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Aus der »Wage«

1897

Kunstgewerbliche Rundschau

I.

Wir haben eine neue dekorative kunst. Das läßt sich nicht leugnen. Wer die räume bei Liberty in London – den geehrten leserinnen wird der name Liberty schon oft bei ihren schlafröcken untergekommen sein, die in den letzten zehn jahren häufig aus Liberty-velvet verfertigt werden – wer also die räume des möbelhauses Liberty in London, Bing's l'Art Nouveau in der rue de Provence in Paris, die vorjährige ausstellung in Dresden und die heurige in München gesehen hat, wird es zugeben müssen: Die alten stile sind tot, es lebe der neue stil!

Und doch kann man seiner nicht froh werden. Es ist nicht unser stil. Er ist nicht aus unserer zeit herausgeboren. Wir haben ja gegenstände, die deutlich den stempel unserer zeit aufweisen. Unsere kleidung, unser gold- und silberschmuck, unsere juwelen, unsere lederwaren, schildkrot- und perlmuttersachen, unsere wagen und eisenbahnwaggons, unsere fahrräder und lokomotiven gefallen uns ja ganz gut. Nur machen wir nicht so viel aufhebens damit.

Diese sachen sind modern, also im stile des jahres 1898. Wie verhalten sie sich aber zu den gegenständen, die uns gegenwärtig als modern ausgegeben werden? Schweren herzens muß man antworten, daß sie mit unserer zeit nichts zu tun haben. Sie sind voll von beziehungen zu abstrakten dingen, voll von symbolen und erinnerungen, sie sind mittelalterlich.

Aber aus dieser zeit sind wir hinaus. Seit dem untergange des Weströmischen Reiches wurde noch in keiner zeit klassischer gedacht und gefühlt, als in der unserigen. Siehe Puvis de Chavannes und Max Klinger! Wurde seit Äschines tagen hellenischer gedacht? Siehe den Thonetsessel! Ist er nicht aus demselben geiste herausgeboren, aus dem der griechische stuhl mit den gebogenen füßen und der rückenlehne entstanden ist, schmucklos das sitzen einer zeit verkörpernd? Siehe das bicycle! Weht nicht der geist des perikleischen Athen durch dasselbe? Wenn die griechen ein bicycle zu bauen gehabt hätten, es hätte auf jede niete dem unseren geglichen. Die griechischen bronce-dreifüße – ich meine nicht die weihgeschenke, sondern die, die in gebrauch genommen wurden – gleichen sie nicht ganz unseren eisenkonstruktionen?

Ungriechisch ist es, durch die gegenstände, mit denen man sich zum täglichen gebrauche umgibt, seine individualität zum ausdruck bringen zu wollen. In Deutschland sieht man die größte mannigfaltigkeit in der kleidung, die Deutschen sind daher von allen kulturvölkern diejenigen, die noch am wenigsten von griechischem geiste erfüllt sind. Der Engländer aber hat für eine bestimmte gelegenheit einen anzug, ein bett, ein bicycle. Das beste ist ihm das schönste. Er wählt daher wie der Grieche den besten anzug, das beste bett, das beste bicycle. Veränderungen an der form entspringen nicht der neuerungssucht, sondern dem wunsche, das beste noch zu vervollkommnen. Denn nicht den neuen sessel gilt es unserer zeit zu geben, sondern den besten.

In diesen ausstellungen sah man aber nur neue sessel. Der beste sessel wird auf neuheit nicht sonderlich anspruch machen können. Denn schon vor zehn jahren hatten wir recht bequeme sessel und die technik des sitzens, die technik des ausruhens hat sich seither nicht in der weise verändert, daß sie auch schon durch eine andere form zum ausdruck kommen könnte. Die verbesserungen werden dem menschlichen auge nicht zum bewußtsein kommen können. Sie werden sich auf den millimeter oder höchstens den zentimeter in den dimensionen, in den holzstärken erstrecken. Wie schwer ist es, den besseren sessel zu finden! Und wie leicht den neueren. Dafür gibt es ein sehr einfaches rezept: Mache es gerade umgekehrt, als es die leute vor dir gemacht haben.

In München sah man einen regenschirmständer, der wohl am besten das gesagte über das beziehungsreiche, das mittelalterliche in gebrauchsgegenständen illustrieren könnte. Hätte ein Grieche oder ein Engländer die aufgabe gehabt, einen solchen ständer zu formen, so hätte er vor allem daran gedacht, den schirmen einen guten standplatz zu verschaffen. Er hätte daran gedacht, daß die schirme leicht hineingestellt und leicht herausgenommen werden können. Er hätte daran gedacht, daß die schirme keinen schaden erleiden und man mit dem überzug nirgends hängen bleiben dürfe. Anders aber der Nichtgrieche oder der Deutsche, der Durchschnittsdeutsche. Diese erwägungen kommen für ihn erst an zweiter stelle. Hauptsache ist ihm, durch die dekorative gestaltung auf das regnerische dieses gegenstandes hinzuweisen. Wasserpflanzen schlingen sich in die höhe und auf jeder sitzt ein frosch. Daß man an den scharfen blättern leicht die schirme zerreißen kann, ficht ihn nicht an. Der Deutsche läßt sich ganz gerne von seiner umgebung malträtieren, wenn er sie nur schön findet.

Eine kulturhöhe, wie sie die menschheit im klassischen altertum erreicht hatte, läßt sich schlechtweg aus ihrem gedächtnis nicht mehr auslöschen. Das klassische Altertum war und ist die mutter aller nachfolgenden kulturperioden. Befruchtet aber wurde sie vom Orient. Der Osten bildete das große reservoir, aus dem immer neuer samen in das Abendland strömte. Fast scheint es, als hätte uns Asien gegenwärtig den letzten rest seiner ureigenen kraft gegeben. Denn schon mußten wir in den entferntesten Osten zurückgreifen, nach Japan und Polynesien und nun sind wir zu ende. Wie gut hatte es das Mittelalter! Da lag der Orient noch unverbraucht da und ein Spaziergang nach Spanien oder in das Heilige Land genügte, um dem Abendlande eine neue formenweit zu erschließen. Der romanische stil wurde durch die arabischen anregungen zum gothischen. Die meister der Renaissance hatten schon weiter zu reisen. Persien und Indien wurden durch sie für uns gewonnen. Man erinnere sich der persischen teppiche, ohne die es kein madonnenbildnis aus dieser zeit gibt, der deutschen intarsien und tauschierarbeiten. Das Rokoko mußte schon nach China gehen, während uns buchstäblich nur noch Japan übrig blieb. Nun aber ist es Schluß.

Was ist nun das japanische unserer kunstanschauung? Sie tragen ein reizendes kleid, gnädige frau. Aber was seh' ich! Der eine ärmel hat eine masche, während der andere keine aufweist. Das ist japanisch. Sie haben einen reizenden blumenstrauß in ihrer vase. Lauter langstielige blumen, rosen, lilien, chrysanthemen. Auch das ist japanisch. Wenn wir nie unsere blicke nach Japan gerichtet hätten, würden wir dieses arrangement unerträglich finden. Fragen sie nur das bauernmädchen am Semmering. Die kennt Japan noch nicht. Daher bindet sie ihre blumen auch unjapanisch. In der mitte eine recht große und dann die anderen immer im kreise herum. Das findet sie schön.

Japanisch ist daher in erster linie das aufgeben der symmetrie. In zweiter linie kommt die entkörperlichung der darzustellenden gegenstände hinzu. Die Japaner stellen blumen dar, aber es sind gepreßte blumen. Sie stellen menschen dar, aber es sind gepreßte menschen. Das ist ein stilisieren, wie geschaffen dazu, die fläche zu dekorieren und dabei doch naturalistisch bleiben zu können. Da ist vor allem die stickereitechnik, wie sie jedem, der freude an den naturformen hat, gelegen kommen muß. Das ist jene Stickereitechnik, mit der Hermann Obrist, der größte unter den kunststickern der gegenwart, seine erfolge erzielt.

Hermann Obrist ist unser stolz. Er ist derjenige, der die neue deutsche angewandte kunst am besten dem auslande gegenüber vertritt. Mit eiserner konsequenz hat der geniale bildhauer den schritt zum kunststicker vollzogen. Er beherrscht jede technik und weiß jeder neue effekte abzugewinnen. Es ist kein falsch in ihm – zwischen wollen und können breitet sich nicht die bekannte kluft aus, die die werke der angewandten kunst seiner malenden und modellierenden kollegen so unerquicklich macht.

Von einem französischen künstler berichtet die septembernummer der führenden kunstgewerbezeitung Frankreichs, »Art et Decoration«. René Lalique ist ein artikel gewidmet. Lalique, der eines der größten goldschmiedehäuser in Paris sein eigen nennt, hat den mut, nur durch die form und nicht durch das material wirken zu wollen. Er verwendet kupfer neben gold und arbeitet weniger mit wertvollen steinen als mit opalen, achaten und karneolen. Das wirkt sympathisch. Und doch hat er nicht recht. Trotz der neuen form sind seine sachen nicht geist von unserem geist, sondern gravitieren in das 15. und 16. Jahrhundert. Sie erinnern uns an rauschende seiden und schwere samte, reiches pelzwerk und steife brokate. Es ist die welt Karls V. und Maximilians des letzten ritters, die dort vor unserem blicke auftaucht. Aber in der zeit des flatternden leichten seidenkleides, in der zeit der gestärkten hemdbrust und des schwarzen frackes nehmen sich die sachen recht fremd aus. Wem gefielen diese schmucksachen nicht? Wer aber würde sie tragen wollen? Das gefallen daran ist doch nur platonisch. Unsere zeit verlangt kleinen schmuck – schmuck, der auf möglichst kleinem raume einen möglichst großen wert repräsentiert. Unsere zeit verlangt vom schmuck destillierte kostbarkeit, einen extrakt des herrlichen. Deswegen müssen zu unserem schmuck die wertvollsten steine und stoffe verwendet werden. Es ist nicht barbarisch, wenn wir sagen, daß der sinn des schmuckes im material liegt. Die kunstarbeit muß sich also damit begnügen, das material möglichst zur geltung zu bringen. Die arbeit des goldschmieds kommt beim schmuck, der getragen werden soll, erst in zweiter reihe. Lalique's schmuck ist richtiger vitrinenschmuck, wie gemacht, die schatzkammer eines mäcens zu füllen, der dann das volk huldvoll einlädt, die herrlichen sachen in seinem museum zu bewundern.

II.

Die eröffnung der winterausstellung des Österreichischen Museums hat mit einem schlage die gegen hofrat v. Scala erhobenen beschuldigungen verstummen gemacht. Das publikum konnte an den ausstellungsobjekten des Kunstgewerbevereines und an denen, die unter Scala's leitung hervorgegangen sind, den unterschied ermessen. Und selbst jene blätter, die ehemals zu den ärgsten widersachern der Scala'schen anregungen gehört haben, bringen berichte über seine ausstellung, während man von der exposition des Kunstgewerbevereines überhaupt keine notiz nimmt. Man sage nicht, daß der Kunstgewerbeverein diesmal keinen platz zu seiner entfaltung gefunden habe. Im vorjahre hatte die Scalaaustellung weniger raum, während der Kunstgewerbeverein auch noch den säulenhof in anspruch nahm. Und trotzdem fand die Scalaausstellung die gebührende beachtung.

Wie groß der wandel in der öffentlichen meinung ist, kann man wohl daraus ermessen, daß jenes blatt, das vor der ausstellung am stärksten die neuerungen des hofrates angriff, plötzlich findet, daß er zur propagierung seiner idee nicht radikal genug vorgehe. Andere wieder, und zwar solche, die aus der heranziehung des kleingewerbes zur winterausstellung einen schaden für die kunstindustrie herauskonstruieren wollten, finden, daß Scala sein programm nicht einhält, weil auch großindustrielle sich an der exposition beteiligt haben. Meines wissens hat hofrat v. Scala ein solches programm nie aufgestellt. Im gegenteil: Stets betonte er, daß großindustrie und kleingewerbe dasselbe recht auf das haus hätten.

Noch ein anderer umstand ist den wiener kunstgewerbemonopolisten nicht recht: Die heranziehung der provinz. Bildet sie doch 30 prozent der aussteller. Daran werden sie sich wohl gewöhnen müssen. Die umwälzung war eben ein bißchen zu radikal. Vor einem jahre noch ein verkaufshaus des Kunstgewerbevereines, gehört nun das museum dem ganzen reiche.

Die provinz hat uns sogar die größte freude bereitet, und zwar durch die nachbildung Tiffany'scher gläser. Ritter v. Spann in Klostermühle (Nordböhmen) hat dieses schwierige experiment gewagt und siehe da, es ist gelungen, zum erstenmal gelungen, obwohl Hr. v. Spann viele Vorgänger hatte.

Tiffanys gläser bedeuten den standard der glasmacher- und der glasbläserkunst. Das haus Tiffany besteht in New-York schon seit hundert jahren. Mit souveräner größe beherrscht es gegenwärtig die gesamte gold- und silberschmiedekunst der welt. In diesem hause wirkte Moore, der größte goldschmied dieses jahrhunderts, der im jahre 1892 in der blüte seiner kraft, jung an jahren, dahinstarb. Der alte Tiffany, einer der reichsten männer New-Yorks, betrieb sein geschäft nie fabriksmäßig. Wie ein mäcen wirkte er; die werke Moores, in einem zimmer wie in einem museum vereinigt, werden pietätvoll aufbewahrt und sind unverkäuflich.

Den idealismus des vaters haben die söhne geerbt. Einer von ihnen, Louis C. Tiffany, der selbst maler war und den seine reisen vornehmlich an die küsten des Mittelmeeres führten, begeisterte sich an den herrlichen glasarbeiten des alten Hellas und des alten Rom, die gegenwärtig die erde nach und nach wieder zurückgibt. Gefallen solche sachen einem reichen Europäer, so kauft er sie und stellt sie ins museum. Gefallen sie aber einem Amerikaner, so baut er einen schmelzofen, sucht nach leuten, die ähnliches zu schaffen imstande wären und probiert selbst nach besten kräften. Louis C. Tiffany handelte wie ein Amerikaner. Der erfolg blieb nicht aus. Nach beispiellosen finanziellen opfern, unter heranziehung venetianischer, orientalischer und japanischer arbeiter war es ihm gelungen, die pracht antiker gläser, ihr irisierendes farbenspiel nicht nur zu übertreffen, sondern auch neue, ungeahnte effekte, ohne schliff, nur durch das simple blasen zu erzielen. In den parterreräumen des Österreichischen Museums kann man echte Tiffanygläser bewundern.

Zwei punkte sind es, in denen unsere heimischen erzeugnisse noch von den originalen abweichen: Das fehlen des leuchtenden feuers, insbesondere bei farbigen flüssen und das oktroyierte irisieren, das die gläser aufdringlich macht. Das soll kein tadel sein. Es soll nur den künstler aneifern, sich nach dieser richtung zu vertiefen. Liest man unsere tagesblätter, so kommt man nämlich zu der überzeugung, als könnten wir in der glasindustrie wieder einmal hundert jahre lang ausruhen.

Die ausgestellten gläser sind auch der form nach interessant. Während nämlich die antiken vasen, ihrer bestimmung nach als flüssigkeitsaufbewahrer, einen trichterförmigen mund aufweisen, welche form gedankenlos auch für dekorationsvasen übernommen wurde, zeigen diese formen schon klar und deutlich an, daß wir es hier mit gefäßen zur aufnahme langstieliger blumen zu tun haben. Der krokusförmige mund bildet auf diese weise eine stütze, während die trichterförmige öffnung das glas leicht zum umfallen bringen könnte.

Um die ausstellung hat sich architekt Hammel sehr verdient gemacht. Zwei interieurs rühren von ihm her und zahllose einzelobjekte geben von seiner phantasie zeugnis. Die arbeiten Hammel's werden uns wohl nicht jubeln machen, aber sie wirken sympathisch. Sympathisch deshalb, weil sie sich bescheiden einer technik unterzuordnen suchen und weil sie nicht so pretiös auftreten wie die werke seiner modernen kollegen vom reißbrett. Er hat sich eine leichtigkeit und naivität des Schaffens bewahrt, die uns an die Amerikaner erinnert.

Das grundprinzip der Scala'schen anschauung kommt in der winterausstellung scharf zum durchbruch: Entweder genau kopieren oder etwas neues schaffen. Ein drittes gibt es nicht. Gewiß muten uns solche scharfe kopien etwas fremdartig an. Aber sie haben den vorzug, daß sie ihre schönheit immer bewahren, während wir dieser mißhandelten »stilvollen« möbel schon nach kurzer zeit überdrüssig werden. Nicht die Deutsche Renaissance kam aus der mode, sondern ihre verhunzten nachbildungen. Alte burgen, alte schlösser, alte rathäuser ergreifen uns noch heute mit derselben macht wie vor zwanzig jahren. Aber aus dem »stilvollen« speisezimmer fliehen wir mit grauen.

Auch die Sezession hat ein ganzes zimmer der angewandten kunst gewidmet. Gurschner's bronzen, insbesondere der reizende türklopfer, haben es den Wienern angetan. Sie sind gefällig und wären sicherlich auch bedeutend, wenn sich Gurschner nicht so sehr an Vallgren anlehnen würde. Zelezny's hexe, eine maske aus birnenholz mit glasaugen, hat gleich am ersten tage einen liebhaber gefunden. Außerordentliches zeigen die stickereien von Helene de Rudder in Brüssel, »die drei Parzen«. Die beiden schreibmappen von Adolf Böhm, eingelegtes verschiedenfarbiges leder und – last not least – die möbel von Friedrich Otto Schmidt sind meisterwerke, jedes in seiner art.

 

20. jänner 1898

Die englischen Schulen im Österreichischen Museum

In Wien ist man in den letzten jahren sehr empfindlich geworden. Holt man etwas von draußen herein und sagt den leuten: »Seht, so macht man's in Tripstrill oder Buxtehude«, so muß man es sich gefallen lassen, als stadtverräter und unpatriotischer mensch an den pranger gestellt zu werden. Ob's nun bilder oder sessel, opern oder taxameter sind, ist gleichgültig. Die freunde der wiener industrie behaupten dann: »Durch die Vorführung ausländischer bilder, sessel, opern und taxameter wird die heimische bilder-, sessel-, opern- und taxameterindustrie – im letzten falle der taxerzeuger – geschädigt.«

Ich kann das nicht einsehen. Sind die sachen schlechter als die unseren – dann hurrah! Dann können wir uns getrost in die brust werfen und uns über diese tatsache freuen. Dann wird durch konstatierung dieser tatsache die wiener industrie einen neuen aufschwung erzielen. Wir werden unser gewerbe schätzen lernen. Wenn aber die sachen besser sind? Dann wirken sie nicht direkt, aber indirekt zur hebung der heimischen industrie. Denn in diesem zustande könnten wir nicht verharren. Das wiener gewerbe wird diese objekte zum muster nehmen können, und die distanz, die das heimische vom fremden kunsthandwerk trennt, kann mit einem schlage ausgeglichen werden.

In den letzten monaten haben wir aber ein ganz merkwürdiges schauspiel erlebt. Eine gruppe von gewerbetreibenden fand heraus, daß die von den ausländern erzeugten gegenstände schlechter gearbeitet und nicht so schön in der form sind, als die, die wir zu erzeugen pflegen. Das freute doch die leute? Aber nein. Das unglaubliche trat ein. Man behauptete, daß dadurch das wiener kunstgewerbe geschädigt wird. Diese logik war selbst dem wiener publikum, dem man sonst viel zumuten darf, auffallend geworden, und man wurde stutzig. Auch die regierung wurde es. Man sah genau hin, und der erfolg konnte nicht ausbleiben. Denn das gegenteil des gewünschten effektes trat ein. Galt es bei den früheren ausstellungen dem österreichischen kunstgewerbe, so sind es gegenwärtig die fach- und kunstgewerbeschulen, die im österreichischen Museum – um in dem jargon dieser wunderlichen freunde der heimischen industrie zu reden – geschädigt werden. Denn hofrat v. Scala hat englische schülerarbeiten zur ausstellung gebracht. Sind die nun besser oder schlechter als die unseren? Ich glaube, daß sie besser sind. Das ist allerdings gefühlssache. Aber man könnte es auch mathematisch beweisen. Unsere fachschulen und kunstgewerbeschulen sind nämlich eine nachahmung der englischen einrichtungen. Nachdem wir aber stillgestanden sind, während sich die Engländer rapid vorwärts bewegt haben, so befinden sich unsere schulen im besten falle auf dem standpunkte, auf dem sich die englischen vor zwanzig jähren befanden.

Bleiben wir also dabei, daß die englischen schülerarbeiten besser sind als die unseren. Dann sind wir verpflichtet, den schon oben erwähnten schlag zu führen, um die distanz auszugleichen. Wir haben es ja verhältnismäßig leicht. Die Engländer, als pfadsucher, urbarmacher und pfadfinder in einer unbekannten richtung und einem unbekannten gebiet, haben zeit verloren. Ohne kraftvergeudung, ohne experimente können wir nun auf den bequemen ausgetretenen pfaden nachrücken.

Unsere schulen haben den kontakt mit dem leben verloren. Auf den schulen wird dem schüler die gegenwart verleidet: O wie schön war's doch im Mittelalter! Und erst zur Renaissancezeit! Da rauschte es von brokaten und knisternden seiden. Hei, wie die pauken wirbelten und nackte frauen im zuge schritten, den könig einzuholen. Und schmuck, und farbe, und wallende federn! Und jetzt? Einfach grauslich. Karrierte anzüge, telefondrähte, pferdebahngeklingel. Aber was geht das uns an? Wir wollen dastehen wie ein fels im modernen häßlichen getriebe, und rauschende seiden und wallende federn. Nieder mit dem telefon! Und wenn schon! Dann wollen wir ein komproiniß eingehen. Wir versehen das telefongehäuse mit rokokoornamenten und die hörrohre mit rokokogriffen. Oder gothisch. Oder barock. Je nach wunsch des bestellers. Wie hieß das schlagwort, das in den letzten jahren in der Kunstgewerbeschule geprägt wurde? »Alte möbel für moderne bedürfnisse.«

Mit dem »stilvollen« telefongehäuse wurden wir verschont. Das verdanken wir nur dem umstande, daß das telefon nicht in Deutschland oder Österreich, sondern in Amerika erfunden wurde. Bei den straßenautomaten waren wir nicht so glücklich. Auch unsere gaskandelaber fallen in diese kategorie, die wohl auch dem blinden den großen rückschritt, der sich in der wandlung unseres geschmackes seit der aufstellung der letzten englischen vollzogen hat, zum bewußtsein bringen wird.

Den kontakt mit dem leben haben unsere schulen verloren. Fragt nur unsere industriellen, kunsthandwerker und geschäftsleute. Da herrscht nur eine stimme: Die jungen leute aus unseren schulen sind unbrauchbar. Sie können was, das ist wahr. Aber sie können gerade das, was am wenigsten bezahlt wird. Sie beherrschen den münchner bierkneipenstil, den stil jener leute, die um eine mark drei gänge und ein dessert beanspruchen. Sie können lusterweibchen und den lieben, guten, alten, altdeutschen dekorationsdivan, der schon seit einem jahrzehnt tagtäglich von zwanzig sängerinnen in zwanzig wiener »Kleinen Anzeigern« zum teile des anschaffungspreises zu haben ist. Vom geschmacke des kaufkräftigen publikums, also jenem geschmacke, der bei Förster, Weidman oder Würzl kultiviert wird, wurde ihnen erzählt, daß er unkünstlerisch sei. Diese geschäfte, ich könnte ja dutzende von namen nennen, haben stets im »englischen« geschmacke, oder besser gesagt im vornehmen geschmacke gearbeitet. Denn alles vornehme nennen die Wiener jetzt englisch.

Wie könnten unsere schulen den anschluß an das leben wieder gewinnen? Die gegenwärtige ausstellung der Engländer gibt uns die beste antwort. Wir sehen, wie dort die guten jahresarbeiten von den verschiedenen schulen nach London wandern, um sich einer prüfung zu unterziehen. Dadurch hat man die schulen von einer stelle aus in der hand. Man kann sich mit leichtigkeit davon überzeugen, wo etwas gutes gearbeitet wird. Man kann der schule, die ein wenig zurückbleibt, neues blut in gestalt eines tüchtigen lehrers oder direktors zuführen. Wir haben ja auch etwas ähnliches: Die inspektoren. Aber ist das englische system nicht einfacher und praktischer?

Die eingesendeten arbeiten werden also geprüft und die besten davon prämiiert. Von wem? Nun, von den dazu vom staate bestimmten organen. Falsch! Die Engländer machen das anders. Die sagen sich: Ein schulinspektor mag ja einen sehr guten geschmack besitzen. Der beamte wird diejenigen sachen für die besten halten, die seinem wesen, seinen bedürfnissen am meisten entsprechen. Aber die welt besteht nicht aus schulinspektoren. Viel besser eignen sich künstler und industrielle zu solchen sachen. Die wissen am besten, was uns frommt, was wir vermeiden müssen und was wir brauchen. Dieses jahr gab es zirka dreißig juroren (examiners), wie sie der bericht nennt. Namen wie Arthur Hacker, Fred, Brown und Walter Crane fallen uns auf. Keiner hängt in irgend einer weise mit den schulen zusammen. Zu drei und drei liegt ihnen die pflicht ob, die in gruppen geteilten arbeiten zu begutachten. Sehen wir zu, wie sie ihre aufgabe erledigen. Nehmen wir die gruppe architektur. Wir lesen: Examiners: Professor G. Aitchison, R. A.; T. G. Jackson, R. A.; J. J. Stevenson.

Architektonische entwürfe. Die qualität der arbeiten in diesem jahre erreicht nicht das hohe niveau der arbeiten des vorjahres.

Die examiners freuen sich, viele entwürfe für arbeiterwohnhäuser vorzufinden, und würden es gerne sehen, wenn man mehr konkurrenzen für diese aufgaben ausgeschrieben hätte.

Einige von den plänen zeigen, daß sich die architekten wenig zeit genommen haben; die examiners denken, daß man beim entwerfen nicht hudeln soll ( that planning should not be hurried).

Die examiners wiederholen, worauf sie jahr für jahr aufmerksam machen mußten, daß halbe holzkonstruktionen, wenn sie überhaupt angewendet werden sollten (z. b. parterre stein, oben holz), echt sein müssen. Sie wiederholen ihren wunsch vom letzten jahre, die übertrieben gezierten buchstaben bei der beschreibung des planes zu unterlassen, da viele von den aufschriften nur mit mühe entziffert werden konnten.

Die examiners bemerkten einige pläne, die symmetrisch angelegt waren, obwohl die symmetrie diesen bauwerken nicht folgerichtig entspricht.

Die himmelsgegenden sollten bei allen plänen angegeben sein.

Und dann die kurze kritik der einzelnen blätter. Zum beispiel: »Die zeichnung von Allan Healey aus der Bradford-Kunstschule ( Technical College) für einen screen und pult zeigt einige erfindung, doch das material ist nicht beschrieben und die details sind roh.«

So müssen sich alle einer ziemlich herben kritik unterziehen. So heißt es bei den entwürfen für linoleum: »Sie sind so armselig ( poor), daß keine auszeichnung auf dieselben entfallen kann.«

Von solchen leuten beurteilt zu werden und preise zu erhalten, ehrt schüler und anstalt. Die fabrikanten kaufen die arbeiten sofort an, und viele der tapeten, die uns aus der 1897er klasse in der originalzeichnung vorgeführt werden, haben schon ihren weg in den welthandel gefunden und sind auch schon in Wien käuflich.

Wir sehen also, wie in England die schule mitten im leben steht. Kunst und leben ergänzen sich friedlich. Bei uns aber heißt es: Kunst kontra leben!


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