. Da die beiden Feldherrn versäumt haben mitzufrühstücken, serviert ihnen der Kaiser andern Tages die Karte nach, erklärt, er nehme seine frühere Zustimmung zur Eroberung zurück, und stabiliert, so recht im Stile des Sonnenkönigs: »Hier, meine Herren Generale, finden Sie die künftige Grenze Polens, wie Ich sie als Oberster Kriegsherr für richtig halte, … gestützt auf das Urteil eines berufenen Fachmanns, des Generals Hoffmann.«

Jetzt wird Ludendorff wütend:

»Ich kann nicht dulden, daß Eure Majestät sich von einem mir unterstellten Offizier Vortrag halten lassen. Diese Grenze kann ich nicht anerkennen.« Hindenburg vermittelt. Der Kaiser macht der peinlichen Szene ein Ende mit den Worten: »Ich erwarte also nochmals Vortrag der Obersten Heeresleitung.« Ohne Einigung verlassen alle Schloß Bellevue und reisen in verschiedenen Richtungen ab, ohne sich jedoch, wie die Hexen in Macbeth, ein neues Rendez-vous zu geben.

Am nächsten Tage trugen die beiden Feldherrn erneut dem Kaiser ihren Rücktritt an, kein halbes Jahr, nachdem sie Bethmanns Sturz mit diesem Mittel erzwungen. Dabei beginnt Hindenburg mit vollem Pathos:

»Eure Majestät,« – schreibt er am 7. Januar 18 an den Kaiser, und man erkennt den Stil Ludendorffs, – »haben dem General Ludendorff und mir das Recht und die Pflicht übertragen, mit darüber zu wachen, daß das Ergebnis des Friedens den Opfern und Leistungen des deutschen Volkes und Heeres entspricht … Nach dem Eindruck in Brest scheinen die deutschen Unterhändler mehr diplomatisch als kraftvoll aufgetreten zu sein … In der polnischen Frage haben Eure Majestät geruht, das Urteil des Generals Hoffmann höher zu stellen als das meinige und das des Generals Ludendorff. Hoffmann ist mir unterstellt und ohne eigne Verantwortung in der polnischen Frage. Der Vorgang am 2. Januar hat mich und General Ludendorff auf das schmerzlichste berührt. Es ist für uns ein Zeichen, daß Eure Majestät in einer das Leben des deutschen Vaterlandes berührenden Frage unser Urteil hintansetzen …

»Euer Majestät hohes Recht ist, zu entscheiden. Aber Eure Majestät werden nicht verlangen, daß aufrichtige Männer, die Eurer Majestät und dem Vaterlande treu gedient haben, sich mit ihrer Autorität und ihrem Namen an Handlungen beteiligen, an denen sie sich aus innerster Überzeugung als schädlich für Krone und Reich nicht beteiligen können. Eure Majestät werden nicht verlangen, daß ich Eurer Majestät Vorschläge zu Operationen unterbreite, die zu den schwersten der Weltgeschichte gehören, wenn sie zur Erreichung bestimmter militärpolitischer Ziele nicht nötig sind. Eure Majestät bitte ich alleruntertänigst, sich grundlegend zu entscheiden. Meine und General Ludendorffs Person dürfen bei Staatsnotwendigkeiten keine Rolle spielen.«

So weit war es gekommen mit dem König von Preußen, der einst dem Kadetten im Himmel der Ordenssterne als Idol vorgeschwebt! Mit welchen Gefühlen setzte der siebzigjährige Feldmarschall seinen Namen mit dem üblichen Schnörkel unter diesen, für ein Offiziers-Gehirn furchtbaren Brief an seinen König!

Als aber der Kanzler am andern Tage Hindenburgs Brief zu lesen bekommt, fühlt sich der alte Graf in seines Herren Ehre beleidigt, stellt dem Kaiser die Unbotmäßigkeit seiner Feldherrn dar und schließt mit ihm und drahtlich auch mit Kühlmann eine neue Front, an der sich die beiden Feldherrn, wie man damals sagte, blutige Köpfe holen mögen. In einer acht Druckseiten füllenden Denkschrift an den Kaiser stellt sich der alte Hertling, der sein undankbares Amt nicht festhalten will, endlich in jene Positur, vor der seine beiden atemlosen Vorgänger sich drei Jahre lang gefürchtet hatten, denn er schreibt:

»Die militärischen Stellen können ihre Forderungen jederzeit aus eigener Initiative vorbringen, jedoch immer nur im Sinne von Anregungen und Ratschlägen oder von Bedenken, nicht in Form von Anweisungen, denen der Reichskanzler nachzukommen hätte … Es scheint nicht vertretbar, daß Hindenburg und Ludendorff die Fortsetzung ihrer unentbehrlichen militärischen Arbeit unter Umständen von der Erfüllung politischer Forderungen abhängig machen, deren Entscheidung ausschließlich Sache der Krone und ihres staatsrechtlich verantwortlichen Ratgebers ist. Sollte man aber das Kapital an Vertrauen des deutschen Volkes, das die beiden Heerführer sich erworben haben, auch in politischer Beziehung restlos so weit ausnützen wollen, daß auch ihre politischen Wünsche uneingeschränkt maßgebend sein sollen, so kann dies nur dadurch geschehen, daß die gesamte militärische und politische Leitung verantwortlich in die Hände der Herren gelegt werden würde … Eine derartige Gestaltung der Reichsleitung würde vermutlich nicht ohne schwere innere Folgen sein.«

Daß diese Worte, – die einzigen, die je gewagt wurden und sogleich in Abschrift den beiden Feldherrn vor Augen kamen, – daß sie von einem Philosophen stammen, ist der einzige Silberblick in dieser deutschen Nacht und zeigt, daß Berlin nicht bloß von Potsdam, sondern, wenn auch langsamer, doch auch von Weimar aus erreichbar geblieben war; denn in diesen Worten grollt der Geist auf gegen die ewige Uniform. Vom Philosophen gestärkt, besonders da er ein Graf ist, wagt nun auch der Weltmann vom unwirtlichen Osten, wagt Kühlmann zu opponieren, und der Kaiser, froh, sich endlich von zwei Seiten gegen die Diktatoren gestützt zu sehen, beläßt den bösen General Hoffmann am Verhandlungstisch und schickt an Hindenburg eine Antwort, die von irgend einem höfischen Stilisten in Öl statt in Tinte geschrieben scheint:

»Ich danke Ihnen herzlich für den soldatischen Freimut und die rückhaltslose Klarheit, mit denen Sie für Ihre Überzeugung eingetreten sind … Mein Vertrauen zu Ihnen Beiden kann auch nicht erschüttert werden dadurch, daß Ich und Mein politischer Ratgeber, der Reichskanzler, in manchen Punkten von Ihren Darlegungen abweichen.« Er erwarte aber, daß sie weitere Bedenken fallen ließen, »um sich unbeeinflußt den weiteren Aufgaben der eigentlichen Kriegsführung widmen zu können. Sie können, mein lieber Feldmarschall, versichert sein, daß Sie jederzeit ein offenes Ohr bei mir finden, und daß mir nichts ferner liegt, als Ihren wertvollen Rat ungehört bei Seite zu schieben. Ich bitte Sie vielmehr ausdrücklich, Mir denselben auch fernerhin nicht vorzuenthalten und bleibe Ihr wohlgeneigter und dankbarer König Wilhelm R.«

Und nun, fragt sich gespannt der Hörer dieser grausamen Geschichte: was konnte nun die Unterhändler noch hindern, auf Wilsons Pfeilern jenen Frieden der Verständigung zu schließen, der die beständigen Angriffe gegen das »Eroberer-Volk« und so den Grund zur fortgesetzten Kanonade dem überlegenen Gegner aus den Händen pascht? Wird endlich die Vernunft über Prätensionen siegen?

Nicht doch, es kommt zum happy-end, denn alles war nur ein Intrigenspiel alten Stiles. Nicht weil sie Verständigung wollten, sind die beiden Zivilisten so arg in Rage geraten; erobern wollen sie nicht weniger, darin läßt sich ein deutscher Staatsmann nicht gern aus dem Felde schlagen; denn Philosoph und Weltmann sind auch von Adel, haben auch des Königs Rock getragen, und teilen Hindenburgs kernige Definition: »Politik ist, mit allen Mitteln seinem Gegner zu schaden.«

Nur dreinreden lassen wollten sie sich nicht, und der ganze Zwischenakt war nichts als Eifersucht der Instanzen. Was lärmen die Russen? Verzicht auf gewaltsame Annexionen hätte man ihnen im Waffenstillstande zugesagt? Ja, unter dem stillen Vorbehalte, daß auch die andern Feinde zur Verhandlung kommen. Wie? Der deutsche Arbeiter, der alle Hoffnungen auf die neuen Töne von draußen setzte, sei unruhig geworden? Streik droht in Berlin, und in Wien ist er schon da?

Gegen solche Störungen nach außen und innen ruft ein preußischer Minister den Gott, der Eisen wachsen ließ, besonders wenn er am Friedenstische sitzt und Generalsuniform trägt. Auf Kühlmanns eigne Bitte, nicht auf Befehl der beiden Feldherrn erhebt sich also in Brest plötzlich der General Hoffmann, vielmehr, er bleibt ostentativ auf seinem Stuhle sitzen und erklärt den Russen, wir sind die Sieger, – so wie es seit tausend Jahren der Geschlagene zu hören bekam. Daß er dabei mit der Faust auf den Tisch geschlagen, hat er bestritten; gedröhnt hat es auch ohne das durch die ganze Welt, und als die Russen noch einmal auf Wilson zu weisen wagen, brechen die Deutschen die Verhandlung ab: der Krieg im Osten beginnt aufs neue, ohne Widerstand marschieren sie ins Innere des Landes, besetzen in ein paar Tagen Livland und Estland; Lenin sieht seine Hauptstadt in Gefahr und bittet sofort um Frieden. Als Trotzki nicht nachgeben wollte und Abstimmung durchs Volk forderte, erwiderte Lenin, auf die nach Hause laufende Armee hinweisend: »Sie haben ja schon abgestimmt: mit den Füßen!«

Die beiden Feldherrn aber, bisher grollend wegen jener beiden bösen Briefe, reichen die Hände am guten Ende und fordern: »Anschluß Litauens und Kurlands, einschließlich Riga und der Inseln an Deutschland, da wir zur Volksernährung mehr Land brauchen.« Die Annahme dieser Bedingungen wird »binnen 48 Stunden durch einen Kurier« gefordert, alles à la Napoléon. Als die Russen durch Funkspruch annahmen, verschärfte General Hoffmann die Bedingungen und forderte ihre Unterzeichnung in 3 Tagen. Noch im August 18 sind Zusatz-Verträge erzwungen worden, in denen die Russen gänzlich auf Livland und Estland verzichten und 6 Milliarden Goldmark zusagen mußten.

Und da er eben im Schwung war, wurde gleich darauf von demselben Kühlmann auch in Bukarest ein Siegfrieden geschlossen, für den die diktierenden Feldherrn noch im Frühjahr 18 verlangten: Staats-Domänen, Petroleum-Quellen auf 90 Jahre, Eisenbahn, Wirtschaftskontrolle, Verkleinerung der rumänischen Armee, des Kriegsmaterials, Besetzung des Landes über 5 Jahre, Lieferung von Getreide, Abtretung der Dobrudscha. Die Folge? Wendung Wilsons in einen neuen Ton: auf solche Friedensschlüsse sei die Antwort »Gewalt bis zum äußersten, ohne Einschränkung, die alle selbstsüchtige Herrschaft in den Staub schmettern wird!«

Aber die todesmutigen Feldherrn kommt dabei kein Gruseln an. Sie sehen nicht den Tag, der ihnen selber in der gepanzerten Faust ihrer Feinde dieselbe Art Frieden hindrohen wird: Tributfrieden, Sklavenfrieden, Schmachfrieden. Mit fester Hand fassen sie zu, schicken eine Expedition nach Finnland, stabilieren die deutsche Herrschaft in Polen an Stelle der austro-polnischen, setzen in der Ukraine eine Regierung ein, behandeln Rußland wie Caesar einst die Gallier und spiegeln sich im Triumphe des Siegers: Deutschlands Macht reicht von Finnland bis zum Kaukasus!

 

XV

Während die deutschen Feldherrn eroberten, hungerte das deutsche Volk. Seit zwei Jahren hatten diese beiden Kräfte den Staat immer stärker nach zwei Richtungen gezerrt, bis am Ende die rostigen Ketten reißen mußten und der Staat dumpf zu Boden stürzte. Als Liebknecht am 1. Mai 16 ins Zuchthaus gesperrt wurde, hatte er in Zetteln und Reden nur das gefordert, was Kaiser und Kanzler am ersten Kriegstage als Motiv verkündet hatten: Verteidigung. Bei seinem Prozeß waren 50.000 Arbeiter in den Streik getreten, als im Jahre 17 das Brot immer karger wurde, streikten in Berlin schon 200.000.

Nun hatten Trotzkis Reden in Brest, gleich den hellen Signalen der Loreno-Ouvertüre immer näher und lauter ertönend, den Klang der Generalsmusik übertönt, ihr Widerklang im Herzen aller »Objecte« war doppelt stark. In dramatischem Crescendo hatten sich die beiden Motive des Weltkrieges aneinander gesteigert und waren aus dem grauen Zimmer von Brest der ganzen Welt vernehmbar geworden. In allen Ländern wollten Generale und Schwerindustrielle, die Beamten und Nutznießer des Krieges, erobern und hatten einen Teil ihrer Völker durch Suggestion und Versprechungen in die nötige Haß-Stimmung gehetzt; die große Masse aber, die sich klassenmäßig verbinden wollte statt sich rassenmäßig zu trennen, strebte einer Vereinigung zu, sei es durch Völkerbund oder durch Weltrevolution. Horizontale und vertikale Völkerwanderungen mußten sich notwendig kreuzen. In den Tagen von Brest wurde der geheime, vom Schicksal geforderte Zweck dieses Krieges zum ersten Male deutlich.

Geweckt durch jene Signale erhob sich Ende Januar eine halbe Million Arbeiter in Berlin; rechnete man Wien und das übrige Deutschland dazu, so waren es fast anderthalb Millionen. Es war die erste Erhebung des Volkes, nicht gegen geschlagene Feldherrn, nur gegen allzu siegreiche; niemand forderte die sozialistische Republik, sie forderten nur Verzicht auf Eroberungen. Die Feldherrn ergriffen ihre Mittel, sie »griffen durch,« – so sagt man in Deutschland, wenn einer danebengreift, – verhafteten die Führer, militarisierten die großen Betriebe, verboten den »Vorwärts«, sprengten die Versammlungen und degradierten den Heeresdienst, zu dem sich drei Jahre zuvor zahllose Jünglinge freiwillig gemeldet, zu einer Strafe, denn sie kündigten in ihren Drohungen an: »Wehrfähige unter den Streikenden werden außerdem militärisch eingezogen.« Das Ganze hieß »verschärfter« Belagerungs-Zustand, um, ähnlich wie beim »rücksichtslosen« U-Bootkriege, die Milde der bisherigen Form anzudeuten.

Dabei darf man sich den alten Feldmarschall nicht unsozial vorstellen. Der patriarchalische Wunsch eines alten Junkers, den auf dem Stammgut Neudeck noch die erbuntertänig gebornen Bauern ehrerbietig gegrüßt hatten, dieser gut gemeinte Herrenwunsch drückte sich in einer Denkschrift Hindenburgs aus, worin es heißt: »Es muß alles getan werden, daß Kindersegen nicht mehr eine Last für die Unbemittelten, sondern eine Freude ist … Um unsere eignen Wunden zu heilen, wird es unerläßlich sein, daß wir Ansiedelungen fördern und es jedem nach Möglichkeit erleichtern, eine Familie zu gründen. Am liebsten sähe ich jeden Arbeiter in seinem eignen Hause mit einem netten Gärtchen wohnen, wo er nach getaner Arbeit mit den Seinen Freude am Leben findet.«

Hört man aus diesem netten Gärtchen die väterliche Großmut von Jahrhunderten wiederklingen, in denen der Junker seinen Erbuntertänigen das Los zu erleichtern suchte, das ihnen nun einmal das Schicksal geworfen? Im Himmel sind wir dann alle gleich, und bis dahin bringt auch der Weihnachtsmann den Kindern ein paar hübsche Bleisoldaten. Wie ähnlich scheint doch diese Welt der des Bolschewisten-Führers, wenigstens wie sie sich im Kopf eines preußischen Generals gemalt hatte: »daß es allen Menschen gut gehen müsse und einigen, worunter er sich selbst rechnete, noch etwas besser.«

In dieser Lage, nach außen und innen immer mehr eine Zwangslage, faßten die beiden Feldherrn den schwersten ihrer Entschlüsse: im März 18, anderthalb Jahre nach Ergreifung der Macht, wagten sie noch einmal eine große Schlacht im Westen, um mit einem Durchbruch durch die seit zwei Jahren eingefrorene Westfront den Krieg zu entscheiden. Die öffentliche Kritik, besonders der Untersuchungs-Ausschuß hat sich später auf diese großen Offensiven vom Frühjahr und vom Sommer 18 geworfen. Das Problem wird Jedermann im Studium der Dokumente klar. Da aber die Frage, wie weit damals Kunstfehler das deutsche Volk ins Verderben führten, von einem Laien nicht beantwortet werden soll, stützen wir uns im Folgenden ganz auf das Urteil der Fachleute.

Über die Vorbedingungen der großen Offensive schreibt Major von Hindenburg, der Neffe des Feldmarschalls: »Die Armee besitzt nicht mehr die Kampfkraft von 1914, die Truppen sind schlecht ernährt und schlecht gekleidet, Kriegsmüdigkeit macht sich geltend … Die Unterführer sind gezwungen darauf Rücksicht zu nehmen, sie können nicht mehr mit altpreußischer Schärfe auftreten. Aber diese Erkenntnis dringt nicht in voller Klarheit bis zur Obersten Heeresleitung. Vertuschungs-Politik wird getrieben, so daß Hindenburg und Ludendorff die Leistungsfähigkeit der Truppen überschätzen. Ohne Urlaub, ohne Atempause sind die gleichen verläßlichen Sturmtruppen hin und her geworfen und bis zur Erschöpfung immer wieder eingesetzt worden.« Da zur Vermehrung der Truppen die Fabriken entvölkert und so das Kriegsmaterial vermindert worden sei, nennt Major von Hindenburg den Angriff ein Vabanque-Spiel. Auch der Feind war ja in diesen zwei Jahren mit seiner nahezu doppelt so starken Armee niemals durchgedrungen, da die tief gestaffelten Linien sich leicht wieder aufbauen ließen. Wird man all dies noch einmal durchdenken, bevor man sich in ein durch nichts erzwungenes Abenteuer stürzt? Während Wilson und Lloyd George vor der erwarteten Offensive Friedensreden hielten, versicherte Hindenburg öffentlich, »daß der Sieg uns nicht mehr entrissen werden kann, dessen wir für Deutschlands politische und wirtschaftliche Zukunft bedürfen.'' Ein Jahr zuvor hatte er vertraulich den Admiralen gesagt, schlechter kann es nicht werden.

Hier aber kam die Rache: der Eroberungswille der Diktatoren fiel dem strategischen Willen der Feldherrn in den Arm, obwohl sie beides in einer Person waren. Denn nur wenn man bis Februar jeden entbehrlichen Mann aus dem Osten wegnahm, wie dies zu spät im September geschehen ist, durfte die Entscheidung im Westen gesucht werden. Stattdessen ließ man im Osten noch 53 Divisionen stehen, nur um dort die Eroberungen zu erhalten. »Es war ein verhängnisvoller Fehler – urteilt deshalb der jüngere Hindenburg über den älteren –, diese Kräfte im Osten stehen zu lassen … Statt wenigstens in dieser Entscheidungsstunde alle Kräfte zusammen zu fassen, werden sie weiter zersplittert. In Finnland, in der Türkei, in Mazedonien, im Kaukasus, in der Krim verbleiben auch weiter über eine Million deutscher Truppen. Durch kühnes Aufgeben des gesamten Ostens hätten wir uns im März 18 im Westen tatsächlich eine starke numerische Überlegenheit geschaffen, und dann wäre es wahrscheinlich möglich gewesen … die Feinde an den Verhandlungstisch zu zwingen.« Dies hat der Gegner später in der Schrift des Generals Haig bestätigt, nach dessen Urteil es den Deutschen an jenem Märztage 18, um die Lücke zu erweitern und den Rückzug des Feindes zu erzwingen, nur an ein paar Kavallerie-Divisionen fehlte, die währenddessen tatenlos in der Ukraine standen.

Allerdings hatte Ludendorff im Winter 41 Divisionen aus dem Osten herangebracht und stand beim Angriff mit 3,6 Millionen Mann doppelt so stark an der Westfront wie im Anfang des Krieges. Damit glaubte er, kurz vor der Ankunft der Amerikaner, dem Feinde gewachsen zu sein, denn nur die Furcht vor diesen, die beim Beginn des U-Bootkrieges so wenig gefährlich schienen, hatte den Angriff schon auf März ansetzen lassen.

Über die Technik der Offensive urteilt General Hoffmann, sie hätte einheitlich an einem ausgewählten Punkte mit allen Kräften durchgeführt werden müssen, nicht aber nördlich und südlich des Punktes an der Somme. »Im Frühjahr 18,« erklärt der jüngere Hindenburg, »war das Gegenteil von Tannenberg der Fall … Die starken Festungen Metz und Straßburg waren durchaus nicht in der Lage, die französischen Kräfte in Elsaß-Lothringen zu binden. Aber aus politischen Gründen wagt man es nicht, dies auch nur vorübergehend den Franzosen zu überlassen. Weder im Osten noch im Westen entschließt man sich, erobertes Gebiet freizugeben. Jede Ausbuchtung der Front, mag ihre Ersetzung auch noch so viele Truppen erfordern, wird gehalten.« Ludendorff habe hier eine besondere Art der Offensive konstruieren wollen, die sich von einer zur andern Stelle zöge und lange bis zu Erfolgen brauchen könne. »Aber grade in dieser Rechnung steckte der größte Fehler der Obersten Heeresleitung. Bei dem Mut und der Schlagkraft der deutschen Truppen sind … Teilerfolge natürlich möglich, aber die große Entscheidung läßt sich im Westen nicht herbeiführen … Der Gewinn von einigen Kilometern nützt nichts.«

Hier also war Ludendorff, erfahrener Techniker, Nihilist und Spieler größten Stiles, im Begriffe das Letzte zu wagen. Da er den Fehler seiner Politik, die strategische Unmöglichkeit zum Siege nicht einräumen, da er das Vertrocknen der Truppenquelle nun einmal nicht sehen wollte, stürzte er sich in dies Unternehmen, nicht mehr ein Hoffender wie anfangs, ein Zweifelnder wie später, sondern als ein Verzweifelter. Sicher kannte er die Sätze, die Feldmarschall von der Goltz im Jahre 1901 geschrieben:

»Der kühnste und bestangelegte strategische Angriff führt zum endlichen Untergang, wenn die verfügbaren Mittel nicht ausreichen, um das letzte Ziel, dessen Besitznahme den Frieden verbürgt, noch zu erreichen. Es zeigt sich dies grade am deutlichsten in dem Schicksal großer Feldherrn, von Hannibal bis zu Karl XII. und Napoleon, die in diesem einen Punkte fehlten und daran scheiterten. Sie glichen genialen Unternehmern, deren Mittel nicht völlig hinreichen, um ihre Spekulationen bis zum Äußersten durchzuführen, wo dann gelegentlich eines letzten, an sich geringfügigen Mißgeschickes alle glänzenden Errungenschaften der Vergangenheit mit einem Male wieder verloren gehen.«

Die psychologischen Bedingungen für diese Irrtümer der beiden Feldherrn, ja für das Versagen der preußischen Strategie im Ganzen hat ein anonymer Generalstäbler 1920 bedeutsam dargelegt: »Unsere Heeresschule,« schreibt dieser, »war in ihr alexandrinisches Zeitalter getreten, wo an Stelle der Relation das Absolute tritt, anstelle des Mittels für den Einzelfall die Panazee, das Allheilmittel … Ludendorff hat die große Maschine, die er vorfand, ins Maßlose gesteigert. Im Frieden hatte sie ohne Reibung gearbeitet, im Kriege aber versagte sie, denn sie war auf den Krieg nicht zugeschnitten … Unvorhergesehene Umstände – und die stellen sich ein, sobald der erste Soldat antritt – konnte sie nicht mehr auswerten, das, was der Gegner tat, nicht berücksichtigen. Man konnte immer nur einen Antrieb geben, kam etwas neues, so mußte man sie stille legen, da sie auf keine Umstellung eingerichtet war …

»Damit ist der große Unterschied der östlichen vor der westlichen Kriegsführung gegeben. Der kleine zweckvolle Generalstab des Ostheeres war kriegsmäßig … So sehen wir auch Ludendorff im Osten einen Grundplan entwerfen und nach den Umständen modifizieren. Im Westen war das ausgeschlossen, da die Maschine die Zeit verschlang … Jeden Fehler, den man in den Apparat hineinsteckte, mußte er ins Gigantische vergrößern; den Vorzug des Feldherrn, geistige Beweglichkeit, Benützung der Lage, konnten sie durch ihn nicht in die Tat umsetzen … Da Ludendorff im Westen zu keinem Gesamtplan gekommen ist, hatte er auch nicht das Bedürfnis nach dem beweglichen Apparat … Schließlich konnte er auch kleinere Pläne auf ihm nicht mehr spielen. Wer aber auch mit diesem Apparat in den Krieg zieht, muß geschlagen werden.«

Diese Darstellung, geeignet, die verantwortlichen Feldherrn eher zu entlasten, stellt, während sie von der deutschen Kriegsmaschine spricht, eine technologische Kritik des preußischen Staates dar; man braucht nur ein paar Hauptworte zu ersetzen. Vielleicht sind wirklich die beiden Zauberlehrlinge von ihrem Millionen-Besen gedreht und getrieben worden. Aufs neue taucht an dieser Schicksalswende der Geist des Kadettenhauses empor, der seinen Schülern verbot, die allgewaltige Organisation anzutasten. Den König vermochten diese Royalisten zu überwinden; die Soldaten-Maschine aber, der Gott, der noch über dem König thront, erwies sich am Ende doch stärker als sie selber: ihr waren sie hörig, sie konnten sie nicht beherrschen.

Der König, der sich weniger mit der Organisation der donnernden Schlachten als des ihnen folgenden sanften Ordens-Regens beschäftigte, wußte diesmal selbst in dieser subalternen Tätigkeit Verwirrung zu stiften: er belohnte die ersten taktischen Erfolge der Offensive so, daß das Volk glaubte, nun endlich wäre der große Durchbruch geglückt, die feindliche Front im Westen durchbrochen, der Krieg in der Hauptsache gewonnen. Denn Hindenburg empfing das für ihn neugestiftete »Eiserne Kreuz mit Goldnen Strahlen« für die von ihm gewonnene »größte Schlacht der Weltgeschichte«, das vor ihm nur Blücher für die Besiegung Napoleons bei Waterloo empfangen hatte. Dies und die übertriebenen Heeresberichte schufen ein Volksgefühl, das von den Gedanken an Streik und Verständigung abgelenkt, in eine frohe Stimmung gebracht werden sollte. Ein unglückliches Ende mußte Entsetzen bringen.

War all dies Folge großer Irrtümer, so konnte es doch heilend wirken als eine nur zu teure Lehre, daß kein Sieg an der Westfront mehr möglich wäre. »Am selben Tage,« schreibt General Hoffmann, »wo die Oberste Heeresleitung die Einstellung der Offensive auf Amiens befahl, hatte sie die Pflicht, die Reichsleitung darauf aufmerksam zu machen, daß es Zeit sei Friedensverhandlungen anzuknüpfen … Jedenfalls mußten weitere Offensiven unterlassen werden. Sie kosteten uns nur furchtbare Verluste an Menschen und Material, die wir nicht mehr ersetzen konnten.«

Denn wirklich, das Unglaubliche trat ein: der Sommer brachte neue Offensiven! Lassen wir wieder nur Zahlen und Kenner sprechen. Um diese Zeit rechneten die Denkschriften der beiden Feldherren 200.000 Mann monatlicher Abgänge, aber nur 120.000 Mann Ersatz, darunter 80.000 sogenannte »Genesene«.

Dann kamen die Tanks. »Der Vorwurf,« schreibt der jüngere Hindenburg, »läßt sich nicht ersparen, daß die Kriegsleitung die Bedeutung der Tanks erst erkannte, als es zu spät war … Heute scheint es unbegreiflich, warum die Oberste Heeresleitung nicht nach der Schlacht bei Cambrai (November 17) sofort alles in Bewegung setzte, um einen brauchbaren Tank herstellen zu lassen. Die deutsche Industrie wäre dazu bei ihrer hohen technischen Entwicklung durchaus in der Lage gewesen … Das Hindenburg-Programm sah viel zu viele Feldgeschütze, Gewehre und Maschinengewehre vor, während es auf andern Gebieten … nachhinkte … An brauchbaren Vorschlägen der industriellen Kreise zur Herstellung von Panzerwagen fehlte es nicht, aber diese Anregung stieß bei der Obersten Heeresleitung auf kein Verständnis.«

Die besten Kritiker führen den Verlust der nächsten Schlachten auf Mangel an Tanks zurück, der jüngere Hindenburg schreibt: »Als während der deutschen Angriffe auf Amiens zwischen Engländern und Franzosen eine 15 Kilometer breite Lücke klaffte und bereits der Befehl zum Rückzuge der englischen Armee erteilt worden war, wäre der deutsche Sieg nicht aufzuhalten gewesen, wenn in diese Lücke ein Tank-Geschwader hätte einbrechen und der deutschen Infanterie den Weg freimachen können.« Und da Ludendorff auch rückblickend noch die Wirkung der Tanks gering nannte, erwiderte ihm Major von Hindenburg, der draußen war mit den bitteren Worten: »Die deutschen Offiziere und Mannschaften, die am eigenen Leibe bei dieser Gelegenheit die verheerende Wirkung des Tanks kennenlernten, werden der Ansicht des Generals schwerlich beipflichten.«

Dies sind nicht bloß posthume Weisheiten. Bei sicheren Nachrichten stieg die Zahl, nach der Erfahrung aber auch die Ausbildung der Amerikaner drüben mit jedem Tag. Im Juni stieß der deutsche Soldat zum ersten Mal auf diese sagenhaften Wesen, deren Ankunft seit anderthalb Jahren verspottet, bezweifelt, dabei aber immer gefürchtet worden war. Das deutsche Volk durfte und hätte auch nichts davon erfahren, hätten nicht die Urlauber zu Hause von der beneidenswerten Ausstattung der ersten gefangenen Amerikaner erzählt, die wirklich aus einer andern Welt zu kommen schienen.

So mehrten sich die Stimmen der Warnenden. Nach dem deutschen, suchte im Juni auch der bayrische Kronprinz Rupprecht auf Verhandlungen zu dringen. Das Erstaunlichste ist, daß Ludendorff diesen Warnungen glaubte – wie dies später Kronprinz Rupprecht und der Oberst von Haeften mitteilten, – und daß dennoch weder er noch Hindenburg die Angriffe einstellten. »Es fehlte ihm,« hieß es später im Untersuchungs-Ausschuß »das wirkliche Verständnis für die Seele des Volkes und seines eigenen Heeres. Es wurde verhängnisvoll, daß er die Übermüdung der Truppen … nicht einsehen konnte und wollte. Daß Ludendorff ein Friedensangebot damals nicht wollte, sondern seinen Eroberungszielen zu Liebe dem Glücksfall eines deus ex machina das Schicksal des deutschen Volkes anvertraute und das Leben Hunderttausender opferte, hat er zu verantworten.«

»Ebenso verschloß er sich,« schreibt General Hoffmann, »den drohenden Anzeichen an den Fronten der Verbündeten … Da der deutsche Sieg im Westen nicht eintrat, hätte die Oberste Heeresleitung zumindest im Sommer 18 daran denken müssen, der bulgarischen Front neue deutsche Truppen zuzuführen; solche standen im Ostheer zur Verfügung … Dazu kam, daß im ganzen Volke eigentlich niemand den Ernst der Situation kannte … Auch wir, auch der Oberbefehlshaber Ost erfuhren nichts von den schweren Verlusten … Jedermann im Heere war überzeugt, daß das Westheer im schlimmsten Falle halten würde.«

In seinen Memoiren räumt Hindenburg ein, daß den Offensiven im Sommer kein strategischer Gedanke mehr zu Grunde lag: sie hätten, schreibt er, durch Teilschläge das feindliche Gelände derart erschüttern wollen, daß es »gelegentlich« doch einmal zusammenbräche. Marschall Foch nannte das Büffel-Strategie.

Zu dieser Zeit, als die letzten deutschen Jahrgänge sich in zwecklosen Offensiven verbluteten, hatten die Fürsten ein neues Spiel erfunden. Schon in der Krise von Brest hatte Hindenburg, da er jenen Brief des Kaisers hatte schlucken müssen, den Kopf eines der höchsten Beamten des Kaisers, Chef des Zivilkabinetts verlangt, Valentini; dieser sei schuldig an der Verzichts-Politik. Einer seiner vertraulichen Berater, schrieb Hindenburg damals dem Kaiser, verstelle ihm den Weg zum Volke, ein Neuer müßte gewählt werden, »der seinem Allergnädigsten Herrn mannhaft und offen über die Zustände berichte und die Fühlung mit dem Volke, das sehnsüchtig darauf wartet, wieder herstellt.« Wußte das Volk, wer Herr Valentini, wer sein Nachfolger, wußte es noch, wer sein Kaiser war? Dieser fühlte sich selber schon Anfang Januar 18 so vergessen, daß er an den Rand eines Artikels schrieb: »Das kommt, weil beide Seiten den Kaiser ignorieren!« So spricht ein Mann mit sich selber, der nächstens abdanken wird.

Jetzt, im Sommer sah er wieder freudiger in die Welt: neue Fürstenhüte waren zu vergeben, mit denen neue Uniformen, Paraden und Einzüge zu erhoffen waren. Um die Tradition des Deutschen Ritterordens wieder aufzunehmen – und was konnte 1918 den Deutschen begehrenswerter scheinen! – sollte der König von Preußen Herzog von Kurland, und zur Kalmierung des dadurch pikierten Sachsen-Königs sollte dieser Herzog von Litauen werden. Das sah einfach aus, wurde aber zum fast unlösbaren Problem durch die historische Frage: was wird dann aus den Ansprüchen des Königs von Württemberg, der doch auch vier Jahre lang im Roten Kreuz und an anderen Orten mitgespielt hatte? Wie, wenn man diesem Litauen gäbe? Und Bayern? Und Baden? Würden die andern Könige und Großherzoge nicht in ihrem Standesstolze aufschäumen, wenn jenen –? Geben wir ihnen Stücke des Elsaß, lautete eine Lösung der Frage, worauf sie doch schon so lange warteten! Finnland aber, entschied wieder der Kaiser, Finnland muß einem Hohenzollern-Prinzen in den fürstlichen Schoß fallen!

In diesen Wochen wagte der Weltmann, heimlich unterstützt vom Philosophen, einen Vorstoß zum Frieden. Von den Fäden, die Oberst von Haeften schon im März vom Haag aus nach Amerika gesponnen, hatte der Staatssekretär des Äußeren nichts erfahren; Ludendorff hatte den Bericht in seine Lade geschoben und schloß sie zu. Jetzt fühlte sich Kühlmann denn doch zu einem öffentlichen Schritte getrieben und sagte von der Tribüne des Reichstages, nicht etwa ein Wort über Belgien, sondern inmitten patriotischer Versprechungen nur den Satz: »Rein militärisch, ohne politischen Gedankenaustausch kann dieser Krieg nicht mehr gewonnen werden.«

Da ergoß sich der Zorn des Achilles über den schlappen Zivilisten. Hatten die Feldherrn nicht grade gestern einen Streifen am Chemin des Dames zurückgewonnen? Und da wagte der Staatssekretär von Gedankenaustausch zu reden? Im deutschen Hauptquartier galten nicht »Gedanken«, da herrschte das deutsche Schwert! Hindenburg drahtete dem Kanzler, »die Rede habe auf die Armee einen niederschmetternden Eindruck gemacht.« So fein war das Gehör der beiden Feldherrn, daß sie schon fünf Stunden nach Erscheinen der Rede die Wirkung auf ihre drei Millionen Soldaten kannten. Neue Drohung der beiden Feldherrn: Kühlmann oder wir! Der alte Philosoph sucht seinen Mitarbeiter zu retten und bittet, die scheußliche Entgleisung mit folgenden Umständen zu entschuldigen: Ermüdung und Mangel an Zeit zur Vorbereitung der Rede, keine Zeit zum Frühstücken, daher matter Tonfall und fader Eindruck. Endlich ist das Frühstück, von dem man lange nichts vernommen, wieder einmal staatspolitisch geworden. »Der Staatssekretär,« erwidert Hindenburg streng, »muß Zeit finden … Hinter ihm standen die Frankfurter Zeitung und das Berliner Tageblatt.«

Zwei Tage darauf neue Rede Kühlmanns im Reichstag: forsch, vorbereitet, gefrühstückt: er sei mißverstanden worden, nur die Bravour unserer Truppen usw. könne den Krieg entscheiden! Zehn Tage nach dieser kläglichen Retirade, die offenbar nicht als strategischer Rückzug galt, war Kühlmann abgesetzt und hatte sich mit dieser zweiten Rede eine große Rolle verspielt, die er als Warner später, in der Republik hätte spielen können. Ein Herr von Hintze, Seeoffizier und durchaus verständiger Mensch, nimmt die Nachfolge Mitte Juli nur an, wenn ihm die Feldherrn erklären, sie könnten den Feind noch besiegen.

»Ja, ich habe diese Hoffnung,« erwidert Ludendorff.

»Dann übernehme ich das Amt,« erwidert Hintze, »einer muß es doch machen. Bei guter Lage an allen Fronten werde ich dann diplomatische Schritte einleiten.« Hierauf neuer Rückschlag bei Reims. Hintze reist wieder ins Hauptquartier und »erbittet« nun von den Feldherrn Zugeständnisse für seine vorbereitenden Schritte, da er grade nach einer Niederlage die ihm erwünschte Depression voraussieht und auch findet.

Wie sehr die Kriegsführung in dieser letzten Phase zum Spiel geworden war, zeigen zwei für verbürgt geltende Äußerungen vom selben Tage, getan von den beiden feindlichen Führern. »Wenn mir jetzt der Vorstoß bei Reims gelingt,« sagte der Spieler Ludendorff und warf seine Karte auf den Tisch, »dann haben wir den Krieg gewonnen.« Am selben 15. Juli sagte sein Gegner im Spiele, Foch zu Loucheur: »Wenn den Deutschen jetzt die Offensive bei Reims gelingt, dann können wir den Krieg verlieren.« Ludendorff: Urkunden der Obersten Heeresleitung, S. 498..

 

XVI

Am 8. August errangen die Westmächte mittels Durchbruches mit Tanks einen großen Sieg über die Deutschen auf der Straße Amiens-St. Quentin. Es war der erste nach Jahren, zugleich der erste einer Reihe von Siegen, die sie nun drei Monate lang die deutsche Front zurückdrücken ließen. Große Wendung, Consilium der Ärzte, exitus letalis wird zum ersten Mal erwogen, die Frage entsteht, ob man die Familie des Kranken vorbereiten müsse. Die Staatsmänner werden ins Hauptquartier gerufen, in der Nacht vor ihrer Ankunft findet Oberst von Haeften Ludendorff »sehr ernst.« Am nächsten Morgen, den 13. kommt Hindenburg zu Ludendorff und fragt in Gegenwart des Obersten, was er den Staatsmännern um 10 Uhr über die Lage sagen solle. Ludendorff: »Wir müssen den Herren absolut reinen Wein einschenken,« worauf er dem Feldmarschall die Lage mit dem gleichen Ernst und der gleichen Offenheit schildert, wie dem Obersten letzte Nacht.

Gleich darauf erscheint, wie der Inquisitor, der die verstockte Seele endlich doch zum Geständnis zu bringen hofft, Hintze bei Ludendorff, zunächst allein. Dieser gesteht:

»Vor vier Wochen habe ich Ihnen gesagt, ich hoffte noch, den Feind zu besiegen. Diese Hoffnung habe ich nicht mehr.«

Hintze: »Und wie soll es weitergehn?«

Ludendorff: »Wir werden durch eine strategische Defensive den Kriegswillen des Feindes allmählich lähmen. Übrigens ist der Feldmarschall optimistischer gestimmt.« Hintze, der danach nur an Unmöglichkeit des Sieges, nicht an Möglichkeit der Niederlage denken kann, erwidert, er werde indessen Schritte vorbereiten. Aber der nervenlose Hindenburg läßt sich durchaus nicht erschrecken. In gemeinsamer Konferenz zu Viert mit dem Kanzler äußert sich nun der Feldmarschall weit zuversichtlicher: wir stünden noch tief in Feindes Land, die Stimmung des Heeres sei gut, der Opferwille an der Front groß, sie werden so lange kämpfen, bis günstige Verhandlungen eingeleitet, er hege volles Vertrauen in die Widerstandskraft der Truppen. Klingt das alles auch heute gelesen völlig leer, so erfrischte es doch damals die Hörer. Im übrigen beklagen sich die Feldherrn bei den Staatsmännern über die schlechte Stimmung in der Heimat, und fordern weiter belgisches und polnisches Land. Als Hintze darauf die politische Lage sehr dunkel schildert, nennt ihn Ludendorff »schwarzseherisch.«

Was sollen bei solcher Stimmung die Gegenspieler tun? Können Kaiser und Kanzler, kann der tatkräftige Staats-Sekretär, da ja alle drei den Notausgang suchen, den beiden Feldherrn eine Notlage beweisen, die diese abstreiten, und sofort Schritte zum Frieden hin tun? Niemand erhebt sich, um in dieser Not zur politischen Schwächung des so sehr erstarkten Feindes etwa die Neuordnung Polens vorzuschlagen, Verständigung mit den unterworfenen Völkern im Osten, Autonomie von Elsaß-Lothringen: Ideen, die damals seit Jahr und Tag debattiert worden waren.

Am nächsten Tage, 14. August, Kronrat in Spa: Kaiser, Kronprinz, drei Hofgeneräle werden mit den vier Hauptakteuren zusammengeführt. Das Protokoll auch von dieser Sitzung ist erleuchtend für die Charaktere.

»Nachdem der Kanzler Kriegsmüdigkeit und Hunger dargelegt, forderte Ludendorff strengere innere Zucht, Zusammenfassung der inneren Kräfte zur größten Energie. Außerdem Bestrafung Lichnowskys.

Hintze über die äußere Lage: gehobene Zuversicht beim Feinde, die Zeit arbeite für ihn, gegen Deutschland, Österreich am Ende seiner Kräfte, die Neutralen Kriegs-überdrüssig. Der Feldmarschall von Hindenburg – fährt Hintze fort – hat die Lage dahin definiert, daß … unsere Kriegsführung sich als Ziel setzen muß, durch eine strategische Defensive den Kriegswillen des Feindes allmählich zu lähmen. Die politische Leitung beuge sich vor diesem Ausspruch des größten Feldherrn, den dieser Krieg hervorgebracht habe.

Kronprinz erklärt, was Ludendorff und Hintze gesagt, zu unterschreiben und betont, es müßte in strenger Zucht die innere Front zusammengefaßt werden.

Kaiser: Im Innern bessere Ordnung! An die Generäle sollen diesbezüglich neue Ordres ergehen … In Bezug auf Ersatz müsse besser ausgekämmt werden. In Berlin liefe noch eine Menge junger Leute frei herum … Auch der Feind leide, es würden ihm viele Menschen totgeschlagen, es mangelten ihm Rohstoffe und Lebensmittel, die englische Ernte sei schlecht, die Tonnage vermindert sich; vielleicht kommt durch diesen Mangel England allmählich dazu, sich zum Frieden zu bekehren. Es muß ein geeigneter Zeitpunkt gesucht werden, wo wir uns mit dem Feinde zu verständigen hätten. Das Angebot sei dann möglichst durch die Königin von Holland zu machen. Zur Hebung der Zuversicht des deutschen Volkes sei die Bildung einer Propaganda-Kommission erforderlich. Flammende Reden müßten gehalten werden von angesehenen Privatpersonen, zum Beispiel Ballin …

Der Kanzler spricht sich für eine energische Aufrechterhaltung der Autorität im Innern aus … Diplomatisch müßten die Feinde zur Verständigung gezwungen werden, dafür böte sich der geeignete Moment nach den nächsten Erfolgen im Westen.

Hindenburg führt aus, er hoffte, daß es dennoch gelingen werde, auf französischem Boden stehen zu bleiben und dadurch schließlich dem Feind unseren Willen aufzuzwingen.«

Was war in diesen Sitzungen erklärt worden? Eine Kette von Unwahrheiten: Es steht sehr schlecht, Ludendorff hat es dem Obersten gesagt, also muß man rasch einen leidlichen Frieden suchen. Die Staatsmänner aber, die man doch deshalb hergerufen, dürfen nur die Hälfte erfahren, und diese Hälfte wird zwischen dem alten Philosophen und dem jungen Marine-Offizier, der jetzt Staatssekretär spielt, vorsichtig dosiert. Vor dem Zeugen, den Ludendorff nicht ohne Grund bei so intimer Beratung mit Hindenburg im Zimmer behält, spricht er vom reinen Wein, der den Staatsmännern einzuschenken sei: der Oberst soll hören, wie rückhaltlos große Feldherrn die Wahrheit sagen.

Als die beiden Staatsmänner kommen, verschweigt erst Ludendorff dem Staatssekretär, dann verschweigen beide Feldherrn beiden Staatsmännern die verzweifelte Lage; der nervenlose Feldmarschall weiß die Stimmung seines deprimierten Chefs zu heben, und als der eine Staatsmann in dunklen Tönen malt, muß er sich Schwarzseher nennen lassen. Je größer der Kreis wird, umso fester die Stimmung. Der Kaiser hat sich gleich drei Hofgeneräle mitgebracht, um gegen Ludendorffs nervöse Grobheiten geschützt zu sein. In diesem Raum fürchtet jeder den andern: die Staatsmänner fürchten sich, vor den Generälen Fragen zu stellen, die sie erledigen könnten; die Generäle, die ein Examen des alten Philosophen fürchten, halten sich ihn durch zuversichtliche Wendungen vom Leibe. Der Kaiser, der seinen Sohn seit der defaitistischen Denkschrift fürchtet, der Kronprinz, der vor den Generälen nicht so schlapp erscheinen will, wie er denkt, die Hofgeneräle, die für die sonnige Stimmung ihres Allergnädigsten besorgt sind: warum sind sie eigentlich zusammengekommen? Wahrheiten dürfen in dieser Luft nicht ausgesprochen werden, strahlende Stimmung ist auch nicht aufzubringen. Was also ist in dieser peinlichen Lage zu tun?

Alle einigen sich leicht auf einen Punkt, denn alle sind Junker oder Generäle oder beides. Das Volk ist an allem Schuld! Mit eisernem Griffe muß es niedergehalten werden! Autorität und Ordnung im Innern, Stimmung, meine Herren Exzellenzen! An die Front, meine Herren Arbeiter! Ausgekämmt, euch frei herumlaufende junge Leute! Besonders der Kronprinz, der ja zuweilen persönlich als Gast in den Schützengräben aufgetaucht ist, kann strengere Zucht verlangen, und der Kaiser, der sich im übrigen über Englands schlechte Ernte freut, spricht noch immer von Tonnage, scheint also von der vorjährigen Enttäuschung im U-Bootkriege noch nichts erfahren zu haben. Dagegen ist ihm in der Not sein Hofjude eingefallen, der soll Reden halten, da der deutsche Michel offenbar zur flammenden Rede zu viel Herz hat. Ludendorff hat rasch einen Fürsten entdeckt, hinter dessen Verbrechen er grade jetzt seine eigne Schuld verstecken kann, denn offenbar hat die Geheimschrift Lichnowskys, die vor zwei Jahren ins Ausland verraten wurde, den Kampfesmut der Franzosen bei Amiens vor ein paar Tagen so sehr gesteigert, daß sie durchbrachen.

Von den beiden Staatsleitern an diesem Tisch erklärte der eine, er beuge sich dem Urteil des größten Feldherrn, der andere, er erwarte nur noch ihren nächsten Sieg, um dann, diplomatisch vorzugehen. Während ein Wolkenbruch das Vieh tötet und die erfahrnen Bauern helfen sollen, es unter Felsen und Bäumen schützend zu bergen, erklären die Kenner, wenn es wieder sonnig sein wird, solle man größere Ställe bauen.

Unter allen ist Hindenburg der einzige, der sich nach alter Weise auf einen einzigen Satz beschränkt und das schöne Wort Hoffnung wählt, um seine Zuversicht in einen allmählichen Sieg mit unerschütterter Ruhe kundzutun.

Gottlob! Das grause Wort Tod ist nicht ausgesprochen worden!, denken die Hofgeneräle, als sie den Raum hinter ihrem Kaiser verlassen, der mit ernster Miene zum Frühstück schreitet. Hertling versicherte später, von einem verlornen Krieg habe er in dieser Sitzung nichts herausgehört, nur, daß man das Abflauen und Stillstehen der feindlichen Angriffe abwarten müsse, und Hintze schreibt: »Mit keiner Silbe, mit keiner Andeutung ließen der Feldmarschall und Ludendorff erkennen oder ahnen, daß sie aus ihrer Bewertung der militärischen Lage die Folgerung zögen, es müßten diplomatische Schritte unternommen werden.« Oberst Haeften aber, dem nachts und morgens die Wahrheit gesagt worden war, und der mittags bei den Offiziellen nicht dabei sein durfte, schreibt: »Wenn der General die Lage den Staatsmännern auch nur annähernd in der gleichen Deutlichkeit geschildert habe wie ihm, so hätten diese wissen müssen, daß es höchste Zeit zum politischen Handeln sei und keine Stunde mehr verloren gehen dürfe.« Das hat der General Ludendorff nicht getan, aber er hat etwas anderes gemacht: er hat dem Staatssekretär am Schlusse der Konferenz »mit tiefer Bewegung die Hand gedrückt.« Die Männer der Tat lieben nicht, viele Worte zu machen, sie sind eben keine Redner und Literaten: ein deutscher Händedruck – und alles ist gesagt!

Im Untersuchungs-Ausschuß hat später der nationale Professor Delbrück vernichtend über Ludendorff geurteilt, Hindenburg aber mit der merkwürdigen Wendung bedacht: »Der Feldmarschall ist entschuldigt, weil er nicht mehr die geistigen Kräfte hatte, sich die Lage völlig klar zu machen und ganz im Banne Ludendorffs stand.« Wir weisen diese Beleidigung zurück: Hindenburg war mit 70 und noch mit 85 so klar wie im besten Mannesalter.

Zwei Wochen nachher erklärte Ludendorff einem vertrauten Oberst, er habe das Auswärtige Amt den üblen Stand nicht wissen lassen: »Das hätte zu einer Katastrophe geführt! Wenn ich ihnen die Wahrheit sage, verlieren sie vollends den Kopf.« Und doch wußten alle diese Mitspieler noch nicht, was erst später den Akten des Untersuchungs-Ausschusses vorlag, was Ludendorff übrigens in seiner eigenen Aktensammlung erwähnt.

Nach Schluß jener Sitzung ließ er sich das Protokoll, das die Initialen aller 9 Anwesenden trägt, nochmals reichen, um sich vor irgend einem möglichen Tribunal der Zukunft zu sichern, und sei es auch nur das der Geschichte. Der Alte war ihm zu schwach geworden: warum diesen Zivilisten und dem Kaiser von »Hoffnungen« sprechen? Ein Soldat hofft nicht, er behauptet. Hindenburg hatte laut Protokoll gesagt, er hoffe, daß es dennoch gelingen werde, auf französischem Boden zu bleiben. Da strich Ludendorff mit eigner Hand das »hoffen« und das »dennoch« aus, so daß es nun hieß: »Der Feldmarschall führt aus, daß es gelingen werde.«

»Man merkt, daß er ganz sicher ein Genie,
vielleicht sogar der Teufel ist.«

 

XVII

»Wir sind vorn in der Schlucht, die Lebenden sind nur noch Reste ehemaliger Kompanien. Die anderen, Beneideten, liegen tot am Wege, der an der Höhe 110 zum I-Werk führt. Durch einen Wald sind wir gelaufen, den die Franzosen mit den schwersten Geschossen eindecken. Ins Felsengestein ist ein kleiner Pfad geschlagen, der mit toten Menschenleibern gepflastert ist. Wie über Wurzeln stolpert man über verwesende Beine und Arme. Der Wald endet. Es geht den Abhang hinab. In die Todesschlucht. Einen Augenblick schöpfen wir Atem und warten, ob der Vordermann durchgekommen ist. Wumm … wum … fort …! Hinunter! Kein Baum, kein Strauch, selbst die Felsen sind von den Granaten zu feinem Staub zermahlen, in den man einsinkt. Menschenfetzen überall. Ein Bein, eine wachsgelbe Hand, Köpfe, denen der Rumpf fehlt, wie Rübenfrüchte, die der Bauer beim Aufladen verloren. Ein gespaltener Rumpf, dem die Därme heraushängen und über die ein Geschmeiß hungriger Fliegen einen schwarzen Schleier gebreitet hat. Daneben wieder abgeschlagene Köpfe, die der Arbeit der Insekten zuschauen. Köpfe. Einer mit einem schwarzen Schnurrbart, links davon ein blutjunger, dessen blaue Augen verglast sind und den Nachbar mit der krummen Nase anstieren. Dazwischen krachen, heulen, fauchen die Granaten. Der Vordermann stolpert über ein totes Bein, das wie ein dürrer Stecken in dem klobigen Kommißstiefel steckt. Der Getroffene schreit auf! Ist er verwundet? Über ihn hinweg! Hinunter! Wumm.« Aus Vitus Heller: »Nie mehr Krieg!«

Tag und Nacht dröhnten die Geschütze, ihr ferner Hall drang bis ins Hauptquartier. Die Feldherrn hörten es nicht mehr. Wenn sie am Morgen die Verlustliste von gestern sahen, so konnten die Zahlen nur mit der Stille einer jahrelangen Gewohnheit auf sie wirken, wie ein Grubendirektor die Zahlen der Nachtschicht auf seinem Schreibtische findet, sie im Kopfe mit gestern vergleicht und in die Mappe legt. Freilich kann ein Feldherr nicht mit Gefühl Krieg führen, besonders nicht vier Jahre lang; führt er ihn aber ohne Gefühl, sind ihm die Verluste nur noch Zahlen und keine Größen, so gleicht er einem Chirurgen, der morgens seine Reihe von Operationen macht und dann unbewegt zu Tische geht. Die großen Ärzte tun es anders.

Schneller rollt das Verhängnis. Um eine Panik zu verhüten, wählen die Auguren lieber gleich die Katastrophe. Die Täuschung des Heeres und des Volkes nahm in den nächsten sechs Wochen nur noch zu.

Der Vize-Kanzler, vom Reichstag zu den Feldherrn geschickt, bat höflich um den endlichen Verzicht auf Belgien, erhielt aber auch Ende August den Bescheid, man müsse sich erst über die Flamen-Frage einigen. Als man leise auf gewisse Kreise von Lothringen zu sprechen kam, wurde von den Feldherrn in historischer Erregung von dem bekannten »Fußbreit Bodens des Vaterlandes« gesprochen, den Minister und Generäle von jeher mit ihrer Ehre und den Leibern ihrer Volksgenossen zu verteidigen entschlossen sind. Der Vize-Kanzler fühlte sich durch Hindenburgs zuversichtliche Schilderung der Lage beruhigt. Das Volk las an den Straßenecken auf großen Plakaten – Oktober 1918! – Hindenburgs Aufruf: »Wir haben den Krieg im Osten gewonnen, wir werden ihn auch im Westen gewinnen!« Ein Admiral bewies »den Nutzen, daß schon ein beträchtlicher Teil amerikanischer Truppen in Frankreich stehe« und ein anderer, der Admiral Scheer erklärte noch im September öffentlich, »daß wir zweifellos England mit dem U-Bootkrieg an den Verhandlungstisch bringen werden.« Die Abgeordneten wußten nicht mehr, sondern weniger als die Arbeiter. Nicht im Reichstag, dessen Ausschuß amtlich falsch orientiert wurde, sondern von seinen Nachbarn, den Bauern in Westfalen mußte der Abgeordnete Schücking zum ersten Mal im August den Ausspruch hören: »Der Krieg ist verloren, die Amerikaner sind da!«

Später hat derselbe, als Rechtsgelehrter berühmte Abgeordnete im Ausschuß berichtet, wie ein Offizier, sonst Fabrikant, um diese Zeit von seinem General aufgefordert wurde, einen Bericht über die Stimmung der Truppen für das Hauptquartier zu schreiben. Als er schrieb, die Stimmung ist entsetzlich, ergriff der General eine Feder: »Das wollen die Herren von der Obersten Heeres-Leitung nicht hören,« strich alles weg und schrieb:

»Die Stimmung bei der Truppe ist im allgemeinen gut. Ein wenig mehr strammer Dienst wird sie noch wesentlich fördern.«

Während so die Feldherrn selber getäuscht zu werden wünschten, ließen sie den Nebel auch auf die Staatsbeamten abblasen. Ein badischer Minister hat damals als Mitglied des Ausschusses im Bundesrat amtlich erfahren, die Lage sei schwierig, am »Endsieg« aber nicht der geringste Zweifel. Hätte man diesen Bevollmächtigten die Wahrheit gesagt, die ihnen die Feldherrn staatsrechtlich und moralisch schuldeten, sie hätten eilends ihre Fürsten informiert, diese wären nach Berlin gekommen und hätten in großer Aktion den Frieden erzwungen, denn alle waren sie müde und grade die kleineren Fürsten von Angst für ihre Throne erfüllt; man fürchtet heftiger für einen kleinen Besitz als für einen großen, den die Gewohnheit des Reichtums leicht für ewig hält.

Mit besonderer Sorge versuchte man dem Kaiser die schweren Wochen des Endkampfes zu erleichtern. Der Höfling, der ihn als Offizier in den letzten Monaten begleitete, schreibt in seinen, von Schloßterrassen, Parkwanderungen, Hofzügen und Frühstücken erfüllten Berichten: »Alle Beteiligten taten ihr Bestes, um die Gedanken des Monarchen von den schweren Sorgen des Tages abzulenken und einen Meinungsaustausch über bedeutungsvolle Fragen der Kunst, der Wissenschaft oder Technik in Gang zu bringen. Griff der Kaiser ein solches Thema auf, um aus dem schier unerschöpflichen Brunnen eigenen Erlebens zu schöpfen, dann verrannen die langen Stunden wie im Fluge und wurden zu einer wirklichen Erholung.«

So kämpfte auch der Kaiser, wenn auch mehr innerlich, um das Schicksal des deutschen Volkes, während die geistreichen Schilderungen seiner Ausgrabungen auf Korfu oder seiner Inszenierung im Königlichen Opernhause der ferne dumpfe Klang der ewigen Kanonen romantisch begleitete; und zugleich hörte man mit allzu leichtem Tritt eine Kompanie unten vorbeimarschieren, 18 Jährige, die mangels Fett und Fleisch beim Wachsen zu schmal geblieben waren.

Die erwarteten Stöße hämmerten auf die Westfront ein, auf der Straße Arras-Cambrai wankte am 2. September die Front, am 12. siegte Foch aufs neue, denn jetzt kämpften schon 2 Millionen Amerikaner neben ihren Bundesgenossen gegen 2½ Millionen Deutsche. Am 15. legten die Bulgaren in Mazedonien die Waffen nieder und gingen nach Hause, zum angesetzten Datum, pünktlich nach vorheriger Kündigung. Am 19. flohen die Türken bei Jaffa vor den Engländern, Österreich stand vor dem Separatfrieden, am 28. siegte Foch noch einmal an der Westfront.

Da endlich warf Ludendorff die Karten hin: Spiel aus, schnell Frieden! Plötzlich! Furchtbar drohend näherte sich der Feind, der seit vier Jahren den Grenzen ferngehalten worden. Doch nicht Verzweiflung umwölkte die Stirne des Feldherrn; obwohl man später von einer Nervenkrisis Ludendorffs in diesen Tagen gesprochen, handelte er mit voller Klarheit und brachte einen strategischen Rückzug zu Stande, dem man Bewunderung schuldet. Freilich nur an der politischen Front; die militärische konnte er nicht mehr halten, die drei Bundesgenossen liefen auseinander. Bis gestern hatte er die Gefahr verschwiegen. Was war in dieser Lage zu tun?

Der General Ludendorff hatte einen genialen Einfall, ja man kann sagen, an diesem Tage machte er Geschichte und veranlaßte Hindenburg auch dabei mitzutun. Am Schlusse des Krieges legte er die Verantwortung ab, wie ein Landsturmmann die Uniform, die ihm der König nur für die Schlacht geliehen hatte.

Ja, über Nacht wurden die beiden Feldherrn plötzlich Demokraten, sie entdeckten die Wohltaten parlamentarischen Regimentes, sie beschlossen die Verfassung des Deutschen Reiches in fünf Minuten umzubauen, deren Änderung sie sich zwei Jahre lang mit Leidenschaft widersetzt hatten. Was keine Debatte und kein Streik hatte erreichen können, das hat mit seinen Siegen der Marschall Foch getan! Erziehung und Vorurteile, Kadettenhaus und Königsmacht waren vergessen: alles kam darauf an, dem Volke die Verantwortung für den Frieden zuzuschieben, dessen Einleitung die beiden Feldherrn durch ihre politischen Forderungen bis zum letzten Augenblicke verhindert, dessen drohende Formen in seiner verspäteten Gestalt sie jetzt herbeizuführen hatten. Alles kam darauf an, zugleich mit dem Eingeständnis vollkommener Niederlage sofort eine Volksregierung zu schaffen. Durch Überrumpelung mußte jeder Widerstand gebrochen, Volk und Reichstag mußten durch Überraschungs-Strategie zur plötzlichen Übernahme der Macht in dem Augenblicke gezwungen werden, wo sie den Feldherrn auf den Händen zu brennen begann. Dem Reichstag, der nach dem glühenden Eisen nicht freiwillig greifen, lieber warten würde, bis es erkaltet war, mußte es in die Rechte gepreßt werden! Diese Revolution von oben mußte der von unten zuvorkommen! Und so geschah's! Der Deutsche Reichstag hat seine Macht nicht erkämpft; sie wurde ihm von den Feldherrn befohlen: eine Form der Revolution, die die Geschichte noch nicht kannte.

Als Meister ließ Ludendorff seine Kreaturen tanzen: Kanzler und Staatssekretär wurden am 29. September ins Hauptquartier bestellt, kurzerhand unterrichtet, alles ist aus, die Armee braucht in 24 Stunden Waffenstillstand. Sie standen, wie man später berichtete, »wie vom Donner erschlagen.« Dann faßte sich Hintze und sagte Revolution und Sturz der Dynastie voraus. Was der Kaiser in diesen Tagen hoffte, ergibt sich ziemlich sicher aus den Berichten seines Adjutanten, der schreibt, in dieser Bedrängnis »hätte der Feldmarschall an die Seite des Kaisers treten und als verantwortlicher Staatsmann über die Köpfe des Parlamentes hinweg eine Regierung der Nationalen Verteidigung bilden müssen.«

Hätte Ludendorff damals in der Tat den Kopf verloren, so hätte der nervenlose Hindenburg die Führung übernehmen und mit seinem König in den Endkampf ziehen können, so wie es Tradition und Charakter von ihm forderten. In Wahrheit hat Ludendorff mit größter Überlegenheit gehandelt, da er nur schnell das Parlament einschalten wollte. Es glückte. Auch erklärte er am nächsten Tage, Hindenburg und er hätten den gestrigen Entschluß jeder für sich, keineswegs im Affekt, sondern mit voller Überlegung gefaßt, und als Hindenburg in dieser Beratung noch immer das Erzbecken von Longwy und Briey forderte, fiel ihm Ludendorff sehr brüsk ins Wort. Heut ist ihm nicht zu Mute, sich mit Erz zu beschweren: heut will er die Last loswerden, die er so lange getragen, und sucht den breiten Rücken des deutschen Volkes, dem er sie aufhalsen kann.

Welch ein Stratege! Ludendorff behält in diesen Tagen die Führung: er regiert, und alle gehorchen. Nicht daß, wie in andern Staaten, der kapitulierende General von König und Regierung abgesetzt und ein neuer ernannt wurde: er setzt vielmehr noch in der Niederlage die Regierung ab und ernennt eine neue. Der alte Philosoph weigert sich ohnehin, seine würdelose Rolle weiter zu spielen, und der Marine-Offizier wird einfach über Bord geworfen. Rasch zwei andere! Extrazug für den Finanzminister und einen Major des Hauptquartiers: sie sollen morgen früh den Reichstag aufklären! Nur schnell! Keine Stunde ist zu verlieren! Vier Jahre sind vor Gott wie ein Tag! Jeden Augenblick kann ein neuer Durchbruch zur völligen Katastrophe führen!

Furchtbarer Eindruck in Berlin! Niemand in der Reichskanzlei, im Auswärtigen Amt war auf solchen Schlag vorbereitet. In einem Zimmer des Reichstages erfährt das deutsche Volk, vertreten durch 8 Parteiführer, von einem kühlen Major mit schönem Junkernamen, daß der Krieg verloren sei und »jede 24 Stunden die Lage verschlechtern könnten.« Die 8 Männer stieren vor sich hin. »Sie waren« – schreibt ein Augenzeuge – »ganz gebrochen: Ebert wurde totenblaß und konnte kein Wort herausbringen, Stresemann sah aus, als ob ihm etwas zustoßen würde.« Der Junker-Führer von Heydebrand, den man den Ungekrönten König von Preußen genannt hat, sagt draußen in der Wandelhalle: »Wir sind belogen und betrogen worden!«

Wohl dringt die Stimme des Zornes von allen Seiten empor, doch niemand wehrt sich, die Erbschaft anzutreten. Was jeder Junker getan hätte, solche Zumutung abzuweisen, das kommt hier nur dem Sozialisten-Führer Scheidemann in den Sinn, der warnt, in ein »bankrottes Unternehmen« einzutreten, der aber fünf Tage später als erster Sozialist einem Kaiserlichen Kabinett angehören wird. Ebert dagegen, ganz Patriot, erklärt am Ende des Krieges genau wie am Anfang, man dürfe in der Stunde der Not nicht versagen. Niemals hat sich der Bürgersinn ergreifender gezeigt als bei den Parteien der Arbeiter und der Intelligenz, die jetzt die ganze Niederlage der Junker und Offiziere ohne Bedingungen übernahmen. Es war ergreifend. Es war dumm.

Warum erhob sich niemand, den Diktatoren des Reichs den Stein zurück zu schleudern? Wußten sie nicht, daß nur durch Zögern und Verschweigen der beiden Feldherrn in den letzten 3 Monaten 400.000 Mann gefallen und verwundet waren, die Vermißten nicht eingerechnet? Wußten sie nicht, daß die Offensiven dieses Jahres 1½ Millionen Deutsche gekostet hatten? War ihnen nicht bekannt geworden, daß der Feind im Laufe dieses Krieges dreimal zu annehmbaren Bedingungen Frieden angeboten hatte? Daß große Kaufleute in Denkschriften und Privatbriefen, daß sogar die beiden Kronprinzen Verständigung vorher angeraten hatten? Sie wußten es und nahmen trotzdem die Verantwortung des Friedens auf sich. Sie handelten, diese Parteiführer, nur als Patrioten, anstatt wie starke Charaktere zu handeln. Erst Jahre später sollten sie's erkennen, sie hatten nicht einmal als Patrioten gehandelt.

Auf der Suche nach einem neuen Kanzler stieß das neugeborene Deutschland der Volksregierung auf einen deutschen Prinzen. Es war kein starker, aber ein ernster und auch ein ehrlicher Mann, avancierter als seine Standesgenossen, frei von manchen ihrer Vorurteile, von Abstammung halb Russe, von Erziehung süddeutsch, das heißt anti-preußisch, somit an Bildung und Charakter den Junkern überlegen und wegen seiner Mahnungen zum Frieden längst suspekt. Jetzt zögerte, ja schauderte Prinz Max von Baden vor der fatalen Aufgabe.

Hindenburg, der sich, wie an allen kritischen Tagen, am 29. September persönlich zurückgehalten hatte, drahtete am 1. Oktober dem amtierenden Vize-Kanzler: »Wenn bis heut abend 7-8 Uhr Sicherheit vorhanden ist, daß Prinz Max die Regierung bildet, so bin ich mit dem Aufschub bis morgen Vormittag einverstanden. Sollte dagegen die Bildung der Regierung irgendwie zweifelhaft sein, so halte ich die Ausgabe des Friedensangebotes an die fremden Regierungen heut nacht für geboten.«

Wie ganz war alles, wie plötzlich war es verändert! Die mechanische Sicherung des modernen Krieges zitterte, die kunstvoll gebauten Fronten wurden Schlachtfelder wie in alten Tagen, Organisationen versanken vor dem Abenteuer, alles war möglich, nichts mehr berechenbar; die Dienst und Büro gewordene Kriegsführung glich plötzlich einem Menschen-erfüllten Raum, in dem der Blitz die Sicherungen durchgeschlagen, den er verdunkelt hatte, und näher als sonst grollten als Donner die Geschütze nach. Hast und Kopflosigkeit der Feldherrn zeigten sich in ihren stündlichen Anrufen nach Berlin, von wo, bei völliger Umkehrung der Macht, mit einem Mal alle Rettung erhofft, das Kabel nach Amerika als Befreiung gefordert wurde, denn niemand wußte mehr, was zu tun.

Wo blieb in diesen Stunden der nervenlose Feldmarschall? Warum war es nach vierjährigem Krieg und nach viermonatiger Dekadenz von heut auf morgen nötig, einen Frieden ohne Frist zu fordern, ohne vorher in Verhandlungen einzutreten? Hatte der Feind über Nacht ein neues Gas, ein neues Flugzeug erfunden? Waren die in Mazedonien freiwerdenden feindlichen Truppen in ein paar Tagen nach Frankreich herüber geflogen? War die Vermehrung der amerikanischen Truppen nicht seit Jahren berechnet? Hören wir wieder die Fachleute:

»Die deutschen Heerführer,« schreibt Major Schwertfeger an den Ausschuß, »bestätigten selber der Entente den Sieg … Ohne jeden Übergang zeigte die Oberste Heeresleitung den erschütterten Staatsmännern statt der bisherigen taktischen Beruhigungen über die Westfront die völlige Hoffnungslosigkeit des strategischen Gesamtbildes. Daraus ergab sich ein, in seinen zerstörenden Folgen nicht wieder zu beseitigender Wettersturz der öffentlichen Meinung … Nur die Oberste Heeresleitung konnte die Lage verantwortlich beurteilen. Für die Friedensforderungen mußte sie daher die sachliche Verantwortung allein tragen, wenn auch der Oberste Kriegsherr ihr zugestimmt hat.«

Nach diesem fragte in jenen Tagen niemand mehr. Als sich am 2. Oktober alles in Berlin traf, um den sich wehrenden Prinzen Max zu bestürmen, erkannte man noch immer Hindenburgs beruhigende Art an, obwohl er nichts zu bessern wußte:

»Als er,« schreibt Prinz Max, »in seiner sicheren Gelassenheit ins Zimmer trat, befestigte sich meine Hoffnung, er würde schließlich auf meiner Seite stehen, (das Angebot nicht übereilt herauszusenden). Sein Ton war ruhig im Gegensatze zu den Botschaften Ludendorffs. Sachlich stand er auf demselben Boden. Ich machte wiederholt den Versuch, aus der einen oder andern optimistisch gefärbten Wendung Hindenburgs die politische Schlußforderung zu ziehen: Also laßt der neuen Regierung Zeit … Aber ich erhielt immer die Antwort: der Ernst der militärischen Lage läßt keinen Aufschub zu.« Als der Prinz den Feldherrn dann aus dem Kreise der Beratenden loslöst, bei Seite nimmt und fragt, ob wirklich alles verloren sei, erwidert Jener:

»Diese Angriffe haben wir noch ausgehalten. Ich erwarte innerhalb von 8 Tagen einen neuen Angriff, kann aber keine Verantwortung übernehmen, daß dann nicht eine Katastrophe eintritt.« Nach dem Worte Katastrophe verbesserte er sich: »Oder zumindest die allerschwersten Folgen.«

In solchen zerblätternden Fragen und Antworten suchten die hilflosen neuen Männer vergeblich noch etwas zu retten, anstatt mit eiserner Stirn erst den Feldherrn, dann Kaiser und Kronprinzen zu erwidern, sie mögen doch ihresgleichen, Junker und Schwerindustrielle, die Führer der von ihnen gepflegten Vaterlands-Partei zur Regierung berufen. Diese hätten als Kenner der Kriegsgeschichte mit Recht erwidert, Waffenstillstand sei niemals Sache der Regierung gewesen, sondern Verhandlung von einem Feldherrn zum andern. Die deutschen Feldherrn mußten mit der weißen Fahne winken oder einen Funkspruch an Marschall Foch erlassen, sie bäten um Einstellung des Feuers, um Unterredung zwischen den Linien. Was hätten die beiden Feldherrn wohl gesagt, wenn Graf Hertling ihnen vor acht Monaten verboten hätte, den Waffenstillstand in Brest mit den Russen selber abzuschließen? Bescheiden durfte damals ein Vertreter des Auswärtigen Amtes dabei sitzen und etwaige Wünsche zur Sprache bringen. Der Abschluß war Sache der Militärs. Zugleich war in Brest für die drei Verbündeten je ein Stabsoffizier eingetroffen. Das gleiche mußte an diesem Tage der Reichstag von den Feldherrn fordern.

Von all dem tat er nichts. Am ersten Tage ihrer Macht scheuten die Volksvertreter davor zurück, sie zu gebrauchen. Die deutsche Suggestion der Uniform, der Ordenssterne und hohen Titel ringsumher war viel zu groß, sie dauerte von jenem Tag ab 15 Jahre und wird wohl niemals enden. Die ins Kabinett berufnen Bürger – plötzlich waren keine Adligen mehr da – setzten sich statt dessen gehorsam zusammen, um die befohlene Note an Wilson vorzubereiten, vor deren Absendung Prinz Max allerdings ein Papier forderte, das er am selben Tag in folgender Form empfing:

»Berlin, 3. Oktober 18: Die Oberste Heeresleitung bleibt auf ihrer am 29. gestellten Forderung der sofortigen Herausgabe des Friedensangebotes an unsere Feinde bestehen. Infolge des Zusammenbruches der Mazedonischen Front, der dadurch notwendig gewordnen Schwächung unserer Westreserve und infolge der Unmöglichkeit, die in den Tagen der letzten Schlachten eingetretenen, sehr erheblichen Verluste zu ergänzen, besteht nach menschlichem Ermessen keine Aussicht mehr, dem Feinde den Frieden abzuzwingen. Der Gegner seinerseits führt beständig frische Reserven in die Schlacht. Noch steht das deutsche Heer fest gefügt und wehrt siegreich alle Angriffe ab. Die Lage verschärft sich aber täglich und kann die Oberste Heeresleitung zu schwerwiegenden Entschlüssen zwingen. Unter diesen Umständen ist es geboten, den Kampf abzubrechen, um dem deutschen Volke und seinen Verbündeten nutzlose Opfer zu ersparen. Jeder versäumte Tag kostet tausenden von tapferen Soldaten das Leben. von Hindenburg.«

In diesem historischen Dokumente wird weder eine verhinderte Seeschlacht noch eine Revolte in der Armee als Grund der Niederlage angegeben. Als der neue Kanzler die Erklärung Hindenburgs in Händen hielt, drahtete er seine Bitte um Frieden auf Grund der »14 Punkte« an Wilson.

In dem Schneegestöber von Noten, das in den nächsten Oktoberwochen niederging, war die Haltung der beiden Feldherrn schwankend: bei kleinen Erfolgen in der Kriegslage, bei großen Forderungen Wilsons suchten sie das Rad wieder aufzuhalten, das sie mit so wildem Elan zum Entsetzen aller Andern ins Rollen gebracht hatten. Volksfremd wie sie waren, erkannten sie nicht, wie begierig die ausgehungerte Nation den Tönen von drüben entgegenlauschte, und sprachen vom »felsenfesten Willen des Volkes sich bis aufs äußerste zu wehren«. Truppenfremd wie sie waren, verkannten sie die Müdigkeit der Armee und sprachen in Telegrammen noch immer vom Opferwillen der braven Soldaten, als diese sich durch die Waffenstreckung ihrer Führer längst besiegt fühlen mußten. Acht Tage nach seinem Alarmschuß gab Ludendorff sich das Air, als wollte er alles rückgängig machen und erklärte: »Ich bin damals leidend gewesen, jetzt jedoch wieder völlig hergestellt.« Also nicht zusammengebrochen! Um seine Komödie zu steigern, brachte der General ein ärztliches Attest über seine dauernd guten Nerven mit.

Hatte er zuvor behauptet, er und Hindenburg seien einzeln am selben Tage zur Forderung des plötzlichen Waffenstillstandes gekommen, so entsteht die Frage, welche von beiden Angaben wahr sein mag. Übrigens fanden die beiden Feldherrn jetzt, wo eine Regierung da war, die einfachste Form, alle Verantwortung loszuwerden: sie ließen in der Kabinettssitzung vom 21. durch ihren Vertreter melden, ihre Zustimmung zu den Noten an Wilson wäre gar nicht erforderlich, da sie keinen politischen Machtfaktor darstellten, sondern nur die Armee leiteten. Im Januar hatte Hindenburg vom Kaiser die moralische Verantwortung für alles gefordert, was das Leben des deutschen Volkes berühre. Übrigens erklärte sich Ludendorff kampfesfroh, er hoffe im Frühjahr 600 Tanks in die Schlacht einsetzen zu können. Es war eine Art von Euphorie.

Während die Feldherrn den Bürgern alle Verantwortung aufdrängten, schickten sie ihnen gleichzeitig Befehle; darunter Hindenburgs lange »Anweisung für die Waffenstillstands-Kommission«, beginnend:

»Die militärische Lage ist derart, daß die Kräfte des Feldheeres zu einem sicheren Halte der Stellung nicht mehr ausreichen. Der Ersatz gleicht die Verluste seit langem nicht mehr aus … In Erkenntnis dieser Lage ist das Friedensangebot gemacht. Trotzdem müssen wir stets zur Wiederaufnahme des Kampfes bereit sein, für den Fall, daß uns Bedingungen gestellt werden sollten, die unsere Zukunft zerstören … Stellt sich heraus, daß die Forderungen unserer Gegner derart sind, daß wir den Kampf wieder aufnehmen müssen, so fechten wir an der deutschen Grenze zweifellos unter sehr ungünstigen Umständen … Ein schnelles Aufhören des Kampfes liegt im dringendsten Interesse des deutschen Heeres … Als Erstes wäre also die Einstellung des Kampfes (Waffenruhe) zu vereinbaren.«

Diese Anweisung, die der geschlagene Feldherr den an seiner Statt handelnden Zivilisten, der Junker den Bürgern gibt, betont immer wieder die Dringlichkeit; er wird im entscheidenden Augenblicke die bedingungslose Unterwerfung fordern.

Das neue bürgerliche Kriegs-Kabinett stand so stark unter der Suggestion der vier letzten Jahre und der zwei letzten Jahrhunderte militärischer Herrschaft, daß es die erste, groß angelegte Rede des Kanzlers unter dem Drucke der beiden Feldherrn, die ihren Vertreter in die Sitzung schickten, umwarf und die darin enthaltene politische Debatte mit Wilson in eine klägliche Chamade abschwächen ließ. Dann warf Hindenburg selber das Steuer plötzlich herum: nachdem er am 10. während des Notenwechsels mit Wilson der gänzlichen Räumung aller besetzten Gebiete beigestimmt, rief er am 24. Oktober die Truppen zum Widerstande mit äußersten Kräften auf und mußte sich jetzt sogar den Einspruch des Kaisers gefallen lassen.

Während die Feldherrn eine Levée en masse ausdrücklich ablehnten, – denn sie fürchteten ein bewaffnetes Volk, da sie ihr Leben lang und auch im Kriege nur eine gedrillte Armee gewohnt waren, – erhoben sich zwei Zivilisten, die diese Erhebung forderten. Diese beiden hervorragenden Juden waren die einzigen Deutschen, die in diesen Tagen nach nationaler Abwehr riefen. In klassischen Sätzen nannte Rathenau öffentlich den Schritt der Feldherrn übereilt, schlug die Erhebung des Volkes vor, Gründung eines Verteidigungs-Amtes und schloß: »Wir wollen nicht Krieg, sondern Frieden, doch nicht den Frieden der Unterwerfung.«

»Das war« – schreibt Prinz Max in seinen Memoiren – »der Schrei eines Patrioten. Er traf mich hart … Erst später habe ich von Freunden erfahren, daß Rathenau am 2. Oktober wie ein Kind geweint und seinen erfindungsreichen Geist zermartert habe, ob er nichts tun könnte, um das Angebot aufzuhalten. Wäre er doch in jenen Tagen zu mir gekommen! … Rathenaus Artikel warf eine große Erregung in die Öffentlichkeit. Die Menschen fuhren zusammen bei den mißtrauenden Worten, die gegen Ludendorff und Wilson gerichtet waren. Wir besprachen die Levée en masse im Kabinett.«

Der andere war Max Warburg, als Bankmann Kenner der Amerikaner, der, vom Prinzen zu Rate gezogen, diesem am 3. sagte: »Lassen Sie doch die Militärs selber mit der weißen Fahne herübergehn. Wenn wir uns jetzt demütigen, wird nicht der gute Typ des Amerikaners die Lage beherrschen, sondern der andere. Wilson kann sich dann gegen das Parteiwesen nicht durchsetzen. Passen Sie auf: er fordert die deutsche Republik!« Schließlich sagte er, nach den Memoiren des Prinzen:

»Es kommt mir seltsam vor, daß ich als Zivilist den Militärs heute zurufen muß: Kämpfen Sie weiter! Mein einziger Sohn, der jetzt ausgebildet wird, muß in vier Wochen in den Schützengraben. Aber ich beschwöre Sie, machen Sie jetzt nicht Schluß!«

Unter den bürgerlichen Ministern hat damals nur einer das Spiel der Generale beim Namen genannt. Als Hindenburg in einem Telegramm an den Kanzler einen festen Ton der Rede und der Presse forderte, da die sinkende Stimmung im Volke sonst alles verdürbe, bezeichnete Solf, der neue Außenminister, diese Sprache als »äußerst gefährlichen Versuch, die Verantwortlichkeit zu verschieben. Warum ist denn, fragte er, die Stimmung so gedrückt? Weil die militärische Macht zusammengebrochen ist, nicht umgekehrt. Das dürfen wir nicht zulassen, zumal Ludendorff die Erhebung des Volkes abgelehnt hat.« Der einzige Satz, in dem ein Bürgerlicher damals die Lage historisch definierte. Der erste sozialistische Minister unternahm nichts dergleichen. Ludendorff legte seine Verachtung derer, denen er die Führung aufgedrungen, in ein einziges Wort, vielleicht war es nur ein Tonfall. »Packen Sie das Volk!« sagte er im Kriegskabinett. »Reißen Sie es hoch! Kann das nicht Herr Ebert tun?«

Zum ersten Male fiel in Preußen von den Lippen eines Generals dienstlich der Name eines Sattlers; es war der Chef der verhaßten Sozialdemokratischen Partei, dem er im Juli 17 einmal die Hand hatte reichen müssen. Jetzt, da er diese Leute brauchte, fiel dem Taktiker ein, was so ein Mann nicht alles über die Arbeiter vermöchte, wenn er nur wollte. »Mehr Pfeffer!« hatte Hindenburg damals gefordert. Jetzt hieß es, die Leute »hochreißen«, nachdem man sie niedergeritten. Könnte das nicht Herr Ebert tun?

Ebert saß wohl zur gleichen Stunde in irgend einer Kommission des Reichstages. Wird nun der Reichstag die Macht ergreifen? Was tat er auf diesem Höhepunkte der deutschen Krise? Er ging am 26. Oktober in die Ferien und ist bis zur Revolution nicht wieder zusammengetreten.

Allerdings hatte er an diesem Tage Bismarcks Verfassung umgestürzt, den Kanzler dem Reichstag unterstellt und damit die bürgerliche Revolution vollzogen, nach der der Kaiser zu einem erblichen Präsidenten mit schönem Titel verschattet wurde. Nachdem zwei Millionen Deutsche gefallen waren, nennt man eine solche Revolution unblutig.

Einige Tage vorher war Ludendorff gefallen. Der Sturz des Diktators, nicht die Abdankung des Kaisers bedeutet in der Tragödie das reinigende Element. Das Volk hatte diesen Rücktritt gefordert, Prinz Max beim Kaiser leicht durchgesetzt. Niemand forderte das gleiche von Hindenburg. Die Teilung der Volksgunst, von der Ludendorff schon früh gesprochen, trat in diesen Tagen deutlich hervor; ihre Gründe haben wir aus den Charakteren und aus der Legende abgeleitet. Auch der Kaiser schied die Männer, die er Beide nicht leiden konnte, gemäß der Volkslegende. Nach Hindenburgs Armeebefehl, mit dem Wilsons Antwort abgelehnt wurde, während das Kabinett weiter verhandelte, war der Kaiser wütend. Auf Hindenburg, der ihn unterschrieben? Nein, auf Ludendorff, den man auch hier als Verfasser erkannte.

Als er jetzt beide Feldherrn nach Schloß Bellevue befahl, sprach Ludendorff auf der Fahrt von seiner möglichen Absetzung. Hindenburg erwiderte, dann ginge er auch. Vor dem Kaiser fängt Ludendorff an, die neue Regierung zu beschimpfen, sie decke nicht die Heeresleitung. Der Kaiser erklärt, der Generalstab habe versagt. Ludendorff bittet um seine Entlassung. Kaiser: »Ich danke Ihnen, daß Sie gehen wollen. Sie erleichtern mir dadurch die Lage. Ich will versuchen, mir mit Hilfe der Sozialdemokraten ein neues Reich aufzubauen.« Darauf stellt er ihm jede gewünschte Verwendung im Heere anheim, was der andere ablehnt. Hierauf Ludendorff ab. Als Hindenburg nachher dieselbe Bitte ausspricht, er wolle sich von seinem Mitarbeiter nicht trennen, erwidert der Kaiser:

»Sie sind das Palladium des deutschen Volkes. Sie dürfen es in äußerster Not nicht verlassen.« »Das schlug durch,« so erzählte nachher der Kaiser. »Der Feldmarschall stimmte nach schwerem inneren Ringen zu.«

Über Hindenburgs inneres Ringen liegt kein weiterer Bericht vor, nur über Ludendorffs Empfindungen. »Er fühlte sich,« schreibt seine Frau, »von Hindenburg im Stiche gelassen, mit dem er all die Jahre Freud und Leid geteilt hätte und der ihn jetzt sein Amt allein niederlegen lasse und in des Kaisers Diensten geblieben war.«

Auch von Wilhelms Lippen fiel in diesen Tagen zum ersten Male der Name des Sattlers. Nachdem er früher öffentlich erklärt hatte: »Für mich ist jeder Sozialdemokrat ein Reichs- und Vaterlandsfeind,« sagte er jetzt: »Mit Herrn Ebert möchte ich gern zusammenarbeiten.« Wie interessant den Stürzenden plötzlich Herr Ebert wurde, der noch ganz im Hintergrunde blieb! Zwei Tage später erklärte Wilhelm feierlich: »Das Kaiseramt ist Dienst am Volke« und verschwand am nächsten Morgen vor diesem Volke in seine neue Hauptstadt, das Hauptquartier in Belgien. Diese Flucht war für ihn entscheidend. Niemand hätte ihn in Berlin belästigt, dort konnte er für den Enkelsohn abdanken, dann wäre dieser auf einem schönen Schimmel durchs Brandenburger Tor geritten. Niemand forderte Ende Oktober mehr, aber Wilhelm floh. Wilhelm der Zweite hat seinen Thron wie die Schlacht an der Marne durch zu große Entfernung vom Orte des Kampfes verloren.

Was Ludendorff betrifft, so fragt man sich, warum er nicht, wie andere Diktatoren, beim Sturze den Tod oder wenigstens den Heldentod gesucht hat. Mit ihm beginnt vielmehr die Reihe all der Machthaber und Fürsten, die den Heldentod nicht in nähere Erwägung zogen. Ludendorff ging kurz darauf mit falschem Paß und großer Brille unter dem Namen Lindström nach Schweden, schrieb dort seine interessanten Kriegsbücher, gründete zurückgekehrt eine heidnische Sekte und beschäftigte sich vorwiegend mit der Bekämpfung der Freimaurer und der Juden. Als er im November 23 bei einem Putsch mit Adolf Hitler an der Feigheit seiner Junker-Kameraden gescheitert war, bezeichnete er es als seine tiefste Enttäuschung, »daß unsere führenden Kreise sich als unfähig erwiesen haben, dem deutschen Volke den Willen zur Freiheit wiederzugeben.« Das einzige, was er bereue, sagte er später, sei, den Kaiser nicht abgesetzt zu haben, als er Diktator war. Leise klingt sein Wort von damals wieder: »Um Cromwells Rolle zu spielen, dafür bin ich zu sehr Kadett.«

Unter allen Deutschen ist er während des Krieges die interessanteste Gestalt gewesen und die gefährlichste. Den Kadetten hat er immer festgehalten, den Diener des Königs früh abgelegt, offenbar weil er kein Junker war. Diese grandiose Tatkraft, mit der er zwei Jahre lang das Reich regierte, wäre unter einem bedeutenden Chef unschätzbar geworden; niemand kennt sie, der nicht die Bände seiner Dokumente durchblättert. Nicht daß er besiegt wurde, war sein Vergehen, denn welcher deutsche Feldherr konnte vom dritten Kriegsjahr an noch siegen! Aber seine hohen Forderungen duldeten nicht, solche Unmöglichkeit einzugestehen und mit einem sogenannten faulen Frieden abzuschließen. Da er mehr ehrgeizig als ruhmsüchtig war, wollte er offenbar mehr vor seinen neiderfüllten Kameraden siegen als vor der Geschichte, und der Gedanke an den General von Seeckt oder den General von Falkenhayn mag ihn stärker angetrieben haben als der an Foch und Haig oder gar an Klio. Hätte er einen Bismarck über sich und ein Dutzend Hindenburgs unter sich gehabt, so hätte er am Ende zähneknirschend wie Wilhelm der Erste in Nikolsburg einen Verzicht-Frieden einräumen müssen; ein solcher hätte den Deutschen keine neue Staatsform, aber in der alten vielleicht einen gewissen Grad von Freiheit gebracht, die sich nicht so schnell in ihr Gegenteil verwandeln konnte wie die Republik, für die sie nicht reif waren.

 

XVIII

Die Erschütterung, die in den nächsten Tagen zur Republik führte und hier nicht näher zu schildern ist, war nicht der leidenschaftliche Durchbruch lang unterworfner Kräfte; auch daß sie aus dem Hunger kam, ist irrig. Revolutionen sind häufiger von satten als von hungrigen Menschen gemacht worden. So wie das demokratische Regime von den Deutschen nicht erkämpft, sondern aus Händen, die die Macht wegwerfen wollten, empfangen wurde, so sind die alten Mächte, Fürsten, Junker und Generäle nicht gestürzt worden, sondern davongelaufen. Der aktive Wille des Volkes war so gering: fünfhundert beherzte Offiziere hätten genügt, um die Monarchie in englischer Form dort aufzuhalten, wo sie vom Kaiser akzeptiert worden war. Die Akten beweisen den Willen der Sozialisten, das Kaisertum zu erhalten. Nur weil die alten Mächte verschwanden, teils aus Furcht, teils aus Klugheit, um nicht den zu erwartenden Frieden zu vertreten, mußten neue Kräfte in den luftleeren Raum eindringen; weil diese sich vor und in dem Kriege nicht vorbereitet hatten, versagten sie zumeist und ließen die alten rasch wieder vor. Ohne diese Erkenntnis, deren Einzelheiten sich vom 1. bis zum 9. November beweisen lassen, ist die Kürze der deutschen Republik nicht zu verstehen.

Unter allen blieb an leitender Stelle Hindenburg der einzige, der den Übergang ohne Pause mitmachte. Wie er von einer zur andern Staatsform hinüberglitt, das gleicht auch in der Technik dem Übergang eines musikalischen Satzes in den andern, wie wir ihn etwa aus Beethovens Fünfter Symphonie kennen; die Stelle, wo die kaiserlichen Motive in Moll erscheinen, immer leiser werden und hinschwinden, um einem neuen Marschthema zu weichen, ist deutlich zu hören.

Als Wilson in seiner zweiten Note auf die Abdankung des Kaisers hindeutete, war Hindenburg empört. »Nie habe ich,« schreibt ein Augenzeuge, »den gleichmäßigen alten Mann so erregt gesehen. Seine preußisch-deutsche Offiziersehre sträubte sich dagegen, die Zumutung des Amerikaners auch nur anzuhören, und in spontaner Begeisterung rief er ein Hurra auf den Kaiser und König in den Saal hinein.«

Dieser Bericht eines Hauptmannes von Wallenberg – der Schauplatz wird leider nicht erkennbar – ist einzig in Hindenburgs Leben. Einige Tage später wandte er sich amtlich gegen Schmälerung der kaiserlichen Rechte: »Wie soll unser noch bis ins innerste Mark kaisertreues Offizierskorps es hinnehmen, wenn sein Allerhöchster Kriegsherr in der anscheinend beabsichtigten Weise seiner Kommando-Gewalt verlustig geht! Muß es da nicht seine Seele verlieren?«

Solange der König da war, hatte Hindenburg ihn zwei Jahre lang erst leise, dann immer entschiedener in seinem Zwange gehalten. Er brauchte nicht seinen Befehl, er brauchte nur den Aufblick zum Symbol; nicht diesem König wollte er gehorchen, sondern der Königsfahne, die vor ihm wehte. Wenn er nur auf dem Throne saß, einem Mosaik-Bilde gleich! Je weniger er dabei sprach, umso besser. Jetzt, da man das Symbol entfernen wollte, wurde der alte Königsdiener böse. Man nahm ihm das gewohnte Bildnis vom Altar.

Nun aber geschieht das Erstaunliche. Gleich nach jenem einsamen Hoch auf den König, das den 70 jährigen Feldmarschall dicht neben den 17 jährigen Kadetten stellt, räumte er, der doch seine Macht in eigenmächtigen Armeebefehlen noch eben erwiesen, ohne weiteres die Absendung einer Antwort ein, in der die deutsche Regierung gegen Wilsons Wunsch nach Abdankung mit keinem Worte protestierte. Und gleich nach jenem großen Proteste gegen die Wegnahme der »Seele«, nämlich der Kommando-Gewalt des Königs, stimmte er dem Umbau der Verfassung samt dieser Änderung zu. Diese merkwürdig raschen Übergänge vom Nein zum Ja sind eben aus dem Grundzug seines Wesens, aus jener nervenlosen Ruhe zu erklären, die in Gefahr und Krise aushält, aber auch in Schicksals-Stunden des Herzens sich nicht gern aufstören läßt. Während er mit keinem Finger an der formellen Macht seines Königs gerührt hätte, rührt er auch keinen, wenn andere diese Macht stören, und nennt das Ganze Dienst. Dort, wo ihn zuerst Examina und tüchtige Jahre, dann der Ruf seines Königs, nachher die Legende hingestellt haben, dort bleibt er stehen und hätte nicht soviel Ruhe anzubieten, wenn er selber zum Schlage ausholen wollte.

Der König gibt den Befehl: das ist der Grundsatz. Befiehlt der König Kampf gegen seine Gegner, so zieht Hindenburg das Schwert aus der Scheide, und sicher hätte er dies buchstäblich getan, wäre jetzt etwa ein Haufen revolutionärer Soldaten in die Villa im Hauptquartier gedrungen, um den Kaiser zu verhaften. Weicht aber der König zurück, gibt er die Macht gliedweise auf, so ist auch dies ein Befehl des Königs, und sein Offizier hat kein Recht, ihn über seinen Charakter hinaus zum Symbole zu steigern. So entspringt Hindenburgs Stellung zu seinem König in diesen Novembertagen seinem und des Kaisers Wesen, seiner und des Kaisers Idee vom Königtum.

Am 1. November hatte er sich noch lebhaft vor seinen König gestellt, als der Minister Drews die Abdankung nahelegte, dabei aber Groeners privaten Vorschlag, Wilhelm an die Front zu schicken, gleich als unausführbar erkannt. Als er am 5. Groener nach Berlin schickte, gibt er ihm auf, in jedem Falle den König zu schützen. Am 6. schlägt Ebert einen Kaisersohn als Nachfolger vor, was Groener mit der Begründung ablehnt, Hindenburg wolle den Kaiser schützen. An diesem Tage war die Dynastie noch zu retten, und der, der stärker als alle andern dafür wirken wollte, wirkte dagegen.

Als aber Hindenburg am 9. erkannte, sein König wollte überhaupt nicht um die Krone kämpfen, ließ er ihn ziehn. Ihn zu halten, konnte er nicht wagen, weil er die Furcht im Herzen des Kaisers kannte; darüber hinaus muß das Gefühl für die Logik eines Charakters, der sich in Wochen, zuletzt buchstäblich in Stunden aus jeder seiner Positionen jagen ließ, dies Gefühl muß Hindenburg verhindert haben, ihn zum Widerstande zu reizen. Ihn aber mit eignen Worten außer Landes zu schicken, das ging ihm gegen die Offiziersehre.

Historisch ist zunächst folgender Entschluß Hindenburgs vom 9. November morgens: »Die Oberste Heeresleitung hat sich entschlossen, sogleich Seiner Majestät zu melden, daß die bewaffneten Streitkräfte im Falle eines Bürgerkrieges nicht hinter ihm stehen würden, und daß die Armee wegen Ernährungs-Schwierigkeiten nicht imstande sein würde, den Bürgerkrieg zu führen.«

Ob dies richtig war, wurde schon damals von anderen Generalen bestritten. Solche Entscheidungen werden immer nur aus dem Gefühle gefällt, denn ein Dutzend Stichproben geben noch nicht die wahre Stimmung eines Millionen-Heeres wieder, preußische Methoden vor allem sind ungeeignet, psychologische Fragen zu lösen. Da Hindenburg nie ein zurückweichender Charakter war, Empörung gegen die Disziplin haßte, hätte er sich eher auf Seite der Kämpfer gestellt, wäre ihm nicht des Kaisers Schwäche bekannt gewesen. So tat er das klügste, wenn er einige Stunden später den Kaiser um seine Entlassung bat, nicht wie in den letzten Jahren um drohend seinen Willen durchzusetzen, sondern mit der Begründung:

»Es fällt mir namenlos schwer meinem Kriegsherrn vom Plane abzuraten, die Heimat zurückzuerobern. Dem Herzen nach würde ich es freudig begrüßen, die Ausführung erscheint mir aber unmöglich.«

Mehr sagt er nicht, und auch was er gesagt hat, glaubt er nur halb: Er weiß, sein König will nicht kämpfen. Als General von der Schulenburg einen Marsch auf Berlin ohne Bürgerkrieg für möglich erklärt, als sogar der alte General von Plessen dasselbe empfiehlt, ist der Kaiser froh, sich durch Hindenburg gehindert zu sehen.

Nach ihm erklärte General Groener im einzelnen die Unmöglichkeit in die Heimat zurückzukehren; schließlich richtete er sich nach den Berichten schroff empor und sagte:

»Das Heer wird unter seinen Führern geschlossen und in Ordnung in die Heimat zurückmarschieren, aber nicht unter Führung Eurer Majestät.«

Da war es, das große Wort, von dem der Kaiser vielleicht in den letzten Wochen einmal dunkel geträumt haben mochte. Jetzt stand er so geschlagen da, daß er den Versuch zu sprechen beim zweiten Worte abbrach und nach dem Parke schritt.

Einige Stunden lang wird unter den Beteiligten noch Für und Gegen gesprochen, doch sichtlich nur zum Schein. Das Schweigen des Kaisers nach jener formellen Meuterei des Generals Groener, das Schweigen jedes leidenschaftlichen Widerspruches von Seiten der andern Generale waren die letzten Zeichen, daß alles verloren war.

Von nun an wird es ganz theatralisch. Die immer dringender werdenden Anrufe des Kanzlers aus Berlin: Sofortige Abdankung oder Sturz der Monarchie!, finden hier Antworten des Kaisers wie: »Verrat! Schamloser, empörender Verrat!« oder »Exzellenz, diese Aufklärung verlange ich von Ihnen schriftlich!« oder: »Hat das Heer nicht seinem König den Fahneneid geschworen!?« Zwischen diesen Besprechungen dauernd Gartensaal, glimmernde Holzscheite im Kamin, Park und natürlich Frühstück. Hindenburg hält sich wiederum ganz zurück. Wie richtig er den Kaiser beurteilt, zeigt des Kaisers Furcht vor der Front, an die ihn Groener, der einzige, der hier die Wahrheit sagt, zur Rettung des monarchischen Gedankens auch noch am 9. bringen wollte. Sicher hätte sich, wenn der König voranritt, der alte Hindenburg auf sein Pferd gesetzt und wäre mit ihm in die Schlacht geritten, so wie er's als Knabe im Saale von Neudeck von seinen Vätern vernommen. Diese romantische Art des Krieges mit Reiterattacken, die Hindenburg vier Jahre lang gefehlt hat, hätte er gern zum Schluß erlebt, und in solchem Heldentod nach altem Ritterbrauch ein schönes Ende gesehen.

Wer nicht wollte, war eben der Kaiser, und während noch immer in großen Worten der ritterliche Kampf bis zum bitteren Ende rezitiert wurde, arbeitete schon das Telephon nach Holland, um für morgen den Übertritt vorzubereiten. Hindenburg, der in diesen Szenen beständig schwieg, ließ auch abends nicht, wie verbreitet wurde, den Kaiser bitten, sofort abzureisen; dies taten statt seiner Plessen und Hintze.

»Der Kaiser nickt Gewährung,« heißt es im Hofbericht. Doch gleich darauf, während im Hofzuge zum Diner gedeckt wird, ruft der Kaiser, immer das Schauspielhaus vor Augen:

»Nein und abermals nein! Das tue ich nicht! Das wäre wie ein Kapitän, der sein sinkendes Schiff verläßt!«

Hierauf Hoftafel zu 6 oder 8 Gedecken. Ein neuer Abgesandter kommt, der Abfahrt dringend empfiehlt. Da faßt sich der Kaiser in die historischen Worte zusammen:

»Gut, wenn es denn sein muß. Aber nicht vor morgen früh!«

Als Hindenburg morgens erwacht, ist der Zug mit dem Kaiser längst auf der holländischen Grenze, von der ihn nur eine halbe Stunde getrennt hatte. Formell ist er von dieser Wendung überrascht, faktisch hat er sich's anders nicht vorgestellt. Geraten hat er ihm kaum dazu, im Gegenteil seinen Abschied erbeten. Statt dessen hat ihm der scheidende Kaiser die oberste Führung übergeben. –

Zum ersten Male seit vier Jahren ist jetzt der Feldmarschall allein. Sein Kamerad ist fort und sein König ist fort, beide sind in den letzten Tagen ihres großen Krieges geflohen. Leise verklingen die Königsmotive. Lauter dringen die fremden Fanfaren heran. Der Krieg ist aus. Heut soll im Lager des Feindes der Waffenstillstand abgeschlossen werden. Morgen muß die Armee in die Heimat zurückgeführt werden.

Die weiße Fahne weht. Die Königsfahne sinkt. Die neue Fahne steigt. Der Dienst geht weiter.


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