Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Dritter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Achtes Buch

Während dieser unglückseligen zwei Wochen hörte ich nichts von Frau von B... auch aus der Provinz erhielt ich keine Nachricht, die mich eine baldige Entdeckung des neuen Gefängnisses Sophiens hoffen ließ. So in allen großen Interessen meines Lebens im Stich gelassen, hatte ich nur noch traurige Tage und lange Nächte.

Endlich lud Frau von Fonrose Vater und Sohn zugleich zum Mittagessen bei sich ein. Schlag sieben Uhr abends verließ ich unter irgend einem Vorwande den Salon der Baronin und begab mich auf mir bekannten Umwegen nach ihrem Boudoir, dessen Thüre mir die Gräfin öffnete.

Ach! nach langen Kämpfen war Tags zuvor beschlossen worden, dass ich nur zwanzig Minuten bei meiner Leonore bleiben sollte. Ich überschritt die Erlaubnis nur um eine Viertelstunde. Auch hatte ich kaum Zeit, sie zu bewundern, sie zu umarmen, ihr ein Wort zu sagen; ihr zu sagen, dass sie mir mit jedem Tage theuerer wurde, dass ich sie über Alles liebe und nur in ihrem Besitze glücklich sein könne; denn sie erscheine mir mit jedem Tage hübscher und begehrungswürdiger. Auch sie hatte kaum Zeit, mir zu schwören, dass sie in meiner Abwesenheit nicht lebe, dass ihre Zärtlichkeit immer zunehme, und dass ihre Liebe bis zu ihrer letzten Stunde immer gleich bleiben werde.

Man sprach sehr lebhaft im Salon, als ich zurückkam; der Wortwechsel hörte auf, sobald ich erschien. Wahrscheinlich hatte die Baronin kein besseres Mittel gefunden, meinen Vater so zu beschäftigen, dass er meine allzulange Abwesenheit nicht bemerken möchte, als indem sie einen tüchtigen Streit mit ihm anfing. O, göttliche Freundschaft! Du warst dem schwächeren Geschlechte gegeben, um ihm beizustehen, das stärkere betrügen zu helfen, und Du würdest fortwährend das Glück unserer Frauen sichern, wenn Du länger unter ihnen bestehen könntest.

Das glückliche Rendezvous, das ich soeben erhalten hatte, erweckte in mir ein lebhaftes Verlangen, trotz Leonorens Tante und trotz meines Vaters, die sich mit einander verschworen zu haben schienen, ein längeres Beisammensein zu verschaffen. Ich fasste in der Nacht einen kühnen Plan, der am andern Morgen die ganze Zustimmung der Baronin hatte und am Schlusse desselben Tages ins Werk gesetzt wurde.

Beim Erwachen hatte ich mich über eine heftige Migräne beklagt, über Tisch stellte ich mich sehr leidend und endlich Abends hatte ich so gewaltige Schmerzen, dass der Baron selbst mir rieth, schlafen zu gehen. Sobald mein Vater mich eingeschlafen sah, verließ er mich, und kaum war er fort, so schlief ich nicht mehr. Sogleich wurde, Dank meinem verständigen Bedienten, ein Friseur geheimnisvoll in mein Zimmer geführt; Dank meinem gewandten Jasmin, der meine Kammerfrau vorstellte, aber bereits eine bewunderungswürdige Fertigkeit erlangt hatte, wurde ich von Kopf zu Fuß als Fräulein Brumont sehr anständig gekleidet.

Der sehr unachtsame und sehr discrete Schweizer sah mich nicht aus dem Hause gehen, und ein schlechter Fiaker führte mich sogleich zu Frau von Fonrose. Es war beinahe Mitternacht. Wir hatten es für zweckmäßig erachtet, nicht früher zur Gräfin zu gehen, um die Marquise nicht mehr bei ihr anzutreffen. Auch hatte Frau von Fonrose, die mich zu Herrn von Lignoll begleitete, die große Aufmerksamkeit, ihren Wagen nicht in den Hof fahren zu lassen, um niemand in seiner Ruhe zu stören. Es war niemand mehr bei der Gräfin, als ihre Frauen und ihr Gemahl; ihre Tante war, wie wir gehofft hatten, zu Bette gegangen.

»Wie? so spät,« sagte der Graf.

»Wir wollten,« antwortete die Baronin, »da wir anderswo aufgehalten waren, nicht mehr zu Ihnen kommen, aber Fräulein Brumont sehnte sich so sehr nach der Frau Gräfin, das wir uns dennoch entschlossen zu kommen. Das Fräulein kann so spät nicht mehr in ihr Kloster gehen; sie hat die Gastfreundschaft, die ich ihr angeboten, nicht angenommen und es vorgezogen, Sie auf diese Nacht wieder um das kleine Zimmer zu bitten, das sie in viel glücklicheren Zeiten bewohnte.«

»Sie hat wohl daran gethan,« erwiderte er.

»Sehr wohl!« rief meine Leonore; »sie möge nur so oft als möglich kommen und mich so angenehm überraschen.«

»Ihr Herr Vater hat Sie also ins Kloster gebracht?« fragte der Graf.

»Ja, mein Herr.«

»In welches?«

»Ich bitte um Verzeihung, es ist mir nicht erlaubt, Besuche anzunehmen.«

»Ich verstehe,« fuhr er ganz leise und in geheimnisvollem Tone fort; »dies geschieht wegen des Vicomte.«

»Man kann doch vor Ihnen nichts geheim halten.«

»Oh! das wusste ich wohl, weil die Affektionen der Seele mir genau bekannt sind. Aber auffallend ist mir, dass ich diesen jungen Mann zu Versailles vergebens gesucht habe; niemand kennt ihn dort.«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt,« fiel die aufmerksame Frau von Fonrose ein, »dass er wirklich bei dem Minister etwas gilt, sich aber selten bei Hofe zeigt.«

»Und ich habe Sie gebeten, in meiner Gegenwart nie mehr von ihm zu sprechen,« rief die Gräfin, die sehr zornig war und den Grafen und Frau von Fonrose zum Teufel gewünscht hätte. Sie musste aber leider trotz ihrer Ungeduld sich in ihr Schicksal ergeben.

»Unter Anderm!« versetzt der Graf, »ich habe mich über Sie zu beklagen.«

»Warum, Herr Graf, wenn ich bitten darf?«

»Vor vierzehn Tagen kommen Sie nach Galinois zu diesem Feste und reisen am Morgen ab, ohne Adieu zu sagen.«

»Ich habe aber doch Auftrag gegeben, Ihnen zu sagen, dass dringende Befehle meine Rückkehr nach Paris nothwendig machten.«

»Und die Charaden,« fuhr er fort, »wie steht es mit diesen?«

»Ziemlich schlecht seit einigen Wochen; habe ich gestern wieder ein wenig angefangen, aber so wenig!«

»Um so schlimmer! Hören Sie, mein liebes Fräulein, Sie müssen trachten, die verlorene Zeit wieder einzubringen!«

»Ja, gewiss, ich werde trachten, auf der Stelle, mein Herr!«

»Bedenken Sie nur, da ist Ihre Schülerin, die Sie vernachlässigen, nehmen Sie sich in Acht, man wird böse werden, man wird Sie entlassen und dann mich an Ihre Stelle wählen.«

»Nein, mein Herr,« antwortete Frau von Lignoll lebhaft, »machen Sie sich darauf keine Rechnung! dies wurde mir noch nicht lange vorgeschlagen, allein ich habe mich mit Bestimmtheit dagegen erklärt.«

»Wie so, Madame? hat Ihnen vielleicht das Fräulein diesen sonderbaren Vorschlag gemacht?«

»Nein, Gott sei Dank.«

»Ich sage Ihnen, Madame, es wird vielleicht noch dazu kommen. Sie werden sehen,« fügte er mich auf die Schulter klopfend hinzu, »Sie werden sehen, dass es auf die Länge ein ermüdendes Geschäft ist.«

»Für Sie,« versetzte seine Frau; »was Fräulein von Brumont betrifft, so bin ich gewiss, dass es ihr nicht zu viel wird; ist es nicht so, meine Liebe?«

»Ganz gewiss, Frau Gräfin! diese ganze Zeit habe ich sehr gelitten, dass ich Ihnen keine Lection ertheilen konnte.«

»Wenn dem so ist!« unterbrach Frau von Fonrose, »so gehe ich, damit Sie, mein Fräulein, der Frau Gräfin eine Lection geben können.«

»Ich halte Sie nicht auf,« versetzte ihre Freundin, »denn ich fühle Lust zu schlafen.«

»In diesem Falle,« sagte Herr von Lignoll, »werde ich die Frau Baronin bis in ihren Wagen zurückbegleiten und mich dann auf mein Zimmer begeben. Gute Nacht, meine Damen!«

Die Gräfin schickte sogleich ihre Frauen weg, und sobald wir allein waren, warf sie sich in meine Arme und bezahlte meine glückliche List mit hundert Liebkosungen und den hingebendsten Zärtlichkeiten.

Was den gewöhnlichen Geliebten anbelangt, so kennt er nur die Stunde des Genusses; die begünstigteren Anbeter ihrer Geliebten wissen nur von der darauf folgenden Stunde; das ist die Stunde einer süßeren Innigkeit, der besser gefühlten Bewunderungen, der überzeugenderen Versicherungen, der bezaubernden Geständnisse und der zärtlichen Herzensergießungen und der wonnigen Thränen. Da erinnert sich das junge Paar mit gleichem Interesse seiner ersten Zusammenkunft, seines ersten Sehnens, da freut es sich der Gegenwart, die es entzückt, und freut sich so vieles trotz so mancher Hindernisse erlangten Glückes, es sieht von Liebesglück berauscht in der Zukunft nur eine lange Reihenfolge schöner sonniger Tage und überlässt sich mit vollem Vertrauen den Träumereien der Hoffnung.

»Ja,« sagte Leonore, »Sie haben den besten, den herrlichsten Plan ausgedacht; wir werden zusammen leben und sterben können. Ich packe meine nothwendigsten Sachen zusammen und nehme bloß meine Juwelen mit; ich will nicht, dass sich dieser Herr von Lignoll beklagen kann, wir hätten ihn im geringsten beeinträchtigt; wir verlassen Frankreich und lassen uns nieder, wo Du willst; jedes Land wird mir schön erscheinen, wo Du bist. Meine Diamanten sind wenigstens vierzigtausend Thaler wert; wir verkaufen sie und kaufen uns in einer hübschen Gegend ein Haus, nein, eine Hütte, Faublas, wenn nur eine Person darin wohnen kann, denn wir sind doch nur eine.«

»Wie Du sagst, meine reizende Freundin, wir werden nur eine Person sein.«

»O! wie glücklich ich bin, dass Du meinem Plan beistimmst, mein Geliebter.«

»Und wie konnte ich anders, da Du mir denselben so reizend darstellst?«

»Umarme mich, mein einzig Geliebter!«

»Leonore, verliere Dich nicht zu sehr in Illusionen, bedenke die Wirklichkeit, sie ist das Gegentheil von Deinen zauberisch schönen Bildern, ach, meine theuere Freundin, warum sind wir beide gebunden durch unlösliche Bande, warum hat das Geschick uns zusammengeführt, um uns all das Glück zu gewähren, welches die grausamen Menschen mit Gewalt zerstören wollen?«

Während ich sprach, schien sie in ihren Gedanken versunken kaum auf mich zu hören, und setzte ihre reizenden Plaudereien fort:

»Wir werden einen Garten haben, er wird groß sein, wir werden ihn anbauen lassen . . . siehst Du, wir werden einen hübschen Bauer an eine hübsche junge Bäuerin verheiraten; wir werden ihnen unsern Garten geben; sie werden ihn für sich anbauen und uns daraus nehmen lassen, so viel wir für unsere Nahrung brauchen. Was meinen Putz anbelangt, werde ich nicht wohl sehen, wie ich mich einrichten muss, um Dir zu gefallen.«

»Du wirst mir auf alle Art gefallen!«

»Also,« sagte sie mich umarmend, »wir werden nur Eines in der Hütte sein, das Geld, das Du anlegst, wird uns mehr als hundert Louisd'ors tragen; werden wir dann nicht unendlich reich sein?«

»Ja, meine Leonore, wie Du sagst, wir werden reich sein.«

»Wir werden kaum die Hälfte unseres Einkommens für uns verbrauchen; und mit der andern Hälfte können wir noch einigen armen Leuten aufhelfen.«

»Anbetungswürdiges Kind.«

»Mein Plan gefällt Dir also, Faublas?«

»Er bezaubert mich.«

»Wie glücklich ich bin, eine Erfindung zu haben, ich habe Dir noch nicht Alles gesagt; die Hauptsache kommt noch.«

»Lass sehen, meine Geliebte.«

»Ich werde ein Kind haben, Dein Kind, welches ich mehr als mein Leben lieben werde, und welches ich für's erste lehren werde, Dich von ganzem Herzen zu lieben. Dies sind meine Zukunftsträume, Faublas,« fuhr sie fort; »ich war gewiss, dass sie Deine Beistimmung haben werden.«

»Meiner Zustimmung konntest Du sicher sein, mein Engel.«

»Wir werden also den Rest unseres Lebens zusammen zubringen. Wir werden ohne Hindernis uns bis zu unserem letzten Seufzer anbeten. Frau von Armincour wird mich nicht mehr mit ihren unnöthigen Vorstellung quälen. Dein Vater wird Dich nicht mehr meiner liebenden Zärtlichkeit entreißen können!«

»Mein Vater, was sagst Du, Leonore? ich sollte ihn verlassen?«

»Und warum nicht, verlasse ich ja auch meine Tante!«

»Mein Vater liebt mich innig.«

»Meine Tante liebt mich auch nicht weniger.

»Übrigens wenn sie wirklich alle die Freundschaft für uns hegen, die uns beide zeigen, so wird sie nichts hindern, zu uns zu kommen. Ich habe gedacht, dass wir ihnen vom Orte unserer Zurückgezogenheit aus unseren unveränderlichen Entschluss melden könnten; wenn sie kommen, so ist unser Glück nur um so größer; wir lassen ihnen dann eine Hütte neben der unsrigen bauen. Sollten sie aber unseren Bitten, bei uns zu leben, widerstehen, so ist es deutlich daraus zu ersehen, dass sie uns verlassen haben; wir werden dann im Schoße der Liebe unsere undankbaren Familien vergessen und uns einander die ganze Welt sein. Einer für den Andern leben, nur einen Willen haben.«

»Was Du mir da Alles in Deiner Liebe vorschlägst, ist wohl kaum möglich durchzuführen, und dann bedenke, meine theuere Freundin, ich sollte meinen Vater verlassen und meine Schwester, kann ich das?«

»Deine Schwester kann auch kommen; wir verheiraten sie an einen ehrlichen jungen Mann, der nicht ihr Vermögen, sondern ihre Person heiraten und sie glücklich machen wird. Warum dieses Schweigen, Faublas, warum diese Traurigkeit, wenn ich Dir doch ein stilles und friedliches Glück anbiete?«

»Meine Freundin, Du siehst mich von Dank durchdrungen. So viele Beweise Deiner so zärtlichen Liebe würden die meinige noch vergrößern, wenn dies möglich wäre; aber wenn ich ernstlich darüber nachdenke, so muss ich Dir gestehen, dass es unmöglich ist, diesen Plan auszuführen; lass Dir erklären, mein Engel, dass dies Alles wie ein schönes Märchen klingt und man es mit Entzücken anhört; aber das Herz blutet bei der sichern Voraussetzung, dass die Verwirklichung dieses schönen Traumes unmöglich ist.«

»Unmöglich! warum?«

»Leider aus mehreren Gründen!«

»Ich kenne einen, und der ist wohl der hauptsächlichste.«

»Und welcher, willst Du mir ihn nennen?«

»Undankbarer! Deine Liebe zu Sophie?«

»Ich spreche nicht von meiner Frau.«

»Aber Dein Herz spricht nur für sie.«

»Du denkst also nicht an die Menge von Unglücklichen, welche Deine Wohlthätigkeit aufrecht erhält, deren einzige Hoffnung auf Deiner Hilfe beruht?«

»Wird ihnen geholfen werden, wenn ich aus Verzweiflung sterbe? Ja, ich muss sterben, wenn Du nicht einwilligst mich von hier fortzuführen!«

»Du denkst nicht an das Aufsehen, das Deine Flucht erregen würde? Alle Welt würde über Verrath schreien, man würde Deine Opfer eine Thorheit, Deine Leidenschaft eine Ausschweifung nennen. Willst Du, dass Dein Andenken in Deiner Familie verflucht, in Deinem Vaterlande entehrt sei? Bedenke dies Alles, meine angebetete Leonore.«

»Was liegt mir daran!«

»Wir werden wohl einen andern Ausweg suchen müssen.«

»Es fehlt mir doch auch an Entschuldigungen nicht. Du kennst ja das ganze Unglück meiner liebleeren Ehe, was liegt mir an dem nichtigen Urtheil der Welt, die mich nicht kennt, und an dem ungerechten Hasse meiner Verwandten, die mich aufgeopfert haben!«

»Sage mir, Geliebte, hoffst Du, dass Frau von Armincour sich jemals dazu verstehe, ihrer von der öffentlichen Stimme verurtheilten Nichte in ein fremdes Land zu folgen?«

»Auch daran liegt mir nichts! was liegt mir an meiner Tante, wenn es sich um meinen Geliebten handelt.

»Du willst vielleicht, dass ich mich nach der Zeit zurücksehne, wo ich bloß meine Tante liebte? wo ich eigentlich mein Unglück noch gar nicht kannte. Warst nicht Du es selbst, der es mir begreiflich machte, und mir das wahre Glück der Liebe, höchste Wonne kennen lehrtest, und nun willst Du mich treulos verrathen. Nein, Faublas, hoffe nicht mich von meinem Vorhaben abzulenken!«

»Fasse Dich, theuere Leonore, mache mir keine Vorwürfe, die mich betrüben, ja die mich namenlos unglücklich machen. Ich muss Dir sagen, was unvermeidlich nothwendig ist, dass ich Dich zu bedenken bitte, dass wir beide als Kinder, Unterthanen und verheiratete Leute der dreifachen Gewalt unserer Familien, des Fürsten und des Gesetzes keineswegs entgehen können. Gegen diese vereinigten Kräfte, meine Leonore, gibt es auf der Welt kein einziges Asyl für zwei Liebende.«

»Kein Asyl? ich werde eines finden, reisen wir immerhin fort, verkleiden mir uns tüchtig, nehmen wir andere Namen an und verbergen wir uns in dem elendesten Dorfs; man wird uns dort nicht aufsuchen; und wenn man kommt, so werden wir gegen unsere Verfolger ein letztes Mittel haben, wir werden uns tödten. Ja, zusammen leben oder sterben! und ich will, dass Du mich entführst!«

»Leonore, und unser Kind?«

»Unser Kind! ja, Du hast Recht,« rief sie in Verzweiflung, »was thun?«

»Uns einer ebenso grausamer als unumgänglicher Nothwendigkeit unterwerfen, meine Freundin – meine allzuunglückliche Freundin. Erinnerst Du Dich dessen, was Deine Tante Dir neulich vorschlug?«

»Und auch Du, Faublas, gibst mir diesen schrecklichen Rath! mein Geliebter fordert mich auf, mich in die Arme eines Mannes zu werfen.«

»Leonore, es erscheint mir nicht minder peinlich, als Dir dieses Opfer! es ist schrecklich, denn es ist eine um so traurigere Aufgabe, da Du selbst wissen musst, das Alles nur gegenseitiger Trug ist.«

»Es ist schrecklicher als der Tod, mein theuerer Freund.«

»Leonore! denke an unser Kind.«

Sie konnte vor Schluchzen nicht mehr antworten. Ich hielt dies für den günstigsten Augenblick, ihr die Menge Gründe, die sie bestimmen mussten, auseinander zu setzen.

»Dies Alles mag sein,« sagte sie endlich; »aber glaubst Du, dass Herr von Lignoll je –?«

»Dann bleibt uns kein anderes Mittel, als einen discreten, gewandten, gefälligen Arzt ins Geheimnis zu ziehen, der Dir die Heirat befehle.«

»Wo einen solchen Mann finden?«

»Überall! unsere Doktoren sind Männer von Ehre, gewöhnt Familiengeheimnisse zu bewahren, und in den Haushaltungen Frieden zu erhalten.«

»Du forderst also, dass ich mich einem Fremden anvertraue?«

»Einem Fremden! nein, wahrlich, das wird durchaus nicht nothwendig sein. Ich will den Arzt herbeischaffen. Trockne Deine Thränen, meine Leonore! ach, mein Herz blutet ebenso, wie das Deinige.«

»Ich werde mich aufopfern,« sagte sie schluchzend.

Es gelang mir endlich, ihre Unruhe zu beschwichtigen; aber ich strengte mich vergeblich an, sie über das Unglück zu trösten, das sie bedrohte, sich von ihrem Gemahl scheinbar lieben zu lassen. Sie weinte in meinen Armen bis vier Uhr morgens; da ich sie dann verlassen musste, kamen wir überein, dass ich am nächstfolgenden Tage ihr den Arzt zuführen, und dass die darauf folgende Nacht das Opfer gebracht werden sollte, wovon selbstverständlich Herr von Lignoll unterrichtet werden musste. Ich hatte, ganz mit dem Wunsch beschäftigt, sie sehen, und in ihr Zimmer zu gelangen, darauf vergessen, wie ich die Mittel erlangen könnte, wieder aus demselben herauszukommen.

»Meine theuere Freundin, ich denke etwas spät daran; wie fange ich es an, um wieder nach Hause zu kommen?«

»Ach, Du willst gehen, mein Freund?«

»Ja, aber ich habe bloß Frauenkleider. Ein so geputztes Mädchen, das morgens vier Uhr ganz allein durch die Straßen geht, muss sehr verdächtig erscheinen; die Wache wird mich verhaften, und ich habe keine Lust, wieder nach Saint-Martin gebracht zu werden.«

»Wenn es bloß dies ist,« antwortete sie, »dann brauchst Du Dich nicht zu beunruhigen, warte, ich wecke Lafleur; dieser spannt ohne Lärm ein Pferd vor das Kabriolet; in Begleitung meines Bedienten werde ich Dich selbst bis vor Dein Haus zurückführen; wir sind dann länger beisammen. Diesen Vormittag werde ich Herrn von Lignoll sagen, Du habest durchaus vor Tagesanbruch wieder in Dein Kloster gehen müssen.«

Es musste sofort ans Werk geschritten werden.

Lafleur, der uns gänzlich ergeben war, zeigte vielen Eifer, uns zu dienen. Als wir so weit bereit waren, gab uns Lafleur persönlich zu wissen, dass wir uns auf den Weg begeben sollten.

Nun hielt ich sie in meinen Armen, die theuere Last, sie schmiegte sich so zärtlich an mich, als ob sie mich nimmer verlassen wollte; als wir vor meinem Hause ankamen, dachte ich, sie wolle mich durch ihre glühenden Küsse ersticken. Sie verließ mich erst in dem Augenblicke, als mein treuer Jasmin auf das verabredete Zeichen herbeikam, um mir das Thor des Hauses zu öffnen.

Ich warf mich in mein Bett. Es war zehn Uhr, als der Baron mich weckte. Er fragte mich, ob meine Nacht gut gewesen sei.

»Vollkommen gut, mein Vater!«

»Und Deine Migräne?«

»Die verursacht mir allerdings noch einige Schmerzen; aber dennoch wollte ich mir zuweilen Nächte, wie meine letzte, mit mehrtägigen Leiden erkaufen.«

Während ich noch sprach, führte mein guter Genius Herrn von Rosambert zu mir.

Mein Vater der den Grafen seit seinem unglücklichen Kampfe am Thor Maillot nicht wiedergesehen hatte, überhäufte ihn mit Höflichkeiten. Der Graf erwiederte dieselben und ich hatte das Vergnügen zu sehen, wie sich die Beiden längere Zeit vertraulich unterhielten. Endlich verabschiedete sich der Baron.

Allein bei mir geblieben, fing Rosambert seine Klagen auf's neue an:

»Sie hatten mir Ihr Ehrenwort gegeben, und doch sind abermals vierzehn Tage vergangen.«

»Sie sehen, lieber Rosambert, mein Vater geht nicht von meiner Seite. Ich könnte zu Ihnen gehen, aber nur in seiner Gesellschaft.«

»Dieses würde mir wenigstens das Vergnügen verschaffen. Sie zu sehen.«

»Ohne Complimente, Rosambert! gestehen Sie, dass der Besuch des Barons Sie nicht sehr erfreuen würde. Der Baron ist sehr liebenswürdig, aber er ist mein Vater. Sie lieben die Gesellschaft junger Leute.«

»Ich ziehe sie allerdings vor . . . Chevalier, wissen Sie auch eine große Neuigkeit? Sie erinnern sich vielleicht einer gewissen sehr dienstfertigen Gräfin, die sich, als ich Sie das erste Mal auf den Ball führte, meiner bemächtigte, um Sie der Frau von B... zu überlassen?«

»Allerdings erinnere ich mich ihrer, sie ist ziemlich hübsch.«

»Sagen Sie mir das nicht; niemand weiß es besser als ich. Diese Gräfin war lange Zeit die beste Freundin der Marquise; man versichert, die beiden Frauen haben ein gleiches Interesse gehabt, sich zu schonen; dessen ungeachtet sind sie jetzt entzweit. Ihr Bruch hat großen Lärm in der Welt gemacht; man hört sehr verschiedene Urtheile darüber.

»Als ich dieser Tage der Marquise von Rosambert, meiner Mutter, meinen ersten Besuch machte, traf ich die liebenswürdige Gräfin bei ihr, die mir unendlich viel Freundschaft erwies; ich konnte ohne Mühe sehen, dass sie sich um meine Freundschaft bewarb, um sich durch meine Allianz zu verstärken.«

»Ah, Rosambert, Sie sind sehr zu gelegener Zeit gekommen; ich wollte Sie eben schriftlich bitten, mir einen wichtigen Dienst zu erweisen.«

Ich verhehlte ihm von meinen Abenteuern mit Frau von Lignoll bloß das, wobei Frau von B... betheiligt war; ich erzählte ihm viel von der Tante und der Nichte und hütete mich aber wohl, ihm ein Wörtchen von der Cousine zu sagen. Meine so abgekürzten Berichte lieferten ihm nichtsdestoweniger ungemein viel Stoff zu Scherzen, und nachdem er seiner Heiterkeit freien Lauf gelassen hatte, sagte er endlich:

»Ich fühle mich bereits kräftig genug, um hübsche Kranke zu besuchen; übrigens ist es ja unmöglich, einen so lustigen Auftrag auszuschlagen, wie derjenige, womit Fräulein von Brumont mich beehrt; morgen wird sie mich bereit finden, bei der Gräfin ihr Vertrauen zu rechtfertigen; morgen wird sie mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu gestehen, dass der geschickteste Doktor keine besseren Maßregeln hätte ergreifen können, als ich, um dem schwachen Herrn von Lignoll die Ehre der Vaterschaft zu sichern.«

Kurz darauf, als sich Rosambert entfernte, besuchte uns die Baronin. Ich war überrascht, sie folgendermaßen zu meinem Vater sprechen zu hören:

»Herr von Lignoll hat seine Frau nicht geheiratet, das ist eine Thatsache, die jedermann weiß; und dennoch ist seine Frau in einem andern Zustand, wie Sie wissen, Herr Baron; denn mit diesem Geständnisse, womit sie Sie in Erstaunen gesetzt hat, hätte sie, ohne der Frau von Armincour Dazwischentreten, unverzüglich und mit derselben Offenheit ihren Gemahl erfreut. Es handelt sich jetzt darum, die Unbesonnene, die man beklagen muss, zu retten; hierzu gibt es nur ein Mittel, nämlich den unwürdigen Gemahl zur Vollziehung seiner ehelichen Pflicht zu nöthigen, was keine leichte Sache ist; aber noch mehr Mühe kostet es vielleicht, Frau von Lignoll zu bestimmen, dass sie es zugibt. Nur der Vater ihres Kindes ist im Stande, die betrübte Mutter zu diesem Entschlusse zu veranlassen, wozu, wie jedermann, der den Geliebten und den Gemahl kennt, einsehen muss, Muth gehört.

»Ein Arzt muss herbeigezogen werden um dies Gutachten auszusprechen, der Gemahl wird es hören, und die Tante wird auf die Vollziehung betreffs der Erfüllung der ehelichen Pflichten bei Herrn von Lignoll dringen. Erlauben Sie daher, Herr Baron, dass ich morgen früh Ihren Sohn verkleidet hier abhole, um ihn zu Frau von Lignoll zu führen; Fräulein von Brumont wird den Tag über dort bleiben, und auf den Abend werde ich sie Ihnen wieder bringen. Am andern Tage jedoch wird sie nothwendigerweise noch einen Augenblick dahin zurückkehren müssen; die unglückliche junge Frau wird durchaus eines tröstenden Wortes ihrer Freundin bedürfen. Doch wird Ihr Sohn, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, zum Mittagmahle zu Ihnen zurückkommen.«

Der Baron schwieg eine Zeit lang, in ernsthaften Betrachtungen versunken.

»Madame,« sagte er endlich, »versprechen Sie mir, diesen jungen Mann keinen Augenblick zu verlassen?«

»Ich verspreche es, mein Herr.«

Er wandte sich an mich und sagte mit ernstem Tone:

»Du kannst noch einmal die Kleider des Fräulein von Brumont anziehen; aber bedenke, dass Du dieselben dann auf immer ablegen musst.«

Kaum hatte sich Frau von Fonrose eine Viertelstunde von uns entfernt, als mein Vater durch die kleine Post ein Schreiben bekam. Bei Durchlesung desselben nahm der Baron eine düstere Miene an, er schien sehr aufgeregt zu sein und rief mehrere Male:

»Wahrlich, dies ist sehr möglich.«

»Haben Sie vielleicht eine unangenehme Nachricht erhalten, mein Vater?«

»Unangenehm! ja, mein Sohn.«

»Es handelt nicht von Sophie?«

»Von Sophie! nein, durchaus nicht!«

»Auch nicht von meiner Schwester?«

»Auch nicht von Deiner Schwester; adieu mein Sohn, schlafe wohl diese Nacht, so wie die letzte; morgen und auch übermorgen noch erlaube ich Dir Deine Frauenkleidung wieder anzulegen; aber es sei auch das letzte Mal, verstehst Du mich wohl?«

Am andern Tage war die Baronin schon vor Mittag bei Frau von Lignoll; auch ich fand mich zur selben Zeit ein.

Mein Arzt ließ nicht lange auf sich warten. Niemand hätte in seinem neuen Aufzuge den Freund des Chevaliers erkannt.

Es war nicht mehr dieser elegante, unbesonnene, unruhige junge Mann, voll Feuer, Anmuth und Liebenswürdigkeit; es war ein hübscher, galanter, honigsüßer Doktor, beinahe bezaubernd wie sie Alle sind. Er ging gerade auf meine Leonore zu.

»Dies ist die Kranke! man braucht sie mir nicht zu zeigen! doch was ist diese Krankheit? wo will sie ihren Sitz haben? auf einem Gesicht und Augen, wie diese, es ist kaum möglich; man muss das tückische Übel gut kennen, um es da zu suchen. Aber Geduld, wir werden es schon vertreiben.

»Schöne Dame, sehen wir den Puls. Ah! die hübsche Hand! die bezaubernde Hand!« er küsste sie.

»Was machen Sie, Doktor?« sagte die Gräfin lachend.

»Ja,« antwortete er, »ich weiß wohl, dass die Andern ihn befühlen, ich, ich höre ihn; durch diese feine Haut hindurch könnte ich ihn sogar sehen.

»Ihr Puls ist sehr aufgeregt, meine schöne Dame, es ist etwas da, was ihn zu schnell gehen macht, Madame beklagt sich über Herzklopfen, glaube ich?«

»Das ist nicht anders, seit einiger Zeit schlafe ich schlecht.«

Der Doktor näherte sich dem Grafen und sprach leise einige Worte zu ihm, die er mit einem Blick auf die junge Frau begleitete.

»Frau Gräfin müssen sich meinen Verordnungen fügen, der Herr Gemahl wird dafür sorgen, dass dieselben genau angewendet und wiederholt werden. Sie dürfen das Mittel, welches ich dem Herrn Grafen gerathen, nicht verabsäumen; denn es ist eine vollständige Vollblütigkeit; beunruhigen Sie sich aber nicht wegen Ihrer Krankheit, wir wollen dieselbe schon beheben und uns des guten Erfolges freuen.«

Bei diesen Worten stützte der Doktor seinen Kopf mit beiden Händen und schien lange nachzudenken; dann betrachtete er die Gräfin mit der größten Aufmerksamkeit.

»Auf Ehre!« rief er aus, »das verstehe ich nicht, denn es ist eine Mädchenkrankheit, und doch ist diese schöne Dame die Frau Gräfin.«

Er wendet sich zu Herrn von Lignoll ganz leise, aber sehr deutlich, so dass wir kein Wort verlieren.

»Sagen Sie mir aufrichtig, Herr Graf, Sie vernachlässigen also Ihre reizende Frau sehr?«

Wir konnten die Antwort des Eheherrn nicht hören; aber Rosambert fuhr fort:

»Es muss wohl sein; denn da ist Vollsäftigkeit und Vollblütigkeit, und wenn Sie die Sache nicht in Ordnung bringen, so wird unfehlbar die Gelbsucht eintreten, und dann kann auch eine Katastrophe folgen! Sie müssten die Mitgift herausbezahlen, nehmen Sie sich wohl in Acht.«

Herr von Lignoll wird plötzlich sehr blass und sagt mit zitternder Stimme:

»Ich versichere Sie, Herr Doktor, es handelt sich mir hier nicht um die Mitgift, ein anderer sehr wichtiger Grund, den anzugeben mir durchaus nicht möglich ist.«

Rosambert wendet sich zu Frau von Lignoll.

»Wie lange sind Sie denn verheiratet?«

»Bald acht Monate, Herr Doktor.«

»Acht Monate! aber da sollten Sie ja schon . . . Herr Graf, schnell ein Kind für Madame; noch diesen Abend, oder ich stehe nicht für die Folgen!«

Die Marquise von Armincourt ist zu Faublas getreten und sagt leise zu ihm:

»Empfangen Sie meinen Dank, denn Sie haben den Arzt unterrichtet, und meine Nichte zu dem einzigen Entschluss vermocht, der sie retten kann; fügen Sie zu dieser Wohlthat die hinzu, sie nie wieder zu sehen, seien Sie ein Mann von Ehre.«

Herr von Lignoll legt seine Hand auf Rosamberts Schulter:

»Lieber Doktor, aber . . .«

Rosambert in freundschaftlichem Tone:

»Kein aber! sehen Sie doch die Gräfin, wie reizend – oder sollte Madame nicht wollen?«

Die Gräfin mit Thränen in den Augen:

»Ich . . .«

Da ich den Augenblick herannahen sah, wo sie sich weigern würde, so trat ich ganz nahe an sie heran, und sagte mit bewegter Stimme leise zu ihr:

»Leonore, denke an mich.«

Sie heftete ihre Augen zärtlich auf mich und sagte, ihre Hand in die meinige fallen lassend, mit einem tiefen Seufzer das verhängnisvolle: »Ich will es.«

Rosambert zu Herrn von Lignoll:

»Sie will es, was haben Sie zu sagen?«

Frau von Armincour mit Schluchzen: »Dass er nicht kann.«

Rosambert, der sich Mühe gibt, sein Lachen zu unterdrücken und sein Äußerstes aufbieten muss, um ernst bleiben zu können:

»Dass er nicht kann! das wird man mir nie begreiflich machen. Ein Widerwille ist nicht denkbar; diese Frau ist bezaubernd! es ist auch nicht physische Schwäche, Sie sind noch ganz, jung. Wie alt etwa? sechzig Jahre?«

Herr von Lignoll erwidert, etwas beleidigt:

»Nicht über fünfzig, mein Herr.«

Rosambert einlenkend: »Da sehen Sie! und hätten Sie auch das Doppelte, so sind das Reize, die einen achtzigjährigen wieder munter machen könnten.«

Die Baronin, die während der ganzen Zeit eine stille Beobachterin gespielt, bemerkt etwas sarkastisch:

»Ja, Doktor; aber erlauben Sie eine Citation:

»Man sagt, dass die Natur nicht allen Alles schenkt,
Dass großen Geistern, die in keinem Dienst sonst weichen,
Versagt die Gabe ist, zu schaffen ihresgleichen.

                            Destouches, der verheiratete Philosoph.«

Der Graf wurde durch die plötzliche Ankunft seines Bruders, des Vicomte von Lignoll und Schiffskapitäns, überrascht.

Der ungeduldige Seemann stürzte sich ins Zimmer seiner Schwägerin, ohne zu warten, bis man ihn angemeldet hatte.

Er war ein Mann von sechs Fuß fünf Zoll, verhältnismäßig dick und stark, eine Art Herkules; mit schwarzem Haare, einem großen Schnurrbart, einem langen Degen, das wildeste Gesicht von der Welt, alle Geberden eines Grenadiers, ganz die Haltung eines Haudegens; er rief mit lauter Stimme:

»Guten Tag, mein Bruder; guten Tag, jedermann!«

Der Graf antwortete auf diesen Gruß mit befangenem Tone:

»Guten Tag, mein Freund, ich stelle Dir hier den Doktor Rosambert vor, der gekommen ist, um . . .«

»Wer ist denn hier krank?« fragte der Kapitän verwundert.

»Ihre Frau Schwägerin,« sagte Rosambert.

»Sie ist krank, diese Frau, bei Gott, Bruder, Du überraschst mich ja, es ist vielleicht um so besser. Beim Blitz! wir werden sehen; aber da muss eine gewaltige Veränderung bei Dir vorgegangen sein, denn bis jetzt war ich vom Gegentheil überzeugt, nun denn, ich gratuliere, Frau Schwägerin, und lassen Sie ihm nur einen recht kräftigen kleinen Burschen werden! Donner und Hagel, einen kleinen Lignoll, wird das ein Aufruhr werden. Alle meine Kameraden sollen auf das Wohl dieses kleinen Schlingels sich gütlich thun! Lass die Trinkgelage auf einander folgen, mein Bruder, dass die Welt auch sieht, die Lignoll's sind keine engherzigen Seelen, wenn es gilt die Keller aufzumachen, um den neuen Stammhalter leben zu lassen. Umarmen Sie mich, liebe Schwägerin, das nenne ich ein freudiges Willkommen!«

Die Baronin spricht leise zu Fräulein von Brumont, die dem Kapitän soeben einen drohenden Blick zugeworfen hat:

»Ich glaube, Ihnen schon von diesem Halbmenschen gesprochen zu haben; seine Ankunft hier scheint mir nichts Gutes zu bedeuten. Doch Geduld und Mäßigung.«

»Nun, Doktor, was verordnen Sie denn der Frau Gräfin?«

»Sie macht mir weniger Sorge, als Ihr Herr Bruder, denn er ist nicht ganz so, wie er sein sollte.«

»Hören Sie doch, Herr Doktor, es ist vielleicht ganz schön, was Sie da sagen, aber mich soll der Teufel lothweise zerreißen, wenn ich ein Wort davon verstehe.«

»Und doch ist die Sache klar; ich will es Ihnen übrigens noch erklären. Der Leib der Frau ist krank, weil der Geist des Mannes sich zu gut befindet. Ich hatte für die Gesundheit der Frau verordnet, dass sie ein Kind bekomme.«

»Dass es jetzt der Fall sein wird, muss man sich wirklich Glück wünschen, weißt Du auch, mein Bruder, dass boshafte Leute sagten, Deine Frau bedürfe hierzu Deiner nicht?«

Fräulein von Brumont, die ganz entrüstet aufgestanden war, sagt voll Unmuth:

»Wissen Sie auch, Kapitän, dass, wenn alle Marineoffiziere Ihnen glichen, es sehr verächtliche Herren wären?«

»Mein kleines Fräulein, sollten Sie vielleicht einen Bruder haben?«

»Und wenn ich einen hätte?«

»Wenn ihrer auch dreißig wären, so würde ich einen nach dem andern bitten, hinter das Karthäuserkloster zu kommen.«

»Kapitän, ich glaube trotz Ihrer fürchterlichen Miene, dass der Erste, der sich dort einstellte, allen Andern den Gang ersparen könnte.«

»Sie sind sehr glücklich, dass Sie bloß eine Frau sind,« sagte der Kapitän sehr verächtlich.

Ich wollte hitzig antworten, als die Baronin, die mich unaufhörlich beobachtete, ganz leise zu mir sagte:

»Um Gottes Willen, mäßigen Sie sich, bedenken Sie, dass es das Wohl Ihrer Leonore gilt.«

Indes hatte Frau von Lignoll mit der Lebhaftigkeit, die man an ihr kennt, ihrem Schwager bedeutet, dass, wenn er fortführe, so unehrerbietig von ihr zu sprechen, sie ihn ersuchen müsse, sogleich ihr Haus zu verlassen.

»Achte nicht darauf, was sie sagt, lieber Bruder,« rief der Graf; »es ist ein Hitzkopf.«

Rosambert, der mit Unruhe diesem Zweigespräch gefolgt, sagt zum Kapitän:

»Mein Herr, wer immer das unverschämte Wort zu Ihnen gesagt haben mag, das Sie soeben äußerten, der hat gelogen; ich bin der Mann, der das versteht, und ich werde, wenn man es verlangt, sogleich unterzeichnen, dass die Frau Gräfin ganz im Gegentheil ihres Mannes hierzu sehr bedarf.«

Herr von Lignoll unterbricht dieses Gespräch und sagt zum Kapitän lachend:

»Du verstehst Chemie, betrachte einmal diese Arzenei; ich habe die ganze Flasche bis auf den Rest ausgetrunken.«

Nachdem der Kapitän das Gefäß geschüttelt und einige Tropfen getrunken hatte, rief er:

»Donner und Wetter, welcher Dummkopf hat Dir diese Pferdekur befohlen?«

»Ein Dummkopf der Doktor, da muss ich doch Einspruch machen.«

»Nach diesem Mittel zu urtheilen, ist der Herr Doktor etwas radical, wenn ich den fünfundzwanzigsten Theil nähme, so müsste ich rasend werden.«

Graf Lignoll, der sich die Hände reibt: »Und doch ist nur mein Geist daran Schuld.«

»Donnerwetter,« rief der Kapitän, »mein armer Bruder, ich bin froh, dass Du dieses Genie ganz allein für Dich genommen hast; denn, wenn man so rechnet, so hast Du von der frühesten Jugend an Genie gehabt. Ich wollte sagen, zu jeder Zeit hat sich mein älterer Bruder in Beziehung auf das schöne Geschlecht als ein schwacher Held gezeigt.«

Frau von Armincour zornig: »Wenn Sie das wussten, warum haben Sie denn zugegeben, dass er eine Frau nahm?«

»Ei, meine gnädigste Marquise; warum hätte ich denn meinen Bruder hindern sollen, eine vortheilhafte Heirat zu schließen?«

»Das ist aber eine schändliche Berechnung, Herr Kapitän, wissen Sie auch, dass meine Nichte dem Herrn Grafen recht viele Hörner aufsetzen sollte?«

»Wahrhaftig!« versetzte der Kapitän, »man sagt, dass sie auf diesen Gedanken gekommen sei; aber ich will ihn ihr aus dem Kopfe treiben, ich bin ausdrücklich deshalb ins Land zurückgekommen.«

Frau von Armincour wendet sich zum Kapitän mit zürnender Stimme:

»Und Du, Herr Eisenfresser, ich wollte, dass jemand aus meiner Bekanntschaft Dir so viele Degenstöße gebe, als meine Nichte hunderttausend Livres Rente hat.«

Kapitän mit drohendem Tone hohnlachend:

»Dieser jemand aus Ihrer Bekanntschaft? sagen Sie mir seinen Namen, gute Dame!«

»Seinen Namen, Sie werden ihn vielleicht nur zu bald erfahren.«

»Gut, ich will sehen, übrigens, mein Bruder, sei auf Deiner Hut, hier, lese diesen Satz in einem Briefe, den ich im Hafen von Brest bekommen habe:

»Man sagt, dass Dein Bruder seine Pflichten in der Ehe nie vollziehen könnte, und dennoch ist Deine Schwägerin in anderem Zustande; wie kommt es –?«

»Dieser Brief ist unterzeichnet Saint-Leon, einer meiner Freunde, wie Du weißt. In höchstem Zorn nehme ich Post; ich komme an und steige bei Saint-Leon ab.

»Er sagt mir, er habe nicht geschrieben. Ich zeige ihm das Papier, er beweist mir, er habe nicht geschrieben, indem er es nicht für seine Handschrift anerkennt, und behauptet, dass man ihn bloß nachahmen wollte.«

Die Baronin neigt sich zu Fräulein Brumont und sagt leise:

»Ich fürchte sehr, dass es ein Streich von Ihrer Marquise ist. Herr Kapitän, zeigen Sie mir diesen Brief.« Der Kapitän gibt ihr denselben; nachdem sie ihn aufmerksam geprüft und zurückgegeben hat, sagt sie zu ihm:

»Wenn Sie ein vernünftiger Mann sind, so frage ich, welchen Glauben die Anschuldigungen eines Fälschers verdienen?«

»Gut! gut! ich will nicht alles glauben; aber wo Rauch ist, dort ist auch Feuer. Ich gedenke mich einige Tage hier festzusetzen; und sehe ich einmal einen schmachtenden Ritter ihr nahe kommen, dann will ich meiner lieben Schwägerin seine Ohren in die Tasche legen.«

»Herr Kapitän,« sagte Fräulein von Brumont, »ich habe von Ihnen gehört, Ihr Name ist mir bekannt; Sie haben ihn unglücklicherweise zu berühmt gemacht. Frankreich hat, das weiß man wohl, keinen tüchtigeren und allgemein bekannteren Raufer als Sie; glauben Sie aber, dass es im Königreiche noch einige junge Leute gibt, die, ohne wie Sie aus ewigem Morden ein Gewerbe zu machen, gar wohl im Stande sind, mit Ihnen zu kämpfen und vielleicht Sie zu züchtigen. An der Gräfin ihrer Stelle würde ich es wenigstens versuchen; heute Abend noch würde ich, durch Ihre Drohungen bestimmt, einen Geliebten annehmen, und ich würde mir unter den jungen Leuten vielleicht den schwächsten auswählen.«

Rosambert ruft mit Enthusiasmus:

»Nein, den jüngsten, aber den furchtbarsten; einen hübschen Jungen von außerordentlicher Gewandtheit, merkwürdiger Kraft und seltener Unerschrockenheit; und ich, Frau Gräfin, wollte mein Leben daran setzen, dass dieser im Gegentheil die Ohren des Kapitäns nach Hause brächte, im Falle Sie dieselben verlangten.«

Die Baronin fällt rasch in diese Rede ein:

»Ja, aber sie würde sie nicht verlangen, nicht wahr, Gräfin? Sie würden sie nicht verlangen. Sie würden die Drohungen eines Raufbolds nur mit der verdienten Verachtung strafen.«

»Was liegt mir an der Verachtung von medisanten Frauen; gar nichts, inzwischen will ich Ihnen anzeigen, meine verehrten Damen, dass ich mich hier festsetzen werde, um meine Beobachtungen darnach einzurichten.«

»In diesem Hotel? daraus wird nichts, mein Herr Schwager!«

»Wie, mein Bruder, ich werde nicht bei Dir wohnen?«

Gräfin: »Ganz gewiss nicht, denn ich werde es nicht zugeben.«

»Und Du, mein Bruder, Du antwortest mir nicht. Du bringst sie nicht zum Schweigen? ah! Du lässest Dir von einer Frau befehlen! Donnerwetter, ich möchte an Deiner Stelle sein, nur vierundzwanzig Stunden lang der Mann einer solchen Schwärmerin, ich wollte ihr den Kopf zurechtsetzen. Na, werden Sie nur nicht böse, Frau Gräfin, ich werde nicht gegen Ihren Willen dableiben, aber ich werde mich gegen Ihren Willen in derselben Straße einquartieren; und rechnen Sie darauf, dass ich Sie überwachen werde. Es wird wohl nicht meine Schuld sein, wenn es Ihnen gelingt, eine kleine – zu werden.«

Bei diesen Worten, die eine so grobe Beleidigung gegen die arme junge Frau enthielten, wurde dieselbe so wüthend, dass sie dem brutalen Kapitän statt aller Antwort einen Leuchter an den Kopf warf, den sie gerade unter der Hand hatte.

Ich sah den Augenblick kommen, wo der liebe Schwager Schlag für Schlag zurückgeben wollte. Mit der linken Hand hielt ich seinen aufgehobenen Arm, und mit der rechten nahm ich den Riesen beim Kragen und stieß ihn so kräftig weg, dass er das ganze Zimmer entlang bis an das Fenster zurücktaumelte, das er zerbrach. Hätte der Balkon den Kapitän nicht aufgehalten, so wäre er auf die Straße hinabgestürzt.

»Bravo, meine liebe Brumont, bravo!« rief Frau von Armincour; »man muss ihn züchtigen, diesen groben Schlingel, der mich zu Tode ängstigt, der mein Kind beschimpft und es schlagen will!«

Ich bedurfte keiner Aufmunterung von Seite der Marquise, ich war so wüthend, dass ich, als ich auf dem Lehnstuhl den Degen des Herrn von Lignoll bemerkte, den er da gelassen hatte, auf denselben zustürzte, um zu ergreifen.

Rosambert, der bei diesem skandalösen Auftritt allein einige Kaltblütigkeit behielt, sprang auf mich zu:

»Halten Sie ein, wenn Sie den Degen ziehen, so sind Sie verrathen.«

Der Kapitän sah mich, bei den Trümmern des Fensters stehend, mit großen Augen an; in seinem Gesichte sprach sich eine nicht beschreibliche Verwunderung aus, er lachte dann plump auf und sagte:

»Hat mich dieses Äffchen auf den ersten Stoß dahin gesetzt! hat sie Eisenarme, oder bin ich bloß noch ein Strohmann? Donnerwetter! so ist's, wenn man unvermuthet gepackt wird! ein Kind kann einen schlagen! aber dieser Degen, den sie gegen mich ziehen wollte! was hätte ich denn genommen, um mich zu vertheidigen, was meinen Sie, mein Fräulein?«

Endlich glaubte er aufstehen zu müssen:

»Leben Sie wohl, meine reizende Dame, ich werde der guten Aufnahme gedenken, die ich bei Ihnen gefunden habe. Ich gehe nicht weit und werde die Augen über Ihre Aufführung offen halten, das ist jetzt meine Sache, nehmen Sie sich fein in Acht!« Mit diesen Worten ging er hinaus.

Madame Lignoll sagte mit sehr gereizter Stimme zu ihrem Gemahl:

»Mein Herr, ich bewundere Sie, wahrlich Sie hätten mich umbringen lassen, ohne einen Schritt zu meiner Vertheidigung zu machen!«

Er antwortete ihr mit befangener Miene: »Ach, ich bitte um Verzeihung; aber ich war so erstaunt, und konnte das Alles gar nicht begreifen; dann war auch mein Geist anderswo.

»Ich denke den Plan zu einem neuen Gedichte aus; es wird acht Verse haben . . . vielleicht bringe ich es auf zwölf.

»Wahrlich, ich will das Lob rechtfertigen, das der Doktor meinem Genie schenkt, wie er sagt, ich will, dass dieses Werk ein kleines Meisterstück sei, wie er die andern nennt; und deshalb bitte ich Sie, mich zu entschuldigen, um ungesäumt daran zu arbeiten.«

Als er fort war, sahen wir Alle einander einige Minuten lang schweigend an; jeder von uns war erstaunt über die Gegenwart und besorgt über die Zukunft.

Frau von Fonrose sprach zuerst, um uns große Vorsicht anzuempfehlen; die Marquise rief, der Chevalier dürfe ihre Nichte nie mehr sehen; ihre Nichte betheuerte, dass sie lieber sterben, als mir entsagen wolle; ich versicherte meine Leonore durch einen liebevollen Blick meiner unerschütterlichen Standhaftigkeit und gelobte, dass ihr Schwager mir demnächst für die Unverschämtheiten, die er sich gegen sie erlaubt, die Unruhe, in die er uns zu versetzen wage, Rede stehen solle.

»Dies ist ein sehr falscher Vorsatz,« sagte Rosambert endlich; »mein Freund, Sie müssen im Interesse Aller Ihre Empfindlichkeit gegen den Vicomte verhehlen. Sie haben nichts zu thun, als den Lauf der Dinge abzuwarten. Madame wird sich, wenn sie einmal ihren Zustand nicht länger verbergen kann, ihrem Gemahl anvertrauen, und dieser wird, wie so viele andere, wohl oder übel, die Sache auf die leichte Schulter nehmen, und das Kind anerkennen. Der Kapitän wird schreien, das gebe ich zu, aber dann, Faublas, ist es Zeit, dass Sie sich zeigen; Sie sagen diesem Seemann, der nichts von Lebensart weiß, zwei Worte, und ich kenne Sie! die Sache wird bald im Reinen sein.«

Nachdem die ganze Gesellschaft Rosambert's Rath als sehr weise anerkannt hatte, dankte mir Frau von Armincour mit Schluchzen, dass ich ihre Nichte vertheidigt hätte, bat mich sie immer zu vertheidigen, und ersuchte mich, mich zu entfernen, um nie wiederzukehren.

»Arme Kinder,« fügte sie hinzu, als sie uns auch weinen sah, »Euer Unglück geht mir sehr zu Herzen, aber es muss sein!«

»Ach! Herr von Rosambert, warum ist dieser hier nicht ihr Gemahl? Sie liebt ihn so sehr.«

»Komme heute Abend,« sagte Leonore ganz leise zu mir, »um Mitternacht, wir haben uns tausend Sachen zu sagen, komme!«

»Ja, geliebteste Freundin, ja.«

»Etwas früher, weil die Marquise zur Verlöbnis einer Verwandten gehen muss und erst spät zurückkommen wird.«

Sie hatte sich trotz ihrer Tante und der Baronin in meine Arme geworfen, sie hatte mich an ihren Busen gedrückt, liebkoste und küsste mich unzähligemal, als ob sie eine Ahnung hätte, dass sie das Fräulein von Brumont nie wieder sehen solle.

Wir schieden mit Thränen von einander.

»Ach! Frau Baronin,« sagte ich mich an dieselbe wendend, »bleiben Sie wenigstens noch einige Zeit bei ihr und suchen Sie sie zu trösten.«

»Gerne, lieber Chevalier,« antwortete sie.

»Herr von Rosambert hat seinen Wagen, er führe Sie zurück; in einer Stunde treffe ich Sie bei dem Baron.«

»Sie ist eine beklagenswerte Frau,« sagte der Graf zu mir; »denn sie scheint Sie von Herzen zu lieben?«

»Glauben Sie, Rosambert, dass ich sie nicht liebe?«

»Eine schöne Frage! ich weiß wohl, dass Sie Alle lieben.«

»Oh! diese ist ganz nach meinem Herzen; ich gebe ihr den Vorzug.«

»Vor Sophie vielleicht?«

»Nein, nicht vor Sophie.«

»Vor Frau von B...«

»Ja, mein Freund.«

»Um so besser!« rief er; »um so besser für mich! das rächt mich! aber um so schlimmer für dieses liebenswürdige Kind; denn daher kommt gewiss der Hass, den die Marquise gegen sie hat.«

»Hass, gegen Leonore?«

»Ganz gewiss! Glauben Sie, eine andere als Frau von B... könne diesen pseudonymen Brief an den Vicomte geschrieben haben?«

»Ach! Rosambert, halten Sie sie einer solchen Abscheulichkeit für fähig?«

»Lieber Freund, Sie haben noch immer eine zu gute Meinung von dieser Frau.«

»Und Sie, mein Freund, haben eine zu schlechte Meinung von ihr. Thuen Sie mir den Gefallen, und sprechen wir von etwas anderem.«

»Gerne! ich will Ihnen jetzt eine Nachricht mittheilen, die Sie erfreuen und in Staunen setzen wird.

»Ich heirate morgen.«

»Und diese Nachricht soll mich in Staunen setzen? Ihre Gesundheit ist wieder hergestellt; es ist klar, dass Sie heiraten werden.«

»Glauben Sie nicht, dass ich scherze; ich heirate in allem Ernst.«

»In allem Ernst?«

»Ja, lieber Freund, eine kirchliche Trauung.«

»Unmöglich! man hat noch nicht davon sprechen gehört.«

»Und doch ist die Sache schon mehr als vierzehn Tage im Werk. Man hat mir das Ehrenwort abgenommen, dass ich Niemand davon sagen wolle. Die nächsten Verwandten haben sogar die Dispensation von der kirchlichen Bekanntmachung erkauft. Auch meine Mutter hat mir Stillschweigen anempfohlen, sie fürchtet, diese vortheilhafte Ehe möchte mir durch eine Indiskretion entgehen.«

»Ich erhole mich nicht von meinem Staunen, wie Rosambert sich hat entschließen können, in seinem dreiundzwanzigsten Jahre zu heiraten.«

»Die Marquise, meine Mutter, hat mich gebeten, mich nicht zu weigern diese Ehe einzugehen, sie hat mich beschworen, und ich habe mich zuletzt erweichen lassen.

»Heute Abend unterzeichne ich den Vertrag, morgen heirate ich zwanzigtausend Thaler Rente und ein hübsches Mädchen.«

»Ich kann mir wohl denken, dass mein Freund Rosambert nur ein hübsches Mädchen heiraten wird.«

»Allerdings, zwar ist das Gesichtchen ein wenig albern, und eine Unschuld! zum Todtlachen.«

»Wie alt ist das Mädchen?«

»Nicht ganz fünfzehn Jahre.«

»Ihr Name?«

»Sie werden ihn übermorgen erfahren.«

»Warum erst übermorgen, ist es denn so geheim?«

»Hören Sie, lieber Faublas, kommen Sie des Morgens zu mir. Sie müssen ohne alle Umstände dem Frühstück einer Neuvermählten anwohnen; nichts Schöneres, als eine ganz jung vermählte Frau, die in ihrem Gange ein wenig geniert ist, mit matten Augen und allen Zeichen des Staunens in der Miene. Sie lachen?«

»Ja, denn Sie erinnern mich an jemand.«

»Er hat Recht. Ich bin in der That kindisch! ich quäle mich, ihm etwas vorzumalen, das er besser kennt als ich? hat er nicht die reizende Lignoll und die schöne Sophie gesehen? und was weiß ich, vielleicht noch andere, von denen er mir nichts gesagt hat! Aber gleichviel, Chevalier! Sie werden eine neue Art von Vergnügen haben. Sie können interessante Beobachtungen anstellen und sich selbst Rechenschaft geben, was Sie bei einer frisch geheirateten Agnes empfinden, an deren kleinen geheimen Schmerzen und reizenden Verlegenheiten Faublas diesmal nicht schuldig ist. Ich habe mir meine Pläne ausgedacht, und mag kommen was immer, ich verspreche, diskret zu sein; wenn die junge Frau eine Herzensangelegenheit hat, so wird sie schrecklich ungeschickt sein müssen, wenn ich es merken soll, das versichere ich Ihnen. Ich glaube, dass man seine Vergehungen nicht besser wieder gut machen kann, Chevalier! man kann nicht besser anfangen! Ihnen steht frei, zu thun, was Sie wollen.«

»Mir! Rosambert! oh! möchte jedermann Ihre glückliche Bande so achten, wie Faublas! Ich habe nie verführt, ich bin immer hingerissen worden; die Marquise war meine erste Neigung; Sophie ist meine einzige Leidenschaft; Frau von Lignoll wird meine letzte Liebe sein.«

»Gott höre und behüte Sie!«

Rosambert hatte wichtige Angelegenheiten zu Hause in Ordnung zu bringen; ich begleitete ihn, wir verplauderten gegen zwei Stunden, und die Zeit schien mir nicht lang, denn der Graf gestattete mir, ihn beständig von meiner Leonore zu unterhalten; endlich führte man mich in das Hotel zurück.

Frau von Fonrose kam aus dem Zimmer meines Vaters, als ich eintrat; der Baron schien sehr aufgeregt; die Baronin war blass und zitterte.

»Nun denn!« rief sie mit schlecht verhehltem Ärger. »Wir wollen sehen, dass die Verzweiflung über diesen Verlust uns nicht um den Verstand bringt. Sie hier, schönes Fräulein? reichen Sie mir die Hand bis an meinen Wagen . . . Chevalier, wenn Sie Ihre grausame Marquise bald sehen, so sagen Sie ihr, dass ich sie zu Grunde richten werde, und müsste ich mit ihr zu Grunde gehen.«

Als ich meine Frauenkleider abgelegt hatte, setzten wir uns zu Tische. Mein Vater und ich, obschon keiner von beiden mehr Appetit hatte.

»Mein Vater, Sie essen nicht?«

»Mein Sohn, ich bin krank vor Ärger und Verdruss; aber auch Du rührst nichts an.«

»Ich habe meine Migräne.«

»Deine Migräne, ich rathe Dir darauf zu verzichten; sie wird Dir diesmal nicht gelingen, lies den letzten Satz dieses Briefes, den ich durch die kleine Post erhalten habe.«

»Man glaubt auch Sie, Herr Baron, davon benachrichtigen zu müssen, dass Fräulein von Brumont die letzte Nacht bei Frau von Lignoll zugebracht hat, und dass abermals Frau von Fonrose sie dahin geführt hat.«

»Ein anonymes Schreiben, mein Vater!«

»Sehr wohl! Frau von Fonrose wird mein Vertrauen nicht länger missbrauchen . . . sie wird mich nicht mehr verrathen, die undankbare Baronin. Mein Sohn,« fuhr er fort, meine Hände in die seinigen nehmend, »habe ich es nicht vorausgesagt, dass Sie dieses unglückliche Kind am Ende ins Verderben stürzen würden?«

»Wen, Sophie?«

»Nein, Frau von Lignoll, wie ist sie zu retten?«

»Oh! sprechen Sie nicht davon! seit diesem Morgen suche ich zitternd nach einem Mittel, sie dem Unglück zu entreißen, das sie bedroht. Ich quäle mich umsonst, ich bin in Verzweiflung.«

»Ihr Schwager ist angekommen? Sie haben bereits einen fürchterlichen Auftritt mit einander gehabt? Mein Sohn, kennen Sie den Kapitän?«

»Per renommée, mein Vater.«

»Wissen Sie auch, dass der Vicomte von Lignoll oft in die Fußstapfen des St. Georg getreten ist?«

»Ich will es glauben.«

»Wissen Sie, dass dieser Mensch sich vielleicht zweihundertmal geschlagen hat?«

»Um so schlimmer für ihn!«

»Dass er nie verwundet worden ist?«

»Doch ist er ohne Zweifel nicht unverwundbar!«

»Dass er viele Familien zur Verzweiflung gebracht hat?«

»Mein Vater, was liegt Ihnen daran?«

»Dass sein Degen schon viele der hoffnungsvollsten Jünglinge weggerafft hat?«

»Mein Vater, vielleicht könnte ein einziger ganz unbekannter junger Mensch sie Alle rächen.«

»Mein Sohn, der Kapitän muss nothwendig in Bälde erfahren, dass dieses Fräulein von Brumont der Geliebte der Frau von Lignoll ist. Ich gestehe, dass es ihm vielleicht schwerer wird, zu entdecken, dass das Fräulein von Brumont der Chevalier von Faublas ist; aber endlich . . . früh oder spät, alles scheint darauf hinzuweisen, dass er entdeckt wird. Mein Sohn, was wirst Du dann thun?«

»Was zu thun sein wird, mein Vater, erlauben Sie mir es zu sagen, das ist eine sonderbare Frage.«

»Gott behüte!« rief er, »dass ich Deinem jungen Muth zu nahe treten wollte! ich gestehe Dir sogar,« fügte er lachend und mich umarmend hinzu, »dass die stolze Einfachheit Deiner Antwort mir außerordentlich viel Vergnügen gemacht hat, und ich bin zuweilen stolz auf meinen Sohn, denn ich habe auf ihn meine ganze Seele gesetzt. Du weißt nicht, welcher Genuss es für mich war, als ich Dich, kaum ins Jünglingsalter getreten, in allen Deinen Übungen keinen Gleichen mehr haben sah, ich wünschte mir Glück zu einem solchen Sohne. Jedoch, ich gestand es mir gar bald mit einer Art von Ungeduld und nicht ohne einiger Unruhe, dass Deine Überlegenheit noch nicht die rechte Weihe erhalten habe. Du hast aber Deine erste Probe, ich darf es wohl sagen, mehr als gut bestanden. Hätte der Zorn diesen Herrn von B..., der als Fechter einen Namen hat, weniger geblendet, er hätte Dich am Thor Maillot verwunden können, als Du mit erstaunenswerter Geschicklichkeit, mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit den feindlichen Stahl wie ein bloßes Floret zurückweisend, in diesem ungleichen Kampfe ebenso viel Gewandtheit als Kraft, ebenso viel Tapferkeit als Großmuth an den Tag legtest. Da erkannte ich wahrlich, dass Faublas bei seiner Unerschrockenheit und Fertigkeit nie einen Sieger finden würde. Heute jedoch versetzt mich Deine Beherztheit in lebhafte Unruhe; erlaube mir daher eine Bitte, mein Freund.«

»Sie, mein geliebter Vater, werden doch nicht Ihrem Sohne eine Bitte vortragen.«

»Und doch muss ich Dich bitten, Deinem Feinde nicht entgegen zu gehen und ihn zu erwarten; wenn er Dich aufsucht, so wirst Du Deine Pflicht thun. Nichtsdestoweniger ersuche ich Dich dringend, den Kampf nur unter der ausdrücklichen Bedingung einzugehen, dass beide einen Zeugen mitbringen können.

»Ich will Deinen zweiten Ehrenhandel sehen, der gefährlicher ist, als der erste; ich will Dich durch meine Gegenwart aufmuntern, als Sieger zurückzukehren. Hüte Dich wohl, gegen den Vicomte von Lignoll die großmüthige Schonung zu haben, die Du gegen den Marquis von B... zeigtest. Es fehlte wenig, ich werde das nie vergessen, dass Deine Großmuth mich meinen Sohn gekostet hätte. Bei dem Vicomte wirst Du nicht mit einer bloßen Schramme davonkommen; denn er hat nie andere als tödliche Stöße geführt, und ich wiederhole Dir, er ist ein sehr wilder und zügelloser Mensch; aber seine Bravour, die dem Staate hier und da nützlich ist, lässt ihn unantastbar erscheinen. Deshalb, mein Sohn, wenn der Augenblick gekommen sein wird, ihn zu bekämpfen, dann, ich beschwöre Dich, denke an Deinen Vater, an Deine Schwester, an Deine Sophie, an Frau von Lignoll, wenn es sein muss. Dann tödte zu Deiner eigenen Sicherheit, zum wohl Aller, zur Genugthuung für hundert Familien das Opfer, dessen Blut der Himmel fordert.

»Dieser Kapitän macht sich ein grausames Vergnügen daraus, den Tod zu geben, deshalb ist es an der Zeit, dass ein Rächer komme, um ihn zu züchtigen; stoße unbarmherzig zu, reinige die Erde von einem Ungeheuer! und Deine Jugend wird für die Ruhe der Menschen nicht ganz verloren gewesen sein . . . aber,« rief der Baron. »Es kommt mir ein wahrhaft beunruhigender Gedanke. Seit allzu langer Zeit haben Reisen, Krankheiten, mehrere Unglücksfälle Dich genöthigt, Deine Übungen gänzlich zu vernachlässigen. Schon mehrere Monate hast Du kein Floret mehr in der Hand gehabt. Mein Gott, wenn Du etwas von dieser außerordentlichen Behendigkeit verloren hättest, die man bewunderte, und die sich hauptsächlich durch Gewohnheit erhält; wenn Du nicht mehr den schnellen Blick, die sichern Bewegungen hättest! mein Gott, wenn Du nur noch ein Fechter zweiten Ranges wärest! versuchen wir es mit einander, aber es wäre gut, wenn wir es sogleich thäten; wo sind Deine Florets? oh! ich bitte Dich, gib sie! wäre es nur um mich zu beruhigen. Ich bitte Dich, mein Freund, gib schnell.

»Ich bedauere, dem Angriff keinen gleichen Widerstand entgegensetzen zu können, aber ich werde mich wenigstens so gut vertheidigen, als ich kann.«

»Und nun, mein Sohn, bin ich gerüstet; aber Du musst mich deshalb nicht schonen, ich ersuche Dich ernstlich alle Kräfte zusammenzunehmen.«

»Sie wollen es, mein Vater, ausgelegt, denn!«

In zwei Minuten parierte er zwanzig Stöße und erhielt dreißig!

»Gut,« rief er, »vollkommen gut! besser als je; wahrlich sehr gut!

»Diese Geschmeidigkeit, diese Kraft und Schnelligkeit! wie der Blitz, das heißt tüchtig drein schlagen,« fuhr er fort, mehrere Male mit der Hand über die Brust fahrend.

»Hast Du mir aber gewaltige Stöße versetzt, die mir hätten weh thun können, mir aber recht viel Vergnügen gemacht haben. Thue mir aber einen andern Gefallen! nimm Deine Pistolen, geh in den Garten und übe Dich im Schießen.«

Ich gehorchte; er rief mich zurück und sagte:

»Ich kann Dir nicht schnell genug eine Nachricht mittheilen, die Dich äußerst erfreuen wird. Am Samstag reisen wir, wenn nichts dazwischen kommt, wir reisen ab, um Sophie zu suchen.«

»Meine geliebte Sophie, ach! mein Vater, wie entzückt mich diese Nachricht, am Samstag, welch ein Glück, wahrlich, es überwältigt mich fast, meine theuere Gattin, werde ich Dich wiederfinden, um Dich endlich nach so langer und grausamer Trennung zu umarmen und ewig treu zu hüten.«

Ich ging hinab in den Garten, um über mein bevorstehendes Glück nachzudenken, in den beseligendsten Gedanken zu schwelgen. Aber was sage ich? und was wird aus Frau von Lignoll werden? meine Leonore verlassen! sie jetzt verlassen! unmöglich, wer wird mir einen Ausweg zeigen aus diesem düstern Labyrinth? Ich begab mich eilends in das Zimmer meines Vaters.

»Denken Sie nicht daran abzureisen, ebenso wie ich nicht daran denken will; ich habe darüber nachgedacht, und bin entschlossen zu bleiben; denn wie sollte ich eben so feig als treulos, mich aus Paris entfernen, während der Kapitän mich hier aufsucht? Ich sollte Leonore in dem Augenblick verlassen, wo ihre Feinde sich um sie sammeln! denken wir nicht an diese Reise, Herr Baron! ich versichere Sie, dass dies nicht geschehen wird; meine Ehre verbietet es mir.«

Mein Vater war so verblüfft, dass er nicht antworten konnte. Und ich ohne abzuwarten, bis er von seiner ersten Überraschung zurückkomme, um sich zu erklären, lief auf mein Zimmer und verschloss mich, um daselbst zu schreiben, wie folgt:

»Meine liebe Leonore, meine reizende einzig geliebte Freundin, ich bin in Verzweiflung! wir werden uns heute Abend nicht sehen. Mein Vater weiß Alles. Deine Tante muss besser unterrichtet sein, als Du glaubst; denn sie kann meinem Vater die genaue Nachricht zugeschickt haben, die uns eine glückliche Nacht raubt. Ach! so ist es denn wahr, dass alle Welt sich gegen zwei Liebende vereinigt! und sich zu Deinem Verderben verschworen hat, und mich in der theuersten Hälfte meiner selbst anzugreifen wagt! sei übrigens ruhig, Faublas bleibt Dir.

Faublas betet Dich an! Dein Geliebter wird, gehe es wie es wolle, lieber sein Leben verlieren als Dich verlassen. Das schwört bei seiner Liebe

Dein bis in den Tod getreuer Faublas.«

Weiter schrieb ich an die Marquise:

»Meine schöne Mama!

Sollte ich Sie durch irgend eine neue Unbesonnenheit beleidigt haben? es sind achtzehn tödliche Tage, seit ich des Glücks beraubt bin, Sie zu sehen. Ach! verzeihen Sie mir, wenn ich schuldig bin, und wenn ich es nicht bin, so haben Sie die Güte, Ihr Unrecht anzuerkennen und wieder gut zu machen; schenken Sie mir morgen eine Stunde! Meine schöne Mama, Sie haben mir Rath, Freundschaft, Hilfe, Schutz versprochen; das Alles nehme ich jetzt in Anspruch. Mein Vater will mich in fünf Tagen mit sich nehmen, um Sophie aufzusuchen, und ich muss diese Reise, die noch vor kurzer Zeit der Gegenstand meiner heißesten Wünsche war, heute mehr als den Tod fürchten. Sie, meine schöne Mama, die Sie für Alles ein Mittel haben, sollten Sie dagegen keines ausfindig machen können? Ich bitte Sie dringend, mich in so misslichen Umständen nicht mir selbst zu überlassen. Ich bitte Sie mir morgen Ihren Rath nicht zu versagen, nach welchem mich richten zu wollen ich Ihnen verspreche.

Ich bin mit dem lebhaftesten Danke, mit der zärtlichsten Freundschaft, mit der tiefsten Hochachtung

Ihr Faublas.«

»Höre Jasmin! geh schnell zu Lafleur und zu Frau Montdesir. Zieh Dein bürgerliches Kleid an, ergreife die gewöhnlichen Maßregeln und sieh Dich wohl um, ob Du auf Deinen Gängen von niemand gefolgt wirst.«

»Gnädiger Herr,« sagte er zu mir bei seiner Zurückkunft; »Frau von Montdesir hat mir versichert, dass sie sehr ärgerlich sei, die Ehre Ihres Besuches nicht mehr zu haben, dass sie aber Ihr Billet, das man seit mehreren Tagen erwarte, sogleich besorgen wolle, und dass Sie morgen früh Antwort erhalten würden.«

»Recht gut, Jasmin, aber warst Du denn nicht bei Lafleur? dies hättest Du zuerst besorgen müssen.«

»Das habe ich auch gethan, mein Herr, aber ich bringe keine Antwort, ich hatte ihm Ihr Billet zugestellt, er sagte zu mir:

»Jasmin, liebst Du die Prügel?«

»Nicht sehr!« habe ich geantwortet.

»Nun denn! mein lieber Freund, hat er erwidert, siehst Du in dem Café da gegenüber von unserem Hotel diesen baumlangen Offizier?«

»Sein Auge gefällt mir nicht,« habe ich geantwortet.

»Mein lieber Freund,« sagte er, »ich glaube, dass er Dich mit diesem Auge soeben bemerkt hat. Rette Dich schnell, wenn Du nicht meine Gebieterin und Deinen Rücken in Gefahr bringen willst.«

»Darauf, mein Herr, habe ich nichts mehr geantwortet, sondern, ohne es mir zweimal sagen zu lassen, habe ich mich auf meine Beine gemacht und bin nun hier.«

»So dass ich also, Dank Deiner Tapferkeit, keine Nachrichten von Frau von Lignoll habe.«

»Gnädiger Herr, Sie hätten auch keine bekommen, wenn ich mir von diesem Teufel hätte meinen Rücken blau schlagen lassen.«

»Du musst jedoch noch einmal hingehen.«

»Ja, auf den Abend! bis dahin ist dieser Riese vielleicht nicht mehr da.«

Am andern Tage in aller Früh bekam ich ein Billet von der Marquise, folgenden Inhalts:

»Ja, ich werde diese Reise zu verhindern trachten; aber hatte ich nicht Recht, wenn ich sagte, dass Ihre Sophie Ihnen weniger theuer sei? dem sei wie ihm wolle, da Sie den Wunsch ausdrücken, so werden wir uns auf den Abend um sieben Uhr an dem Ihnen bekannten Orte treffen können.«

Ich rief meinen Bedienten.

»Jasmin, fasse Muth! gestern Abend hättest Du, wenn Du nicht nachlässig gewesen wärest, noch einmal zu Lafleur gehen können; geh dennoch jetzt hin und sieh nach, ob der Kapitän beständig auf seinem Posten ist.«

Leider war er bereits auf seinem Posten. Mein guter Jasmin, der sich, durch meine Vorwürfe gestachelt, dennoch auf den Weg begab, kam ganz lendenlahm nach Hause.

»Diesmal, mein Herr, bin ich bis in den Hof gedrungen; aber der große Teufel ist mir sogleich über die Schultern gefallen.

»Er hat geschrieen:

»Zu wem willst Du?«

»Zu Ihnen nicht, mein Herr,« antwortete ich.

»Man darf nicht hinein, was willst Du?«

»Warum wollen Sie mich hindern hineinzugehen? sind Sie der Schweizer?«

»Er hat sich für den Augenblick begnügt, mir mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, dass ich den Himmel für eine Bassgeige ansah. Und dann habe ich geschrieen, und ich habe wohl daran gethan, denn wenn nicht Lafleur und alle seine Kameraden gekommen wären und mich aus den Händen des Grobians gerissen und zum Thor hinausgeschoben hätten, ich glaube, ich wäre nicht lebendig aus dem Hofe gekommen.«

»Welche Roheit!«

»Gnädiger Herr, ich habe mich nicht geniert, ihm zu sagen, dass mein Herr durchaus nicht zufrieden sein werde mit der Behandlung.«

»Was hat er geantwortet?«

»Immer ärger zuschlagend, hat er geschrieen:

»Dein Herr? sein Name? sein Name?«

»Du hast ihn nicht gesagt?«

»Nein, mein Herr! und wenn er mich auf der Stelle erwürgt hätte!«

»Nun gut! ich will ihm meinen Namen sogleich selbst sagen!«

»Gut!« rief Jasmin, der mich meinen Degen ergreifen sah, »stoßen Sie ihm eines in die Seite, wie diesem kleinen Herrn von B..., der so wild war.«

Ich eilte auf die Treppe; aber zum Glück war der Baron unterwegs und hielt mich auf.

»Faublas, wohin so schnell mit diesem Degen?«

»Wissen Sie auch, mein Vater, dass er es wagt, meinen Bedienten anzuhalten und zu schlagen?«

»Also, mein Sohn,« antwortete mein Vater mit großer Kaltblütigkeit, »Sie sind schneller bereit, Ihren Bedienten zu rächen, als Ihre Geliebte; also will, um eine Beleidigung, die bloß ihn allein angeht, zu bestrafen, der Geliebte der Frau von Lignoll sie verrathen und zu Grunde richten.«

Diese vernünftigen Vorstellungen brachten mich sogleich wieder zur Besinnung. Ich rief Jasmin, er solle meinen Degen wieder in Empfang nehmen. Der Baron sah, dass ich ausgehen wollte, und sagte daher zu mir:

»Nein, gehe auf Dein Zimmer zurück! ich komme auch, ich habe mit Dir zu sprechen, wir bedürfen beide einiger Zerstreuung; wir können uns keine angenehmere verschaffen, als die Gesellschaft Deiner Schwester. Ich habe soeben nach Adelheid geschickt; ich denke sie bis Freitag Abend zu behalten.«

»Warum nicht länger?«

»Wir reisen am Samstag ab.«

Bei diesen Worten beobachtete mich der Baron.

Da die Stunde herannahte, wo ich erfahren sollte, was Frau von B... zur Hintertreibung meiner Reise zu thun gedachte, so vermied ich die Erklärung, die mein Vater suchte. Ich antwortete bloß:

»Samstag, ja, am Samstag . . . lebe wohl, mein Vater!«

»So bleibe doch! Deine Schwester kommt in einer Viertelstunde!«

»Ich muss ausgehen, mein Vater!«

»Ich will nicht, dass Du ausgehst, sage ich Dir, und dabei bleibt es, verstehst Du mich, mein Sohn!«

»Es ist aber eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit.«

»Mein Sohn, willst Du mir ungehorsam sein?«

»Wenn ich nicht anders kann!«

»Ich verstehe Dich! ich werde also Gewalt brauchen.«

Mit diesen Worten verließ er mein Zimmer und schloss mich darin ein.


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