Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Dritter Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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»Dieser angebliche Wilddieb, denn für einen solchen hält ihn Herr von Lignoll, ist in meinen Diensten. Er hat gute Beine, und ist ein sehr gewandter Bursche. Ich habe ihm vorausgesagt, dass Herr von Lignoll ihn verfolgen wird, und dass er ihn so weit als möglich auf Abwege führen soll. Ich stehe Ihnen dafür, dass er ihm zu schaffen machen wird, und dass wir noch einige Zeit vor uns haben.«

Frau von Lignoll hörte uns nicht und fuhr fort:

»Sie überrascht mich, sie gibt sich das Ansehen, mich zu beklagen und mir dienstgefällig zu sein. Ich Thörin, die ich bin; ich richte tausend schmeichelhafte Komplimente an sie, und zugleich lächerliche Danksagungen, der Herr Vicomte lässt mich sprechen; er thut noch mehr, er verneigt sich, um meiner zu spotten; und Sie, Frau Baronin, warum haben Sie es mir nicht sogleich gesagt, als Sie sie erkannt hatten?«

»Ich kann nicht glauben, dass dies Ihr Ernst sei, liebe Gräfin, als ob ich Sie nicht kennen würde, um zu wissen, dass keine Rücksicht Sie zurückgehalten hätte, und dass Sie sogleich Lärm gemacht hätten und vergessen, welche Bedenken Sie zwingen, vor Ihrem Gemahl sich zu mäßigen.«

»Ich hätte diese Schamlose vor der ganzen Welt entlarvt und sie gedemüthigt.«

»Verzeihen Sie, Madame, dass ich Sie unterbreche, aber ich denke, es wäre besser gewesen, wenn Sie, statt zu Ihrer Unterhaltung mit ihr zu streiten, sie von Ihren Leuten zum Fenster hinauswerfen ließen.«

»Ach, ja, ich hätte dieses einfache und ganz sanfte Mittelchen, das weder Lärm noch Skandal macht, anwenden sollen!«

»Der Betrüger!« rief die Gräfin mich ansehend; »er hat uns beide zum besten gehabt; er hat mir im Vertrauen gesagt, diese Frau sei Ihr Liebhaber, ja, liebe Baronin, wenn er mir gestanden hätte, dass Sie früher einmal ein Mann gewesen wären, so hätte ich ihm auch geglaubt.«

»Ihre verblendete Liebe, die so vieles schon gewagt, lässt es beinahe vermuthen.«

»Er missbrauchte mein Vertrauen auf eine zu schändliche Art; aber er soll mich nicht mehr betrügen, nicht mehr verrathen! er entferne sich, er gehe! ich verabscheue ihn, ich will ihn nicht mehr sehen!«

»Aber bedenken Sie doch, liebe Gräfin, er kann ja in diesem Zustande nicht gehen.«

»Wenn ich daran denke, dass die verhasste Marquise die ganze Nacht dagewesen ist; bei mir, bei ihm, und einen großen Theil des Tages noch dazu. Ich habe sie allein gelassen, eine Stunde lang, und als ich ihn fragte: mein Herr, sagen Sie mir, was haben Sie mit einander gethan? sprechen Sie; was ist vorgegangen, so lange ich schlief? antwortete er:

»Nichts, meine theuere Freundin, wir haben geplaudert.«

»Denken, Sie nur, mit welch frecher Stirne, diese Heuchlerin mir dies zu sagen wagte. Ja, ja, geplaudert, sie hoffe nicht mich auf's neue zu hintergehen.

»Und Sie Faublas, sagen Sie die Wahrheit, sagen Sie, was Sie mit einander gethan haben; ich verlange es.«

»Gräfin,« fiel die Baronin lachend ein, »Sie beschuldigen ihn eines Verbrechens, dessen man ihn, ohne Beleidigung, seit mehr als vierundzwanzig Stunden gänzlich unfähig halten kann.«

»Unfähig, er? niemals!

»Mein Herr, als ich eintrat, wo Sie mich vermuthlich noch schlafend wähnten, hatten Sie einen Anfall von Schwäche; und ihre Hand lag auf Ihrem Herzen, sie war über Sie gebeugt, indem sie wahrscheinlich ihre Stellung rasch geändert, sie ist sehr kühn, diese abscheuliche Marquise, dass sie solches wagte, mich in der Nähe wissend.

»Mir gehört Ihr Herz, niemand als mir! was sage ich? der Undankbare! der Flatterhafte! er gibt sich jedermann hin – ich bin sicher, dass während meines Schlafes . . . Ja, ich bin dessen sicher, aber ich erwarte das Geständnis aus Ihrem eigenen Munde, Sie Treuloser, ich fordere es, ich will lieber nicht mehr an meinem Unglück zweifeln, als in der schrecklichen Ungewissheit bleiben. Faublas, sage, was Ihr mit einander gemacht habt? Siehst Du, wenn Du es gestehst, so werde ich Dir verzeihen.

»Gestehe, oder ich schicke Dich fort.«

»Warum denn sie fortschicken,« sagte Herr von Lignoll hereintretend. »Dies wäre nicht recht, es thut mir sogar leid, dass ich weggegangen bin, denn Sie haben den Vicomte fortgeschickt.«

»Den Vicomte . . . mein Herr, ich erkläre Ihnen ein für allemal, dass Sie seinen Namen niemals vor mir aussprechen sollen.«

»Aber Madame, was fehlt Ihnen denn? Ihr Gesicht . . .«

»Mein Gesicht gehört mir, mein Herr, ich kann damit Alles machen, was mir gefällt; kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten.«

»Gut denn, Madame; aber ich bereue es dennoch, dieses Zimmer verlassen zu haben; man hat meine Abwesenheit benützt.«

»Sie hat nicht lange gedauert,« bemerkte die Baronin, »Sie sind merkwürdig schnell wieder zurückgekehrt. Freilich, man muss bedenken, dass Sie als Herr des Hauses sehr unruhig sein mussten, denn die Begebenheiten waren auch nicht auf das freundlichste gestellt, als Sie Ihr Haus verließen.«

»Ich habe mich des Vicomts erinnert, und wollte ihm meinen besondern Schutz anbieten.«

Die Gräfin, die sich ununterbrochen mit Faublas beschäftigt, ohne ihren Gemahl zu beachten:

»Warum es nicht gestehen?«

»Aber, Madame, ich schwöre, dass kein wahres Wort daran ist.«

»Gestehen Sie, oder ich schicke Sie fort.«

Der Graf, der die letzten Worte gehört, wendet sich zu Faublas:

»Nun ja, gestehen Sie es, geben Sie Madame diese Genugthuung, was können Sie dabei verlieren?«

Die Baronin sagt lachend zum Grafen:

»Wissen Sie, was das Fräulein gestehen soll?«

»Vermuthlich, dass der Vicomte ein sehr liebenswürdiger junger Mann ist.«

»Was wollen Sie damit sagen, Herr Graf?«

»Ist dies nicht klar? ich will sagen, dass das Fräulein offenbar den Vicomte sehr liebenswürdig findet, (zur Gräfin:) und eigentlich ist dies kein Grund sie wegzuschicken.«

»Ich bitte Sie, mein Gemahl, lassen Sie mich. (Zu Faublas:) Gestehen Sie es.«

Der Graf wiederholt die letzten Worte seiner Gemahlin, indem er sich ebenfalls zu Faublas wendet:

»Oh! ich bitte Sie, gestehen Sie es. Sehen Sie, wir sind Alle darüber einig. Sagen Sie es dem Vicomte in meinem Namen, und vergessen Sie nicht hinzuzufügen, dass sein Weggehen mir viel Verdruss bereitet hat; versichern Sie ihn, dass es uns immer ein großes Vergnügen sein wird, so oft er die Güte hat uns zu besuchen, sei es in Paris, oder auf einem meiner Landgüter.«

Die Gräfin unterbricht hier ihren Gemahl: »Wenn er es jemals wagt, sich bei mir blicken zu lassen, so lasse ich ihn durch die Bedienten zur Thüre hinauswerfen.«

»Aber ich begreife Sie nicht, meine liebe Gemahlin, soeben führten Sie seine Sache mit so viel Wärme; ich bitte Sie, widersprechen Sie sich doch wenigstens nicht so sehr.«

»Aber Sie selbst, mein Herr,« unterbrach die Gräfin, »waren noch vor einer Stunde einer ganz anderen Ansicht.«

»Ja, meine Theuere, seit einer Stunde hat sich Alles verändert.«

Die Baronin scheint sich ganz der Ansicht des Grafen anzuschließen.

»Oh, ja.«

Der Graf (zur Baronin): »Nicht wahr, Madame? Sie haben einige Welterfahrung; und ich wette, dass Sie die Gründe errathen, die mich dies Alles aus einem andern Gesichtspunkt betrachten lassen. Im Anfange glaubte ich, dieser Herr von Florville, obschon aus einer ziemlich guten Familie, habe, wie die meisten jungen Leute seines Alters, nur eine sehr geringes Ansehen in der Welt; auch sah ich nicht, wozu diese Neigung des Fräulein von Brumont führen sollte; doch das ist ihre Sache, und wir werden uns nicht in so delikate Sachen mengen.

»Sie sagen mir, dass der Vicomte in Versailles etwas gelte, dies verändert meinen ganzen Plan! ich lasse mich nicht in Euere kleinlichen Zwistigkeiten ein, ich mische mich nicht in Frauenhändel; ich glaube auch, dass ich mich berechtigt finde, zu untersuchen, ob die Mittel, die dieser junge Mann zu seiner Beförderung gebraucht, von zarter Natur sind; die Hauptsache ist, dass sie wirken.

»Ich muss aufrichtig sagen, dass es mir scheint, als ob Herr von Florville von dieser Seite nichts zu wünschen übrig lässt.

»Somit ist dies eine sehr kostbare Bekanntschaft für Fräulein von Brumont, die daran denken muss, ihr Glück zu gründen. Für mich aber ist es von großer Wichtigkeit das meinige zu vermehren.«

Die Gräfin ist während dieser Rede ihres Gemahls in größten Zorn gerathen, und sagt mit bebender Stimme:

»Sie thäten besser, mit allen Ihren Berechnungen aufzuhören. Ich bin dessen schon müde, und wiederhole Ihnen, dass ich nichts mehr hören will von dieser . . .« hier unterbricht sie die Baronin sehr schnell, indem sie ihr einen bedeutungsvollen Blick zuwirft. »Warum sind Sie denn so aufgebracht gegen den armen Vicomte? (Sie wendet sich zu Herrn von Lignoll:) »Sehen Sie nur, wie sie ihn jetzt behandelt.«

»Wahrhaftig, Frau Baronin, daran sind Sie Schuld! ich bereue sehr, dass ich weggegangen bin; aber um auf meine Pläne zurückzukommen. Sie wissen, dass man sich in Versailles immer unter den Bittenden einfinden muss.«

»Ich glaube, Herr Graf, Sie hatten es doch nicht nöthig, sich unter die Zahl der Bittenden zu mengen, denn es kommen auch sehr häufig Fälle vor, wo man nichts erhält.«

»O, nein, Madame, durch Zudringlichkeit erhält man immer etwas . . . wenn man Freunde hat, das versteht sich von selbst; und ein Beweis hiefür ist diese Pension, die ich kürzlich herausgeschlagen habe. Aber meine Gemahlin hat verlangt, ich solle sie Herrn von Saint-Prée abtreten.

»Oh! das macht mir großen Kummer; wahrlich, ich muss es gestehen. Die Gräfin ist ein Kind, das vom Werte des Geldes nichts versteht; sie denkt, bei einer Rente von zwanzigtausend Thalern braucht man keine Wohlthaten vom König. Sie, Madame, die ihr ganzes Vertrauen besitzt, sollten ihr Vorstellungen darüber machen.«

Die Gräfin, welche nicht an dem Gespräche ihres Gemahls mit der Baronin Theil nimmt, ist während dieser Zeit zu Faublas getreten und sagt sehr laut:

»Alles, was Sie mir sagen können, ist vergebens, ich lasse mich nicht länger durch Ihre Lügen hintergehen; aber ich will, dass Sie Ihr Unrecht bekennen. Gestehen Sie, oder ich schicke Sie aus dem Hause.«

Der Graf hat die letzten Worte der Gräfin gehört und sagt ziemlich laut zur Baronin:

»Suchen Sie ihr auch begreiflich zu machen, dass sie, statt Fräulein von Brumont fortzuschicken, ihre Artigkeiten, Aufmerksamkeiten, Rücksichten und Zärtlichkeiten gegen sie verdoppeln und besonders Herrn von Florville veranlassen soll, so oft als möglich zu kommen.«

Die Gräfin erhebt sich wüthend und sagt zu ihrem Gemahl:

»Mein Herr, Sie haben ihre eigenen Zimmer, haben Sie die Güte mich in den meinigen in Ruhe zu lassen.«

»Ja, wir sind hier nicht am rechten Orte,« sagt die Baronin ebenfalls aufstehend, »man unterbricht uns jeden Augenblick; gehen wir, Herr Graf!«

»Sei es denn, ich thue es gerne, Madame, denn man kann hier kein vernünftiges Wort sprechen, aber ich will, bevor ich gehe, diesen beiden einen guten Rath ertheilen. (Zu Faublas:) Sie, mein Fräulein, gestehen Sie es! denn wenn es sich nicht so verhält, so muss es doch so werden, und wir Alle glauben es; und am Ende werden Sie es doch thun müssen, alle Prüderie wird Ihnen nichts helfen. Wir kennen dies, es ist eine Schwäche der Frauen, das Gefühl, welches sie ganz beherrscht, vor der Welt zu leugnen; sehen Sie, mein Fräulein, Alles das endet immer mit einer Niederlage des schönen Geschlechts. Und Sie, Madame, entlassen Sie Ihre Gesellschaftsdame nicht, sie mag gestehen, oder nicht gestehen, denn ich kenne die Affektionen Ihrer Seele, Madame; eine Stunde später würden Sie untröstlich sein. Was den Vicomte betrifft, so will ich jetzt nichts mehr von ihm sprechen, aber ich behalte es mir vor.«

Wir blieben allein. Frau von Lignoll bestand darauf, mir das Geständnis meines angeblichen Fehlers zu erpressen; und ich beharrte auf der Wahrheit, weil ich wohl einsah, dass eine Lüge nichts weniger als nothwendig sei.

In der Verzweiflung, alle meine Versicherungen nutzlos zu sehen, machte ich einen letzten Versuch, den der Erfolg krönte.

»Meine theuere Freundin, ich wiederhole Dir und ich schwöre es Dir, dass ich nur selten an die Marquise und immer nur an Dich denke; seit Du mir angehörst, gehört Frau von B... mir nicht mehr an. Anders war es früher, wo ich noch nicht das Glück hatte Dich zu kennen, und wo ich ganz in ihre Netze gefallen war, denn sie hat keine ihrer Verführungskünste gespart, um mich ganz in ihre Gewalt zu bekommen.

»Seitdem ich aber durch Dich, meine anbetungswürdige Leonore, beglückt bin, habe ich Alles um mich her vergessen und Du allein sollst nun über mein Leben oder Sterben entscheiden.

»Siehst Du, Geliebte, denn nicht meine Leiden, die ich durch Deinen Irrwahn zu erdulden habe, wie mich die Glut meiner Liebe verzehrt, wenn ich in Deiner Nähe weile, könnte ich mich bei Dir auch nur im Gedanken mit ihr beschäftigen? wäre es möglich, dass ich mich nach ihren Vorzügen sehnte, während ich Dich von tausend Eigenschaften glänzen sehe, die ihr fehlen, erscheinst Du mir nicht hübscher durch Deine aufblühenden Reize, Deine naive Holdseligkeit, Deine pikante Unüberlegenheit, als sie durch ihre großen Manieren und ihre stolze Würde? Ihr fehlt eine Seele wie die Deine, mitfühlend und edel; glaubst Du, ich könne die Freude Deiner Lehnsleute bei Deiner Rückkehr, die Dankbarkeit Deiner Pächter, die Lobsprüche Deines ehrwürdigen Pfarrers vergessen? Ich habe Dich in der ganzen Schönheit Deines edlen und großmüthig denkenden Geistes, in der ganzen Engelsmilde Deines Herzens kennen gelernt.

»Ich war Zeuge davon, mein Herz hat sich daran geweidet. Ich habe es gesehen, dass Du bei Deinen Untergebenen der Gegenstand der allgemeinen Verehrung bist.

»Du bist eine wohlthuende Vorsehung für alle diese armen Leute, die von einem tiefen Dankgefühl für Dich durchdrungen sind und zu Dir wie zu einer Heiligen aufblicken.

»Und Dein Geliebter sollte der einzige sein, den Deine Tugenden unempfindlich ließen, den Deine Güte undankbar machte? glaube es ja nicht. Siehst Du, meine heißgeliebte Freundin, ich wollte, dass es mir gestattet wäre mit Dir, meine Leonore, fern von jeder Verführung, mein Leben in der Hütte zuzubringen, welche die Gräfin von Lignoll für den alten Duval aufbauen ließ.

»Höre auf Dich zu beklagen, höre auf eine allzuschwache Nebenbuhlerin zu fürchten und mich zu beargwöhnen.

»Ich habe noch einen Rest von Freundschaft für die Marquise, aber Dir gehört mein Herz, meine zärtliche Liebe, es ist wahr, dass ich früher bei ihr einige süße Augenblicke genossen habe, aber seitdem habe ich bei Dir ganze Tage voll Wonne genossen, glaube mir, Theuere, Frau von B... könnte mir jetzt vielleicht noch Vergnügen anbieten; aber Du, meine Leonore, Du allein kannst mich glücklich machen.«

Ich sah, wie ihr reizendes Gesicht nach und nach bei meiner feurigen Rede seinen Ausdruck änderte. Sie beugte sich über mich, küsste mich auf den Mund, indem zwei heiße Thränen dabei an meine Wange fielen.

Ich schlang meinen Arm um ihre Taille und zog sie sanft zu mir herab; so verharrten wir längere Zeit, bis sie mir durch ihre ganze Hingebung bewies, dass sie mit mir versöhnt sei. Sie schien ganz in Wonne aufgelöst zu sein.

So zwischen zwei fast gleich verführerischen Nebenbuhlerinnen beschäftigt, denen aber die Natur ihre köstlichen Gaben sehr verschieden ausgeheilt hatte, vergaß ich eine noch begünstigtere Frau, die allein alle Tugenden und alle Reize in sich vereinigte und über alle Vergleiche unendlich erhaben war; ich vergaß Sophie, und in meiner Verirrung ging ich sogar so weit, Wünsche gegen unsere Wiedervereinigung zu hegen.

Je schuldiger ich mich übrigens gegen meine Frau machte, um so mehr Grund zur Zufriedenheit hatte meine Geliebte.

Die Gräfin umschlang mit ihren schönen Armen meinen Hals, indem sie mich wiederholt küsste.

»So hättest Du im Anfang sprechen sollen, dann hättest Du mich gleich überredet. Da Du mich liebst, und sie nicht liebst, so bin ich zufrieden; da Du keine Untreue gegen mich begangen hast, so verzeihe ich Dir alles übrige.«

»Aber ich verzeihe Dir, meine theuere Leonore, eines nicht: Du hast in Deiner blinden Leidenschaft das beste meines Gutes, Dein schönes Gesicht nicht geschont.«

»Wirst Du mich deshalb weniger lieben?«

»Nicht diese Frage sollst Du an mich richten. Du weißt zu gut, dass von diesem keine Rede sein kann, meine Liebe zu Dir wird ewig dauern, keine Macht der Erde kann sie schwächen, kein Ereignis dies heilige Gefühl aus meinem Herzen auslöschen. Aber versprich mir, meine angebetete Leonore, versprich mir nie mehr so leidenschaftlich zu werden!«

»Aber auch Du, Faublas, versprich mir, mich nie mehr zu erzürnen!«

»Auf meine Ehre, ich verspreche es Dir!«

»Recht so!« sagte sie lachend, »siehst Du, wie gut ich bin, ich gelobe Dir nicht mehr böse zu werden.«

In diesem Augenblick kam der Graf zurück.

»Gott sei gelobt!« rief er, »sie hat gestanden!«

»Was sagen Sie, sie hat gestanden?« rief die Baronin erstaunt.

»Ganz und gar nicht,« rief die Gräfin, ihre Händchen in einander schlagend, und sah den Grafen freudenstrahlend an.

»Wie,« versetzte Herr von Lignoll, »und Sie sind so guter Laune?«

»Eben weil sie es nicht eingestanden hat,« erwiderte die Unbesonnene.

»Das verstehe ich nicht!« rief der tiefe Beobachter.

»Ich werde wenigstens die Wahrheit des Grundsatzes daraus entnehmen, dass die Seele einer Frau in ihren Launen unergründlich ist.«

»Ich,« sagte Frau von Fonrose, »werde nichts daraus schließen; aber ich gehe ruhig und zufrieden.«

Als sie uns am anderen Tage wieder besuchte, war Herr von Lignoll nicht mehr im Schlosse. Briefe aus Versailles hatten ihn am frühen Morgen bestimmt, uns sofort zu verlassen; und obschon wir keine so große Vorstellung von der Wichtigkeit der Geschäfte hatten, die ihn an den Hof zurückriefen, wenn er sich auch zurückhalten ließe, so machten wir doch keinen Versuch ihn zurückzuhalten. Aber die Baronin, statt ihre Freundin zu beglückwünschen, störte ihre Freude; mein Vater hatte Frau von Fonrose beauftragt, mich nach Nemours zurückzuführen, wo mich mit ihm meine theuere Adelheid erwartete, die sich von ihrem Unwohlsein bereits vollständig wieder erholt hatte.

Das erste Wort der Gräfin war, dass wir uns von nun an nie mehr trennen werden; und als die Baronin sie aufmerksam gemacht hatte, dass mein Vater Rechte über mich habe, so sagte Frau von Lignoll, meine Gesundheit gestatte noch keine Reise.

Ferner erklärte sie, dass sie weit entfernt, mich gehen zu lassen, so lange noch Gefahr für mein Leben vorhanden sei, fest entschlossen sei, selbst über meine Wiedergenesung zu wachen, und dass Niemand sie veranlassen würde, sich von ihrem Geliebten zu trennen, bevor er vollständig wiederhergestellt sei.

Nachdem Frau von Fonrose Bitten, Vorstellungen und Drohungen umsonst versucht hatte, reiste sie, ziemlich missvergnügt über die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen, ab.

Am andern Tage kam mein Vater selbst, um mich aufzusuchen. Sobald er gemeldet war, schickte die Gräfin ihre Bedienten weg und lief ihm entgegen.

»Sehen Sie,« sagte sie in freudigem und liebkosendem Tone zu ihm, »treten Sie in dieses Zimmer, Sie werden dort Ihren Sohn finden, er liegt nicht mehr im Bett, er hat gut geschlafen, seine Kräfte kehren wieder zurück, er ist viel besser. Sie verdanken seine Erhaltung meiner Wachsamkeit und seine Wiederherstellung meinen Bemühungen; ich habe ihn aus seiner Verzweiflung gerettet, durch mich lebt er, nun soll er auch für mich leben, einzig für mich und für Sie, mein Herr, das gebe ich zu, aber nur für Sie.«

Der Baron wandte sich an mich und sagte sehr ernst:

»Zu welchen Schritten nöthigen Sie einen Vater, der Sie liebt? haben Sie mir das versprochen? musste ich hier meinen Sohn wiederfinden?«

Frau von Lignoll unterbrach ihn lebhaft:

»Hätten Sie ihn lieber todt in Montargis gefunden? als ich dort zu ihm kam, war er allein, im Wahnsinn, und hatte eine Waffe in der Hand. Mein Herr, ich wiederhole Ihnen, ich habe ihn aus seiner Verzweiflung gerettet. Ach! und doch war es nicht der Schmerz über meinen Verlust, was seine Vernunft verwirrte.«

Mein Vater richtete wieder das Wort an mich:

»Da gestern Frau von Fonrose Dich nicht zurückbringen konnte, so komme ich heute selbst.«

»So hören Sie mich doch,« rief Frau von Lignoll, »würdigen Sie mich doch eines Wortes der Erkenntlichkeit, oder doch wenigstens der Höflichkeit; wenn Sie meinen Diensten den Dank versagen, der ihnen gebührt, so haben Sie wenigstens für mein Geschlecht die Rücksichten, die es verdient.«

»Um mich für Ihren Schuldner zu halten, Madame, müsste ich bloß Ihre Handlungen wissen und Ihre Beweggründe nicht kennen. Sie haben alles für diesen jungen Mann gethan, nichts für mich. Was Fräulein von Brumont betrifft, so kenne ich sie nicht; ich kenne nur den Chevalier von Faublas und den Gatten Sophiens, den ich abzuholen komme.«

»Sophiens Gatten! nein, mein Herr! den meinigen, ich bin seine Frau und Ihre Tochter. Verzeihen Sie mir die Unbesonnenheiten, die ich das letztemal beging, als ich bei Ihnen war, entschuldigen Sie meine Unerfahrenheit und meine Lebhaftigkeit; erinnern Sie sich bloß, dass ich Sie liebe, und dass ich ihn anbete.

»Sehen Sie, ich sehnte mich so sehr, Sie wieder zu sehen. Sie zu sprechen . . . Ich will Ihnen Alles sagen.

»Seit einigen Tagen ist eine große Veränderung vorgegangen, eine glückliche Veränderung, die Bande, die mich an ihn knüpfen, sind unauflöslich; Sie werden einen Enkel haben; hören Sie mich, suchen Sie nicht, Ihre Hand zurückzuziehen.

»Es ist sein Kind, es ist gewiss das seinige, seien Sie dessen versichert; es gehört nicht Herrn von Lignoll. Ich betheuere Ihnen, dass mich vor Faublas Niemand geheiratet hatte. Fragen Sie ihn, wenn Sie glauben, dass ich lüge.«

»Unglückliches Kind!« sagte endlich der Baron, der vor größter Überraschung bisher kein Wort gefunden hatte.

»Welcher Wahnsinn treibt Sie! und wie können Sie mir solche Geständnisse thun?«

»Gerade Ihnen muss ich sie thun. Ihnen, der in mir bloß die Geliebte seines Sohnes sieht, Ihnen, der bloß die unüberlegten Streiche und Schwachheiten der Frau von Lignoll kennt, und deshalb sie hart beurtheilt. In meiner Unwissenheit verstand ich von Allem nichts, gar nichts, mein Herr, ich hatte von einer jungen Frau bloß den Namen. Zweifeln Sie daran, denn ich sehe, dass Sie meine Worte bezweifeln, fragen Sie Faublas, der wird es Ihnen sagen. Und begreifen Sie, wie eine junge, ganz einfache, ganz unschuldige Person, die von der Ehe nichts, nicht einmal ihre Rechte weiß, ihre Pflichten hätte kennen und achten können. Ich nahm einen Liebhaber, wie ich einen Gatten genommen hatte, ohne Überlegung, ohne Neugierde, aber doch, ich gestehe es, bestimmt durch den Wunsch, sobald als möglich eine Schmach zu rächen, die man mir als unverzeihlich geschildert hatte.

»Warum hat sich nicht einige Monate früher derjenige gezeigt, durch den mein Leben beginnen sollte! warum ist er nicht in die Franche-Comté gekommen, wo ich bei meiner Tante weilte; warum ist er damals nicht gekommen! ich hätte ihm mein Vermögen, meine Hand, meine Person und mein Herz gegeben! und wäre seine rechtmäßige Gattin geworden! und mein ganzes Leben lang die glücklichste der Frauen und zugleich die besonnenste gewesen.

»Ein Anderer bewirbt sich um mich; welcher Unterschied, große Götter! man stellt ihn mir vor, man sagt zu mir: dieser Herr wirbt um Deine Hand, er passt für Dich.

»Ich werde eine Frau, aber jetzt zeigt es sich, dass ich mit Herrn von Lignoll nicht leben kann, da er die Pflichten eines Gatten nicht zu erfüllen im Stande ist. Was thun in diesem misslichen Falle, die Scheidung von Herrn von Lignoll zu verlangen, denn der Geliebte meines Herzens, dem ich mich ganz hingegeben, ist bereits auch durch unlösliche Bande mit einer andern vereint, welche zu lösen weder Sie, noch Ihr Sohn den Muth hat. Sie sehen demnach, Herr Baron, dass ich auf immer genöthigt bin, den Mann, den ich verabscheute, und den Liebhaber, den ich anbete, zu behalten.

»Jetzt, da ich Ihnen eine getreue Schilderung meiner Lage entworfen habe, werden Sie kein ungerechtes und unangenehmes Vorurtheil mehr gegen mich nähren.«

»Madame,« antwortete mein Vater in theilnehmendem Tone. »Ich bin geschmeichelt durch Ihr Vertrauen, obschon Sie es mir höchst unbesonnen schenkten; ich begreife, dass Ihre außerordentliche Hastigkeit Ihnen in gewissen Fällen zur Entschuldigung dienen kann, und ich will Ihnen auch nicht verhehlen, dass Ihre Geständnisse mich durch Ihre Freimüthigkeit gerührt haben. Sonst habe ich Ihre Verirrungen getadelt, jetzt beklage ich Ihre Leidenschaft, aber sicherlich erwarten Sie nicht, dass ich sie jemals billige; wenn ich auch noch so viel Nachsicht für Sie hätte, so würde die Welt Sie doch verurtheilen. Meine Pflicht aber ist es, Sie zuerst durch freundschaftlichen Rath zu den Ihrigen zurückzurufen; wenn Sie nicht auf mich hören, dann haben Sie die traurigen Folgen sich nur selbst zuzuschreiben.

»Ich aber werde meinen Sohn zur Erfüllung seiner Pflichten nöthigen, und wenn es sein muss, selbst Gewalt anwenden.

»Faublas gehört Ihnen ebensowenig an, als Sie Faublas angehören, und wie Sie trotz der Liebe, die Sie zu ihm fühlen, nicht aufhören können, die Frau des Herrn von Lignoll zu sein, ebenso wenig können die häufigen Treulosigkeiten, deren sich der Chevalier gegen Sophie schuldig gemacht hat, nicht machen, dass er nicht mehr ihr Gemahl ist.

»Frau von Faublas hat sein Wort; Fräulein von Pontis hat seine Liebe!« Frau von Lignoll rief mit Thränen erstickter Stimme:

»Nein, mein Herr, nein! denn er betet mich an; er sagte es mir soeben noch. Ich will gerne zugeben, dass er der Gatte einer andern ist, aber gestehen auch Sie Ihrerseits, dass ich unbestreitbare Rechte auf ihn habe! und dennoch wie beneide ich das Los der Frau von Faublas, wie sehr ist sie besser daran als ich. Sie muss stolz sein, dass sie ihn zum Gatten hat, seinen Namen zu tragen, seinen so theueren Namen. Die allzuglückliche Sophie, sie ist es, die ihn vor der ganzen Welt ihren theueren Gatten nennen darf.

»Ich arme, beklagenswerte Frau, durch was habe ich diese Qualen verdient, einen ungeliebten, unwürdigen Mann an meiner Seite haben zu müssen?«

»Hören Sie mich an, Frau Gräfin und lassen Sie sich begreiflich machen, dass Sie einen muthigen Entschluss fassen müssen, um über Ihre unglückliche Leidenschaft zu triumphieren, hören Sie auf, den Gegenstand derselben zu sehen.

»Sie müssen dieses einzige Mittel versuchen, um dem äußersten Unglück, das Sie bedroht, zu entgehen.«

»Eher sterben!«

»Gräfin, ich muss Sie betrüben; aber kurz, ich muss es Ihnen sagen, die Umstände legen auch mir peinliche Pflichten auf. Wenn ich Ihnen zu dem schmerzlichen Opfer gerathen habe, und Sie von der Nothwendigkeit, es zu bringen, überzeugt habe, so darf ich nichts vernachlässigen, Sie dazu zu zwingen.«

»Große Götter!«

»Ich nehme den Chevalier sogleich mit.«

»Nein, Sie werden ihn nicht fortnehmen! nein, Sie werden diese Herzlosigkeit nicht begehen!«

»Ich nehme ihn fort, es muss sein!«

»Wer zwingt Sie dazu?«

»Die Nothwendigkeit, ihn allzu mächtigen Verführungen zu entreißen.«

»Und Sie hätten den Muth, mich zur Verzweiflung zu bringen?«

»Ich werde den Muth haben, Sie sich selbst zurückzugeben.«

»Sie wollen eine Frau ihres Geliebten berauben?«

»Und Sie wollen einen Vater seines Sohnes berauben?«

»Ich?« antwortete sie äußerst schnell.

»Durchaus nicht. Bleiben Sie hier! wer hat Ihnen gesagt, dass Sie weggehen sollen? Bleiben Sie bei uns. Sie werden mich dadurch glücklich machen, denn ich liebe Sie sehr; aber er liebt Sie noch mehr. Bleiben Sie bei uns, ich werde Ihnen ein sehr bequemes, sehr schönes Zimmer geben: und was Ihr Fräulein Tochter betrifft, so habe ich auch Zimmer für sie, sie mag kommen und Frau von Fonrose auch und die ganze Familie mag sich bei mir niederlassen, ich habe Platz genug, Alle will ich aufnehmen – nur Sophie nicht.«

Sie wendete sich an mich, indem sie mir zurief:

»Vereinigen Sie doch Ihre Bitten mit den meinigen, dass er bei uns bleibt.«

Mein Vater, der sich von seinem Staunen nicht erholen konnte, sagte:

»Erlauben Sie, dass auch ich mich jetzt erkläre!«

»Man braucht keine lange Reden darüber zu halten,« sagte sie sehr lebhaft; »man antwortet einfach: ›Ja, Nein‹.«

»Meine Madame, der Chevalier muss mit mir gehen.«

»Sie bestehen also darauf?«

»Es ist unumgänglich nothwendig.«

»In diesem Falle gehe ich mit ihm. Wir reisen alle.«

»Madame, Sie verlieren den Kopf.«

»Warum das, wenn ich bitten darf, mein Herr?«

»Faublas, schicken Sie sich an, mir zu folgen.«

»Lassen Sie sich das ja nicht einfallen, mein Freund,« sagte sie zu mir, dann wandte sie sich wieder an meinen Vater:

»Mein Herr, Sie werden mich mitnehmen, oder Sie werden ihn nicht mitnehmen!«

»Gräfin, in welche Verlegenheit bringen Sie mich? ich werde wohl Gewalt brauchen müssen.«

»Gewalt? diesmal, Herr Baron, sind Sie nicht in Ihrem Hause! Ich würde meine Leute rufen.«

»Madame, wenn ich meinen Entschluss noch nicht unwiderruflich gefasst hätte, so würde das, was Sie soeben sagten, ihn vollends bestimmen.«

»Wenn ich Sie beleidigt habe, Herr Baron, so ist es in aller Unschuld geschehen, ich schwöre es Ihnen, bedenken Sie, dass eine liebende Frau zu Ihnen spricht, ein Kind, das Ihnen gehört und Ihrem Sohne, Ihre Tochter. Sie, den ich so gerne Vater nennen möchte, nehmen Sie mir meinen Geliebten nicht fort. Herr Baron, ich bitte Sie dringend. Wenn Sie wüssten, in welcher Angst ich vierundzwanzig Stunden neben seinem Bette in tödtlicher Pein zugebracht habe, wie oft ich für seine Tage gezittert habe, und nachdem ich ihn durch meine Sorgfalt in's Leben zurückgerufen habe, könnten Sie die grausame Undankbarkeit haben, uns zu trennen? Nehmen Sie ihn nicht fort; Sie wissen nicht, wozu ich in meiner Verzweiflung fähig wäre! haben Sie Mitleid mit einer Unglücklichen,« sagte sie, sich zu seinen Füßen werfend, »ja, hauptsächlich um meines Kindes Willen flehe ich Sie an!«

»Was machen Sie?« antwortete er mit unsicherer Stimme; »stehen Sie auf, Madame.«

»Sie sind gerührt,« fuhr sie fort. »Warum sich dagegen sträuben? stoßen Sie mich nicht zurück, wenden Sie Ihr Gesicht nicht ab! sagen Sie nur ein Wort.«

Mein Vater war in der That sehr gerührt, und konnte nicht mehr sprechen; allein er machte mir ein Zeichen, das plötzlich den Thränen der Gräfin Einhalt that und ihre Rührung in Zorn verwandelte.

»Ich durchschaue Sie,« rief sie, sich erhebend; »Sie beklagen mich scheinbar und dabei verrathen Sie mich.«

Der Baron fasste sich gewaltsam, indem er sagte:

»Mein Sohn, haben Sie mich nicht verstanden?«

»Nein,« antwortete sie, »und er wird Sie nicht verstehen, weil er nicht treulos und hartherzig ist, wie Sie!«

»Chevalier, verlassen Sie dieses Zimmer.«

»Hüte Dich, Faublas, es zu thun.«

»Mein Sohn, ein Vater bittet Dich, aufzubrechen! ja, ich befehle es Dir!«

Die Gräfin, die auf meiner Miene die Absicht zu gehorchen las, rief:

»Ich verbiete es Dir!«

Ich sagte:

»Wem von beiden mich unterwerfen? O, meine Leonore, mit Verzweiflung im Herzen verweigert Dir Dein Geliebter Gehorsam; aber wie kann ein Sohn sich den Befehlen seines Vaters widersetzen?«

Frau von Lignoll, die überrascht und untröstlich war, mich aufstehen zu sehen, und nach der Thüre zu gehen, wollte mir folgen; der Baron vertrat ihr den Weg, sie wollte die Klingel ergreifen, er hielt sie zurück, sie hoffte wenigstens rufen zu können, er legte ihr eine Hand auf den Mund; in diesem Augenblick sank sie ohnmächtig auf den Lehnstuhl, den ich soeben verlassen hatte.

Ich wollte umkehren; mein Vater, der mir den Arm reichte, führte mich gewaltsam fort; wir gingen hinab.

In unserem Wagen erblickte ich eine Frau, die sich den Blicken der Fremden zu entziehen schien. Ich erkannte Frau von Fonrose.

Der Baron sagte zu ihr:

»Es ist kein Augenblick zu verlieren; eilen Sie zu Ihrer Freundin, die unwohl ist; was uns betrifft, so haben wir große Eile, wir können Sie unmöglich erwarten. Bleiben Sie über Mittag bei der Gräfin, und bitten Sie sie auf den Abend, Sie in ihrer Berline zurückzuführen.«

Die Baronin verließ uns sogleich und wir fuhren sofort weg. Mein Vater blieb lange in tiefes Nachdenken versunken; dann sagte er halblaut:

»Armes Kind, ich beklage sie.«

Hierauf heftete er seine Blicke zärtlich auf mich und sagte in festem Tone, wiewohl noch mit zitternder Stimme:

»Mein Sohn, ich verbiete Ihnen, Frau von Lignoll wiederzusehen.«

In Nemours traf ich meine liebe Adelheid, deren Schmerz dem meinigen ganz gleichkam.

O, meine Sophie! ich hatte sie verloren, und obschon Frau von Lignoll mir mit jedem Tage theuerer wurde, so behauptete sie doch noch immer den Vorzug in meinem Herzen.

Als die Baronin Fonrose am Abend wieder zu uns kam, erzählte sie uns, wie große Mühe sie gehabt hatte, die Gräfin aus ihrer Ohnmacht aufzuwecken, noch mehr aber kostete es ihr, sie zu überzeugen, dass sie durchaus nicht hierher kommen dürfe, um einen unnöthigen Auftritt mit uns anzufangen.

»Ich halte diese kleine Gräfin für fähig, alle möglichen Tollheiten zu begehen, und deshalb, Herr Baron, denke ich es gerathen, dass Sie es erlauben, dieser Junge möge doch zuweilen diesem Kinde einigen Trost bringen. Wohl wird es immer schwierig sein, von ihr loszukommen.«

Mein Vater, den ich in diesem Augenblicke aufmerksam beobachtete, beantwortete diese Ansicht der Baronin mit keinem Zeichen weder der Bewilligung noch des Verweigerns.

Am andern Tage kehrten wir nach Paris zurück, wo bereits drei Briefe mich erwarteten.

Der erste kam von Justine; den zweiten hatte meine Leonore geschrieben, den dritten musste ich rathen, von wem er kam.

»Herr Chevalier!

»Ein armer, junger Mann ist am Sterben; aber er sagt, dass es ihm Vergnügen machen werde, wenn er sich von Ihnen verabschieden könne, und dass er Ihnen etwas wichtiges zu sagen habe; dass Sie aber aus Groll ihn vielleicht nicht werden besuchen wollen, und er zittert deshalb vor Angst; deswegen beauftragte er mich, Sie darum zu bitten. Nach einer Gewohnheit des Naturgesetzes erträgt man bei einem Kranken, der in den letzten Zügen liegt, alle seine Launen; und was Sie anbelangt, Sie, der wie jedermann sagt, mit einer sehr hübschen Lebensart ausgerüstet sind, Sie müssten eine sehr harte Seele im Herzen haben, wenn Sie eine solche Kleinigkeit einem Freunde abschlagen wollten, der nicht ohne Gleichgiltigkeit gegen Sie ist.

In Folge dessen erwarte ich Sie, um Sie meinem Herrn vorzustellen, damit Sie ihm seine Lust zu sprechen wieder kommen machen, und dass Sie ihn wieder ein wenig in den Ton des Lachens bringen, ihn, der immer gute Spässe machte und jetzt so traurig aussieht, wie die Nachtmütze meiner seligen Großmutter Robert, welche vor Gott ist.

Dafür werden Sie gut daran thun, ihm während des Sprechens bald da, bald dort einige gute und kräftige Umarmungen zu geben, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, dass dies ihm wohlthun würde. Dessenungeachtet sage ich, dass Sie die Aufmerksamkeit werden haben müssen, sich in Acht zu nehmen, dass Sie ihn nicht ersticken, weil er im ganzen Leibe sehr schwach ist.

Endlich, zum Schluss, die Zeit dringt, weil die Chirurgen bestreiten, dass er von einem Augenblick zum andern in meinen Armen vergehen könnte wie ein Licht. Dies ist der einzige Grund, warum es ihm schlechterdings unmöglich sein würde, lange auf Ihre Bequemlichkeit zu warten; was er nun thun würde, geschehe durchaus nicht aus Unhöflichkeit, noch aus allzu großer Ungeduld, sondern weil, sehen Sie, wenn der von oben uns ruft, man ohne alle Umstände die Gesellschaft verlassen muss; deswegen werde ich Ihnen, wenn Sie es wollen, morgen seinen Wagen schicken, dessen er sich nicht mehr bedient, seitdem er nicht mehr aus seinem Bette gekommen ist. Mittelst dessen erwarte ich Sie mit festem Fuße, womit ich bin ehrerbietigst

Herr Chevalier
Ihr unterthänigster und gehorsamster Diener Robert,
sein Kammerdiener.«

Nachdem ich diesen ebenso komischen als traurigen Brief gelesen hatte, rief ich Jasmin:

»Geh sogleich zu Frau von Montdesier.«

»Ah, ich weiß, gnädiger Herr, die, welche Sie immer warten lassen; sie lässt immer nach Ihnen fragen.«

»Ich lasse ihr für das Billet danken und ihr sagen, dass sie der Person, die sie zum Schreiben veranlasst hat, mein Kompliment melde und derselben Person diesen Brief hier übergebe; mach' sie darauf aufmerksam, dass er »Robert« unterzeichnet ist; doch warte, ich will ein Couvert darüber machen. Du verstehst mich, an Frau von Mondesier musst Du dies übergeben.«

»Ja, mein Herr.«

»Von da gehst Du zu der Frau Gräfin von Lignoll.«

»Ah! diese hübsche kleine Brünette, so drollig und so flink, die Ihnen letzthin im Boudoir so eine tüchtige Ohrfeige gab, diese Frau muss Sie sehr lieben, gnädiger Herr.«

»Ja, aber Du hast ein allzu gutes Gedächtnis . . . höre mich an! Du gehst nicht selbst zu Madame; Du fragst nach ihrem Lakaien Lafleur und sagst ihm, dass ich seine Gebieterin anbete.«

»Ich glaube, gnädiger Herr, er weiß es bereits.«

»Du hast Recht.«

»Gut! also ist es nothwendig, dass Herr Lafleur und ich gute Freunde werden. Gnädiger Herr, wenn ich ihm ein Glas Wein vorsetzte?«

»Auch zwei, wenn Du willst; auf meine Gesundheit. Du verstehst mich, Jasmin?«

»O, ja, Sie sind der liebenswürdigste und großmüthigste Herr.«

»Sage Lafleur, dass ich Frau von Lignoll besuchen werde, sobald ich mit Frau von Fonrose berathen haben werde, und meine Frauenkleider wieder bekomme, um ohne Wissen meines Vaters das Hotel verlassen zu können. Endlich wirst Du zu Herrn Grafen von Rosambert gehen.«

»Auch ein sehr lustiger Herr, es thäte mir leid, wenn ich ihn nicht mehr sehen sollte.«

»Sprich mit Robert, seinem Kammerdiener, und sage ihm, dass ich trotz meiner Schwäche seinen Gebieter morgen besuchen werde. Ich nehme sein Anerbieten, mich im Wagen abzuholen an. Robert soll ihn mir um zehn Uhr morgens schicken.«

»Ja, mein Herr!«

»Und nun gehe!«

»Wie Sie befehlen, Herr Chevalier!«

»Wie, Jasmin, Du willst in meiner Livrée zu Frau von Lignoll?«

»Sie haben Recht, mein Herr; ich muss ein bürgerliches Kleid anziehen, ich Dummkopf.«

»Jasmin, Du sagst überall, dass ich nur deshalb nicht schriftlich geantwortet habe, weil ich noch sehr matt und leidend bin.«

»Ja, mein Herr!«

»Warte, wenn mein Vater fragt, wo Du seiest, so werde ich ihm sagen, ich habe Dich zu Herrn von Rosambert geschickt; von den zwei andern Commissionen sagen wir ihm nichts.«

»Ohne Zweifel, Frauenangelegenheiten gehen nur Sie an. Ihr Herr Vater braucht davon nichts zu wissen, oder zu erfahren; aber es wird ihm auffallen, dass ich so lange ausbleibe, und dann wird er mich auszanken.«

»Nun ja, mein Lieber, Du hörst ihn geduldig an und erwiderst kein Wort.«

»Es wird mir wohl schwer fallen, denn ich lasse mich nicht gerne zanken, wenn ich meine Schuldigkeit gethan.«

»Willst Du denn mir zu Gefallen nichts auf Dich nehmen?«

»Ihnen zu Lieb, mein gütiger Herr, will ich mir hundert böse Worte sagen lassen. Sie werden sehen!«

Mein braver Bediente hielt Wort; er kam ganz außer Athem zurück, und weit entfernt, sich das leiseste Murren zu erlauben, als der Baron ihn wegen seiner Langsamkeit zur Rede stellte, gestand er edel, er habe sich unterwegs ein Vergnügen erlaubt. Es war doch ein guter Junge, mein Jasmin! was würden nicht viele junge Leute von Familie um einen Bedienten, wie er ist, geben!

Mein Vater verließ diesen Abend mein Zimmer erst, als er mich eingeschlafen sah. Ich erwachte mit Tagesanbruch.

Wie groß war mein Erstaunen, als ich den Brief Duportails noch einmal lesen wollte, und ihn nicht mehr fand! ich ließ meine Frauenkleider bringen, ich suchte alle Taschen aus; das kostbare Papier war nirgends zu sehen. Ich habe dies unglückselige Schreiben bei Frau von Lignoll gelassen! . . . und wenn es in ihre Hände gefallen ist! große Götter!

Rosamberts Leute holten mich sehr früh ab.

Robert öffnete mir das Schlafzimmer seines Gebieters.

»Sie können ein wenig mit ihm sprechen,« sagte er traurig zu mir, »er ist noch nicht ganz todt; aber er wird es nimmer lang treiben, der arme junge Mann! Oh! ich bitte Sie, mein Herr, bestätigen Sie alle seine Gedanken.«

»Mit wem sprechen Sie?« sagte der Graf mit leiser Stimme.

»Dies ist der Herr Chevalier von Faublas.«

Als er meinen Namen nennen hörte, erhob Rosambert seinen Kopf mit Anstrengung, und mühsam brachte er die Worte hervor:

»Ich sehe Sie wieder! ich werde also den Trost haben, Ihnen meine letzten Empfindungen mittheilen zu können, ich will Ihnen Alles anvertrauen. Kommen Sie, Faublas, treten Sie näher. Oh! diese romantische, diese rachebrütende Amazone, die wegen eines gesellschaftlichen Scherzes einen ihrer standhaftesten Anbeter ins Grab schickt; man muss sie bewundern!«

Rosamberts Stimme, die anfangs kaum vernehmlich war, belebte sich auf einmal, sie wurde fest und deutlich.

»Diese Frau von B...,« fuhr er fort, »welche die Welt und ihre Gebräuche, die Galanterie und ihre Gesetze, die Rechte unseres Geschlechts und die Privilegien des ihrigen so gut kennt; musste ich nicht mit Gewissheit voraussetzen, dass sie und ich, Dank dem Erfolge meines letzten Attentats! von nun an ganz quitt gegen einander sein würden? Faublas! was wollen Sie! ich ließ mich hinreißen, ich hatte bloß das süße Vergnügen vor Augen, die kunstgewandte Person wieder zu treffen, die mir auf zwanzig lustigen und treulosen Auswegen entwischt war.

»Die Betrachtungen, die mich hätten zurückhalten können, stellten sich meinem, ganz von seinem bizarren Racheplane eingenommenen Geiste gar nicht vor; und erst nachdem ich meine Geliebte wieder besessen, erkannte ich mich einiges Unrechts gegen meinen Freund schuldig.

»Welch fürchterliche Züchtigung hat jedoch dieser zu entschuldigende Fehler nach sich gezogen! welcher Feind hat Faublas' Streit aufgenommen! o, wie hat er sich gerächt! Sagen Sie, theuerer Freund, verdient Rosambert dafür, dass er Ihnen unüberlegter Weise einigen vorübergehenden Verdruss bereitet hat, im dreiundzwanzigsten Jahre zu sterben, und von eines Weibes Hand zu sterben?«

Diese letzten Worte wurden mit so schwacher Stimme ausgesprochen, dass ich meine ganze Aufmerksamkeit zusammennehmen musste, um dieselben zu verstehen. Mein Herz wurde vom Mitleid bewegt.

»Rosambert, ich beklage Sie.«

»Dies ist nicht genug,« antwortete er; »Sie müssen mir verzeihen.«

»Ich verzeihe Ihnen von ganzem Herzen.«

»Schenken Sie mir wieder Ihre frühere Freundschaft.«

»Sehr gerne!«

»Und mich alle Tage besuchen, bis zu dem Tage, der mein Ende sein wird.«

»Welcher Gedanke! die Natur hat in unserem Alter so viele Hilfsquellen! hoffen Sie.«

»Wahrlich, man hofft immer,« unterbrach er mich; »aber dies hindert nicht, dass man an einem schönen Morgen von seinen Freunden Abschied nehmen muss. Faublas, wiederholen Sie mir, dass Sie mir verzeihen.«

»Ich wiederhole es Ihnen.«

»Dass Sie mich lieben wie früher!«

»Wie früher!«

»Geben Sie mir Ihr Ehrenwort darauf.«

»Ich gebe es Ihnen feierlichst.«

»Besonders versprechen Sie mir, dass Sie, ohne der Marquise etwas zu sagen, mich bis zu meinem letzten Tage gewiss besuchen werden.«

»Rosambert, ich verspreche es Ihnen auf Cavaliersehre!«

»Nun gut,« rief er lustig; »Sie werden mir noch mehr als einen Besuch abstatten. Robert, öffne die Läden! zieh die Vorhänge vor, setze mich aufrecht. Chevalier, Sie gratulieren mir nicht? ist mein Kammerdiener nicht ein Mann von Talent, was sagen Sie zu seinem Styl? wissen Sie auch, dass sein Brief mich zehn Minuten Nachdenken gekostet hat? gestern haben mir die Ärzte angekündigt, dass ich gerettet bin. Herr Robert hat sogleich die Feder ergriffen.

»Nun, Faublas, warum diese ernste und frostige Miene? sollte es Ihnen unangenehm sein, zu wissen, dass ich diesmal noch davonkommen werde? wenn Sie mir heute verziehen, geschah es nur unter der Bedingung, dass ich morgen nicht mehr unter den Lebenden sein werde? Sollten Sie finden, dass sie mich nicht genug bestraft habe, diese heroische Frau, die mich zur Erde geworfen? sollte sie mich nothwendig tödten? Es thut mir leid, dass sie sich ihr kleines Unglück so tief zu Herzen genommen hat. Weil ich sie einmal in ihrer eigenen Kunst überwunden hatte? Es ist wahr, dass sie sich den unsterblichen Ruhm erworben hat, die Schultern des Herrn von Rosambert beinahe zu zerschmettern; dies ist ohne Zweifel große Ehre für sie, aber Nutzen sehe ich keinen.

»Sehen Sie, Faublas, ich sage es Ihnen im Vertrauen, und vielleicht wird es Ihnen die Marquise selbst einmal gestehen, indem sie die Art unserer Kämpfe änderte, hat Frau von B... sich selbst ein größeres Übel zugefügt als mir. Damit ist's aus, ich darf auf diese Art nie mehr mit Frau von B... meine Kräfte messen. Venus wird uns nie mehr zu ihren süßen Übungen rufen, von nun an wird Mars unsere Kämpfe anordnen, statt der Liebesgötter werden wir die Furien zum Zeugen haben und statt eines Boudoirs die breite Heerstraße.«

»Wie, Rosambert, Sie wollen noch einmal Ihr Leben aussetzen. Sie wollen sich mit einer Frau schlagen?«

»Sie meinen also, Faublas, dass ich eigentlich nicht dazu verpflichtet sei?«

»Ich glaube allerdings, dass Sie, lieber Rosambert, nicht verpflichtet sind, denn Sie haben der Ehre Genüge geleistet.«

»Wohlan, Faublas! beruhigen Sie sich. Dies ist auch meine Meinung, ich lasse lieber meinen heldenhaften Gegner sich meiner Niederlage rühmen, als dass ich mich mit dieser Frau einlasse, um sie in die andere Welt zu schicken und selbst wieder in's Ausland zu wandern. Sie wissen, dass ich Duelle nicht liebe, ich glaube wahrlich, dass, wenn ich mich noch einmal schlagen müsste, ich den Tod der Langweile einer zweiten Verbannung vorziehen würde. Großer Gott, das abscheuliche Land, aus dem ich komme, das gepriesene England, wie traurig es ist. Gehen Sie nach London und suchen Sie dort unsere Manieren und unsere Moden, sonderbar travestiert oder auf lächerliche Art übertrieben, wieder zu erkennen. Gehen Sie, Faublas! und möchten Sie ihre Automaten von Stutzern bilden, ihre Bildsäulen von Frauen beleben können; ja, ich wette, dass Sie in den Armen einer Engländerin in der zweiten Nacht Überdruss finden würden. Was gibt es auch Frostigeres, als die Schönheit, wenn ihr nicht die Grazien Bewegung und Leben verleihen? was gibt es Langweiligeres, wenn die Liebe nicht durch ein wenig Flatterhaftigkeit und Koketterie lustig gemacht wird? Diese Lady Barington zum Beispiel ist eine Venus, aber . . . Ich fühle mich heute zu ermattet, denn ich denke, ich habe schon zu viel gesprochen; morgen will ich Ihnen die Geschichte unserer Verbindung erzählen; die noch dauern würde, wenn ich nicht durch einen neuen und pikanten Spass ihr Ende beschleunigt hätte.

»Chevalier,« fuhr er fort, mir die Hand reichend, »es war mir Bedürfnis, Sie wiederzusehen und Frankreich wiederzusehen. Mein glückliches Vaterland, ich sehe es wohl, ist das einzige Land der Freude. Wir haben zwar nicht das Recht, unser Paris zu richten; aber wir beginnen jeden Morgen am Toilettentisch einer schönen Dame, wir treffen uns abends im Theater und die scandalöse Chronik des Tags würzt unsere allzukurzen Soupers. Es ist nicht der Adel ihres Benehmens, wodurch sich unsere Französinnen auszeichnen; sie haben, was weniger Bewunderung erregt und mehr anzieht, die Taille, die Gestalt, die Lebhaftigkeit der Nymphen, die Zwanglosigkeit, den Geschmack der Grazien, sie bringen die Kunst zu gefallen und den Wunsch, sie Alle zu lieben, mit auf die Welt. Es ist wahr, dass man ihnen vorwerfen kann, sie wissen in der Regel nichts von jenen großen Leidenschaften, die in London binnen weniger als acht Tagen eine romanhafte Heldin in's Grab liefern, dagegen wissen sie, wie man eine Intrigue anfangen und zur Zeit beendigen muss; sie verstehen es mit List auszuweichen, vorzurücken, um zu kämpfen, zurückzutreten, um anzuziehen, ihre Niederlage zu beschleunigen, wenn ihnen daran liegt, sie gewiss zu machen; sie aufzuschieben, wenn sie den Preis erhöhen wollen; mit Anmuth zu bewilligen; einen Geliebten durch Koketterie zu fesseln. Ach! es war mir Bedürfnis, mein Land wiederzusehen. Ja, mit jedem Tage überzeuge ich mich mehr, dass es mir nur in meinem Lande vergönnt ist, Liebchen zu finden, die abwechselnd flatterhaft und zärtlich, leidenschaftlich und weise, furchtsam und kühn, zurückhaltend und schwach sind; Liebchen, die im Besitze der großen Kunst sich jeden Augenblick unter einer verschiedenen Gestalt zu reproducieren, uns tausendmal trotz aller Beständigkeit die pikanten Freuden der Untreue kosten lassen; heuchlerische, betrügerische, und selbst ein wenig perfide, geistreiche, anbetungswürdige Liebchen, wie Frau von B.... Nur den glücklichen Frauen von Versailles und Paris ist es vergönnt, junge Männer zu treffen, die galant sind ohne Anmaßung, schön ohne Fadheit, gefällig ohne Niederträchtigkeit; oft indiscret, aber nur aus Leichtsinn; unbeständig, wenn sich ihnen Gelegenheit bietet; Verführer aus Instinkt, wenn sie sehen, dass man sich leicht verführen lässt, oder gar gewissermaßen entgegenkommend; außerdem unermüdlich in Liebesbeweisen, mit einem weiblichen Gesichte, einer bescheidenen Miene, bis zur Verwegenheit unternehmend; junge Männer, die ohne jemals allzuviel auf ihre feurige Lebhaftigkeit oder Gelegenheit des Ortes oder die Zugänglichkeit der Personen zu bauen, die eine durch tiefes Gefühl, die andere durch Fröhlichkeit, wieder eine andere durch Kühnheit überwinden; die argwöhnische und furchtsame Emilie in ihrem Salon selbst, wo jedermann zu jeder Stunde eintreten kann; die kokette Arsinoe nicht weit von dem Ehebett, wo ihr Eifersüchtiger wacht, die unschuldige Zulma sogar im Grunde des engen Alkovens, wo ihre wachsame Mutter kaum eingeschlummert ist – junge Männer, die, begünstigt durch die weichherzigste Empfindsamkeit gar wohl zwei bis drei Frauen zugleich anbeten können; Liebhaber endlich, vollkommene Liebhaber, wie Faublas und, verzeih' mir's Gott! ich wollte sagen Rosambert, aber ich will aus Rücksicht für uns beide schweigen.«

Aus diesem galanten Gemälde erkannte ich Rosamberts Pinsel und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

»Mein Freund, soll die Unterhaltung allein auf meine Kosten gehen?« fuhr er fort; »kommen Sie, setzen Sie sich und erzählen Sie mir nun auch etwas! sagen Sie mir, was ist aus der schönen Sophie geworden?«

»Ach! meine theuere, angebetete Sophie!«

»Unglückseliger Gatte, ich verstehe Sie.«

»Mein Freund, Sie wissen also nicht, was Alles vorgegangen ist, wie viel Glück, und ach! wie viel Unglück zugleich auf mich eingestürmt ist? Diese Abenteuer werden, so hoffe ich, Ihr lebhaftes Interesse erregen.«

»Aber, sagen Sie mir, lieber Faublas, was ist mit Ihrer Nebenbuhlerin vorgegangen?«

»Welcher Nebenbuhlerin?«

»Ja so,« rief er lachend, »ich vergaß eigentlich zu sagen, Nebenbuhlerinnen?«

»Ich dachte Sie noch zu schwach, lieber Rosambert, für so viel Sarkasmus.«

»Er tritt in die Welt mit allen Mitteln, sich auszuzeichnen, und gleich sein erstes Abenteuer ist ihm ein Beweis hierfür! es muss wohl sein, dass sich die Frauen um ihn reißen, glücklicher Sterblicher! . . . lassen Sie hören, wie viele sind ihrer?«

»Eine, mein Freund.«

»Eine! wie! die Marquise hält Sie noch immer gefesselt?«

»Die Marquise . . . hören Sie, lieber Graf, lassen wir die Marquise! ich höre nicht gerne, wenn Sie von ihr sprechen.«

Meine Antwort war etwas gereizt und verkündete eine Bewegung von übler Laune, die jedoch bald wieder vorüber war, denn ich liebte Rosambert immer noch, und seine Heiterkeit verführte mich jederzeit. Aber umsonst richtete er hundert Fragen an mich, um zu erfahren, was mir Alles seit unserer Trennung begegnet sei; ich hatte den Muth, alle meine Geheimnisse vor ihm zu bewahren; denn das Vertrauen war noch nicht wiedergekehrt.

»Ich sehe, dass ich Ihr Vertrauen verloren,« sagte er endlich, als ich mich anschickte, wegzugehen; »bedenken Sie aber, dass ich von nun an, ohne fragen zu müssen, alles erfahren werde, was Sie thun. Dank Ihren Verdiensten, sind Sie jetzt eine zu bedeutende Person, als dass das Publikum sich nicht neugierig erkundigen sollte, was aus Ihnen wird, und mir auch Ihre vielfachen, glücklichen Abenteuer erzählt; Chevalier,« fügte er mit plötzlich ernst gewordenen Stimme hinzu: »Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen sagen zu müssen, wenn Sie Ihre Gattin lieben, so trauen Sie der Frau von B... nicht. Ihre Gattin wird, darauf wollte ich wetten, nie eine furchtbarere Feindin haben.

»Leben Sie wohl, Faublas! auf morgen, denn ich verlasse mich auf Ihr Wort; und vergessen Sie dies ja nicht, die Marquise darf nicht wissen, dass Ihre Freundschaft mir wieder geschenkt ist. Adieu!«

Ich war kaum zu Hause angelangt, als mir ein Billet von Frau von Montdesir zukam; durch diesen ließ mir die Marquise sagen, dass der Graf, dessen Transport die Ärzte vorgestern erlaubt hätten, nicht in einem so gefährlichen Zustande sein müsse, als es der Brief von dem angeblichen Kammerdiener schildere.

Deshalb bat mich Frau von B..., ich möge Herrn von Rosambert den gewünschten Besuch nicht machen.

»Sagen Sie der Marquise, dass ich ihrem Wunsche gehorche und den Besuch nicht machen werde.«

So lautete die hinterlistige Antwort, die ich dem zu spät gekommenen Boten mitgab.

Der Gedanke an Sophie verfolgte mich unaufhörlich und tausend schmerzliche Betrachtungen bestürmten mich, als ich allein war; aber ich muss dessenungeachtet gestehen, dass die süße Hoffnung, bald meine Leonore zu umarmen, und vielleicht auch, denn warum soll ich meine innersten Empfindungen verschweigen, vielleicht auch das Verlangen, die Marquise wiederzusehen, dass diese Hoffnung mein Unglück ein wenig mildern und meine Wiederherstellung befördern sollte.

Die sich stets wiederholenden Botschaften von Lafleur und Justine waren mir ein deutlicher Beweis, dass ich von beiden Seiten fast mit gleicher Ungeduld erwartet wurde.

Durch die vielfachen Hindernisse, die mir von allen Seiten entgegengestellt wurden, meine Leonore zu umarmen und ihr meine Zärtlichkeiten zu beweisen, wurde meine Leidenschaft noch viel feuriger.

Mein Vater, gerührt durch das Unglück, das ich ihm gestehen durfte, aber unempfindlich gegen meine geheimen Leiden, trauerte mit mir über Sophiens Verlust und verschloss das Ohr gegen die schlecht unterdrückten Klagen, die mir Leonorens Abwesenheit entlockte.

Trotz meiner Bitten, trotz der Vorstellungen der Baronin, beharrte mein Vater diesmal unerbittlich darauf, mir keinen freien Augenblick zu lassen.

Des Morgens kam er und setzte sich in meinem Zimmer hin, und des Abends begleitete er mich auf die Promenade.

Meine langsame Wiedergenesung wurde auf diese Art um acht lange Tage verlängert.

Der neunte Tag war der Gründonnerstag.

Dieser prächtige Morgen versprach, dass der letzte Tag in Longchamps ausgezeichnet schön sein würde.

Frau von Fonrose, welche kam, um bei uns Mittags zu speisen, schlug eine Spazierfahrt in das Boulogner Wäldchen vor.

»Wir wollen den Chevalier mitnehmen,« sagte sie zu meinem Vater. Ich war zu unglücklich, um die rauschenden Vergnügungen aufzusuchen, und war im Begriff Einwendungen zu machen.

Ein Blick von der Baronin bedeutete mir, dass ich annehmen sollte; und als der Baron uns einen Augenblick allein ließ, machte sie mir folgende Mittheilung, die mir um so angenehmer war, je weniger ich sie erwartet hatte.

»Hören Sie, Chevalier, sie geht hin, weil sie hofft, dass Sie auch hinkommen.«

»Die Gräfin?«

»Ei! wer denn? wäre Ihnen vielleicht die Marquise lieber?«

»Nein, nein! die Gräfin, ich werde das Glück haben, sie zu sehen?«

»Sie zu sehen, ist das Alles, was Sie verlangen?«

»Was ich verlange, ja . . . weil es unmöglich ist zu ihr zu gelangen, ohne auf Hindernisse von Seite ihres Gemahls und meines Vaters zu stoßen.«

»Und wenn es nicht unmöglich wäre zu . . .?«

»Ich wäre im Himmel.«

»Im Himmel,« wiederholte sie, »nun gut. Sie gehen also in den Himmel; aber in diesem Falle müssen wir uns erst verständigen, was Sie auf der Erde zu thun haben. Sie hören ja nicht?«

»Oh, ich bin ganz Ohr.«

»Ich glaube es. Also aufgemerkt. Sie erscheinen auf Ihrem Fuchsen. Wenn Sie dann in einiger Entfernung von dem Kabriolet, in dem Ihre Freundin sitzt, mehreremale herumvoltigiert haben, und die Gräfin sich nach Herzenslust in dem Vergnügen hat berauschen können, Sie mit unendlicher Grazie Ihr hübsches Pferd tummeln zu sehen, dann aber werden ihre Pferde Reißaus nehmen, sie werden dem flüchtigen Wagen mit den Augen folgen; aber einen Augenblick nachher wird auch Ihr Pferd durchgehen, jedoch nach einer andern Seite, mein Herr.«

»Nach einer andern Seite?«

»Ja, beruhigen Sie sich übrigens. Nach langen Umwegen, nach Verlauf einer Stunde wird das Thier, das nicht ganz unvernünftig ist, Faublas gerade dahin bringen, wo seine Leonore ihn erwartet; Sie errathen?«

»In ihr Hotel vielleicht?«

»Welcher Einfall! meinen Sie das wirklich im Ernst?

»In das meinige, junger Herr, Sie werden dort niemand finden, als den Schweizer und meine Agathe, zwei brave Leute, die nichts sehen, nichts sagen und nichts hören, als was uns gefällt, Leute, für die ich Ihnen bürge.«

»Bei Ihnen! welchen Dank!«

»Ich hoffe,« sagte sie in ernstem Tone, »ich hoffe, daß Sie sich als vernünftige Leute betragen werden. Wenn ich glauben könnte. Sie würden bloß Kindereien machen, so würde ich Ihnen nur den Zutritt in meinen Salon gestatten. Aber ich kenne Sie beide,« sagte sie lachend, »Sie werden Ihre Zeit zu wichtigeren Dingen anwenden. Hier haben Sie den Schlüssel zu meinem Boudoir, lieber Faublas, aber verrücken Sie nicht alle meine Meubel! Meine Frauen, die an keine Unordnung gewohnt sind, wüssten nicht, was sie denken sollen. Mein Ruf! – Ich halte sehr viel auf meinen Ruf.«

Herr von Belcourt kam wieder herein; wir sprachen noch mehr von Longchamps und ich äußerte große Lust, daselbst zu Pferde zu erscheinen. Mein Vater bemerkte, zu starke Bewegung könnte mir schädlich sein, doch machte er keine Einwendung mehr. Ich bat ihn, mich bis an das Thor Maillot in seinem Wagen mitzunehmen. Jasmin erwartete mich erst am Anfang des Waldes mit meinem Pferde

Ich verließ den Wagen des Barons. Sogleich suchte ich Frau von Lignoll und begegnete ihr auch bald, und bald sah sie mit unbeschreiblicher Freude, Ihren Geliebten an ihrem Wagen vorbeikommen.

Ich hatte nicht nur das Vergnügen, sie zu bewundern und von ihr ebenfalls mit großem Wohlgefallen betrachtet zu werden, sondern ich hörte auch noch andere Vorübergehenden rufen: »Ach, diese reizende Frau!« Hätten die, welche ihr dies für mein Ohr so süße Kompliment machten, mir einige Aufmerksamkeit zugewendet, so hätten sie bemerken müssen, dass ich ihnen durch ein Lächeln dankte, das ihnen zu antworten schien: »Es ist meine Leonore, sie gehört mir.«

Nur ein Bedienter, ihr verschwiegener Lafleur begleitet sie. Ihr Wagen ist ganz einfach, es ist das kleine Kabriolet, das sie mir in den Wald von Compiègne brachte. Sie ist gekleidet, wie sie es gewöhnlich zu Hause ist, nur allein ihre Reize hat sie als Schmuck; dieses weiße Kleid, das mit der Zartheit ihrer Haut wetteifert; mit welchem Vergnügen sehe ich an ihr statt der Diamanten diese Blumen, rührende Symbole ihrer kaum begonnenen Jugend, diese frühen Veilchen und diese Rosenknospen, von denen man glauben sollte, sie seien kunstlos in ihr Haar geworfen. Mit welchem Vergnügen erkenne ich mitten unter dieser Pracht die einfachste und bescheidenste Equipage, und in derselben die junge Wohlthäterin von tausend Lehnsleuten. Aber wo hat ihr der Zufall einen Platz angewiesen? Wie kommt sie in diese doppelte Reihe von prächtigen Wagen? Welche Göttin trägt der reiche Phaeton, der vor ihr fährt? Ich komme an den herrlichen Wagen, eine Frau zeigt sich darin in allem Prunk ihres Putzes, in allem Glanz ihrer Schönheit. Ihr Anblick legt jedermann das Schweigen der Bewunderung auf; sodann erheben sich die kurzen Ausrufungen der Begeisterung; es folgt ein leises Gemurmel; dann hört man alle sich wiederholen:

»Ja, da ist sie; sie ist's, die Marquise von B...!«

Ich ritt mehreremale an dem Wagen der Frau von B... vorüber; sie gab sich den Anschein, mich nicht zu bemerken; ich wieder hatte die Discretion, sie nicht zu grüßen; aber offenbar war sie begierig zu wissen, ob ich ihr zu lieb da sei, und ließ ihre unruhigen Blicke auf alle Seiten herumschweifen.

Sie kehrte sich um und erkannte Frau von Lignoll in ihrem bescheidenen Kabriolet, die sie mit einem huldvollen Lächeln beehrte. Es schien, als ob sich Frau von B... in der Nähe der Gräfin, deren eifersüchtige Lebhaftigkeit sie kannte, nicht ganz sicher fühlte. Wenigstens ist sicher, dass sie in diesem Augenblicke die Reihen verließ, um etwas mehr oben wieder einzulenken. Vielleicht wurde sie zu dieser Art von Flucht auch dadurch bestimmt, dass sie nicht weit von ihrem Wagen ihren Gemahl bemerkte, der gerade auf mich zu kommen schien.

Meine erste Bewegung war, schnell umzukehren, um ihm auszuweichen; allein nach einiger Überlegung befürchtete ich, unnöthig genug, er möchte mich der Feigheit beschuldigen, und beschloss daher, meinen Weg fortzusetzen; ich glaubte sogar, nur noch im Schritt reiten und den Feind, der herannahte, stolz anblicken zu müssen. Doch war ich, wie man sich denken kann, fest entschlossen, Herrn von B... vorüberziehen zu lassen, wenn er mich nicht anrede.

Er redete mich an:

»Herr Chevalier, ich bin entzückt über den glücklichen Zufall . . .«

»Vollenden Sie nicht. Herr Marquis, ich verstehe Sie; aber was bedeutet das Wort Zufall, wenn ich bitten darf? Es ist, so scheint es mir, nicht ganz unmöglich mich zu begegnen; und wer immer es auch sei, der mir etwas Dringendes zu sagen hat, ist immer sicher, mich zu Hause zu treffen.«

»Wohlan, ich wollte zu Ihnen gehen.«

»Wer hat Sie daran gehindert?«

»Wer? meine Frau.«

»Mein Herr, ich glaube also sagen zu müssen, dass die Frau Marquise Unrecht gehabt hat.«

»Nicht ganz in einer Beziehung. Sie hat ihre Gründe.«

»Welche Gründe?«

»Mich zu bewegen, dass ich diesen Besuch unterbleiben ließ; ich hatte die meinigen, zu wünschen, dass ich Sie irgendwo treffen möchte, Herr Chevalier.«

»Diese Begegnung ist also, wie Sie sagten, sehr glücklich?«

»Ja, weil ich mit Ihnen eine Erklärung haben werde.«

»Sogleich, Herr Marquis, wenn Sie wollen.«

»Verlassen wir das Gewühl.«

»Verlassen . . . aber ich bitte sehr um Verzeihung.«

»Und warum nicht?«

Beim Weggehen glaubte ich nicht umgehen zu können, Frau von Lignoll zu grüßen, und ihr wo möglich durch Zeichen bemerklich zu machen, dass ich bald zurückkommen werde.

»Sie sehen beständig nach dieser Seite,« sagte Herr von B..., »offenbar ist es diese hübsche junge Frau im Phaeton, die Sie beschäftigt? Ich störe Sie.«

»Ich bitte, Herr Marquis, lassen Sie doch den Scherz.«

»Ich scherze nicht! bleiben wir hier.«

»Hier, aber Herr von B..., der Platz scheint mir unpassend.«

»Warum? niemand wird etwas hören.«

»Aber, alle Welt wird uns sehen können!«

»Was liegt daran?«

»Was daran liegt! doch wie Ihnen beliebt, mein Herr . . . Sie haben vermutlich Ihre Pistolen?«

»Meine Pistolen?«

»Ohne Zweifel! weder Sie noch ich haben Degen.«

»Aber sagen Sie mir um Himmels Willen, Herr Chevalier, wozu denn Pistolen und Degen?«

»Wie! wozu? ist denn nicht davon die Rede, uns zu schlagen?«

»Uns zu schlagen! im Gegentheil, mein Herr; ich bereue es mich schon einmal mit Ihnen geschlagen zu haben.«

»Gut! und das sagen Sie, mein Herr?«

»Es reut mich Ihnen einen bösen Handel gemacht zu haben.«

»Ah! Sie sind wahrlich zu gütig.«

»Ihre Verbannung verursacht zu haben.«

»Ah! ah! welche Ritterlichkeit!«

»Und in der Folge Ihre Gefangenschaft.«

»Herr Marquis, Sie werden einsehen, dass ich Ihre edle Denkungsart nicht errathen konnte . . .«

»Ich suchte Sie, lieber Chevalier, seit Sie aus der Bastille gekommen sind.«

»Wahrhaftig, Sie sind allzu gütig!«

»Und, wie ich Ihnen bereits gesagt habe, ich wäre selbst in Ihre Wohnung gekommen, wenn meine Frau . . .«

»Die Frau Marquise hat sehr wohl gethan, es Ihnen abzurathen; dies wäre allzu viel gewesen, ich hätte es nicht verdient.«

»Ich weiß nicht! ein Mann von Bildung kann eine Beleidigung nicht zu schnell und zu vollständig wieder gut machen. Dies ist einmal meine Meinung. Junger Mann, Sie haben eine verdrießliche Erfahrung in dieser Beziehung gemacht; ich bin lebhaft, ich fahre bei einem Worte auf, ich ärgere mich, ehe es zu einer Erklärung kommt; aber gleich im nächsten Augenblicke besinne ich mich wieder und gestehe mein Unrecht offen ein. Alle meine Freunde werden Ihnen dies sagen. Ich bin im Grunde genommen ein guter Teufel.«

»Herr Marquis, ich glaube das mit vollkommener Überzeugung.«

»Gut! mein lieber Chevalier, so sagen Sie, dass Sie mir verzeihen.«

»Sie spotten!«

»Sagen Sie es, ich bitte Sie.«

»Nie könnte ich . . .«

»Sie werden mir nie verzeihen? Hören Sie mich. Ich habe Ihnen mein Unrecht eingestanden, ich darf Ihnen nun auch meine Verdienste nicht verheimlichen; ich habe Sie aus der Bastille befreit.«

»Sie, Herr Marquis?«

»Ja, ich! ich habe mich meiner Frau zu Füßen geworfen, um von ihr zu erlangen, dass sie sich Ihre Befreiung angelegen sein ließ.«

»Und Sie haben sie dazu bestimmen können?«

»Wohl kostete es mir einige Mühe; aber ich muss gestehen, dass ihr auf mein dringendes Bitten die Sache sehr am Herzen lag, Sie hat den neuen Minister mit einem Eifer zugesetzt, Sie können sich davon gar keinen Begriff machen.«

»Man sagt, die Frau Marquise stehe gut mit dem neuen Minister?«

»Ganz vortrefflich! Sie schließen sich ganze Stunden lang mit einander ein. Meine Frau ist wahrlich eine Frau von Verdienst; als ich sie heiratete, erkannte ich es sogleich, ihr Gesicht versprach viel, und die Marquise hat Alles gehalten, was ihr Gesicht versprach. Apropos, wünschen Sie vielleicht eine Anstellung, eine Pension, oder dergleichen?«

»Ich bin Ihnen für Ihre große Güte wirklich sehr verbunden!«

»Sie brauchen nur zu sagen! eine einzige geheime Unterhaltung meiner Gemahlin mit dem Minister . . .«

»Danke tausendmal!«

»Um wieder auf unser Gespräch zurückzukommen . . . aber Sie hören ja gar nicht auf mich.«

»Ich betrachte da unten die alte Dame, ist es nicht die Marquise von Armincour?«

»Ich kenne sie nicht, Herr Chevalier.«

»Ja, sie ist es, Herr Marquis, wenden wir uns nicht mehr nach dieser Seite.«

»Ich verstehe! Sie möchten dieser alten Frau nicht gern den Hof machen, gestehen Sie nur offen, junger Mann.«

»Es ist, wie Sie selbst sagen, Herr Marquis.«

»Um also wieder auf uns zurückzukommen, so habe ich Sie also aus der Bastille befreit; und dann hatte ich nicht schon meinen Lohn empfangen? hatten Sie mir nicht diesen prächtigen Degenstoß beigebracht?«

»Ich war untröstlich, dazu genöthigt zu werden, das versichere ich Sie.«

»Oh! es war ein Meisterstoß, das! wissen Sie auch, dass ich beinahe daran gestorben wäre?«

»Glauben Sie auf meine Ehre, Herr Marquis, das hätte mir zeitlebens Kummer gemacht.«

»Sie wären mir also nicht böse?«

»Durchaus nicht.«

»Warum weigern Sie sich in diesem Falle mir zu verzeihen?«

»Ich thue es von Herzen gern.«

»Herr Chevalier, ich bin darüber entzückt.«

»Und Sie, Herr Marquis, Sie verzeihen mir also ebenfalls?«

»Ob ich Ihnen verzeihe? Sie haben ja, nach der Erklärung meiner Frau selbst, in diesem Handel nur sehr unbedeutend gegen mich gefehlt. Es war ja nicht der Rede wert.«

Anfangs schien mir diese Unterhaltung langweilig, jetzt reizte sie meine Neugierde; aber ich erinnerte mich, dass Frau von Lignoll meine Rückkehr mit großer Ungeduld erwarten musste, und wenn ich noch länger auf mich warten ließ, gewiss eine Unbesonnenheit begehen könnte. Ich sagte daher:

»Herr Marquis, wir sind jetzt mit einander einverstanden, mischen wir uns wieder unter die Menge.«

Wir thaten es auch, und Frau von Lignoll schien entzückt zu sein, mich wieder zu sehen. Ihr reizend jugendliches Gesicht strahlte vor Freude als sie mich so heiter und gesprächig an der Seite des Herrn von B... sah, der den Faden des Gesprächs wieder aufnehmend, zu mir sagte:

»Sie haben sich der Marquise und mir gegenüber sehr wenig zu schulden kommen lassen, nicht mehr, als jeder andere junge Mann.«

»Nicht wahr, mein Herr, jeder andere hätte an meiner Stelle ebenso gehandelt?«

»Ohne Zweifel! Aber dieser Herr von Rosambert hat sich bei der ganzen Geschichte sehr schlecht benommen, auch werde ich ihm in meinem ganzen Leben nicht mehr gut. Auch Herr Duportail hat sich seinerseits einige kleine Vorwürfe zu machen. An jenem unglückseligen Tag, als ich Euch allen in den Tuilerien begegnete, musste Herr Duportail mehr Geistesgegenwart beibehalten, mich bei Seite nehmen und mir zu wissen thun, dass die Ehre und Ruhe einer ganzen Familie ihn zu dieser Lüge nöthige; auch hätte Ihr Fräulein Schwester sehr wohl gethan, mir ein Wörtchen ins Ohr zu flüstern; aber die junge Dame hatte Angst, Ihr Vater war da! Sie, Herr Chevalier, sind mir kein Vertrauen schuldig; aber hüten Sie sich wohl der Marquise zu grollen; ich habe ihr ihre Geheimnisse nicht abgerungen und dann hat sie mir dieselben nicht aus Schwatzhaftigkeit anvertraut. Ich halte die Marquise für unfähig eine Unüberlegtheit oder eine Indiscretion zu begehen.

»Ich beschuldigte meine Frau, oh! ich habe sie hundertmal um Verzeihung gebeten und werfe es mir jetzt alle Tage vor; ich beschuldigte meine Frau, die sittsamste Frau! wäre sie das nur aus Grundsatz, so könnte man ein Misstrauen fassen; aber bei ihr,« fügte er sehr leise hinzu, »ist die Sittsamkeit begründet, denn, würden Sie es glauben? aus reiner Gefälligkeit schenkt mir Frau von B... von Zeit zu Zeit eine Nacht, mir, der ich doch ihr Gemahl bin und sie anbete! und dennoch beschuldigte ich sie.

»Ich habe auch die Ungerechtigkeit begangen. Sie, Herr Chevalier, des Mangels an Muth zu beschuldigen. Ein junger Mann kann aber bei seinem ersten Auftreten in einem Ehrenhandel nicht genug Festigkeit zeigen; und bei diesem, ich habe es auch der Marquise gesagt, die sich genöthigt sah es anzuerkennen, haben Sie sich in jeder Beziehung wie der tapferste Mann gezeigt.

»Sie sind voll Herz! und wer sich darauf versteht, sieht in Ihrer Physiognomie, dass Sie ein Mann von Herz sind.

»Ich habe große Achtung für Sie, und meine Frau auch. Sehen Sie, lieber Chevalier, ich möchte Sie bitten, uns zu besuchen, allein das Publikum ist so dumm, diese Bemerkungen, die man von allen Seilen hört; es ist wahrlich unausstehlich!

»Wenn es der allgemeinen Kritik einmal beliebt hat, einer Frau einen Geliebten zu geben, so geht sie nimmer davon ab. Ich finde eine Menge Leute, die mir bloß aus Gefälligkeit nicht widersprechen, wenn ich versichere, ich sei kein so kurzsichtiger Gemahl, und dulde kein Einmengen in meine Rechte. Ich habe Ihnen bereits gesagt, wie viele Gründe mich an die Sittsamkeit der Frau von B... glauben machen.

»Es ist noch ein Grund vorhanden, der mir allein so stark scheint, als alle andern zusammen. Ich lasse mir zuweilen beikommen, mich im Spiegel zu besehen, und ich finde in meiner Physiognomie keinen Zug, keinen einzigen Zug, der verkündet, ich könnte ein Schwachkopf sein.

»Aber, sehen Sie doch, junger Freund, sehen Sie doch diese junge Dame in diesem Kabriolet, das heißt ein Gesicht! das heißt ein herrliches Weibchen! weit weniger geputzt als die andern, und doch weit hübscher, und sie sieht nicht aus wie eine Courtisane, wahrlich es ist eine Frau von Stande! ich kenne diese Livrée! Übrigens ich bin erfreut Ihnen sagen zu können, dass diese Dame schon lange auf uns sieht, und viel und oft ein kleines Zeichen mit ihrem Fächer auf unsere Seite gegeben.

»Sehen Sie, sollte man nicht meinen, sie wollte mit uns sprechen?«

Wirklich verlor Frau von Lignoll die Geduld und suchte mir durch ihre Zeichen verständlich zu machen, dass ich mich endlich um jeden Preis dieses zudringlichen Cavaliers entledigen solle, um ungesäumt mit ihr am Orte des Rendezvous zusammenkommen, wohin sie, des Wartens müde, schleunigst sich begeben wolle. Mehrere Male zeigte sich die Gräfin, von ihrer natürlichen Leidenschaft hingerissen, ganz außerhalb ihres Wagens. Frau von Montdesier, die sich auch in ihrem prachtvollen Phaeton in der Reihe befand, bemerkte die ungeduldige Bewegung einer Nebenbuhlerin; sie konnte nicht sehen, dass Frau von Lignoll es war, die ihr meine Aufmerksamkeit raubte, aber ohne Zweifel vermuthete sie es.

Um ihrer Sache gewiss zu sein, ließ sie sogleich ihrem Jockey den ein wenig allzu kühnen Befehl geben, die Reihen zu verlassen und dem Wagen vorzufahren. Er gewann einen Vorsprung, und Justine, die jetzt Frau von Lignoll erkannte, erlaubte sich, sie mit einer unverschämt vertraulichen Miene zu grüßen; sie wagte es sogar ein ungezogenes und lautes Gelächter anzuschlagen, indem sie dieselbe affektiert ansah.

Ich war empört, ich wollte der frechen Person entgegen; aber die Gräfin ließ mir keine Zeit dazu; zu lebhaft, um eine solche Beleidigung gelassen zu ertragen, rief die Gräfin sogleich »Platz!« trieb ihr Pferd an, schlug mit der Peitsche der Frau von Montdesier ins Gesicht und hing sich zugleich so geschickt und so fest an den leichten Phaeton an, dass eines seiner Räder in Stücke zerbrach. Der Wagen stürzte und die Schöne fiel heraus.

Ich fürchtete im ersten Augenblicke, dass sie ihr Gesicht ganz zerschlagen hatte. Glücklicherweise schützte es Justine durch eine geschickte Bewegung ihrer Arme, so dass sie mit einigen leichten Verletzungen an den Händen ihr bereits misshandeltes Gesicht vor andern Unbill rettete.

Aber durch einen Zufall, welcher komisch war, geschah es, dass die Füße der Nymphe, ich weiß nicht wie, oben am Wagen hängen blieben; nun konnte in dieser Stellung nichts die Unterröcke hindern, auf die Schultern herabzufallen, und da ein boshafter Zephyr zu gleicher Zeit die feine Leinwand lüftete, die allein noch auf der weißen Haut geblieben war, so zeigte Frau von Montdesier den unaussprechlichen Theil ihres schönen Körpers.

Die ganze Versammlung gab bei dieser Erscheinung ihren Beifall durch anhaltendes Händeklatschen zu erkennen.

Dessen ungeachtet sprangen einige junge Leute dem trostlosen Mädchen bei; und ich selbst durch das rührende Schauspiel ihres Unglücks sogleich besänftigt, stieg ab, um ihr Hilfe zu leisten.

»Warten Sie,« sagte Herr von B... zu mir, »ich gehe mit Ihnen, denn ich beklage die Arme, und ich wiederhole es Ihnen, ich habe dieses Gesicht schon irgendwo gesehen.«

»Ich kenne sie auch ein wenig, von Ihnen aber zweifle ich, ob Sie sie jemals gesehen!«

Als ich in Justinens Nähe kam, hatte man sie bereits wieder auf ihre Füße gestellt.

»Ach!« rief sie, wie sie mich erblickte, »Herr von Faublas, wie hat sie mich zugerichtet!«

Ich unterbreche sie und sage ganz leise:

»Mein liebes Kind, Du hast es nicht besser verdient.«

»Ach, Herr von Faublas, ich bin in Verzweiflung.«

Ich wandte mich wieder an den Marquis und sagte mit ernstem Tone:

»Herr Marquis, wenn wir uns von der Menge los zu machen suchten.«

»Ich bin es zufrieden,« antwortete er mir; »aber sagen Sie mir doch, wie es kommt, dass Sie so vielen Leuten bekannt sind?«

»Sie wissen ja, hier zu Lande wird man binnen vierundzwanzig Stunden berühmt; unser Zweikampf, meine Verbannung, meine Gefangenschaft . . .«

Er unterbrach mich:

»Habe ich mich nicht getäuscht? ist das nicht mein Name?«

»Ja. Ihr Name ist es, und hören Sie, unzählige Personen rufen ihn.«

»Unzählige« antwortete er mit großer Freude.

»Alle diese Leute da sind sehr erfreut, uns beisammen zu sehen. Ja, ich sehe auf ihren Physiognomien, dass sie sehr erfreut sind. Es ist sehr erfreulich für sie, von unserer Versöhnung überzeugt zu sein.«

Sie waren sehr belustigt, denn sie lachten aus vollem Halse; und man sah, dass es Herr von B... war, dem ihre spöttischen Beifallsbezeugungen galten. Der Marquis schien sich darüber sehr zu freuen. Es gelang mir endlich nicht ohne große Mühe, mir durch die lichter gewordenen Reihen einen Weg zu öffnen. Hier verabschiedete ich mich vom Herrn von B..., der sich nicht von mir trennen wollte.

Als ich aber vorgab, noch einmal nach der schönen Dame im weißen Kleide sehen zu müssen, sah er mich mit Bedauern so schnell als möglich davon reiten.

Es war Zeit, dass ich kam; der Frau von Lignoll wurde jeder Augenblick lang. Sobald sie mich sah, überhäufte sie mich mit Vorwürfen.

»Meine theuere Leonore! wie ungerecht Sie sind! ist es denn meine Schuld, wenn diese Frau die Verwegenheit hat?«

»Ja, es ist Ihre Schuld. Warum kennen Sie solche Geschöpfe? warum haben Sie um dieser Frau von Montdesier Willen eine Untreue an mir begangen?«

»Gut, Sie wollen einen bereits vergessenen Streit wieder auffrischen.«

»Vergessen? nie! mein Leben lang werde ich nicht vergessen, dass ich thörichterweise dieser Unverschämten die Hand geküsst habe, die sich heute geltend zu machen wagt.«

»Sie haben sie dafür gestraft; Sie haben ihr Gesicht verunstaltet.«

»Ich hatte sie umbringen sollen.«

»Es hat wenig gefehlt; sie ist von ihrem Wagen heruntergefallen.«

»Heruntergefallen!« rief die Gräfin mit großer Unruhe.

»Mein Gott! ich habe sie vielleicht gefährlich verletzt?«

»Nein, aber . . .« Hier beeilte ich mich, um Frau von Lignoll vollends ganz zu beruhigen, ihr Justinens Unfall zu erzählen; und mein kurzer, aber treuer Bericht ergötzte die in ihrer Lustigkeit und in ihrem Zorne gleich lebhafte Gräfin.

Ich fürchtete, sie möchte vor Lachen ersticken. Ich schloss sie in meine Arme in der festen Überzeugung, dass die Stunde der Versöhnung gekommen sei. Ich täuschte mich, die grausame Leonore stieß ihren Geliebten zurück.

»Sie werden immer der undankbarste der Menschen sein. Seit einem Jahrhundert vergehe ich vor Liebe und Ungeduld.

»Und dennoch überlässt er mir die Sorge, auf einen Plan für unsere Vereinigung zu denken.«

»Meine geliebte Freundin, ich habe vergeblich mehrere versucht.«

»Endlich finde ich ein günstiges Mittel, ich fliege nach diesem Longchamps, das mich langweilt, ich fliege dahin, um Faublas zu sehen, einzig allein, um ihn zu sehen. Er stellt sich wirklich ein, aber nur um Gelegenheit zu haben, um meinen beiden Nebenbuhlerinnen den Hof zu machen.«

»Leonore, ich schwöre Dir, dass dem nicht so ist.«

»Und um seiner Treulosigkeit die Krone aufzusetzen, ordnet der Abscheuliche alles so an, dass ich, deren Herz vor Eifersucht zerrissen ist, gerade zwischen meine zwei Todfeindinnen zu stehen komme.«

»Wie, auch daran soll ich Schuld sein?«

»Auch darin werden Sie mich zu bereden suchen, Sie Heuchler, dass der Wagen der Frau von B... aus bloßem Zufall vor den meinigen kam.«

»Leonore, ich gebe Dir mein Ehrenwort, dass ich von der Gegenwart dieser beiden Frauen keine Ahnung hatte.«

»Sie hat wohl daran gethan, dass sie sich davon machte, diese Frau von B..., Sie aber haben wohl daran gethan, ihr nicht zu folgen; ich hatte es schon halb und halb vermuthet.

»Aber wenn es geschehen wäre, wenn Sie ihr gefolgt wären, so hätte ich Euch beiden eine Lection gegeben, die Ihr gewiss nicht vergessen hättet.«

»Sie irren sich bedeutend, meine theuere Freundin, denn wenn ich ihr zu lieb gekommen wäre, so hätte ich ihr unbedingt folgen müssen, das liegt doch klar am Tage, aber ich hatte keine Ahnung von ihrer Gegenwart und kümmerte mich auch wenig darum.«

Sie besann sich einen Augenblick und umarmte mich dann sogleich. Auf einmal rief sie:

»Nein, nein, ich bin noch nicht überzeugt! Sie ließen mich hier eine Viertelstunde warten, weil Sie der Frau Montdesier zu Hilfe kommen mussten!«

»Nein, meine theuere Freundin, ich wurde lang durch diesen lästigen Cavalier aufgehalten.«

»Ah, dieser Herr, der mit solchem Feuer mit Ihnen sprach, und dem Sie mit solchem Vergnügen zuzuhören schienen?«

»Vergnügen, nein. Sie irren sich, es war das Gegentheil, ich trachtete auf alle mögliche Art von ihm loszukommen.«

»Was sagte Ihnen denn so schönes dieser Herr?«

»Er unterhielt mich von meiner Schwester.«

»Er kennt sie?«

»Ja, es ist ein Verwandter.«

»Nun diesmal glaube ich Ihnen, weil ich ihn genau betrachtete, um mich zu überzeugen, ob es nicht wieder eine verkleidete Frau sei. Sie sollen mich nicht mehr hintergehen, ich werde genau acht geben.«

Ich wollte der Unterhaltung eine andere Richtung geben; deshalb sagte ich:

»Sage mir, liebe Leonore, hast Du Deine Tante nicht in Longchamps gesehen?«

»Nein, ich sah nur Dich.

»Aber Sie, mein Herr, haben allen Aufmerksamkeiten schenken können, die Sie umgaben.«

»Ich habe der Marquise Aufmerksamkeiten geschenkt, weil es mir vorkam, als sehe sie auf Dich.«

»Zum Glück für uns hat sie ihre fünfundzwanzigjährigen Augen nicht mehr.«

»Leonore, wenn sie mich dennoch erkennt?«

»Dies, mein lieber Faublas, wäre ein großes Unglück; aber wir wollen das Beste hoffen. Bis jetzt war uns der Liebesgott stets günstig gesinnt.«

Bereits hatte die Gräfin einen sanfteren Ton angenommen, was mich sehr erfreute, denn es zeigte mir deutlich, dass sie von meiner Unschuld überzeugt sei; auch nahm sie die Versicherungen meiner treuen Liebe mit Entzücken entgegen, und daher wagte ich es zu versuchen, ihr die Beweise davon zu geben; aber wie sehr war ich überrascht, als ich sah, dass sie dieselben ausschlug.

»Nein, nein!« sagte sie im Tone unerschütterlicher Entschlossenheit, »lassen wir das, mein Freund, es ist Alles umsonst, ich gewähre Dir heute keine derartige Gunst. Du scheinst betrübt über meine Weigerung?«

»Weil Du mich nicht mehr liebst, wie früher!«

»Du täuschest Dich, mein Freund, ich liebe Dich jetzt weit mehr als früher, mein Zustand hat dazu beigetragen, dass ich auf der Welt kein anderes Wesen mehr als Dich lieben kann, dieses Gefühl kannst Du nicht begreifen, es kann es überhaupt kein Mann, und wäre er auch der liebenswerteste, der einsichtsvollste, der klügste von Allen – in diesem Punkte seid Ihr doch Alle gleich – Egoisten. Wende Dich nicht ab, mein über Alles Geliebter, ich sehe, dass Du zürnest, und doch kommen mir diese Worte aus der Tiefe meines Herzens.«

»Meine angebetete Leonore, früher hat nie eine Weigerung von Deiner Seite stattgefunden.«

»Ja, Du scheinst zu vergessen, dass mich gewisse Umstände dazu nöthigten, der wichtigste vor Allen war Deine Krankheit; wie kannst Du nur vergessen, dass eine Frau, die für das Leben eines geliebten Mannes zittert, ihm ein Verlangen verweigern kann?«

Und meine sehr kluge Freundin ließ mich meinen Kopf auf ihre Kniee legen, um mich mit ihren Liebkosungen zu überhäufen. »Faublas, Du musst nicht traurig sein, das thut mir weh. Weißt Du noch, mein Freund, wie ich Dir erzählte, wie unsäglich unglücklich ich an jenem Tage war, wo Du in meinen Armen das Bewusstsein verloren hast? Deine Krankheit hat Dich aber seitdem noch sehr geschwächt; Deine Wiedergenesung fängt erst an, willst Du sterben? dann aber müsste auch ich sterben. Ach, ich bitte Dich, Faublas, lass uns so spät als möglich sterben, damit wir uns so lange als möglich anbeten können. Warum lachst Du, sehe ich denn so lächerlich aus, wenn ich vernünftig rede? Faublas, mein lieber Faublas!« fügte sie nachlässig hinzu, nachdem sie mir den zärtlichsten Kuss gegeben hatte, »es ist für mich schwer genug, meinen eigenen Verlangen zu widerstehen; wenn ich aber auch über die Deinigen triumphieren soll, so kann ich nicht über meine Kräfte mehr gebieten.«

Meine anbetungswürdige Leonore misstraute sich mit Recht; denn nach einigen Augenblicken des Zauderns und des Schweigens sagte sie mit schwacher Stimme:

»Siehst Du, mein Freund, welch' schwaches Weib ich bin; bei meinem Hiehergehen hatte ich mir geschworen, dass es nicht vorkommen soll, und ich wollte auch, dass es jetzt nicht geschähe; ach, siehst Du, was die Liebe nicht alles vermag, sie triumphiert über alle unsere gefassten Vorsätze. – Oh! schwache Sterbliche, die wir sind!« – Da ich nun ihre Niederlage bekannt mache, so sollte ich auch ihre Siege gestehen. Trotz all meiner Bitten, konnte ich meine zartfühlende Freundin nicht bewegen, sich zum zweiten Male zu ergeben.

»Reizende Freundin! die Stunden des Glücks verfließen sehr schnell; wir müssen uns trennen.«

»Schon jetzt?«

»Wenn ich zu spät käme, so wäre es mir unmöglich, Herrn von Belcourt eine unwahrscheinliche Geschichte zu erzählen.«

»Höre, Faublas, wir verlassen uns auf drei Tage.«

»Warum auf drei Tage?«

»Morgen gehe ich auf Gatinois.«

»Ohne mich! was willst Du dort thun?«

»Ach! leider ohne Dich, Dein Vater wird Dich nicht fortlassen.«

»Vielleicht könnte sich doch ein Ausweg finden!«

»Wie traurig wird dieses Fest für mich sein! als ich glauben durfte, mein Geliebter werde es durch seine Gegenwart verschönern, machte ich mir ein so bezauberndes Bild davon.«

»Sage mir, Geliebte, was ist das für ein Fest?«

»Alle Jahre am Ostertage erhielt das Rosenmädchen aus meinen Händen der Sittsamkeit Krone. Aber dieses Jahr, wo ich nur mit Zögern diese schöne Handlung begehen kann, da ich mir leider, ach, sagen muss, dass ich nicht berechtigt einen Preis auszutheilen, den ich selbst am unwürdigsten bin zu erhalten.

»Es scheint, als ob es Dir unlieb wäre, was ich da sage, lieber Faublas, geh, beruhige Dich! ich habe keine Gewissensbisse, keine Reue. Nur wenn ich mich erinnere, was Dein Vater für Reden an mich gehalten hat, überrasche ich mich oft nachdenkend über die zahllosen Gefahren. Beruhige Dich, so lange Du mich liebst, sollst Du nicht fürchten, dass ich Dich verlasse; und wenn Du mich nicht mehr lieben wirst, dann werde ich in meiner Verzweiflung meine letzte Hilfe finden. Du bist betrübt! Siehst Du, mein Freund, komm her und umarme mich, komm, lass unsere Thränen zusammen fließen! morgen reise ich ab; am Sonntag ist das Fest vorbei; am Montag in aller Frühe kommt Alles zurück. Ich nehme außer meiner Tante Frau von Fonrose mit, die uns sehr liebt, sie und ich sinnen irgend eine glückliche Kriegslist aus, die Dich am Montag Abend Deiner Leonore wieder schenken soll.«

Obzwar es schon spät war, und die Marquise mich erwartete, obgleich mein Vater über meine lange Abwesenheit ungeduldig werden musste, so konnte ich mich doch nicht von Leonore trennen und hundertmal wiederholte ich mein Lebewohl, ehe ich sie verlassen konnte.

Wir fanden doch endlich die Kraft, uns zu trennen, und ich eilte zu Justine, um Frau von B... zu treffen.

Die Marquise empfing mich mit sehr trauriger Miene, sie reichte mir dennoch ihre Hand, die ich mit vielem Feuer küsste.

»War es durchaus unmöglich,« sagte sie mit unendlich sanfter Stimme, »dass Sie mich einige Augenblicke weniger lange warten ließen?«

Dann ohne meine Antwort abzuwarten, nahm sie eine freundlichere Miene an, blickte mich sehr wohlgefällig an und sagte:

»So wie ich sehe, sind Sie nun wieder ganz hergestellt; sollte man es glauben, dass Sie vor zwölf Tagen so gefährlich krank waren. Die Frauen, die heute über Ihr Erscheinen in Longchamps so entzückt waren, konnten gewiss nicht vermuthen, dass noch vor einigen Tagen zwei liebende Frauen an Ihrer Genesung verzweifelten. Haben Sie gar nicht an die kleine Montdesier gedacht, die vergeblich die Ankündigung Ihres geheimen Besuches erwartete . . .?«

»Ach, beschuldigen Sie mich nicht! ich habe Ihrer Einladung unmöglich Folge leisten können. Mein Vater hat mich auf allen meinen Wegen begleitet, auch heute war er mit mir in Longchamps.«

»Haben Sie mich dort nicht gesehen?« fragte sie mit einer Art von Unruhe.

»Ja, ich habe Sie nicht gegrüßt, weil ich fürchtete . . .«

»Ich dachte es gleich, dass Sie mich wohl erkannt haben, und dass Sie nur aus Discretion mir auswichen.«

»An diesem Zuge erkenne ich Sie, empfangen Sie meinen tiefsten Dank, Frau Marquise, für Ihr großmüthiges und zartfühlendes Benehmen; aber sagen Sie mir, warum hatten Sie sich nur einen Augenblick auf dieser Promenade gezeigt, deren erste Zierde Sie waren?«

»Die erste? nein, das glaube ich nicht! übrigens habe ich mich erst in dem Augenblicke entfernt, wo ich die Menge sich um Sie drängen sah.«

»Dann haben Sie ja Justinens Unfall mit angesehen?«

Ein Lächeln flog über die Lippen der Marquise.

»Ja, ich habe ihn auch mit ansehen können, ihren Unfall,« sagte sie.

Und in sehr ernstem Tone fügte sie hinzu:

»Ich möchte auch wissen, ob dieser Unfall sie auch gehörig gewitzigt hat? es wäre mir sehr lieb, wenn Sie mir von ihr sagten, was Sie davon halten; deshalb wollen wir sie erwarten, wenn Sie sich hier nicht allzusehr langweilen.«

Wir brauchten nicht lange zu warten, denn in demselben Augenblicke öffnete man ihr Vorzimmer.

Ein galanter Kavalier sprach sehr laut zu ihr:

»Die jungen Leute haben mich mit Ehren überhäuft, mein Begleiter gewann einen großen Vorsprung vor mir. Als ich dies sah, bin ich einzig und allein um Deinetwillen, mein Kind, nach Longchamps zurückgegangen; Deine Physiognomie hatte Eindruck auf mich gemacht.«

»Täusche ich mich,« sagte Frau von B.. , »oder ist dies nicht mein Gemahl?«

»Sie täuschen sich nicht, denn an seiner Stimme, wie an seinen Worten glaube ich ihn ebenfalls zu erkennen.«

»Er ist's! er ist's! eilen wir zu entkommen!«

Es war kein Augenblick zu verlieren; wir eilten nach der Thüre, die zu dem Bijoutier führte.

»Ich habe meinen Schlüssel nicht, was habe ich gemacht, ihn zu vergessen!«

Ein sehr hoher, aber sehr schmaler und zum Glück ziemlich tiefer Kasten in einem Winkel neben dem Kamin bot uns eine letzte Zufluchtsstätte. Frau von B... stürzte sich zuerst hinein.

»Schnell! Faublas!« Ich hatte kaum Zeit mich nach ihr hineinzuwerfen und die Thüre zu schließen.

Sie traten in das Zimmer, das wir verlassen hatten.

»Ja,« fuhr er fort, »Deine Physiognomie hatte Eindruck auf mich gemacht; ich starb vor Sehnsucht, Dich zu sprechen.«

»Sie haben mich also erkannt?«

»Auf der Stelle! aber wie kannst Du eine solche Frage an mich stellen, der ich alle Gesichter auswendig weiß?«

»Weil dieser glänzende Wagen, der große Staat, in dem ich war, dies Alles mich wohl unkenntlich machen konnte.«

»In den Augen eines Andern, wohl möglich; aber in den meinigen! Du hast also vergessen, was für ein großer Physiognom ich bin? was die Equipage betrifft, so sage mir doch um Gotteswillen, wer der prachtliebende Sterbliche ist, der sich für Dich ruiniert? der Chevalier Faublas vielleicht?«

»Ei, ja! ein närrischer Frauenknecht!«

»Hören Sie die Unverschämte?«

»Schweigen Sie!« sagte die Marquise, »hören wir weiter.«

»Aber es scheint mir,« sagte Herr von B..., »dass Du in Longchamps ihn lange lorgniertest?«

»Ich, ihn? diesen Maulaffen! Sie, mein Herr, waren es, den ich angesehen habe.«

»Ich gefalle Dir also?«

»Diese Frage! Wem gefallen Sie nicht?«

»Es ist wahr, dass ich die glücklichste Physiognomie von der Welt habe; wem ich begegne, der liebt mich, noch heute hast Du in Longchamps die Freude sehen können, die meine Gegenwart bei ihnen Allen hervorbrachte. Ja, Alles war sehr vergnügt.«

»Niemand war es mehr, als ich, das versichere ich Sie.«

»Dennoch, liebe Kleine, ist Dir ein ziemlich unangenehmes, fatales Abenteuer zugestoßen. Aber, sage mir, wer ist diese junge Frau, die Dich so misshandelt hat?«

»Eine kleine Hexe.«

Der Marquis fuhr fort:

»Sie hatte einen Bedienten mit Livrée.«

»Diese Livrée war vermuthlich entlehnt.«

»Dein hübscher Phaeton ist sehr beschädigt, wie mir scheint.«

»Es ist mir um so unangenehmer, als es ein Geschenk von einer Dame aus meiner Bekanntschaft ist.«

»Du musst dieser Dame große Gefälligkeiten erweisen, dass sie Dir solche Geschenke gibt.«

»Das können Sie sich wohl vorstellen; wenn es nicht eine so alte Bekanntschaft wäre, dann könnte sie lange schmeicheln und mir zureden, ich würde mich ihr zu liebe nicht schon so manchen großen Unannehmlichkeiten ausgesetzt haben.«

»Aber verständigen wir uns, mein Engel; willst Du mich als Geliebten annehmen? Du musst aber Dein Boudoir nicht an Damen Deiner Bekanntschaft leihen.«

»Ich will es Ihnen sagen: Es ist eine Dame von Stand, von hohem Rang; sie ist zu Hause geniert.«

»Ich verstehe! es ist abermals ein Einfaltspinsel von Ehemann, dem man eine Nase dreht.«

»Oder drehen will, Herr Marquis.«

»Die Intrigue fängt also erst an?«

»Im Gegentheil sie ist alt . . . das ist eine Geschichte, Herr Marquis.«

»Erzähle! erzähle! der Bericht von den Streichen, die sich dumme Ehemänner spielen lassen, macht mir immer unendlich viel Spass.«

»Die Dame hat den jungen Mann früher gehabt; aber er hat sie wegen einer andern aufgegeben; sie will ihn aber nicht theilen und will ihn wieder haben.«

Hier murmelte die Marquise:

»Die schamlose Lügnerin.«

»O, meine schöne Mama! schweigen Sie doch!« und ich wagte es ihr leise einen Kuss zu geben, den sie nicht umhin konnte anzunehmen.

»Eben deswegen,« sagte Justine, »gestattet sie ihm noch nichts; aber der Augenblick naht, wo sie ihm Alles gestatten wird.«

»Du bist also ganz ins Geheimnis eingeweiht?«

»Nein, diese Frau ist zu misstrauisch und zu fein, sie sagt mir fast nichts; aber ich sehe wohl an ihrem Benehmen, dass sie sehr verliebt in diesen jungen Mann sein muss.

»Worüber lachen Sie, Herr Marquis?«

»Ich denke darüber nach, dass es für mich, der ich ein so großer Physiognom bin, sehr interessant sein müsste, das Mienenspiel dieser beiden Verliebten zu studieren, wenn sie beisammen sind. Wahrlich, Du solltest mir einmal dieses Vergnügen verschaffen.«

»Ihnen! unmöglich, Herr Marquis.«

»Warum? ich werde mich irgendwo verstecken.«

»Unmöglich, sage ich Ihnen.«

»Höre einmal, wenn ich unter Dein Bett schlüpfte; oder in einen Kasten! Du hast Kästen hier?«

»Sie sehen, dass ich welche habe.«

Hier nahm die Unterhaltung eine wahrhaft schreckliche Wendung; es war mir nicht wohl zu Muthe, und ich fühlte, dass die Marquise zitterte, indem sie mich krampfhaft bei der Hand fasste.

»Warte!« rief der Marquis.

Es war ein glücklicher Zufall, dass er gerade auf denjenigen zuging, der auf der andern Seite des Kamins stand, und als er die Thüre geöffnet hatte, sagte er:

»Genau so brauche ich es. Ein starker Mann könnte nicht darin aushalten, aber ich werde mich hier nicht schlecht befinden. Durch das Schlüsselloch könnte ich die handelnden Personen nach Herzenslust betrachten. Komm, Justinchen, lass Dich erweichen, ich werde Deine Gefälligkeit gut bezahlen und das Geheimnis bewahren.«

»Wenn die Sache nicht ganz unmöglich wäre, so würde ich es der Seltenheit wegen thun.«

»Ist die Dame schön? sage es mir aufrichtig.«

»Hübsch, so, so! sie ist nicht übel; aber sie hält sich für wunderschön!«

»Ihr seid Alle gleich, jede halt sich für unvergleichlich schön; und der verliebte Ritter?«

»Oh! der ist reizend, wirklich reizend, und als Eroberer bekannt.«

»Ist er schöner als der Chevalier Faublas, dann wäre er unwiderstehlich.«

»Er ist nicht schöner, aber eben so schön.«

»Weißt Du auch, liebe Kleine, dass ich auf den Chevalier eifersüchtig bin, denn ich glaube, dass er alle Frauen, die in seine Nähe kommen, durch seine Vorzüge bezaubert.«

»Ich denke, Herr Marquis, Sie sind vielleicht noch eifersüchtig auf ihn wegen der Frau Marquise.«

»Nein, aber Du, mein Kind, scheinst in Betreff seiner Vorzüge etwas näheres zu wissen, solltest Du vielleicht selbst . . .?«

»Sie thun mir Unrecht, Herr Marquis, obzwar ich mich stets sehr zu wehren hatte, denn dieser junge Mann ist von einer Aufdringlichkeit, die lästig werden kann.«

»Früher aber schien ich zu bemerken, dass er Dir doch nicht ganz gleichgiltig war.«

»Früher hatte mein Geschmack keine bestimmte Richtung; dennoch habe ich immer Neigung zu Ihnen gehegt, Herr Marquis.«

»Ich glaube es wohl. Ich sage Dir, mein Gesicht bringt bei allen Frauen dieselbe Wirkung hervor.«

»Sie haben Recht, Ihre Gemahlin, zum Beispiel, betet Sie an!«

»Ich weiss es, ja, sie betet mich an; aber weißt Du auch, dass nämlich in die Länge nichts langweiliger wird, als diese Anbetung. Frau von B... kann für schön gelten, immerhin; aber immer dieselbe Frau! immer! außerdem ist die Marquise bei all' ihrer Zärtlichkeit in einem gewissen Punkte sehr spröde; und ich kenne an der Liebe nichts Langweiligeres, als die ewige Ziererei.«

»Aber erlauben Sie mir eine Bemerkung: Sollten Sie vielleicht nicht ein wenig selbst Schuld daran sein?«

»Du irrst, mein Täubchen, Du wirst Dich selbst vom Gegentheil überzeugen. Ich bin jung, ich brauche Vergnügungen, Zerstreuungen.

»Ich speise bei Dir zu Nacht. Und wo ich zu Nacht speise, da schlafe ich auch, meine Königin.«

»Hier, Herr Marquis?«

»Ich finde es so traulich und behaglich hier, und bleibe hier, nirgends sonst, das versichere ich Dir!«

Wir hörten eine Börse auf den Kamin fallen.

»Lassen Sie uns sogleich in den Speisesaal gehen,« sagte Justine.

»Warum denn in den Speisesaal? Bleiben wir hier, wir sind da eben so gut; lass ein Geflügel bringen. Geh, mein Engel! vor und während des Abendessens können wir einander tausend interessante Sachen mittheilen.«

Frau von Montdesier läutete ihrem Jockey.

»Man bringe schnell zwei Couverts und lasse niemand herein.«

So waren mir denn beide in diesem Kasten eingesperrt, zwar an Raum gebrach es uns nicht darin, aber wir hatten die Aussicht eine ganze Nacht daselbst zuzubringen. Ich befand mich dabei sehr gut, denn da ich der Marquise eine bequeme Stellung geben wollte, so schloss ich sie in meine Arme. Welcher Mensch hätte bei den allmächtigen Reizen einer so dringenden Versuchung, wie diejenige war, der ich unterlag, nicht sein Herz unruhig schlagen, und alle seine Lebensgeister in Aufruhr gerathen und sein Blut in Wallung zu gerathen gefühlt; Frau von B... selbst! ach! welche Tugend wäre hier nicht unterlegen! – Meine ersten Liebkosungen versetzten sie jedoch in eine mit Schrecken vermischte Überraschung.

»Faublas, ist's möglich! können Sie jetzt daran denken?«

Der Marquis, glücklicher in seiner Liebe, als ich, zwang mich meine Bemühungen einzustellen.

Es war jetzt eine Stille im Zimmer, die uns verrathen hätte, wenn ich mir die geringste Bewegung erlaubte.

»Schöne Freundin, es scheint mir, Ihr Gemahl begeht eine Untreue an Ihnen.«

»Was liegt mir daran; ich bitte Sie, mein Freund, meine wahrhaft ärgerliche Lage nicht zu missbrauchen; an allem Andern liegt mir nichts.«

Diese Vertraulichkeiten wurden auf einmal durch die Rückkehr des kleinen Bedienten unterbrochen; er brachte den Tisch; wir hörten, dass er ziemlich nahe an unsern Kasten gestellt wurde.

Sobald das Essen aufgetragen war, schickte Justine ihren Jockey weg.

»Jetzt sind wir frei,« sagte sie zu Herrn von B... »schwatzen wir! Herr Marquis, ich bin entzückt, Ihnen anzugehören. Dies ist eine Eroberung, die ich zu sehr wünschte, als dass sie mir hätte entgehen können; aber warum gelingt es mir so spät? durch welchen Zufall haben Sie mir gar keine Aufmerksamkeit geschenkt, so lang ich bei Ihnen wohnte?«

»Ach, im Hause meiner Frau, wo denkst Du hin?«

»Ich bitte Sie, Herr Marquis, seien Sie aufrichtig, alle Männer machen es so! Sie lieben mich jetzt, weil ich etwas bin und keine dienende Stellung mehr einnehme.«

»Du scherzest! habe ich nicht deutlich in Deiner Physiognomie gesehen, dass Du etwas werden würdest? Justine, ich versichere Dich, dass ich von jeher auf Deinem Gesichte gesehen habe, dass Du Glück machen würdest. Ich habe mir stets gesagt: ich bemerke in der Miene dieses Mädchens, ich weiß nicht was, was mir am Ende noch gefallen wird.«

»Aber erinnern Sie sich gütigst, Herr Marquis, dass Sie mich sehr barsch aus Ihrem Hause fortschickten.«

»Ich war im Zorn. Man wollte mich glauben machen, meine Frau hintergehe mich. Aber es war reine Verleumdung, denn Frau von B... hat mir die nothwendigen Aufschlüsse gegeben. Fräulein von Faublas, die ein sehr aufgewecktes junges Mädchen ist, hatte den Namen Duportail angenommen, um in einem Amazonenkleide auf den Ball zu gehen. Also hat die Marquise mit dem Fräulein von Faublas Bekanntschaft gemacht; das Fräulein hat in dem Bett von meiner Frau geschlafen. Am andern Tage begleiteten wir das angebliche Fräulein Duportail zurück; sie war genöthigt, uns zu ihrem angeblichen Vater zu führen; aber wir trafen dort ihren wirklichen Vater, der sie behandelte, wie man ein Mädchen behandelt, dessen Aufführung nicht ganz gut ist. Jetzt kenne ich ihn, diesen Baron von Faublas! ich habe zweimal Gelegenheit gehabt, seinen Charakter und seine Physiognomie zu prüfen; es ist ein lebhafter, auffahrender, bisweilen brutaler Mann, der nichts von Schonung weiß.

»Wäre es der Jüngling gewesen, den wir so verkleidet zurückgebracht hätten, so hätte er gerufen:

»Es ist mein Sohn!«

»Also war es das Fräulein Duportail, das abends in der Amazonenkleidung kam; und am andern Tag . . .«

»Am andern Tag? nein, es war ihr Bruder.«

»Ihr Bruder, ich weiß es ganz genau.«

»Aber hat man Ihnen auch gesagt, warum ihr Bruder?«

»Weil Herr von Rosambert ihm zusprach, diesen schlechten Spass zu machen. Herr von Rosambert hatte seine Gründe; er war in meine Frau verliebt und wüthend nur Verachtung zu finden; er wollte sich rächen. Er schickte daher den Chevalier in den Kleidern seiner Schwester zur Marquise; und den Umstand benützend, kam er am Abend zu meiner Frau und fing einen Auftritt an, einen schrecklichen Auftritt, der sie auffallend kompromittieren konnte. Dieses Betragen Rosamberts scheint mir ehrlos; auch werde ich den Herrn Grafen in meinem Leben nicht wieder sehen.«

»Aber, sagen Sie mir, Herr Marquis, was ist aus Fräulein von Faublas geworden?«

»Fräulein von Faublas! sie hat sich zuerst mit Herrn von Rosambert und dann mit andern in die engsten Verbindungen eingelassen. Sie gab Diesem Rendezvous und Jenem Rendezvous, das bin ich fest überzeugt. Ich habe einen Brief gefunden, den sie an einem sehr verdächtigen Orte gelassen hatte, und sie selbst, das lose Vögelchen, habe ich in der Gegend des Boulogner Wäldchens gesehen.«

Der Marquis hörte nicht auf zu sprechen; aber nachdem ich Alles von ihm erfahren hatte, was ich so sehr zu wissen wünschte, hörte ich auf, ihm Aufmerksamkeit zu schenken.

Ein dringenderes Interesse gebot mir eine angenehme Beschäftigung. Frau von B... in einer ungünstigen, oder mindestens unbequemen Stellung, überdies durch die Furcht gehört zu werden, gefesselt, wagte keine starke Bewegung und sagte:

»Faublas, mein Freund, lass mich wenigstens wissen, ob sie nicht, auf ein Geräusch aufmerksam gemacht, unser Versteck entdecken werden. Trachte zu sehen, in welcher Ordnung sie am Tische sitzen!«

»Justine vorn.«

»Gegen diesen Kasten?«

»Ja.«

»Und der Marquis?«

»Kehrt uns den Rücken.«

Kaum hatte ich dies gesagt, als die Marquise schneller als der Blitz sich aus meinen Armen losmacht, unsere Thüre heftig aufstößt, sich aus dem Kasten hinausstürzt, auf den Tisch losrennt, ihn umwirft und . . . bereits sehe ich nichts mehr.

Die Thüre ist gegen mich zurückgeworfen, die Kerzen sind ausgelöscht, ich kann das Geräusch von fünf oder sechs sehr schnell gegebenen Ohrfeigen hören: ich kann Frau von B... mit festem Tone also sprechen hören:

»Sie, kleines Geschöpf, das ich aus der Hefe des Volks und des Elends hervorgezogen habe, es steht Ihnen wohl an, die tiefe Ehrfurcht zu vergessen, die Sie Ihrer Wohlthäterin schuldig sind, und die Privataufführung derselben zum Gegenstand Ihrer geheimen Gespräche, Ihrer unverschämten Neugierde und Ihrer frechen Bemerkungen zu machen.

»Besonders finde ich es sehr keck, dass Sie meinen Gemahl zu liederlichen Orgien verleiten. Und Sie, mein Herr, dies ist also der Preis, womit Sie meine grenzenlose Anhänglichkeit bezahlen? ich dachte mir wohl, dass einige Eroberungspläne Sie nach Longchamps führen, ich habe Sie verfolgen lassen, man hat Sie gesehen, ich selbst habe Sie unter dem Gefolge einer Buhlerin gesehen, und auch im Begleitung eines jungen Menschen, mit dem Sie aus Rücksicht für mich nie weder öffentlich noch unter vier Augen sprechen sollten; man hat Sie zurückgehen sehen, um diese Person wegen ihres Unfalles zu trösten, den sie sich durch ihre Frechheit zugezogen hatte. Sie haben sie dann im Triumphe nach Hause geführt.

»Und Sie, mein Fräulein, mögen wissen, dass, wer sich gewerbsmäßig verkauft, der muss darauf gefasst sein, dass sich seine Dienerschaft vom ersten besten bestechen lässt.

»Ich war in diesem Zimmer versteckt, wo ich Sie, mein Herr, bald mit Ihrer Geliebten ankommen sah, ich war diesmal fest entschlossen, mir endlich den sichern Beweis von Ihren täglichen Treulosigkeiten zu verschaffen; und ich habe mir diese Beweise verschafft, ich darf mich jetzt nicht mehr wundern.

»Dieses hübsche Mädchen ist Ihrer Zärtlichkeit so würdig. Indes beruhigen Sie sich! ich werde nie mehr weder über Sie noch über das Fräulein zornig werden; es reut mich sogar bereits, dass ich mich in der ersten Bewegung eine Gewaltthat gegen sie erlaubt habe. Diese Scene, das verspreche ich Ihnen, wird die letzte sein, die sich die eifersüchtige Marquise erlauben wird; und um mich fortwährend Ihrer äußerst verbindlichen Ausdrücke zu bedienen, meine Anbetungen werden Sie nicht mehr belästigen. Herr Marquis, erinnern Sie sich des Tages, da leere Gerüchte und gehässiger Argwohn von Ihrer Seite mich anklagten! wenn ich mich nicht gerechtfertigt hätte, wenn es mir nicht gelungen wäre, Sie von meiner Unschuld zu überzeugen, so waren Sie im Begriff, von Ihren Rechten Gebrauch zu machen. Nun denn, mein Herr, Sie haben soeben hier auf Justinens Sopha über sich selbst das Urtheil gefällt.

»Ich erkläre Ihnen, dass ich von nun an einsam, aber frei leben werde. Sie indes, Herr Marquis, werden jetzt noch ein wenig glücklicher, als vorher, unbelästigt so viele Maitressen haben, als Ihnen beliebt, alle Frauen, denen Sie gefallen, alle Mädchen, die Ihnen gefallen . . . diese hier ausgenommen. Ich will dieser Ihre Freigiebigkeit nicht zu gut kommen lassen und das ist meine einzige Rache.

»Ich sage entschieden, dass wenn sich das Fräulein noch ein einziges Mal erlauben sollte, Sie in ihrem Hause zu empfangen, ich sie unbarmherzig fortführen lasse.

»Mein Herr, ich schmeichle mir, dass Sie die Güte haben werden, mir den Arm zu reichen, um mit mir ins Hotel zurückzukehren.«

»Ja, ich verstehe Sie, Frau Marquise!« rief Justine, die, als sie den Marquis und seine Gemahlin bis ins Vorzimmer zurückbegleitet hatte, sich allein glaubte; »ich verstehe Sie, Sie werden mich für dieses Opfer gehörig entschädigen; meine Sachen werden um so besser gehen, weil ich dann Herrn von Valbrun behalten werde.«

Während Justine mit sich selbst sprach, blieb ich in dem Kasten, erstaunt über das, was ich gehört hatte.

»Ah! ein schöner Auftritt!« und Justine fing an aus Leibeskräften zu lachen. »Wie hätte ich ahnen können, dass diese Frau hier wäre, in diesem Kasten!«

Sie öffnete ihn und fand mich darin.

»Ha! und der Andere auch! Mein Gott, ich vergehe vor Lachen! der Auftritt schien mir schön, aber so ist er noch weit besser! wie, Herr Chevalier, Sie waren hier! wie, wir waren zu vier! Ich hoffe, mein Herr, Sie haben eine so schöne Gelegenheit, Ihre Rechte wieder zu erlangen, nicht unbenutzt gelassen?«

»Justine, sprich mir nicht davon! Du siehst mich noch ganz erstaunt über ihre Geistesgegenwart, über ihre glückliche Kühnheit; durch eine teuflische List, eine Weiberlist, hat sie mir den Sieg entrissen, den Sieg, dessen ich mich schon sicher glaubte.«

»Dies thut mir wirklich leid, es wäre so noch spasshafter gewesen. Indes ist dies kein Unglück. Wenn ich es geahnt hätte, dass Sie, Herr von Faublas, ganz in der Nähe wären . . .

»Wissen Sie aber, dass mich der Gedanke an diese prächtige Rache entzückt . . . hier, fast unter den Augen seiner Frau; aber es geschah früher auch unter den Augen des Gemahls, dass die tugendhafte Dame Sie, Herr Chevalier, anbetete, wie sie es vorhin dem Marquis so komisch zu verstehen gab!

»Ah! das ist eine Musterfrau! sie hat ihm wüthende Erklärungen gemacht! er hat harte Wahrheiten gehört, der arme Mann! sie hat ihm nicht einmal Zeit gelassen, wieder zu sich zu kommen. Ich wollte, Sie hätten wie ich das Gesicht gesehen, das er machte; die Augenbrauen in die Höhe, der Mund offen, die Augen starr; ich wette, dass er nach Hause kommt, ehe er die Kraft findet, ein Wort zu erwidern.«

In jeder ihrer Hände eine volle Geldbörse wiegend, fügte Frau von Montdesier hinzu:

»Was mich besonders freut, ist, dass ich mich bereichern werde, der Mann zahlt mich, um mich zu liebkosen, und die Frau, um mich zu schlagen.«

»Wie so, das verstehe ich nicht recht.«

»Ich habe diese da auf meinem Sopha erhalten; diese hier hat mir die Frau Marquise, ehe die Kerzen wieder angezündet wurden, auf eine sehr geschickte Art mit der einen Hand gegeben, während sie mir mit der andern diese kleinen Ohrfeigen versetzte, die mir mehr Angst als weh gethan haben. Herr Chevalier, wenn Ihre Gräfin die Schläge, die sie gibt, wenigstens auch so bezahlen würde.«

»Justine, ich denke, der Marquis und seine Gemahlin sind schon weit genug, dass ich mich entfernen kann. Gute Nacht!«

»Wie! wirklich! was ist aus der Liebe geworden, die Sie für mich hatten?«

»Die Liebe ist schwach geworden, meine Kleine, oder vielmehr sie ist entschwunden.«

»Ach, suchen Sie doch, dass sie eines Tages wiederkehre,« sagte sie nachlässig, sich im Spiegel betrachtend; »und wenn sie wiederkehrt, so kommen Sie damit zurück. Sie werden immer gut aufgenommen werden; aber ehe Sie gehen, essen Sie doch wenigstens ein bischen.«

»Du hast Recht, ich sterbe vor Hunger . . . doch nein, es ist schon spät! mein Vater muss unruhig sein; lebe wohl, Justine!«

Sobald ich mich am Thore des Hotels zeigte, rief der Schweizer:

»Da ist er! da ist er!« Ebenso wiederholte Jasmin auf der Treppe.

»Ist er nicht verwundet?« fragte mein Vater, der auf mich zueilte.

»Nein,« rief ich; »Sie haben mich also unter der Masse mit Herrn von B... gesehen?«

»Ja, ich habe Dich gesehen, mein Sohn, ich habe mich umsonst angestrengt, mir einen Weg zu Dir zu bahnen; seit drei langen Stunden, dass ich wieder hier bin, sterbe ich vor Unruhe. Was ist Dir denn begegnet? wie hat Dein Gegner Dich so lange aufgehalten?«

»Die Sache verhält sich so: als wir uns der Menge entziehen konnten, waren wir beide sehr erhitzt.«

»Du hast ihn vielleicht getödtet?«

»Nein, nein, mein Vater, aber er hat mich genöthigt . . .«

»Abermals ein Duell?«

»Ganz und gar nicht, mein Vater! hören Sie doch das Ende! er hat mich genöthigt, ihn nach Saint-Cloud zu begleiten, zu einem Freunde, den er dort hat, und bei diesem Erfrischungen einzunehmen . . .«

»Und deshalb bin ich hier vor Angst beinahe vergangen, während Du Dich belustigtest?«

»Hören Sie, mein Vater! Herr von B... hat nur einen Kummer, den, dass er mir arg mitgespielt hat; er ist untröstlich darüber und hat mich zwanzigmal um Verzeihung gebeten; er liebt mich, er ehrt mich, ebenso wie Sie, mein Vater; ich bin beauftragt, Sie seiner Achtung zu versichern.«

Mein Vater gab sich Mühe bei diesen Worten ernsthaft zu bleiben; da es ihm aber nicht gelang, kehrte er mir den Rücken. Frau von Fonrose, die nicht dieselben Gründe hatte, an sich zu halten, überließ sich ihrer Heiterkeit nach Herzenslust.

Ihre Blicke bedeuteten mir jedoch, dass sie begreife, wo ich Erfrischungen eingenommen habe. Nachdem sie genug gelacht hatte, verließ uns die Baronin.

»Ich gehe,« sagte sie zu uns, »weil ich morgen bald aufstehen muss, um auf das Schloss der kleinen Gräfin zu reisen.«

Man weckte mich um sieben Uhr des andern Morgens, um mir ein Billet von Justine zu übergeben; der Inhalt lautete:

»Herr Chevalier!

Der Vicomte von Florville ist bei mir, um mir diesen Brief zu diktieren. Es thut ihm sehr leid, dass dringende Angelegenheiten ihn gestern verhindert haben, mir in Ihrer Gegenwart zu sagen, was er von meinem Betragen gegen die Frau Gräfin halte. Ein Mädchen meiner Art muss wahrhaftig den Kopf verloren haben, um die unverschämte Frechheit zu haben, eine Frau von ihrem Range öffentlich zu beschimpfen. Meine tolle Schamlosigkeit hätte auch Herrn von Florville bloßstellen können, weil, wenn Sie ihn nicht genau kennen würden, Sie, Herr Chevalier, vielleicht den Verdacht gefasst hätten, er habe Antheil an dieser gehässigen Aufführung. Indes verzeiht mir der Herr Vicomte für seine Person; aber er zweifelt, ob Sie zu gleicher Nachsicht geneigt sind; und er kündigt mir an, dass, wenn Sie mir nicht verzeihen, der schwache Schutz des Herrn Valbrun und anderer, obschon gewichtigere Rücksichten es nicht hindern werden, dass ich heute Nacht nach . . . gehe. Herr von Florville hat die Güte, mir die Demüthigung zu ersparen, dieses Wort zu schreiben.

Ich bin mit Reue, mit Angst, mit Ehrfurcht u.s.w.

Montdesier.«

»Melde dem Herrn Vicomte meine tiefste Hochachtung, armes Kind, und versichere ihn meiner ganzen Erkenntlichkeit; aber sage ihm, dass seine Besorgnisse ungegründet seien, dass es mir nie einfallen könnte, von ihm zu glauben, er wäre im Stande, Mittel, wie die gestrigen, und ein Mädchen wie Dich zu gebrauchen, um die Frau Gräfin zu ärgern. Du wirst nicht ermangeln, hinzuzufügen, dass ich Dir verzeihe aus dreifacher Rücksicht, auf den Hieb, auf den Fall und auf die Ohrfeigen von gestern. Indes es geschah Dir wohl, meine Kleine!«

Inmitten dieser sonderbaren Ereignisse kam die Erinnerung an meine Sophie in meine Seele; dieser Gedanke verbannte alle übrigen jugendlichen unüberlegten Schritte, wozu mich nicht nur mein allzu leidenschaftlicher Charakter, aber auch die Eifersucht der beiden Nebenbuhlerinnen antrieb. O, meine Gattin, die ich immer gleich heiß geliebt, und mit jedem Tag sehnlicher herbeiwünschte, wann wirst Du kommen, um durch Deine Gegenwart die lebhaften Eindrücke zu schwächen und zu zerstören, die auf den Geist und das Herz Deines jungen, gegen so viele Versuchungen zu schwachen Gemahls die Zärtlichkeiten und die Reize Deiner Nebenbuhlerinnen ausüben?

Was vermag ein Sterblicher gegen das Geschick? In demselben Augenblicke, wo ich die schönsten Entschlüsse fasste, bereitete sich mein böser Genius vor, mir mehrere Treulosigkeiten aufzuerlegen, von denen, ich muss es gestehen, es ungerecht wäre, sie ganz nur mir allein zur Last zu legen.

Frau von Fonrose, die ich schon ferne glaubte, kam gegen Mittag und kündigte uns an, eine leichte Unpässlichkeit habe sie in der Stadt zurückgehalten, daher sie mit uns zu Mittag speisen wolle, und sogleich wurde beschlossen, nach Tisch einen Spaziergang in die Tuilerien zu machen.

Ich lehnte die Partie ab.

Vor Tisch sagte Frau von Fonrose, die mein Vater einige Augenblicke mit mir allein gelassen hatte, zu mir:

»Sie haben wohl daran gethan, dass Sie nicht mit uns gehen wollten; freuen Sie sich, heute Abend werden Sie Frau von Lignoll sehen.«

»Ist es wohl möglich? welches Glück!«

»Hören Sie und danken Sie mir; diesen Morgen, als ich an meiner Toilette saß, ist mir ein prächtiger Gedanke gekommen; ich eilte zur Gräfin, um ihr denselben mitzutheilen; aber wie sie schon immer zu rasch ist, war sie es auch diesmal und ich fand sie nicht mehr zu Hause, sie war bereits abgereist.

»Sogleich bin ich zu der alten Tante gegangen und habe ihr mitgetheilt, Fräulein von Brumont habe eben erst die Erlaubnis erhalten, nach Gatinois zu gehen, und ersuche die Frau Marquise durch mich, ihre Reise um einige Stunden aufzuschieben und sie in ihrem Wagen aufzunehmen.«

»Und warum nicht in dem Ihrigen?«

»Eine schöne Frage! weil ich mich aufopfere! damit Sie auf's Land gehen können, muss ich zu Hause bleiben.

»Nach dem Concert nehme ich Ihren Vater mit mir, und ich habe, um ihn die ganze Nacht aufzuhalten, ein Mittel, das ich Sie errathen lassen werde, junger Herr! Der Baron wird um so weniger Schwierigkeiten machen, als er, von der Entfernung der Frau von Lignoll unterrichtet, von keiner Gefahr sprechen kann, Sie sich selbst zu überlassen.

»Der Baron wird bleiben, das verspreche ich Ihnen; ich verpflichte mich sogar ihn den ganzen morgigen Tag bei mir zu behalten. Morgen werde ich es so einrichten, dass er erst um Mitternacht nach Hause kommt; sorgen Sie dafür, dass Sie jedenfalls vor neun Uhr wieder da sind.

»Sobald Ihr Vater und ich fort sind, wird Agatha kommen und Sie frisieren und ankleiden.

»Sie fahren dann unverweilt zu Frau von Armincour. Vergessen Sie ihre Adresse nicht.«

»Fürchten Sie nichts, meine edelmüthige Freundin; wie können wir Ihnen aber für so viele Aufopferung danken? Ich weiß gewiss, dass die Gräfin auch meine Gefühle der Dankbarkeit theilt.«

»Mein lieber Chevalier, halten Sie mich nur nicht für allzu selbstlos, etwas wird dabei doch auch für mich abfallen; oder scheine ich Ihnen denn zu matronenhaft, als dass ich dabei nicht auch ein kleines Vergnügen für mich bereit hielte? Oh, Ihr Verliebten seid doch Alle gleich, und denkt nur an Euch!

»Es wird vielleicht sechs Uhr, bis Sie wegfahren, doch werden Sie immer noch zeitig genug ankommen, um eine glückliche Nacht bei der Gräfin zu haben. Morgen werden Sie beim Feste der Frau von Lignoll zur Seite stehen, die etwas matt sein dürfte und der es schwer ankommen wird, die Hausfrau zu machen. Es gibt nun einmal keine Freude ohne Leid, und ich bin überzeugt, dass ihr blasses Gesichtchen Ihnen interessanter erscheinen wird.

»Aber Geduld! auch Sie werden Ihre Strafe haben; denn Sie dürfen dem Hauptessen nicht beiwohnen; ich bin zwar untröstlich darüber, Ihnen dies sagen zu müssen.

»Schlag zwei Uhr müssen Sie Post nehmen; Chevalier, versäumen Sie das ja nicht, achten Sie auf die Bitten Ihrer unbesonnenen Geliebten nicht! bedenken Sie, dass Sie die Gräfin bloßstellen würden, mich aber beleidigen, und sich selbst auf immer die einzige Hilfe rauben, die Sie bei Ihrer Freundin, wie ich Ihnen eine bin, haben.«

Als mein Vater zurückkam, war die Baronin genöthigt das Gespräch zu ändern. Es ging Alles so glücklich, wie Frau von Fonrose mir angekündigt hatte.

Vor fünf Uhr war Faublas verkleidet, und Fräulein von Brumont wurde schlag fünf Uhr bei der alten Marquise gemeldet. Ich sah dort ein schlankes, aufgeschlossenes, ziemlich großes Mädchen, das auf seinen fünfzehnjährigen Wangen bloß die frischen Farben der Natur hatte und mich zu dem Ausrufe veranlasste:

»Ein hübsches Mädchen, Frau Marquise.«

»Es ist eine Cousine der Gräfin, Fräulein von Mesanges. Ich habe sie aus ihrem Kloster geholt, um sie auf dieses Fest mitzunehmen.«

»Das Fräulein wohnt dieser Feierlichkeit vielleicht das erste Mal bei?«

»Aber sagen Sie mir, waren Sie gestern nicht mit der Gräfin in Longchamps?«

»Nein, Madame.«

»Ich habe dort jemand gesehen, der viele Ähnlichkeit mit Ihnen hatte,« versetzte die Marquise.

»Wo dies, Madame?«

»In Longchamps.«

»Dies ist wohl möglich,« sagte ich gleichgiltig; es galt jedoch der alten Marquise jeden Verdacht auszureden, und ich bemühte mich deshalb, das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu lenken, und sagte daher:

»Es ist wirklich ein reizendes Mädchen, und schon heiratsfähig.«

»Wir denken auch darauf,« erwiderte die alte Witwe.

»Und Sie, mein Fräulein?« fragte ich.

»Ich,« antwortete Agnes, verlegen die Augen niederschlagend und ihre Hände kreuzend, »ich! ach, das geht mich nichts an; man hat mir nur gesagt, dass man mir es sagen würde, wenn es Zeit ist.«

»Ja,« rief die Marquise, »wir werden es ihr sagen, wenn es Zeit sein wird, und Sie in Kenntnis von unserem Vorhaben setzen. Fräulein von Brumont wird mit Ihnen sprechen. Den Tag vorher werden Sie mit ihr sprechen, nicht wahr?«

»Ich werde stets bereit sein Ihnen zu dienen, Frau Marquise.«

»Es soll ihr nicht dasselbe Unglück begegnen, wie meiner armen Nichte. Es könnte ihr leicht begegnen. Wahrlich, sie weiß noch gar nichts. Aber ich ersuche Sie, sie zu belehren.«

»Mit vielem Vergnügen.«

»Noch nicht jetzt, aber wenn der Augenblick wird gekommen sein, bitte ich Sie Ihr ganzes Talent darauf zu verwenden.«

»Die Frau Marquise kann sich auf mich verlassen.«

»Ja, ich weiß es gut, und ich kenne kein gefälligeres, kein klügeres Mädchen als Sie.«

Wir machten uns bereit zu gehen, und als wir in den Wagen stiegen, konnte ich nicht umhin die Bemerkung zu machen, dass Fräulein von Mesanges ein hübsches Bein und einen sehr kleinen Fuß hatte.

Und unterwegs konnte ich nicht umhin, zuweilen meine Augen länger, als nöthig gewesen wäre, auf einem sehr verrätherischen Spitzentuche ruhen zu lassen, welches den zarten Busen meines reizenden vis-à-vis verhüllen sollte.

Ich konnte nicht umhin, ganz leise zu mir zu sagen, dass der glückliche Sterbliche zu beneiden sein wird, der dieses liebliche Wesen sein eigen nennen wird.

Fräulein von Mesanges, sei es nun aus Instinkt oder aus Sympathie, schien viele Freundschaft für mich zu haben, sie hatte sich mir schon innig angeschlossen, als wir ins Schloss kamen. Hier schlief Alles, nur eine einzige Kammerfrau wachte noch wegen der Frau Marquise und ihrer jungen Verwandten. Die Gräfin hatte Sorge getragen, ihren werten Gästen ihr eigenes Zimmer vorzubehalten; ihre Tante sollte ihr Bett bekommen, ein anderes war für die Cousine im anstehenden Kabinet aufgeschlagen. Was Fräulein von Brumont betrifft, so hatte man sie nicht erwartet.

Alles war im Schlosse besetzt, denn alle Jahre zur Zeit dieses Festes empfing die Marquise ihre ganze Familie bei sich; aber diesmal brachte jeder noch andere Freunde mit und deshalb war Mangel an Platz.

Mein erstes Wort war, man solle die Gräfin wecken.

Die alte Marquise wurde fast böse, als ich diesen Vorschlag machte; sie sagte, es sei unzart, ihre Nichte zu stören, und junge Leute könnten wohl beisammen schlafen und müssten nicht wegen einer Nacht solche Einwendungen machen. Das junge Mädchen meinte, es wäre sehr unterhaltend die ganze Nacht mit einander zu plaudern, und es müsste nicht jeder besonders in einem Bette schlafen. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich zu meiner Leonore gelangen könnte, aber die Tante gab strengen Befehl, ihre Nichte nicht zu stören und uns beide, Fräulein Mesanges und mich, zu entkleiden; ich musste darauf bedacht sein diesem Befehle eine Opposition zu stellen. Ich sah, wie die Kammerfrau die Tante bereits ihres ganzen Toilettschmuckes beraubt hatte. Unter welchem Vorwand konnte ich ihren allzu gefährlichen Dienst ausschlagen?

Ich entkleidete mich daher schnell und lief nach dem Kabinet; und schon hatte ich den Fuß in das nette Bett gesetzt, wo die Fräulein von Mesanges und von Brumont die Nacht über neben einander zubringen sollten.

Aber zu meinem großen Schreck hatte sich die Tante anders besonnen. Sie halte sich wahrscheinlich an mein bekanntes Talent, alles zu erklären, erinnert, und sie fürchtete vielleicht, ich möchte ihre Agnes über manche Sachen aufklären, wo sie dachte, es sei noch zu früh.

»Ich habe mir die Sache überlegt, Fräulein von Brumont, und Sie müssen bei mir schlafen!«

Ich war nicht wenig über diesen Vorschlag empört, ebenso war es aber das junge Mädchen.

»Wie! meine gute Tante, aus Furcht, wir möchten ein wenig geniert sein, setzen Sie sich der Unannehmlichkeit aus, eine schlechte Nacht zuzubringen?«

»Ängstige Dich nicht, meine kleine Agnes; Du weißt, dass ich einen ausgezeichneten Schlaf habe.«

Ich versuchte eine letzte Einwendung:

»Wie! Frau Marquise, Sie hatten die außerordentliche Güte für mich zu erlauben, dass ich mit Ihnen schlafe und Sie belästige?«

»Durchaus nicht, mein Engel! Sie werden mich gar nicht belästigen, dieses Bett ist ja sehr groß, und wir werden uns sehr gut darin befinden.

Ich versuchte meine freundlichen Vorstellungen zu wiederholen, wurde aber durch ein rauhes und gebieterisches »Ich will es!« unterbrochen.

Ich musste mich entschließen, so schnell als möglich dieser Aufforderung nachzukommen, um keinen Verdacht zu erregen, denn es war wirklich eine sehr kritische Lage, und ich musste alle Vorsicht anwenden, um Faublas allen Augen zu entziehen, deshalb eilte ich trotz eines mächtigen innern Sträubens, das nette Lager eines reizenden Kindes zu verlassen und das große und bequeme einer sechzigjährigen Matrone zu theilen.

»Kommen Sie näher, meine Liebste, kommen Sie näher,« sagte sehr zärtlich Frau von Armincour.

»Nein, Frau Marquise, nein, ich würde Sie belästigen.«

»Sie werden mich nicht belästigen, mein Herzchen.«

»Ich habe die Ehre Ihnen gute Nacht zu wünschen, Frau Marquise.«

»Sie sind also sehr schläfrig?«

»O, sehr! ich kann meine Augen kaum aufhalten.«

»Nun denn, genieren Sie sich nicht, es ist Platz da . . . aber wo sind Sie denn? warum ganz auf dem Rande des Bettes?«

Sie machte eine starke Bewegung; wenn meine Hand die ihrige nicht aufgehalten hätte, guter Gott! was hätte sie entdeckt.

»Ach, Madame, berühren Sie mich nicht, ich werde sonst sehr nervös.«

»Beruhigen Sie sich, ich wollte nur wissen, wo Sie sind; aber ganz nach Bequemlichkeit, legen Sie sich doch wieder.«

»Gute Nacht, Madame!«

»Aber, meine Kleine, bleiben Sie doch nicht ganz auf dem Rande, warum dieser Eigensinn, warum nicht näher rücken? es ist mehr Raum da, als man braucht.«

»Ich habe die Ehre Ihnen gute Nacht zu wünschen, Frau Marquise.«

»Wie viel Uhr kann es sein?«

»Ich weiß es nicht, Madame, aber ich wünsche Ihnen gute Nacht.«

Endlich hatte die gesprächige Tante die Güte, mich nun auch das so lebhaft gewünschte: »Gute Nacht!« hören zu lassen.

Dieses »gute Nacht!« freute mich sehr, denn es zu hören wünschte ich sehnlichst.

Sobald die Marquise zu schnarchen anfing, schien es mir, als ob man mit leiser Stimme rufe: Meine liebe Freundin!

Ich glaubte, es sei ein Spiel meiner aufgeregten Einbildungskraft. Ich erhob den Kopf und lauschte auf das geringste Geräusch: ein zweiter Ruf mit gedämpfter Stimme traf mein Ohr.

»Liebe Freundin, können Sie schlafen?«

»Nein, wahrhaftig, ich kann nicht, und ich dächte, es wäre viel unterhaltender, wenn mir mit einander schwatzen würden.«

»Wenn Sie dies glauben, so kommen Sie doch.«

»Von Herzen gern; aber die Marquise?«

»Trösten Sie sich, Fräulein von Brumont, wenn sie schnarcht, so ist es ein Zeichen, dass sie schläft. Sie riskieren nichts; kommen Sie!«

»Von Herzen gern, liebe Freundin; aber Sie sind eingeschlossen, ich kann nicht zu Ihnen!«

»Gewiss, man schließt mich immer ein, ich hätte sonst Angst –«

»Wie soll ich denn hineinkommen?«

»Die Frau Marquise hat mich eingeschlossen und den Schlüssel in ihre Tasche gegeben. Sie können denselben aber in Finstern leicht finden, am Fuße ihres Bettes auf dem zweiten Lehnstuhl links.«

Ohne das geringste Geräusch zu machen, fand ich den Lehnstuhl, die Tasche, den Schlüssel, das Schloss. Ich fand meine liebe Freundin, die mich in ihrem Bett empfing, um zu plaudern. Das liebenswürdige Kind! Ich fing meine Belehrungen auf eine sehr geschickte Art bei meiner naiven Freundin anzuwenden; bald ging ich zu einem Thema über, welches das Mädchen in Verwunderung versetzte. Ich weidete mich an ihrer Neugierde, ihrer Unruhe und süßem Irrthume.

War es nicht sehr grausam, das Schlachtfeld in dem Augenblicke verlassen zu müssen, wo mein Sieg sich entschied? und doch musste es sein. Die Marquise, die plötzlich aus ihrem ersten Schlafe aufweckte, wurde unruhig und murmelte die Worte:

»Mein Gott! es ist ein Traum! Meine Kleine, Sie haben mich plötzlich aufgeweckt.«

»Grollen Sie mir nicht, Frau Marquise!«

»Ach! ich will Ihnen meinen Traum erzählen!«

»Aber, Madame, Sie werden dann nicht mehr einschlafen können.«

»Ich kann es, sobald ich es will, sagen Sie mir, mein Engel, woher nimmt man doch, was man in den Träumen sieht? Die Scene war hier; ich träumte, ein junger Mann umfasste mich mit Gewalt.«

»Frau Marquise! welcher Mensch könnte doch diese Kühnheit haben?«

»Rathen Sie.«

»Ich war es nicht.«

»Nein, Sie konnten es nicht sein, aber offenbar war es Ihr Bruder . . .«

»Ich habe keinen Bruder.«

»Ich sage nicht, dass Sie einen haben, meine Liebe, man träumt alle Tage, was in der Wirklichkeit nicht ist. In meinem Traume war es Ihr Bruder, denn er glich Ihnen auf's Haar!«

»So verzeihen Sie mir denn dieses neue Unrecht.«

»Sie scherzen, Fräulein, erstens sind Sie nicht Schuld daran, und dann ist das Unglück auch nicht groß! aber hören Sie, dies ist nicht Alles.«

»Wie, der Freche hätte vielleicht die Kühnheit gehabt auf's Neue anzufangen?«

»Nein, ich habe ihn bald mich verlassen gesehen, um in dieses Kabinet zu gehen.«

»In dieses Kabinet?«

»Ohne meine Erlaubnis, verstehen Sie?«

»Ohne Ihre Erlaubnis – ?«

Ich war in einer wahren Todesangst, dieser den Umständen so angemessene Traum, hatte die Marquise ihn wirklich gehabt? war es eine späte Warnung, welche die unvorsichtige Ehrenhüterin durch diesen Traum erhielt, oder hatte diese Dame den angeblichen Traum erfunden, um mir deutlich zu verstehen zu geben, dass mein Vergehen entdeckt sei, dass nur eine vollständige Unterwerfung es sühnen könne? Bei diesem letzten Gedanken nahm ich meinen Muth zusammen, um durch einige gewandte Fragen über die wahren Absichten der Frau von Armincour ins Klare zu kommen.

»Ist es Ihr Ernst?«

»Ganz Ernst, mein Herzchen, ja, ich hörte!«

»Sie hatten mir auch gesagt, Sie hätten gesehen? wie konnten Sie ohne Licht sehen?«

»In meinem Traume war es Tag.«

Diese im einfachsten Tone gegebene Antwort gab mir meinen Muth wieder.

»Gute Nacht, Frau Marquise!«

»Nun denn, mein Kind, da Sie es durchaus wollen, gute Nacht!«

Mit diesen Worten schlief sie wieder ein und bald hörte ich ihr Schnarchen auf's neue. Nun wusste ich auch, dass die süße Schäferstunde bald kommen wird; es war das glückliche Signal, wieder zu meiner reizenden Freundin zurückzukehren.

Leise schlich ich zurück, schon lüftete ich mit unendlicher Vorsicht die Decke, als auf einmal das günstige Schnarchen aufhörte.

Eine dicke, rauhe Hand, die mir wie die der Proserpina erschien, fasste mich im Genick und hielt mich eine Zeit lang fest.

»Einen Augenblick!« sagte endlich die Tante, »ich gehe mit Ihnen.«

Sie kam in der That, aber nur, um die Thüre sorgfältig wieder zu schließen.

»Schlafen Sie, mein Kind! schlafen Sie!« rief sie der kleinen von Mesanges zu, »und haben Sie Geduld, mir werden Sie bald verheiraten.«

»Aber, Frau Marquise,« antwortete die liebe Kleine, »ich bin noch nicht heiratsfähig!«

»Ja! ja!« antwortete die Marquise, »kleine Spröde! Sie sehen aus, wie wenn Sie nicht daran dächten! dies wird mich nicht hindern, dass man die Sache in Ordnung bringt, und zwar so bald als möglich. Und Sie, erfahrenes Fräulein!« fügte sie hinzu, mich an der Hand zu ihrem Bette führend, »sehen wir! ob Sie wirklich nur für die Jungen wachen können.«

Einen Augenblick herrschte Stille, dann fragte mich die gute Tante mit ihrer rauhen Stimme, die sie so sehr als möglich zu sänftigen suchte, ob ich ihren Traum vergessen habe, ob ich bloß einen Theil davon in Erfüllung bringen wolle? ah! ich dachte an ihren Traum! ich dachte an die Notwendigkeit durch Aufopferung meiner selbst ein größeres Unglück zu verhüten.

Durfte ich es wagen, mir auf diese Art den ganzen Hass der Frau von Armincour zuzuziehen, durch eine Beleidigung, die keine Frau verzeiht, ihrer Rache Fräulein von Mesanges aussetzen, die so zu sagen auf der That ergriffen worden war, und meine theuere, ohne Zweifel ebenfalls compromittierte Lignoll, so blieb mir also zur Rettung meiner zwei Geliebten und meiner selbst nichts mehr übrig, als eine großmüthige Aufopferung.

Ich fing nun an Zärtlichkeiten an Madame Armincour zu verschwenden, wohl wissend, dass sie nur auf diese Art zu besänftigen sei; und während ich an meine Leonore dabei dachte, vergaß ich die unliebsame Lage.

»Welche Lebhaftigkeit!« rief höhnend die Marquise.

»Sachte, mein Herr! sachte! verhalten Sie sich ruhig an meiner Seite! ich habe Ihnen eine Bosheit anthun können; man ist in jedem Alter, und ich in jedem Augenblicke lustig, wenn es sich nicht um meine Leonore handelt; aber dies hieße den Scherz ein wenig zu weit treiben, wenn ich nicht annehmen wollte, was Sie mir in Ihrer Großmuth anbieten!«

»Madame!«

»Ohne Zweifel werden Sie dieses Kind heiraten?«

»Madame!«

»Antworten Sie ehrlich: Wollen Sie nicht?«

»Von Herzen gern!«

»Oh! ja, er würde die ganze Familie heiraten, nicht wahr?«

»Von Herzen gern, wie ich Ihnen sage, aber –«

»Sehen wir Ihr, aber –«

»Ich kann nicht.«

»Sie sind verheiratet, nicht wahr?«

»Ja, Madame.«

»Es ist so, es ist also gewiss. Es ist etwas Entsetzliches, junge Mädchen zu verführen, die man nicht heiraten kann; denn sie ist verführt, ich vermuthe es!«

»Madame, hören Sie mich an!«

»Sprechen Sie, mein Herr! was geschehen ist, ist geschehen; da lässt sich nicht mehr helfen.«

»Frau Marquise, werden Sie mir nicht böse, ich will Ihnen Alles erzählen.«

Die gute Verwandte, die meine Darstellungen mit häufigen Ausrufungen unterbrach, sagte, als ich nichts mehr vorzubringen hatte:

»Dies ist sehr sonderbar und vermindert das Übel ein wenig. Mein Herr, ich verlange von Ihnen das tiefste Geheimnis, und ich rechne noch auf einen Rest von Ehrenhaftigkeit.«

»Rechnen Sie darauf, Frau Marquise.«

»Sie sehen ein, dass ich dieses Kind nicht bald genug verheiraten kann, die Sache ist nicht schwer; das Mädchen ist hübsch und hat Vermögen. Sie wird so bald als möglich unterbracht werden; und da Sie vielleicht in der Welt von dem Thoren sprechen hören werden, der sich entschloss sie zu heiraten, so lassen Sie sich nicht einfallen, etwas zu erwähnen.«

»Seien Sie vollkommen ruhig! ich sehe wohl ein, dass dieses Abenteuer ganz unter uns zweien bleiben muss.«

»Gut, mein Herr! ich werde zu dem Mädchen nichts sagen, denn was sollte es auch nützen? es ist eine kleine Thörin, die ohne es zu wissen, einmal das große Mädchen gespielt hat; dies ist Alles. Lassen wir ihren lächerlichen Irrthum! nur damit sie ihn weder mittheilen, noch bemerken kann, werde ich Sorge tragen, sie und ihre gute Freundin, denn Sie, mein Herr, haben sich doch als solche betragen, ihrem Kloster zu empfehlen, möglich, dass Sie dort noch andere finden werden. Wenn Sie es jedoch für passend halten, so könnten wir ihre Cousine mit in das Geheimnis ziehen.«

»Ihre Cousine?«

»Ja, Frau von Lignoll.«

»Nein, nein, ich bitte Sie inständigst, Frau von Armincour, thun Sie es nicht, es könnte unangenehme Folgen haben.«

»Sie wollen es nicht? es ist wahr, dass sie zu lebhaft ist, um discret zu sein.«

»Ohne Zweifel, Sie haben vollkommen Recht, Frau Marquise.«

»Übrigens interessiert sie Ihr Betragen vielleicht so sehr, dass . . .«

»Oh! durchaus nicht.«

»Nicht? verzeihen Sie, mein Herr, ich weiß jetzt, dass das junge Mädchen, das ihr Alles erklärt hat, ein sehr hübscher Kavalier ist; und Sie wollen, ich solle mich immer noch von Ihnen hintergehen lassen?«

»Madame!«

»Lassen wir dies! es ist ein sehr zarter Artikel, auf den wir zur Zeit zurückkommen werden. Mein Herr, ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Ruhen Sie, wenn Sie wollen, aber glauben Sie, dass ich nicht mehr einschlafen werde und alle Ihre nächtlichen Ausflüge verhindern will.«

Von dieser Erlaubnis machte ich um so lieber Gebrauch, da mir nach dieser glücklichen, aber auch zugleich verhängnisvollen Nacht der Schlaf wirklich eine große Notwendigkeit war. Man ließ mich seine Annehmlichkeiten nicht lange genießen; die ersten Strahlen des Tages führten Frau von Lignoll zu uns.

Sie kam in unser Zimmer, mit freudigem Ausdrucke in ihrem lieben Gesichte, welches ich über mir geneigt sah, als ich meine Augen öffnete, denn ich wurde durch ihre Küsse aufgeweckt.

»Du bist da, liebe Brumont! welches Glück, ich erwartete Dich nicht. Soeben erfahre ich zufällig –«

Sie ging an die Glasthüre, die zu dem Kabinet führte, und durch die Scheiben sehend, sagte sie:

»Meine liebe Tante, Sie haben sehr wohl gethan, dass Sie meine kleine Cousine ganz allein hierher gelegt haben.«

»Nicht ganz, meine Nichte.«

»Warum, ich bitte, erklären Sie mir dies.«

»Weil ich eine schlechte Nacht gehabt habe.«

»Und sie haben meine Cousine eingeschlossen, das ist noch besser.«

»Besser wie so?«

»Habe ich besser gesagt, meine Tante? ich spreche gedankenlos; denn welche Gefahr könnte ihr drohen?«

»Ohne Zweifel! in einem Zimmer, wo bloß Frauen sind.«

»Warum sind Sie denn erst um zwei Uhr morgens gekommen, meine Tante?«

»Weil ich Ihnen dieses liebe Kind bringen wollte, meine Nichte.«

»Wie gütig Sie sind!«

»Sehr gütig, nicht wahr?«

»Brumont, warum haben Sie mich denn nicht wecken lassen?«

»Grollen Sie ihr nicht, ich habe es nicht zugegeben.«

»Sie haben sehr Unrecht gethan, meine liebe Tante, denn sehen Sie nur, wie verstimmt und traurig meine liebe Freundin ist.

»Du sprichst nichts, meine kleine Brumont, Du bist so schweigsam? sieh, es thut mir ebenfalls leid.«

»Was thut Dir leid, meine Nichte?«

»Dass Sie beide so schlecht geschlafen haben.«

»Du hattest also noch ein Bett für das Fräulein?«

»Sie hätte das meinige getheilt, liebe Tante.«

»Eben das habe ich nicht gewollt, meine Nichte.«

»Sie hätten dann besser geschlafen und wären nicht gestört worden.«

»Ja, aber Du, mein Kind?«

»Wir vertragen uns ganz gut beisammen, glauben Sie mir.«

»Und doch ist sie eine sehr schlimme Bettgenossin.«

»Finden Sie dies, meine liebe Tante? Sie sind also belästigt worden?«

»Wahrlich, wenn dies jede Nacht begegnete; in meinem Alter!«

Frau von Lignoll wurde durch den spöttischen Ton, womit die Tante diese Worte sprach, vollkommen beruhigt. Die gedankenlose Nichte sah die Sache bloß von der spasshaften Seite.

»Aber Du, Brumont,« rief sie mich umarmend, »Du musst eine gute Nacht gehabt haben? meine Tante hat Dich wohl nicht am Schlafen gehindert. Du bist verdrießlich, und ich auch, glaube es. Ich bin untröstlich, dass man Dir mein Zimmer nicht gezeigt hat. Das Alles ist aber doch sehr lustig, Dich so zu sehen da . . . neben der Tante, verzeih' mir, aber ich kann mich nicht mehr zurückhalten.«

Sie brach in der That jetzt in ein schallendes Gelächter aus, das sie einige Zeit zurückgehalten hatte, ihre Lustigkeit war so stark und andauernd, dass sie sich endlich auf's Bett werfen musste.

»Der Tollkopf lacht so herzlich, dass man ordentlich Lust bekommt mitzulachen,« sagte die Marquise, und lachte beinahe noch mehr als die Gräfin. Was konnte ich anderes thun, als einstimmen? unser lustiges Trio machte so viel Lärm, dass Fräulein von Mesanges davon erwachte. Sie klopfte an ihr Fenster.

»Liebe Lignoll,« sagte die Marquise, »öffne diesem Kinde; nimm den Schlüssel aus meiner Tasche.«

Die Gräfin öffnete, und ohne in das Kabinet zu gehen, rief sie ihrer Cousine guten Morgen zu, und setzte sich dann wieder neben mich auf den Rand des Bettes. Die kleine Mesanges flog gerade auf mich zu und sagte mich umarmend:

»Guten Morgen, liebe Freundin!«

»Was ist denn das?« rief die Gräfin überrascht und geärgert; »was sollen diese Vertraulichkeiten und dieser Name, den Sie ihr gegeben? wissen Sie, dass ich nicht will, dass man Fräulein von Brumont umarme, und dass sie niemandens liebe Freundin ist?«

»Gut, liebe Lignoll,« rief die Marquise, »gut! verweisen Sie diese Kleine ein wenig, das will gleich Alles mitmachen.«

Agnes, die kühner wurde, rief:

»Niemandens, liebe Freundin! das ist lustig! ich weiß vielleicht nicht, dass dies meine liebe Freundin ist.«

»Was sagen Sie dazu, Fräulein Brumont?«

»Aber, meine Cousine,« versetzte Frau von Lignoll, »nehmen Sie doch ein Tuch um, Sie sind ganz nackt.«

»Und warum das?« entgegnete die Andere; »es sind ja keine Männer da.«

Die Marquise sah sie streng an und sagte in rauhem Tone:

»Nein, es sind keine Männer da! aber es sind Frauen da, Frauen, verstehen Sie? kleine Thörin!«

Sie nahm sie bei der Hand, schaute ihr scharf in die Augen und sagte streng:

»Was haben Sie denn heute Nacht getrieben, sie sehen so blass aus.«

»Nichts habe ich getrieben, ich habe nicht einmal geschlafen.«

»Warum haben Sie nicht geschlafen?«

»Warum? weil ich immer Achtung gab, um zu sehen, ob ich Sie nicht schnarchen hörte.«

»Schnarchen! dieser Ausdruck! Sie hören also gerne schnarchen?«

»Das eben nicht; aber weil man Langeweile hat, wenn man ganz allein in einem Bette ist, und sich doch gerne mit etwas belustigen möchte.«

So sprechend, spielte sie mit einer meiner Haarlocken.

Auf einmal versetzte ihr die leidenschaftliche Gräfin einen derben Schlag auf die Hand; und sie an den Schultern nehmend, führte sie die Kleine in ihr Kabinet zurück, den Befehl wiederholend, ein Halstuch umzunehmen. Die Marquise gab ihr Beifall:

»Ja, liebe Lignoll, lehre sie Anstand. Thue mir den Gefallen und hilf ihr, sich anzukleiden, damit sie schneller fertig wird und wir sie wegschicken können, denn ich muss mit Dir sprechen.«

Die Gräfin und ihre Cousine kamen beide schnell wieder in das Schlafzimmer zurück; es war genau zu sehen, dass Frau von Lignoll die Kleine aus dem Wege haben wollte. Die Marquise schickte sie in den Park, um sich daselbst zu ergehen; aber Fräulein Mesanges schien mich mit den Blicken aufzufordern, ihr zu folgen; ich hütete mich aber, denn das Benehmen der Gräfin schien mir etwas verdächtig; sollte sie etwa Verdacht haben?

Als Fräulein Mesanges sich entfernt hatte, sagte die Marquise:

»Komm, meine Nichte, und setze Dich hier zu mir; aber sieh doch auch mich zuweilen an; Du hast bloß für Fräulein von Brumont Augen, sie scheint mir nicht in ihrer gewöhnlichen Stimmung zu sein.«

»O, nein!« sagte Frau von Lignoll mich umarmend; »sie ist verstimmt, dass man sie nicht zu mir geführt hat; sie hat sicherlich viel Achtung und Freundschaft für Sie, meine liebe Tante; aber da sie mich besser kennt, so hätte sie, ich wollte wetten, die Nacht lieber an meiner Seite zugebracht.«

»Bilden Sie sich nicht zu viel darauf ein, liebe Gräfin, wenn ich es zugegeben hätte.«

»Weshalb nicht, liebe Tante?«

»Ich will mich näher erklären, meine Nichte. Es würde mir in der That sehr wünschenswert sein, wenn Sie das angebliche Fräulein nicht so vollkommen gut kennten.«

»Das angebliche Fräulein, wie soll ich das verstehen?«

»Meine Nichte, ich will Ihnen etwas sagen, das Sie überrascht! Ich erkläre Ihnen, dass dieses hübsche Mädchen ein Mann ist.«

»Ein Mann, sind Sie dessen gewiss, meine Tante?«

»Gewiss, und er selbst soll mich Lügen strafen, wenn ich nicht streng bei der Wahrheit bleibe.

»Dieses Fräulein ist ein Mann! ich habe unglücklicherweise mehrere Gründe, nicht mehr daran zu zweifeln. Noch mehr! ich weiß jetzt seinen wahren Namen; und Alles sagt mir, dass er auch Ihnen seit geraumer Zeit nicht unbekannt ist, meine Nichte. Gestern um fünf Uhr ging ich nach Longchamps, wo ich mit großer Verwunderung Sie antraf. Sie hatten mir aber am Morgen Ihre Begleitung rundweg abgesagt, unter dem Vorwande einiger wichtigen Geschäfte. Sie haben mich nicht einmal bemerkt, Madame, weil Sie Ihre Augen bloß für einen Kavalier hatten, der seinerseits unaufhörlich auf Sie sah. Dies machte mich aufmerksam auf ihn. Es war das Fräulein von Brumont in Mannskleidern, oder wenigstens ein Bruder von ihr, dessen Gesicht durch seine vollkommene Ähnlichkeit Ihre Aufmerksamkeit, wie die meine, erregte. Es kam, unmittelbar nach Ihrem Wagen, ein anderer noch schönerer, in diesem saß ein junges sehr elegantes Mädchen, das ebenfalls diesen jungen Mann lorgnettierte. Ich denke, liebe Nichte, dass diese Frau Sie nicht sehr liebt, denn sie hat sich eine Frechheit gegen Sie erlaubt, wofür Sie dieselbe gehörig gestraft haben, worüber ich herzlich gelacht habe. Aber während ich lache, erhebt sich ein großer Lärm; ich frage, was das zu bedeuten habe, als man mir sagt: Diese allgemeine Aufregung gelte einem jungen Kavalier, der durch sein außerordentliches Abenteuer schon bekannt sei. Es ist das Fräulein Duportail, der Liebhaber der Marquise von B... Sie können sich meine Verwunderung denken; sogleich gehen mir die Augen auf, ich erinnere mich an tausend beunruhigende Umstände, ich muss mir sagen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass der Liebhaber der Marquise auch der Geliebte der Gräfin ist. Ich darf aber kein zu schnelles Urtheil über eine Nichte fällen, die ich achte. Ich werde sehen, ich werde nach Gatinois kommen. Doch nein, am gewünschten Tag kommt die gefällige Frau von Fonrose zu mir und macht mir in aller Freundschaft den Vorschlag, Ihnen den Herzensfreund zuzuführen. Entzückt über einen für meine Pläne günstigen Zufall, sehr entschlossen, das Fräulein in der Nähe zu beobachten und die Sache so einzurichten, dass kein Verdacht auf mich fällt, nehme ich den Vorschlag an. Er glaubt, da Sie schon zu Bette gegangen, wenigstens das Lager der kleinen Mesanges theilen zu dürfen.

»Eine Stunde später ertappe ich ihn, so zu sagen, auf der That. Er gesteht mir seinen Namen nicht, nach welchem ich auch nicht frage, aber sein Geschlecht kann er nicht leugnen.

»Endlich kommt der Morgen; und damit mir keine Ungewissheit mehr in dieser Beziehung bleibe, decke ich den vollständigen Chevalier von Faublas auf.«

Mit diesen Worten deckte sie mich wirklich auf; denn mit einem schnellen Griff riss sie die Bettdecke weg, warf sie mir auf die Füße und zog sie dann sogleich wieder bis an meine Schultern herauf. Der Augenblick war kurz, aber entscheidend.

»Jetzt, meine Nichte,« rief die Marquise, »hoffe ich, dass Sie keinen Zweifel mehr hegen. Ich sage dies in Voraussetzung, dass Sie möglicherweise vorher welche gehabt haben. Aber gestehen Sie,« fuhr sie fort, mir eine derbe Ohrfeige mit derselben Hand gebend, die mich soeben fast nackt den verwirrten Blicken der Frau von Lignoll ausgesetzt hatte:

»Gestehen Sie, dass Herr von Faublas ein unverschämter Schlingel sein muss, da er heute hierher kam, um aus dem einzigen Grunde, weil er nicht mehr bei der Nichte schlafen konnte, bei der Tante zu schlafen.«

»Meine Tante,« rief die Gräfin etwas launisch, »warum schlagen Sie ihn so arg? Sie werden ihm weh thun.«

»Ich bitte Sie, das ist noch zu wenig. Dies ist eine Gunst. Frau von Lignoll, jetzt, da Sie es immer unter dem Vorwand der Unwissenheit ablehnen können, müssen Sie sogleich diesen Herrn bitten, aufzustehen, ihn ohne Skandal aus dem Hause schaffen und es ihm auf immer verbieten.«

»Ihn aus dem Hause schaffen, meine Tante? nein, das kann ich nicht! ich muss Ihnen sagen, es ist mein Geliebter, den ich anbete.«

»Und Ihr Gemahl, Madame, was wird der dazu sagen?«

»Mein Gemahl? Faublas ist es auch, ich habe keinen andern als ihn.«

»Wie, meine Nichte, ist es nicht schon fünf Monate her, dass Herr von Lignoll Sie geheiratet hat?«

»Geheiratet, nie, er ist dazu nicht befähigt – nun wissen Sie es; und ich bitte, mich mit dieser lächerlichen Zumuthung zu verschonen.«

»Also dieser glückliche Vogel ist es, der . . .«

»Ja, meine Tante, er ist's, er wird es immer sein und nie ein anderer, als er.«

»Aber, um Himmelswillen, meine Nichte, Sie sind ja in einem anderen Zustande, und werden es nun auch nicht mehr lange verleugnen können; wie wollen Sie es aber machen, lassen Sie mich doch einen Augenblick mit Ihnen sprechen. Sie hören gar nicht auf mich. Leonore, Sie lieben mich also nicht?«

»Ich liebe nur . . . ach! doch! ich liebe Sie auch.«

»Nun denn! so lass mich doch aussprechen! sage mir, Unglückliche, wie willst Du es machen, um Deinen Zustand zu verbergen?«

»Ich werde nichts verbergen.«

»Aber Ihr Gemahl wird Sie fragen, wer es war . . .«

»Ich werde ihm antworten, dass er es war.«

»Und wenn er aber nie bei Dir des Nachts war, wie willst Du es ihm glauben machen?«

»Oh! aber eben deswegen wird er mir glauben.«

»Wie eben deswegen? meine Nichte, wir verstehen uns falsch! Du bist so lebhaft.«

»Und Sie, meine Tante, Sie sind es vielleicht nicht?«

»Ich bitte, meine Nichte, thue mir den Gefallen und erkläre mir, wie man es thun kann, um einen Mann, der seine Frau nie geheiratet hat, zu überzeugen, dass er dennoch . . . ob das nicht zum Verzweifeln ist?«

»Aber, meine Tante, thuen Sie mir selbst den Gefallen, mir zu erklären, warum Sie meinen, ich werde dem Herrn von Lignoll eine dumme Vorstellung machen?«

»Du sagst es selbst, meine Nichte.«

»Ganz im Gegentheil!«

»Ach! ich begreife endlich; er, das ist der Herr?«

»Wenn ich sage er, so ist er es.«

»Meine Nichte! Wie! Sie wollen selbst offen Ihrem Gemahl ankündigen, er sei durch Sie . . .«

»Was er zu sein verdient.«

»In einer Beziehung sage ich nicht nein, meine Nichte . . .«

»In allen möglichen Beziehungen, meine Tante.«

»Ah! das ist etwas Anderes. Madame, ich kann Ihre ungeordnete Aufführung nicht billigen.«

»Meine Tante, haben Sie auch bedacht, dass ich noch jung bin?«

»Kommen mir auf die Hauptsache zurück. Wenn Dein Gemahl ärgerlich wird?«

»So werde ich seiner spotten.«

»Wenn er Dich einsperren lassen wird?«

»Er wird es nicht können.«

»Wer wird ihn daran hindern?«

»Meine Familie, Sie und er.«

»Deine Familie wird gegen Dich sein. Ich, ich liebe Dich zu sehr, um Dir jemals das geringste Leid anzuthun; aber bei einem so unglücklichen Handel werde ich wenigstens genöthigt sein, neutral zu bleiben. Also wird Dir bloß der Chevalier bleiben.«

»Wenn er mir bleibt, so verlange ich nichts mehr.«

»Ja, er wird Dir bleiben . . . um Dich zu vertheidigen; aber wird er es können? Meine Nichte, ich will Sie das einzige Mittel lehren, das Ihnen noch übrig bleibt.«

»Wir wollen sehen.«

»Madame, Sie müssen sich so bald als möglich von Herrn von Lignoll heiraten lassen.«

»Aber das kann nicht sein.«

»Warum? erklären Sie mir doch.«

»Weil es nicht sein kann; aber wenn es auch sein könnte, so möchte ich nicht. Jetzt, meine Tante, weiß ich, was es ist; nie wird Ihre Nichte in den Armen eines Mannes sein!«

»Doch ist er einer.«

»Er, meine Tante!« rief sie leidenschaftlich; »er ist mein Geliebter!«

»Ihr Geliebter! das ist ein guter Grund, den Sie Ihrem Gemahl vorbringen können.«

»Ich nehme an, der Grund sei schlecht, so ist doch wenigstens gewiss, dass er noch besser ist, als eine schlechte Handlung. Ist das nicht eine unwürdige, eine abscheuliche Treulosigkeit, sich kalt unter zwei Männer zu theilen, um den einen mit mehr Bequemlichkeit zu verrathen und den andern in Verzweiflung zu bringen? denn, das bin ich gewiss,« rief sie mich umarmend, »er würde verzweifeln.«

»Wenn Sie jedoch auch mich hören wollten, Madame, so würden Sie sehen, dass Ihre Tante Ihnen weder zur Liederlichkeit noch zur Untreue räth.

»Sie haben mich unterbrochen, als ich Ihnen sagen wollte, dass Sie, indem Sie sich von Herrn von Lignoll heiraten lassen, sogleich einen andern Lebenswandel anfangen und diese Intrigue abbrechen müssen.«

»Liebe Tante, sagen Sie eine Leidenschaft, die, ich fühle es, die Bestimmung meines Lebens ist!«

»Eine Leidenschaft, die Ihr Unglück sein wird, wenn Sie nicht auf Ihrer Hut sind.«

»Kein Unglück mit ihm, meine Tante.«

»Höre, meine Nichte, ich bin eine gute Frau, ich lache gerne; aber das geht über den Spass hinaus. Sieh nur, wie viele Gefahren Dich umgeben.«

»Ich kenne keine Gefahren, wenn es sich um ihn handelt«

»Und Dein Gewissen, Leonore?«

»Mein Gewissen ist ruhig.«

»Ruhig? das ist nicht möglich. Sie, die sonst nie logen, lügen jetzt . . . Höre, Leonore, ich liebe Dich wie mein Kind und ich habe Dich immer vergöttert, nur zu sehr vielleicht; aber suche Dich zu erinnern, dass ich mir stets angelegen sein ließ. Dir die besten Grundsätze beizubringen. Höre, meine Tochter, Du wirst heute das Rosenmädchen krönen . . .«

»Oh! sprechen Sie nicht davon!« rief sie in die Arme ihrer Tante stürzend und ihre Hände ergreifend, »oh, sprechen Sie nicht davon!«

»Frau Marquise,« rief ich, durchdrungen von ihrem traurigen Ton, womit sie diese Worte aussprach; »mir allein dürfen Sie Vorwürfe machen; entschuldigen und beklagen Sie sie, machen Sie ihr das Herz nicht schwer.«

»O, meine Kinder!« antwortete sie, »wenn Ihr mich bloß weich stimmen wollt, so wird Euch das nicht schwer werden; man bringt mich zum Lachen, wie man mich zum Weinen bringt! Lasst uns alle drei weinen. Du erinnerst Dich des letzten Jahres? zu derselben Zeit, an demselben Tage sagte ich zu Dir: Leonore, ich bin mit Dir sehr zufrieden; aber bald, meine Tochter, werden andere Zeiten andere Verbindlichkeiten herbeiführen, die Dich anfangs verführen, bald aber Dir vielleicht peinlich sein werden.«

Bei diesen Worten verließ die Gräfin rasch ihre demüthige Stellung und wiederholte in dem lebhaften Tone:

»Die Dich anfangs verführen werden! wie hätten sie mich verführen sollen? man ließ sie mich nicht kennen lernen. Sie, Frau Marquise, Sie, die mir jetzt von Pflichten spricht, hätten Sie mich nicht bei Seite nehmen und zu mir sagen sollen: Mein armes Kind! ich sage Dir zum voraus, dass sie Dich aufopfern werden, ich sage Dir, dass sie Deine Unerfahrenheit durch blendende Versprechungen täuschen; willst Du um den Vortheil, einige Monate früher bei Hofe zu erscheinen und vorgestellt zu werden, willst Du die einzige und wahre Freiheit, die Freiheit Deines Herzens zum Opfer bringen? Hast Du vielleicht so große Eile mich zu verlassen? siehst Du, es ist nicht mehr Zeit, Deine Tugend auf Deine Unwissenheit zu gründen; und da sie Dich hintergehen wollen, so muss ich Dich aufklären. Ich glaube, meine liebe Leonore, dass Du nicht nur einen Gemahl brauchst, sondern einen Geliebten.

»Nichtsdestoweniger besteht man darauf, Du sollest Herrn von Lignoll heiraten. Du zählst noch nicht sechzehn Jahre, er hat sein fünfzigstes zurückgelegt; Deine Jugend wird kaum anfangen, wenn sein Herbst vorüber sein wird; wie alle alten Wüstlinge wird er kränklich, schwach und eifersüchtig werden.

»Meine Tante konnte aber nicht ahnen, dass mir in meinem Unglücke wenigstens der Trost bleiben sollte, dass mein angeblicher Gemahl nie fähig ist, es zu sein . . .«

»Nie fähig, meine Nichte!« rief sie weinend.

»Nie, meine Tante!«

»Pfui, der garstige Mensch!«

»Sie konnten es nicht ahnen. Hätten Sie mich aber gewarnt und mir dieses Alles gesagt, dann hätte ich gerufen: Ich will nichts von Euerem Herrn von Lignoll! ich will nichts von ihm wissen! ich will lieber als Mädchen sterben! o, ich hätte mich vielleicht umgebracht, aber sie hätten mich nicht vor den Altar geführt!«

»Nie fähig!« wiederholte die Marquise weinend; »ach, der garstige Mensch! ach! arme Kleine, was willst Du thun, nie fähig! . . . dann ist es ganz anders! das verändert viel . . . Doch nein, es verändert nichts. Mein liebes Kind, Du bist bloß noch ein wenig mehr zu beklagen. Leonore, Du musst dessen ungeachtet sogleich und auf immer dem Chevalier entsagen.«

»Ihm entsagen? lieber sterben!«

»Wahrlich! ich kann nicht stärker klopfen,« rief die kleine von Mesanges, die wir nicht gehört hatten.

»Gehen Sie spazieren,« antwortete ihr die ungeduldige Gräfin.

»Aber ich komme eben von dort her.«

»So gehen Sie noch einmal.«

»Aber ich bin müde.«

»Setzen Sie sich auf den Rasen.«

»Ach! aber ich habe Langweile, so ganz allein.«

»Sind wir da, um Dich zu unterhalten?« fragte die Marquise.

»Nicht Sie, aber meine liebe Freundin.«

»Ihre liebe Freundin? Gehen Sie, Fräulein, erwarten Sie mich im Salon!«

»Ach, ja! denn ich höre, dass schon sehr viele Leute auf sind.«

»Gehen wir.«

»Schon viele Leute auf!« versetzte Frau von Armincour, »es ist Zeit, dass wir auch aufstehen, und dass dieses Fräulein sich ankleidet und nach Hause geht.«

»Nach Hause geht, meine Tante?«

»Ja, meine Nichte! glauben Sie denn, es sei möglich, dass sie sich bei diesem Feste zeige?«

»Wer kann sie denn daran hindern?«

»Wie, sind nicht fünfzig Personen hier, die gestern in Longchamps waren, und sie erkennen würden, so gut ich Sie kenne?«

»O, nein!«

»Sagen Sie nicht nein! Es ist außer Zweifel, und Sie wären verloren.«

»Was liegt daran, wenn er nur nicht geht.«

»Wenn ich Sie so sprechen höre, so bin ich ganz trostlos.«

»Wie, meine Tante, bin ich nicht die Herrin im Hause?«

»Gewiss, Madame, Sie müssen ihn entlassen, es ist Ihre Pflicht.«

»Meine Pflicht, höre ich dies Wort wieder!«

»Rasch!« unterbrach sie die Marquise, mir dabei ein Tuch auf die Nase werfend, »man muss einen Entschluss fassen, denn mit meiner Nichte kommt man nie zurecht.«

Madame Armincour kleidete sich schnell und flüchtig an und rief:

»Guter Gott! was fällt mir ein! jedermann würde fragen, wo dieses Fräulein geschlafen habe, jedermann würde erfahren, dass es . . . da war. Würde man nicht sagen, ich hätte es auch mit diesem Flattersinn zu thun? ich wäre für heute die Heldin des Abenteuers, eines galanten Abenteuers, nach zurückgelegtem sechzigsten Jahre! das hieße etwas spät anfangen. Madame, Sie sehen wohl ein, dass es sich weniger davon handelt, einen Spott von mir abzuwenden, als Ihren Ruf zu retten. Ich werde nicht dulden, Frau Gräfin, dass Sie in meiner Gegenwart seine Kammerfrau sind; ich werde ihn wenigstens eben so schnell und eben so anständig ankleiden, als Sie thun könnten. Haben Sie keine Furcht.«

So lange meine Toilette dauerte, war ein sehr lebhafter Streit zwischen der Tante, die durchaus meine Entfernung verlangte, und der Nichte, die das nicht zugeben wollte.

Man meldete der Frau von Lignoll, ihr Erscheinen sei nothwendig, um einige letzte Anordnungen in Bezug auf das Fest zu treffen.

»Ich bin sogleich wieder bei Dir,« sagte sie zu mir.

Einen Augenblick nachher verließ mich auch die Tante und kam vor der Nichte zurück, die jedoch nicht lange ausblieb.

Ungefähr eine Viertelstunde verstrich, und ich brauche nicht zu sagen, dass der wieder angefangene Streit immer hitziger wurde, als man die Gräfin auf's neue störte.

Genöthigt mich abermals zu verlassen, versprach sie mir sogleich wiederzukommen. Aber kaum war sie hinausgegangen, als die Tante zu mir sagte:

»Mein Herr, ich halte Sie für etwas weniger unvernünftig als sie; Sie müssen einsehen, wie sehr Ihr längeres Hierbleiben die Gräfin compromittieren kann; weichen Sie der Nothwendigkeit, geben Sie meinem Verlangen und wenn es Noth thut, meinen Bitten nach.«

Nachdem sie dies gesagt, zog sie mich fort und führte mich durch mir unbekannte Gänge in eine Art von Kutscherhof, wo ihr Wagen mich erwartete. Als ich hineinstieg, führte der Zufall Fräulein von Mesanges herbei.

Ganz erstaunt fragte sie:

»Meine liebe Freundin, Sie gehen?«

»Ach, ja, meine liebe Freundin; empfehlen Sie mich, ich bitte, Ihrer Cousine.«

»Ich werde nicht ermangeln.«

Die Marquise macht unserem Zwiegespräch ein Ende, indem sie rasch dazwischenfuhr:

»Was suchen Sie hier, mein Kind, sehen Sie zu, dass Sie fortkommen . . .«

Ich hörte nichts mehr, weil der Kutscher, der seine Befehle hatte, blitzschnell davonfuhr. Er führte mich bis nach Fontainebleau, wo ich Post nahm. Es war kaum vier Uhr abends, als ich nach Paris kam. Frau von Fonrose hielt mir Wort.

Mein Vater hatte sich noch nicht zu Hause gezeigt, und ich benützte einige freie Augenblicke, um meine Frauenkleider abzulegen und Rosambert zu besuchen. Ich fand ihn weit besser; er konnte bereits ohne Unterstützung in seinem Zimmer herumgehen und sogar mehrere Male die Runde in seinem Garten machen. Der Graf überhäufte mich gleich bei meinem Erscheinen mit Vorwürfen. Ich entschuldigte mich bei ihm, dass ich jeden Morgen zu ihm schickte, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen.

»Aber Sie hatten versprochen, selbst zu kommen.«

»Mein Vater hat mich beständig gehütet und ist mir nicht von der Seite gegangen.«

»Dies hat Sie nicht gehindert, andere Ausgänge zu machen. Übrigens gebe ich zu, dass die kleine Gräfin den Vorzug verdient.«

»Die kleine Gräfin?«

»Frau von Lignoll, ja! habe ich Ihnen nicht gesagt, dass von nun an jede Dame, deren Geliebter Sie sind, öffentlich bekannt würde?«

»Woher wissen Sie dies Alles, lieber Rosambert?«

»Ich bin wahrhaft entzückt, dass die Marquise eine ihrer würdige Nebenbuhlerin hat; denn die Gräfin soll anbetungswürdig sein. Leider ist es noch ein Kind ohne Erfahrung, ohne Kunst, ohne Bosheit. Die Marquise wird sie erdrücken, sobald . . . Unter Anderen, ich mache Ihnen mein Kompliment! Sie stehen außerordentlich gut mit Herrn von B....! fürs erste hat ihn ganz Paris mit Lachen an Ihrer Seite gesehen! und dann macht der vortreffliche Ehemann keinen Hehl daraus, dass Sie ein herrlicher Junge seien, und damit die Sache ja komisch genug wird, sagt er zu jedem, der es hören will, ich sei ein unwürdiger Mensch. Er ist erbost auf mich, sehr erbost, wie man versichert; vielleicht führt es abermals zu einem Duell. Aber Sie wissen davon, Chevalier. Der Marquis hat lange mit Ihnen gesprochen.«

»Der Marquis hat mir sehr Vieles gesagt.«

»Nun denn, Faublas, erzählen Sie mir wenigstens einiges! es ist mir ein Bedürfnis zu lachen und Sie müssen Alles versuchen, um einen in der Wiedergenesung begriffenen Freund zu belustigen.«

»Ich muss Ihnen gestehen, lieber Rosambert, dass ich weit entfernt bin, Sie auf Kosten der Marquise zu belustigen; und ich wiederhole Ihnen sogar, dass ich Sie nur ungern von ihr sprechen höre.«

»Sie haben Unrecht; ich bin in diesem Augenblicke mehr als je ihr enthusiastischer Bewunderer. Diese Frau verbindet mit ihren vielen sonstigen Vorzügen eine staunenswerte Klugheit. Staunen Sie nicht auch wie ich, dass sie berechnet, im Falle ich ihr entginge, ich ihrem Gemahle nicht entgehen könnte? Chevalier, Sie werden Zeuge sein.«

»Zeuge?«

»Ja, in nächster Zeit.«

»Sie haben mir doch gesagt, dass Sie nicht nach Compiègne zurückkehren wollen.«

»Seien Sie ruhig, wir sind dahin übereingekommen, daß ich mich nicht mehr mit der Marquise schlage. Wie können Sie mich noch für dumm genug halten, der bizarren Laune dieser Frau nachzugeben, die sich in den Kopf gesetzt hat, sie dürfe wackere junge Leute mit den Waffen angreifen? je mehr ich darüber nachdenke, umsomehr wird es mir klar, dass man der öffentlichen Sicherheit wegen dem Übel in seinem Entstehen Einhalt thun muss; wahrlich dies gäbe ein zu gefährliches Beispiel, da brauchte Eine nur in die Mode zu kommen, die ihre Liebeshändel mit Pistolenschüssen beendet; denken Sie, welches Gekrach man dann jeden Tag um Paris herum hören würde.«

Rosambert, der mich lächeln sah, machte hundert Witze und hundert Fragen über diejenigen, die er meine Maitressen nannte. Ich gab mich am Ende gutwillig seiner Heiterkeit hin, allein seine Neugierde wurde nicht befriedigt.

Mein Vater kam erst zwei Stunden nach mir zu Hause an.

Er gab mir zu verstehen, dass es ihm leid thue, mich den ganzen Tag allein gelassen zu haben. Ich dankte ihm herzlich für seine allzugütige Sorgfalt, die er für seinen Sohn hege. Er fragte mich, wie ich die Nacht zugebracht habe. Um nicht zu lügen, antwortete ich:

»Gut und schlecht, mein Vater.«

»Träumtest Du vielleicht von Deiner Frau?«

»Mein Vater, wann werde ich Nachrichten von ihr erhalten?«

»Du weißt, wie viele Leute ich ausgeschickt habe, und in vierzehn Tagen gedenke ich selbst mit Dir abzureisen.«

»Warum nicht früher?«

»Aber,« versetzte er mit verlegener Miene, »ich bin nicht vorbereitet; übrigens müssen wir warten, bis Du Dich besser befindest, und bis die schönen Tage wieder gekommen sind.«

»Die schönen Tage! werden sie, fern von Sophie, jemals wiederkommen?«

Während ich so zu meinem Vater sprach, hoffte ich dennoch einiges Glück auf den morgenden Tag. Es war dieser lebhaft ersehnte Montag, der meine Leonore und mich einige Augenblicke vereinigt sehen sollte. Ach! unsere süßen Erwartungen waren getäuscht. Frau von Fonrose, die meinem Vater abends einen kurzen Besuch machte, fand Gelegenheit, mir zu sagen:

»Es ist nicht möglich! ihre Tante ist diesen Morgen zu ihr gekommen und bleibt noch bei ihr.«

Am Dienstag war es ebenso, und am Mittwoch hatte ich wenigstens den Trost, ein Billet von Justine zu erhalten.

Es sagte mir, dass ich mit dem Hauptschlüssel das Hofthor und alle Thüren eines kleinen neuen Hauses, am Eingang der Straße du Bac, neben dem Pont-Royal öffnen könne.

Der Herr Vicomte ersuche mich, abends um sieben Uhr dort zu sein.

Gut! Frau von B... hat also keinen Groll gegen mich. Seit Donnerstag hatte ich nichts von ihr gehört; dieses lange Schweigen nach unserem Abenteuer fing an mich zu beunruhigen.

»Du bist ja freudig bewegt, mein Sohn, hast Du so gute Nachrichten?« fragte mein Vater eintretend.

»Ich sehe das schöne Wetter und freue mich, denn ich denke diesen Nachmittag einen Ausgang machen zu können.«

»Mit mir, ja.«

»Wieder mit Ihnen, mein Vater?«

»Mein Sohn, welch ein Ton!«

»Verzeihen Sie; aber Sie wollen mich doch nicht durchaus zum Sklaven machen? mich sogar hindern, einen Freund zu besuchen?«

»Ich glaube an den Besuch bei einem Freund nicht.«

»Ich werde den Vicomte besuchen, mein Vater.«

»Herrn von Valbrun, meinetwegen; aber dann?«

»Ich verspreche Ihnen keinen Fuß in das Haus der Gräfin zu setzen!«

»Gib mir Dein Wort!«

»Ja, mein Ehrenwort.«

»Gut, ich verlasse mich darauf.«

Und ich küsste meinem Vater die Hände und umarmte ihn.

Ich war so ungeduldig zu erfahren, was die Marquise mir zu sagen hätte, dass ich mich vor der bestimmten Stunde zum Rendezvous einstellte. Ich hatte alle Muße das Haus zu besehen, das ich hübsch, bequem und gut meubliert fand. Besonders bemerkte ich zwei an einander stoßende Schlafzimmer, die ich noch heute zu sehen glaube, und die mir stets in Erinnerung bleiben werden.

Herr von Florville stellte sich mit Einbruch der Nacht ein und kam zu mir in eines der kleinen Zimmer. Sogleich umfasste ich ihre Kniee.

»Ja,« sagte die Marquise, »erbitten Sie die Verzeihung Ihrer Freundin, die Sie beschimpft und genöthigt haben, eine Verwegenheit zu begehen.«

»Aber, meine schöne Mama, warum haben Sie mich auch . . .«

»Ich glaube,« unterbrach sie mich, »ich glaube wahrhaftig, er will mich fragen, warum ich ihm Widerstand geleistet habe! bedenken Sie, mein Herr, dass Sie um Gnade einzukommen haben, statt Ihre Beleidigungen zu erneuern. Chevalier, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, warum wir uns hier sehen. Sie sehen ein, dass ich nach dem grausamen Auftritt vom letzten Donnerstag nicht mehr ohne äußerste Unklugheit wieder zu Justine gehen konnte.«

»Ohne Zweifel! dieser Auftritt war sehr ärgerlich.«

»Chevalier, Sie sagen mir nichts mehr von Sophie. Sagen Sie mir aufrichtig, lieben Sie Ihre reizende Gemahlin nicht etwas weniger?«

»Sie können vermuthen, Frau Marquise, dass ich Sophie weniger liebe?«

»Sprechen Sie, verbergen Sie mir keine Ihrer Empfindungen; Sie haben mir Ihr Vertrauen versprochen.«

»Ich liebe Sophie weit mehr, Frau Marquise, mit jedem Tage mehr, ich bete sie an! es scheint, dass die Abwesenheit meine Liebe noch vergrößert!«

»Aber Frau von Lignoll, wie steht es um diese –«

»Ach, ja! sie ist mir unendlich theuer! und verdient sie es nicht? ich frage Sie selbst; Sie haben sie gesehen?«

»Es ist wahr, dieses Kind ist ziemlich hübsch und hat einen guten Charakter. Man hatte mich in Beziehung auf sie falsch berichtet. Übrigens bin ich bereits sehr zurückgekommen von den ungünstigen Vorurtheilen. Sie, Chevalier, Sie finde ich jedoch sehr sonderbar, dass Sie Zärtlichkeit, sogar Liebe für zwei Frauen haben . . .«

»Sagen Sie für drei, schöne Mama.«

»Nein,« rief sie lebhaft, »dies ist unmöglich!«

»Ich versichere Ihnen . . .«

»Versichern Sie nichts! man gibt täglich einer reizenden Gemahlin den Vorzug; wenn sie entfernt ist, sehnt man sich nach ihr, dann, mein lieber Freund, kann es wohl geschehen, dass man einen besondern Gefallen, eine sehr lebhafte Zuneigung für eine liebenswürdige Frau in sich verspürt; aber für zwei! das wird mir immer unbegreiflich erscheinen! nein, nie werde ich begreifen, dass der Geliebte der Gräfin zu gleicher Zeit der meinige sein kann; das werde ich nie verstehen!«

Ich betrachtete sie aufmerksam, sie betrachtete mich ebenfalls, gewiss ahnte sie aus der Verlegenheit und Unentschlossenheit, die sie an meinem ganzen Wesen bemerken musste, keine günstige Antwort; ich sah sie erblassen und ihre Stimme zitterte.

»Diese Unterhaltung scheint Ihnen nicht angenehm zu sein,« versetzte sie sogleich; »sprechen wir von etwas anderem . . . Ist es auf dem Lande schon schön?«

»Auf dem Lande?«

»Ja, Sie sind am Samstag Abend dort gewesen und am Sonntag zurückgekommen – eine sehr kurze Reise. Sagen Sie mir, ich bitte Sie, was ist mit einem Fräulein von Mesanges?«

»Was meinen Sie, Frau Marquise?«

»Ist Ihnen dieses Kind nicht auch schon unendlich theuer geworden?«

»Unendlich theuer! wodurch?«

»Erstens ist es eine Dame, der beste Grund für Faublas! und für's zweite wäre es sehr auffallend, wenn Sie gelegentlich in den Fall gesetzt, mit der alten Armincour und dem Fräulein von Mesanges eine Nacht zuzubringen, nicht letzterer den Vorzug gegeben hätten. Auch vorausgesetzt, die Wahl sei Ihnen nicht gelassen worden, so weiß ich, dass Sie wohl im Stande wären, wenn Sie in demselben Gemache schliefen, ganz sachte das Zimmer der Alten zu verlassen, um in das Kabinet der Jungen zu schlüpfen . . . Sie werden roth. Sie sprechen kein Wort?«

»Madame, wenn diese Details wahr wären, wer könnte sie Ihnen mitgetheilt haben?«

»Wenn sie wahr wären, ei, lieber Freund, diese Voraussetzung gefällt mir sehr. Faublas, versuchen Sie nicht, zu lügen; Ihre Miene und Ihre Haltung, Ihr Schweigen und Ihre Worte, Alles verräth Ihre Schuld. Faublas, ein sehr merkwürdiger Zufall hat mir nur ein Stückchen von dem Gemälde sehen lassen, er hat mir Einzelnheiten in die Hände gespielt; aber Sie müssen wissen, dass sobald man mir nur ein wenig vermuthen lässt, ich im Stande bin, das übrige hinzuzudenken. Ich weiß nicht genau, ob Sie der jungen Person die ganze Nacht haben widmen können, oder bloß eine Stunde; wie dem auch sein mag, ich setze die gute Anwendung der Zeit bei Ihnen voraus. Ich wundere mich nicht mehr, dass es sich bereits darum handelt, die Kleine zu verheiraten, ich begreife, dass dies jetzt in mehr als einer Beziehung dringend sein kann.

»Ich versichere Sie übrigens,« fuhr sie im ernsthaften Tone fort, »bin ich weit entfernt, Ihnen die Geheimhaltung dieses Abenteuers zum Vorwurf zu machen; in diesem Falle wäre die Indiskretion eine wahre Perfidie, deren ich Sie unfähig glaube. Ich bin überzeugt, dass Sie über dieses Alles ein tiefes Schweigen beobachten werden; ich bin überzeugt, dass Sie Herrn von Rosambert nichts davon gesagt haben.«

»Sie wissen doch Alles, Madame, und müssen vortreffliche Diener haben, die getreulich allen meinen Schritten folgen; ich sehe daraus, dass Ihnen mein Wohl sehr am Herzen liegen muss; empfangen Sie daher, theuere Mama, meinen tiefgefühltesten Dank für Ihre treue Sorgfalt. Ich weiß wirklich nicht, wodurch ich so viel aufopfernde Freundschaft verdient habe, denn dass ich Ihnen schon viele Unannehmlichkeiten bereitet, ist gewiss, und ich schäme mich in meine Seele hinein, vor Ihnen zu stehen, was aber Herrn von Rosambert betrifft, so kennen Sie ihn doch sehr gut nicht.«

»Oh, nur zu gut!«

»Ich glaube es; Sie haben ihn am Sonntag besucht.«

»Am Sonntag?«

»Wie, irre ich mich in diesem Tage oder –!«

Ich näherte mich der Marquise und sagte die Hände faltend:

»O, meine großmüthige Freundin! verzeihen Sie mir.«

»Wenigstens,« fügte sie hinzu, »bedenken Sie, dass Sie Ihre Ehre darauf verpfändet haben, meinem neuen Kampf mit meinem Feinde anzuwohnen.«

»Erlauben Sie, meine theuere Mama, dass ich Ihnen sage, dass Ihr Feind nicht . . .«

»Sein Wort halten will, ich werde ihn, bei Gott, schon dazu zu zwingen wissen. Faublas, wäre es möglich, dass diese Züchtigung Ihnen heute weniger gerecht und weniger wünschenswert erscheine? Sprechen Sie, Ihre Wünsche werden das Schicksal des Kampfes entscheiden. Ich schwöre es Ihnen, ich will lieber von der Hand des Grausamen sterben, wenn ich weiß, dass Sie mir eine Thräne weihen, als ihn tödten, wenn er eines Bedauerns gewürdigt wird.

»Ich glaube, Sie wissen gar nicht, wie sehr ich ihn hasse, den Abscheulichen! denn alle meine Leiden sind von ihm gekommen, die ich nicht ertragen kann,« wiederholte sie weinend.

»Vor seinem feigen Attentat in dem Dorfe Hollriß war ich noch nicht ganz unglücklich; ich hatte bloß mein Glück und meinen Ruf verloren. Undankbarer!« fuhr sie fort, »musst Du ihn nicht eben so sehr verabscheuen, als ich Dich liebe?«

Frau von B... floh erschreckt über ihre eigenen Worte. Ich folgte ihr und war schon im Begriffe, sie zu erreichen, da wandte sie sich gegen mich um und sagte, ihre Worte mit einer ernsten und strengen Miene begleitend:

»Mein Herr, wenn Sie es wagen, mich zurückzuhalten, so werden Sie mich in Ihrem Leben nicht mehr sehen.«

Auf ihrem Gesichte malte sich ein so wahres Entsetzen, und in ihrer Haltung lag etwas so Entschiedenes, dass ich es nicht wagte ihr Gehorsam zu verweigern. Sie entfloh mir.

Als ich nach Hause kam, fragte mich Frau von Fonrose mit boshaftem Tone, wie sich der Herr Vicomte befinde.

Ich gab ihr sehr ausweichende Antworten, und sie musste wohl merken, dass ich diesen Punkt gerne mit Stillschweigen übergehen möchte.

Sie wurde etwas friedlicher gestimmt als sie meine Niedergeschlagenheit bemerkte; auch hatte sie mir bloß unglückliche Nachrichten zu überbringen.

Frau von Lignoll, die schon seit einigen Tagen von verschiedenartigen Unpässlichkeiten befallen war, fühlte sich heute ernstlich unwohl; es war ihr unmöglich, das Zimmer zu verlassen, und ich konnte sie nicht besuchen, weil Frau von Armincour, offenbar entschlossen, nichts zu vernachlässigen, um ihre Nichte von einer gefährlichen Leidenschaft zu heilen, soeben erklärt hatte, dass sie erst um Johannis in ihr Franch-Comté zurückkehren werde; auch hatte sie von Frau von Lignoll ein Zimmer in ihrem Hotel verlangt, was die Nichte nicht hatte ausschlagen können.

So verstrichen ungefähr vierzehn Tage, während deren meine Leonore und ich keinen andern Trost hatten, als Jasmin zu Lafleur und Lafleur zu Jasmin zu schicken.


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