Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Dritter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Ich habe mich langsam angezogen, weil ich es geräuschlos thun musste. Inzwischen bin ich fertig, im Begriff abzureisen; welch trauriges Gefühl übermannt mich; ich trete in das Schlafzimmer, bestimmt für Fräulein von Brumont, in jenes Zimmer, das zur kleinen Treppe führt, und ich fühle mein Herz schwach werden. Unentschlossen bleibe ich stehen; unruhig kehre ich zurück, will fliehen und nähere mich . . . großer Gott! hätte ich mich getäuscht? hat sie nicht einige Worte gesagt, hat sie nicht meinen Namen genannt?

Faublas, ihren Freund Faublas ruft sie, mit schwacher bebender Stimme.

Liebenswürdiges, theueres Kind, arme Kleine! . . . ein Traum verkündigt Dir meine Flucht, ein trauriges Traumbild quält sie, und es täuscht sie nicht! Gerührt, trostlos, neige ich mich über sie; mein Mund sagt ihr ein leises Lebewohl: meine Lippen haben die ihrigen sanft berührt, eine Thräne ist in ihren offenen Busen gefallen; gewaltsam raffe ich mich empor, werfe noch einen letzten Blick auf Leonore, und nun bin ich auf der geheimen Treppe.

Mein Unstern wollte, dass ich in dem Hofe Herrn von Lignoll begegnen musste, der schon in den Wagen stieg.

»Ei! so früh,« redete er mich an.

»Ja, mein Herr, ich gehe aus.«

»Wie, ohne die Gräfin?«

»Sie ist ermüdet, sie schläft; sie weiß, dass ich auf vierundzwanzig Stunden ein Geschäft habe.«

»Allein? zu Fuß?«

»Ich werde einen Fiaker nehmen.«

»Mein Fräulein, ich werde Sie an den Ort Ihrer Beschäftigung führen.«

»Aber, mein Herr, das würde Sie stören. Sie haben Eile.«

»Hat nichts zu sagen.«

»Erlauben Sie doch.«

»Ich thue es nicht anders.«

Während ich mich mit Herrn von Lignoll herumstreite, um seinen Artigkeiten zu entgehen, kann die Gräfin erwachen und einen schrecklichen Lärm machen. Dieser Gedanke entscheidet.

Ich werfe mich in den aufgedrungenen Wagen, Herr von Lignoll steigt hinein, und ersucht mich seinem Kutscher den Weg anzugeben. Zuerst wollte ich das Kloster meiner Schwester nennen; aber Alles wohl erwogen, hielt ich es für besser, mich zu Frau von Fonrose führen zu lassen.

Wir langen an der Thüre der Baronin an, ich steige aus dem Wagen, und als ich eben in das Haus treten wollte, verließ es der Herr Baron incognito.

Er erkennt mich und ruft aus:

»Endlich finde ich Dich! also der Zufall musste es thun . . .«

Bestürzt unterbreche ich ihn:

»Mein Vater, dieser Herr, den Sie in seinem Wagen sehen, ich habe die Ehre Ihnen denselben vorzustellen, ist der Graf von Lignoll, der Gemahl jener jungen Dame, im deren Hause . . .«

Der Graf, welcher uns gehört hat, springt eiligst heraus, wirft sich meinem Vater an den Hals und wünscht ihm Glück, eine Tochter zu haben, die jede Charade zu lösen im Stande ist.

Dann fährt er fort:

»Wir geben sie Ihnen auf vierundzwanzig Stunden zurück; aber wir hoffen, dass Sie uns morgen das Vergnügen schenken werden, sie persönlich zu uns zurückzuführen.«

Mein Vater wehrt sich dagegen; Herr von Lignoll wird dringend und erklärt:

»Fräulein von Brumont muss zurückkommen, denn meine Gemahlin ist krank.«

Bereits ungeduldig geworden, erwidert der Baron:

»Das thut mir leid, aber –«

Herr von Lignoll unterbricht ihn:

»Sie brauchen nicht ängstlich zu werden; es ist weiter nichts! ein Unwohlsein, ein Herzklopfen; es rührt, glaube ich, daher, dass sie in den letzten Tagen zu viel Bewegung gemacht hat, in Gesellschaft mit Ihrem Fräulein Tochter, die in der That stark, behend und ausdauernd scheint, auch sehr kräftig gebaut ist; die Gräfin dagegen hat noch kein so ausgebildetes Nervensystem; kurz, wie ich sage, es ist nichts.«

Indem er sprach, blickte mein Vater ganz erstaunt von Einem auf den Andern. Herr von Lignoll fuhr, ohne darauf zu achten, eifrig fort:

»Es würde in der That sehr ernsthaft werden, wenn Fräulein von Brumont nicht zurückkäme, da dies meine Frau, die sie bis zum Wahnsinn liebt, höchst betrüben würde. Ihre Seele würde angegriffen, mein Herr; und wenn die Seele einer Frau angegriffen wird, so kann kein Ehemann mehr mit ihr aushalten.«

»Ich wiederhole Ihnen, mein Herr, dass ich nichts versprechen kann.«

»Ich verlasse Sie nicht, ohne Ihr Wort zu haben.«

»Aber ich bitte!«

»Und ich, Herr von Brumont, wiederhole meine Bitte.«

Hingerissen durch seine Heftigkeit, ruft der Baron:

»Jetzt, mein Herr, lassen Sie mich in Frieden!«

Dann warf er mir einen erzürnten Blick zu und sagte zu mir:

»Ist es nicht schrecklich, dass ich fortwährend compromittiert werde?«

Ich zitterte, ich stürzte mich in seine Arme:

»O, mein Vater! erinnern Sie sich an das Thor Maillot.«

Durch diese Worte gewann er wieder so viel Kaltblütigkeit, um sogleich Herrn von Lignoll verbindlichst zu danken und sich zu entschuldigen. Indes blieb dieser immer noch sehr erstaunt über den Zorn, den der angebliche Herr von Brumont hatte durchblicken lassen. – Um ihm jeden Zweifel in dieser Beziehung zu nehmen, glaubte ich mich verbunden, ihm ganz leise und mit geheimnisvollem Ton folgenden hinterlistigen Aufschluss zu geben:

»Frau von Fonrose hatte Ihnen gesagt, dass gewisse Familienangelegenheiten meinen Vater nöthigen, unbekannt in diesem Lande zu leben, und Sie verlangen, dass er Sie besuche! Sie vergessen sich so weit, ihn laut bei seinem Namen zu nennen!«

»Ach, wie bedauere ich meine Unbesonnenheit,« sagte sogleich der Graf zum Baron.

»Und ich meine Lebhaftigkeit!« erwiderte dieser.

»Sie spotten!« fällt Herr von Lignoll ein; »ich habe Unrecht, aber dessen ungeachtet, sagen Sie mir doch, warum verweigern Sie Ihr Fräulein Tochter meiner Frau; so versprechen Sie wenigstens, sie uns wieder zu schicken.«

»Ich verspreche,« entgegnete der Baron, »fortan Sorge zu tragen, dass Sie die Höflichkeiten, womit Sie mich überhäufen, nicht zu bereuen haben.«

»Sei es! ich reise zufrieden; aber Sie haben keinen Wagen, wollen Sie, dass ich Sie nach Hause fahre?«

Jetzt nahm ich das Wort:

»Sehr verbunden! ich muss mit der Baronin sprechen; ich hoffe, mein Vater wird mich wieder zu derselben hineinbegleiten; wir haben ihr etwas Geheimes zu sagen.«

Er fuhr weg. Als sein Wagen ein wenig ferne war, stiegen wir in einen Fiaker, wobei ich, da wir von dem Ende der Vorstadt Saint-Germain nach dem Vendômeplatz fuhren, Zeit erhielt, in meine Träumereien zurückzufallen. In tiefe Verzweiflung darüber versenkt, wo meine gestern im Stich gelassene Gattin sich jetzt befinden möchte, wo bald meine diesen Morgen verrathene Geliebte sein werde, gab ich mir Mühe das Aussehen zu haben, die Vorstellungen meines Vaters aufmerksam anzuhören, die derselbe an mich verschwendete. Leere Töne schlugen an mein Ohr; aus dieser Lethargie rissen mich erst die letzten Worte der langen Zurechtweisung:

»Du denkst nicht an das Unglück der von Dir verlassenen Sophie.«

»Nein, ich vergesse sie nicht, nein! ihr Unglück ist groß, ohne Zweifel, aber es wird nicht lange dauern. Morgen, ja, morgen . . . und Sie, mein Vater, wissen nicht, dass heute – ach, Verzeihung! ich weiß nicht, was ich rede. Mein Vater, Sie steigen hier aus, Sie wollen Adelheid besuchen?«

»Ja, mein Sohn!«

»Was mich betrifft, so werde ich mich in diesem Aufzug nicht am Sprachgitter zeigen. Ich werde in unser Hotel zurückkehren, meinen Anzug ändern und dann . . . Adieu! mein Vater! o, Sie, den ich eben so sehr liebe, als Adelheid, adieu!«

»Wie, mein Freund, wirst Du mich nicht aufsuchen?«

»Mein Vater, umarmen Sie mich doch, verzeihen Sie mir allen Kummer, den ich Ihnen verursache.«

»Von ganzem Herzen, mein Freund! aber ich bitte Dich doch –«

»Ganz gewiss, ich wollte recht gerne vernünftig werden; aber ich bin unwillkürlich gezwungen so zu handeln, wie Sie es nicht billigen würden. Nicht wahr, Sie werden meine Schwester in meinem Namen umarmen?«

»Gleich hernach wirst Du Deinen Auftrag selbst ausrichten.«

»Ja, mein Vater, morgen will ich so thun, wie Sie es wünschen.«

»Was sagt er da? wirst Du toll?«

»Wahrlich, ich spreche sinnlos. Adieu! es thut mir leid, Sie zu verlassen! In einer Stunde sollen Sie Nachricht von mir haben.«

Ich kam in unser Hotel an, Jasmin stand an der Thüre Wache; der Spitzbube lächelte, als er mich als Fräulein sah, und sagte, Frau von Montdesier hat diesen Morgen schon zweimal hergeschickt, um zu erfahren, ob ich vom Lande zurück sei, und lasse mich ersuchen, gleich nach meiner Ankunft in ihr Haus zu eilen.

»Gut! das taugt zu meinen Plänen. Schnell, Jasmin, frisiere mich!«

»Als Mann, Fräulein?«

»Ja, als Mann.«

Es war schnell geschehen.

»Jasmin! Feder, Tinte und Papier.«

»Gleich, Herr!«

»Gut! Während ich schreibe, bringe schnell alles nöthige herbei, um mich vom Kopf bis zum Fuß anzukleiden.«

»Als Mann? gnädiger Herr?«

»Ja! sodann sattelst Du mein und Dein Pferd.«

»Ich werde meinen Herrn begleiten?«

»Ja! und zwar gleich!«

»Um so besser, so werde ich Unterhaltung haben. Ohne Zweifel führen wir irgend einen Streich aus.«

»Jasmin, Du wirst mir meinen Degen geben.«

»Ah, um so schlimmer! sehr schlimm, wenn wir uns schlagen; denn wir werden jemanden tödten. Der arme kleine Marquis, ich glaube ihn immer zu sehen – da – krach – ich sehe ihn zur Erde stürzen. Übrigens war es sein Fehler, denn wir schonten ihn; das war schrecklich! wenn der nicht todt ist, so war ihm die Seele mit Pechdraht in den Leib genäht.«

»Zum Teufel, Jasmin! spute Dich, wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Besonders plaudere nicht!«

»Lieber sterben, als Sie verrathen, Herr!«

Inzwischen schrieb ich an meinen Vater. Ich gab ihm über Sophiens verborgenen Aufenthalt alle möglichen Aufschlüsse. Mein Brief endigte mit den Worten:

»Reisen Sie, mein Vater! ach, ich flehe Sie an, reisen Sie sogleich nach Fromonville! dass Ihnen Duportail nur nicht noch einmal entkommt! welche Beweggründe er haben mag, suchen Sie meinen Schwiegervater auf, sprechen Sie mit ihm, überreden Sie ihn! er gebe uns seine anbetungswürdige Tochter heraus! bringen Sie meine theuere Adelheid mit, ich bitte Sie darum! Die beiden Freundinnen werden froh sein, sich wieder zu sehen; Adelheid's Gegenwart soll Sophie die Rückkehr des Faublas verkündigen, die zarten Liebkosungen der Schwester mögen sie auf die Entzückungen des Bruders vorbereiten, des Bruders, den sie innig liebt, und von dem sie angebetet wird! Mein Vater! sorgen Sie doch ja dafür, dass sie ohne Gefahr auf unsere nahe bevorstehende Vereinigung vorbereitet wird! Sie ist gegenwärtig in Verzweiflung, die Freude würde sie tödten. Mein Vater, ich lege in Ihre Hände mein theuerstes Interesse! ich empfehle Ihnen das Verehrungswürdigste, das Schönste, das Beste, was es in dieser Welt gibt; ich empfehle Ihnen meine heißgeliebte, meine angebetete Gattin! Ach! dass ich nicht selbst nach Fromonville fliegen kann! ich gehe anderswohin. Brauche ich Ihnen noch zu sagen, dass eine unerlässliche Ehrensache es von mir heischt? Indes erschrecken Sie nicht! morgen Vormittag werde ich bei meinem Vater, bei meiner Sophie sein; ich schwöre es bei ihr und bei Ihnen!«

Ich kleidete mich an, und siegelte den Brief; ein vertrauter Mann wurde beauftragt, ihn in Adelheid's Kloster zu tragen, und meinem Vater einzuhändigen. Jasmin erhielt Befehl, mich am Thore Saint-Martin zu erwarten, und ich eilte zu Frau von Montdesier.

Dort traf ich nicht Frau von B..., sondern den Vicomte von Florville.

»Endlich da!« sagte er.

Ich entschuldigte mich, dass ich ihn habe warten lassen, und dankte der Marquise, dass sie mich in dem Augenblicke habe zu sich berufen, wo ich über die Mittel verlegen war, das Glück einer Unterhaltung von wenigen Minuten mit ihr zu genießen. Ich fügte bei, dass ich vom Lande eine große Neuigkeit mitbringe.

»Und welche denn?«

»Ich habe Sophie gesehen.«

Sie erblasste und rief:

»Nicht möglich!«

Kurz, ich nannte das von Duportail erwählte Versteck, und wie ein glücklicher Zufall mich es habe entdecken lassen.

Die Marquise hörte mich mit sprachlosem Erstaunen an; ich bat sie flehentlich, doch sogleich Leute nach Fromonville zu schicken, welche Duportail beobachten und überall hin verfolgen sollten; denn ich zitterte bei dem Gedanken, mein Schwiegervater könnte abermals die Absicht haben und Mittel finden, meinem Vater zu entgehen.

»Wie,« fragte sie mit zitternder Stimme, »Sie gehen nicht selbst dahin?«

»Ich kann nicht; eine wichtige Angelegenheit ruft mich anderswohin.«

Mit ruhiger Miene und festerem Tone rief sie nunmehr aus:

»Wie? Frau von Lignoll hatte schon so viel Herrschaft erlangt?«

»Nicht Madame Lignoll entreißt mich Sophien; eine unerlässliche Pflicht . . .«

»Vollenden Sie – oder darf ich nicht wissen?«

»Glauben Sie, theuere Mama, dass ich untröstlich bin, ein Geheimnis vor Ihnen zu haben.«

»Genug, Chevalier! ich bin nicht indiscret in Sie zu dringen, und Sie mit Fragen zu belästigen. Ich will gerne glauben, dass diese Zurückhaltung nicht auf meine Kosten geht. Ich werde sogleich strengen Befehl geben, dass Duportail von heute Abend an auf's genaueste beobachtet wird, und ohne dass ich es weiß, keinen Schritt thun kann, ich selbst will – oder in meiner Abwesenheit die kleine Montdesier,« fügte sie mit einem tiefen Seufzer bei.

»In Ihrer Abwesenheit, Madame? Sie verlassen Paris?«

»Zur Stunde, mein Freund!«

»Welches Unglück für mich! wie schmerzt es mich, Sie zu verlieren, in diesem Augenblick besonders, wo Ihr Rath und Beistand mir so nöthig gewesen wäre. Wo gehen Sie denn hin?«

»Zuerst nach Versailles!«

»Nach Versailles in diesem Rock! . . . Mama, das ist, wie mir scheint, der englische Frack, den Sie angehabt haben am Tage, als wir mit einander in Saint-Cloud waren?«

»Möglich!« sagte sie und stellte sich ungewiss dabei; »ja, ich glaube, ja!«

»Und von Versailles reisen Sie nach –?«

»Chevalier, mit Bedauern sehe ich mich genöthigt Ihre eigenen Ausdrücke zu wiederholen: Glauben Sie, dass ich untröstlich bin, ein Geheimnis vor Ihnen zu haben.«

»Aber, noch einmal, wird die Reise lange dauern?«

»Vielleicht, mein Freund, vielleicht!« sagte sie mit zitternder Stimme, »und eben darum wünschte ich lebhaft, bevor ich diese Reise antrete, Ihnen Lebewohl zu sagen.«

»Ihr Lebewohl, Mama? meine theuere Mama! Sie beunruhigen mich. Sie scheinen traurig . . . bitte, vertrauen Sie mir.«

Sie unterbrach mich:

»Achten Sie mein Geheimnis! ich habe nicht versucht, in das Ihrige einzudringen; und ich will es auch nicht. Gehen Sie, Faublas, gehen Sie, und kommen Sie zufrieden zurück, wenn es möglich ist. Ich kann mich nicht erklären, ich kann nicht sagen, welches Ereignis sich vorbereitet, welche Befürchtungen mich beunruhigen, welche Wünsche ich in mir trage! aber, mein Freund, mein liebenswürdiger Freund, wie grausam wäre es, wenn das Schicksal bestimmt hätte, dass wir uns nicht mehr sehen sollten.«

»Großer Gott, Sie seufzen! Sie haben Thränen in den Augen!«

»Adieu, Faublas, allzutheuerer Sohn! ich verlasse Dich nur mit Schmerzen; erinnere Dich daran, wenn ein großes Unheil geschieht. Vergessen Sie nicht, dass die Marquise von B... Sie durch einen Verrath verloren, und selbst das Opfer eines Elenden wurde, der sich Ihren Freund nannte. Besonders vergessen Sie nicht, dass dieselbe für immer die zärtlichste Freundschaft bewahrt hat, die zärtlichste,« wiederholte sie, mir die Hand drückend.

Sie gab mir einen Kuss und verschwand.

Ich blieb in großer Bestürzung über das eben Gehörte stehen; und im ersten Augenblicke meines Erstaunens wiederholte ich einige Ausdrücke, die der Frau von B... entschlüpft waren:

»Gehen Sie und kommen Sie zufrieden zurück . . . wie grausam wäre es, sich nicht mehr zu sehen!« Kein Zweifel, Frau von B... weiß, dass ich mich schlagen werde, und kennt meinen Feind. Es scheint, als wisse sie Alles, was mit mir die letzte Zeit vorgegangen ist; doch Muth, theuerste Freundin, Sie werden mich wiedersehen! Sie werden mich wiedersehen, Frau von B..., zweifeln Sie nicht! als Sieger werde ich aus einem Kampf hervorgehen, dessen Preis Sie sind. Unvorsichtiger Marquis, welche Tollkühnheit, Faublas auf das Feld der Ehre zu fordern? welche Verwegenheit, ein so wohlvertheidigtes Leben anzugreifen?

Das Schicksal von drei herrlichen Frauen hängt an dem meinigen.

Die hereintretende Justine hatte vielleicht ebenfalls die Absicht, mir in ihrer Art einige Ermuthigungen zu geben; aber es war schon zu spät, so dass ich nicht mehr verstehen konnte, selbst wenn ich gewollt hätte.

Am Thor Saint-Martin traf ich meinen Bedienten, der mir bis Bourget folgte; hier befahl ich ihm, mein Pferd nach Paris zurückzuführen, und nahm Post.

Vor fünf Uhr abends befand ich mich in dem Wald von Compiègne an dem bezeichneten Ort. Es schien, dass ich der Erste eintraf.

Ich ging hier seit einigen Minuten auf und ab, als plötzlich zwei Männer mich anfielen und mir die Pistole an die Brust setzten. Sie fragten mich, ob ich Edelmann sei. Ich nahm keinen Augenblick Anstand, mit Ja! zu antworten.

»In diesem Fall,« sagten sie mir, »haben Sie die Güte, Herr, diese Maske über Ihr Gesicht zu legen, und hier als Zeuge eines Zweikampfes zu bleiben, den zwei Personen hohen Ranges im gegenwärtigen Augenblick mit einander ausfechten werden. Geben Sie Ihr Wort, sich keine einzige Bewegung, kein einziges Wort während des Vorgangs zu erlauben, und was immer sich ereignen möge, tiefes Stillschweigen darüber zu beobachten.«

»Ich rühme mich nicht, meine Herren, ein Mann hohen Ranges zu sein, aber in Wirklichkeit besitze ich neben einigem Reichthum einen alten Namen; ich selbst habe hier ein Stelldichein, um mich zu schlagen. Sie täuschen sich vielleicht, vielleicht werde ich der eine von den beiden Mitspielern der unglücklichen Scene sein, zu deren ruhigen Zuschauer Sie mich machen wollen.«

»Bald, mein Herr, werden Sie wissen, wie sich dies verhält; inzwischen legen Sie diese Maske an, und geben Sie Ihr Ehrenwort.«

Man begreift, dass ich Alles that und versprach, was sie wollten.

Beinahe eine Stunde war verflossen, seit ich mich in dieser Lage befand, die mich zu beunruhigen anfing, als ich ein Geräusch am Ende der Allee, die in die Hauptstraße mündete, zu hören glaubte. Einen Augenblick darauf sah ich von derselben Richtung eine Postchaise in den Querweg, auf dem ich mich befand, einfahren. Ein junger Mann sprang mit leichter behender Bewegung heraus; ihm zur Seite befanden sich zwei andere.

Ich wollte auf sie zuschreiten, aber meine beiden Wächter begnügten sich, mich zurückzuhalten, indem sie sagten:

»Dies ist der entscheidende Moment, denken Sie an Ihr Versprechen!«

Indessen schritt der Unbekannte, immer noch sorgfältig begleitet, mit festem Schritt und freiem Anstand gegen uns vor.

Je näher er kam, umso deutlicher glaubte ich die Züge eines jungen Mannes, den ich erst kürzlich gesehen hatte, wieder zu erkennen. Als er ganz nahe war, ging einer meiner Wächter auf ihn zu, bat ihn, stehen zu bleiben, und sprach zu ihm:

»Ein Mann von Ehre hält sich für tödtlich beleidigt von Ihnen und verlangt auf der Stelle Genugthuung. Fällt er in diesem Zweikampfe, so soll kein Sterblicher je etwas erfahren, stirbt er nicht an seinen Wunden, so verpflichtet er sich, sogleich nach seiner Heilung an eben diesen Ort zurückzukehren, um den Kampf fortzusetzen, der nur durch den Tod eines der beiden Gegner geschlichtet werden kann. Gehen Sie die nämlichen Verpflichtungen ein und schwören Sie bei Ihrer Ehre, sie zu erfüllen!«

»Wie?« erwiderte der junge Mann, »Mylord Barington ist beleidigt, dass ich England verlassen habe, ohne mich von seiner erlauchten Gemahlin zu beurlauben? es ist doch nicht zu leugnen, dass diese Ehemänner allenthalben ein sonderbares Volk sind! dieser Gemahl von jenseits des Kanals besonders scheint mir von erster Stärke zu sein; verlangt er denn, dass ich ewig für seine hinschmachtende Hälfte glühen sollte? zudem, wenn er Groll gegen mich hegt, warum hat er es mir nicht in seinem Vaterland gesagt? warum hat er sich nicht sogleich nach Brüssel begeben? warum erst nach sechs Wochen in diesem Aufzuge erscheinen, mich in meinem Vaterlande im ersten Augenblicke, da ich es wieder betrete, anfallen? . . . Tod und Teufel! ich hoffe indes, dass wir uns nicht boxen werden.«

Nach Stimme, Gesicht, heitern Redensarten und höhnischem Lächeln konnte ich nicht mehr zweifeln, dass Rosambert vor mir stehe. Jetzt erst begann ich die befremdende Wahrheit zu ahnen. O, Frau von B..., wie klopfte mein Herz für Dich! ach, ich hütete mich wohl, durch Geberden oder Worte mein äußerstes Erstaunen und tiefes Entsetzen auszudrücken; mich band mein Schwur.

Sofort bot man Rosambert ein Pferd, das er besteigen sollte, und eine Pistole, die man ihn selbst zu laden ersuchte.

Der Graf schwang sich auf's Pferd, und während er seine Waffe lud, sagte er zu seiner Umgebung:

»Ja, ganz recht, das ist die bei den Herren aus Albion so beliebte Kampfart . . . Die Pistole abgerechnet, bin ich seiner Lord-Herrlichkeit großen Dank schuldig, denn er macht mich um tausend Jahre jünger. In der That, meine Herren von der Tafelrunde! die heldenhafte Parade, die uns der Ehrenmann hier spielen lässt, gleicht auf's Haar dem Abenteuer des Königs Arthur. Wie die Helden seines Zeitalters, haltet Ihr die Reisenden auf der Landstraße an, um sie mit vielem Anstand zu zwingen, eine Lanze für Euch zu brechen.«

Und seine Blicke auf mich heftend, fuhr er fort:

»Dieser so zierlich aufgeputzte Kavalier, der so einzeln dasteht, kein Wort spricht, sich nicht in Euere Großthaten mischt, ist ein artiges Dämchen, das ich befreien muss, oder irgend eine hohe Prinzessin, als Mann verkleidet; mir wäre das lieber! und der Riese, den ich befehden soll? der berühmte Riese, wo ist er denn?«

Der Fremde, der bis jetzt das Wort geführt hat, sprach zu Rosambert:

»Herr Graf, schwören Sie die genannten Bedingungen zu erfüllen!«

»Auf Ritterwort, Ihr Herren!« rief er aus.

Einer meiner Wächter gab einen Schuss als Zeichen.

Sogleich sahen wir einen Reiter mit verhängtem Zügel von der andern Seite der Allee dahersprengen. Rosambert erwartete ihn bewegungslos; aber sei es, dass er sich selbst allzuviel zutraute, sei es, dass er nicht alle in solcher Lage nöthige Kaltblütigkeit beibehielt, er gab Feuer auf seinen noch allzuweit entfernten Feind und fehlte ihn.

Der Andere dagegen bewies mehr Geschicklichkeit und Unerschrockenheit, schoss beinahe sogleich, aber doch zuletzt.

Die Kugel pfiff an Rosamberts Ohren vorüber, nahm eine seiner Haarlocken mit und traf seinen Hut, dass er in die Luft flog; der Graf, ihn wieder aufnehmend schrie:

»Das wird ernsthaft! nach meinem Gehirn zielt sie die schöne Maske!«

Zwar hatte sein Gegner wie ich eine kurze Larve vor dem Gesicht; aber ich konnte einen Seufzer nicht unterdrücken, als ich den englischen Frack erkannte, worin die Marquise in Justinens Wohnung vor mir erschienen war.

Der Vicomte von Florville, denn ich zweifelte nicht mehr, dass er es war, hatte sein Pferd wieder herum geworfen und galoppierte wieder gegen das Ende der Allee, woher er soeben gekommen war. Rosambert, der ihm mit den Augen folgte, fuhr fort:

»Gewiss der Nationalfrack Mylords; aber bei St. Georg nicht sein Umfang! Meine Herren,« fügte er mit ärgerlichem Tone bei, »ich hätte der englischen Nation nicht zuzumuthen gewagt, dass diese Tapfern es im Brauch haben, sich mittelst Maskeraden und Stellvertretungen zu schlagen. Kurz, ich will es versuchen und hätte ich es auch mit dem geschicktesten Schützen der drei Königreiche zu thun; ich will versuchen, mich so zu betragen, dass ein Fremder, und wäre es der höllische Teufel, sich nicht rühmen kann, über einen Fremden, das heißt über einen Franzosen, einen gefahrlosen Sieg davongetragen zu haben . . . O, Du, der niemals einen Vogel im Fluge fehlte, mein theuerer Faublas, wo bist Du? warum habe ich nicht zur Züchtigung eines Verräthers und zur Ehre Frankreichs in diesem Augenblick Dein festes Augenmerk und Deine sichere Hand!«

Als der Graf seine Waffe wieder geladen hatte, wurde ein neues Signal gegeben. Rosambert hielt diesmal nicht still, er spornte scharf, und die beiden Gegner, die sich ungefähr in der Mitte der Bahn begegneten, schössen in einer Entfernung von fünf oder sechs Schritten. Der Graf streifte nur den Halskragen seines Feindes, der ihm die rechte Schulter zerschmetterte, dass er zu Boden stürzte.

Der Sieger, welcher sich sogleich demaskierte, zeigte dem erstarrenden Besiegten das Gesicht der Frau von B...

»Hier, Elender,« rief die Marquise, »sieh her, erkenne mich, vergeh' vor Schande; ein Weib ist's, die Dich opfert! Du hattest nur Muth und Gewandtheit, sie zu beschimpfen!«

Rosambert schien einen Augenblick vom Schmerz seiner Wunde und Schimpf seiner Niederlage zu Boden gedrückt; plötzlich heftete er auf die Marquise ein wirres Auge.

Bald aber richtete er mit erstickter Stimme die gebrochenen Worte an sie:

»Wie! schöne Dame – Sie sind es, die ich wiedersehe – welch ein Glück Sie haben, mich so kampfunfähig zu machen! Indessen freute mich unser letztes Zusammensein mehr – und Sie – auch. Schelmin! – was Sie auch immer darüber sagen mögen! Undankbare! war es recht – hier, auf diese Weise – einen guten jungen Mann – außer Kampf zu setzen – der erst kürzlich von Paris nach Luxemburg reiste – um Ihnen einen süßen Zeitvertreib zu gewähren!«

»Rosambert,« erwiderte die Marquise, »umsonst möchtest Du Deine Wuth und Deinen Schmerz verbergen; der Himmel ist gerecht! ich kann mir zu einer doppelten Rache Glück wünschen; Deine bereits begonnene Züchtigung kann nicht gleich vollendet werden. Gedenke unserer Bedingungen! gedenke, dass mein Feind ein Geheimnis durchaus bewahren, und mir mein Opfer hieher zurückbringen muss.«

Der Graf, seinen Kopf mit Anstrengung erhebend, wandte ihn gegen mich: »Dieser junge Mann ist gewiss der Chevalier Faublas!«

Ich nahm meine Maske ab, und war bei ihm. Er schloss seine Augen, um sie nach einer Weile wieder zu öffnen, und indem er vor Schmerz aufstöhnte, sagte er mit kaum vernehmbarer Stimme zu mir:

»Umarmen wir uns zuerst. Sie hat mich besiegt, mein Freund, erstaunen Sie nicht darüber, es ist nicht das erstemal. Und Sie, Faublas, Sie waren hier, während ich Ihren Namen anrief. Sie wünschten mir Unglück – aber ich verzeihe Ihnen . . . Ach, sie ist so reizend! kommen Sie – zu mir nach Paris, und wenn ich es nicht mehr lebend erreiche – wenigstens um mich begraben – zu lassen.«

Nach diesen Worten schloss er die Augen und verlor das Bewusstsein.

Die Marquise nahm mich jetzt bei Seite und sagte:

»Chevalier, verzeihen Sie mir das Geheimnis, worin ich Sie ließ, in Betreff der Gefahr, der ich mich aussetzen wollte, und die List, mittelst der ich Sie zu meinem Zeugen machte. Mein Geliebter hatte die Beschimpfung gesehen; mein Freund musste bei der Genugthuung anwesend sein. Ich weiß es wohl, Faublas hätte immer noch so viel Anhänglichkeit für mich gehabt, dass er freiwillig meine Sache zu der seinigen gemacht hätte; aber vielleicht hatte er mich nicht für genug fähig gehalten, dieselbe allein auszufechten. Indes,« fügte sie mit einer Mischung von Freude und Stolz bei, »habe ich soeben bewiesen, dass seit sechs Monaten kein Wagnis über meine Kräfte geht, seit ich geschworen habe, nur meiner Rache zu leben; Sie, mein noch stets gleich geliebter Freund, Sie sollten durch die Vollendung dieser Rache durch eine schwache Frau, wie die Welt uns ja immer nennt, in Erstaunen gesetzt werden. Jetzt, Faublas, erklärt sich Alles für Sie, was zweideutig und dunkel in meiner Rede von heute früh enthalten war. Sie fühlen wohl, welcher Furcht ich mich hingegeben fühlte, als ich mit Thränen in den Augen Sie, mein theuerer Freund, fragte, ob es nicht grausam sei, sich vielleicht nie mehr zu sehen. Sie begreifen, welche Art von Unruhe mich überkommen musste, als mir Sophiens Gatte die Nachricht gab, dass er sie wieder gefunden habe. Ach, glauben Sie mir, ich habe gleich eingesehen, dass Duportail Sie auf der Straße von Montcour hätte wiedererkennen müssen, und ich würde wahrhaft untröstlich sein, wenn diese Reise nach Compiègne ihm Zeit gegeben hätte, Ihnen Ihre Gattin noch einmal zu entführen. Faublas, wenn dieses Unglück geschehen ist, so begehen Sie nicht die Ungerechtigkeit, Ihre Freundin darüber anzuklagen. Gestehen Sie zu meiner Rechtfertigung, dass mir in dem Augenblick, wo ich unter dem Namen des Herrn von B... Ihnen die vorgebliche Herausforderung einhändigen ließ, nicht die leiseste Andeutung gegeben war, dass Sie von Frau von Lignoll zurückkehrend, Sophie wieder finden würden. Sagen Sie sich, dass es diesen Morgen nicht mehr nöthig war, Sie nach Fromonville zurückzuschicken, weil Sie trotz äußerster Anstrengung doch nicht vor meinen getreuen Emissären hätten dort ankommen können, die ich mit dem ausdrücklichen Befehl dahin abschickte, alle Schritte des Herrn von Duportail zu verfolgen, wenn er es bereits verlassen hätte. Jetzt, da Sie nichts mehr zurückhält, gehen Sie und –«

Frau von B... wurde von einem durchdringenden Schrei unterbrochen, der aus Rosamberts Postchaise, welche auf dem Querweg seitwärts in einiger Entfernung von der Hauptstraße stehen geblieben war, herzukommen schien.

Wir eilten dem Geschrei zu; bei dem Verwundeten blieb nur der Chirurg, der ihn verband, zurück. Als wir näher kamen, sahen wir hinter dem Wagen des Grafen ein Cabriolet, worin eine Frau händeringend und laut wehklagend, sich befand. »Es ist geschehen, man hat ihn umgebracht!« Als sie mich aber erblickte, rief sie mit einem Freudenschrei:

»Da ist er! da ist er!« dann mit schmerzlichem Ton: »Treuloser! es ist also wahr, dass Sie die Unmenschlichkeit begingen, meinen Schlaf zu benützen . . .?«

Die Marquise fragte mich leise, ob das die kleine Gräfin sei? Ich antwortete »Ja!« indem ich meine Geliebte umarmte.

»Ist es vorbei?« fragte diese mich. »Ich hörte mehrere Schüsse fallen. Was sind das für Leute, die mich angehalten? Sie wollten sich ja mit dem Degen schlagen! ich zittere am ganzen Leibe! ich bin außer mir vor Schrecken. Wo ist Dein Feind? bist Du Sieger? er sollte ja niemand mitbringen, woher diese ganze Gesellschaft? diese Waffen? diese Masken? . . . mein Freund, ich bin zufrieden, Dich zu sehen! wie fürchtete ich mich! Grausamer, ich hasse Dich, dass Du mich so herzlos verlassen hast!«

So bewies Frau von Lignoll durch die Verwirrung in ihren Fragen auch die Verwirrung ihrer Gedanken. Leicht kann man sich die Zerrüttung ihres ganzen Wesens vorstellen. In ihrem bald schmachtenden, bald düsteren, bald funkelnden Blick hätte man nacheinander und beinahe zugleich die süßen Täuschungen der Hoffnung, die schmerzliche Schwärmereien der Furcht, die Trunkenheit glücklicher, die Wuth verrathener Liebe lesen können; man konnte sehen, wie in ihrem Gesichte, dessen erstaunliche Beweglichkeit mich entsetzte, die heftigsten Leidenschaften sich bekämpften, jede Muskel schien von convulsivischen Erregungen gefoltert, wie der Blitz zuckte der Reflex jedes Gefühls darüber hin.

»Könntest Du es glauben,« fuhr sie fort, »ich könnte schlafen, als Du nicht mehr da warst! ich könnte schlafen bis zum Mittag! aber welcher Schlaf, großer Gott! welche grausenerregende Traumbilder störten ihn! Du entflohst mir jeden Augenblick, und ich sah um mich nur furchtbare Gegenstände; den Marquis, die Marquise, Deine Frau! – Deine Frau? – ich bin Deine Frau! nicht wahr, mein Freund? verstehst Du, vergiss das nicht; und der Marquis, hast Du ihn getödtet?«

»Nein, meine theuere Freundin!«

»Auf!« sagte Frau von B..., bei welcher diese Unterredung ohne Zweifel Besorgnisse hervorrief, »auf, Florville, zu Pferd! zu Pferd! wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Was meinen Sie, Zeit verlieren?« rief die Gräfin aus, mit einem fürchterlichen Blick auf den Vicomte, »verliert er seine Zeit, wenn er bei mir ist? wer ist dieser unverschämte Mensch?« fragte sie mich.

»Ein Verwandter des Herrn von B...«

»Wahrlich, mein Freund, alle diese Leute machen mir Furcht. O, was ich seit gestern leide! ohne Unterlass zittern zu müssen, für mich! für ihn! unaufhörlich mit dieser Nebenbuhlerin zu thun zu haben, die mir ihn entführen will! mit diesem Feind, der sein Leben bedroht!«

Sie wandte sich voll Angst in ihren Blicken zu mir und fragte:

»Du hast ihn verwundet?«

»Nein, meine Freundin, beruhige Dich!«

»Du hast ihn nicht verwundet, und ich habe es Dir doch so sehr an's Herz gelegt! aber wie? er ist noch gar nicht da, der Marquis?«

»Florville,« sagte Frau von B... wieder, »die Stunden entfliehen, die Nacht ist nahe.«

»Ei, warum mischt sich denn dieser Fremde hier ein?« unterbrach die Gräfin . . .

»Faublas, höre ihn nicht, bleibe hier, was leide ich seit gestern! wie vernichtend wird die Liebe, wenn sie glücklich zu sein aufhört; wie unerträglich scheinen ihre Qualen, wenn sie nicht getheilt werden!«

»Was sagst Du, meine Leonore? mein Herz blutet ob Deiner Pein!«

»Ja, dann gut! wenn das ist, so bin ich schon getröstet; ich bin zufrieden; gehen wir.«

Ich wiederholte:

»Gehen wir!«

»Chevalier,« rief die Marquise, »vergessen Sie, dass eine dringende Pflicht Sie ruft?«

»Ah! Sie haben Recht!«

»Nicht in Paris werden Sie erwartet.«

Ich machte mich aus den Armen der Gräfin los, und aus dem Schlage ihres Cabriolets sprang ich auf das Pferd, das mir die Marquise anbot.

»Er will sich schlagen!« rief Frau von Lignoll. »Ich will ihm folgen, ich will bei diesem Kampfe gegenwärtig sein!«

Der Vicomte antwortete schnell, um sie zu beruhigen:

»Seien Sie außer Sorgen, es hat keine Gefahr für ihn, dieser Kampf ist zu Ende.«

»Zu Ende?« wiederholte sie schmerzlich, »also nach Fromonville? der Undankbare verlässt mich noch einmal! der Abscheuliche opfert mich!«

Sie wollte mir nacheilen, die Leute des Vicomte hielten sie zurück. Sie stieß einen Angstschrei aus, und fiel ohnmächtig in ihr Cabriolet zurück.

Ach, wer hätte nicht dieses allzu empfindsame Kind beklagt! wen hätten ihre Schmerzen nicht gerührt, wer hätte über die Gefahr, die sie bedrohte, nicht gebebt? Die Marquise machte keinen Versuch, mich vom Absitzen und Einsteigen in den Wagen der Gräfin abzuhalten. Ich war sehr gerührt, als ich Frau von B... sich sorgsam um Frau von Lignoll bemühen sah. Mit einer Hand hielt sie den Kopf meiner Geliebten, mit der andern riechendes und belebendes Salz an die Schläfen; sie trocknete mit ihrem Taschentuch den kalten Schweiß, der über ihre Stirne rann.

»Armes Kind!« sagte sie, »schauet her, wie diese Augen geschlossen sind, die kaum noch von hellem Glanze strahlten! welche Blässe ihre Wangen bedeckt, die von so zartem Roth angehaucht waren! armes Kind!«

»Mein Gott! Sie ängstigen mich, meine Freundin! Glauben Sie, dass ihr eine unmittelbare Gefahr drohe?«

»Gefahr? vielleicht. Die Gräfin hat einen heftigen Charakter und scheint Sie schon sehr zu lieben.«

»O, ja, sehr! zudem fühlt sie seit gestern ein leichtes, aber oftmaliges Unwohlsein, Herzklopfen.«

»Sie wäre schon in diesem Zustande! ah, desto besser!« rief Frau von B... mit einer Aufwallung von lebhafter Freude; dann unterdrückte sie sogleich diese erste Bewegung und fuhr mit theilnehmender Stimme fort:

»Desto besser für Sie . . . nicht für jene! . . . für sie ist es ein befremdendes Ereignis, das sie sehr bloßstellt! und ich, bin ich nicht auch zu beklagen? In welcher Verlegenheit befinde ich mich . . . hier ist eine, die schon vor Furcht, ich könnte sie verlassen, stirbt! dort ist eine, die verzweifelt, weil ich sie schon verlassen habe! Sagen Sie mir doch, was ich thun soll, geben Sie mir ein Mittel an.«

»Kaum noch,« fiel sie ein, »forderte ich Sie zur Abreise auf; jetzt gestehe ich, dass ich an Ihrer Stelle mich sehr gehindert fühlen würde. Ohne Zweifel müssen Sie Ihr Herz befragen, aber auch dabei die Umstände zu Rathe ziehen.«

»Mein Herz befragen? ich finde darin nur Unentschlossenheit, Kämpfe! die Umstände zu Rathe ziehen? sind sie nicht auf beiden Seiten gleich beunruhigend, dringend, gebieterisch? o, meine Freundin, ich beschwöre Sie, haben Sie Erbarmen mit meiner wahrhaft grausamen Lage; enden Sie meine Befangenheit, rathen Sie mir! was könnte ich Ihnen sagen? handelt es sich nur um die Gesetze der Pflicht, so ist nichts mehr zu erwägen. Und doch ist es gewiss grausam, die Gräfin in ihrem jetzigen Zustande zu verlassen! sie ist sehr heftig, und die arme Kleine liebt Sie . . . wie man Sie lieben muss, allzu sehr! – In diesem Augenblick abreisen, heißt sie solchen Gemütsbewegungen preisgeben, die ihr das Leben kosten können. Es scheint wahrscheinlicher, dass Sophie, von sanfterem Charakter und seit lange an Ihre Abwesenheit gewöhnt, die Verlassenheit mit minder Ungeduld tragen wird . . . Und doch möchte ich nicht dafür haften. Es ist aber auch möglich, dass Ihre Gattin, sich durch Ihr Ausbleiben verlassen glaubend, darüber in Verzweiflung ist.«

»In Verzweiflung!«

»Ja,« wiederholte mit schwacher Stimme Frau von Lignoll, die sich wieder erholt hatte, »in Verzweiflung, ja, ich fühle es genau, dass ich meiner Handlungen nicht mehr bewusst wäre, wenn ich Sie nicht mehr in meiner Nähe hätte, Faublas. Sie werden mich nicht mehr verlassen? Sie werden wohl daran thun; bleiben Sie hier, ich will es, bleiben Sie!«

Sie sagte zur Marquise:

»Und Du, schrecklicher Fremder, verlasse uns! Grausamer, meine Leiden finden Dich fühllos! Du hast also nie des Mitleids jemands bedurft? Du hast also nie geliebt?«

»Wenn Sie wüssten, wem Sie diese Vorwürfe machen,« erwidert der Vicomte, ihre Hand ergreifend; »wenn Sie wüssten, dass Frau von Lignoll, obwohl sehr unglücklich, doch weniger zu beklagen ist, als der Unglückliche, der zu ihr spricht! auch mich hat diese Liebe verzehrt, auch ich habe ihre vorübergehende Freude und Sehnsucht kennen gelernt. Gräfin! Sie haben noch viel zu erdulden, wenn Sie so viel erdulden müssen, als ich!«

Hier begegneten meine Augen denen der Marquise; ich sah Thränen darin glänzen und ihr Blick machte mein Herz erbeben.

»Wäre es wahr,« fuhr sie mit mehr Heftigkeit fort, »wäre es wahr, dass eine erzürnte Gottheit die menschlichen Schicksale regiert, und ihre köstlichen Geschenke auf's Ungleichste vertheilt? Wie! junger, allzu hoch begünstigter Mann! die anziehende Grazie, der verführerische Geist, die beneidenswerten Talente, die bewunderungswürdige Schönheit, die den Augen gefallende und die Seele gewinnende Hingebung; alle diese Eigenschaften und tausend andere, deren Verein vielleicht nie in einer Person geglänzt hat, als in Dir; wie? ein unbarmherziger Gott hätte sie Dir nur zur Verzweiflung Deiner Nebenbuhler und zur Qual Deiner Geliebten ertheilt? und die Beständigkeit, diese einzige Tugend, die Deinen übrigen abgeht, die Beständigkeit hätte er Dir nur darum verweigert, dieser eifersüchtige Gott, damit auf der Welt für keine Frau die Hoffnung einer großen Glückseligkeit ohne eine Beimischung von Kummer bestehe, und in keinem Manne das Muster der Vollkommenheit!«

Die Gräfin hatte die Marquise mit einer Mischung von Aufmerksamkeit und Erstaunen gehört.

»Wer Sie auch seien,« sprach sie zu ihr, »Ihnen ist er gar wohl bekannt, Sie sprechen von ihm, wie ich selbst von ihm sprechen könnte, das versöhnt mich ein wenig mit Ihnen; aber erlauben Sie, dass wir Sie verlassen. Gehen wir, Faublas, gehen wir! . . . nun! Sie antworten nicht? Sie wollen nicht?«

Immer im Kampfe mit verschiedenen Besorgnissen und Wünschen, warf ich auf die Marquise einen Blick, worin meine Unentschlossenheit und Rathsbedürftigkeit zu lesen war.

Der Vicomte verstand mich und erklärte sich:

»Wahrlich, ich würde nicht länger zaudern, sondern nach Fromonville gehen.«

»Nach Fromonville?« unterbrach die Gräfin.

»Morgen,« entgegnete die andere, »und diesen Abend würde ich mit Frau von Lignoll nach Paris zurückkehren.«

»Das ist einmal ein guter Rath,« rief die Gräfin.

»Ich billige sehr den letzten Theil; und Du, Faublas?«

»Ich auch, meine Leonore.«

In ihrem Freudenrausche umarmte Frau von Lignoll die Marquise; und ich gestehe, dass ich einige Minuten lang ein lebhaftes Vergnügen fühlte, als die Hände dieser beiden reizenden Frauen vereinigt in meinen glücklichen lagen.

»Mein Herr,« wiederholte die Gräfin, zu dem Vicomte gewandt, »wir werden Ihnen jetzt Lebewohl sagen; aber erlauben Sie mir zuvor eine Frage, die ich aus Eifersucht an Sie thun werde; ich bin eifersüchtig und mache kein Geheimnis daraus. Soeben weinten Sie fast; Sie sind unglücklich in der Liebe, und der Chevalier ist Schuld daran. Haben Sie die Güte, mich wissen zu lassen, bei wem der Chevalier Ihr Nachfolger geworden ist . . .« fuhr Frau von Lignoll, welche den wahren Grund der auffallenden Verlegenheit der Marquise nicht ahnen konnte, fort. »Sie werden seiner Freundin verzeihen, dass sie der Überzeugung ist, er verdiene den Vorzug; aber zum mindesten glaube ich, ohne Ihnen ein Kompliment zu machen, dass Sie der Mann dazu waren, um eine Frau eine Zeitlang in ihrer Wahl unschlüssig zu machen . . . mein Herr,« fügte sie noch bei, »ich bitte Sie ein freiwillig gegebenes Vertrauen zu vollenden; fürchten Sie nichts für Ihr Geheimnis, Sie haben ja das meinige.«

»Madame,« antwortete der Vicomte, der sich endlich zu der Antwort auf die ihn in Verlegenheit setzende Frage entschlossen hatte. »Im Augenblick geistiger Verwirrung beklagt man sich über alles mögliche.«

»Ach, ich bitte Sie, sagen Sie mir doch, welche Geliebte Ihnen Faublas abwendig gemacht . . .«

»Madame, ich bin, wie Ihnen dieser Herr soeben gesagt hat, ein Verwandter des Herrn von B..., dessen Gemahlin ich anbete . . .«

»Sprechen Sie mir nicht von dieser Gemahlin, ich verabscheue sie!«

»Sie sind also eine Undankbare, denn jene liebt Sie.«

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Sie selbst.«

»Kennt sie mich?«

»Sie hatte das Vergnügen, Sie zu sehen und zu sprechen.«

»Wo das?«

»Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben.«

»Gut denn! ja, sie hat Unrecht mich zu lieben; denn ich wiederhole Ihnen, ich verabscheue sie.«

»Darf man Sie um den Grund fragen?«

»Den Grund? . . . Es ist ein gefährliches Weib.«

»Ihre Feinde behaupten es.«

»Eine Ränkeschmiedin.«

»Die Hofleute sagen es vielleicht so.«

»Nicht schön genug, um so viel Lärmes von ihr zu machen.«

»Die Frauen sind vielleicht dieser Ansicht.«

»Zudem sehr zuvorkommend.«

»Es fehlt ihr weder an Reizen noch an Geist. Warum sollte man ihr nicht einige Liebesabenteuer hingehen lassen?«

»Einige! sie hat deren tausend gehabt.«

»Nennt man bestimmte Personen?«

»Ich will es doch glauben! ich, die ich nicht viel in die große Welt komme, weiß deren drei von ihr.«

»Und welche, erlauben Sie?«

»Den Grafen von Rosambert.«

»Er ist ein großer Geck, und sie hat ihn immer verleugnet.«

»Eine schöne Widerlegung! . . . Faublas.«

»O! der da! ich habe nichts dawider. Der dritte?«

»Herr von ***.«

»Herr von ***!« wiederholte die Marquise bald erblassend, bald erröthend.

»Ja, der neue Minister, dem sie sich hingab, um des Chevaliers Freiheit zu erhalten. Es thut Ihnen wohl weh, was ich da sage?«

»Herr von ***!« wiederholte die Marquise mit geringerer Verwirrung und auffallenderem Erstaunen, »das ist eine sehr neue Anschuldigung.«

»Natürlich, weil die Geschichte nicht alt ist.«

»Aber hat man denn zum mindesten auch Beweise?«

»Wie soll man welche haben? Sie haben keine Zeugen dazu genommen.«

»Und trotzdem, Madame, wagen Sie es zu versichern?«

»Weil alle Welt es versichert, mein Herr.«

»Alle Welt? Chevalier, Sie wussten also . . .?«

»Vicomte, man hat es mir gesagt, aber ich glaube es nicht.«

»Einerlei!« entgegnete sie mir missvergnügt, »Sie mussten mich davon in Kenntnis setzen.«

»Ja,« sagte die Gräfin, »es heißt einem artigen Manne einen Dienst erweisen, wenn man ihn über das Benehmen einer Kokette aufklärt, die ihn betrügt. Mein Herr, ich bedauere Sie aufrichtig, dass sie in die Schlingen dieser Person gefallen sind; Sie scheinen ein besseres Los zu verdienen . . . aber auf meine Angelegenheiten zu kommen: verursacht Ihnen der Chevalier keine Besorgnisse mehr?«

»Sie verzeihen, Madame!«

»Sehen Sie die Marquise öfter?« fragte sie mich fixierend.

»Bisweilen.«

»Sehen Sie, mein Herr; Sie gehen also bisweilen dorthin? . . . Er ist also noch in sie verliebt?«

»Ich denke noch ein wenig.«

»Sehen Sie, mein Herr, Sie sind in sie verliebt!«

»Übrigens,« fuhr die Marquise fort, »hat man sich in dieser Beziehung durchaus nicht an mich zu wenden; ich bin dabei interessiert, ich sehe vielleicht nicht richtig.«

»O, Sie sehen es gut, nur zu gut . . . Faublas, verlassen Sie sich auf mich! ich werde es zu verhindern wissen, dass Sie diese Kokette besuchen und lieben,« sich an Frau von B... wendend, sagte sie:

»Nach der Scene, bei der Sie soeben Zeuge waren, brauche ich Sie nicht um Stillschweigen zu bitten, ich rechne darauf, denn Ihr ganzes Benehmen, mein Herr, lässt mich zu Ihrem Vortheil schließen . . . wäre für einen Dritten Platz in meinem Cabriolet, so würde ich mir ein wahres Vergnügen daraus machen, Ihnen denselben anzubieten; ich gestehe Ihnen, dass es mir erwünscht wäre, unsere Freundschaft enger zu knüpfen. Besuchen Sie mich in Paris. Der Chevalier wird mich verbinden, wenn er Sie bei mir einführt; oder besser,hatten die Pfe Sie kommen allein; Sie brauchen doch niemand vorgestellt zu werden. Kommen Sie, und ich verspreche Ihnen, wenn es Ihnen allzu wehe thun sollte, niemals schlecht von der Marquise zu sprechen, obgleich es eine arge Frau ist.«

Wir fuhren weg. Ich gab dem Postillon, der uns nach Croix-Saint-Quen, wo die Gräfin ihn gemietet hatte, fuhr und der reinen Mund zu halten versprach, einige Louisd'ors. Auch Frau von Lignoll glaubte die Discretion ihres Bedienten Lafleur, den sie notgedrungen zum Reisebegleiter genommen hatte, und der deshalb in unsere Liebe eingeweiht war, erkaufen zu müssen. Indessen überschüttete mich meine junge Freundin mit Liebkosungen, die ich ihr zurückgab, mit Vorwürfen, die ich nicht mehr verdiente, und mit Fragen, auf die ich keine Antwort zu geben im Stande war. Umsonst stellte ich ihr vor, dass sie zufrieden sein müsse, ihren Geliebten weder todt, noch verwundet, noch zur Flucht aus dem Vaterland gezwungen zu sehen; sie war über das Geheimnis missvergnügt, wozu mich jenes Ehrenwort, das ich nach ihrer Meinung nicht hätte geben sollen, verband!

Das Gespräch fiel natürlicherweise auf den Vicomte von Florville.

»Er ist sehr liebenswürdig, dieser junge Mann,« rief die Gräfin aus, und schien dabei sorgfältig den Eindruck zu beobachten, den diese Unterhaltung auf mich machte, »sehr liebenswürdig.«

»Er hat Anmuth.«

»Viel.«

»Anstand.«

»In der That!«

»Ein sehr angenehmes Gesicht.«

»Ja, sehr.«

»Eine sanfte Stimme, wie Du.«

»Die seinige ist jedoch allzu hell; es fehlt etwas darin.«

»Er ist noch gar jung.«

»Ohne Zweifel.«

»Wie alt kann er sein? sechzehn Jahre?«

»Höchstens.«

»Dessenungeachtet,« fuhr sie mit affektiertem Wesen fort, »ist er reizend.«

»Reizend.«

»Er scheint voll Geist und Gefühl.«

»Alles, wie Du sagst, meine Freundin.«

Ich war so einsilbig, aus Furcht, zu viel zu sagen; und stellte mich völlig gleichgiltig, um jeden möglichen Verdacht zu entfernen.

»Wäre es Ihnen nicht gefällig, mir anders zu antworten?« rief Frau von Lignoll aus.

»Warum, meine theuere Freundin?«

»Ihre Kaltblütigkeit bringt mich zur Verzweiflung.«

»Meine Kaltblütigkeit?«

»Ja, ich gebe mir den Anschein, diesen jungen Mann bemerkt zu haben; ich sage viel schönes von ihm, und das greift Sie nicht im mindesten an?«

»Ich weiß nicht, warum ich mich ärgern sollte.«

»Eben darüber beklage ich mich. Sie zeigen nicht die geringste Unruhe!«

»Wahrlich, meine Freundin, weil ich nicht den geringsten Grund dazu habe,« erwiderte ich lachend.

»Warum das, mein Herr? warum sollten Sie nicht ein wenig eifersüchtig werden? ich, ich bin es sehr!«

»Leonore, ich wiederhole Dir, der Vicomte kann mich nicht in Angst versetzen.«

»Lachen Sie nicht, mein Herr! ich kann es nicht leiden, dass man lacht, wenn ich vernünftig spreche.

»Sagen Sie mir doch gefälligst, warum soll Sie der Vicomte nicht eifersüchtig machen?«

»Warum? . . . weil er ein Kind ist.«

»Und Sie? sollte man nicht meinen, Sie wären ein Greis!«

»Ferner gründet sich meine Zuversicht auf die Achtung, die Du mir einflößest.«

»Achtung! nicht so viel Achtung, mein Herr, und mehr Liebe! ich habe es oft sagen hören, zu einer Zeit, wo ich nichts davon verstand; und jetzt, wo ich es verstehe, fühle ich, dass es nur zu wahr ist; man ist nicht sehr verliebt, außer wenn man sehr eifersüchtig ist. Werden Sie eifersüchtig, wenn Sie mir gefallen wollen.«

»Geben Sie sich doch zufrieden, Madame, ich gestehe Ihnen, dass ich nicht ruhig blieb, während Sie den Vicomte mit so viel Aufmerksamkeit musterten.«

»Recht,« unterbrach sie mich mit einer Umarmung, »recht so! das nenn' ich mir reden, das hätten Sie gleich sagen sollen. Übrigens sei außer Sorge, Faublas! gewiss, ich bewunderte den Vicomte nur, um Dich noch mehr zu bewundern; ich dachte, er ist recht nett, dieser junge Mann, recht nett. Aber mein Geliebter ist es noch mehr. Mein Geliebter hat ein ebenso reizendes Gesicht, und sein Wuchs ist schöner. Man bemerkt in seinem Wesen, in seiner Haltung, in seiner ganzen Person etwas mehr Imponierendes, Stolzeres, das Achtung gebietet, ohne abzuschrecken. Geist, Gefühl, Unerschrockenheit, kann er diese Eigenschaften in solchem Grade besitzen wie Du? wie Du, der mich den ganzen Tag lachen und hin und wieder weinen macht! . . . auch bin ich sehr zufrieden, denn Du spottest nicht wie die übrigen Männer, die unserer Thränen lachen. Du, der weinen kann . . . Bitte, sei ganz ruhig! ich erkläre Dich diesem schönen Jüngling um so mehr überlegener, als es mir allen andern, die ich schon gesehen habe, zu sein scheint. Sage mir, liebt Dein Vater den Vicomte?«

»Sehr.«

»Gut! er sollte Deine Schwester mit diesem jungen Manne vermählen. Das gäbe ein herrliches Paar.«

»Ei, seht doch, ein sehr einfacher Gedanke, und doch ist er mir noch niemals eingefallen.«

»Je nun, und dennoch sehe ich ein Hindernis dagegen; der Vicomte ist in diese Marquise vernarrt. Schade! sehr Schade! . . . ei, weißt Du, warum ich ihn zu mir eingeladen habe? Ich will Dir's sagen, denn ich kann nichts verbergen. Er ist eifersüchtig auf Dich, weil er in Frau von B... verliebt ist, er wird es mir gestehen, wenn Du zu ihr gehst.«

»Gut ausgesonnen.«

»Gewiss! ich lasse mich durch Ihre erheuchelte Lustigkeit nicht irre führen; Sie lachen nicht aus vollem Herzen. Ich hatte es mir immer vorgenommen, Sie an Besuchen bei dieser schlimmen Frau zu verhindern, und der Zufall bietet mir da ein Mittel, das zu vernachlässigen unverzeihlich wäre.«

Indes kamen wir vorwärts, auf Paris zu, es war aber auch die Straße nach Fromonville. Sophie! meine Sophie, noch einmal war ich im Begriff, in dem Hause Deiner Nebenbuhlerin eine jener Nächte zu suchen, die ich so kurz fand; aber vergib! wahrlich ich dachte weniger an das Vergnügen der nächsten Nacht, als an die Wonne des darauffolgenden Tages, wo ich in den Armen meiner Gattin endlich das höchste Glück, nach dem ich mich so lange sehnte, kosten könnte. Freue Dich, meine Sophie! zwar allerdings empfange ich in diesem Augenblick einen Kuss von Frau von Lignoll, allerdings ist diese süße Gunst die Vergeltung für einen Seufzer, den Leonore meiner Brust entsteigen sah; aber, o, meine Sophie, freue Dich! dieser so zärtliche Seufzer galt nicht ihr!

Wir stiegen aus dem Postwagen in Bourget, dem Dorfe, wo ich Jasmin zurückgeschickt hatten; die Pferde der Gräfin waren dort in einem Gasthofe stehen geblieben. Wir ließen sie anspannen und waren rasch in Paris. Man begreift, dass Faublas jetzt gekleidet, wie er es immer hätte sein sollen, ohne Veränderung seines Anzuges nicht in das Hotel der Frau von Lignoll als Fräulein von Brumont sich begeben konnte; wir entschlossen uns also, bei Frau von Fonrose abzusteigen.

»Grausame Kinder!« sprach die Baronin, »woher kommt Ihr?« sagte Frau von Fonrose zur Gräfin.

»Ich begab mich zur Stunde des Mittagessens in Ihre Wohnung und war sehr bestürzt durch die Nachricht, dass Sie, durch die Flucht des Fräulein von Brumont in Verzweiflung gesetzt, ausgefahren seien, um dieselbe aufzusuchen. Schon,« fuhr sie zu mir gewendet fort, »waren einige Stunde verflossen, seit Ihr Vater, in Begleitung seiner Tochter, des Fräulein von Faublas, mir einen Besuch abstattete. Beide reisten nach Fromonville ab, überzeugt, dass Sie zu einem Duell gereist seien.

»Sie konnten sich nicht vorstellen, dass ein theuereres Interesse, als die Ehre, Sie hätte verhindern können, sich zu den Füßen Ihrer Gattin zu werfen. Beide zitterten für Sie; beide, ich darf es Ihnen nicht verschweigen, werden in peinlicher Angst schweben, wenn Sie nicht sehr bald sich zu ihnen begeben werden.«

Schon dachte die Gräfin nicht mehr an ihr kaum begonnenes Mahl. Sie fiel der Baronin in die Rede und erklärte ihr barsch, dass sie nicht zugebe, dass ich sie verlasse; dabei äußerte sie ihr höchstes Erstaunen, wie Frau von Fonrose, die sich doch für ihre Freundin ausgebe, sich erlauben könne, in ihrer Gegenwart ihrem Geliebten dergleichen Rathschläge zu ertheilen.

Die Baronin war über eine Rechtfertigung gar nicht in Verlegenheit.

»Sie sind in den Sohn verliebt,« sagte sie, »ich liebe den Vater. Der Baron Faublas würde mir nimmer verzeihen, wenn ich unter so ernsten Verhältnissen mich dazu hergegeben hätte, seinen Sohn von ihm entfernt zu halten. Zudem, mein theueres Kind, was fordern Sie von dem Chevalier? dass er unnöthiger Weise allen Anstand und alle Pflichten verletze! denn weit entfernt, ihm eine Schlechtigkeit zu rathen, ich sage nicht, dass er Sie verlassen soll, sondern dass er Sophie aufsuche, sie zurückbringe und es dann mache, wie die Leute von Welt, wie die besten Ehemänner, welche die Liebe zu ihren Maitressen mit den Rücksichten, die sie ihren Gemahlinnen schuldig sind, zu vereinigen wissen. Sich anders zu betragen hieße Sie zu Grunde richten. So frage ich nur, ob zum Beispiel der Chevalier fortwährend bei seiner Geliebten wohnen kann, wenn seine Frau anwesend ist? ob er auf diese Weise die Verzweiflung der einen und die Gutherzigkeit der andern ins Tagesjournal drucken lassen soll? vorausgesetzt, dass Sie durch Ihre Leidenschaft verblendet genug wären, um von ihm diese Übertreibung zu erwarten, und er schwach genug, Ihnen nichts abzuschlagen, so frage ich: ob nicht die ganze Welt bald erführe, dass Herr von Faublas sich in Ihrem Hause zum Fräulein gemacht hat, weil er in dem seinigen nicht Mann sein wollte. Ich spreche nicht von Herrn von Lignoll. Hoffen wir, dass der Schutzgott der Liebenden für diesen Ehemann thun möge, was er gewöhnlich für die andern thut; hoffen wir, dass dieser würdige Gemahl der letzte in Paris sein werde, der erfahre, dass Ihr ihn hier zum Tagesgespräch gemacht habt; aber wird seine Familie ruhig dem unaussprechlichen Hohne zusehen, womit ihn jeder Tag überhäufen müsste?«

»Seine Familie, was liegt mir an seiner Familie?« antwortete die Gräfin, welche bis dahin den klugen Ansichten der Baronin nur Thränen und viele sinnlose Ausrufungen entgegengesetzt hatte.

»Was Ihnen daran liegt?« antwortete Frau von Fonrose.

»Wohlan denn! wie ist es möglich, dass Sie sich vorstellen können, den Chevalier zurückzuhalten, trotz dem Willen seiner Frau, die jedenfalls gegen einen solchen Skandal reklamieren wird, trotz der unauslöschlichen Geschwätze Ihrer Tante, die jeden Morgen ihre Grundsätze vor Ihnen auskramt, trotz dem Publikum, dem eifersüchtigen, inkonsequenten, indiscreten Publikum, das unablässig von den Thorheiten einen Lärm macht, die es verschweigen, und Anstößigkeiten wieder aufführt, die es begraben sollte. – Dem Publikum, das vor Niemand Achtung hat, und da es sich selbst nicht achtet, die Ehemänner, welche es bedauert, dem Gelächter Preis gibt, die Frauen, welche es schmäht, beschützt, und streng die Fehler verurtheilt, woran es sich dennoch täglich ergötzt und für seine Bosheit Nahrung findet; endlich trotz dem Baron, der . . .«

»Trotz Gott, und der Welt, Madame!«

»Welche Antwort! haben Sie den Verstand verloren? oder glauben Sie, ich übertreibe? der Baron, von dem ich Ihnen soeben sprach. Sie kennen ihn nicht! er ist der Mann dazu, wenn Sie ihn so weit treiben, seinen Sohn in Ihrem Schlafzimmer abzuholen!«

»Und ich, wenn man mich rücksichtlos zum äußersten treibt . . .«

»Was werden Sie thun?«

»Ich werde mich umbringen.«

»Ein schönes Auskunftsmittel! ich bedauere Sie . . . ich bedauere Sie, weil Sie nicht fühlen, dass es besser ist, für einen Augenblick ein kostbares Gut zu opfern, um es darnach wieder zu finden und ungehindert zu besitzen, als sich dem Tod durch Reue über seinen Verlust auszusetzen, indem man es einige Tage zu lang behält.«

Frau von Fonrose redete noch, als wir eine Karosse in den Hof einfahren hörten. Es konnte nur die des Herrn von Lignoll sein. Ich hatte kaum Zeit, meine Freundin zu umarmen, ein Stück Huhn zu ergreifen und mich in das Ankleidezimmer der Baronin zu retten.

Einen Augenblick nachher hörte ich den Grafen diesen Damen einen guten Abend wünschen. Erstaunt, dass seine Frau, die selten in der Stadt speiste, morgens um drei Uhr noch nicht zurück war, hatte er vorausgesetzt, sie speise bei der Baronin und befinde sich unwohl. Er fragte sie, ob sie Fräulein von Brumont noch während des Tages gefunden habe.

»Ja, mein Herr,« erwiderte die Gräfin, »und ich hoffe, dass sie zu mir zurückkehren wird.«

»Sie wird gewiss zurückkommen,« antwortete er, »weil ich es ihren Herrn Vater habe versprechen lassen. Inzwischen bedenken Sie, wie spät es ist. Nehmen Sie einen Platz in meinem Wagen und kommen Sie!«

»Sehr verbunden!« erwiderte sie trocken; »ich gedenke nicht vor Tag heim zu gehen.«

Leicht hätte ich das Ende dieser Unterredung, die mich ziemlich nahe berührte, anhören können. Sophie, theuere Interessen beschäftigen bereits meine Gedanken. Deine Nebenbuhlerin ist nicht mehr an meiner Seite; nur ihre Stimme schlägt bis an mein Ohr und dringt nicht bis an mein Herz, das voll ist von Deinem Angedenken! Sophie kaum erst habe ich Dich wiedergesehen, ohnmächtig hinsinkend! ich habe Deine Reize betrachtet, und Deine Verzweiflung ist bis in mein Innerstes gedrungen; ich habe gebebt über all das Elend, das Du erträgst; der Gedanke des Glücks, das mich an Deiner Seite erwartet, hat mich durchzittert.

Wer nur mit einiger Aufmerksamkeit diese meine Abenteuer liest, muss sich erinnern, dass mich vor Kurzem eine hübsche Kammerfrau eben in dem Kabinet, worin ich mich befinde, frisiert und angeputzt hat. Er muss sich erinnern, dass ich an jenem Tage von dem Wunsche, die Gräfin wiederzusehen und dem Baron auszuweichen, gedrängt, mich durch eine geheime Treppe in den Hof der Frau von Fonrose führen ließ. Jetzt im Gegentheil, um meinen Vater aufzusuchen und meiner Geliebten zu entfliehen, suche ich tastend denselben Weg in diesem Theile des Hauses, dessen Gänge mir ein wenig bekannt sind. Schon bin ich auf der geheimen Treppe, dann im Hof und auf der Straße.

Voll zärtlicher Bekümmernis hatte Herr von Belcourt geahnt, was kein anderer Vater hätte voraussehen können. Da es nicht unmöglich wäre, hatte er bei seiner Abreise geäußert, dass besondere Gründe mich nach der Hauptstadt zurückzukehren zwingen könnten; so musste der Schweizer die ganze Nacht wachen, um mich zu erwarten, und mein Bedienter eine Postchaise in Bereitschaft halten. Man liebte den Baron und seinen Sohn allzusehr, um die Befehle des einen und die Interessen des andern zu vernachlässigen.

Am Hotel anlangend, brauchte ich nur in den Wagen zu steigen, und mein treuer Jasmin wollte mir durchaus vorreiten. Daher fand ich auf jeder Station bereitstehende Pferde; die Postillone, Dank meiner Freigebigkeit, bedauerten es nicht, zu früh aufgeweckt worden zu sein; sie betitelten mich: Monseigneur! und wir eilten, als hätten wir Flügel.

Die Morgenröthe erschien, welche mir den schönsten Tag versprach. Das ist dieselbe Straße, die ich vorgestern in entgegengesetzter Richtung so schmerzlich bewegt zurücklegte.

Welch glückliche Veränderung meiner Lage haben sechs und dreißig Stunden hervorgebracht! Ich darf nicht unter fremdem Himmel den Verlust meines Vaterlandes beweinen; nehme die Gewissensbisse nicht mit mir, meinen Gegner geopfert zu haben, der mich mit gerechter Rache verfolgte.

Zu Fromonville wird mich mein nun getrösteter Vater an seine Brust drücken! dort wird auch meine endlich getröstete Gattin in meinen Armen liegen, um endlich nach so langen Leiden und Prüfungen jenes Glück zu genießen, welches ihr treues Herz verdient. Es scheint mir eine Ewigkeit zu dauern, ich eifre den Postillon zu immer erneuerten Schnelligkeit an, indem ich ihm zurufe: »Zu, zu, Postillon!« Ich male mir in der Postchaise, die wie auf Windesflügel dahin eilt, ein seliges Wiederfinden aus. Ich bedeckte im Geiste meine geliebte Sophie mit glühenden Küssen, umarme ihre Kniee und ernte den Lohn meiner äußersten Zärtlichkeit . . . Ist es wahr, dass Adelheid dort sein wird? können wir Adelheid nicht zurückschicken, wie? wird man bis zur Nacht warten müssen? das wäre allzulange . . . Diese Nacht! nie werde ich eine köstlichere verlebt haben! wie langsam mich diese Pferde weiterbringen! . . . Postillon, zu doch! Und morgen, morgen werde ich wieder auf dieser Straße sein! – Aber ich werde Sophie bei mir haben! ich werde meine Gattin nach Paris zurückbringen! sie in mein Vaterhaus einführen! Hymens Kammer, neben der des Cölibats, die dann verlassen sein wird, für immer verlassen! nie werde ich mich aus dem Gemach meiner Gattin entfernen! dort werde ich meine Tage, mein Leben zubringen! immer und immer wieder werde ich die lange Erzählung der Leiden, die sie während meiner Abwesenheit betroffen, anhören! und ich, ich werde ihr hundertmal Alles, was ich erduldet, alles Unglück, das mir zugestoßen, erzählen . . . Alles? nein! ich werde ihr nicht sagen, wie bedauernswürdig die Marquise ist, und welch zärtliches Mitleid ich ihr bewahre.

Sophie, von Natur aus argwöhnisch, könnte darüber unruhig werden, und ich will ihr nicht bloß die allerstrengste Treue halten, sondern auch die Unruhen der Eifersucht ersparen.

Ebensowenig werde ich ihr von der Gräfin reden. Die arme Gräfin, wie einsam muss sich dieselbe zur Stunde fühlen; wie traurig ist sie wohl, sie weint, verzweifelt, beschuldigt mich der Treulosigkeit! wahrlich, ich hätte ihr wenigstens einige Worte des Trostes sagen, sie benachrichtigen, sie vorbereiten sollen . . . Wie rasend dieser Mensch mit mir dahinfährt! Postillon, Du stürmst wie der Wind! Einen Augenblick! halt einen Augenblick! wohin führst Du mich so schnell?«

»Villeneuf-Saint-George, Euer Gnaden,« erwiderte er seine Pferde anhaltend, »Straße von Fontainebleau, Straße von Fromonville.«

»Von Fromonville? gut!

»Voran denn! welcher Teufel hält Dich auf?«

»Wie Sie befehlen, Monseigneur!«

»Schau, wie viel Zeit Du verlierst! schneller gefahren!«

»Bald langsamer, bald schneller! Sie widersprechen sich ja! bis jetzt fuhr ich immer im schnellsten Galopp, ich kann es nicht besser machen.«

»Du hast Recht, mein Freund; aber ich bitte Dich doch sehr, fahre schneller!«

Das verabscheuungswürdige Gefährte rollte noch sieben tödliche Stunden lang. Endlich sehe ich die Brücke von Montcourt, und auf der Brücke von Fromonville zwei geliebte Personen. Bald empfange ich ihre Küsse und theile ihre Freude. Eine fragt mich, ob ich keinen gefährlichen Stoß erhalten, die andere, ob ich Frankreich verlassen müsse.

»Nein, meine theuere Adelheid, ich bin nicht verwundet! nein, mein Vater, wir werden unser Vaterland nicht verlassen; aber eilen wir, ich bitte Sie! Wie vielen Dank bin ich Euch schuldig! Ihr habt sie verlassen, um mir entgegen zu gehen? und sie! wo ist sie geblieben? kommt, fliegen wir! bringt ihr den Gatten wieder. Wie, mein Vater, Sie schlagen mit bestürzter Miene die Augen nieder? wie, meine Schwester, Du weinst? Ist Alles verloren? Ist Sophie nicht da, hat sie uns verlassen, lebt sie nicht mehr?«

»Sie lebt,« ruft der Baron, »aber Du wirst sie nicht finden!«

»Sie liebt Dich,« fällt meine Schwester ein, »aber . . .«

»Ich verstehe Euch, zum drittenmal raubt ihr Vater sie mir!«

Beide antworten nur mit einer stummen Geberde; beide besorgt, den Folgen des ersten Ausbruchs zuvorzukommen, verhindern, dass mich meine Verzweiflung das Leben koste. Mein Vater bemächtigt sich meiner Pistolen und meines Degens.

Adelheid umfasst mich mit zitterndem Arm, um ihren Bruder, der erbleicht und wankt, zu halten.

»Theuere Schwester, Du bist nicht stark genug, überlass mich meinem Schmerz!«

Faublas fällt beinahe sterbend auf denselben Rasen, den er vorgestern kaum berührte, als er, um einer nun verlassenen Geliebten zu folgen, eilenden Fußes seine Gattin floh, die er heute vergeblich zurückgesehnt!

»Adelheid! ach, ich beschwöre Dich, habe Mitleid mit Deinem Bruder . . . mein Vater! lassen Sie mich sterben . . . Sie ist mir entführt! sie glaubt mich schuldig! Sophie weiß nicht, wen ich für sie verlassen; Sophie weiß nicht, dass ich die Hälfte meines Lebens geben würde, um ihr die andere Hälfte weihen zu dürfen! sie ist entführt, sie glaubt mich schuldig! lasst mich sterben!«

Indessen hielt mich Adelheid in ihren Armen und verschwendete die zärtlichsten Liebkosungen an mich. Die Thränen, die ich sie vergießen sah, versüßten die Bitterkeit derer, die ich selbst vergoss, und mein Vater besänftigte meine Schmerzen, indem er sie heilte.

»Allzu theuerer und unglücklicher Sohn,« sprach er, »werden denn ohne Unterlass die glühendsten Leidenschaften Deine stürmische Jugend foltern? und will der Unstern, der sich seit einiger Zeit Dir die grausamsten Lehren zu geben bemüht, will der Unstern mir fortan nur die harte Pflicht übrig lassen, Dir entweder allzu schwache, oder ganz nutzlose Tröstungen anzubieten? o, mein Sohn, ich beklage Dich, aber Du bist auch mir einiges Mitleid schuldig.«

»Mein Vater, weiß man zum mindesten nicht, was aus ihr geworden ist? weiß man nicht, auf welcher Straße Lowzinski sie entführt? Sie antworten mir nicht! es ist also wahr, dass ich sie gänzlich verloren habe, dass keine Hoffnung mir übrig bleibt. Berge und Thäler trennen uns jetzt; vorgestern noch habe ich sie hier gesehen! hier, meine geliebte, theuere Schwester, von da aus kannst Du es sehen, das Gitter, das ich mit meiner Hand erschütterte, das ich hätte zerbrechen sollen . . . Deine Freundin war hier! hier war sie, meine Heißgeliebte! jetzt trennen uns unbekannte Orte! Sophie! meine Sophie! ein verfolgender Gott regiert unsere Liebe. Scheinen möchte es, als ob er Dir bisweilen Deinen Gatten zeige, nur um Dich die Qual über seine Abwesenheit desto schmerzlicher fühlen zu lassen. Beinahe ist es mir, als ob dieser verfolgende Gott mir bisweilen gestattet Dich zu sehen, nur um in meiner Seele die Verzweiflung über Deinen Verlust, Du heißgeliebte Gattin, wieder zu erwecken: ja, der Grausame nähert uns einander von Zeit zu Zeit, um sich mit teuflischer Lust daran zu weiden, indem er uns wieder trennt.

»Ich eile nach Luxemburg, meine Geliebte folgt mir dahin; wenige Stunden darauf findet sie ihren Vater wieder.

»Sie wissen es recht gut, welch unseligen Schmerz, welche gräßliche Verzweiflung sich meiner bemächtigte, als man mir meine geliebte Gattin entriss, und wer hat es gethan, ihr Vater; wenn man es bedenkt, ist das die Liebe, die er zu seinem einzigen Kinde hat? Wie hat er gejammert, wie hat er nach seiner geliebten Dorliska geseufzt, sie herbeigesehnt, und wenn er sie endlich nach unsäglichen Mühen und fast vergeblichem Hoffen wieder findet, was ist das für ein Beweis seiner zärtlichen Liebe, indem er seiner Tochter ihren Gemahl, mir meine Gattin raubt.

»Unter tausend Gefahren dringe ich bis zum Kloster, das sie einschließt; ich wage mein Leben, um sie zu sehen, ihr Anblick ist mir nur einen Augenblick gestattet, denn wieder werde ich gewaltsam von ihr getrennt.

»Endlich führt mich ein glücklicher Zufall an ihren neuen Kerker, sie erblickt mich an der Seite der Gräfin, und ein Schmerzensschrei beweist mir, dass mich meine Gattin noch liebt, dass sie mich erkannt. –

»Ich sehe sie sterbend hinsinken, ich kann nicht zu ihr gelangen und versuche es vergebens in den Garten, den ein mächtiges Gitterthor einschließt, zu gelangen. Man trägt sie hinweg.

»In demselben Augenblick entsinne ich mich, dass mich die Ehre ruft . . . Die Ehre? ja, ich glaubte es wenigstens, so wurde es mir wenigstens vorgespielt.

»Unheilbringende Marquise, nicht zum erstenmale bringst Du mir Unglück! Die gebieterische Ehre reißt mich fort, und als ich zurückkehre, habe ich Alles verloren!

»Sophie ist mir entführt! ist's möglich, kann ein Vater so grausam, so gefühllos sein? der Barbar! welchen Vorwurf kann er noch seiner anbetungswürdigen unglücklichen Tochter machen? welchen Fehlers klagt er mich an, den nicht meine Heirat wieder gut gemacht hätte? welchen Verbrechens, das mein Unstern nicht gesühnt? warum verlangt er, dass zwei liebende Gatten, von vergeblicher Sehnsucht verzehrt, dahin sterben? warum will er diese beiden jungen Leben in dasselbe Grab stürzen? o, mein Vater! mein Vater!«

»Diesmal,« sagte der Baron, »hat sich Duportail nicht von uns entfernt, ohne mich von seinen Beweggründen und seinen Entschlüssen zu unterrichten, Ein Brief, den er für mich hinterlassen . . .«

»Ein Brief! oh, geben Sie her, mein Vater!«

»Mein lieber Sohn, gewinnen wir erst das nächste Dorf.«

Ich musste mich seinem Willen fügen.

Wir traten in einen Gasthof von Montcourt ein.

Der Baron wollte selbst den Brief meines Schwiegervaters lesen; aber er musste endlich meinen Bitten nachgeben, und händigte mir den Brief ein.

Ich las folgende für mich so demüthigende Zeilen: »Weil Ihr Sohn abermals meinen Aufenthaltsort entdeckt hat, weil er mit hartnäckiger Verstocktheit sein Opfer überall hin verfolgt: so muss ich Sie, Herr Baron, endlich von dem ganzen Unglück meiner Tochter unterrichten; ich muss Ihnen Abscheulichkeiten mittheilen, deren man einen jungen Edelmann kaum für fähig hält.

»Sie wissen, in welche beinahe unvermeidliche Schlinge Sophie gezogen wurde; Sie werden nie vergessen, wo und wie der unglückliche Lowzinski seine ersehnte Dorliska wiederfand, seine selbst im Schoße des Vergehens mehr zu bemitleidende, als strafbare Dorliska.

»Baron, die Entführung dieses nicht minder achtbaren als unglücklichen Kindes war nicht die größte Frevelthat Ihres unwürdigen Sohnes . . .«

»Die größten Frevelthaten Ihres unwürdigen Sohnes! welche Ausdrücke! welche schreckliche Lüge! Sie selbst, mein Vater, Sie selbst müssen über diese Beleidigung empört sein . . . Herr Baron, ich schwöre Ihnen, sie soll in dem Blute des Verleumders abgewaschen werden . . .

»Doch was sage ich? er ist Ihr Freund, ist der Vater Sophiens . . . Beruhigen Sie sich, mein Vater! beruhige Dich, Schwester. Verzeihen Sie der ersten Aufwallung von Überraschung und Zorn, verzeihen Sie.«

»Gib,« sagte der Baron zu mir, »gib her, dass ich diesen Brief zu Ende lese.«

»Oh, nein! . . . gestatten Sie . . .«


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