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Anrede an die sämtlichen Mitglieder des Hamburgischen Theaters bey der Uebernehmung des Directorii.

Hamburg 1767.

Meine Freunde!

Ich werde den heutigen Tag zu den glücklichsten meines Lebens zählen, wenn wir alle den großen Endzweck erreichen, der sich in einer glänzenden Aussicht uns zeiget. Sie kennen diesen Endzweck; und Sie kennen auch die Verbindlichkeiten, die wir gegeneinander, und ich gegen Sie insonderheit habe. Für mich ist es Ehre genug, daß ich einer Gesellschaft vorstehen soll, die unter ihren Mitgliedern einige der vortreflichsten Schauspieler unsrer Nation aufzuweisen hat; und für Sie sey es Aufmunterung, daß wir durch gemeinschaftlichen Eyfer den Ruhm, den Sie sich schon erworben haben, noch unendlich vergrössern, daß wir ein National-Theater gründen, und vorzüglich für den Geschmack, und für das Vergnügen unserer Mitbürger sorgen wollen.

Da Sie mir es vergönnen, einige Augenblicke zu Ihnen zu reden; so erlauben Sie mir zugleich, daß ich mit denenjenigen unter Ihnen insonderheit mich unterhalte, die die Schwelle des theatralischen Heiligthums zum erstenmal betreten; die sich einer Kunst widmen, von der sie vielleicht diejenige Kenntniß noch nicht haben, die das unerbittliche Publicum von ihnen verlangt; aber die auch zu ihrem Unterricht auf der Bahn des Ruhms so vortrefliche Muster vor sich sehen. Sobald Sie, angehende Schüler der Schauspielkunst! sobald Sie nur Talente haben; und Ihr Gefühl wird Ihnen hierin nicht schmeicheln, sobald dürfen Sie hoffen, daß Sie sich weit über das Mittelmäßige werden schwingen können, wenn Ihr edler Muth, dem der Fleiß und die Nacheiferung Flügel geben, sich durch nichts aufhalten läßt, in Ihrer Kunst diejenige Höhe zu erreichen, die Kenner loben. Mir alle wollen diesen Muth, der zwar immer bescheiden, aber doch von dem Sporn eines edlen Ehrgeizes muß lebendig erhalten werden, zu bilden, zu veredlen, zu unterhalten und zu vergrössern suchen. Aber, wie könnten Sie ihn besser bilden, als wenn Sie ausser dem Studio Ihres Herzens und der Natur, diejenigen zum Muster wählen, auf deren Kunst das Publicum schon längst das Siegel der Vortreflichkeit gedrückt hat. Lernen Sie vor allen Dingen die große Kunst zu rühren; und Sie werden des letzten und größten Endzwecks, der Kunst zu gefallen, niemals verfehlen. Ich berufe mich auf Sie, meine Freunde! Der Sieg, den Sie über die Herzen der Zuschauer erhalten; die edle, Empfindungsvolle Thräne, die sie dem Gefühlvollen Parterr ablocken, ist Ihnen dieser Sieg nicht schätzbarer, als alle Bewunderung, die Ihre reizende, ganz für die Illusion geschaffene, Kunst uns einzuflössen im Stande ist? Wer wird hieran zweifeln? Die Bewunderung ist kalt, blendet, gefällt nur wenige Augenblicke; und verschwindet eben so plötzlich, als sie entstanden ist. Aber die Empfindung, die gerade zu dem Herzen spricht, bewegt, erschreckt, erschüttert; und gefällt uns selbst in den allerstürmendesten Angriffen, die sie auf uns macht. Ich berufe mich auf Sie, ob es nicht heißen würde, den Affecten, die man mit Plato Flügel der Seele nennen kann, diese Flügel zu beschneiden, wenn man dem Schauspieler die Grenzen seiner Action ängstlich bestimmen, ihm eine zu regelmäßige Symetrie vorzirkeln, und ihn nach den Regeln eines Aubignac wollte seufzen oder wüten lassen?

Waget! ruft Dorat seinen Schauspielern zu. Aber, nicht an alle, meine Freunde! kann dieser kühne Rath gerichtet seyn. Man muß sich selbst kennen; man muß überzeugt seyn, daß man in dem ausstudirten Charakter den man vorstellt, nicht fehlt; man muß den Beyfall des Publici bereits für sich haben, sonst wird das Wagen, diese edle Kühnheit eine Raserey, ein wahres Uebertreiben, und ein Spott des Parterrs. Sie wissen, meine Freunde! daß der Grund, warum gute Schauspieler ohne Gefahr verspottet zu werden, übertreiben können, in der Natur der Schauspielkunst selbst gegründet ist. Mahlerey und Poesie haben ihre Grenzen: jene noch weit engre als diese. Aber das Theater hat sehr wenige; beynahe gar keine. Hier kann man alles wagen, wenn nur in der Art nicht verfehlt wird, womit es geschicht. Wenn Timanthes den Vater der Iphigenia in dem stärksten Schmerz mahlen soll; so verhüllt er ihm das Gesicht, weil der Schmerz desselben durch die Verzerrung des Gesichts sonst in das Heßliche ausarten müßte. Dieser einförmige in einem Gemählde angebrachte Zug würde unbedeutend, statt redend geworden seyn. Aber, nicht so auf der Bühne. Man müßte uns erst beweisen, daß das Geschrey, und die Verzerrung des Gesichts in dem heftigsten Schmerz bey den Helden des Trauerspiels etwas Unedles verrathe. Wir finden dies Unedle nicht in der Natur; warum wollten wir es denn auf dem Schauplatz, dieser allgemeinen Copie der Natur suchen? Homer, der gröste Kenner des menschlichen Herzens, läst seine Helden als Götter handeln, und als Menschen empfinden. Glauben Sie mir, Schauspieler können von diesem Vater des Geschmacks alles lernen. Vornehmlich die große Kunst, das Herz zu studieren, und die manichfaltigen Situationen kennen zu lernen, in die uns unsre Leidenschaften versetzen.

Es scheint fast, als ob unsre galante Nachbaren, die Franzosen, auch hierin der Natur eine Mode vorschreiben wollen. Alles was ihre Acteurs wagen, besteht in der heftigen Modulation ihrer Töne, und in der Action ihrer Hände. Aber in dem Theaterspiel selbst, in dem mahlerischen Ausdruck des Schmerzes, der Wut und der Verzweiflung haben sie es noch nie zu der Höhe gebracht, zu der doch die Natur uns so oft leitet, und wohin ihr der kühne Engelländer allein gefolgt ist. Wir Deutsche, denen man die ewige Nachahmungssucht auch auf unsrem Theater vorgeworfen hat, werden gewis den wahren Gesichtspunct treffen, nach dem sich unsre Original-Schriftsteller, und unsre Schauspieler richten müssen, wenn wir hieran denken wollen. Freylich haben wir, die wir alles so gut, als andre Nationen, vielleicht noch tiefsinniger ausstudirt haben, noch nicht unsern eignen Character studiert. Die Vermischung fremder Sitten, die sich in unsre Manier zu handeln, oft auch in unsre Art zu denken eingeschlichen hat, macht es unendlich schwer, das Unterscheidende unsers Characters zu bestimmen. Man kann ganz sicher, wie Diderot anmerkt, von den Schauspielern eines Volkes auf seine Sitten schliessen. Nun untersuche man, welche Stücke unserm Parterr am besten gefallen. Racine, der wie eine Taube in Myrthen Gebüschen girrt, ist viel zu sanft für uns: aber Corneille, der gleich dem Adler unter Donner und Blitzen schwebt, zieht mit seinem kühnen Fluge unsre Blicke viel schneller auf sich.

Daher wird eine Phädra, die noch immer die Bewunderung von ganz Paris ist, bey uns nie so gefallen, als Rodogüne, oder Mahomed. Selbst ein Herrmann, so National er auch ist, wird, weil es ihm an dem wahren Schrecklichen fehlt, nie den Beifall eines Richard des Dritten gewinnen. Mit einem Worte: unsre Empfindung ist so hoch gespannt, wie unser Muth. Dieser ist hart, unbiegsam, und nur durch eine überwiegende Macht zu beugen. So auch mit unsern Empfindungen. Alles muß stark seyn; es muß uns erschüttern, was uns rühren soll. Eben das gilt auch von der komischen Stärke. Wir haben gewaltig viel Laune in unserm Character; und hiebey verlangen wir große, treffende hervorstechende Züge, so wohl von Seiten des Dichters als des Schauspielers. Moliere, wird daher mit allen seinen Fehlern unserm Theater besser gefallen, als alle diejenigen, die sich einen Chaussée, oder einen andern feinen französischen Comödienschreiber zum Muster wählen. Der einzige Deutsche, der diese komische Stärke noch am glücklichsten erreicht hat, ist sehr leicht zu errathen; und was können wir von ihm nicht noch alles erwarten.

Aus dem, was ich bisher gesagt habe, sehen Sie selbst meine Freunde! daß wir unsrer Nation und unserm Theater einen Mittelplatz zwischen den Franzosen und Engelländern anweisen können. Für diese Stelle müssen unsre dramatische Dichter arbeiten, wenn sie National werden wollen. Auch unsre Schauspieler können aus dieser Situation einen Schluß auf das Wagen und Uebertreiben, und auf ihr ganzes Theaterspiel machen. Montagne sagt: es ist nur großen Dichtern erlaubt, sich gewisser Freiheiten in ihrer Kunst zu bedienen. Und freilich kann man seinen Ausspruch auch auf die Schauspieler ausdehnen. Man würde der Kunst mehr schaden, und die Action junger Schauspieler ehe wild machen, als natürlich bilden, wenn man ihnen bei der ersten Rolle, die sie zu spielen haben, zurufen wollte: Waget! Seyd kühn! Nein, wie gesagt: erst die Stimmen und den Beifall des eigensinnigen Parterrs erworben; erst die Künste gelernt, wodurch man dieses Beifalls gewis sein kann: erst das Studium der Natur und des Herzens; und alsdann, wenn man seiner Talente, der Richtigkeit seiner Declamation, der Kenntniß seiner Charactere, der Kunst seiner Pantomime gewis ist; wenn das Parterr frohlockt, sobald man auf der Bühne erscheint; alsdann kann man kühn sein: man kann wagen: man kann mit zerstreutem Haare auf der Bühne wüten, oder in einer komischen Laune das Lächerliche bis zum Ausschweifen hervorstechend machen; und ein lauter Beifall wird uns bis in die Scenen begleiten.

Freuen Sie sich, meine Freunde, daß dieser Beifall in Hamburg auf Sie wartet. Glauben Sie mir, so schwankend auch noch der Beifall des deutschen Publicums ist; so wenig tiefe Einsicht es noch überhaupt in das innre und wahre Wesen der Kunst verräth; so sehr man noch gewohnt ist, da dem Schauspieler Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, wo er nichts weniger als Lob verdient; wo blosse Gefälligkeit die oft Nebenursachen zum Grunde hat, lauten Beifall verbreitet; wo man das zur unrechten Zeit angebrachte Feierliche, das Aengstliche und Steife in dem Gestus, das Schiefe in der Declamation und in dem Character; und wo man hunderterley Fehler mehr zu übersehen, vielleicht gar als Schönheiten zu beklatschen im Stande ist; glauben Sie mir, sage ich, daß aller dieser Unvollkommenheiten ohngeachtet, es dennoch Kenner, glückliche einsichtsvolle Kenner der feinsten Schönheiten des Schauspielers giebt. Den Beyfall dieser Kenner zu erhalten, zu vergrössern und zu befestigen, dies müsse Ihr rühmliches, ihr tägliches Geschäfte seyn. Bringen sie nur Talente, guten Willen, Eyfer und Unverdrossenheit mit; und glauben Sie, es wird lediglich auf Sie ankommen, unsre Bühne dazu zu machen, daß sie dem deutschen Theater überhaupt den Ton geben kann. Lassen Sie uns alle nach dieser Ehre streben. Ein solcher Ehrgeitz ist rühmlich. Erlauben Sie mir noch eine einzige Bitte. Da die Kunst, der wir uns mit vereinten Kräften widmen, eine der liebenswürdigsten Künste ist; so lassen Sie uns selbige durch unser eigenes Betragen unter einander nicht entehren. Knüpfen Sie selber das freundschaftliche Band, das eine jede Gesellschaft vereinigen muß, wenn sie bestehen soll, immer fester. Folgen Sie keiner Leidenschaft, als dem edlen Ehrgeitz, einander in ihrer Kunst zu übertreffen; und lassen Sie Neid, und alle niedrige Cabalen dem Pöbel der Schauspieler. Und da wir uns alle verbinden, die Sitten unsrer Nation zu verfeinern, und das Vergnügen unsrer Mitbürger zu befördern; so sey dies unser unwandelbahrer Entschluß; unsre eigne Sitten zu veredeln, und die Duelle des Vergnügens für uns selbst stets rein zu erhalten.

 

A. W. Bickfeldt; Osterwieck/Harz.

 


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