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Einleitung.

In einer Rezension von Gottscheds »Nötigem Vorrat« in der »Bibliothek der schönen Wissenschaften und Künste« vom Jahre 1762 heißt es: »Imgleichen ist noch ein wichtiges Stück zu der Geschichte des deutschen Theaters nöthig, nämlich eine Nachricht von allen deutschen Schaubühnen und Schauspielern, von welchen letztern man itzt fast nichts weiß, als was man etwa aus mündlichen Erzählungen hat und von welchem diejenigen gar nichts wissen, die sich nicht ganz besonders um theatralische Anekdoten bekümmern. Es könnte wohl niemand geschickter zu Mitteilung einer solchen Nachricht seyn, als der Herr Prof. Gottsched.« Und an einer andern Stelle wird bemerkt: »So haben viele Liebhaber eine vollständige Geschichte des deutschen Theaters von ihm erwartet, ob er sie gleich unsres Wissens niemals versprochen hat.« In dem Kreise der jungen Literaten, deren Reformbestrebungen dem deutschen Drama und Theater galten, mußte damals naturgemäß auch der Wunsch nach einer Geschichte der deutschen Schaubühne lebendig werden. Frankreich und Italien, die Heimat einer älteren und ausgebildeteren Theaterkultur, hatten auch auf dramaturgischem und theatergeschichtlichem Gebiete schon manche bemerkenswerte Frucht gezeitigt, die nun ein Feuerkopf, wie der junge Lessing in der eigenen Scheuer zu bergen trachtete. In den »Beiträgen zur Historie und Aufnahme des Theaters«, die der Zweiundzwanzigjährige zusammen mit seinem Freunde Mylius anno 1750 erscheinen ließ, versprach er mit dem kecken Mut der Jugend so ziemlich eine Enzyklopädie der Theaterwissenschaft, insbesondere aber eine Sammlung aller Schriften für und wider das Theater, von den Kirchenvätern bis zur Gegenwart. Nicht der Mangel der guten Aufnahme, sondern andere Umstände, nach Lessings eigner Aussage vornehmlich die Uferlosigkeit des Planes und die Ungeschicklichkeit des Hauptmitarbeiters machten dem Unternehmen bekanntlich ein rasches Ende. In der als Folge der Beiträge gedachten »Theatralischen Bibliothek« urteilte der junge Gelehrte über den »theatralischen Mischmasch« der ersten Sammlung selber abfällig und hoffte, jetzt eine wirkliche kritische Geschichte des Theaters zu allen Zeiten und bei allen Völkern zu liefern, indem er lediglich das Beste und Brauchbarste aufsuchen wollte. Lessings vornehmstes Augenmerk sollten auch jetzt noch immer die Alten bleiben. Von dem gegenwärtigen Zustand der verschiedenen Bühnen in Deutschland erklärte Lessing dagegen keine Nachrichten mitteilen zu wollen, teils weil er für die wenigsten derselben würde stehen können, teils weil er den Schauspielern nicht gern Gelegenheit zur Eifersucht geben wollte. Auch das neue Unternehmen blieb weit hinter den Absichten und Erwartungen zurück. Man fühlt, und der junge Gelehrte fühlte selber, daß er nur in der Literatur der antiken Autoren recht zu Hause war. Ziemlich steifleinene Übersetzungen und Auszüge aus den Schriften der beiden Riccoboni und dem ledernen » Comédien« des Rémond de Sainte Albine mußten als Lückenbüßer dienen, um den versprochenen, internationalen Charakter der Sammlung einigermaßen vorzutäuschen. Im Grunde überwog wohl bei Lessing das dramaturgisch-ästhetische Interesse das rein theatergeschichtliche. Immerhin haben wir in dem Hamburgischen Dramaturgisten, wenigstens dem Willen und der Idee nach, auch einen der Väter der deutschen Theatergeschichtsschreibung zu verehren. Es ist kein Zufall, daß gerade auf Hamburger Boden nicht nur die erste deutsche Dramaturgie, die diesen Namen verdient, sondern auch die erste Geschichte des deutschen Theaters entsprossen ist, ein Jahr bevor der Dichter der »Minna von Barnhelm« die Feder zu seinen Kritiken der Leistungen des ersten deutschen Nationaltheaters ansetzte. Johann Friedrich Löwen, der geistige Urheber des Nationaltheaterplanes, veröffentlichte 1766 im vierten Bande seiner gesammelten Schriften Hamburg 1766, Gedruckt und verlegt von Michael Christian Bock. Mit hübschem Kupfer von Meil. auf 66 Seiten die erste Geschichte des deutschen Theaters. Ein gar anspruchsvoller Titel für einen Versuch von fast lächerlich geringem Umfange. Aber der Pflug zog die erste Furche auf so gut wie jungfräulichem Boden. Und nicht die Frucht langjähriger wissenschaftlicher Versenkung in den Stoff lag vor, sondern eine Art von Dissertation, ein specimen eruditatis, wenn auch nicht im akademischen Sinne. – Das Charakterbild des Mannes, dessen Namen mit dem Lessings und der Geschichte des Hamburger Theaters unauflöslich verknüpft ist, wird vermutlich in der Theatergeschichte immer ein etwas schwankendes bleiben. Eduard Devrient sah in ihm nur einen ehrgeizigen Streber und Kabalenmacher Geschichte der deutschen Schauspielkunst, Neuausgabe von Hans Devrient. Berlin 1905. Band I S. 347 ff. und Hans Devrient Joh. Friedr. Schönemann (Theatergeschichtl. Forschungen, herausg. von B. Litzmann, Band XI) Hamburg 1895. Seite 240. nannte den Direktor des Nationaltheaters, ihn durch die Brille des Großvaters betrachtend, in seiner trefflichen Biographie Johann Friedrich Schönemanns »das dritte Rad am Thespiskarren und einen der Hauptfaktoren für den Zusammenbruch der Hamburgischen Entreprise, den ominösen Vorläufer aller jener Literaten, die sich einbilden, auch Schauspieldirektoren sein zu können.« Der Umstand, daß wir über viele Einzelheiten des vielbesprochenen Theaterunternehmens noch heute im Dunklen sind und unsere Hauptquellen, Schützes 1794 erschienene Hamburgische Theatergeschichte und F. L. W. Meyers Biographie des großen Schröder für den gescheiterten Direktor nicht eben günstig lauten, hat solche übertriebene Strenge des Urteils verschuldet. Löwens jüngstem Biographen, Ossip Potkoff Johann Friedrich Löwen, der erste Direktor eines deutschen Nationaltheaters, Sein Leben, seine literarische und dramatische Tätigkeit. Von Dr. Ossip D. Potkoff. Heidelberg 1904. VII u. 152 S. 8o. (Vorher als Heidelberger Dissertation erschienen.) Wenngleich Flüchtigkeiten und falsche Schreibungen wie »Goedecke«, Madame »Hänsel«, »Reichhardt«, »C. H. Schmidt«, »Chronegk« – Verwechslung des Dichters des »Codrus« mit dem ehemaligen berühmten Regisseur der Meininger – »Deutsche Gesellschaft für die Theaterforschung« statt »Gesellschaft für Theatergeschichte«, auf den ersten Blick gegen P's. Zuverlässigkeit ein ungünstiges Vorurteil erwecken, so ist die Arbeit doch mit vielem Fleiß sorglich fundiert. Zur künstlerischen Bewältigung des vielfach spröden Stoffes reichte des Verfassers Kompositionskraft freilich nicht aus, und neben stilistischen Härten und Schnitzern stört manch typischer Mangel einer Erstlingsarbeit. Anderseits erfreut neben den glücklichen Funden neuen Materials zu Löwens Lebensgeschichte der maßvolle Ton der Polemik und die unbefangene Würdigung des Gegenstandes in einer Schrift, die indirekt den Charakter der »Rettung« eines Vielverlästerten und Vielverkannten trägt., gebührt das Verdienst, das Bild des überwundenen Mannes uns in günstigerem Lichte gezeigt zu haben. Zwar hat auch er nach Danzel-Guhrauer, Prutz, Eduard Devrient, Uhde, Maltzahn, Boxberger, Redlich, Schröter-Thiele, Stahr, Erich Schmidt, Litzmann, Heitmüller, Schlösser, Hans Devrient zur Vorgeschichte und Geschichte der Hamburger Entreprise kein neues Material beisteuern können, aber in Löwens Entwicklungsgang doch manchen Punkt aufgewiesen, der uns zeigt, daß der viel angefeindete Mann, der geschäftig auf fast allen Literaturgebieten die Feder führte, sich nicht, wie es früher dargestellt wurde, aus bloßer Gewinnsucht und Streberei an die Theaterleute drängte und nach dem Direktorsessel trachtete, sondern von Jugend auf von einer tiefen Liebe und einem nicht abzuleugnenden Verständnis für die Kunst und die Aufgaben der Schaubühne erfüllt war.

Schon der einundzwanzigjährige Student Auf Grund der Eintragung im Clausthaler Kirchenbuch hat Potkoff 1727 als Löwens Geburtsjahr festgestellt. hatte für seine Antrittsrede in der deutschen Gesellschaft der Universität zu Helmstedt bezeichnender Weise das Thema gewählt: »In einer wohleingerichteten Republik muß der Flor der Schaubühne notwendig erhalten werden.« Ein Jahr später erhielt er durch das Gastspiel der Schönemann'schen Gesellschaft 1749 in Göttingen die ersten nachhaltigen theatralischen Anregungen, und wenn Löwen 1751, nach absolviertem Studium der Theologie und Philologie sich nach Hamburg begab, so lockte ihn wohl nicht nur die Versorgungsmöglichkeit durch gewichtige Empfehlung, sondern nicht in letzter Linie auch der Gedanke, daß er in der reichen kunstfreundlichen Hansestadt, in der die Oper eine weitberühmte Glanzzeit erlebt hatte und die Neuber Anmerkung des Herausgebers: Seite 13-43, Zu Neuber, Velten und den übrigen im Text genannten Wandertruppen, Principalen und Akteurs vergl. Register und Anmerkungen in Paul Legbands Neuausgabe der Chronologie des deutschen Theaters 1775, -Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte Band I, Berlin 1902. Legband berichtigt viele Irrtümer und gibt sorgfältige Quellennachweise nach dem jetzigen Stand der Forschung. Desgleichen sei auf den von H. Devrient besorgten Anhang zu seiner Neuausgabe von Ed. Devrients Geschichte der deutschen Schauspielkunst (Berlin 1905, Otto Elsner) verwiesen., Schönemann, Ackermann, Koch und Ekhof ein sicheres Standquartier fanden, für seine tiefeingewurzelte Theaterneigung reiche Nahrung finden würde. Schon 1753 ist der ehemalige Student der Gottesgelahrtheit, der wegen der im Hamburger Kirchenleben herrschenden orthodoxen Richtung auf ein geistliches Amt sich keine Hoffnung mehr macht, nicht bloßer Zuschauer, sondern wohlbestallter Theaterkritikus in den »Hamburgischen Beiträgen« Löwens Autorschaft hat H. Devrient in seiner Schönemann-Monographie Anm. 329 S. 187 mit guten Gründen behauptet.. Er folgt der Truppe Schönemanns auch nach auswärts, vornehmlich an den Schweriner theaterfreundlichen Hof, und 1757 verbindet den Literaten ein enges persönliches Band mit dem Theater, indem er Schönemanns anmutige Tochter als Gattin heimführt. Schönemanns Hamburger Abschiedsvorstellung am 2. Dezember 1757 findet zum Benefiz der Braut statt. Löwen dichtet den Prolog und der Erlös des Abends ist die einzige Aussteuer der jungen Ehe. Dann heißt es, dem geliebten Theater Lebewohl sagen und als Sekretär, in höfischen Diensten, des Lebens Notdurft erwerben. 1758-63, solange Koch in Hamburg das Direktionsszepter schwingt, schaut Löwen aus der Ferne wie ein Darbender zum reichbesetzten Tische auf. Der Beginn der Direktion Ackermann gibt ihm wieder die Möglichkeit, mit der geliebten Schaubühne in enge Verbindung zu treten. Der neue Direktor nimmt ihm Prologe und Stücke ab, und in den »freien Nachrichten aus dem Reiche der Wissenschaften und Künste« führt Löwen von neuem als Rezensent die Feder; anfänglich als Lobredner Ackermanns und seiner Leute, vornehmlich des großen Ekhof. Er kargt nicht mit erbetenem und wohl auch unerbetenem Rat, er möchte die Leistungen der Schaubühne immer gesteigert, seine theoretisch verfochtenen Ideale verwirklicht sehen. Manche Geldausgabe, die der Direktor macht, erscheint ihm überflüssig und tadelnswert und Kargheit an anderer Stelle dadurch bedingt. In einem anonymen »Schreiben an einen Freund über die Ackermannsche Gesellschaft« macht Löwen 1766 seinem Herzen Luft. Die Kritik ist gründlich, und erscheint uns heute in vielen Punkten als zutreffend, von einzelnen kleinen Nadelstichen abgesehen ist sie wohlwollend und kein Einsichtiger würde heute ihren Verfasser einen verrohten Kritiker schelten. Aber in den Literatur- und Theaterkreisen Hamburgs wirkte Löwens Schriftchen damals wie ein Funken im Pulverfaß. Der Direktor kämpfte schon seit einer Weile mit inneren und äußeren Schwierigkeiten, namentlich pekuniärer Natur. Viele Hamburger Theaterfreunde verübelten es Löwen, den man sogleich als den Verfasser erriet, daß er die ohnehin schwierige Lage Ackermanns durch seine Streitschrift noch erschwerte. Von den ergrimmten Theaterleuten inspirierte heftige Antworten blieben nicht aus. Löwen blieb seinerseits die Replik nicht schuldig und zog in einer gleichfalls anonymen satyrischen Flugschrift »Schreiben des Ackermannschen Lichtputzers an einen Marionettenspieler« diesmal wirklich gegen Ackermann zu Felde und deckte einige tatsächliche Schwächen schonungslos auf. Daß er seine Maske nicht lüftete und allerlei Fechterkunststückchen machte, um den Sachverhalt zu verschleiern, erscheint vom heutigen Standpunkt nicht eben schön, war aber damaliger gern geübter Literatenbrauch. Wie die Verhältnisse sich zugespitzt hatten, war es Löwen klar, daß er nach dieser Polemik jeglichem Einfluß auf die hamburgischen Theaterangelegenheiten entsagen mußte, solange Ackermann am Ruder stand. Den Flor der Schaubühne, den schon der Helmstedter Student erträumt hatte, konnte die Prinzipalschaft nicht zeitigen. Auf breiterer, und wie Löwen meinte, gesünderer Basis mußte sich ein wirkliches Nationaltheater erheben. Daß Löwen die ehrgeizige Überzeugung hatte, zum Direktor eines solchen Unternehmens in erster Linie berufen zu sein, soll keinen Augenblick geleugnet werden. Aber ebensowenig dürfen wir ihm aus dieser Überzeugung einen Vorwurf machen. Er hatte die Leistungen der besten Gesellschaften seiner Zeit jahrelang beobachtet, sich als Kritiker, Dramaturg, Theaterdichter nicht ohne Erfolg versucht, 1755 auch das erste deutsche Schriftchen über Mimik, die »kurzgefaßten Grundsätze über die Beredsamkeit des Leibes« veröffentlicht Wenn Löwen im Vorwort bemerkt: »Ich verspreche mir um so viel leichter einigen Beyfall, da die gegenwärtige Materie noch von Niemand nach gewissen Grundsätzen ist abgehandelt worden,« so konnte sich dies, da er die Schriften von Riccoboni und Aubignac kannte und benutzte, nur auf die deutsche Literatur beziehen. Von Lessings im Vorjahre öffentlich bekannt gegebener Absicht, eine Schrift über Mimik herauszugeben, war Löwen vielleicht nicht unterrichtet. und sich auf der Bühne seines Schwiegervaters sicherlich auch mit Regie und Inszenierung praktisch beschäftigt: Nur wer einen Literaten von vornherein für ungeeignet zum Theaterdirektor hält, kann mithin Löwens damaliges Streben verurteilen. Vielleicht wäre er unter günstigeren Umständen, wenn auch kein Laube, so doch ein Dingelstedt der Hamburger Bühne geworden. Wer einem großen Ziele, einer Lieblingsidee unter schwierigen Umständen nachjagt, ist in der Aufnahme von Bundesgenossen selten wählerisch; so können wir es denn verstehen, daß Löwen sich dem einflußreichen Trüppchen Unzufriedener in der damaligen Theatergesellschaft eng anschloß, dessen Haupt und Mittelpunkt die ebenso talentvolle wie intrigante Madame Hensel bildete. Das Kapitel damaliger Geheimgeschichte des Hamburger Theaters liegt heute und lag auch schon damals den Eingeweihten offen zutage. Eine schöne Frau, weiblicher Rollenneid und Kabalensucht, ein gefügiger reicher Galan, im Bunde mit einigen Freunden, die gleich ihm am Theater einen Narren gefressen, nicht der beste kaufmännische Ruf, nur noch Trümmer eines einstigen Millionenvermögens, aber die Goldstücke vorläufig lose in der Tasche, hinlänglicher Kredit, viel Optimismus, viel guter Wille, manche leichtsinnige Versprechung; das waren die moralischen und finanziellen Grundlagen der viel gerühmten sogenannten hamburgischen Entreprise. Löwens Hoffnungen verwirklichten sich überraschend schnell. Ackermann stieg, froh der immer drückender werdenden Last ledig zu sein, gegen eine reichliche Abfindungssumme vom Direktionssessel und trat in die Reihe der Schauspieler, deren gut eingespieltes Ensemble, von dem jungen, damals als Schauspieler noch wenig bedeutenden Schröder abgesehen, dem neuen Unternehmen erhalten blieb. Es wäre überflüssig, hier die oft und gut erzählte Passionsgeschichte des ersten deutschen Nationaltheaters noch einmal zu erzählen; es genügt vielmehr, daran zu erinnern, daß Löwen, der Direktor und Theoretiker, von den Geldleuten bald im Stich gelassen und, zumal ihm die Gabe imponierenden Auftretens nicht verliehen war, von den auf die praktische Ausübung ihrer Kunst stolzen Mitgliedern bei seinen akademischen Vorlesungen über Rhetorik und Mimik über die Achsel angesehen, auf den Proben absichtlich in Verlegenheit gebracht und als quantité négligeable behandelt wurde. Die Notwendigkeit, infolge der von vornherein ungesunden Basis des Unternehmens Rücksichten nehmen zu müssen, die gewisse Personen, nicht die die Sache erheischte, rächte sich. Wo ein Lessing wohl oder übel die Segel streichen mußte, angesichts schauspielerischer Eitelkeit und Überempfindlichkeit, mußte ein kleinerer Mann, der mit den Mimen täglich in engste persönliche Berührung kam und von den Machthabern und Geldleuten noch in ganz anderer Weise abhängig war als der Dramaturgist, ins Gedränge geraten und unterdrückt werden. Alles in allem ist Lessings briefliche Bemerkung vom 22. Mai 1767 an seinen Bruder: »Es ist Uneinigkeit unter den Entrepreneurs und keiner weiß, wer Koch oder Kellner ist,« noch immer die schlagendste und treffendste Kennzeichnung der damaligen Lage und der Gründe des Verfalls des in so hohen Tönen angepriesenen Reformunternehmens. Wie Lessing der verunglückten Entreprise einen bittern Epilog schrieb, so tat es auch Löwen, in Vers und Prosa. Seine Gattin hielt in der Schlußvorstellung die Abschiedsrede an das »dankbare« Publikum, »mit Empfindung, Spott in den Mienen und mit vieler Laune«:

»Ihr wißt es längst: vom dankenden Parterr
Kann nicht allein das deutsche Schauspiel leben:
Was seinem Roscius Paris einst gern vergeben,
O, das vergebt auch uns! – Bedenket nur: wie er,
Will von der Kunst auch gern der Deutsche leben; –
Nur leben – und nichts mehr! –«

»Ihr Deutschen, noch ein Wort: Vergeßt uns Deutsche nicht!« hieß es zum Schluß mit bitterer Anspielung auf die französische Gesellschaft, die sich anschickte, die von der Truppe des Nationaltheaters geräumten Bretter zu besteigen. – Löwens Abrechnung in Prosa erfolgte 1768 in den hamburgischen »Unterhaltungen«: Band VI, S. 348-354.

Man kann nicht leugnen, daß der Plan der neuen Unternehmer unsers Theaters vortrefflich angelegt war. Allein was wurde zur Ausführung desselben, so ganz ohne obrigkeitliche Unterstützung, und ohne merkliche dankbare Empfindung des Publikums, nicht alles erfordert! Hinzu kam noch, daß die Entrepreneurs gleich anfangs einen gedoppelten Fehler begingen; einen ökonomischen, und einen politischen. Der ökonomische bestand darin, daß sie ungeheure Summen auf die Pracht des Theaters wandten; und selbst mittelmäßige Schauspieler und elende Tänzer reichlich besoldeten. Zu einem solchen Aufwand wäre die Casse dererjenigen Männer unentbehrlich gewesen, von denen selbst die Unternehmer hatten glauben lassen, daß sie Theil an dieser, dem ganzen Deutschland, und vorzüglich Hamburg rühmlich scheinenden Enterprise hätten. Allein, da diese Hülfe fehlte, so mußte, bey der Undankbarkeit unsers Publici, wovon wir bald ein Wörtchen sagen wollen, dieses gute Unternehmen, auch bey der redlichsten Absicht, seines Zwecks verfehlen. Ein großer politischer Fehler war es, daß sie mit demjenigen Mann, der es deutlich merken ließ, daß er einen Tag zu früh seine Principalschaft niedergelegt, und daher den anscheinenden guten Fortgang des abgetretenen Theaters mit ungünstigen Blicken ansahe, daß sie mit diesem Manne in einer ziemlich genauen Verbindung blieben. Alles dieses, und überdem noch verschiedene Tracasserien, die uns bekannt sind, aber unsere Leser nicht intereßiren, haben, wie man uns versichert, ohnstreitig den erwählten Direktor gleich anfangs muthlos gemacht; und ihn endlich zur gänzlichen Niederlegung seiner Stelle bewogen. –«

Anknüpfend an Lessings Worte in der Ankündigung der hamburgischen Dramaturgie werden dann dem Publikum ob seiner Undankbarkeit die Leviten gelesen: »Dem Kenner muß es nahe gehen, daß er soviel Hoffnung auf einmal verschwinden sieht, und daß er nunmehr sicher verzweifeln kann, das deutsche Theater jemals aus seinem Schutt ganz hervor kriechen zu sehen.« Als Ackermann einige Monate später, im Dezember 1768, wieder die Direktion übernahm, klingt die Klage in der gleichen Tonart: »Wer die Handwerksmäßige Principalschaft unsrer deutschen Vorsteher des Theaters kennt, wird schon im voraus wissen, was er sich davon versprechen darf, und wie viel Hofnung für die deutsche Bühne mit der Zernichtung jener in allem Verstande lobenswürdigen Anstalt auf einmal verschwunden ist.« ebenda S. 544. Auch brieflich gab Löwen dem Unmut über seine gescheiterten Hoffnungen Ausdruck; so in einem Schreiben vom 29. Dezember 1768 an Klotz: »Die hier beygeschlossenen Übersetzungen sind von mir verfertigt, als ich noch Direktor des Hamburgischen Theaters war: allein ich habe diese Stelle wieder niedergelegt, da, aller Versuche ohngeachtet, Deutschland nie die Hoffnung zu einem National-Theater wird erfüllt sehen.« Und 1770 erklärt er demselben Korrespondenten, »daß das Andenken an das weyland Hamburgische Direktorium ihm zu verhaßt sei, als daß er sich entschließen könne, seine Übersetzung von Dorats Gedicht über Deklamation, das er mit Anmerkungen zum Gebrauch für deutsche Schauspieler begleitet hatte, heraus zu geben.« Briefe deutscher Gelehrten an den Herrn Geheimen Rath Klotz, herausg. von J. J. A. v. Hagen. Halle 1773. Zweyter Teil, S. 4-12. – 1771 starb Löwen in ärmlichen Verhältnissen und von körperlichen und Gemütsleiden geplagt, aber bis zur letzten Stunde, um des lieben Brotes willen, literarisch tätig, in Rostock. Mit dem Theater war er wenigstens als Rezensent noch in Beziehungen geblieben und Christian Heinrich Schmid, als der Chronologist des deutschen Theaters sein unmittelbarer Nachfolger, machte ihm 1770 in einem offenen Brief über die Leipziger Bühne das Kompliment, daß seine Kritiken, nächst den Hamburger und Wiener Dramaturgien die ersten gewesen seien, die sich von dem Zeitungston entfernten. Erstes Schreiben Siegmunds von Schweigerhausen, Über die Leipziger Bühne an Herrn J. F. Löwen zu Rostock. Dresden 1770, S. 3.

Der agitatorische und programmatische Charakter von Löwens Versuch einer deutschen Theatergeschichte ist von jeher erkannt und betont worden. Immerhin wäre es verkehrt, die Sache so darzustellen, als ob Löwen die Arbeit erst dann in Angriff genommen hätte, als sich ihm Aussichten auf die Hamburger Direktion boten. Er selbst hat sich schon 1766 gegen solchen Vorwurf verwahrt Erste und letzte Antwort auf die ungegründete Beurtheilung des vierten Theiles der Löwenschen Schriften in dem 191sten Stücke des sogenannten Hamburgischen Correspondenten von diesem Jahre. Hamburg 1766. S. 10/11. Anmerkung: Würde ich alles dies wol geschrieben haben, wenn ich zu der Zeit, als ich die Geschichte des deutschen Theaters entwarf, von der neuen Einrichtung des Hamb. Theaters schon wäre unterrichtet gewesen? und in einem Brief Ekhofs an Löwen vom 14. November 1765, den Reichard 1781, in seinem Theaterjournal für Deutschland veröffentlicht hat, erhalten wir den unwiderleglichen Beweis, daß Löwen schon seit geraumer Zeit den Plan einer solchen theatergeschichtlichen Arbeit hegte.

Eckhof schrieb ihm: a. a. O. Siebenzehntes Stück, Nr. 10: Noch etwas aus Eckhofs Brieftasche. S. 74 ff.

»Mein lieber dringender Freund! Wie hitzig sind doch die Autoren, wenn man ihre despotische Forderungen nicht ohne den geringsten Verzug und über ihre Erwartung erfüllen kann! Doch im Ernst zu reden; der Hauptumstand, der mich abgehalten und der mir noch im Wege ist, habe ich Ihnen bereits mündlich gesagt, daß ich einmal aus Bar. Bielfeldts Progrès des Allemands dans les Sciences Richtig J. Friedrich Freiherr von Bielfeld (1717-1770) Schöngeist und Diplomat, Freund Friedrichs des Großen in seiner Reinsberger Zeit. Sein Buch Progrès des Allemands dans les sciences, les belles lettres et les arts, particulièrement dans la poésie et l'éloquence erschien 1752 in Amsterdam und erlebte 1759 eine zweite Auflage. Das Capitel XI handelt du Théâtre Allemand. Bielefeld ist wie sein königlicher Freund in einseitiger Vorliebe für alles Französische befangen und hält es nicht der Mühe für wert, der Entwicklung der deutschen Barbarenkunst ernstlich nachzuspüren: S. 284: » Ce serait peut-être ici le lieu d'en donner l'histoire, mais l'état imparfait où se trouve encore notre scène m'en empêche, et je ne trouve pas de manie plus frivole que celle de s'épuiser en savantes recherches sur des sujets qui n'en méritent pas la peine«. Die oberflächliche Plauderei läuft in ein übertriebenes Lob und Übersetzung der Tragödie Timoleon des Hamburger Dichters Georg Behrmann aus: la première tragédie, que nons aions eue en Allemagne et qui mérite de porter le nom de tragédie. Ekhof würdigte gleichwohl Bielfelds Elaborat einer Übersetzung. einen Auszug gemacht, und daß ich, wo ich nicht irrte, darinn einige wahrscheinliche Spuren von dem ersten Anfange der deutschen Komödie zu finden. Der Himmel aber weiß, in welchem Winkel es versteckt liegt, da ich die Bücher nicht auseinander legen kann. Sehen Sie also zu, ob Sie dieses Buch erhalten, und einigen Nutzen daraus ziehen können. Ich will jetzt, lieber Freund, versuchen, Ihnen mit so vielen als ich weiß, auf die vorgelegte 4 Punkte an die Hand zu gehen; können Sie etwas davon nutzen: gut.«

Der berühmte Schauspieler besaß ohne Zweifel ausgedehntere theatergeschichtliche Kenntnisse, auch was die älteren Perioden anlangt, als der ehemalige Göttinger Student. Hermann Uhdes Biographie Ekhofs in Gottscheds Neuem Plutarch, Jahrgang 1876. S. 157. strenges Urteil: »Ohne seine (Ekhofs) grundlegenden Mitteilungen vom 14. November 1765 und 7. März 1766 wäre Löwens Theatergeschichte ziemlich werthlos; der schlaue Literat fühlte seine Unsicherheit so gut, daß er Ekhofs umfangreiche Briefe wörtlich aufnahm, doch ohne die Quelle anzugeben«, trifft im ersten Teil zu. Ekhof zeigt in der Tat tiefere Einsicht in die Entwicklungsgeschichte der dramatischen Kunst – so weiß er z. B. etwas von der internationalen Verbreitung des römischen Mimus – und Löwens Drängen um Material ist wohl zu verstehen. Aber der zweite Satz Uhdes stimmt nicht ganz. Löwen hat zwar Ekhofs briefliche Mitteilungen stillschweigend benutzt und manches wörtlich ausgeschrieben; aber wie man aus Ekhofs Briefen ersieht, manch nützlichen Fingerzeig des Freundes nicht beachtet. So den Hinweis auf die englischen Komödianten in Deutschland. Theaterjournal 1781, S. 83: »Ich finde in Gottscheds nöthigen Vorrat zur dramatischen Dichtkunst pag. 182, (Sie werden dies Buch gewiß haben) angezeigt Englische Komödien und Tragödien, welche von den Engländern in Deutschland seynd agirt und gehalten worden. Was dies sagen soll, mögen Sie nachdenken, wenn Sie es gebrauchen wollen.« Löwen hat von ihrer einschneidenden Bedeutung ersichtlich keine Ahnung. Auch über Hans Sachs'ens Sonderstellung ist er sich nicht klar. Reuchlin scheint ihm, nach der Art wie er ihn aufführt, nur ein bloßer Name gewesen zu sein. Von der lateinischen Schulkomödie und ihren Hauptvertretern sagt er kein Wort. Die südfranzösischen Troubadours hält er für Schauspieler. Der Ursprung der Haupt- und Staatsaktionen ist ihm so wenig bekannt, wie das Urbild der Schäferspiele. Mit der Besprechung Veltens Anmerkung des Herausgebers: Seite 13-43, Zu Neuber, Velten und den übrigen im Text genannten Wandertruppen, Principalen und Akteurs vergl. Register und Anmerkungen in Paul Legbands Neuausgabe der Chronologie des deutschen Theaters 1775, -Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte Band I, Berlin 1902. Legband berichtigt viele Irrtümer und gibt sorgfältige Quellennachweise nach dem jetzigen Stand der Forschung. Desgleichen sei auf den von H. Devrient besorgten Anhang zu seiner Neuausgabe von Ed. Devrients Geschichte der deutschen Schauspielkunst (Berlin 1905, Otto Elsner) verwiesen. und der Neuberin betritt Löwen ein Gebiet, auf dem er besser zu Hause ist. Ekhofs sehr detaillirte Angaben werden fleißig benutzt. Für die Charakteristiken der zeitgenössischen Prinzipale und ihrer Hauptmitglieder standen dem Historiographen Mitteilungen seines Schwiegervaters und eigne Beobachtungen zur Verfügung. Immerhin pflügt er auch hier mit Ekhofs Kalbe. Der Freund hatte geglaubt, ihn vor zu weitgehendem Streben nach Vollständigkeit in der Aufzählung der zeitgenössischen Wandertruppen warnen zu müssen: »Warum fragen Sie mich nach solchen Leuten? Sind Sie willens, alle solche Markt und Flecken beziehende Principalen zu nennen und zu beschreiben? Hilf Himmel, mit welcher Sündfluth von Namen würden Sie uns überschwemmen, und wer will sie Ihnen alle kenntlich machen, und welch ein Wolkenbruch würde bey der sorgfältigsten Nachforschung zu nennen übrig bleiben!« In der Charakteristik der deutschen Theaterdichter zeigt sich Löwen ganz selbständig. Gottsched wird als Dramatiker unzweideutig abgewiesen, Schlegel, Lessing, Gellert, Krüger werden mit Komplimenten bedacht. In dem nun folgenden programmatischen Schlußteil steht Löwen auf der Höhe seiner Aufgabe und sagt in der Kritik der kardinalen Mängel der deutschen Theaterkunst und in seinen Reformvorschlägen manches Wort, das mutatis mutandis noch heute Geltung hat. Bereits in seinem Schriftchen über Mimik 1755 hatte er seiner Überzeugung Ausdruck gegeben: »So lange die Deutschen noch von Vorurteilen besieget werden, so lange nicht ein jeder Fürst und eine jede Republik sich des Theaters annimmt, und so lange die Schauspieler selbst keine Aufsicht und Unterweisungen haben, so lange werden auch alle Wünsche vergebens geschehen.« In seiner Widmung der Theatergeschichte an den Hamburger Syndikus Faber preist er beredt den moralischen Wert einer guten Schaubühne für eine Stadt, insbesondere für eine Republik wie Hamburg: »Es ist gewiß Vorzugs genug, daß das Schauspiel unserm Verstand ein entzückendes Vergnügen verschaft: aber sein Werth ist noch grösser: es leistet auch sogar der Sittenlehre die herrlichsten Dienste. Ich weiß wol, daß man uns von dieser Seite verschiedne Einwendungen macht, die aber alle sehr leicht zu heben sind. Man bedenke nur dies einzige: Würden sich wol bey allen Nationen Männer von dem strengsten Charakter, von den gründlichsten Einsichten, und von der ausgebreitesten Gelehrsamkeit, mit dem Theater abgegeben haben, wenn sie die Moral nicht zu ihrem vorzüglichen Augenmerk gehabt hätten. Was in England ein Steele, Addison und Young; in Frankreich vorzüglich ein tiefdenkender Diderot, und bey uns ein streng denkender Gellert für das Theater geschrieben, das wird doch verhoffentlich die Lehren der Moral eher aufstützen, als niederreissen helfen. Eine Bühne, für deren Aufnahme unsre Dichter, die zugleich Philosophen sind, arbeiten, muß einem Staate der größte Vortheil seyn. Diderot hat es deutlich gesagt, wie nützlich sie ihm ist. Die Erfahrung hat es auch zu allen Zeiten bewiesen. Die Griechen wurden ehe nicht gesittet, bis ihr Theater zu der Größe stieg, dahin vielleicht die Bühne keiner Nation gelangen wird. Die Römer wurden erst da in ihrem Umgang erträglich, als sie nach dem Muster der Griechen ein Theater bekamen. Das unsrige ist zwar noch in seiner Kindheit: allein es hat der deutschen Nation doch schon wichtige Dienste gethan. Mir sind Städte, ja sogar Höfe bekannt, wo der Geschmack vorher ganz roh und unausgebildet war, wo man von dem, was schön, natürlich und empfindungsvoll heist, unvollkommene Begriffe hatte, und wo man von der Zeit an, erst mit dem Lesen guter Bücher, und mit der Verfeinerung seines Geschmacks den Anfang machte, nachdem eine erträgliche deutsche Comödie ihnen die Spuren dieser Schönheiten gezeigt hatte.« Zum Schluß heißt es: »Wie glücklich werden die beyden, in Deutschland noch allzuschüchterne Mädchen, die tragische und comische Muse seyn, wenn sie den sichern und immerwährenden Aufenthalt in Hamburg finden können, den ihnen noch zur Zeit kein deutscher Hof, und keine einzige deutsche Stadt hat gewähren können und wollen.« Im Werke selbst zergliedert Löwen die wichtigsten Hindernisse, die seiner Meinung nach den Flor des deutschen Theaters bislang gehemmt haben, im einzelnen. Er tadelt die Unbildung der Prinzipale, die am unrechten Orte bald verschwenderisch, bald geizig seien, die Unbildung und die schlechten Sitten der Akteure und Aktricen, das ungebührliche Vorherrschen der Operette und der italienischen Zwischenspiele im Repertoire, die hochmütige Geringschätzung und die Französelei der Fürsten und Machthaber, endlich die Voreingenommenheit der Geistlichkeit gegen die Schaubühne. Der Mangel an guten theatralischen Schriftstellern scheint ihm vornehmlich durch das Fehlen eines allbeherrschenden Mittelpunktes, wie ihn Paris in Frankreich bildet, bedingt. Berlin und der große Friedrich wären, meint Löwen, in erster Linie berufen, eine Reform der deutschen Bühne ins Leben zu setzen. Zwanzig Jahre vor der berühmten Kontroverse » de la littérature allemande« schreibt Löwen hier durchaus zutreffend: »Ich glaube immer, daß die Neigung dieses Monarchen nicht ganz für die französische Literatur seyn würde, wenn in seinen Erziehungsjahren ein Gellert, Uz, Leßing, Ramler, Weisse und überhaupt unsre itzigen guten Schriftsteller geblühet hätten: allein wie finster sah es damals um den deutschen Geschmack, um unsre Dichtkunst, um unser Theater aus.« Trotz dieser Abneigung des großen Königs gegen die deutsche Literatur und Bühne scheint unserm Kritiker Berlin doch mehr als Wien und Hamburg als Ausgangspunkt einer Reformation der Schaubühne in Frage zu kommen. Als notwendige Vorbedingungen einer solchen erklärt der Freund Schönemanns und Ekhofs dem alten Ideal getreu die Bildung einer Theaterakademie und die Hebung des Schauspielerstandes in sozialer Hinsicht. – Die vorläufige Nachricht von der auf Ostern 1767 vorzunehmenden Veränderung des hamburgischen Theaters und die Anrede an die Schauspieler bei der Übernahme der Bühnenleitung schließen sich eng in ihrem Ideengang an diese programmatischen Ausführungen in der Theatergeschichte an. Der sich am Ziel Glaubende schlägt naturgemäß einen hoffnungsfreudigeren Ton an und zieht manchen Wechsel auf die Zukunft. Daß Löwen vor einem gehörigen Selbstlobe nicht zurückscheut, fiel in einer in solchem Punkte naiver denkenden Zeit nicht ins Gewicht.

Über mangelnde Beachtung seiner Theatergeschichte seitens der Zeitgenossen konnte sich der Autor nicht beklagen; allerdings war die Mehrzahl der Rezensionen nicht danach angetan, ihm sonderliche Freude zu bereiten. Löwens alter Gegner, der einflußreiche Hamburger Pamphletist Matthias Dreyer, der schon sein Zusammenwirken mit Ackermann mit boshaften Versen kommentiert hatte, verspottete in einer in Broschürenform verbreiteten Schauerballade im Bänkelsängerton Löwens Kritik und Reformvorschläge:

Text

Herr Löwen, ein Herr Sekretär
Und Jodelet von ungefähr
Schwur ihm im Druck die Fehde,
Er wollt ein Reformatorlein
Gesammter deutschen Bühnen seyn;
Davon ist meine Rede.

Beym Schönemann als ein Pansoph
Genoß er am Schweriner Hof
Gefälligkeit und Hülfe;
Er war der Mamsell Schönemann,
Die er nicht gnug vergöttern kann –
Ihr Schatten und ihr Sylphe.

Noch ist die deutsche Bühn ein Kind,
Halb schielet es, halb ist es blind,
Nach Löwenscher Entdeckung.
Getrost! Er ist ihr Rath, ihr Nichts Album nihilum, nach dem Apothekerterminus; soll für blöde Augen gut seyen.
Der Knipperdolling ihres Lichts
Und ihre Auferweckung.

Jetzt liefert ruhig Löwens Gunst
Der Welt der deutschen Schauspielkunst
Vollständige Geschichte –
Ist Löwen ein Historicus;
So ist ein Zinkgräff Tacitus,
Die Nessel eine Fichte.

Mit Fehlern, Ränken, Possen, List
Ist Löwen ein Panegyrist
Von seinem Schwiegervater.
Kein Principal, den man noch weiß,
Bey aller Einsicht, Kunst und Fleis,
Gleicht seinem Schwiegervater.

Schlecht bleibt der nicht gesehne Schuch,
Und Koch verdienet gar den Fluch,
Weil Schönemann ihn hasset.
Der hat noch einen Groll auf ihn,
Dem Ackermann ist nun verziehn,
Spielt aus, Hier wird gepasset. – – –

Auch die »vorläufige Nachricht« bedachte Dreyer mit einem boshaften Epigramm:

»Klein ist der Bühne Ruhm, der Schade desto größer,
Der aus dem Zweck sie zu verändern fließt,
wenn die Veränderung nicht besser,
als diese Nachricht ist.«

Der »Hamburgische Correspondent« hatte von der vorläufigen Nachricht in seinem Gelehrten Artikel vom 8. November 1766 gleichfalls Notiz genommen und zugestanden, daß sie »in einer ganz artigen Schreibart abgefaßt« sei, sich im übrigen aber skeptisch geäußert. Dem 4. Band von Löwens Schriften, insbesondere der Theatergeschichte, widmete der Rezensent in der Nummer vom 2. Dezember 1766 dann eine sehr eingehende, nichts weniger als günstige Besprechung: »Wir glaubten, ein Mann, der seit geraumer Zeit mit Herrn Schönemann und andern geschickten Schauspielern in Verbindung gestanden, der sich von jeher um das deutsche Theater gekümmert hat und dessen große Einsichten in die Geheimnisse der Dramatischen Kunst man noch neulich angepriesen, würde am besten im Stande seyn, uns von dem deutschen Theater, wo nicht eine vollständige Geschichte, doch wenigstens solche Nachrichten zu liefern, die nicht allen und jeden, welche nur einige Kenntniß vom Theater haben, bekannt wären. Allein, wir müssen gestehen, daß wir uns in unserer Erwartung betrogen haben. Herr Löwen liefert uns so wenig eine vollständige Geschichte des deutschen Theaters, daß er uns vielmehr gar keine, sondern nur eine ziemlich trockene Geschichte einiger Schauspieler und einiger Streitigkeiten liefert, die der Brodtneid unter ihnen erregt hat. Wir müssen überdies die Anmerkung machen, daß in dieser ganzen Abhandlung die Partheylichkeit dem Herrn Löwen die Feder geführt zu haben scheinet. Schönemann ist sein Held, und Koch wird weit unter die mittelmäßigen Schauspieler hinunter gesetzet.« Als Eideshelfer zieht der Hamburger Anonymus den Rezensenten der Berliner Vossischen Zeitung heran, der über die Theatergeschichte in gekränktem Lokalpatriotismus ärgerlich geurteilt hatte: »Wir müssen sagen, daß Herr Löwen alle seine Nachrichten bloß von dem lieben Hörensagen hat. Er scheint weiter keine, als die Schönemannische und die einstmals mit derselben verbundene Kochische Gesellschaft gesehen zu haben, und weiß sich gar nicht vorzustellen, wie es bey manchen, in seinen Augen schlechten Trupp, Personen geben kann, die nicht aus Mangel des Fleißes oder des Talentes, sondern der wenigen Gelegenheit, sie auf das vortheilhafteste zeigen zu können, im Dunkeln bleiben.« Nach einem magern Kompliment: Herr Löwen würde zweifellos im Stande sein, mit der Zeit eine vollständige Geschichte des deutschen Theaters zu liefern, wenn er von seinem Grundsatz, in seinen Schriften nichts ändern zu wollen, abginge, schließt der Kritiker des Hamburgischen Correspondenten mit einem gehörigen Hieb auf die Häupter der geplanten Entreprise, in der direkten Absicht, gegen das Unternehmen Stimmung zu machen: Wir können übrigens nicht begreifen, was Herr Löwen Seite 4 der Geschichte des Theaters damit sagen will: »Daß bey der Kindheit unsers Theaters ein angesehener Theil des Publici auf die Unterstützung der Schauspiele denkt.« Wir wissen nicht, wer dieser angesehene Theil des Publici sey. Einige Privatpersonen, deren guter Wille vielleicht größer, als ihr Vermögen und Geschmack ist, werden die Sache gewiß nicht ausmachen, und was wir von den bisherigen Angestellten zur Verbesserung unsers Hamburgischen Schauplatzes besonders gehöret haben, weiß uns so wenig Hoffnung dazu, daß wir vielmehr das Gegentheil befürchten müssen.« Vornehmlich im Hinblick auf diesen Umstand entschloß sich Löwen wohl, in einer besonderen Flugschrift:

Text

dem Anonymus zu antworten und sich namentlich gegen den Vorwurf der Parteilichkeit zu verwahren. »Wegen meiner Geschichte des deutschen Theaters,« heißt es darin, »mit der er nicht zufrieden ist, kann ich ihm ganz kurz antworten, daß sie für ihn gar nicht geschrieben war. – Möchte es ihm doch gefallen haben, mir den Plan vorzureissen, wornach ich hätte arbeiten sollen. Aber davor hütet er sich wol; und gewis aus sehr guten Gründen. Er mag vielleicht ein Libell, einen Injurien-Proceß, und höchstens eine Deduction beurtheilen können: aber bey der Geschichte des Theaters muß er den Finger auf den Mund legen. Die Verfasser der Bibliothek der schönen Wissenschaften wünschten vor einigen Jahren eine Nachricht von allen Schauspielern. Ich habe sie gewagt; ich habe noch mehr gethan; ich habe den ersten muthmaßlichen Ursprung deutscher Schauspiele aus ihren ersten Quellen herzuleiten gesucht; ich bin die Dichter der deutschen Bühne kritisch durchgegangen, und habe zugleich die Hindernisse der Aufnahme des deutschen Theaters, und Vorschläge zu seiner Verbesserung hinzugefügt. Aber, wie sehr der Mann zu chicaniren weis! Aus welchen Stellen will er es beweisen, daß Schönemann mein theatralischer Held sey; und daß ich Kochen weit unter die mittelmäßigen Schauspieler heruntergesetzt. Hievon steht nicht eine Sylbe in meiner ganzen Geschichte; und das lügt der Verfälscher mit so frecher Stirne dem ganzen Publico unter die Augen!

Glaubt aber der Recensent, daß ich Schönemann deswegen zu meinem Helden gemacht, weil ich behauptet, er habe die vorzüglichste Gesellschaft deutscher Schauspieler geführt: so habe ich weiter nichts als die Wahrheit gesagt; und ich kann mich kühn auf das Zeugniß derer berufen, die diese Gesellschaft damals in ihrem bestem Zustande gekannt haben, als ein Ekhof, eine Ekhof, ein Starke, eine Starke, ein Fabricius, ein Kirchhof, eine itzige Böck, ein Gantner u. a. m. die Zierden dieser Bühne waren.« Die Bemerkung, die Geschichte des deutschen Theaters sei gar nicht für den Kritiker geschrieben, bezieht sich wohl auf die Stelle in der Vorrede zum 4. Band, wo es von der Theatergeschichte heißt: »Sie ist eigentlich für Schauspieler geschrieben, denen eine kleine Kenntniß von dem Entstehen und den Abwechselungen der deutschen Bühne vielleicht nicht unangenehm ist. Vielleicht erweckt sie aber auch die Neugierde der Liebhaber und Kenner des Theaters überhaupt; und ich würde mich für meine mühsame Arbeit reichlich belohnt halten, wenn ich durch die, in meiner Geschichte erzählte Hindernisse diejenigen ermuntern könnte, die diese Hindernisse zu heben am ersten im Stande sind.« Was den Löwen gemachten Vorwurf der Parteilichkeit anlangt, so ist nicht zu leugnen, daß er der Leistungen der Schönemann'schen Bühne mit besonderer Wärme gedenkt. Aber diese Wärme war durch die Leistungen des Direktors und der Truppe in der Tat gerechtfertigt. Dagegen müssen wir es vom heutigen Standpunkte durchaus verwerfen, daß Löwen im Rahmen einer theatergeschichtlichen Darstellung auf den Streit wegen seiner Ackermannbroschüre eingeht, ohne dabei als Autor offen Farbe zu bekennen. – Ein anderes Hamburgisches Blatt, die viel gelesenen »Unterhaltungen«, die übrigens im selben Verlage wie die Theatergeschichte erschienen, brachte einen Auszug und bemerkte kurz: »Sie ist voll Anekdoten, vielleicht nicht immer ganz richtig, aber unterhaltend.« 1766, Band 2 Stück 5 und 6, S. 424/40 u. 489/503. Der Rezensent von Nicolais Allgemeiner deutsche Bibliothek Bd. 3 und Bd. 12, 2. Stück S. 43. hatte in seiner Besprechung der ersten drei Bände von Löwens Schriften erklärt, die versprochene Geschichte des deutschen Theaters mit Ungeduld zu erwarten, und urteilte, als das Werk ihm vorlag: »Um unsre Meinung von dem ganzen Aufsatze zu sagen, so gestehen wir, daß es uns ganz lieb ist, diese Materialien auf einem Haufen zu finden. Aber eine Geschichte des deutschen Theaters müßte noch anders beschaffen seyen, müßte noch viel unpartheyischer, pragmatischer und lehrreicher abgefaßt werden u. s. w.« Auch der Recensent der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften Band IV, 2. Stück, S. 269. verzichtete auf Bemängelung von Einzelheiten und bemerkte, bezüglich der Theatergeschichte, nur kurz: »Dieser Teil läßt sich auch wol nicht von Unrichtigkeiten und Parteylichkeiten frey sprechen.« Ein indirektes Urteil über Löwens Arbeit fällte Christian Heinrich Schmid in seiner Vorrede zur Chronologie, indem er, um den Vorwurf der Parteilichkeit zu verhüten, von allen Urteilen über Schauspieler und Gesellschaften Abstand nahm: »Daß von einem Theater, welches noch kaum ein halbes Säkulum feyern kann, und aus so vielen einzelnen Provinzialbühnen besteht, keine zusammenhängende und pragmatische Geschichte möglich sey, sahen wir sogleich ein, und entschloßen uns, lieber trockne Chronologen, als beredte Geschichtschreiber zu werden. Wenn bey unsrer Methode gleich die Uebersicht des Ganzen, die ausgearbeiteten Charaktere, die bestimmten Urtheile wegfallen müssen, so können wir uns doch einer bessern Ordnung und einer größern Genauigkeit rühmen, als Herr Löwen beobachtet hat.« Neudruck S. 6. In seinem Nekrolog auf Löwen kam der Gießener Professor 1785 noch einmal auf die Theatergeschichte zurück und bemerkte: »Sie betrifft mehr die Schauspieler als die Schriftsteller, macht an Entstehung derselben vieles zuerst bekannt, hat aber keinen guten Plan und sehr viele Lücken, vielleicht auch etwas zu viel Partheylichkeit für die Schönemannische Gesellschaft.« Nekrolog oder Nachrichten von dem Leben und den Schriften der vornehmsten verstorbenen teutschen Dichter. 1785. Bd. I. Eine Überraschung, aber keine angenehme, war es für Löwen, daß 1770 der Hauptpastor Göze in seiner, den berüchtigten Hamburger Theaterstreit einleitenden, zweibändigen, theologischen Untersuchung der Sittlichkeit der deutschen Schaubühne« Löwens Theatergeschichte als Arsenal benutzte, um Argumente wider die Bühnenleute daraus zu entlehnen. So zieht er den Gotländer Beutezug der Witwe Velten und ihrer Gesellschaft als Beispiel für die sittenverderbliche Wirkung der Wandertruppen heran. a. a. O. Bd. I. S. 5-10 und S. 57. Besonders regte sich der Gottesmann über Löwens Behauptung, daß die berühmtesten Gottesgelehrten aller Nationen gern das Theater besucht hätten, auf. Löwen verschmähte es, seinem Gegner direkt zu antworten, machte aber in einem Briefe an Klotz seinen Gefühlen Luft: Briefe an Klotz, Bd. II, S. 9-12.

»Daß der Nachtwächter des Hamburgischen Zions aufs neue in sein Horn gestossen, ist Ihnen vielleicht schon bekannt. Seine Charteque über die Sittlichkeit der deutschen Bühne, worin nicht einmal eine hausbackene theologische Moral herrscht, hat auch mir die Ehre erwiesen, mich unter das Register der Kinder dieser Welt zu zählen, die dem Theater, dieser grossen Diana, diesem Bordell, diesem von der Pest inficirten Hause, diesem Hurengarten, diesem Bildersaal voll ärgerlicher Schildereyen u. s. w. Opfer und Verehrung bringen. Kaum glaube ich es, daß er aus frommer Einfalt sein Bündel Holz zu dem theatralischen Inquisitionsgericht herbey tragen. Sein pasquilantisches Betragen gegen Schlossern ist offenbare Bosheit. Daß er unter Molièrens Stücken den Tartüf für das lehrreichste Stück hält, ist ein Beweiß, daß er selbst der ärgste Tartüf ist. – Ich bin nicht willens eine Sylbe auf sein frommes Geschwätz zu antworten. Rathen Sie mir dies nicht auch? Denn welchen Ton müste ich annehmen? Den ernsthaften? Aber was kann man mit einem Mann ausrichten, der, wenn er sich in den Mantel der Religion gehült hat, Herz, Augen und Ohren vor allen verschließt, und alle Anfälle mit dem Schwerd des Glaubens, es mag nun geschliffen seyn, wie es will, ausparirt. – Den ironischen? Freylich wäre dies der rechte: aber der Orden! Der Orden!

Sein ganzes Gewäsch ist übrigens ein aufgewärmtes Ragout. In den Actis historico – ecclesiasticis findet man schon ein bigottes theologisches Bedenken von der Schwedischen Clerisey über die Schauspiele und Masqueraden: »G*** hat nur eine andere Brühe darüber gegossen. –«

Trotz aller seiner Mängel ist der erste Versuch einer deutschen Theatergeschichte nicht nur von Löwens unmittelbarem Nachfolger, Christian Heinrich Schmid, sondern auch von manchem andern in der Folgezeit stillschweigend, seltener unter Quellenangabe benutzt und ausgeschrieben worden. Mancher Irrtum und manch unbewiesene Behauptung und Anekdote hat sich sogar bis in unsere Tage in den Theaterschriften fortgeschleppt. Wie schon bemerkt wurde, ist man Löwen in der Folgezeit selten gerecht geworden und hat nur selten betont, daß es recht eigentlich Löwens Verdienst ist, dem wir Lessings Hamburgische Dramaturgie verdanken. Lange bevor das geflügelte Wort von der Schaubühne als moralische Anstalt geprägt wurde, trat der Clausthaler Bergmannssohn bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit, in seinen Flugschriften und Sendschreiben für die Würde und Selbständigkeit des deutschen Theaters, für die Befreiung von ungesunden französischen Einflüssen Vergl. besonders Löwens Schrift: Freundschaftliche Erinnerungen an die Kochsche Schauspieler-Gesellschaft, bey Gelegenheit des Hausvaters des Herrn Diderots. Frankft. u. Leipzig 1766. S. 4-7: Zumal muß ein Volk, wenn es will Original bleiben, seine eigene Bühne zu haben suchen; und wer wird wol nicht einräumen, daß es besser für ein Volk sey Original in seinen Sitten zu seyn, als den andern Völkern nachzuäffen? Mehr als ein Nutzen entspringt daher, seine eigene Bühne zu haben. Man behält seine National-Sitten, und bekömmt nicht zu seinen eignen anderer Völker Thorheiten, die sich durch die Privat-Sitten der fremden Schauspieler sowol, in dem Lande, wohin sie kommen, fortpflanzen, als durch die, welche sie auf der Bühne vorstellen. In Frankreich verscheuchte manches Lustspiel die Thorheit, die schon da war; in Deutschland führte öfters eben dieses Lustspiel diese Thorheit ein, denn ich glaube nicht, daß wir bey der Einführung fremder Sitten etwas anders haben gewinnen können, als glänzende Thorheiten. Unsere eigene aber, (denn welch Volk hat wol nicht seine Thorheiten) wären durch eine einheimische für Deutsche gemachte Bühne nach und nach gebessert worden. Und wenn uns die Bühne auch gleich nicht sehr gebessert hätte, wie freylich öfters geschieht, so hätten wir doch dabey zwar National-Fehler, aber denn doch auch National-Tugenden, und überhaupt eine Original-Denkungsart behalten; und dies ist schon viel; ohne zu rechnen, daß man doch alsdann auch noch unter den andern Völkern prangt, die eine eigene Bühne haben. Fast alle sind so glücklich: Engländer, Spanier, Italiener, Franzosen, und wir armen Deutschen haben so lange darnieder gelegen, ohne uns empor helfen zu können. Was waren wir zu bedauren, und was hat uns das nicht für Schaden gethan. Es wäre leicht zu beweisen, daß alle das Französische, welches wir in unsern Aeusserlichen und Innerlichen angenommen haben, unsere Petit-maitres, kurz der größte Theil des Unsinns, den wir bey uns sehen, und worüber der vernünftige seufzt, daher entspringt. Man kann nicht glauben, was Schauspieler für einen Einfluß in den Sitten einer Nation haben, und was daher eine fremde Bühne darinnen wirken kann. Ihre Kunst, die etwas glänzendes bey sich führt, reizt, sie in allem nachzuahmen. Wie sehr wäre es also, von allen Seiten betrachtet, besser gewesen, unsere eigene Schaubühne zu haben, als eine Fremde zu berufen, Politisch zu reden, wäre nicht ohne die Wuth nach französischen Moden ein großes Geld, das alle Jahre die Franzosen bereichert, in unserm Vaterlande geblieben: da es ihnen doch nur dazu dienet, dasselbe mit ihren Völkern zu überschwemmen und zu verheeren., für den nationalen Charakter der deutschen Kunst mit Wärme ein. Hätte sein eigenes poetisches Können seinem Wollen entsprochen, so würde auch der Dichter Löwen nicht bloß ein Name in unserer Literaturgeschichte sein. Als Mitstrebender des großen Reformators unsrer Literatur und Bühne, als Direktor des ersten deutschen Nationaltheaters und Verfasser der ersten Geschichte der deutschen Schaubühne hat sich Johann Friedrich Löwen für alle Zeiten ein Blatt in den Annalen der Theatergeschichte gesichert.


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