Jack London
Ein Sohn der Sonne
Jack London

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Eine kleine Abrechnung mit Swithin Hall

I.

Nach einem langen prüfenden Blick auf die weite, öde Meeresfläche kletterte David Grief langsam und enttäuscht aus den Dwarssalingen herunter.

»Das Leu-Leu-Atoll ist verschwunden, Herr Snow«, sagte er zu dem jungen Steuermann, der ihn erwartungsvoll anblickte. »Wenn wir uns überhaupt noch auf unsre Navigationskunst verlassen können, so muß die Insel im Meere versunken sein, und wir sind zweimal über sie hinweggesegelt – oder jedenfalls über die Stelle, wo sie liegen müßte. Oder aber der Chronometer geht falsch, oder ich verstehe nichts mehr von Navigation.«

»Es muß der Chronometer sein«, versicherte der Steuermann. »Sie wissen, daß ich ebenfalls meine Berechnungen gemacht habe und genau zu dem gleichen Ergebnis gekommen bin wie Sie.«

»Ja,« murmelte Grief und nickte verstimmt, »die Insel hätte gerade auf dem Schnittpunkt unsrer Linien liegen müssen. Sicher ist der Chronometer daran schuld – irgendein Zahnrad muß in Unordnung geraten sein.«

Er schritt zur Reling und wieder zurück und warf einen besorgten Blick auf das Kielwasser der Uncle Toby. Der Schoner machte in der frischen Brise eine Fahrt von neun bis zehn Knoten.

»Legen Sie lieber um, Herr Snow, und lassen Sie uns ein paar Stunden kreuzen. Der Himmel bezieht sich, und wir werden heute nacht kaum einen Stern zu sehen bekommen. Wir wollen in der Nähe bleiben, morgen früh die Breite aufnehmen und können dann den Breitengrad des Leu-Leu-Atolls entlang laufen. So haben es in alten Zeiten alle Seeleute gemacht.«

Mit ihrem Rumpf, den starken Spieren und ihrem hohen Bug war die Uncle Toby der langsamste, tonnenförmigste, aber auch steifste und sicherste Schoner, den Grief besaß. Er pflegte auf der Route zwischen den Banksinseln und der Santa-Cruz-Gruppe sowie nordwestlich nach verschiedenen einsamen Atollen zu laufen, wo seine eingeborenen Händler Kopra, Schildpatt und gelegentlich eine Tonne Perlen sammelten. Er hatte auf dieser Reise zuerst Leu-Leu, die fernste Insel, anlaufen wollen, und fand sich jetzt auf dem weiten Meere verloren mit einem Chronometer, auf den er sich nicht verlassen konnte.

II.

Kein Stern zeigte sich in der Nacht, und ebensowenig war die Sonne am nächsten Tage zu sehen. Eine schwüle, stickige Stille herrschte, die nur hin und wieder von heftigen, mit starken Regengüssen verbundenen Böen unterbrochen wurde. Aus Furcht, zu weit aus dem Kurs zu geraten, braßte die Uncle Toby vierkant. Vier Tage und vier Nächte war der Himmel von Wolken verhüllt. Die Sonne zeigte sich nicht, und die Sterne brachen zwar hin und wieder durch die Wolken, aber zu trübe und flüchtig, als daß man eine Beobachtung hätte machen können. Unterdessen mußte es auch dem jüngsten Schiffsjungen klar werden, daß ein furchtbares Unwetter im Anmarsch war. Grief sah auf das Barometer, das unerschütterlich 29,90 zeigte, dann begab er sich wieder an Deck. Er stieß auf Jackie-Jackie, dessen Gesicht jetzt ebenso düster wie der Himmel war. Jackie-Jackie war ein erfahrener Tonga-Matrose, der Bootsmanndienste tat und der gemischten Kanakenmannschaft gegenüber gewissermaßen als zweiter Steuermann galt.

»Groß Wetter ihn kommen, ich glauben«, sagte er. »Ich sehen ihn bestimmt kommen, vielleicht in fünf oder sechs Stunden.«

Grief nickte. »Wirbelsturmwetter, du hast recht, Jackie-Jackie. Sehr bald Barometer gehen runter – daß Boden fallen heraus.«

»Sicher«, meinte der Tonganer. »Es wird wehen wie Hölle.« – Zehn Minuten später kam Snow an Deck. »Es fällt plötzlich«, sagte er. »29,85; es fällt ruckweise. Merken Sie, wie schwül es ist?« Er wischte sich mit dem Handrücken die Stirn. »Ich bin ganz krank. Das ganze Frühstück kommt mir hoch.«

Jackie-Jackie grinste. »Mir gehen genau so. Alles in mir herumgehen. Das immer so vor großem Wetter. Aber Uncle Toby in Ordnung. Sie kommen überall durch.«

»Sie täten besser, die Gaffel zu reffen und den Sturmklüver zu setzen«, sagte Grief zum Steuermann. »Und sehen Sie nach, ob alle Seisinge klar sind. Man kann nicht wissen, was wird. Überwachen Sie selbst die Arbeit.«

Nach einer Stunde war es noch drückender geworden, die Windstille hielt an, und das Barometer war auf 29,70 gefallen. Dem Steuermann, der noch jung war, fehlte die Geduld, das kommende Unheil ruhig abzuwarten. Nachdem er eine Weile rastlos an Deck auf und ab gewandert war, blieb er plötzlich stehen und schwang die Arme.

»Wenn wir es doch kriegen sollen, dann schon lieber gleich«, rief er. »Dies Warten hat ja keinen Sinn! Nur her damit, und wenn es auch noch so schlimm wird! Eine schöne Situation übrigens – ein durchgedrehter Chronometer und ein Wirbelsturm, der nicht kommen will!«

Der wirr bewölkte Himmel nahm eine unbestimmte Kupferfarbe an und sah aus wie ein ungeheurer, rotglühender Kessel. Die ganze Mannschaft war an Deck gekommen. Die eingeborenen Matrosen standen mittschiffs und vorn in ängstlichen Gruppen, unterhielten sich leise und warfen argwöhnische Blicke auf den unheilverkündenden Himmel und das ebenso unheilverkündende Meer, das in weiten öligen Wellen atmete.

»Sieht aus, wie Petroleum mit Rizinusöl gemischt«, brummte der Steuermann und spie seinen Abscheu über Bord. »Als ich klein war, verabreichte mir meine Mutter manchmal das Gebräu. Sehen Sie, wie dunkel es wird?«

Die geisterhafte Kupferglut war erloschen, der Himmel verdüsterte sich, und es wurde dunkel wie späte Dämmerung. David Grief strengte seine Augen an, um in dem schwachen Licht »die Gesetze des Sturmes« nachzulesen, obwohl er mit einem Wirbelsturm gut Bescheid wußte. Es war nichts zu machen, als zu warten, bis es losging, und dann festzustellen, welche Richtung das vernichtende Zentrum des Wirbelsturmes einschlug.

Es war drei Uhr nachmittags, und das Barometer stand auf 29,45, als es zu wehen begann. Man konnte erkennen, wie das Meer sich in der Ferne verdunkelte und sich winzige Schaumwellen vor dem Winde kräuselten. Dann kam eine steife Brise, die die Uncle Toby unter ihren Sturmsegeln eine gleichmäßige Fahrt von etwa vier Knoten machen ließ.

»Das ist ja gar nicht der Rede wert, nach all den Vorbereitungen«, knurrte Snow verdrießlich.

»Pickaninnywind«, räumte Jackie-Jackie ein. »Er wachsen groß sehr schnell, du sehen.«

Grief ließ die Fock, jedoch mit Reffen, setzen, und die Uncle Toby lief schneller in dem wachsenden Winde. Der Wind nahm schnell an Stärke zu, war jedoch nicht stetig. Er schlief wieder ein, aber nur, um stoßweise immer stärker zu werden. Zuletzt lag die Reling der Uncle Toby mehr unter als über Wasser, und die Speigatten genügten nicht, um das schäumende Wasser, das sie übernahm, ablaufen zu lassen.

Grief studierte eingehend das immer noch fallende Barometer.

»Das Zentrum liegt südlich,« sagte er zu Snow, »und wir kreuzen seinen Weg und laufen direkt hinein. Wir müssen unsern Kurs ändern. Dann wird das Barometer hoffentlich steigen. Holen Sie die Vorsegel ein – sie kann sie nicht mehr tragen – und legen Sie um.«

Das Manöver wurde ausgeführt; in der fast nächtlichen Dunkelheit wandte sich die Uncle Toby und schoß in wahnsinniger Fahrt nach Norden.

»Es ist reine Glückssache«, vertraute Grief seinem Steuermann einige Stunden später an. »Der Wirbel macht eine große Kurve, die sich nicht berechnen läßt – möglicherweise geraten wir direkt hinein, statt ihm zu entgehen. Gott sei Dank hält sich das Barometer jetzt. Alles hängt davon ab, wie groß die Kurve ist. Die See ist zu schwer, wir müssen brassen! Wir werden schon irgendwie durchkommen.«

»Ich hatte mir eingebildet, daß ich wüßte, was Wind ist«, schrie Snow am nächsten Morgen seinem Reeder ins Ohr. »Aber das ist ja kein Sturm mehr, dafür gibt es überhaupt keine Bezeichnung. Das ist ja einfach unmöglich. Die einzelnen Stöße müssen eine Schnelligkeit von neunzig bis hundert Meilen die Stunde erreichen. Kein Mensch würde mir das glauben, wenn ich es ihm erzählte. Man würde mich auslachen. Und sehen Sie das Meer. Ich hab' doch den ganzen Osten durchfahren, aber so was hab' ich noch nicht erlebt.«

Der Tag brach an, und die Sonne mußte schon vor einer Stunde aufgegangen sein; aber alles, was sie vermochte, war, die Finsternis zu einem düstern Zwielicht zu erhellen. Das Meer war eine Prozession schreitender Berge. Fünfhundert Meter gähnten zwischen Wellenkamm und Wellenkamm. Auf den langen Hängen, die ein wenig vor der vollen Wucht des Sturmes geschützt waren, folgten sich ununterbrochen die Reihen kleiner weißer Schaumkronen. Auf dem Kamm aber wurde der Schaum vom Winde fortgerissen und flog in Masthöhe und darüber horizontal über die Oberfläche des Meeres.

»Das Schlimmste haben wir überstanden«, meinte Grief. »Das Barometer beginnt zu steigen, aber die See wird noch höher gehen, wenn der Wind auch abnimmt. Ich gehe hinunter und lege mich hin. Achten Sie darauf, wenn der Wind umschlägt! Es muß kommen. Um acht wecken Sie mich.«

Als der Sturm am Nachmittag so weit abgeflaut war, daß er kaum noch eine steife Brise genannt werden konnte, die See aber noch hoch ging, sichtete der Tonga-Bootsmann einen kieloben treibenden Schoner. Von der Uncle Toby aus konnte man den Namen des Schiffes nicht sehen, aber vor Einbruch der Nacht stießen sie auf eine kleine runde Jolle, auf deren Bug mit weißen, fast verwischten Buchstaben »Emily L. Nr. 3« stand.

»Ein Robbenfänger«, sagte Grief. »Aber was ein Robbenfänger in dieser Gegend will, ist mir schleierhaft.«

»Schatzjäger vielleicht?« meinte Snow. »Sowohl die Sophie Sutherland wie die Hermann waren, wie Sie sich erinnern werden, Robbenschoner. Sie waren von diesen Leuten ausgerüstet, deren Karte so vorzüglich ist, daß sie immer nur nach ihr zu segeln brauchen, die aber an Ort und Stelle nie etwas finden.«

III.

Nach einer schwindelerregenden Nacht, in der die Uncle Toby auf der wildbewegten See umhergeschleudert wurde, ohne daß der leiseste Wind ihr einen Halt geboten hätte, und alle an Bord krank an Leib und Seele waren, sprang eine leichte Brise auf, und die Segel konnten gesetzt werden. Um die Mittagszeit lichteten sich die Wolken über einem sanft wogenden Meere, und die Sonne brach hindurch. Die Beobachtung ergab zwei Grad fünfzehn Minuten südlicher Breite. Der Längengrad konnte wegen des schadhaften Chronometers nicht bestimmt werden.

»Wir können Gott weiß wo auf dieser Breite sein«, bemerkte Grief, der sich mit dem Steuermann über die Karte beugte. »Leu-Leu liegt südlicher, und dieser Teil des Meeres ist auf tausend Meilen vollkommen leer. Es gibt weder eine Insel noch ein Riff, nach dem wir unsern Chronometer regulieren können. Das einzige, was uns übrigbleibt – –« »Land in Sicht!« rief der Tonganer die Kajütstreppe herunter.

Grief warf einen raschen Blick auf die Karte, stieß vor Überraschung einen Pfiff aus und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

»Jetzt wird's aber zu bunt«, sagte er. »Hier kann gar kein Land sein. Ist unser Schiff denn verhext? Die ganze Reise ist wie verrückt gewesen! Wollen Sie so freundlich sein, Herr Snow, und feststellen, was mit Jackie los ist.«

»Es ist wirklich Land«, rief der Steuermann gleich darauf herunter. »Sie können es von Deck aus sehen – Wipfel von Kokospalmen – irgendein Atoll. Vielleicht ist es doch Leu-Leu.«

Grief schüttelte energisch den Kopf, als er den Saum von Palmen erblickte, deren Spitzen jetzt deutlich aus dem Meere auftauchten.

»Lassen Sie uns so dicht wie möglich herangehen, Herr Snow, daß wir uns die Geschichte einmal ansehen können. Wenn wir gerade nach Süden halten, werden wir die südwestliche Ecke treffen.«

Die Palmen konnten nicht fern sein, wenn man sie vom Deck des Schoners aus sehen konnte, und obgleich die Uncle Toby nur langsam vorwärts kam, hob sich das niedrige Land doch schnell aus dem Meere. Die Palmen verkündeten deutlich die Kreisform des Atolls.

»Das ist Schönheit«, bemerkte der Steuermann. »Ein vollkommener Kreis . . . Es sieht aus, als hätte es einen Durchmesser von acht bis neun Meilen . . . ich möchte wissen, ob es irgendwo eine Einfahrt in die Lagune gibt. Vielleicht haben wir eine funkelnagelneue Entdeckung gemacht.«

Sie fuhren die Westküste der Insel entlang und forschten in der Brandung nach einer Öffnung im Korallenriff. Von der Mastspitze meldete ein Kanake, daß er die Lagune und eine kleine Insel in der Mitte sehen könne.

»Ich weiß, was Sie denken«, sagte Grief zu seinem Steuermann.

Snow, der kopfschüttelnd etwas vor sich hingemurmelt hatte, blickte ungläubig auf.

»Sie denken, daß die Einfahrt vielleicht auf der Nordwestseite sein wird,« fuhr Grief fort, »daß sie zwei Kabellängen breit, im Norden durch drei einzelne Kokospalmen und im Süden durch Pandanusbäume bezeichnet ist. – Acht Meilen Durchmesser, ein vollkommener Kreis und eine Insel genau in der Mitte!«

»Ja, das dachte ich wirklich«, räumte Snow ein.

»Und da haben Sie die Einfahrt – gerade wo sie sein soll –«

»Und die drei Palmen«, sagte Snow beinahe flüsternd. »Und die Pandanusbäume. Wenn sich jetzt noch eine Windmühle auf der Insel befindet, dann ist es – – Swithin Halls Insel. Aber sie kann es ja gar nicht sein. Zehn Jahre lang hat man vergebens nach ihr gesucht.«

»Hall hat Ihnen doch mal einen bösen Streich gespielt, nicht wahr?« fragte Grief.

Snow nickte. »Deshalb fahre ich ja jetzt für Sie. Er ruinierte mich gänzlich. Es war gemeiner Raub. Ich hatte das Wrack der Cascade in Sidney gekauft – für die erste Rate einer Erbschaft, die ich zu Hause gemacht hatte.«

»War sie nicht auf der Weihnachtsinsel gestrandet?«

»Ja, sie war nachts hoch auf den Strand gelaufen. Passagiere und Gepäck wurden gerettet. Dann kaufte ich einen kleinen Inselschoner, wobei der Rest meines Geldes draufging. Ausrüsten konnte ich ihn erst, als der Testamentsvollstrecker die letzte Rate schickte. Und was tat Swithin Hall unterdessen? Er war damals gerade in Honolulu, fuhr aber sofort nach der Weihnachtsinsel. Er hatte weder ein Recht noch einen Auftrag, irgend etwas zu unternehmen; aber als ich kam, war von der Cascade nichts mehr übrig als der Rumpf und die Maschinen. Sie hatte eine kostbare Ladung Seide an Bord gehabt. Ganz unbeschädigt. Sein Superkargo erzählte es mir später ganz ohne Umschweife. Er bestahl mich um ungefähr sechzigtausend Dollar.«

Snow zuckte die Achseln und warf einen finsteren Blick auf die sanfte Fläche der Lagune, auf der winzige Wellen in der Nachmittagssonne tanzten. »Das Wrack gehörte mir. Ich hatte es auf der öffentlichen Auktion gekauft. Ich hatte hoch gesetzt und verloren. Als ich nach Sydney zurückkehrte, belegten die Besatzung und einige Kaufleute, die mir Kredit gegeben hatten, meinen Schoner mit Beschlag. Ich versetzte meine Uhr und meinen Sextanten, schaufelte eine Weile Kohlen und bekam schließlich eine Anstellung auf den Neuen Hebriden mit einem Gehalt von acht Pfund monatlich. Dann versuchte ich mein Glück als Händler, verkrachte, heuerte als Steuermann auf einem Werber, der nach Tanna und den Fidschiinseln ging, wurde eine Zeitlang Aufseher auf einer deutschen Plantage, kehrte dann aber nach Apia zurück und landete schließlich auf der Uncle Toby.«

»Haben Sie Swithin Hall je getroffen?«

Snow schüttelte den Kopf.

»Na, dann werden Sie ihn höchstwahrscheinlich jetzt treffen. Da ist die Windmühle.«

Im Mittelpunkt der Lagune sahen sie, als sie die Einfahrt passierten, ein dichtbewaldetes Inselchen, zwischen seinen Bäumen zeigte sich deutlich eine holländische Windmühle.

»Anscheinend niemand zu Hause«, sagte Grief. »Sonst würden Sie sicher Gelegenheit haben, Ihr Guthaben einzukassieren.«

Rachgier zeigte sich auf dem Gesicht des Steuermanns, und seine Fäuste ballten sich.

»Das Gesetz kann ich nicht gegen ihn zu Hilfe nehmen. Er ist jetzt zu reich. Aber ich kann aus seinen Lägern für sechzigtausend Dollar nehmen. Ich hoffe, daß er daheim ist.«

»Das hoffe ich auch«, sagte Grief mit einem anerkennenden Lächeln. »Die Beschreibung der Insel haben Sie wohl von Bau-Oti erhalten?«

»Ja, ich wie so viele andre. Das Schlimme ist nur, daß Bau-Oti weder Längen- noch Breitengrad angeben konnte. Er sagte nur, daß es eine weite Fahrt von den Gilbertinseln sei – mehr wußte er nicht. Ich hätte übrigens gern gewußt, was aus ihm geworden ist.«

»Voriges Jahr sah ich ihn an der Küste von Tahiti. Er sagte, daß er beabsichtige, eine Fahrt durch die Paumotus zu machen. – Aber jetzt sind wir gleich da. Jackie-Jackie, lote. Halten Sie den Anker klar, Herr Snow. Nach Bau-Oti ist dreihundert Ellen vor der Westküste bei neun Faden Tiefe Ankergrund, östlich sollen Korallenriffe sein. – Da haben wir die Riffe. Was hast du, Jackie?«

»Neun Faden.«

»Fallen lassen, Herr Snow.«

Die Uncle Toby zerrte an ihrer Kette, die Segel gingen herunter und wurden von der Kanakenmannschaft beschlagen.

IV.

Das Walboot legte an der kleinen, aus Korallenblöcken erbauten Mole an, und David Grief stieg mit seinem Steuermann aus. »Glauben Sie mir, die Insel ist verlassen«, sagte Grief, als sie den sandigen Weg zum Bungalow hinauf schritten. »Aber ich spüre einen Geruch, den ich kenne. Hier ist was zu machen, oder mein Geruchsinn müßte mich täuschen. Die Lagune ist voll von Muscheln, und das Fleisch fault keine tausend Schritt von hier. Riechen Sie es nicht?«

Swithin Halls Bungalow war recht ungewöhnlich. Er war im Missionsstil erbaut, und als sie die Tür aufklinkten, fanden sie Einrichtung und Möbel im selben Stil. Der Boden des großen Wohnzimmers war mit feinsten Samoamatten belegt. Da gab es Diwans, hübsche Fensterplätze, lauschige Ecken und ein Billard. Ein Nähtisch mit einem Nähkörbchen, über den eine feine französische Stickerei gebreitet war, zeugte von der Anwesenheit einer Frau. Durch Schirme, die auf der Veranda aufgestellt waren, wurde der blendende Sonnenschein zu einem sanften Licht abgeblendet. Grief bemerkte einige Druckknöpfe aus Perlen.

»Elektrische Beleuchtung, weiß Gott!« rief er aus, indem er auf die Knöpfe drückte. »Durch die Windmühle getrieben.«

Verborgene Schalen glühten auf, und der Raum war von einem zerstreuten goldenen Licht erfüllt. An den Wänden standen hohe Bücherregale. Grief warf einen Blick auf die Titel. Trotzdem er für einen Abenteurer recht belesen war, überraschte ihn doch die Auswahl und Vielseitigkeit der Bibliothek. Er traf alte Freunde neben Büchern, von denen er zwar gehört, die er aber nie gelesen hatte. Da waren die gesammelten Werke von Tolstoi, Turgeniew und Gorki; von Cooper und Mark Twain; von Hugo, Zola und Sue sowie von Flaubert, Maupassant und Paul de Kock. Er blickte neugierig auf die Namen Metschnikoff, Weininger und Schopenhauer, las voller Erstaunen Ellis, Lydston, Krafft-Ebing und Forel. Er hielt Woodruffs ›Ausbreitung der Rassen‹ in der Hand, als Snow von einem Gang durchs Haus zurückkehrte.

»Emaillierte Badewannen, ein besonderer Raum für Dusche und Sitzbad«, rief er. »Wie für einen König! Und ich nehme an, daß mein Geld zum Teil darauf verwendet wurde. Das Haus muß bewohnt sein. Ich fand frisch geöffnete Dosen mit Butter und Milch sowie frisches Schildkrötenfleisch in der Speisekammer. Ich will sehen, ob ich noch mehr finde.«

Grief öffnete die Tür an der entgegengesetzten Seite des Zimmers und sah, daß er offenbar das Schlafzimmer einer Dame vor sich hatte. Durch eine Tür aus Drahtgeflecht blickte er in einen durch Vorhänge verdunkelten Alkoven. Auf einem Ruhebett lag in tiefem Schlummer eine Frau. In dem milden Licht erschien sie ungewöhnlich schön und von ausgesprochen spanischem Typ. Neben ihr lag ein aufgeschlagenes Buch. Aus der Farbe ihrer Wangen schloß Grief, daß sie sich noch nicht sehr lange in den Tropen befand. Er zog sich leise zurück. Im selben Augenblick kam von der andern Seite Snow, einen verrunzelten alten Neger hinter sich herziehend, der vor Schrecken grinste und durch Zeichen zu verstehen gab, daß er taubstumm war. »Ich fand ihn in einem Verschlage hinter dem Hause, wo er ein Schläfchen hielt«, sagte der Steuermann. »Ich nehme an, daß es der Koch ist. Ich kann kein Wort aus ihm herausbringen. Und was haben Sie gefunden?«

»Eine schlafende Prinzessin. Pst! Es kommt jemand.«

»Das ist Hall«, murmelte Snow und ballte die Fäuste. Grief schüttelte den Kopf. »Keinen Lärm. Es ist eine Frau im Hause. Wenn es Hall ist, werde ich, bevor wir aufbrechen, schon dafür sorgen, daß Sie eine günstige Gelegenheit finden.«

Die Tür öffnete sich, und ein großer, kräftiger Mann trat ein. In seinem Gürtel steckte ein schwerer, langläufiger Coltrevolver. Er warf ihnen einen raschen unruhigen Blick zu, dann zog ein heiteres Lächeln über sein Gesicht, und er streckte die Hand aus. »Willkommen, Fremde. Aber – nehmen Sie mir die Frage nicht übel – wie, bei allen Heiligen, haben Sie meine Insel ausfindig gemacht?«

»Wir sind aus dem Kurs geraten«, antwortete Grief, ihm die Hand schüttelnd.

»Mein Name ist Hall, Swithin Hall«, sagte der andre, indem er sich Snow zuwandte, um auch ihm die Hand zu schütteln. »Und ich muß Ihnen sagen, daß Sie die ersten Gäste sind, die ich je bei mir gesehen habe.«

»Und dies ist Ihre geheimnisvolle Insel, von der man seit Jahren an allen Südseeküsten spricht«, antwortete Grief. »Nun, jetzt weiß ich jedenfalls, wie man herfindet.«

»Wie denn?« fragte Hall hastig.

»Indem man seinen Chronometer zerbricht, in einen Wirbelsturm gerät und nach Kokospalmen guckt, die aus dem Meere auftauchen.«

»Und wie heißen Sie?« fragte Hall, nachdem er seiner Heiterkeit Luft gemacht hatte.

»Anstey – Phil Anstey«, erwiderte Grief prompt. »Mit der Uncle Toby von den Gilbertinseln unterwegs nach Neuguinea und auf der Suche nach dem verlorenen Längengrad. Dies ist mein Steuermann, Herr Gray, ein besserer Seemann als ich; kann aber auch ohne Chronometer nichts anfangen.«

Grief wußte selber nicht, warum er log. Er hatte einfach einer Eingebung gehorcht. Sein Instinkt sagte ihm, daß hier irgend etwas nicht stimme, wenn er auch nicht wußte, was. Swithin war ein beleibter Mann mit einem runden Gesicht, mit lachendem Mund und mit Lachfältchen in den Augenwinkeln. Aber Grief wußte längst, wie leicht man sich von diesem Typ täuschen ließ, und wie leicht man sich in diesen blauen Augen irrte, die die Gedanken hinter heiteren Blicken bargen.

»Was machen Sie denn mit meinem Koch? – Haben Sie Ihren verloren und wollen meinen jetzt shanghaien?« fragte Hall. »Es ist schon besser, Sie lassen ihn los, wenn Ihnen daran liegt, etwas zum Abendbrot zu bekommen. Meine Frau wird sich sicher freuen, wenn Sie zum Mittagessen bleiben, wie sie es nennt. Sie schilt mich immer, weil ich es anders nenne, aber ich bin nun mal altmodisch in der Beziehung. Bei mir zu Hause aß man mitten am Tage Mittag. Ich kann die alte Gewohnheit nicht ablegen. Wollen Sie sich nicht waschen? Ich will es jedenfalls tun. Sehen Sie mich an. Ich habe den ganzen Tag geschuftet wie ein Vieh. Ich war selbst mit den Leuten draußen – Muscheln. Aber Sie haben's natürlich gerochen.«

V.

Snow gab vor, an Bord des Schoners zu tun zu haben, und entfernte sich. Er hatte nicht Lust, die Gastfreundschaft des Mannes anzunehmen, der ihn beraubt hatte, und außerdem mußte er den Kanaken die Lügen Griefs einbläuen. Um elf Uhr kam Grief selbst an Bord und fand seinen Steuermann in Erwartung seines Berichtes.

»Irgend etwas stimmt nicht auf Swithin Halls Insel«, sagte Grief kopfschüttelnd. »Ich weiß noch nicht, was; es ist Gefühlssache. Wie soll Swithin Hall eigentlich aussehen?«

Snow schüttelte den Kopf.

»Der Mann auf der Insel hat nie im Leben die Bücher auf den Regalen gekauft«, erklärte Grief mit Überzeugung. »Er hat auch nicht die stimmungsvolle Beleuchtung angelegt. Er hat eine polierte Oberfläche, aber darunter ist er rauh wie ein Reibeisen. Er ist ein gerissener Schwindler. Und die Kerle, die er bei sich hat – Watson und Gorman heißen Sie. Sie kamen, als Sie gegangen waren – ein paar richtige, verwitterte Seebären, schartig und rauh wie rostige Eisennägel und bedeutend gefährlicher; ruppige Gesellen mit Pistolen im Gürtel – durchaus nicht die rechten Kameraden für einen Mann wie Swithin Hall. Und das Frauenzimmer! Sie ist eine Dame. Wirklich. Sie weiß Bescheid in Südamerika und in China. Ich glaube bestimmt, daß sie Spanierin ist, obgleich sie englisch spricht wie eine Einheimische. Sie ist viel gereist. Wir sprachen von Stierkämpfen, die sie in Guayaquil, in Mexiko und Sevilla gesehen hat. Außerdem versteht sie sich auf Robbenfelle.

Was mir am meisten zu denken gibt, ist, daß sie musikalisch ist. Ich fragte sie, ob sie spiele. Und da sollte er einen solchen Palast eingerichtet haben, ohne für ein Klavier zu sorgen! Und noch eins: Sie ist rasch und lebhaft, und er paßt bei jedem Wort, das sie sagt, auf wie ein Schießhund. Er sitzt wie auf Nadeln und unterbricht alle Augenblicke die Unterhaltung. Sagen Sie, haben Sie je etwas davon gehört, daß Swithin Hall verheiratet ist?«

»Darüber habe ich mir, weiß Gott, nie den Kopf zerbrochen«, erwiderte der Steuermann.

»Er stellte sie mir als seine Frau vor. Und Watson und Gorman nennen ihn Hall. Ein edles Paar diese beiden. Ich versteh die Geschichte nicht.«

»Was gedenken Sie denn eigentlich zu tun?« fragte Snow.

»Oh, erst ein bißchen schnüffeln. Es sind einige Bücher im Hause, die ich gern lesen möchte. Nehmen Sie morgen den Toppmast herunter und lassen Sie überhaupt das ganze Schiff gründlich überholen. Wir haben einen Orkan hinter uns, vergessen Sie das nicht. Und wenn Sie gerade mal dabei sind, dann sehen Sie auch das Tauwerk gründlich nach. Setzen Sie alles hübsch instand und lassen Sie sich Zeit.«

VI.

Am nächsten Tage fand Griefs Verdacht neue Nahrung. Er hatte sich zeitig an Land begeben und schlenderte über die kleine Insel auf die Baracken zu, in denen die Taucher wohnten. Sie wollten gerade in die Boote gehen, als Grief kam, und es fiel ihm auf, daß die Kanaken fast aussahen wie ein Trupp Sträflinge, die an die Arbeit geschickt werden. Die Weißen standen dabei, und Grief sah, daß sie alle drei mit Gewehren versehen waren. Hall begrüßte ihn ganz freundlich, aber Gorman und Watson sahen ihn scheel an, als sie einen mürrischen »Guten Morgen« grunzten. Einen Augenblick später benutzte einer der Kanaken, der sich über sein Ruder beugte, die Gelegenheit, Grief ein Zeichen zu machen. Das Gesicht des Mannes kam ihm bekannt vor, es mochte einer der tausend eingeborenen Matrosen oder Taucher sein, die er im Laufe der Zeit in der Südsee getroffen hatte.

»Sag ihnen nicht, wer ich bin«, sagte Grief auf Tahitanisch. »Bist du einmal für mich gefahren?«

Der Mann nickte und öffnete den Mund; ehe er aber sprechen konnte, rief Watson, der schon achtern im Boot saß, ihm ein wütendes »Halt's Maul!« zu.

»Sie müssen entschuldigen«, sagte Grief. »Ich hätte wohl nicht mit ihm sprechen sollen.«

»Schon gut«, mischte Hall sich schnell ein. »Wissen Sie, die Kerle reden immer zu viel und arbeiten zu wenig. Wenn man nicht streng gegen sie ist, würden sie nicht genug Muscheln fischen, um ihre eigene Kost zu bezahlen.«

Grief nickte verständnisvoll. »Ich kenne das. Hatte selbst mit ihnen zu tun – faule Schweine! Ich habe sie antreiben müssen wie die Nigger, sonst hätte ich nicht einen halben Arbeitstag aus ihnen herausgeschunden.«

»Was haben Sie zu dem Mann gesagt?« platzte Gorman heraus.

»Ich fragte ihn nur nach der Güte der Muscheln, und wie tief sie tauchen müßten.«

»Glänzend«, antwortete Hall für ihn. »Wir arbeiten jetzt in etwa zehn Faden Tiefe. Es ist hier gerade voraus, keine hundert Schritt entfernt. Wollen Sie mitkommen?«

Den halben Tag verbrachte Grief draußen bei den Booten, dann frühstückten sie im Hause. Am Nachmittag ruhte er sich im großen Wohnzimmer aus, las ein wenig und unterhielt sich ein halbes Stündchen mit Frau Hall. Nach Tisch spielte er mit ihrem Manne Billard. Nun hatte Grief zwar Hall noch nie getroffen, wußte aber, daß er von Levuka bis Honolulu als ein glänzender Billardspieler bekannt war. Der Mann aber, mit dem Grief jetzt spielte, war ein recht mäßiger Spieler. Seine Frau handhabte das Queue viel besser.

Als Grief wieder an Bord der Uncle Toby kam, purrte er Jackie-Jackie aus der Koje. Er beschrieb ihm die Lage der Baracken und befahl dem Tonganer, vorsichtig hinzuschwimmen und mit den Kanaken zu reden. Nach zwei Stunden kehrte Jackie-Jackie zurück. Als er tropfend vor Grief stand, schüttelte er den Kopf.

»Sehr merkwürdige Sache«, berichtete er. »Ein weißer Mann bleiben ganze Zeit. Er haben groß Büchse. Er liegen im Wasser und passen auf. Vielleicht zwölf Uhr ander weißer Mann kommen und nehmen Büchse, Erster weißer Mann gehen zu Bett. Ander weißer Mann jetzt bleiben mit Büchse. Nicht gut. Mich nicht können sprechen mit Kanaken, mich kommen zurück.«

»Weiß Gott«, sagte Grief zu Snow, als der Tonganer sich wieder in seine Koje begeben hatte, »ich rieche etwas mehr als Muscheln. Diese drei Männer bewachen ständig ihre Kanaken. Der Kerl ist nicht mehr Swithin Hall als ich selber.«

Snow stieß einen Pfiff aus. – »Ich hab's«, rief er.

»Und soll ich's Ihnen sagen?« fragte Grief. »Sie sind auf den Gedanken gekommen, daß die Emily L. ihr Schoner war.«

»Eben. Sie fischen Muscheln, während der Schoner weitere Taucher oder Vorräte holen sollte?«

»Ganz meine Meinung.« Grief warf einen Blick auf die Uhr in der Kajüte und stand auf, um zu Bett zu gehen. »Er ist Seemann – alle drei sind Seeleute, aber sie gehören nicht auf die Insel. Sie sind neu hier in der Gegend.«

Wieder stieß Snow einen Pfiff aus.

»Und die Emily L. ist mit Mann und Maus untergegangen«, sagte er. »Das wissen wir. Sie müssen jetzt auf der Insel bleiben, bis Swithin Hall wiederkommt. Dann faßt er sie mit all ihren Perlen.«

»Wenn sie nicht ihn mit seinem Schoner fassen.«

»Das hoffe ich nicht«, knurrte Snow rachgierig. »Wenn er schon einem Räuber in die Hände fallen soll, dann mir, damit ich die sechzigtausend mit ihm abrechnen kann.«

VII.

Eine Woche verging. Die Uncle Toby wurde überholt, und Grief biederte sich bei den Bewohnern der Insel an, so daß jeder Verdacht gegen ihn schwand und selbst Gorman und Watson sich mit seiner Gegenwart abfanden. Täglich bat und drängte Grief sie, ihm den Längengrad der Insel anzugeben.

»Ihr wollt mich doch nicht geradezu in den Tod schicken«, sagte er schließlich. »Ich kann meinen Chronometer nicht ohne eure geographische Länge stellen.«

Hall lehnte lachend ab.

»Sie sind ein viel zu guter Seemann, Herr Anstey, um nicht Neuguinea oder sonst ein hohes Land zu erreichen.«

»Und Sie ein zu guter Seemann, Herr Hall,« erwiderte Grief, »um nicht zu wissen, daß ich Ihre Insel immer finden kann, wenn ich nur den Breitengrad entlang laufe.«

Am letzten Abend bekam Grief zur Essenszeit zum erstenmal das Ergebnis ihrer Perlenfischerei zu sehen. Frau Hall, deren Freude an den Perlen grenzenlos war, bat ihren Mann, die schönsten zu bringen. Griefs Begeisterung und Erstaunen über den reichen Fang war echt.

»Die Lagune ist ganz unberührt«, erklärte Hall. »Sie haben ja selbst gesehen, wie alt die Schalen waren. Aber die meisten der wertvollen Perlen fanden wir merkwürdigerweise im Laufe einer einzigen Woche an einem kleinen Riff. Es war die reine Schatzkammer, jede Muschel, die wir kriegten, war voll von Perlen – in manchen natürlich waren nur kleine, aber fast all die erstklassigen in diesem Haufen stammen daher.«

Grief warf einen Blick auf die Perlen und sah sofort, daß es sich um Stücke im Werte von hundert bis tausend Dollar handelte, während einzelne noch weit wertvoller waren.

»Wie herrlich!« rief Frau Hall, neigte sich plötzlich über die Perlen und küßte sie.

Kurz darauf erhob sie sich, um »Gute Nacht« zu sagen.

»Ich muß mich verabschieden, gnädige Frau«, sagte Grief, als er ihre Hand ergriff. »Bei Tagesanbruch fahren wir.«

»So plötzlich!« rief sie; aber in den Augen ihres Mannes konnte Grief Befriedigung aufleuchten sehen.

»Ja«, fuhr Grief fort. »Alle Schäden sind ausgebessert. Ihr Mann will mir nur nicht die geographische Länge sagen, wenn ich auch die Hoffnung nicht aufgegeben habe, daß er es schließlich doch noch tut.«

Hall lachte und schüttelte den Kopf. Als seine Frau dann das Zimmer verlassen hatte, schlug er einen Abschiedstrunk vor. Sie rauchten und unterhielten sich.

»Wie hoch schätzen Sie sie?« fragte Grief, indem er auf die auf dem Tisch ausgebreiteten Perlen zeigte. »Ich meine, was werden die Perlenaufkäufer dafür bezahlen?«

»Fünfundsiebzig- bis achtzigtausend, denke ich«, sagte Hall nachlässig.

»Ich glaube doch, da unterschätzen Sie sie. Ich verstehe mich ein wenig auf Perlen. Die größte hier zum Beispiel, sie ist vollkommen. Nicht einen Cent weniger als fünftausend Dollar. Ein Multimillionär wird eines schönen Tages das Doppelte dafür geben, nachdem die verschiedenen Zwischenhändler ihren Anteil verdient haben. Die kleinen rechne ich gar nicht. Aber die Barockperlen. Die kommen ja jetzt in Mode. Ihr Wert verdoppelt sich mit jedem Jahre.«

Hall warf noch einen längeren forschenden Blick auf die Perlen, schätzte die einzelnen Haufen und rechnete die Summe laut zusammen.

»Sie haben recht«, gab er zu. »Sie sind schon jetzt ihre Hunderttausend wert.«

»Und wie hoch rechnen Sie Ihre Unkosten?« fuhr Grief fort. »Ihre Zeit, die der beiden Weißen und Ihrer Taucher?«

»Fünftausend vielleicht.«

»Dann haben Sie also fünfundneunzigtausend netto verdient?«

»Ja, so ungefähr. Aber warum sind Sie so neugierig?«

»Ach, ich wollte nur –« Grief machte eine Pause und leerte sein Glas. »Ich wollte nur sehen, ob ich nicht ein annehmbares Arrangement mit Ihnen treffen könnte. Sagen wir, daß ich Ihnen und Ihren Leuten die Überfahrt nach Sydney und die ausgelegten fünftausend Dollar – oder sagen wir – siebentausendfünfhundert Dollar gebe. Sie haben schwer gearbeitet.«

Der andre regte sich nicht, aber alle seine Muskeln spannten sich. Der wohlwollende Ausdruck seines runden Gesichts erlosch wie die Flamme einer ausgebrannten Kerze. Das Lachen verschwand aus seinen Augen, und statt dessen zeigte sich in ihrer Tiefe die harte, gefährliche Seele des Mannes. Mit leiser, ruhiger Stimme sprach er: »Was, zum Kuckuck, meinen Sie damit?«

Grief steckte sich die ausgegangene Zigarre an.

»Ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll«, sagte er. »Die Situation ist ja etwas peinlich – für Sie. Sehen Sie, ich möchte gern anständig gegen Sie sein. Wie gesagt, Sie haben schwer gearbeitet. Ich will Ihnen Ihre Zeit, Ihre Mühe und Ihre Ausgaben ersetzen.«

Jetzt stand plötzlich das Geständnis deutlich auf den Zügen des andern.

»Und ich dachte, Sie seien in Europa«, murmelte er. Eine Hoffnung glomm in ihm auf. »Aber sagen Sie mal, treiben Sie vielleicht Scherz mit mir? Wie kann ich wissen, ob Sie Swithin Hall sind?«

Grief zuckte die Achseln. »Ich würde das in Anbetracht Ihrer Gastfreundlichkeit für einen sehr schlechten Scherz halten. Und für einen ebenso schlechten Scherz würde ich es halten, wenn zwei Swithin Halls sich auf der Insel befänden.«

»Aber wenn Sie nicht Swithin Hall sind, zum Donnerwetter, wer bin ich dann? Wissen Sie das auch?«

»Nein«, antwortete Grief trocken. »Aber ich möchte es gern wissen.«

»Das geht Sie gar nichts an.«

»Das gebe ich zu. Darum handelt es sich hier auch nicht. Im übrigen kenne ich Ihren Schoner und kann selbst herausbekommen, wo Sie hergekommen sind.«

»Wie heißt das Schiff denn?«

»Emily L.«

»Also schön. Ich bin Kapitän Raffy, Eigentümer und Führer des Schiffes.«

»Der Robbenwilderer? Ich habe viel von Ihnen gehört. Was in aller Welt hat Sie in diese Gegend gebracht?«

»Ich brauchte Geld. Die Robbenherden sind ja fast ausgestorben.«

»Und da meinten Sie, daß in entlegeneren Teilen der Welt mehr zu holen war?«

»Allerdings. Und was nun uns beide betrifft, Herr Hall, so möchte ich Ihnen doch sagen, daß ich die Macht habe, mich Ihnen zu widersetzen. Was wollen Sie dann tun?«

»Was ich sagte. Aber ich will noch weitergehen. Was ist die Emily L. wert?«

»Ihre Tage sind ja bald gezählt. Höchstens zehntausend noch. Bei jeder schweren See fürchte ich, daß der Ballast durch die Planken bricht.«

»Ist schon durchgebrochen, Kapitän Raffy. Ich hab' sie nach dem Sturm kieloben treiben sehen. Sagen wir, sie war siebentausendfünfhundert wert. Ich will Ihnen fünfzehntausend und freie Überfahrt geben. Lassen Sie die Hände liegen.«

Grief stand auf, trat zu ihm und nahm ihm seinen Revolver weg.

»Nur eine notwendige Vorsichtsmaßregel, Kapitän. Sie gehen jetzt mit mir an Bord. Ich werde Ihre Gattin nachher benachrichtigen und zu Ihnen bringen.«

»Sie sind wirklich sehr anständig, Herr Hall das muß ich sagen«, meinte Kapitän Raffy, als das Walboot längsseits der Uncle Toby lag. »Aber nehmen Sie sich vor Gorman und Watson in acht, es sind ein paar gefährliche Brüder. Und noch eins – es ist mir eigentlich recht peinlich – aber wissen Sie, meine Frau – ich habe ihr vier oder fünf Perlen geschenkt. Watson und Gorman hatten nichts dagegen.«

»Aber bitte, Kapitän, lassen Sie uns kein Wort darüber verlieren. Die soll sie natürlich behalten. – Sind Sie's, Herr Snow? Ich bringe Ihnen hier einen Freund, Kapitän Raffy. Wollen Sie für ihn sorgen. Ich gehe an Land, um seine Frau zu holen.«

VIII.

David Grief saß am Lesetisch im Wohnzimmer des Bungalows und schrieb. Draußen zeigte sich der erste blasse Schimmer des Tages. Er hatte eine ereignisreiche Nacht hinter sich. Frau Raffy hatte einen hysterischen Anfall bekommen und dann zwei Stunden gebraucht, um ihre und ihres Mannes Habseligkeiten einzupacken. Gorman war im Schlaf überrumpelt worden; Watson dagegen, der bei den Tauchern Wache hielt, hatte sich auf die Hinterbeine gestellt. Schüsse waren zwar nicht gewechselt worden; aber erst, als er sich überzeugt hatte, daß das Spiel aus war, hatte er sich bereit erklärt, seinen Kumpanen an Bord zu folgen. Vorsichtshalber wurden er und Gorman in der Kajüte des Steuermanns in Eisen gelegt. Frau Raffy durfte sich frei in Griefs Kajüte bewegen, wo ihr Mann an den Tisch gefesselt wurde.

Grief machte den Schlußpunkt und überlas das Geschriebene noch einmal:

An Swithin Hall für in seiner Lagune gefischte Perlen Dollar 
 100 000
   Herbert Snow sein Guthaben für geborgtes Gut vom Dampfer Cascade in Perlen ausbezahlt  Dollar 
60 000
Kapitän Raffy Arbeitslöhne und Unkosten für das Perlenfischen bezahlt 7 500
Demselben als Ersatz für seinen im Wirbelsturm untergegangenen Schoner Emily L. bezahlt 7 500
Frau Raffy für freundliches Entgegenkommen fünf schöne Perlen gegeben 1 100
Überfahrt für vier Personen zu 120 Dollar nach Sydney 480
Bleiweiß zum Anstreichen von Swithin Halls zwei Walbooten 9
Saldo zu Swithin Halls Gunsten: Perlen in der Schublade im Bibliothekstisch 25 411
____________________
Dollar 100 000  100 000

Grief setzte das Datum und seinen Namen unter das Dokument. Dann fügte er als Fußnote hinzu: P. S. Ich erkläre hiermit, Swithin Hall noch drei Bücher, Hudson »Die Gesetze der psychischen Phänomene«, Zola »Paris« und Mahan »Probleme Asiens« zu schulden, die ich aus seiner Bibliothek entliehen habe. Diese Bücher bzw. ihr voller Gegenwert können im Bureau des Unterzeichneten in Sydney erhoben werden.

Er schaltete das elektrische Licht aus, nahm die Bücher, verschloß sorgsam die Haustür und schritt zu dem wartenden Walboot.

 


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