Herrmann Löns
Der zweckmäßige Meyer und andere Geschichten
Herrmann Löns

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Die Gesundbeterin

Mit Gebet und Handauflegen
Heilten die Apostel schon,
Sie auch könnt' das, sagte immer
Die Frau Günther-Peterson.
Und man kam in hellen Haufen,
Arm und reich und groß und klein,
Jeder wollte für drei Meter
Gern gesund gebetet sein.
Das Geschäft ist gut gegangen,
Bald konnt' sie's nicht mehr allein,
Und sie stellte als Gehilfin
Noch ein junges Mädchen ein.
Denn sie mußte zuviel beten,
Und es sucht im Blatte schon
Einige stramme Dauerbeter
Die Frau Günther-Peterson.

Wahrhaftig, es ist anstrengend, von Morgens bis in der Nacht zu beten, sagte mir die Dame, als ich sie besuchte. Es strengt wirklich zu sehr an. Früher, als das Geschäft noch nicht so gut ging, kam ich mit zwanzig bis dreißig Vaterunsern nach der Angabe von Mrs. Eddy bequem aus. Wenn sie die Rationen etwas verteilt, zehn zwischen dem ersten und zweiten Frühstück, fünf vor und fünf nach dem Mittagessen und zehn vor dem Abendbrot, dann geht das. Aber was drüber ist, das ist vom Übel. Besonders nach dem Mittagessen bekommt es gar nicht. Man schläft dann erstens leicht und vergißt, wieviel man erledigt hat, und kann wieder von vorn anfangen, denn Reellität ist die Grundlage eines jeden Geschäftes, zweitens aber führt es zu Verdauungshemmungen, wie jede Anstrengung gleich nach der Mahlzeit, zu Gärungserscheinungen und schließlich zu Magenausbuchtungen.

Deswegen habe ich mir später, als das Geschäft einen zu großen Umfang annahm, ein junges kräftiges Mädchen vom Lande engagiert, das neben der Hausarbeit in ihren freien Stunden die übrigen Heilgebete verrichtet. Damit das liebe Kind ein Interesse daran hat, habe ich die Arbeit in Akkord gegeben. Sie erhält pro Stück des abgelieferten Gebetes zehn Pfennige. Bei ihrem Fleiß und guten Willen hat sie es schon auf einen Nebeneinnahme von fünf bis sechs Mark den Tag gebracht. Die Kontrolle ist sehr einfach, sie geschieht durch einen von einem bedeutenden Elektrotechniker eigens für mich angefertigten Zählphonograph, der selbständig die Anzahl und Art der Gebete registriert. Herunterrabbeln gilt nicht, solche Gebete haben keine Wirkung.

Aber das junge Ding, obgleich sehr kräftig gebaut und mit einer guter Lunge ausgerüstet, und dem nötigen Stumpfsinn, wie er bei Massenherstellung einen solcher Artikels erforderlich ist, fängt mir an, bleichsüchtig und hysterisch zu werden, und ich muß mich nach weiterer Hilfe umsehen. Wie ich das mache, weiß ich noch nicht. Vier bis sieben Dauerbeter kann ich noch bequem beschäftigen, aber habe keine Lust, das im Hause tun zu lassen. Ich denke, ich lasse mir noch einige Zählphonographen bauen und lasse dann die Arbeit außer dem Hause machen. Dabei spare ich Licht und Feuerung. Auch denke ich, dem schönen Beispiel der Behörde folgend, die Arbeit auf dem Wege der Submission an die Mindestforderden zu geben. Bei der jetztigen Arbeitslosigkeit wird es mir am billigen Arbeitskräften nicht fehlen.

Ich frage die Dame, welche Stände und Klassen ihr chriurgisch-antiseptisches Gebetsverfahren in Anspruch nähmen. Alle, sagte sie, mit Ausnahme der Mediziner. Das sind die einzigen, die aus leicht begreiflichen Gründen meiner Sprechstunde und meinen Vorträgen fernbleiben. Aber ich werde sie schon kriegen. Ich werde nächstens einen Vortrag über die Wertlosigkeit der homöopathischen Fieberbehandlung durch Gebete und über den Nutzen der aseptischen Wundbehandlung durch Vaterunser halten. Damit schmeichle ich den Allopathen, und da das die meisten Ärzte sind, so werden sie für mich sein. Denn es ist doch klar, daß homöopathische Gebetsdosen nichts helfen können, bei akuten Erkrankungen ebensowenig wie bei chronischen Leiden. Ein bestimmtes größeres Quantum ist absolut notwendig.

Ferner werde ich nächstens in meinem Institut noch wichtige Verbesserungen treffen. So werde ich eine eigene Abteilung für Gebetsmassage errichten, ich werde auf dem Wege des Gebetes Sonnen-, Licht-, Luft-, Schwefel-, Moor-, römische, irische, Dampf-, Ganz- und Halbbäder anwenden, ich werde eine Gebetröntgenstube einrichten und mich auf das Studium der Bandwurmabtreibung und Hühneraugenoperation auf dem Wege des Gebetes legen, auch mich mehr wie bisher mit Schönheitspflege beschäftigen. Haarausfall, mangelnde Zähne und verschwundene schöne Formen werde ich herbei-, Runzeln und Falten wegbeten. Ob ich das alles aber mit Menschenkräften tun kann, ist noch fraglich. Die Kontrolle wird zu umständlich. Vielleicht geht es mit arabischen Gebetsmühlen, ich muß es mal versuchen. Aber auf jeden Fall muß ich einzelne Spezialitäten mehr pflegen. Das ist zeitgemäß.

Ich erlaubte mir zu fragen, ob es wahr wäre, daß sie auch per Distanz heilen könne. Natürlich, sagte sie, die Sache ist ganz einfach. Ungefähr wie Marconis drahtlose Telegraphie. Mit schelmischem Lächeln setzt sie hinzu: So ganz ohne Draht geht es natürlich nicht. Zeigt mir ein ferner Patient durch Honorarübersendung an, daß er den ernsten Willen hat, geheilt zu werden, so richte ich mein Gebet in die Ferne und es hilft immer. Etwas heikel ist die Sache aber immer, denn man weiß nie so ganz bestimmt, welchen Fortgang der Heilungsprozeß nimmt und wann man aufhören muß mit Beten. Sie haben ja vor Jahresfrist schon über den traurigen Fall mit den alten Major berichtet, dem ich sein kurzes Bein länger betete. Er verreiste und gab mir keine Nachricht. War es da ein Wunder, daß das Bein schließlich so lang wurde, daß er nun zur Abwechslung auf der anderen Seite hinkte?

Ich verneinte galant und fragte, wie ihre Stellung zu den Apothekern sei. Schlecht, sagt sie, vorläufig weinigstens. Aber in unserem technisch so weit vorgeschrittenen Zeitalter, in dem die dünnsten Stoffe, wie Kohlensäure, Wasserstoff und Luft flüssig und die dicksten Bankiers und Aufsichtsräte flüchtig gemacht werden können, wird es auch dem Physiochemiker gelingen, das Gebet in tropfbar-flüssigen, wenn nicht gar festen Zustand zu überführen. Ist erst das gelungen, dann lasse ich Pulver und Pillen aus Gebeten fabrizieren, ebenso Salben und Pflaster, und dann wird die Antipathie der Pharmazeuten gegen meine Lehre schon abnehmen. Ich denke mir, daß Gebets-Schweizerpillen, Günther-Petersonsche Somatose, Eddysche Nervose, scientistische Wurmelixiere und christlich-wissenschaftliches Pepton rasenden Erfolg haben werden.

Ob sie auch psychopathische Kuren mache, fragte ich. Selbstverständlich. Sie heile Leib und Seele, sagte sie. Suggestion sei schließlich alles. Jede Krankheit müsse ihre Heilung vom Geiste aus nehmen. Daher rührten ihre Erfolge. Im Grunde sei alles Einbildung. Und je eingebildeter eine Krankheit sei, um so leichter sei die Heilung. Da wäre ein Fall, der sehr interssant sei. Ein junges Mädchen sei herrenscheu gewesen, weil sie sich einbildete, häßlich zu sein. Sie sei es auch gewesen, aber mit drei Gramm Gebet à drei Mark habe sie ihr das Bewußstein davon so genommen, daß sie jetzt eine geradezu unangenehme Kokette geworden sei.

Ich bat sie, mir noch einige besonders interessante Kuren mitzuteilen. Das tat sie gern. Da wäre eine alte Frau gewesen, die hätte immer an Eisbeinen gelitten. Nach vierzehntägiger energischer Behandlung hätte die den Greisenbrand in beiden Beinen gehabt. Ein alter Mann habe furchtbar an Marasmus senilis gelitten. In ihrer Behandlung sei er so jung geworden, daß er jetzt gepäppelt werden müsse, wie ein Säugling. Ein junger Maler habe an steifem Rücken gelitten. Jetzt sei er bald soweit, daß er kgl. preußischer Akademieprofessor und Hofmaler werden könne. Ein idiotischer junger Herr sei geistig durch ihre Behandlung so gehoben, daß er schon imstande wäre, »Die Woche« vollständig zu verstehen. Ein zurückgebliebenes vierjähriges Mädchen habe nach wenigen Heilversuchen in acht Tagen Nietzsche als passé bezeichnet. Einen Trinker habe sie so gründlich geheilt, daß er in Ohmacht falle, wenn er eine leere Flasche sähe oder ein leeres Bierglas vor sich stehen habe, und ein Herr, der an Stuhlzwang gelitten habe, in fünf Minuten so geheilt, daß er wie rasend davongestürzt sei. Weit könne er aber nicht gekommen sein. Ein Arbeiter, der an Auszehrung litt, wäre zu ihr gekommen; nach acht Tagen habe er zweieinhalb Zentner gewogen und ein Fettherz gehabt, wie ein Rentier.

Auch schwere Verletzungen könne sie heilen. Man habe ihr einen alten Mann gebracht, dem von einem Wagenrad das rechte Bein zermalmt war. Sie habe ihn so gut geheilt, daß das rechte Bein viel schneller wurde als das linke. Um auch dem linken Bein zu mehr Leben zu verhelfen, habe sich der schlaue Greis auch dieses überfahren und von ihr wieder zurechtbeten lassen und er sei mit seinen jungen Beinen so sehr zufrieden, daß er dasselbe Experiment noch mit Becken, Rückenstrang, den Armen, dem Hals und dem Schädel machen wollte, ohne Schmerzen zu scheuen.

Als ich mich verabschiedete, fragte ich die Dame, ob sie ihre Kunst nicht auch auf das Veterinärgebiet ausdehnen wollte. Sie lächelte und sagte: Das tue ich ja, denn was zu mir kommt, sind ja alles Esel, Ochsen, Gänse und Puten.

 


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